Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 285/68
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Ist aus den vorhandenen Versorgungsakten nicht mit Sicherheit zu entnehmen, daß ein bindender Bescheid nach früheren Versorgungsbestimmungen ergangen ist, dann findet § 85 BVG keine Anwendung.
2) Die Versorgungsverwaltung kann sich nicht mit Erfolg auf Verwirkung eines Anspruches auf Versorgung berufen, wenn der Versorgungsberechtigte zwar während einer längeren Zeitspanne untätig gewesen ist, sie daraus aber nicht schließen durfte, daß er von seinem Recht keinen Gebrauch mehr machen werde.
3) Das Nachschieben sachlich-rechtlicher Gründe zu einem auf § 85 BVG gestützten streitigen Bescheid ist zulässig, wenn diese bei Erlass desselben bereits vorgelegen haben und die Rechtsposition des Versorgungsberechtigten dadurch nicht verschlechtert wird. In einem solchen Falle kann dahingestellt bleiben, ob im schriftsätzlichen Vorbringen der Erlaß eines Bescheides gemäß § 96 SGG enthalten ist.
2) Die Versorgungsverwaltung kann sich nicht mit Erfolg auf Verwirkung eines Anspruches auf Versorgung berufen, wenn der Versorgungsberechtigte zwar während einer längeren Zeitspanne untätig gewesen ist, sie daraus aber nicht schließen durfte, daß er von seinem Recht keinen Gebrauch mehr machen werde.
3) Das Nachschieben sachlich-rechtlicher Gründe zu einem auf § 85 BVG gestützten streitigen Bescheid ist zulässig, wenn diese bei Erlass desselben bereits vorgelegen haben und die Rechtsposition des Versorgungsberechtigten dadurch nicht verschlechtert wird. In einem solchen Falle kann dahingestellt bleiben, ob im schriftsätzlichen Vorbringen der Erlaß eines Bescheides gemäß § 96 SGG enthalten ist.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 6. März 1968 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der 1917 geborene Kläger beantragte am 20. August 1965 beim Versorgungsamt D. Versorgung wegen einer halbseitigen Lähmung links, die er auf eine als Soldat während des Polenfeldzuges erlittene Brustquetschung zurückführte. Dem Antrage fügte er u.a. seinen Entlassungsschein aus der Waffen-SS vom 21. September 1944, Untersuchungsbefunde das Kreisgesundheitsamtes H., aus dem Jahre 1964, Schreiben des Landeswohlfahrtsverbandes H. und der H-Universität in B. vom Oktober 1965 sowie der Deutschen Dienststelle vom Oktober und November 1965 bei.
Das Versorgungsamt vermittelte bei den Krankenkassen, welchen der Kläger angehört hatte, zog dem Krankenbuchlager B. und der Deutschen Dienststelle die über ihn vorhandenen Unterlagen sowie vom Landesinvalidenamt für die S. in G. die dort lagernden Akten bei. Darin befindet sich neben ärztlichen Bescheinigungen und Berichten aus der Zeit vor dem Kriege und während des Krieges u.a. der originalunterzeichnete Entwurf eines Bescheides des Versorgungsamtes G. vom 16. Oktober 1944, mit dem die Versorgung des Klägers nach dem Wehrmachtfürsorge- und Versorgungsgesetz von Amts wegen abgelehnt worden ist. Die eingehende Prüfung habe ergäben, daß der bei ihm festgestellte Körperschaden, nämlich seelische Abartigkeit von Krankheitswert (Neuropathie uns Psychopathie) nicht auf eine Wehrdienstbeschädigung zurückzuführen sei. Auf die Beschwerde des Klägers hiergegen hatte der Leiter des Versorgungsamtes G. im Schreiben vom 10. Januar 1945 (irrtümlich 10.1.1944) mitgeteilt, es sei ihm nach nochmaliger Prüfung bei der gegebenen Sach- und Rechtslage nicht möglich, eine günstigere Entscheidung zu treffen, da das bestehende Leiden als anlagebedingt bezeichnet werden müsse. Ein Beschwerdenbescheid des Hauptversorgungsamtes W. ist in den Unterlagen nicht abgeheftet.
In seinem am 26. September 1966 abgeschlossenen Hauptgutachten führte der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. unter Wertung weiterer Unterlagen aus dem Psychiatrischen Krankenhaus H., eines chirurgischen Nebengutachtens und von Röntgen- sowie EEG-Befunden aus, der Kläger habe eine vor dem Wehrdienst gesetzte Hirnschädigung, die zeitweise zu cerebralen Anfällen geführt zu haben scheine. Für die Zeit des Kriegsdienstes seien keine Schädigungen belegt, die zu einer zusätzlichen organischen Schädigung führen oder das schädigungsunabhängige Leiden nachhaltig hätten verschlimmern können. Im übrigen handele es sich bei ihm um eine abnorme Persönlichkeit, worauf von allen bisherigen Gutachtern oder untersuchenden Nervenärzten hingewiesen worden sei. Schädigungsfolgen seien nicht vorhanden.
Mit Bescheid vom 10. November 1966 wurde der Antrag alsdann mit der Begründung abgelehnt, nach dieser Begutachtung und den noch vorhandenen Kranken- und Personalpapieren des von der ehemaligen Waffen-SS im Jahre 1944 durchgeführten DU-Verfahrens hätten sich im wesentlichen keine anderen Feststellungen und Beurteilungen ergeben als die, welche bereits mit den Bescheiden des Versorgungsamtes G. vom 16. Oktober 1944 und 10. Januar 1945 ausgesprochen worden seien. Nach § 85 BVG blieben diese Entscheidungen auch nach Inkrafttreten des BVG rechtsverbindlich. Neue Tatsachen und Beweismittel lägen nicht vor.
Im Widerspruchsverfahren behauptete der Kläger, nicht in den Besitz von ablehnenden Bescheiden des Versorgungsamtes G. gekommen zu sein und berief sich dafür, daß er als SS-Rekrut völlig gesund gewesen sei, u.a. auf Erklärungen der ehemaligen Kameraden O. W. und F. B. vom Dezember 1966 und Januar 1967. Zum Beweis des schädigenden Ereignisses übersandte er je ein Schreiben des W. O. vom 1. Mai und des A. M. vom 25. Mai 1967.
Durch Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 1967 wurde der angefochtene Bescheid mit der Begründung bestätigt, diese Unterlagen seien nicht geeignet, die getroffene Entscheidung zu entkräften. Dem Bescheid des Versorgungsamtes G. vom 16. Oktober 1944, an dessen Rechtsverbindlichkeit ausdrücklich festgehalten werde, seien eingehende fachärztliche Untersuchungen vorausgegangen, die nicht widerlegt werden könnten. Im übrigen stehe auch § 40 VfG (KOV) dem Erlaß eines neuen Bescheides entgegen.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Darmstadt hat der Kläger auf die Mitteilung der H-Universität vom 25. Oktober 1965 hingewiesen, die bestätigte, daß er dort am 10. Mai 1941 wegen einer Halbseitenstörung auf organischer Basis untersucht worden sei. Seine Dienstfähigkeit sei dadurch erheblich beeinträchtigt gewesen. Hieraus ergebe sich sein Anspruch, wegen einer Halbseitenlähmung links am Arm und Bein mit Herabsetzung der groben Kraft als Schädigungsfolge sowie wegen Hammerzehenbildung am linken Fuß und Senkspreizfüßen Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 60 v.H. zu bekommen.
Mit Urteil vom 6. März 1968 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, Ansprüche des Klägers auf Anerkennung von Schädigungsfolgen seien nicht vorhanden. Die Folgen des von ihm behaupteten Unfalls seien im Bescheid des Versorgungsamtes G. vom 16. Oktober 1944 nicht als Wehrdienstbeschädigung anerkannt worden. Nach § 85 BVG sei diese Entscheidung auch nach dem BVG rechtsverbindlich. Der Beklagte habe auch nicht fehlerhaft gehandelt, wenn er die Erteilung eines Zugunstenbescheides abgelehnt habe. Denn der vorliegende Bescheid sei weder aus rechtlichen noch tatsächlichen Gründen unrichtig.
Gegen dieses Urteil, das am 12. März 1968 mittels eingeschriebenen Briefes an den Kläger abgesandt worden ist, richtet sich seine am 22. März 1968 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung. Zur Begründung trägt er vor, der Bescheid des Versorgungsamtes G. vom 16. Oktober 1944 sei nicht rechtsverbindlich, da er ihn angefochten gehabt habe. Eine Weiterverfolgung der Sache sei wegen der Kriegsereignisse damals nicht möglich gewesen. Erst im August 1965 habe er einen erneuten Antrag stellen und in der Folgezeit die entsprechenden Unterlagen beibringen können. Die in den Akten des Landesinvalidenamtes für die S. befindlichen Berichte und Gutachten aus der Zeit vor seinem Wehrdienst seien nicht verwertbar, da er durch Zeugen nachgewiesen habe, als Waffen-SS-Rekrut gesund gewesen zu sein. In seinem Rechtsstreit gegen die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) wegen Gewährung einer Sozialversicherungsrente seien nunmehr vom 6. Senat des Hessischen Landessozialgerichts ärztliche Gutachten eingeholt worden, aus denen hervorgehe, daß Ursache seines Leidens eine Kriegsbeschädigung sei. Bei der Bemessung seiner Rente hierfür mache er noch auf seine berufliche Betroffenheit aufmerksam.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 6. März 1968 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 10. November 1966 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 1967 zu verurteilen, wegen "Halbseitenlähmung links, Hammerzehenbildung am linken Fuß, Senk-Spreizfüßen” als Schädigungsfolgen Rente nach einer MdE von 60 v.H. unter Anerkennung des beruflichen Betroffenseins zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung führt er aus, der Kläger könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, daß § 85 BVG nicht anwendbar sei. Zwar lasse sich aus den Unterlagen des früheren Versorgungsamtes G. nicht beweisen, daß seinerzeit durch das Hauptversorgungsamt W. eine Beschwerdeentscheidung getroffen worden sei. Aus dem Gesichtspunkt der Verwirkung heraus müsse jedoch davon ausgegangen werden, daß der Kläger verpflichtet gewesen sei, seine Ansprüche in einem angemessenen Zeitraum geltend zu machen. 1965 sei selbst bei großzügigster Beurteilung insoweit Verwirkung eingetreten gewesen. Im übrigen könne die Frage der Bindungswirkung in Ansehung des § 85 BVG dahingestellt bleiben. Der Anspruch des Klägers könne nämlich auch aus sachlichen Gründen nicht zum Erfolg führen. Bei ihm lägen keine Gesundheitsstörungen vor, die zu einer Anerkennung von Schädigungsfolgen im Sinne des § 1 BVG berechtigen. Das sei schon im angefochtenen Bescheid vom 10. November 1966 angedeutet worden, der nach Durchführung ärztlicher Begutachtungen erlassen worden sei.
Zur mündlichen Verhandlung am 3. November 1971 war der Kläger weder erschienen noch vertreten.
Die Akten des Versorgungsamtes D. mit der Archiv-Nr. die Akten des Hessischen Landessozialgerichts mit dem Az.: L-6/An-118/68 und die dabei befindlichen Akten des Landeswohlfahrtsverbandes H., des Arbeitsamtes D. und der BfA haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Instanzen wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung über die der Senat auf Antrag des Beklagten gemäß §§ 110, 126 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nach Lage der Akten entscheiden konnte, ist zulässig, sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 151 Abs. 1 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet.
Der angefochtene Bescheid ist im Ergebnis zutreffend, wenn ihm auch in seiner Begründung nicht gefolgt werden kann, ebensowenig wie in den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils, die auf einer rechtsirrigen Auffassung beruhen. Der Urteilsspruch dagegen entspricht der Rechtslage, weshalb dem Berufungsantrag des Beklagten stattzugeben war.
Entgegen der Meinung des Vorderrichters war vorliegend nach sachlich-rechtlichen Gesichtspunkten zu befinden. Die Vorschrift des § 85 BVG greift nicht durch.
Nach den Unterlagen des früheren Versorgungsamtes G. ist der Bescheid vom 16. Oktober 1944 vom Kläger rechtzeitig mit der Beschwerde angefochten worden. Über diese ist entweder nicht mehr entschieden worden wegen der Kriegsereignisse oder aber ein entsprechender Beschwerdebescheid des Hauptversorgungsamtes W. ist nicht mehr zu den Akten gelangt. Das Schreiben des Leiters des Versorgungsamtes G. vom 10. Januar 1945 ersetzt in Hinblick auf die dem Bescheid vom 16. Oktober 1944 beigegebene Rechtsmittelbelehrung einen solchen Beschwerdebescheid nicht. Ganz gleich, welcher Erwägung gefolgt wird, ist dem Kläger nicht zu widerlegen, daß eine Beschwerdeentscheidung, die bindend geworden wäre, nicht vorliegt, womit die Vorschrift des § 85 BVG nicht anwendbar ist.
Die Einwendungen, welche der Beklagte in seinem Schriftsatz vom 25. August 1971 hierzu gemacht hat, sind nach Auffassung des Senats nicht stichhaltig. Auf die von ihm zitierten Entscheidungen des BSG kann er sich nicht mit Erfolg berufen. Das Urteil vom 9. April 1963 (10 RV 1059/60) geltend gemachter Ansprüche zu entscheiden war. Diese Gedanken sind hier aber nicht einschlägig. Das Urteil des BSG vom 20. Mai 1958 in BSGE 7, S. 199 ff. befaßt sich zwar mit der Verwirkung von Ansprüchen. Es spricht jedoch gerade gegen die Auffassung des Beklagten. Denn dort ist ausgeführt, daß die Untätigkeit eines Berechtigten während einer längeren Zeitspanne allein nicht zur Verwirkung seines Rechts führen könne. Hierfür sei vielmehr weiteres unabdingbares Erfordernis, daß die andere Seite aus dieser Untätigkeit geschlossen habe müsse, der Berechtigte werde von seinem Recht keinen Gebrauch mehr machen und daß sie sich im Vertrauen hierauf in ihren Vorkehrungen und Maßnahmen entsprechend eingerichtet hat. Das trifft vorliegend jedoch nicht zu, da der Beklagte vor 1955 zu keiner Zeit irgendwelche Maßnahmen getroffen hatte. Das brauchte und konnte er auch nicht, weil er bis zum Eingang der Akten aus der S. nicht über ein früheres DU-Verfahren des Klägers wußte. Dem Beklagten könnte also schon vom Sachverhalt her gesehen begrifflich kein unbilliger zusätzlicher Nachteil zugeführt werden, wenn der Kläger nachträglich auf seine alten Rechte zurückgreifen würde. Die im Schriftsatz vom 25. August 1971 ferner zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Dezember 1967 in NJW 1968 S. 955 liegt ebenfalls neben der zu entscheidenden Frage. Sie befaßt sich damit, daß ein irgendwann einmal eingeleitetes Rechtsmittelverfahren nach Ablauf bestimmter Zeiten nicht mehr durchgeführt zu werden braucht, weil diese Handlungsweise mißbräuchlich wäre. Der Kläger wünscht aber gar nicht das Verfahren von 1944 wieder aufzugreifen, sondern begehrt Versorgung ganz offenbar ab Antragstellung im August 1965 nach den Bestimmungen des Bundesversorgungsgesetzes.
So betrachtet ist der angefochtene Bescheid vom 10. November 1966 nicht rechtmäßig, indem er sich auf § 85 BVG berufen hat. Dennoch ist der Senat der Auffassung, daß die Berufung aus sachlich-rechtlichen Erwägungen unbegründet ist. Der Beklagte hat zwar trotz Ankündigung zu den Gerichtsakten in der zweiten Instanz keinen förmlichen Sachbescheid erlassen, der nach § 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden wäre. Es ist auch zweifelhaft, ob in seinem Schriftsatz vom 25. August 1971 implizite ein Verwaltungsakt in Bezug auf die Ablehnung der Anerkennung von Versorgungsansprüchen mangels Vorliegens von Schädigungsfolgen zu sehen ist (siehe hierzu Komm. von Peters-Sautter-Wolff, Anm. 1 b zu § 124 SGG, Anm. 2 c zu § 128 SGG, die Anmerkungen zu § 96 SGG und die jeweils dort angegebenen Entscheidungen des BSG), was in geeigneten Fällen durchaus angenommen werden kann, vor allem, wenn die Gründe, welche in einem Schriftsatz vorgetragen werden, schon im Zeitpunkt des Erlasses eines angefochtenen Bescheides vorgelegen haben. Der Senat konnte die Frage, ob die Vorschrift des § 96 SGG auf dem materiell-rechtlichen Inhalt des Schriftsatzes vom 25. August 1971 zu beziehen ist, jedoch dahin gestellt sein lassen. Denn selbst wenn davon ausgegangen wird, daß darin kein Verwaltungsakt steckt, dann ist er so zu werten, daß der Beklagte in zulässiger Weise damit sachlich neue Gründe nachgeschoben hat. Dazu war er hier jedenfalls berechtigt. Die Rechtsposition des Klägers wird dadurch nicht verschlechtert. Alles worauf sich der Beklagte nun berufen hat, hätte er bereits am 10. November 1966 vortragen können, so daß nach alledem formell keine Bedenken bestehen, sein Vorbringen bei der Urteilsfindung zu werten.
Der Senat folgt ihm darin, daß bei dem Kläger keine Gesundheitsstörungen vorliegen, die zu einer Anerkennung von Schädigungsfolgen gemäß § 1 BVG führen müßten. Denn es ist nicht wahrscheinlich i.S. der im Versorgungsrecht geltenden Kausaltheorie, daß das angeschuldigte schädigende Ereignis die ärztlich festgestellten Leiden und Gesundheitseinschränkungen verursacht oder verschlimmert haben kann. Für diese Auffassung bezieht sich der Senat auf die ärztlichen Unterlagen in den Akten des früheren Versorgungsamtes G., die Untersuchungsergebnisse des Jahres 1966, insbesondere auf das Gutachten des Dr. H., und schließlich auf die Ergebnisse der ärztlichen Begutachtungen, die aus den beigezogenen Akten des 6. Senats des Hessischen Landessozialgerichts und den dabei befindlichen weiteren Akten hervorgehen.
Nach dem nervenfachärztlichen Gutachten vom 9. Juni 1970 (Bl. 91 ff. der Gerichtsakten des 6. Senats) leidet der Kläger an einer Temporallappen-Epilepsie, charakterlicher Wesensveränderung und linksbetonter Halbseitensymptomatik. Erstere hat der medizinische Sachverständige auf einen geburtlichen oder kindlichen Hirnschaden zurückgeführt. Daß dieses Leiden, welches seine Manifestation schon in der Schulzeit mit Auffälligkeiten im Sinne einer charakterlichen Wesensveränderung bewiesen hatte, durch den Kriegsdienst eine Verschlimmerung erfahren hat, ist nicht anzunehmen. Das hat auch der Gutachter Prof. Dr. R. von B. nicht etwa sinngemäß ausgeführt, wenn er auf Seite 22 seines Gutachtens erwähnt, unter der Belastung einer tödlichen Bedrohung am 10. September 1939 (gemeint ist das vom Kläger angegebene schädigende Ereignis) sei es zu einer seelisch-körperlichen Dekompensation gekommen. Denn die ab 1939 sichtbaren Störungen, welche 1944 zur Entlassung aus der Waffen-SS geführt haben, waren in Wertung der Exploration des Klägers, wie sie der Sachverständige vorgenommen hat sowie nach den in den Akten befindlichen Unterlagen über seine kindliche und jugendliche Entwicklung nicht anders als jene vor Beginn des Wehr- und Kriegsdienstes. "Hervorgerufen”, wie der Kläger im vorliegenden Verfahren behauptet oder "ausgelöst”, wie er in seinem Rentenstreit vorträgt, hat das schädigende Ereignis die festgestellten Leiden keinesfalls. Der Kläger wurde nur wieder nervlich und psychisch auffällig, nachdem er dieselben Störungen bei der Waffen-SS zunächst hatte kompensieren können. Dieses kurze Intervall bedeutet andererseits auf keine zwischenzeitliche Heilung hin. Dagegen sprechen die Ergebnisse der Hirnstromabteilung, die Prof. R. von B. ausgewertet hat. In Wertung der überwiegenden Auffassung des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. H., die das Gutachten vom 9. Juni 1970 in keiner Weise widerlegt hat, ist der Senat der Meinung, daß kriegseigentümliche Umstände jeglicher Art nicht gemeint waren, auf die Temporallappenepilepsie des Klägers mit vor dem Wehrdienst schon eingetretener Wesensveränderung und Halbseitensymptomatik einzuwirken. Da hatten zu Recht bereits die Ärzte festgestellt, welche ihn für das DU-Verfahren untersucht hatten. Die Bescheinigung der H-Universität in B. vom Oktober 1965 besagt nicht Gegenteiliges, daß die Dienstfähigkeit des Klägers im Mai 1941 erheblich beeinträchtigt gewesen ist bedeutet nicht, daß ein Kausalzusammenhang mit schädigenden Ereignissen vorgelegen hat.
Da auch die "Hammerzehenbildung links” und die "Senk-Spreizfüße” nicht erkennbar auf dem Kriegsdienst beruhen, der für den Kläger im Anschluß an den Polenfeldzug keine körperlichen Strapazen mit sich gebracht hat, war der Berufung der Erfolg mit der aus § 193 SGG entnommenen Kostenfolge zu versagen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der 1917 geborene Kläger beantragte am 20. August 1965 beim Versorgungsamt D. Versorgung wegen einer halbseitigen Lähmung links, die er auf eine als Soldat während des Polenfeldzuges erlittene Brustquetschung zurückführte. Dem Antrage fügte er u.a. seinen Entlassungsschein aus der Waffen-SS vom 21. September 1944, Untersuchungsbefunde das Kreisgesundheitsamtes H., aus dem Jahre 1964, Schreiben des Landeswohlfahrtsverbandes H. und der H-Universität in B. vom Oktober 1965 sowie der Deutschen Dienststelle vom Oktober und November 1965 bei.
Das Versorgungsamt vermittelte bei den Krankenkassen, welchen der Kläger angehört hatte, zog dem Krankenbuchlager B. und der Deutschen Dienststelle die über ihn vorhandenen Unterlagen sowie vom Landesinvalidenamt für die S. in G. die dort lagernden Akten bei. Darin befindet sich neben ärztlichen Bescheinigungen und Berichten aus der Zeit vor dem Kriege und während des Krieges u.a. der originalunterzeichnete Entwurf eines Bescheides des Versorgungsamtes G. vom 16. Oktober 1944, mit dem die Versorgung des Klägers nach dem Wehrmachtfürsorge- und Versorgungsgesetz von Amts wegen abgelehnt worden ist. Die eingehende Prüfung habe ergäben, daß der bei ihm festgestellte Körperschaden, nämlich seelische Abartigkeit von Krankheitswert (Neuropathie uns Psychopathie) nicht auf eine Wehrdienstbeschädigung zurückzuführen sei. Auf die Beschwerde des Klägers hiergegen hatte der Leiter des Versorgungsamtes G. im Schreiben vom 10. Januar 1945 (irrtümlich 10.1.1944) mitgeteilt, es sei ihm nach nochmaliger Prüfung bei der gegebenen Sach- und Rechtslage nicht möglich, eine günstigere Entscheidung zu treffen, da das bestehende Leiden als anlagebedingt bezeichnet werden müsse. Ein Beschwerdenbescheid des Hauptversorgungsamtes W. ist in den Unterlagen nicht abgeheftet.
In seinem am 26. September 1966 abgeschlossenen Hauptgutachten führte der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. unter Wertung weiterer Unterlagen aus dem Psychiatrischen Krankenhaus H., eines chirurgischen Nebengutachtens und von Röntgen- sowie EEG-Befunden aus, der Kläger habe eine vor dem Wehrdienst gesetzte Hirnschädigung, die zeitweise zu cerebralen Anfällen geführt zu haben scheine. Für die Zeit des Kriegsdienstes seien keine Schädigungen belegt, die zu einer zusätzlichen organischen Schädigung führen oder das schädigungsunabhängige Leiden nachhaltig hätten verschlimmern können. Im übrigen handele es sich bei ihm um eine abnorme Persönlichkeit, worauf von allen bisherigen Gutachtern oder untersuchenden Nervenärzten hingewiesen worden sei. Schädigungsfolgen seien nicht vorhanden.
Mit Bescheid vom 10. November 1966 wurde der Antrag alsdann mit der Begründung abgelehnt, nach dieser Begutachtung und den noch vorhandenen Kranken- und Personalpapieren des von der ehemaligen Waffen-SS im Jahre 1944 durchgeführten DU-Verfahrens hätten sich im wesentlichen keine anderen Feststellungen und Beurteilungen ergeben als die, welche bereits mit den Bescheiden des Versorgungsamtes G. vom 16. Oktober 1944 und 10. Januar 1945 ausgesprochen worden seien. Nach § 85 BVG blieben diese Entscheidungen auch nach Inkrafttreten des BVG rechtsverbindlich. Neue Tatsachen und Beweismittel lägen nicht vor.
Im Widerspruchsverfahren behauptete der Kläger, nicht in den Besitz von ablehnenden Bescheiden des Versorgungsamtes G. gekommen zu sein und berief sich dafür, daß er als SS-Rekrut völlig gesund gewesen sei, u.a. auf Erklärungen der ehemaligen Kameraden O. W. und F. B. vom Dezember 1966 und Januar 1967. Zum Beweis des schädigenden Ereignisses übersandte er je ein Schreiben des W. O. vom 1. Mai und des A. M. vom 25. Mai 1967.
Durch Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 1967 wurde der angefochtene Bescheid mit der Begründung bestätigt, diese Unterlagen seien nicht geeignet, die getroffene Entscheidung zu entkräften. Dem Bescheid des Versorgungsamtes G. vom 16. Oktober 1944, an dessen Rechtsverbindlichkeit ausdrücklich festgehalten werde, seien eingehende fachärztliche Untersuchungen vorausgegangen, die nicht widerlegt werden könnten. Im übrigen stehe auch § 40 VfG (KOV) dem Erlaß eines neuen Bescheides entgegen.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Darmstadt hat der Kläger auf die Mitteilung der H-Universität vom 25. Oktober 1965 hingewiesen, die bestätigte, daß er dort am 10. Mai 1941 wegen einer Halbseitenstörung auf organischer Basis untersucht worden sei. Seine Dienstfähigkeit sei dadurch erheblich beeinträchtigt gewesen. Hieraus ergebe sich sein Anspruch, wegen einer Halbseitenlähmung links am Arm und Bein mit Herabsetzung der groben Kraft als Schädigungsfolge sowie wegen Hammerzehenbildung am linken Fuß und Senkspreizfüßen Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 60 v.H. zu bekommen.
Mit Urteil vom 6. März 1968 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, Ansprüche des Klägers auf Anerkennung von Schädigungsfolgen seien nicht vorhanden. Die Folgen des von ihm behaupteten Unfalls seien im Bescheid des Versorgungsamtes G. vom 16. Oktober 1944 nicht als Wehrdienstbeschädigung anerkannt worden. Nach § 85 BVG sei diese Entscheidung auch nach dem BVG rechtsverbindlich. Der Beklagte habe auch nicht fehlerhaft gehandelt, wenn er die Erteilung eines Zugunstenbescheides abgelehnt habe. Denn der vorliegende Bescheid sei weder aus rechtlichen noch tatsächlichen Gründen unrichtig.
Gegen dieses Urteil, das am 12. März 1968 mittels eingeschriebenen Briefes an den Kläger abgesandt worden ist, richtet sich seine am 22. März 1968 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung. Zur Begründung trägt er vor, der Bescheid des Versorgungsamtes G. vom 16. Oktober 1944 sei nicht rechtsverbindlich, da er ihn angefochten gehabt habe. Eine Weiterverfolgung der Sache sei wegen der Kriegsereignisse damals nicht möglich gewesen. Erst im August 1965 habe er einen erneuten Antrag stellen und in der Folgezeit die entsprechenden Unterlagen beibringen können. Die in den Akten des Landesinvalidenamtes für die S. befindlichen Berichte und Gutachten aus der Zeit vor seinem Wehrdienst seien nicht verwertbar, da er durch Zeugen nachgewiesen habe, als Waffen-SS-Rekrut gesund gewesen zu sein. In seinem Rechtsstreit gegen die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) wegen Gewährung einer Sozialversicherungsrente seien nunmehr vom 6. Senat des Hessischen Landessozialgerichts ärztliche Gutachten eingeholt worden, aus denen hervorgehe, daß Ursache seines Leidens eine Kriegsbeschädigung sei. Bei der Bemessung seiner Rente hierfür mache er noch auf seine berufliche Betroffenheit aufmerksam.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 6. März 1968 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 10. November 1966 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 1967 zu verurteilen, wegen "Halbseitenlähmung links, Hammerzehenbildung am linken Fuß, Senk-Spreizfüßen” als Schädigungsfolgen Rente nach einer MdE von 60 v.H. unter Anerkennung des beruflichen Betroffenseins zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung führt er aus, der Kläger könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, daß § 85 BVG nicht anwendbar sei. Zwar lasse sich aus den Unterlagen des früheren Versorgungsamtes G. nicht beweisen, daß seinerzeit durch das Hauptversorgungsamt W. eine Beschwerdeentscheidung getroffen worden sei. Aus dem Gesichtspunkt der Verwirkung heraus müsse jedoch davon ausgegangen werden, daß der Kläger verpflichtet gewesen sei, seine Ansprüche in einem angemessenen Zeitraum geltend zu machen. 1965 sei selbst bei großzügigster Beurteilung insoweit Verwirkung eingetreten gewesen. Im übrigen könne die Frage der Bindungswirkung in Ansehung des § 85 BVG dahingestellt bleiben. Der Anspruch des Klägers könne nämlich auch aus sachlichen Gründen nicht zum Erfolg führen. Bei ihm lägen keine Gesundheitsstörungen vor, die zu einer Anerkennung von Schädigungsfolgen im Sinne des § 1 BVG berechtigen. Das sei schon im angefochtenen Bescheid vom 10. November 1966 angedeutet worden, der nach Durchführung ärztlicher Begutachtungen erlassen worden sei.
Zur mündlichen Verhandlung am 3. November 1971 war der Kläger weder erschienen noch vertreten.
Die Akten des Versorgungsamtes D. mit der Archiv-Nr. die Akten des Hessischen Landessozialgerichts mit dem Az.: L-6/An-118/68 und die dabei befindlichen Akten des Landeswohlfahrtsverbandes H., des Arbeitsamtes D. und der BfA haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Instanzen wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung über die der Senat auf Antrag des Beklagten gemäß §§ 110, 126 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nach Lage der Akten entscheiden konnte, ist zulässig, sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 151 Abs. 1 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet.
Der angefochtene Bescheid ist im Ergebnis zutreffend, wenn ihm auch in seiner Begründung nicht gefolgt werden kann, ebensowenig wie in den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils, die auf einer rechtsirrigen Auffassung beruhen. Der Urteilsspruch dagegen entspricht der Rechtslage, weshalb dem Berufungsantrag des Beklagten stattzugeben war.
Entgegen der Meinung des Vorderrichters war vorliegend nach sachlich-rechtlichen Gesichtspunkten zu befinden. Die Vorschrift des § 85 BVG greift nicht durch.
Nach den Unterlagen des früheren Versorgungsamtes G. ist der Bescheid vom 16. Oktober 1944 vom Kläger rechtzeitig mit der Beschwerde angefochten worden. Über diese ist entweder nicht mehr entschieden worden wegen der Kriegsereignisse oder aber ein entsprechender Beschwerdebescheid des Hauptversorgungsamtes W. ist nicht mehr zu den Akten gelangt. Das Schreiben des Leiters des Versorgungsamtes G. vom 10. Januar 1945 ersetzt in Hinblick auf die dem Bescheid vom 16. Oktober 1944 beigegebene Rechtsmittelbelehrung einen solchen Beschwerdebescheid nicht. Ganz gleich, welcher Erwägung gefolgt wird, ist dem Kläger nicht zu widerlegen, daß eine Beschwerdeentscheidung, die bindend geworden wäre, nicht vorliegt, womit die Vorschrift des § 85 BVG nicht anwendbar ist.
Die Einwendungen, welche der Beklagte in seinem Schriftsatz vom 25. August 1971 hierzu gemacht hat, sind nach Auffassung des Senats nicht stichhaltig. Auf die von ihm zitierten Entscheidungen des BSG kann er sich nicht mit Erfolg berufen. Das Urteil vom 9. April 1963 (10 RV 1059/60) geltend gemachter Ansprüche zu entscheiden war. Diese Gedanken sind hier aber nicht einschlägig. Das Urteil des BSG vom 20. Mai 1958 in BSGE 7, S. 199 ff. befaßt sich zwar mit der Verwirkung von Ansprüchen. Es spricht jedoch gerade gegen die Auffassung des Beklagten. Denn dort ist ausgeführt, daß die Untätigkeit eines Berechtigten während einer längeren Zeitspanne allein nicht zur Verwirkung seines Rechts führen könne. Hierfür sei vielmehr weiteres unabdingbares Erfordernis, daß die andere Seite aus dieser Untätigkeit geschlossen habe müsse, der Berechtigte werde von seinem Recht keinen Gebrauch mehr machen und daß sie sich im Vertrauen hierauf in ihren Vorkehrungen und Maßnahmen entsprechend eingerichtet hat. Das trifft vorliegend jedoch nicht zu, da der Beklagte vor 1955 zu keiner Zeit irgendwelche Maßnahmen getroffen hatte. Das brauchte und konnte er auch nicht, weil er bis zum Eingang der Akten aus der S. nicht über ein früheres DU-Verfahren des Klägers wußte. Dem Beklagten könnte also schon vom Sachverhalt her gesehen begrifflich kein unbilliger zusätzlicher Nachteil zugeführt werden, wenn der Kläger nachträglich auf seine alten Rechte zurückgreifen würde. Die im Schriftsatz vom 25. August 1971 ferner zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Dezember 1967 in NJW 1968 S. 955 liegt ebenfalls neben der zu entscheidenden Frage. Sie befaßt sich damit, daß ein irgendwann einmal eingeleitetes Rechtsmittelverfahren nach Ablauf bestimmter Zeiten nicht mehr durchgeführt zu werden braucht, weil diese Handlungsweise mißbräuchlich wäre. Der Kläger wünscht aber gar nicht das Verfahren von 1944 wieder aufzugreifen, sondern begehrt Versorgung ganz offenbar ab Antragstellung im August 1965 nach den Bestimmungen des Bundesversorgungsgesetzes.
So betrachtet ist der angefochtene Bescheid vom 10. November 1966 nicht rechtmäßig, indem er sich auf § 85 BVG berufen hat. Dennoch ist der Senat der Auffassung, daß die Berufung aus sachlich-rechtlichen Erwägungen unbegründet ist. Der Beklagte hat zwar trotz Ankündigung zu den Gerichtsakten in der zweiten Instanz keinen förmlichen Sachbescheid erlassen, der nach § 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden wäre. Es ist auch zweifelhaft, ob in seinem Schriftsatz vom 25. August 1971 implizite ein Verwaltungsakt in Bezug auf die Ablehnung der Anerkennung von Versorgungsansprüchen mangels Vorliegens von Schädigungsfolgen zu sehen ist (siehe hierzu Komm. von Peters-Sautter-Wolff, Anm. 1 b zu § 124 SGG, Anm. 2 c zu § 128 SGG, die Anmerkungen zu § 96 SGG und die jeweils dort angegebenen Entscheidungen des BSG), was in geeigneten Fällen durchaus angenommen werden kann, vor allem, wenn die Gründe, welche in einem Schriftsatz vorgetragen werden, schon im Zeitpunkt des Erlasses eines angefochtenen Bescheides vorgelegen haben. Der Senat konnte die Frage, ob die Vorschrift des § 96 SGG auf dem materiell-rechtlichen Inhalt des Schriftsatzes vom 25. August 1971 zu beziehen ist, jedoch dahin gestellt sein lassen. Denn selbst wenn davon ausgegangen wird, daß darin kein Verwaltungsakt steckt, dann ist er so zu werten, daß der Beklagte in zulässiger Weise damit sachlich neue Gründe nachgeschoben hat. Dazu war er hier jedenfalls berechtigt. Die Rechtsposition des Klägers wird dadurch nicht verschlechtert. Alles worauf sich der Beklagte nun berufen hat, hätte er bereits am 10. November 1966 vortragen können, so daß nach alledem formell keine Bedenken bestehen, sein Vorbringen bei der Urteilsfindung zu werten.
Der Senat folgt ihm darin, daß bei dem Kläger keine Gesundheitsstörungen vorliegen, die zu einer Anerkennung von Schädigungsfolgen gemäß § 1 BVG führen müßten. Denn es ist nicht wahrscheinlich i.S. der im Versorgungsrecht geltenden Kausaltheorie, daß das angeschuldigte schädigende Ereignis die ärztlich festgestellten Leiden und Gesundheitseinschränkungen verursacht oder verschlimmert haben kann. Für diese Auffassung bezieht sich der Senat auf die ärztlichen Unterlagen in den Akten des früheren Versorgungsamtes G., die Untersuchungsergebnisse des Jahres 1966, insbesondere auf das Gutachten des Dr. H., und schließlich auf die Ergebnisse der ärztlichen Begutachtungen, die aus den beigezogenen Akten des 6. Senats des Hessischen Landessozialgerichts und den dabei befindlichen weiteren Akten hervorgehen.
Nach dem nervenfachärztlichen Gutachten vom 9. Juni 1970 (Bl. 91 ff. der Gerichtsakten des 6. Senats) leidet der Kläger an einer Temporallappen-Epilepsie, charakterlicher Wesensveränderung und linksbetonter Halbseitensymptomatik. Erstere hat der medizinische Sachverständige auf einen geburtlichen oder kindlichen Hirnschaden zurückgeführt. Daß dieses Leiden, welches seine Manifestation schon in der Schulzeit mit Auffälligkeiten im Sinne einer charakterlichen Wesensveränderung bewiesen hatte, durch den Kriegsdienst eine Verschlimmerung erfahren hat, ist nicht anzunehmen. Das hat auch der Gutachter Prof. Dr. R. von B. nicht etwa sinngemäß ausgeführt, wenn er auf Seite 22 seines Gutachtens erwähnt, unter der Belastung einer tödlichen Bedrohung am 10. September 1939 (gemeint ist das vom Kläger angegebene schädigende Ereignis) sei es zu einer seelisch-körperlichen Dekompensation gekommen. Denn die ab 1939 sichtbaren Störungen, welche 1944 zur Entlassung aus der Waffen-SS geführt haben, waren in Wertung der Exploration des Klägers, wie sie der Sachverständige vorgenommen hat sowie nach den in den Akten befindlichen Unterlagen über seine kindliche und jugendliche Entwicklung nicht anders als jene vor Beginn des Wehr- und Kriegsdienstes. "Hervorgerufen”, wie der Kläger im vorliegenden Verfahren behauptet oder "ausgelöst”, wie er in seinem Rentenstreit vorträgt, hat das schädigende Ereignis die festgestellten Leiden keinesfalls. Der Kläger wurde nur wieder nervlich und psychisch auffällig, nachdem er dieselben Störungen bei der Waffen-SS zunächst hatte kompensieren können. Dieses kurze Intervall bedeutet andererseits auf keine zwischenzeitliche Heilung hin. Dagegen sprechen die Ergebnisse der Hirnstromabteilung, die Prof. R. von B. ausgewertet hat. In Wertung der überwiegenden Auffassung des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. H., die das Gutachten vom 9. Juni 1970 in keiner Weise widerlegt hat, ist der Senat der Meinung, daß kriegseigentümliche Umstände jeglicher Art nicht gemeint waren, auf die Temporallappenepilepsie des Klägers mit vor dem Wehrdienst schon eingetretener Wesensveränderung und Halbseitensymptomatik einzuwirken. Da hatten zu Recht bereits die Ärzte festgestellt, welche ihn für das DU-Verfahren untersucht hatten. Die Bescheinigung der H-Universität in B. vom Oktober 1965 besagt nicht Gegenteiliges, daß die Dienstfähigkeit des Klägers im Mai 1941 erheblich beeinträchtigt gewesen ist bedeutet nicht, daß ein Kausalzusammenhang mit schädigenden Ereignissen vorgelegen hat.
Da auch die "Hammerzehenbildung links” und die "Senk-Spreizfüße” nicht erkennbar auf dem Kriegsdienst beruhen, der für den Kläger im Anschluß an den Polenfeldzug keine körperlichen Strapazen mit sich gebracht hat, war der Berufung der Erfolg mit der aus § 193 SGG entnommenen Kostenfolge zu versagen.
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