L 3 U 1034/00

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 3 U 609/95
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 1034/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 29. Juni 2000 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin streitet um die Entschädigung einer Lendenwirbelsäulen(LWS)-Erkrankung als Berufskrankheit (BK).

Ihr Ehemann W. A. erstattete als landwirtschaftlicher Unternehmer die Unternehmeranzeige vom 23. Juli 1993, in der er angab, die Klägerin sei seit 1965 in der Landwirtschaft tätig und ihre Rückenbeschwerden seien auf die schwere körperliche Arbeit im Stall und auf dem Feld zurückzuführen. Deswegen habe sie sich einer Operation nach einem Bandscheibenvorfall bei L5/S1 unterziehen müssen. Die Klägerin hat angegeben, seit Januar 1994 eine Invalidenrente zu erhalten.

Die Beklagte zog das Vorerkrankungsverzeichnis der Landwirtschaftlichen Krankenkasse bei sowie den Operationsbericht des B-Krankenhauses P. vom 8. Dezember 1988. Beschrieben wird dort eine Nukleotomie bei Bandscheibenvorfall L5/S1. Im Anschluss daran kam es zu einem Anschlussheilverfahren in der Klinik R., W., worüber der Klinikbericht vom 25. Januar 1989 Auskunft gibt. Die behandelnden Orthopäden Dres. Sch. und K. erstatteten den Bericht vom 17. September 1993 und die Beklagte hörte sodann den Orthopäden Dr. R., der mit Stellungnahme vom 1. Dezember 1994 die Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK nach Ziffern 2108 und 2110 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) verneinte. Die Klägerin habe von 1955 bis 1957 und sodann ab 1966 in der Landwirtschaft gearbeitet. Erstmalige Rückenbeschwerden seien im November 1988 eingetreten und hätten sich seit dem chronifiziert. Die Tatsache, dass ein Bandscheibenschaden mit Zerreißung des Faserrings und Vordrängen von Bandscheibengewebe rechts paramedian in Höhe von L5/S1 operativ behandelt worden sei, rechtfertige nicht den Schluss, dass eine BK vorliege. Der Lendenabschnitt der Wirbelsäule zeige im Übrigen intakte Strukturen und keine vorzeitige Alterung. Nach der Operation sei auch eine Ausheilung erfolgt, die sich in einer guten Funktion der Wirbelsäule und dem Fehlen gröberer neurologischer Störungen oder Ausfälle manifestiere. Nachdem der Landesgewerbearzt dem Gutachten mit Stellungnahme am 16. Januar 1995 zugestimmt hatte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22. Februar 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. April 1995 die Entschädigung der LWS-Erkrankung der Klägerin als BK nach Ziffern 2108 und 2110 der Anlage 1 zur BKV ab.

Am 23. Mai 1995 erhob die Klägerin vor dem Sozialgericht Kassel (SG) Klage und trug vor, sie gehöre als Landwirtin zu einer typischerweise durch Heben und Tragen belasteten Berufsgruppe. Sie habe den Betrieb zusammen mit ihrem Ehemann jahrzehntelang bewirtschaftet bei einer Größe von 30 Hektar. Neben 20 bis 30 Milchkühen sei Jungvieh gehalten worden sowie etwa 60 Mastschweine im Jahr. Sie habe alle im Betrieb anfallenden Arbeiten miterledigt, insbesondere auch das Melken. Da eine Milchabsauganlage erst in den letzten Jahren installiert worden sei, habe sie über Jahrzehnte die schweren Melkeimer schleppen müssen. Soweit die Kühe auf der Weide gemolken worden seien, habe sie schwere Milchkannen auf der Weide transportieren und auf eine Karre heben müssen. Infolgedessen sei 1988 erstmals ein Nerv eingeklemmt worden. In Zeiten der Feldbestellung oder der Ernte habe sie weitgehend die Stallarbeiten übernehmen müssen, wobei das Entmisten und das Füttern körperliche Schwerarbeiten seien. Auch das Einbringen von Stroh und Getreide stelle schwere körperliche Arbeit dar. Daher sei der berufliche Zusammenhang ihrer LWS-Erkrankung zu bejahen.

Die Beklagte hat eine Arbeitsplatzanalyse bei der Klägerin durchgeführt und ist bei Berechnung ihrer Hebe- und Tragebelastung zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin nur 78 % des Dosisrichtwertes erreicht habe, der eine berufliche Verursachung ihrer Erkrankung als möglich erscheinen lasse. Als Dosisrichtwert sei nach dem Verfahren von Hartung und Dupuis von 9,5 x 106 Nh für Frauen auszugehen. Zur medizinischen Zusammenhangsfrage hat die Beklagte das orthopädische Aktengutachten des Dr. Sch. vom 31. März 1998 vorgelegt, der bei der Klägerin eine bandscheibenbedingte LWS-Erkrankung bejaht, die mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 v.H. zu bewerten sei in Anbetracht der freien Entfaltbarkeit der LWS, eines fehlenden Segmentbefundes und eines fehlenden neurologischen Defizits. Er geht davon aus, dass es sich bei der Klägerin um eine sekundäre Bandscheibenerkrankung ohne beruflichen Zusammenhang handele in Folge einer groben anatomischen Aufbaustörung am lumbosakralen Scharnier mit resultierender disfunktioneller Segmentstörung. Ein beruflicher Zusammenhang sei auch deswegen abzulehnen, da keine belastungsadaptiven Reaktionen oberhalb des 5. Lendenwirbelkörpers (LWK) bei allenfalls beginnenden degenerativen Verschleißerscheinungen zu beobachten seien.

Das SG hat Dr. O., den Leitenden Technischen Aufsichtsbeamten der Beklagten, am 10. September 1998 angehört zur Feststellung der beruflichen Hebe- und Tragebelastungen beim Melken allgemein wie auch speziell im Falle der Klägerin. Auf das Protokoll des Kammertermins vom 10. September 1998 wird insoweit Bezug genommen. Auf Antrag der Klägerin hat das SG das fachorthopädische Gutachten des Dr. V., Orthopädische Klinik K., vom 7. Mai 1997 mit Ergänzung vom 28. Juni 1999 nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholt. Dr. V. ist davon ausgegangen, dass beruflich bedingt bei der Klägerin eine Osteochondrose L5/S1, L4/5 und L3/4 sowie ein operierter Bandscheibenvorfall L4/5 und L5/S1 mit Entfernung des rechten Lendenwirbelbogens sich entwickelt habe. Daraus würden nur geringe Funktionsbehinderungen resultieren mit zeitweise auftretenden bis mittelschweren Nerven- und Muskelreizerscheinungen. BK-unabhängig seien ein leichter Rundrücken und eine leichte S-förmige Seitverbiegung der Brustwirbelsäule (BWS) mit leichten, altersnormalen Osteochondrosen der unteren BWS, eine Beckenasymmetrie mit leichten Kreuz-Darmbein-Gelenks-Überlastungszeichen links sowie eine beginnende Kniegelenksverschleißveränderung beiderseits festzustellen. Die MdE sei nach den Grundsätzen des Schwerbehindertengesetzes mit 10 v.H. für den BK-Befund einzuschätzen. Die Arbeitsplatzanalyse der Beklagten und auch die allgemeine Kenntnis der in einem kleinen landwirtschaftlichen Familienbetrieb vorkommenden Arbeitsbelastungen und ihre lebensnahe Einschätzung rechtfertigten die Annahme, dass diese als wesentliche Teilursache bedeutsam geworden seien. Die Möglichkeit einer anderweitigen, schädigungsunabhängigen Verursachung der Erkrankung schließe den wahrscheinlichen beruflichen Zusammenhang nicht aus. Sodann hat das SG von Amts wegen das weitere Gutachten des Prof. G., Orthopädische Universitätsklinik M., vom 11. November 1998 mit Ergänzungen vom 8. März und 30. Juni 1999 eingeholt. Prof. G. hat bei der Klägerin eine Osteochondrose der LWS bei L5/S1 sowie im Übrigen adaptive Veränderungen ohne Krankheitswerte festgestellt. Die LWK oberhalb L4 seien unauffällig und das Segment L4/5 sei röntgenologisch nur geringgradig verändert. Danach sei von einem überwiegend monosegmentalen Krankheitsbild bei der Klägerin auszugehen, wobei sich klinisch eine Schmerzsymptomatik auch überwiegend im untersten Segment gezeigt habe. Dieses monosegmentale im untersten LWS-Abschnitt ausgeprägte Schadensbild entspreche genau der Verteilung degenerativer Bandscheibenleiden, wie sie auch in der nicht beruflich belasteten Normalbevölkerung vorkämen, womit die Abgrenzung von berufsbedingten Schäden besonders schwierig erscheine. Dieses Verteilungsmuster spreche für ein anlagebedingtes Leiden und gegen eine dauernde berufliche Überbelastung. Die leichten Verschleißerscheinungen im Segment L4/5 seien zu einem Teil auf die Operationsfolgen betreffend Segment L5/S1 zurückzuführen. Richtungsweisend für ihre Entscheidung seien die fehlenden Überlastungszeichen in den oberen LWS-Segmenten sowie die fehlenden Hinweise auf eine besondere körperliche Belastung im Rahmen der Berufsausübung, die für ein monosegmentales Erkrankungsbild prädisponieren würde. Die MdE für das Lumbalsyndrom mit pseudoradikulären Ausstrahlungen ohne radikuläre Ausstrahlerscheinungen schätzte Prof. G. mit 10 v.H.

Mit Urteil vom 29. Juni 2000 hat das SG die Klage abgewiesen und ist davon ausgegangen, dass die Klägerin die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK-Ziffer 2108 nach Anhörung des Dr. O. erfülle, was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig geblieben sei. Zudem leide die Klägerin an einer bandscheibenbedingten LWS-Erkrankung insbesondere im Segment L5/S1. Mit Prof. G. und Dr. Sch. sei der berufliche Zusammenhang des überwiegend mono-segmental ausgeprägten LWS-Schaden im untersten Segment mit geringer Mitbeteiligung des darüber liegenden Segments zu verneinen. Die übrigen LWS-Segmente seien frei von Schäden und Überlastungszeichen. Ein derartig monosegmental ausgeprägter Schaden könne allenfalls in den Berufen als beruflich entstanden Anerkennung finden, die mit einer isolierten punktuellen Belastung der unteren LWS-Segmente einhergehen. Eine solche Belastung könne bei Pflegeberufen festgestellt werden, wo das Expositionsmuster durch wiederholte Spitzenbelastungen charakterisiert sei und sich damit grundlegend von den sog. klassischen Schwerarbeiterberufen unterscheide, bei denen eine Dauerbelastung durch wiederholtes Heben und Tragen im Vordergrund stehe. Die landwirtschaftliche Tätigkeit der Klägerin entspreche nach ihren eigenen Angaben und den Arbeitsplatzanalysen des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten einem solchen Schwerarbeiterberuf und könne der Belastungssituation im Pflegeberuf nicht gleichgestellt werden.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 13. Juli 2000 zugestellte Urteil am Montag, dem 14. August 2000, Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Zu deren Begründung hat sie vorgetragen, sie habe vor allem beim Melken Schwerstarbeit verrichten müssen, die der Tätigkeit in der Krankenpflege durchaus vergleichbar sei. Der gefüllte Milcheimer habe bis zu 30 kg Milch enthalten und habe mit allem Zubehör bis zu 50 kg gewogen. Eine Belastung von besonderem Gewicht habe es auch dargestellt, wenn die Milch vom Melkeimer in die Milchkanne umgefüllt worden sei, wobei derartige Arbeiten morgens und abends jeweils mit drei bis fünf Füllungen täglich angefallen seien. Dies sei nicht anders zu werten wie das Hochlagern eines Patienten in der Krankenpflege. Die Klägerin hat Berichte der Orthopäden Dres. Sch. und K. vom 8. August 2000 und des Radiologen Dr. B. vom 25. November 1988 vorgelegt. Der Radiologe beschreibt als Ergebnis eines LWS-CT von L4/5 einen dort gelegenen Bandscheibenprolaps. Die Orthopäden sprechen von einer mäßigen Zwischenraumverschmälerung L3/4/5, einer Vorderkantenreaktion und mäßigen Spondylarthrose besonders L3/4 links, einer hochgradigen Diskopathie präsakral und einer erheblichen weiteren Progredienz und schließen eine angeborene Übergangsanomalie bis auf die Dornfortsatzverwerfungen L5/S1 aus. Die Klägerin vertritt aufgrund dessen die Auffassung, dass es sich nicht um eine monosegmentale LWS-Erkrankung handele. Der Beurteilung des Dr. Sch. und des Prof. G. sei danach nicht zu folgen, vielmehr derjenigen des Dr. V ... Insbesondere habe Prof. G. zu erkennen gegeben, dass er ohne Kenntnis der Arbeitsbelastung in der Landwirtschaft und den insbesondere dort früher auftretenden Belastungen gegutachtet habe. Auch die resultierende MdE sei in rentenberechtigendem Umfang gegeben. Nach der Auskunft des Versorgungsamtes K. vom 14. Januar 2002 wurde die Behinderung "Wirbelsäulensyndrom nach operiertem Lendenwirbelsäulen-Bandscheibenvorfall" mit einem Einzel-GdB von 20 festgestellt.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 29. Juni 2000 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Februar 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. April 1995 zu verurteilen, ihre Lendenwirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit zu entschädigen,
hilfsweise,
ein weiteres Gutachten nach § 109 SGG bei Prof. Dr. Bx., B-Krankenhaus P. einzuholen
und weiter hilfsweise,
einen landwirtschaftlichen Sachverständigen zur Frage der Hebe- und Tragebelastung in der bäuerlichen Landwirtschaft der späten 50er, 60er und 70er Jahre hinzuzuziehen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und sieht dieselbe durch die ergänzende Befragung des Prof. G. im Berufungsverfahren als bestätigt an. Sie hat eine Stellungnahme des Beratungsarztes Dr. M. vom 21. Juli 2001 vorgelegt, wonach die Röntgenbilder in den oberen und mittleren LWS-Abschnitten der Klägerin keine Belastungsreaktionen erkennen ließen, so dass ein belastungskonformes Schadensbild mit einer Distalisierung der Osteochondrose und einer Proximalisierung der Spondylose bei der Klägerin nicht zu erkennen sei.

Der Senat hat die Unterlagen des Radiologen Dr. B. und des Orthopäden Dr. Sch. komplett beigezogen, einen Bericht des Radiologen Dr. P. vom 15. März 1996 sowie die komplette Krankenakte das B-Krankenhauses. Sodann hat er eine ergänzende Stellungnahme des Prof. G. vom 30. Oktober 2002 veranlasst. Dieser führt aus, dass er die Beurteilungskriterien des Senates zur Überprüfung des beruflichen Zusammenhanges bandscheibenbedingter LWS-Erkrankungen teile, die in Übereinstimmung mit der derzeit in der Unfall-Arbeitsmedizin herrschenden Lehre stünden. Bei der Klägerin bestehe ein überwiegend monosegmental ausgeprägter Schaden bei L5/S1 und im darüber liegenden Segment ein geringgradiger weiterer Schaden. Entscheidend sei hier auf den Operationsbericht vom 8. Dezember 1988 abzustellen und nicht auf die hierzu weniger aussagekräftigen CT-Untersuchungen. Im Segment L4/5 sei damals ein Bandscheibenvorfall nicht nachweisbar gewesen und die massive Anspannung der L5er Wurzel sei von dem großen Bandscheibenvorfall im darunter liegenden Segment hervorgerufen worden, der wohl teilweise nach oben umgeschlagen gewesen sei. Auch in Anbetracht der von der Klägerin geschilderten Hebe- und Tragebelastungen beim Melken geht Prof. G. weiterhin nicht davon aus, dass hierdurch eine wesentliche Mehrbelastung im Bereich der LWS vorgelegen habe als im Gutachten 1998 angenommen. Das Bewegen des gefüllten Melkeimers könne nicht mit den Belastungen im Pflegebereich verglichen werden. Ein solcher könne überwiegend körpernah und mit gerade gehaltener Wirbelsäule transportiert werden. Im Pflegebereich träten deutlich höhere Belastungen auf, wobei nur ein Bruchteil des Patientenguts lediglich zwischen 30 und 50 kg wiege. Bei Patiententransfers müssten körperfern Gewichte bewegt werden, was die Belastung im LWS-Bereich potenziere. Hinzu komme, dass viele belastende Transferarbeiten mit einer zusätzlichen Rotation im Oberkörper stattfänden, was die LWS erheblich belaste. Die MdE sei weiterhin mit 10 v.H. einzuschätzen in Anbetracht eines lokalen Schmerzgeschehens ohne Hinweise auf eine chronische Wurzelreizung, eine Gefühlsabschwächung oder eine Lähmung. Es handele sich um ein lokales Lumbalsyndrom überwiegend aus dem Segment L5/S1 herrührend und geringergradig aus dem darüber liegenden.

Mit Schreiben vom 13. Januar 2003 wurden die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG angehört.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand des Verfahrens gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hält die Berufung der Klägerin einstimmig für nicht begründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich, so dass er nach Anhörung der Beteiligten mit Schreiben vom 13. Januar 2003 das Rechtsmittel durch Beschluss zurückgewiesen hat (§ 153 Abs. 4 SGG). Denn SG und Beklagte haben zu Recht die Anerkennung und Entschädigung einer bandscheibenbedingten LWS-Erkrankung der Klägerin als BK abgelehnt, da die beruflich bedingte Entstehung ihrer LWS-Erkrankung nicht wahrscheinlich ist.

Nach den im Falle des Klägers noch anzuwendenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO, § 212 Sozialgesetzbuch 7. Band -SGB 7-, Art. 36 Unfallversicherungseinordnungsgesetz, § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO) gilt als Arbeitsunfall auch eine BK. BKen sind nach § 551 Abs. 1 Satz 2 RVO diejenigen Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit erleidet. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 551 Abs. 1 Satz 3 RVO). Bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS wurden mit der 2. Verordnung zur Änderung der BKV unter den Ziffern 2108 und 2110 in die BK-Liste aufgenommen. Danach sind BKen auch bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugung (Ziffer 2108) oder durch langjährige vorwiegend vertikale Einwirkungen von Ganzkörperschwingungen im Sitzen (Ziffer 2110), soweit die jeweiligen Erkrankungen zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Gegen die Aufnahme dieser Erkrankungen in die BK-Liste bestehen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der der Senat beitritt, keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken (Urteil vom 23. März 1999 - B 2 U 12/98 R -). Voraussetzung für die Feststellung einer BK ist, dass die versicherte Tätigkeit, die schädigenden Einwirkungen sowie die Erkrankung, wegen der Entschädigungsleistungen beansprucht werden, im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen sind. Es muss ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass alle Umstände des Einzelfalles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (BSGE 45, 285, 287; 61, 127, 128).

Die Klägerin ist am Übergang von der LWS zum Kreuzbein (L5/S1) an einem bandscheibenbedingten LWS-Leiden (zum Begriff: Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zu BK-Ziffer 2108 unter III - veröffentlicht in: Bundesarbeitsblatt 1993 S. 50 ff.) erkrankt und musste sich deswegen am 8. Dezember 1988 einer Nukleotomie bei Bandscheibenvorfall L5/S1 im B-Krankenhaus P. unterziehen. Nach der Operation ist bei ihr nach übereinstimmenden Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen Dr. V. und Prof. G. ein Lumbalsyndrom mit pseudoradikulären Ausstrahlungen verblieben, wobei jedoch radikuläre Ausstrahlungen bzw. ein Wurzelreizsyndrom von keinem der Sachverständigen oder den behandelnden Ärzte beschrieben werden. Bei der LWS-Erkrankung der Klägerin handelt es sich um ein im Wesentlichen monosegmental ausgeprägtes Erkrankungsbild, wie Prof. G. in seiner abschließenden Stellungnahme vom 30. Oktober 2002 nochmals in Auseinandersetzung mit der abweichenden Auffassung der behandelnden Ärzte und Orthopäden Dres. Sch. bestätigt hat. Denn der insoweit maßgebliche Operationsbericht des St. Bathildiskrankenhauses vom 8. September 1988 beschreibt einen großen Bandscheibenvorfall allein bei L5/S1, wo die Bandscheibe massiv ausgetreten war, und die Nervenwurzel L5 mit anspannte. Ein zusätzlicher Bandscheibenvorfall bei L5 fand sich nicht. Das Segment L4/5 ist auch nur geringgradig degenerativ verändert. Die darüber liegenden LWK zeigen nach Prof. G. nur ganz leichte Veränderungen, die im Alter der Klägerin typischerweise zu erwarten sind und keinen Hinweis auf die Einwirkung einer langjährigen beruflichen Hebe- und Tragebelastung geben.

Die Klägerin unterlag keiner nennenswerten Schwingungsbelastung im Sinne der BK-Ziffer 2110, da sie entsprechende Arbeiten mit landwirtschaftlichen Maschinen nach eigenem Vortrag nicht bzw. nicht in erheblichem Umfang verrichtet hat. Inwieweit die Klägerin die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK-Ziffer 2108 erfüllt und einer langjährigen, d.h. zumindest 10 Jahre andauernden (dazu Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar Anm. 3 zu M 2108) Belastung durch schweres Heben und Tragen ausgesetzt war, war zunächst umstritten, wurde aber nach Anhörung des Technischen Aufsichtsbeamten Dr. O. am 10. September 1998 vor dem SG von den Beteiligten wie auch dem SG selbst bejaht. Auch der erkennende Senat zweifelt nicht daran, dass die Klägerin langjährig schwer gehoben und getragen hat im Sinne der BK-Ziffer 2108, da sie alle in der Landwirtschaft seit den 50er Jahren anfallenden Arbeiten im Stall und auf dem Feld verrichtet hat und während eines Zeitraumes von über 20 Jahren hinreichend belastet tätig war. Der Einvernahme ihres Ehemannes als Zeugen hierzu bedurfte es daher nicht.

Die Tatsache, dass sowohl die arbeitstechnischen Voraussetzungen schweren Hebens und Tragens als auch der vom Verordnungsgeber in der BK-Ziffer 2108 geforderte Befund eines bandscheibenbedingten LWS-Leidens zur Überzeugung des Senats nachgewiesen sind, führt nicht zu der im Sinne eines Anscheinsbeweises zu rechtfertigenden Annahme (dazu jetzt § 9 Abs. 3 SGB 7), dass damit auch von einem wahrscheinlichen ursächlichen Zusammenhang der Erkrankung mit der beruflichen Belastung im Rahmen der medizinischen Zusammenhangsbeurteilung auszugehen wäre (ständige Rechtsprechung des Senats - Urteile vom 27. November 2000 - L 3 U 823/97 - sowie vom 24. Oktober 2001 - L 3 U 408/98 -; ebenso Urteil des BSG vom 18. November 1997 - 2 RU 48/96 - sowie Urteil des LSG Niedersachsen vom 6. April 2000 - L 6 U 163/99 ZVW -). Die Pathogenese bandscheibenbedingter LWS-Erkrankungen ist vielgestaltig und der berufliche Einfluss ist nur einer unter vielen denkbaren anderen Kausalfaktoren, so dass es immer einer individuellen Abwägung im Einzelfall bedarf, wobei nach der ständigen Rechtsprechung des Senats von folgenden Überlegungen auszugehen ist: Anders als die übrigen tatbestandlichen Voraussetzungen, die im Sinne des Vollbeweises festzustellen sind, muss für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer beruflichen Belastung und dem Eintritt einer Körperschädigung nur eine Wahrscheinlichkeit bestehen. Bei sachgemäßer Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechender Umstände müssen nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, dass die dagegen sprechenden billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben können (BSG in SozR Nr. 20 zu § 542 RVO a.F.). Der ursächliche Zusammenhang ist jedoch nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (BSGE 60, 58, 59). Die für die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs im Rahmen der BK-Ziffer 2108 wesentlichen Kriterien sind: Das Krankheitsbild - insbesondere in Form eines die Altersnorm überschreitenden Wirbelsäulenbefundes einerseits und eines belastungskonformen Schadensbildes andererseits, das Bestehen einer konstitutionellen Veranlagung bzw. weitergehender konkurrierender Erkrankungen sowie die Eignung der belastenden Einwirkung zur Verursachung der Krankheit, biomechanische Begleitumstände wie Körperhaltung und zur Verfügung stehende Hilfsmittel, individuelle Konstitution und zeitliche Korrelation zwischen Erkrankungsverlauf und beruflichen Überlastungen (dazu Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, Anm. 7 zu M 2108; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Aufl., S. 535 bis 539; Becker, Die aktuelle Rechtsprechung zu den Wirbelsäulenberufskrankheiten, in: Die Sozialgerichtsbarkeit 2000, S. 116, 121). Ein als belastungskonform zu bezeichnendes Schadensbild lässt nach älteren und neueren epidemiologischen Untersuchungen ein dem Lebensalter vorauseilendes Auftreten osteochondrotischer und spondylotischer Reaktionen am Achsenorgan bei körperlich überdurchschnittlich belasteten Personen erwarten. Eine vorzeitige Osteochondrose tritt bevorzugt in den unteren LWS-Segmenten und eine vorzeitige Spondylose in den oberen LWS-Segmenten unter evtl. Einbeziehung der unteren BWS-Etagen auf (ständige Rechtsprechung des Senats - beispielsweise Urteile vom 24. Oktober 2001 - L 3 U 408/98 -, vom 24. April 2002 - L 3 U 395/00 -). Nach der in Rechtsprechung und Unfallchirurgie/ Arbeitsmedizin herrschenden Lehrmeinung schließen vorzeitige Bandscheibenveränderungen isoliert an einem der beiden unteren Segmente der LWS eine berufliche Verursachung zwar nicht von vorneherein aus, deuten jedoch auch nicht aus sich heraus auf eine wesentliche Verursachung durch eine schädigende Exposition sondern eher auf eine anlagebedingte Genese und erschweren die Beweisführung hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs, da auch die in der Gesamtbevölkerung auftretenden Bandscheibenschäden

zu mehr als 90 % der Fälle diesen Bereich betreffen. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass für bestimmte Berufs- und Belastungsformen der positive Nachweis eines berufsbedingt entstandenen monosegmentalen Schadens geführt werden kann (ständige Rechtsprechung des Senats: Urteile vom 17. November 1999 - L 3 U 965/98 - sowie vom 5. Juli 2000 - L 3 U 1693/98 -).

Das maßgeblich monosegmental ausgeprägte bandscheibenbedingte Schadensbild an der LWS der Klägerin ist nicht mit der zu fordernden Wahrscheinlichkeit auf ihre langjährige berufliche Hebe- und Tragebelastung zurückzuführen, wie Prof. G. als gerichtlicher Sachverständiger mit Gutachten vom 11. November 1998 und mehreren ergänzenden Stellungnahmen ausgeführt hat, womit er sich in Übereinstimmung befindet mit Dr. R. in dessen Stellungnahme vom 1. Dezember 1994 und Dr. Sch. in dem von der Beklagten vorgelegten Aktengutachten vom 31. März 1998. Das Rückgrat der Klägerin zeigt im Halswirbelsäulen(HWS)-Bereich nach der von Dr. V. anlässlich des Gutachtens vom 7. Mai 1997 durchgeführten röntgenologischen Untersuchung nur minimale Degenerationszeichen und auch die BWS weist neben einem Rundrücken und einer leichten S-förmigen Seitverbiegung lediglich altersnormentsprechende leichte osteochondrotische Veränderungen im unteren Bereich auf. Dasselbe gilt für die LWS-Segmente oberhalb von L4, die Prof. G. bei minimalen spondylophytären Anbauten als altersentsprechend verändert ansieht. Das Segment L4/5 ist nur geringgradig befallen, wobei sich diese Veränderungen nach Prof. G. daraus erklären, dass das darunter liegende Segment wegen eines Bandscheibenvorfalles operativ behandelt werden musste. Allein das operierte Element L5/S1 zeigt einen die Altersnorm deutlich überschreitenden Aufbrauchschaden. Das Erkrankungsbild der Klägerin entspricht mit Prof. G. danach exakt der Verteilung degenerativer Bandscheibenveränderungen, wie sie auch in der nicht beruflich belasteten Bevölkerung anzutreffen ist.

Das Bestehen einer monosegmentalen LWS-Schädigung schließt indessen eine Anerkennung als BK nicht aus, wenn spezielle berufliche Belastungen eingewirkt haben, die gerade das geschädigte Element besonders beansprucht haben. Insofern wird auf die zutreffende und ausführliche Darstellungen in den Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG). Derartige spezifische Belastungen hatte Prof. G. indessen schon im Gutachten vom 11. November 1998 ausgeschlossen. Mit ergänzender Stellungnahme vom 30. Oktober 2002 hat er zu den Einwänden der Klägerin gerade in diesem Punkt ausführlich Stellung genommen und hat sich mit der von der Klägerin im Berufungsverfahren nochmals detaillierten geschilderten Belastungen in der Landwirtschaft und dort vor allem beim Melken auseinandergesetzt. Die beim Transport der vollen Melkeimer auftretende LWS-Belastung ist danach mit der Belastung nicht vergleichbar, die im Pflegebereich bei Patiententransfers zu beobachten ist. Weder die jeweils bewegten Gewichte noch die Art des Transportes - Melkeimer am Körper, Patienten körperfern und mit zusätzlicher Rotation im Oberkörperbereich - stimmen überein. Wenn von daher die Anerkennung mono- oder bisegmentaler Schäden als beruflich bedingt im Pflegebereich durchaus diskutiert wird - wie vom SG dargestellt, kann die Klägerin eine Gleichbehandlung bei nicht vergleichbarer Belastungssituation nicht geltend machen. Einer weiteren Sachaufklärungen durch ein berufskundliches Gutachten eines landwirtschaftlichen Sachverständigen, wie von der Klägerin hilfsweise beantragt, bedurfte es danach nicht, da die Klägerin ihre spezifischen Expositionsbedingungen im Detail geschildert hat, diese von Prof. G. nachvollzogen und eingehend gewürdigt sowie plausibel eingeordnet wurden. Überwiegende medizinische Gründe sprechen danach nicht für eine wesentliche beruflich bedingte Verursachung der LWS-Erkrankung der Klägerin. Soweit Dr. V. im Gutachten vom 7. Mai 1997 von einer wesentlichen Teilursächlichkeit der beruflichen Belastung spricht, fehlt seiner Auffassung eine hinreichende Begründung. Sein Gutachten setzt sich nicht mit den in der herrschenden Unfallmedizin derzeit vertretenen Abgrenzungskriterien auseinander, die der Senat Prof. G. zur Verfügung gestellt hat und die dieser als sachgerecht und dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechend bezeichnet hat.

Selbst wenn der Senat entgegen vorstehender Ausführungen zugunsten der Klägerin von einer wesentlich beruflich bedingten Entstehung des Bandscheibenvorfalls bei L5/S1 ausgehen würde, wäre der Klägerin die erstrebte Verletztenrente nicht zuzusprechen gewesen. Denn das bei ihr nach der Operation verbliebene lokale Schmerzgeschehen ausgehend von L5/S1 ohne nachweisbare akute oder chronische Wurzelreizung, Gefühlsabschwächung oder Lähmungserscheinungen rechtfertigt nach übereinstimmender Bewertung aller mit der Sache befasster Gutachter einschließlich der Auffassung des Dr. V. nur eine MdE von 10 v.H. Diese Einschätzung befindet sich in Übereinstimmung mit den üblichen MdE-Bewertungskriterien, die zum Zwecke der Gleichbehandlung auch auf die Klägerin anzuwenden sind Schönberger/ Mertens/Valentin, Arbeitsunfall- und Berufskrankheit, 6. Auflage, S. 540 sowie Mehrtens/ Perlebach, a.a.O., S. 32c sehen eine MdE von 10 v.H. vor, wenn Funktionseinschränkungen der LWS verbunden mit funktionell nicht bedeutsamen neurologischen Ausfällen BK-bedingt resultieren und nehmen eine rentenberechtigende MdE von 20 v.H. erst bei starken Funktionseinschränkungen der LWS an, die bei der Klägerin von keinem Sachverständigen beschrieben sind. Damit wird die zur Zahlung einer Verletztenrente zu fordernde Mindest-MdE von 20 v.H. (§§ 580, 581 RVO) nicht erreicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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