L 4 VG 1055/99

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
4
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 16 VG 2124/97
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 VG 1055/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 8. Juli 1999 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Opferentschädigung.

Der 1967 geborene Kläger ist nach eigenen Angaben seit 1991 drogenabhängig. Vom 19. Februar 1993 bis 18. April 1994 befand er sich zur stationären Therapie in der Fachklinik M., S ... Nach eigenen Angaben und soweit ersichtlich fand während der stationären Therapie kein Drogenkonsum statt. Nach Abschluss der Therapie bemühte sich der Kläger, der den Beruf eines Orthopädieschuhmachers erlernt hatte, um eine Ausbildung zum Bibliothekarshelfer. Er trägt vor, im Zusammenhang mit der beabsichtigten Ausbildung habe er sich am 8. Juli 1994 von seiner Mutter nach G. mit dem Auto fahren lassen. Da seine Mutter keinen Parkplatz gefunden habe, habe sie ihn gegen 15:20 Uhr an der J-Tankstelle in der N. aussteigen lassen. Man habe verabredet, sich nach einer halben Stunde dort zu treffen. Zufällig habe der Kläger dort die ihm aus der Entziehungskur bekannte Frau C. W. getroffen, die er bis zur L. begleitet habe.

Gegen 16:30 Uhr meldete ein unbekannt gebliebener Verkehrsteilnehmer eine Schlägerei in der G-Straße, wonach zwei Männer auf einen am Boden liegenden Dritten eingeschlagen hätten. Gegen 16:35 Uhr fanden die Rettungssanitäter in der G-Straße den verletzten Kläger hinter einer Plakatwand und brachten ihn in die chirurgische Universitätsklinik. Bei ihrer Ankunft hatte die Besatzung des Krankenwagens einen Mann und eine Frau weglaufen sehen. Eine nähere Beschreibung konnten die Sanitäter nicht geben, in den "Täterlichtbildmappen" der Polizei erkannten sie diese Personen nicht wieder. Bei Einlieferung ins Krankenhaus war der Kläger somnolent, es wurde ein Schädelhirntrauma I - II, eine Jochbeinfraktur und eine Trommelfellperforation rechts festgestellt. Am 11. Juli 1994 wurde der Kläger aus der stationären Behandlung entlassen. Bei einer Befragung über den Tathergang durch die Polizei am 9. Juli 1994 im Krankenhaus konnte sich der Kläger an den Vorfall nicht erinnern. Am 12. August 1994 stellte der Kläger Strafantrag. In einem Schriftsatz vom 25. November 1994 ließ er von seinem Rechtsanwalt mitteilen, seine Bekannte C. W. habe ihn nach dem Vorfall angerufen und ihm mitgeteilt, sie habe beobachtet wie er zusammengeschlagen worden sei. Bei den Tätern solle es sich um einen Mann und eine Frau gehandelt haben, die aus der Drogenszene stammten. In einem anwaltlichen Schreiben vom 31. Januar 1995 ließ der Kläger ausführen, dass er einen Täter nach dem Vorfall zufällig in G. gesehen und als solchen wiedererkannt habe. Es handele sich dabei um einen Mann, der ihm am 8. Juli 1994 gegenüber dem späteren "Fundort" aufgefallen sei. Bei einer staatsanwaltlichen Vernehmung am 10. März 1995 sagte die Zeugin C. W. aus, dass sie den Kläger, den sie in der Reha-Einrichtung M. kennengelernt habe, ein einziges Mal im Herbst 1993 am G. Bahnhof getroffen habe. Seit dieser Zeit habe sie den Kläger nie wieder gesehen und auch nicht mit ihm telefoniert. In einem Schreiben vom 9. November 1999 schließlich teilte die Mutter des Klägers der Staatsanwaltschaft mit, sie selbst habe, als sie kurz vor der Tatzeit in der Nähe des Tatortes auf den Kläger gewartet habe, vier Personen gesehen. Einer von diesen sei der von ihrem Sohn wiedererkannte Täter gewesen. Das Ermittlungsverfahren wurde nicht weitergeführt.

Am 6. Oktober 1994 stellte der Kläger Antrag nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Er führte aus, er könne sich an den Tathergang nicht mehr erinnern. Der Beklagte zog die Akten der Staatsanwaltschaft Gießen bei und lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28. März 1996 ab, weil ein schädigendes Ereignis nicht nachgewiesen sei und es als ungeklärt anzusehen sei, wie es zu den erlittenen Verletzungen gekommen sei. Dagegen legte der Kläger am 23. April 1996 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. September 1997 zurückwies.

Der Kläger macht noch einen weiteren Anspruch geltend. Am 2. Oktober 1994 betrat er zwischen 21:00 Uhr und 22:00 Uhr die J-Tankstelle in der R-Straße in G ... Er machte auf den Tankwart einen hilflosen Eindruck und klagte über Lähmungserscheinungen im linken Arm und Bein. Aufgrund des telefonischen Hinweises eines Verkehrsteilnehmers nahm die Polizei den Kläger auf dem Tankstellengelände gegen 22:00 Uhr wegen des Verdachts der Fahruntüchtigkeit fest. Im Pkw fanden die Polizeibeamten einen Gürtel, der eine Schlaufe bildete, eine Plastiktüte mit einer Spritze, einen Löffel und ein weißes Plastikbehältnis. Auf dem Polizeirevier sollte Dr. Sch., Institut für Rechtsmedizin der J-Universität G., eine Blutprobe entnehmen. Er fand in der rechten Ellenbeuge eine frische Einspritzstelle. Auf eine Blutprobe wurde verzichtet, an Stelle dessen wurde eine Urinprobe genommen. Am linken Arm fand der Arzt eine Prellung, die durch eine bläuliche Hautverfärbung ohne umfangreiche Hautunterblutung erkennbar war. Von einer Prellung der linken Hüfte sei keine Rede gewesen. Gegen 23:10 Uhr forderte die Polizei die Mutter des Klägers auf, ihren Sohn abzuholen. Mit Schriftsatz vom 2. Januar 1995 stellte der Kläger Strafanzeige. Seine Mutter habe bei der Ankunft bei der Polizei bemerkt, dass er getrocknetes Blut an den Händen gehabt habe und auch Blutspuren auf der Hose in Oberschenkelhöhe. Sein Gesicht sei geschwollen gewesen, er habe verlangsamt und desorientiert reagiert. Ohne fremde Hilfe habe er weder stehen noch gehen können. Auf der linken Hüfte habe sich eine dicke Schwellung mit drei blutigen Striemen befunden, ebenso eine dicke rote Schwellung mit Striemen am linken Unterarm. An die konkreten Vorfälle könne sich der Kläger nicht mehr erinnern, es sei jedoch davon auszugehen, dass er durch Fremdeinwirkung eine Gehirnerschütterung mit retrograder Amnesie und verschiedene Schwellungen erlitten habe. Der Notarzt Dr. F., S., stellte am 3. Oktober 1994 Prellmarken an der linken Hüfte und am linken Unterarm, ein Pelzigkeitsgefühl im linken Fuß, eine Commotio cerebri mit Erbrechen und retrograder Amnesie fest. Die Analyse der Urinprobe im Institut für Rechtsmedizin der J-Universität G. ergab positive Werte für Benzodiazepine und Kokain sowie stark positive Werte für Opiate. In einem Gutachten für die Staatsanwaltschaft führt Prof. Dr. W., Institut für Rechtsmedizin der Universität G., am 23. November 1995 aus, dass kein Zweifel daran bestehe, dass der Kläger im fraglichen Zeitraum unter dem Einfluss einer akuten Rauschmittelvergiftung gestanden habe. Konkrete Anhaltspunkte für ein Schädelhirntrauma in Form einer Gehirnerschütterung seien nicht zu erkennen. Bei der Prellmarke am linken Unterarm handele es sich offensichtlich um eine frische, vom gleichen Tag herrührende Bagatellverletzung. Zur Art der Prellmarke an der Hüfte lägen keine Angaben vor, so dass Rückschlüsse auf die Entstehungsweise und Alter nicht möglich seien. Das Ermittlungsverfahren wurde am 22. Oktober 1996 eingestellt. Ein zugleich gegen den Kläger gerichtetes Ermittlungsverfahren wegen Fahrens unter berauschenden Mitteln wurde durch Urteil des Amtsgerichts Gießen vom 16. Februar 1996 (XXXXX) abgeschlossen, nachdem gegen den Kläger eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30,00 DM verhängt wurde.

Am 5. Mai 1995 stellte der Kläger wegen der Vorfälle am 2. Oktober 1994 Antrag auf Opferentschädigung. Mit Bescheid vom 29. März 1996 wies der Beklagte den Antrag ab, weil ein Nachweis für einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff auf den Kläger fehle. Den dagegen erhobenen Widerspruch vom 23. April 1996 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. September 1997 zurück.

Gegen den Bescheid vom 28. März 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. September 1997 und gegen den Bescheid vom 29. März 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. September 1997 hat der Kläger am 23. Oktober 1997 (S 16 VG 2124/97) und 17. Oktober 1997 Klage vor dem Sozialgericht in Gießen (S 16 VG 2070/97) erhoben. Mit Beschluss vom 8. Juli 1999 hat das Sozialgericht beide Klagen unter dem führenden Aktenzeichen S 16 VG 2124/97 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Das Sozialgericht hat die Mutter des Klägers als Zeugin vernommen. Zu dem Vorfall am 8. Juli 1994 hat sie erklärt, dass ihr vier Personen aufgefallen seien, während sie auf ihren Sohn gewartet habe. Dabei sei auch ein Pärchen gewesen, an das sich ihr Sohn später habe erinnern können. Wegen des übrigen Inhalts der Zeugenaussage wird auf die bei den Akten befindliche Niederschrift verwiesen. Mit Urteil vom 8. Juli 1999 hat das Sozialgericht die Klagen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, bei den geltend gemachten Verletzungen müsse es sich nicht um solche handeln, die durch Fremdeinwirkung entstanden seien. Hinsichtlich des Vorfalls vom 8. Juli 1994 sei nicht ausgeschlossen, dass es sich um einen Sturz mit Bewusstlosigkeit und Reflexbewegungen gehandelt habe. Bei dem Vorfall vom 2. Oktober 1994 hätten sich keine Hinweise für ein Schädelhirntrauma oder Schädelverletzungen gefunden. Die nachgewiesenen Verletzungen brauchten nicht auf Fremdeinwirkung zu beruhen.

Gegen das ihm am 9. August 1999 zugestellte Urteil hat der Kläger am 8. September 1999 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Zu dem Vorfall vom 8. Juli 1994 trägt er vor, er habe schwerste Verletzungen erlitten, die er sich nicht habe selbst zufügen können. Im Übrigen habe ein unbekannt gebliebener Verkehrsteilnehmer den Überfall auf ihn beobachtet. Er habe auch einen der Täter in der Stadt gesehen und wiedererkannt, die Polizei habe aber nicht ausreichend ermittelt. Der Vorfall am 2. Oktober 1994 stehe nicht mit Rauschmittelkonsum in Verbindung. Zum fraglichen Zeitpunkt habe der Kläger nicht unter Drogen gestanden. Der Drogennachweis durch die Urinprobe betreffe eine bis zu fünf Tagen vorher stattgefundene Drogeneinnahme, die zum fraglichen Zeitpunkt nicht mehr wirksam gewesen sei. Es könne deshalb nicht von einer Selbstverletzung unter Betäubungsmitteleinfluss ausgegangen werden, sondern es läge eine Fremdeinwirkung nach dem Aufgreifen durch die Polizei vor. Der Senat hat den Kläger persönlich angehört und seine Mutter durch den Berichterstatter und danach in der mündlichen Verhandlung am 24. September 2002 als Zeugin vernommen. Wegen des Inhalts der Aussagen wird auf die Niederschriften vom 16. Januar 2001 und 24. September 2002 verwiesen.

In einem Rechtsstreit um Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz (SG Gießen, S 15/7 SB 1964/96) schlossen die Beteiligten am 4. September 2000 einen Vergleich über einen Grad der Behinderung von 60 wegen einer chronischen Hirnschädigung mit Störungen im Bereich des Fühlens, Wollens und Denkens bei nicht zerstörter Intelligenz. Dabei ging der Kläger davon aus, dass die Behinderungen Folge eines posttraumatischen Schädel-Hirn-Syndroms seien, der Beklagte war entsprechend eines nervenärztlichen Gutachtens des Prof. Dr. H. (M., vom 21. Februar 2000) der Ansicht, dass sich für eine posttraumatische Hirnschädigung überhaupt keine Anhaltspunkte ergäben. Die Beteiligten dieses Rechtsstreits waren sich darin einig, dass der geschlossene Vergleich für den hiesigen Rechtsstreit nicht vorgreiflich sei.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 8. Juli 1999 sowie die Bescheide des Beklagten vom 28. März 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. September 1997 und vom 29. März 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. September 1997 aufzuheben und diesen zu verurteilen, ihm wegen der Folgen der Überfälle vom 8. Juli 1994 und 2. Oktober 1994 Versorgung nach dem Opferentschädigungsrecht ab dem 1. Juli 1994 in gesetzlicher Höhe zu gewähren,
hilfsweise,
die Polizeiobermeisterin R. und Dr. B. (Chirurgische Universitätsklinik G.) zum Verletzungsbild des Vorgangs vom 8. Juli 1994 als Zeugen und als Sachverständigen Prof. Dr. med. R. Sch., Institut für Rechtsmedizin Universität G., wegen einer Betäubungsmittelvergiftung am 2. Oktober 1994 zu hören.

Der Beklagte, der das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend hält, beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den übrigen Akteninhalt, insbesondere den Inhalt der beigezogenen Akten des Beklagten und der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Gießen (YYYYY, ZZZZZ, QQQQQ, WWWWW), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG) ist sachlich unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Opferentschädigung. Die angefochtenen Bescheide und das Urteil des Sozialgerichts sind zu Recht ergangen.

Nach § 1 des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) hat Anspruch auf Versorgung, wer infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Nach § 2 Abs. 1 OEG sind Leistungen aber zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung selbst verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren. Am 8. Juli 1994 hat der Kläger in G. in der G-Straße Verletzungen durch eine Fremdeinwirkung erlitten, ohne dass der Senat davon überzeugt ist, dass es sich dabei notwendig um einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff gehandelt hat. Außerdem spielten sich die damaligen Vorgänge innerhalb der Drogenszene ab, der der Kläger angehört. Eine Opferentschädigung innerhalb dieser Szene wäre unbillig. Der weitere geltend gemachte Vorfall vom 2. Oktober 1994 ist ungeklärt, ein tätlicher Angriff auf den Kläger ist nicht bewiesen.

I.

Zum Vorfall am 2. Oktober 1994: Der Kläger hat an die Vorgänge an diesem Tag keine Erinnerung mehr. Ein Täter ist nicht bekannt geworden. Präsente bzw. präsentierbare Zeugen für einen Angriff auf den Kläger sind nicht vorhanden. Nach der Überzeugung des Senats und insbesondere nach den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten steht nur Folgendes fest: Einem Verkehrsteilnehmer war am Abend des 2. Oktober 1994 der Kläger aufgefallen, der wie betrunken in seinem Auto gesessen habe, später sei er in Schlangenlinien durch die Straßen gefahren. Der Kläger kam dann an die Tankstelle in der R-Straße in G. und kaufte dort ein Eis. Auf den Tankwart machte er einen anormalen Eindruck, auf die Frage ob es ihm gut gehe, antwortete er, er habe etwas mit der linken Seite. Von Verletzungen war nicht die Rede. Gegen 21:20 Uhr traf die Polizei ein, die den Kläger orientierungslos vorfand. Sie nahm ihn mit zur Wache, wo eine Blutentnahme vorgenommen werden sollte. Der Kläger hat weder der Polizei noch dem Arzt gegenüber angegeben, dass er zuvor verletzt worden sei. Der Kläger wurde später von seiner Mutter abgeholt, er musste zunächst allerdings noch bis zur Abgabe einer Urinprobe auf der Wache bleiben. Während dieser gesamten Zeit ist kein Angriff auf den Kläger beobachtet worden. Es konnten auch nachträglich keine Verletzungen beim Kläger festgestellt werden, die einen Schluss auf einen tätlichen Angriff zulassen würden. Insbesondere die Mutter des Klägers, die als Zeugin vernommen worden ist, hat vorgetragen, dass bei ihrem Sohn eine Schädelverletzung, verursacht durch einen Schlag, vorgelegen habe. Dafür gibt es jedoch keine objektiven Anhaltspunkte. Der Kläger stellte sich am 4. Oktober 1994 im Kreiskrankenhaus in W. vor. In der vorgelegten Ambulanzkarte finden sich keine Hinweise auf eine Schädelverletzung, auch nicht im Röntgenbefund. Es bedarf deshalb auch keiner weiteren Auswertung der im Termin vorgelegten damaligen Röntgenaufnahmen. Nichts anderes ergibt sich aus den Berichten der Nervenärzte Dr. F. vom 11. Oktober 1994 und Dr. P. vom 14. Oktober 1994 sowie aus dem Bericht der Neurologischen Klinik der Universität G. vom 28. November 1994. In einem Computertomographie-Bericht des Dr. M. vom 6. Oktober 1994 wird ein subdurales Hämatom ausgeschlossen; weiterhin heißt es, dass die knöchernen Strukturen der Schädelbasis regelrecht seien. Entsprechend ist auch in dem Gutachten des Prof. Dr. W. ausgeführt, dass Anzeichen für eine Kopfverletzung, etwa in der Form einer Prellmarke beim Kläger nicht zu finden gewesen seien. Die beobachteten Ausfallserscheinungen müssten nicht auf einem Schädeltrauma beruhen, sondern erklärten sich auch aus einer akuten Rauschmittelvergiftung, die durch die toxikologische Untersuchung der unter Aufsicht abgegebenen Urinprobe nachgewiesen sei. Bei der Prellmarke am linken Unterarm handele es sich nach Angaben des Dr. Sch. um eine Bagatellverletzung, jedenfalls gäbe es keinen Hinweis auf ihre Entstehungsgeschichte, eine Fremdeinwirkung sei nicht nachgewiesen. Ähnliches gelte für die Prellmarke an der linken Hüfte, deren Größe und Umfang nicht bekannt sei. Der Senat hält diese Ausführungen für überzeugend. Es lässt sich nicht mehr nachweisen, ob an den Prellmarken, wie die Mutter mitteilt, auch Striemen zu erkennen gewesen waren. Da ein bestätigender objektiver medizinischer Befund nicht vorliegt, ist ein Fremdverschulden nicht nachweisbar. Die vom Kläger vorgetragenen Schlussfolgerungen aus einer zweiten privaten Urinprobe bei Dr. F. vom 6. Oktober 1994 können schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil diese Urinprobe dem Arzt nur zugeschickt worden war und die Herkunft vom Kläger nicht bewiesen ist. Da somit weitere zum Beweis geeignete medizinische Urinwerte nicht vorliegen, erübrigt sich auch die beantragte Anhörung des Prof. Dr. Sch ... Soweit sich der Kläger wegen einer Gehirnerschütterung auf medizinische Unterlagen der Frau Dr. S., des Dr. F. und der Ärzte der Neurologischen Universitätsklinik G. bezieht, ist darauf hinzuweisen, dass die dortige Angabe einer Comotio cerebri nur auf anamnestischen Angaben des Klägers und seiner

Mutter beruhen. Eine exakte Diagnose findet sich nirgends. Im Übrigen würde selbst eine nachgewiesene Gehirnerschütterung noch keinen Schluss auf einen rechtswidrigen, vorsätzlichen tätlichen Angriff zulassen. Der Kläger stand am fraglichen Tag unter starkem Drogeneinfluss. Er hätte sich eine Gehirnerschütterung jederzeit selbst bei seiner orientierungslosen Autofahrt oder durch einen sonstigen Fall zuziehen können. Insgesamt lässt sich weder aus dem vermeintlichen Tathergang noch aus den dokumentierten Verletzungen ein ausreichend sicherer Anhalt für einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff entnehmen. Nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast kommen dem Kläger positive Rechtsfolgen jedoch nur aus bewiesenen Tatsachen zu Gute.

II.

Zum Vorfall am 8. Juli 1994: Im Unterschied zu den Feststellungen des Sozialgerichts geht der Senat bei der Bewertung der bekannt gewordenen Tatsachen davon aus, dass der Kläger am 8. Juli 1994 durch Fremdeinwirkung verletzt worden ist, ohne dass ein rechtswidriger, vorsätzlicher Angriff als solcher nachgewiesen ist. Auch hier sind keine Täter bekannt. Die Tatumstände liegen im Dunkeln, allerdings soll ein unbekannt gebliebener Verkehrsteilnehmer in einem Anruf bei der Rettungswache eine Schlägerei geschildert haben, bei der ein Mann bewusstlos geschlagen worden sei. Dieser Beobachtung entsprechen die von den Rettungssanitätern und der Polizei vorgefundenen Verhältnisse am Ort, insbesondere die nicht unerheblichen Verletzungen des Klägers. Die Ärzte in der Unfallchirurgie stellten ein Schädelhirntrauma ersten bis zweiten Grades, eine Jochbeinfraktur und eine Trommelfellperforation rechts fest. Weitergehende, insbesondere von der Mutter behauptete Folgeverletzungen sind medizinisch nicht objektiviert. Das vorhandene Verletzungsbild im Zusammenhang mit den Beobachtungen der Rettungssanitäter, der Polizei und des unbekannt gebliebenen Anrufers lassen nach Überzeugung des Senats aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Schluss auf eine Fremdeinwirkung zu. Es müssen deshalb die angebotenen Zeugen Dr. B. und R. zum Verletzungsbild nicht gehört werden.

Geht man von den Erstangaben des Klägers aus, bleiben die Umstände der Fremdeinwirkung jedoch unbekannt. Ob sie in der Form eines rechtswidrigen, vorsätzlichen tätlichen Angriffs stattgefunden hat, lässt sich nicht nachweisen. Auch unter Beachtung des späteren Vorbringens des Klägers und der übrigen Umstände kann ein solcher Angriff nicht zweifelsfrei unterstellt werden. Grundsätzlich wird man zwar bei Vorliegen einer Verletzung durch Fremdeinwirkung von einem typischen Geschehensablauf entsprechend der Grundsätze des Anscheinsbeweises (vgl. Kunz/Zellner, OEG, Kommentar, § 1 Rdnr. 30) ausgehen können. Dieser Beweis findet Anwendung bei nach der Lebenserfahrung typischen Geschehensabläufen, in denen das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts auf eine bestimmte Ursache oder einen bestimmten Ursachenzusammenhang hinweist. Den gestellten Beweisanforderungen genügt es dann, wenn die den Sachverhalt ergebenden Tatsachen bewiesen sind, die typischerweise auf das Vorliegen der Haupttatsache schließen lassen. Liegen jedoch Anhaltspunkte dafür vor, dass im konkreten Fall - entgegen dem normalen Lauf der Dinge - ein atypischer Geschehensablauf ernsthaft möglich ist, ist dem Anscheinsbeweis die Grundlage entzogen. Ein typischer Geschehensablauf, der den Schluss von der Fremdeinwirkung auf einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff zuließe, ist hier nicht zu beweisen. Es gibt keine Zeugen dafür, ob der Kläger bei dem Vorfall in der G-Straße überhaupt angegriffen worden ist. Der unbekannte Verkehrsteilnehmer hat lediglich von einer Schlägerei berichtet. Nach den Tatumständen steht für den Senat zwar fest, dass der Kläger daran beteiligt war, welche Rolle er aber bei der Schlägerei spielte, ist unbekannt, insbesondere, ob er derjenige war, der schon bewusstlos am Boden gelegen haben soll. Die Sanitäter sahen zwei Personen vom Tatort weglaufen, es ist aber nicht bekannt, ob es sich dabei um Täter, Beteiligte, Zuschauer oder später hinzugekommene Personen gehandelt hat. Die Zeugin C. W. hat die Behauptung des Klägers bestritten, dass sie am Tatort anwesend gewesen sei, eine Tat beobachtet und die Beteiligten erkannt habe. Bei Würdigung ihrer Zeugenaussage vor der Staatsanwaltschaft geht der Senat davon aus, dass ihre Darstellung nicht zu widerlegen ist. Einer erneuten Vernehmung bedurfte es deshalb nicht, der Kläger hat dies auch nicht ausdrücklich beantragt. Es fehlt damit auch an einem Beweis für die Angabe des Klägers, er habe den Parkplatz der J-Tankstelle, wo er auf seine Mutter wartete, deshalb verlassen, weil er die zufällig anwesende Zeugin W. ein Stück habe begleiten wollen. Es bleibt letztlich offen, aus welchen Gründen der Kläger sich in die G-Straße begeben hat. Weitere Ermittlungen dazu sind nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 Abs. 1 SGG) nicht möglich.

Der Kläger gehörte dem Drogenmilieu an. Er war seit 1991 betäubungsmittelabhängig. Während der Entziehungskur hat er nach eigenen Angaben, und soweit sich dies aus den Akten der Fachklinik M. erkennen lässt, keine Drogen konsumiert. Danach hat er aber nach eigenen Angaben gegenüber seinen Ärzten (Neurologie H-Klinik W. vom 14. November 1994) wieder mit dem Spritzen angefangen.

Der Kläger selbst und auch seine als Zeugin gehörte Mutter halten es für möglich, dass sich der Vorfall im Umfeld der Drogenszene abgespielt hat. Bei dieser Sachlage sind andere Geschehensabläufe als die typischen eines Überfalls, Straßenraubes o.ä. nicht völlig unwahrscheinlich. Die beim Kläger vorliegenden Verletzungen könnten ihre Ursache beispielsweise auch in einem Angriff haben, den der Kläger als Angehöriger der Drogenszene selbst gegen Dritte geführt hat. Da nicht mit der nötigen Sicherheit auszuschließen ist, dass er selbst als Täter in Betracht kommt oder ein Dritter in Notwehr gehandelt hat, fehlt es an den Voraussetzungen für einen typischen Geschehensablauf. Bei einem Anscheinsbeweis, bei dem aus dem Verletzungsbild auf den Tathergang geschlossen wird, trifft den Kläger für das Vorliegen des typischen Geschehensablaufes die objektive Beweislast. Es ist ein Vollbeweis nötig (vgl. Zöller, ZPO, vor § 284, Rdnr. 29). Die bestehenden Zweifel gehen zu seinen Lasten. Die Beweisschwierigkeiten lassen sich auch nicht nach § 15 KOV-Verfahrensgesetz für den Kläger beheben. Die dort für das Kriegsopferrecht vorgesehene Beweiserleichterung ist im Opferentschädigungsrecht jedenfalls dann nicht anwendbar, wenn ein Antragsteller - wie hier - zu dem in Frage stehenden Vorfall keine Angaben aus Eigenwissen oder überhaupt keine Angaben machen kann (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R).

Auch wenn man der hier vertretenen Ansicht des Senats nicht folgen wollte und einen Schluss aus dem Verletzungsbild durch Fremdeinwirkung auf einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff für möglich hielte, würde letztlich kein anderes Ergebnis eintreten, denn dem Kläger wäre eine Entschädigung wegen Unbilligkeit zu versagen. Nach Überzeugung des Senats steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass sich der Vorfall am 8. Juli 1994 in der Drogenszene abgespielt hat und die Beteiligten Angehörige der Drogenszene waren, auch wenn Einzelheiten der Vorgänge unklar bleiben. Die Drogenabhängigkeit des Klägers steht fest, wie oben ausgeführt ist. Zumindest ein weiterer Beteiligter, den der Kläger bei seinem späteren Vorbringen und bei der Anhörung durch den Senat als Täter bezeichnete, gehört ebenfalls der Drogenszene an. Der Kläger hat mehrfach gegenüber der Staatsanwaltschaft durch seine Anwälte vortragen lassen, dass er den angeblichen Täter zufällig in G. gesehen und als solchen wiedererkannt habe. Er könne ihn jederzeit identifizieren. Seine Mutter hat dies in einem Schreiben vom 9. November 1999 gegenüber der Staatsanwaltschaft bestätigt. Bei seiner Anhörung vor dem Senat hat der Kläger ausgeführt, ihm sei nach einiger Zeit wieder eine dunkle Erinnerung an die Vorfälle gekommen und er habe bei einem Besuch in der G-Straße den Täter wiedererkannt. Dieser habe sich so benommen, als ob er aus der Drogenszene stamme, dies vermute er jedoch nur. Der Senat hält letztere Einschränkung wegen des Widerspruchs zu dem übrigen Vorbringen und auch aufgrund des unsicheren und zögerlichen Eindrucks, den der Kläger bei dieser Fragestellung bei seiner Anhörung machte, für eine nachträgliche Schutzbehauptung. Wenn der Kläger nunmehr im Berufungsverfahren eine Erinnerung an die Vorfälle hat, wenn er angibt, er könne den angeblichen Täter identifizieren ohne ihn namentlich benennen zu können und wenn er sogar seine Bekannte C. W. als Zeugin für die Zugehörigkeit des angeblichen Täters zur Drogenszene benennt, obwohl diese mit den Vorfällen nichts zu tun haben will, so ergibt sich daraus, dass er selbst von einem Zusammenhang mit der Drogenszene ausgeht. Auch der Senat ist davon überzeugt, zumal auch die Schilderung der Mutter des Klägers auf diesen Zusammenhang hinweist. Sie hat ebenfalls Personen beobachtet, die als Drogenabhängige und Beteiligte in Betracht kommen könnten.

Nach seinem Normzweck werden durch das Opferentschädigungsgesetz Leistungen gewährt, weil die staatliche Gemeinschaft für die Folgen einer Gesundheitsschädigung einsteht, die durch eine Gewalttat verursacht wurden, vor der der Staat mit seinem Monopol für die Verbrechensbekämpfung nicht schützen konnte. Der Sinn der Entschädigungsleistung bleibt nicht gewahrt, wenn ein Opfer Angehöriger einer Gruppe ist, die sich außerhalb der Rechtsordnung stellt und dort zu Schaden kommt. Die Drogenszene stellt eine solche Gruppe dar. Auch soweit Drogenkonsum selbst nicht unter Strafe steht, ist doch Besitz und Beschaffung von Drogen strafbar und vielfach von Beschaffungskriminalität begleitet. Gesundheitsstörungen, die durch Auseinandersetzungen innerhalb des Drogenmilieus entstanden sind, müssen als eine der Drogenszenen eigentümliche Gefahrenverwirklichung angesehen werden, deren Entschädigung unbillig ist.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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