Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 11 AL 759/99
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 472/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AL 76/03 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 6. März 2000 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die nach einem Steuerklassenwechsel maßgebliche Leistungsgruppe.
Der im Jahre 1947 geborene Kläger ist verheiratet. Zum Jahresbeginn 1999 war in der Lohnsteuerkarte 1999 für den Kläger die Steuerklasse V und für dessen Ehefrau die Steuerklasse III eingetragen. Am 8. März 1999 erfolgte zum 1. April 1999 eine Änderung der Lohnsteuerklassen. Nunmehr war für den Kläger die Steuerklasse III und für seine Ehefrau die Steuerklasse V eingetragen.
Durch Bescheid vom 8. März 1999 bewilligte die Beklagte dem Kläger antragsgemäß Arbeitslosengeld ab 2. März 1999 in Höhe von wöchentlich 256,27 DM. Dieser Leistung lag ein monatliches Bruttoentgelt von 3.673,37 DM zugrunde. Die Ehefrau des Klägers bezog im April 1999 Bezüge in Höhe von 3.085,60 DM (gesamt brutto) bzw. 2.832,57 DM (Steuer-brutto). Den gegen die Höhe der Leistungsbewilligung gerichteten Widerspruch verwarf die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 1999 wegen Fristversäumnis als unzulässig. Die dagegen erhobene Klage wies das Sozialgericht Wiesbaden (SG) durch Gerichtsbescheid vom 29. November 1999 (S 11 AL 737/99) ab.
Am 14. Juni 1999 beantragte der Kläger die Überprüfung der Arbeitslosenbewilligung unter Berücksichtigung der ab 1. April 1999 durchgeführten Änderung der Lohnsteuerklassen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 7. Juli 1999 ab, weil die überprüfte Entscheidung nicht fehlerhaft im Sinne des § 44 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch (SGB X) sei. Der dagegen am 12. Juli 1999 erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 1999).
Die am 5. August 1999 erhobene Klage, mit der der Kläger geltend machte, das gewährte Arbeitslosengeld sei unter Zugrundelegung der Lohnsteuerklasse III zu berechnen, hatte im Wesentlichen Erfolg. Durch Gerichtsbescheid vom 6. März 2000 hat das SG Wiesbaden den Bescheid vom 7. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 1999 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Bewilligungsbescheid vom 8. März 1999 abzuändern und dem Kläger das gewährte Arbeitslosengeld ab 1. April 1999 nach der Leistungsgruppe C zu berechnen. Im Übrigen, soweit der Leistungszeitraum vom 2. März 1999 bis zum 31. März 1999 betroffen war, hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung der Verurteilung der Beklagten hat es ausgeführt, dass im Leistungszeitraum ab 1. April 1999 bis zum 31. Dezember 1999 der Lohnsteuerklassenwechsel des Klägers mit seiner Ehefrau zu berücksichtigen sei. Die bei dem Kläger für diesen Zeitraum neu eingetragene Lohnsteuerklasse III entspreche dem Verhältnis seines monatlichen Leistungsentgelts zum Arbeitsentgelt seiner Ehefrau (§ 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch 3. Buch - SGB III -). Für April 1999 seien auf Seiten des Klägers 3.673,37 DM und seitens seiner Ehefrau das Steuer-Brutto von 2.832,57 DM anzusetzen. Auf das Einkommensverhältnis sei nunmehr der Grundsatz steuerlicher Zweckmäßigkeit anzuwenden, welcher auf den geringsten gemeinsamen Steuerabzug ziele. Die Steuerklasse V für den höher verdienenden Ehegatten sei immer unzweckmäßig. Da der Kläger vorliegend der höher Verdienende sei, habe er seine bisherige Steuerklasse V in eine ihm günstigere Steuerklasse ändern dürfen; die von ihm gewählte Steuerklasse III sei günstiger als die bisherige Steuerklasse V. Der Zweckmäßigkeitsbeurteilung als einer relativen zum bisherigen Zustand stehe auch nicht entgegen, dass vorliegend die Steuerklassenkombination IV/IV noch günstiger wäre als die Steuerklassenkombination III/V. Die Beklagte habe ihre Zweckmäßigkeitsberechnung nicht dargelegt und die vorhandenen drei steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten keiner differenzierten Wertung unterzogen. Letztlich sei nicht zu erkennen, weshalb die Beklagte den Steuerklassenwechsel nicht zweckmäßig finde.
Gegen den ihr am 16. März 2000 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die Beklagte mit ihrer am 7. April 2000 eingegangenen Berufung. Sie hat zunächst vorgetragen, dass unter Zugrundelegung der maßgeblichen Entgelte von 3.673,37 DM für den Kläger und 2.832,57 DM für die Ehefrau nach der Tabelle zur Steuerklassenwahl die Steuerklassenkombination IV/IV zum geringsten gemeinsamen Steuerabzug führe. Nach § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB III bleibe daher die vom Kläger zum 1. April 1999 gewählte Steuerklassenkombination III/V unberücksichtigt.
Hingewiesen auf die neuere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Steuerklassenwechsel unter Ehegatten trägt die Beklagte nunmehr vor, dass nach dem Urteil des BSG vom 4. September 2001 (B 7 AL 84/00 R) zwar ein zweckmäßiger Lohnsteuerklassenwechsel im Sinne des § 137 Abs. 4 Nr. 1 SGB III auch dann vorliege, wenn die neu gewählte Lohnsteuerklassenkombination nicht zum geringsten, aber zu einem geringeren Lohnsteuerabzug führe. Dennoch sei sie nicht verpflichtet, die Bewilligungsentscheidung entsprechend der neuen Rechtsprechung anzupassen. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sei die Überprüfung im Rahmen des § 44 SGB X. Der in dieser Vorschrift enthaltene allgemeine Grundsatz der rückwirkenden Abänderung von Verwaltungsentscheidungen, die wegen Rechtsfehlern oder Rechtsanwendungsfehlern unrichtig seien, sei im Recht der Arbeitsförderung durch die Regelung des § 330 Abs. 1 SGB III ersetzt. Danach seien Verwaltungsakte, die auf einer Rechtsnorm beruhten, die in ständiger Rechtsprechung anders als durch das Arbeitsamt ausgelegt worden sei, wenn sie unanfechtbar geworden seien, nur mit Wirkung für die Zeit nach dem Entstehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Diese spezielle Regelung stehe einer Abänderung bzw. Anpassung der bestandskräftigen Bewilligungsentscheidung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des BSG vom 4. September 2001 entgegen.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 6. März 2000 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf den Inhalt der Akte der Beklagten und der Gerichtsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, den Bewilligungsbescheid vom 8. März 1999 abzuändern und dem Kläger das Arbeitslosengeld ab 1. April 1999 nach der Leistungsgruppe C zu bewilligen.
Dass die Voraussetzungen des § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB III zugunsten des Klägers von dem genannten Zeitpunkt ab vorgelegen haben, bestreitet auch die Beklagte nicht mehr. In dem auch von ihr zitierten Urteil vom 4. September 2001 hat das BSG entschieden, dass ein zweckmäßiger Lohnsteuerklassenwechsel im Sinne dieser Vorschrift auch vorliegt, wenn die neu gewählte Lohnsteuerklassen-Kombination nicht zum geringsten, aber zu einem geringeren Lohnsteuerabzug führt. In dem der Entscheidung des BSG zugrunde liegenden Fall hatten die Eheleute - insoweit anders als der Kläger und seine Ehefrau - beide nach Steuerklasse IV gewechselt. Der Grundsatz, dass auch der Wechsel zu einer günstigeren, wenn auch nicht der günstigsten, Lohnsteuerklassen-Kombination dem Verhältnis der Arbeitsentgelte beider Ehegatten im Sinne des § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 entspricht und damit bei der Berechnung der Arbeitslosenhilfe einzustellen ist, gilt aber gleichermaßen, wenn Eheleute zu der Steuerklasse III (wie vorliegend der Kläger) bzw. Steuerklasse V (hier die Ehefrau des Klägers) wechseln, auch wenn die Steuerklassen-Kombination IV/IV zum geringsten gemeinsamen Steuerabzug führen würde. Dies hat bereits das Sozialgericht Duisburg (info also 2000, 145) erkannt und wird von der Bundesanstalt für Arbeit bestätigt. Das Urteil des Sozialgerichts Duisburg wurde zwar in der Berufungsinstanz aufgehoben (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, NZS 2000, 328). Im Revisionsverfahren hat jedoch die Beklagte die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgenommen (Pressemitteilung des BSG vom 29. August 2002 zu Az.: B 11 AL 70/01 R).
Da der Bewilligungsbescheid vom 8. März 1999 sich - wie auch die Beklagte nunmehr einräumt - als unrichtig erweist, liegen die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB X für eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit vor. Entgegen der Auffassung der Beklagten steht dem auch nicht die Sonderregelung des § 330 Abs. 1 SGB III entgegen. Nach dieser Vorschrift sind Verwaltungsakte, wenn die in § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X genannten Voraussetzungen für dessen Rücknahme vorliegen, weil der Verwaltungsakt auf einer Rechtsnorm beruht, die nach seinem Erlass für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt oder in ständiger Rechtsprechung anders als durch das Arbeitsamt ausgelegt worden sind, im Falle seiner Unanfechtbarkeit nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder nach dem Entstehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Diese Voraussetzungen sind aber bereits deshalb nicht gegeben, weil in Bezug auf die Rechtsnorm, auf der der Bescheid vom 8. März 1999 beruht, weder eine Unvereinbarkeitserklärung mit dem Grundgesetz erfolgt ist und auch eine Änderung der ständigen Rechtsprechung nicht vorliegt. Nur in diesen Fällen aber ist § 330 Abs. 1 SGB III anwendbar, in den übrigen Fällen bleibt § 44 Abs. 1 SGB X uneingeschränkt anwendbar (vgl. Bundestags-Drucks. 12/5502, S. 37 zu Nr. 43; Niesel, SGB III, 2. Aufl., § 330 Rdnr. 6).
Die Rechtsprechung zu § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB III hat sich indes nicht geändert. Die von der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 11. Mai 2000 zitierten Urteile des BSG beziehen sich sämtlich auf die Vorgängervorschrift des § 113 AFG. Der Regelungsgehalt des vorliegend anwendbaren - am 1. Januar 1998 in Kraft getretenen - § 137 Abs. 4 SGB III weicht jedoch wesentlich vom Regelungsgegenstand des § 113 AFG ab (vgl. dazu im Einzelnen Gagel, SGB III, § 137 Rdz. 5 ff.), so dass die frühere von der Beklagten zitierte Rechtsprechung des BSG nicht mehr maßgebend ist. Gerade dies hat auch das BSG in seinem Urteil vom 4. September 2001 herausgestellt. Der in dieser Entscheidung formulierte Grundsatz, dass ein zweckmäßiger Lohnsteuerklassenwechsel auch dann vorliegt, wenn die neu gewählte Lohnsteuerklassenkombination nicht zum geringsten, aber zu einem geringeren Lohnsteuerabzug führt, stellt deshalb keine Änderung der Rechtsprechung dar, vielmehr handelt es sich um eine erstmalige Konkretisierung einer gesetzlichen Neuregelung.
Die Auffassung der Beklagten, nach der auch ohne Änderung der Rechtsprechung § 330 SGB III der rückwirkenden Abänderung von (rechtswidrigen) Verwaltungsentscheidungen entgegensteht, vermag nicht zu überzeugen. Sie hätte die nicht zu rechtfertigende Konsequenz, dass ausgerechnet Betroffene dann günstiger stehen, wenn die Rechtslage durch eine höchstrichterliche Entscheidung noch nicht geklärt ist, eine andere - von der Praxis der Arbeitsämter abweichende - Auslegung mithin nicht vorliegt. Für solche Antragsteller griffe § 44 Abs. 1 SGB X ohne weiteres ein. Ein Betroffener, der sich - wie der Kläger - auch auf Urteil des BSG zu stützen vermag, wäre demgegenüber von den Rechtsvorteilen dieser Norm ausgeschlossen. Auf diesen Ausschluss soll sich die Beklagte als Träger einer "Massenverwaltung" nach Sinn und Zweck des § 330 Abs. 1 SGB III aber nur berufen können, wenn sie ihre Verwaltungspraxis im Vertrauen auf eine Rechtsprechung des BSG an dieser ausgerichtet hatte.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtgesetz (SGG), diejenige über die Zulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die nach einem Steuerklassenwechsel maßgebliche Leistungsgruppe.
Der im Jahre 1947 geborene Kläger ist verheiratet. Zum Jahresbeginn 1999 war in der Lohnsteuerkarte 1999 für den Kläger die Steuerklasse V und für dessen Ehefrau die Steuerklasse III eingetragen. Am 8. März 1999 erfolgte zum 1. April 1999 eine Änderung der Lohnsteuerklassen. Nunmehr war für den Kläger die Steuerklasse III und für seine Ehefrau die Steuerklasse V eingetragen.
Durch Bescheid vom 8. März 1999 bewilligte die Beklagte dem Kläger antragsgemäß Arbeitslosengeld ab 2. März 1999 in Höhe von wöchentlich 256,27 DM. Dieser Leistung lag ein monatliches Bruttoentgelt von 3.673,37 DM zugrunde. Die Ehefrau des Klägers bezog im April 1999 Bezüge in Höhe von 3.085,60 DM (gesamt brutto) bzw. 2.832,57 DM (Steuer-brutto). Den gegen die Höhe der Leistungsbewilligung gerichteten Widerspruch verwarf die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 1999 wegen Fristversäumnis als unzulässig. Die dagegen erhobene Klage wies das Sozialgericht Wiesbaden (SG) durch Gerichtsbescheid vom 29. November 1999 (S 11 AL 737/99) ab.
Am 14. Juni 1999 beantragte der Kläger die Überprüfung der Arbeitslosenbewilligung unter Berücksichtigung der ab 1. April 1999 durchgeführten Änderung der Lohnsteuerklassen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 7. Juli 1999 ab, weil die überprüfte Entscheidung nicht fehlerhaft im Sinne des § 44 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch (SGB X) sei. Der dagegen am 12. Juli 1999 erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 1999).
Die am 5. August 1999 erhobene Klage, mit der der Kläger geltend machte, das gewährte Arbeitslosengeld sei unter Zugrundelegung der Lohnsteuerklasse III zu berechnen, hatte im Wesentlichen Erfolg. Durch Gerichtsbescheid vom 6. März 2000 hat das SG Wiesbaden den Bescheid vom 7. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 1999 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Bewilligungsbescheid vom 8. März 1999 abzuändern und dem Kläger das gewährte Arbeitslosengeld ab 1. April 1999 nach der Leistungsgruppe C zu berechnen. Im Übrigen, soweit der Leistungszeitraum vom 2. März 1999 bis zum 31. März 1999 betroffen war, hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung der Verurteilung der Beklagten hat es ausgeführt, dass im Leistungszeitraum ab 1. April 1999 bis zum 31. Dezember 1999 der Lohnsteuerklassenwechsel des Klägers mit seiner Ehefrau zu berücksichtigen sei. Die bei dem Kläger für diesen Zeitraum neu eingetragene Lohnsteuerklasse III entspreche dem Verhältnis seines monatlichen Leistungsentgelts zum Arbeitsentgelt seiner Ehefrau (§ 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch 3. Buch - SGB III -). Für April 1999 seien auf Seiten des Klägers 3.673,37 DM und seitens seiner Ehefrau das Steuer-Brutto von 2.832,57 DM anzusetzen. Auf das Einkommensverhältnis sei nunmehr der Grundsatz steuerlicher Zweckmäßigkeit anzuwenden, welcher auf den geringsten gemeinsamen Steuerabzug ziele. Die Steuerklasse V für den höher verdienenden Ehegatten sei immer unzweckmäßig. Da der Kläger vorliegend der höher Verdienende sei, habe er seine bisherige Steuerklasse V in eine ihm günstigere Steuerklasse ändern dürfen; die von ihm gewählte Steuerklasse III sei günstiger als die bisherige Steuerklasse V. Der Zweckmäßigkeitsbeurteilung als einer relativen zum bisherigen Zustand stehe auch nicht entgegen, dass vorliegend die Steuerklassenkombination IV/IV noch günstiger wäre als die Steuerklassenkombination III/V. Die Beklagte habe ihre Zweckmäßigkeitsberechnung nicht dargelegt und die vorhandenen drei steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten keiner differenzierten Wertung unterzogen. Letztlich sei nicht zu erkennen, weshalb die Beklagte den Steuerklassenwechsel nicht zweckmäßig finde.
Gegen den ihr am 16. März 2000 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die Beklagte mit ihrer am 7. April 2000 eingegangenen Berufung. Sie hat zunächst vorgetragen, dass unter Zugrundelegung der maßgeblichen Entgelte von 3.673,37 DM für den Kläger und 2.832,57 DM für die Ehefrau nach der Tabelle zur Steuerklassenwahl die Steuerklassenkombination IV/IV zum geringsten gemeinsamen Steuerabzug führe. Nach § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB III bleibe daher die vom Kläger zum 1. April 1999 gewählte Steuerklassenkombination III/V unberücksichtigt.
Hingewiesen auf die neuere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Steuerklassenwechsel unter Ehegatten trägt die Beklagte nunmehr vor, dass nach dem Urteil des BSG vom 4. September 2001 (B 7 AL 84/00 R) zwar ein zweckmäßiger Lohnsteuerklassenwechsel im Sinne des § 137 Abs. 4 Nr. 1 SGB III auch dann vorliege, wenn die neu gewählte Lohnsteuerklassenkombination nicht zum geringsten, aber zu einem geringeren Lohnsteuerabzug führe. Dennoch sei sie nicht verpflichtet, die Bewilligungsentscheidung entsprechend der neuen Rechtsprechung anzupassen. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sei die Überprüfung im Rahmen des § 44 SGB X. Der in dieser Vorschrift enthaltene allgemeine Grundsatz der rückwirkenden Abänderung von Verwaltungsentscheidungen, die wegen Rechtsfehlern oder Rechtsanwendungsfehlern unrichtig seien, sei im Recht der Arbeitsförderung durch die Regelung des § 330 Abs. 1 SGB III ersetzt. Danach seien Verwaltungsakte, die auf einer Rechtsnorm beruhten, die in ständiger Rechtsprechung anders als durch das Arbeitsamt ausgelegt worden sei, wenn sie unanfechtbar geworden seien, nur mit Wirkung für die Zeit nach dem Entstehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Diese spezielle Regelung stehe einer Abänderung bzw. Anpassung der bestandskräftigen Bewilligungsentscheidung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des BSG vom 4. September 2001 entgegen.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 6. März 2000 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf den Inhalt der Akte der Beklagten und der Gerichtsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, den Bewilligungsbescheid vom 8. März 1999 abzuändern und dem Kläger das Arbeitslosengeld ab 1. April 1999 nach der Leistungsgruppe C zu bewilligen.
Dass die Voraussetzungen des § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB III zugunsten des Klägers von dem genannten Zeitpunkt ab vorgelegen haben, bestreitet auch die Beklagte nicht mehr. In dem auch von ihr zitierten Urteil vom 4. September 2001 hat das BSG entschieden, dass ein zweckmäßiger Lohnsteuerklassenwechsel im Sinne dieser Vorschrift auch vorliegt, wenn die neu gewählte Lohnsteuerklassen-Kombination nicht zum geringsten, aber zu einem geringeren Lohnsteuerabzug führt. In dem der Entscheidung des BSG zugrunde liegenden Fall hatten die Eheleute - insoweit anders als der Kläger und seine Ehefrau - beide nach Steuerklasse IV gewechselt. Der Grundsatz, dass auch der Wechsel zu einer günstigeren, wenn auch nicht der günstigsten, Lohnsteuerklassen-Kombination dem Verhältnis der Arbeitsentgelte beider Ehegatten im Sinne des § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 entspricht und damit bei der Berechnung der Arbeitslosenhilfe einzustellen ist, gilt aber gleichermaßen, wenn Eheleute zu der Steuerklasse III (wie vorliegend der Kläger) bzw. Steuerklasse V (hier die Ehefrau des Klägers) wechseln, auch wenn die Steuerklassen-Kombination IV/IV zum geringsten gemeinsamen Steuerabzug führen würde. Dies hat bereits das Sozialgericht Duisburg (info also 2000, 145) erkannt und wird von der Bundesanstalt für Arbeit bestätigt. Das Urteil des Sozialgerichts Duisburg wurde zwar in der Berufungsinstanz aufgehoben (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, NZS 2000, 328). Im Revisionsverfahren hat jedoch die Beklagte die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgenommen (Pressemitteilung des BSG vom 29. August 2002 zu Az.: B 11 AL 70/01 R).
Da der Bewilligungsbescheid vom 8. März 1999 sich - wie auch die Beklagte nunmehr einräumt - als unrichtig erweist, liegen die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB X für eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit vor. Entgegen der Auffassung der Beklagten steht dem auch nicht die Sonderregelung des § 330 Abs. 1 SGB III entgegen. Nach dieser Vorschrift sind Verwaltungsakte, wenn die in § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X genannten Voraussetzungen für dessen Rücknahme vorliegen, weil der Verwaltungsakt auf einer Rechtsnorm beruht, die nach seinem Erlass für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt oder in ständiger Rechtsprechung anders als durch das Arbeitsamt ausgelegt worden sind, im Falle seiner Unanfechtbarkeit nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder nach dem Entstehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Diese Voraussetzungen sind aber bereits deshalb nicht gegeben, weil in Bezug auf die Rechtsnorm, auf der der Bescheid vom 8. März 1999 beruht, weder eine Unvereinbarkeitserklärung mit dem Grundgesetz erfolgt ist und auch eine Änderung der ständigen Rechtsprechung nicht vorliegt. Nur in diesen Fällen aber ist § 330 Abs. 1 SGB III anwendbar, in den übrigen Fällen bleibt § 44 Abs. 1 SGB X uneingeschränkt anwendbar (vgl. Bundestags-Drucks. 12/5502, S. 37 zu Nr. 43; Niesel, SGB III, 2. Aufl., § 330 Rdnr. 6).
Die Rechtsprechung zu § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB III hat sich indes nicht geändert. Die von der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 11. Mai 2000 zitierten Urteile des BSG beziehen sich sämtlich auf die Vorgängervorschrift des § 113 AFG. Der Regelungsgehalt des vorliegend anwendbaren - am 1. Januar 1998 in Kraft getretenen - § 137 Abs. 4 SGB III weicht jedoch wesentlich vom Regelungsgegenstand des § 113 AFG ab (vgl. dazu im Einzelnen Gagel, SGB III, § 137 Rdz. 5 ff.), so dass die frühere von der Beklagten zitierte Rechtsprechung des BSG nicht mehr maßgebend ist. Gerade dies hat auch das BSG in seinem Urteil vom 4. September 2001 herausgestellt. Der in dieser Entscheidung formulierte Grundsatz, dass ein zweckmäßiger Lohnsteuerklassenwechsel auch dann vorliegt, wenn die neu gewählte Lohnsteuerklassenkombination nicht zum geringsten, aber zu einem geringeren Lohnsteuerabzug führt, stellt deshalb keine Änderung der Rechtsprechung dar, vielmehr handelt es sich um eine erstmalige Konkretisierung einer gesetzlichen Neuregelung.
Die Auffassung der Beklagten, nach der auch ohne Änderung der Rechtsprechung § 330 SGB III der rückwirkenden Abänderung von (rechtswidrigen) Verwaltungsentscheidungen entgegensteht, vermag nicht zu überzeugen. Sie hätte die nicht zu rechtfertigende Konsequenz, dass ausgerechnet Betroffene dann günstiger stehen, wenn die Rechtslage durch eine höchstrichterliche Entscheidung noch nicht geklärt ist, eine andere - von der Praxis der Arbeitsämter abweichende - Auslegung mithin nicht vorliegt. Für solche Antragsteller griffe § 44 Abs. 1 SGB X ohne weiteres ein. Ein Betroffener, der sich - wie der Kläger - auch auf Urteil des BSG zu stützen vermag, wäre demgegenüber von den Rechtsvorteilen dieser Norm ausgeschlossen. Auf diesen Ausschluss soll sich die Beklagte als Träger einer "Massenverwaltung" nach Sinn und Zweck des § 330 Abs. 1 SGB III aber nur berufen können, wenn sie ihre Verwaltungspraxis im Vertrauen auf eine Rechtsprechung des BSG an dieser ausgerichtet hatte.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtgesetz (SGG), diejenige über die Zulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
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