L 10 AL 1001/99

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 11 AL 1473/97
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 1001/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 30. Juni 1999 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten wegen der Gewährung von Konkursausfallgeld (Kaug).

Der 1959 geborene Kläger war zuletzt als technischer Angestellter bei der Firma S. G. Kundendienst für graphische Maschinen GmbH (im Folgenden: Firma S. G.) in F. beschäftigt. Das Beschäftigungsverhältnis endete durch Kündigung seiner Arbeitgeberin zum 31. Dezember 1996.

Am 31. Oktober 1996 wurde Konkursantrag gestellt, am 11. Dezember 1996 über das Vermögen der Firma S. G. das Konkursverfahren eröffnet.

Mit Antrag vom 31. Oktober 1996, bei der Beklagten am 17. Februar 1997 eingegangen, beantragte der Kläger Kaug. Für Oktober 1996 sei ein Arbeitsentgelt von 8.794,93 DM netto offen. Mit Schreiben vom 30. April 1997 teilte der Kläger auf Anfrage der Beklagten mit, die Hauptgesellschafterin der in Konkurs gefallenen Firma S. G., die die Lohn- und Gehaltsabrechnungen für alle Tochtergesellschaften erstellt habe, habe erklärt, die Anträge auf Kaug seien von ihr ausgefüllt und mit Schreiben vom 21. Januar 1997 zur Unterschrift und Weiterleitung an den Konkursverwalter, Rechtsanwalt F., F., gesandt worden. Dabei sei es offenbar zu einer Fristüberschreitung gekommen.

Durch Bescheid vom 25. August 1997 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kaug ab. Die maßgebliche Antragsfrist bis zum 11. Februar 1997 sei versäumt, da der Kläger den Antrag erst am 17. Februar 1997 gestellt habe. Die Gewährung einer Nachfrist sei nicht möglich, weil der Kläger die Versäumnis der Antragsfrist zu vertreten habe.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, der Hauptgesellschafterin, der Dr. K. W. Maschinen für das graphische Gewerbe GmbH & Co. KG, sei der Antrag auf Kaug im Januar 1997 zur Überprüfung der Höhe des vor Eröffnung des Konkursverfahrens bezogenen Arbeitsentgeltes übergeben worden. Mit Schreiben vom 21. Januar 1997 seien die Anträge ausgefüllt zur Überprüfung an den Konkursverwalter übersandt worden. Dort seien sie am 29. Januar 1997 eingegangen. Der Konkursverwalter habe die Bescheinigungen am 7. Februar 1997 unterschrieben und sein Personal gebeten, die Anträge umgehend an das Arbeitsamt zu schicken. Tatsächlich sei das aber erst am 12. Februar 1997 geschehen. Diese im Bereich des Konkursverwalters eingetretene Verzögerung sei dem Kläger nicht zuzurechnen. Hauptgesellschafterin und Konkursverwalter seien nicht als Vertreter, sondern als Hilfspersonen tätig geworden.

Durch Widerspruchsbescheid vom 20. November 1997 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Versäumnisse seines Vertreters, hier des Konkursverwalters, müsse sich der Kläger wie eigene Versäumnisse zurechnen lassen.

Gegen den am 24. November 1997 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 24. Dezember 1997 vor dem Sozialgericht Wiesbaden (SG) Klage erhoben und vorgetragen, er habe im Januar 1997 dem Mitarbeiter der Personalabteilung der Hauptgesellschafterin, Herrn A., seinen Antrag auf Kaug unter Hinweis auf die am 11. Februar 1997 ablaufende Antragsfrist übergeben. Die Einhaltung der Antragsfrist habe dieser ihm zugesagt. Nach Überprüfung der erforderlichen Daten habe Herr A. in Zusammenarbeit mit seiner Mitarbeiterin, Frau K., die Anträge am 21. Januar 1997 an den Konkursverwalter übersandt. Dieser habe sein Personal am 7. Februar 1997 angewiesen, die Anträge umgehend an das Arbeitsamt zu versenden. Aufgrund eines Versehens seien sie dann aber erst am 12. Februar 1997 abgeschickt worden.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG am 30. Juni 1999 hat der Kläger ferner angegeben, außer ihm hätten noch drei weitere Kollegen, Herr G., Herr Kx. und Frau B., offene Entgeltforderungen infolge des Konkurses gehabt. Herr G. habe es für die Gruppe übernommen, beim Arbeitsamt wegen des Konkursausfallgeldantrags vorzusprechen. Dort habe er für jeden Kollegen Merkblätter für Kaug, Antragsformblätter für Kaug sowie Verdienstbescheinigungsformulare für Kaug bekommen. Aus dem Merkblatt habe sich insbesondere der Hinweis auf die zweimonatige Antragsfrist ergeben. Die Gruppe habe sich dann zusammengesetzt, und jeder habe seinen Konkursausfallgeldantrag ausgefüllt. Er erkenne auf seinem Antrag seine Unterschrift und das Datum des 31. Oktober 1996 als richtig an. Er habe beim Ausfüllen des Antrags keine Probleme gehabt. Seine Kollegen hätten allerdings wegen der Berücksichtigung von Überstunden des Rats der Buchhaltung bedurft. Daraufhin habe Herr G. die gesammelten Anträge dort persönlich unter Hinweis auf die Antragsfrist abgeliefert. Hiervon habe er am selben Tage, dem 31. Oktober 1996, oder dem Folgetag berichtet. Anschließend habe er sich gelegentlich bei dem Kollegen G. nach dem Stand des Verfahrens erkundigt und von diesem erfahren, dass alles in Ordnung sei. Nach den erhaltenen Informationen sei er der Auffassung gewesen, der Antrag müsse zusammen mit der Verdienstbescheinigung des Arbeitgebers beim Arbeitsamt eingereicht werden.

Der als Zeuge von dem SG vernommene Herr A. hat ausgesagt, auch wenn der Antrag des Klägers für sich genommen komplett ausgefüllt gewesen sei, sei er aus praktischen Erwägungen zusammen mit der Verdienstbescheinigung an den Konkursverwalter weitergeschickt worden. Bei der Weiterleitung habe er den Konkursverwalter nicht auf das Fristende hingewiesen, sondern eine entsprechende Sachkenntnis unterstellt. Der als Zeuge vernommene Konkursverwalter, Rechtsanwalt F., hat ausgesagt, am Tag nach der Unterzeichnung der aktenkundigen Verdienstbescheinigung am 7. Februar 1997 sei er in Urlaub gefahren. Vorher habe er in seinem Büro die Anweisung "rausschicken" erteilt. Der Vorgang sei aber nicht im Fristenkalender eingetragen gewesen und dementsprechend auch nicht verschärft überwacht worden.

Das SG Wiesbaden hat die Beklagte durch Urteil vom 30. Juni 1999 verurteilt, den Konkursausfallgeldantrag des Klägers als einen fristgemäßen zu bescheiden. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, zwar habe der Kläger die zweimonatige Ausschlussfrist zur Stellung des Konkursausfallgeldantrags versäumt. Jedoch sei ihm eine Nachfrist von zwei weiteren Monaten einzuräumen, weil er die Versäumnis nicht zu vertreten habe. Ursächlich sei das Fehlverhalten des Konkursverwalters. Dieser habe den bereits vollständig ausgefüllten und unterschriebenen Antrag lediglich weitergeleitet und sei deshalb nicht als Vertreter des Klägers tätig geworden. Auch habe sich der Kläger nicht durch Einschaltung einer Mehrzahl von Hilfspersonen sorgfaltswidrig verhalten. Er habe den Kollegen G. für hinreichend sachkundig gehalten und darauf vertrauen dürfen, dass der Konkursausfallgeldantrag zusammen mit der Verdienstbescheinigung beim Arbeitsamt einzureichen sei. Eine Überwachung der früheren Arbeitgeberin und des Konkursverwalters sei mit Rücksicht auf deren überlegene Fachkenntnis und deren höheren Sozialstatus nicht zu verlangen.

Gegen das ihr am 2. August 1999 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung vom 24. August 1999. Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Beklagte vor, auch wenn der Konkursverwalter lediglich als Hilfsperson tätig geworden sei, stelle die Bearbeitung des Konkursausfallgeldantrags durch die Hauptgesellschafterin eine Vertretungshandlung dar. Nachträglich seien Eintragungen (Tag der Konkurseröffnung, Ansprüche auf Arbeitsentgelt) vorgenommen worden. Der Mitarbeiter der Hauptgesellschafterin, Herr A., habe die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt, als er die Konkursausfallgeldanträge ohne Hinweis auf den drohenden Fristablauf an den Konkursverwalter übersandt habe.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 30. Juni 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Aus den unterschiedlichen Schriftbildern im Konkursausfallgeldantrag könne nicht geschlossen werden, dass nachträglich Eintragungen durch den Mitarbeiter der Hauptgesellschafterin, Herrn A., vorgenommen worden seien.

Der Senat hat die Kaug-Akte der Beklagten (Nr. XXX) beigezogen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Akte der Beklagten verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und in der Sache begründet.

Der angefochtene Bescheid vom 25. August 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. November 1997 ist rechtmäßig.

Gemäß § 141e Abs. 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in der bis zum 1. Januar 1999 gültigen Fassung (Art. 82 Abs. 2 Arbeitsförderungs-Reformgesetz - AFRG - vom 24. März 1997, BGBl. I 594) wird Kaug vom zuständigen Arbeitsamt auf Antrag gewährt. Der Antrag ist innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach Eröffnung des Konkursverfahrens zu stellen (§ 141e Abs. 1 Satz 2 AFG). Diese Frist, die mit der Eröffnung des Konkursverfahrens begann und am 11. Februar 1997 endete, hat der Kläger versäumt; denn sein Antrag vom 31. Oktober 1996 ging bei der Beklagten erst am 17. Februar 1997 ein. Damit war die Ausschlussfrist nicht eingehalten.

Der Kläger kann sich auch nicht auf die Nachfristregelung des § 141e Abs. 1 Satz 3 AFG berufen. Danach wird Kaug gewährt, wenn der Arbeitnehmer die Ausschlussfrist aus Gründen versäumt, die er nicht zu vertreten hat, wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hindernisses gestellt ist. Der Arbeitnehmer hat die Versäumung der Ausschlussfrist zu vertreten, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat (§ 141e Abs. 1 Satz 4 AFG). Gemeint sind die arbeitsrechtlichen Ansprüche. Denn dabei erkennt der Arbeitnehmer alsbald, wie es um den Arbeitgeber steht (vgl. Niesel, AFG, Kommentar, 2. Aufl., § 141e, Rdnr. 9). Hieraus folgt aber nicht, dass die Versäumung der Ausschlussfrist nicht zu vertreten ist, wenn und solange der Arbeitnehmer sich in diesem Sinne bemüht (vgl. BSG, SozR 4100 § 141e Nr. 8). Auch unabhängig davon kann ein Vertretenmüssen des Arbeitnehmers vorliegen. Anzuwenden sind hierbei die Rechtsgrundsätze, die die Rechtsprechung zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 67 SGG, 27 Sozialgesetzbuch 10. Buch -SGB X-) entwickelt hat (vgl. BSGE 71, 213 = SozR 3-4100 § 141e Nr. 2). Entscheidend ist, ob der Kläger die Frist des § 141e Abs. 1 Satz 2 AFG ohne Verschulden versäumt hat, d.h. die Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaften Antragsteller nach den gesamten Umständen und nach seiner Persönlichkeit zumutbar abverlangt werden konnte (§ 276 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-). Verschulden eines Vertreters steht dem eigenen Verschulden gleich. Dabei bedarf es letztlich keiner Entscheidung, ob der Mitarbeiter der Hauptgesellschafterin, Herr A., und/oder der Konkursverwalter als Vertreter des Klägers zur selbständigen Antragstellung im Namen des Klägers berechtigt waren oder einen von ihm bereits komplett fertiggestellten Konkursausfallgeldantrag dem Arbeitsamt als Boten übermitteln sollten. Für einen in der Gesamtschau einheitlichen Vertretungsvorgang spricht, dass der Kläger im Schriftsatz vom 30. April 1997 angegeben hat, die Anträge auf Kaug seien von der Hauptgesellschafterin ausgefüllt und zur Unterschrift und Weiterleitung an den Konkursverwalter gesandt worden. Soweit der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG von einem selbständig ausgefüllten Konkursausfallgeldantrag spricht und der Zeuge A. die Vollständigkeit bestätigt, bleibt es dennoch beim Vortrag des Klägers sowohl im Widerspruchsverfahren (Schriftsatz vom 11. November 1997) als auch im Klageverfahren (Schriftsatz vom 19. Oktober 1998), dass der Antrag auf Kaug der Hauptgesellschafterin des früheren Arbeitgebers zur Überprüfung der Höhe des Arbeitsentgelts übergeben worden sei. Ausgehend vom Vortrag des Klägers, er habe seinen Konkursausfallgeldantrag vollständig allein ausfüllen können, auch tatsächlich ausgefüllt und keine Überprüfung beabsichtigt, ist dem Kläger gleichwohl eigenes Verschulden vorzuwerfen. Zur Versäumnis ist es nämlich maßgeblich dadurch gekommen, dass er von diesem Standpunkt aus erst im Januar 1997 trotz Kenntnis der Frist (Schriftsatz vom 19. Oktober 1998) eine unnötige Mehrzahl von Personen eingeschaltet hat, um seinen Konkursausfallgeldantrag dem Arbeitsamt zukommen zu lassen. Das damit verbundene Risiko der Verzögerung, das sich schließlich in der Versäumnis realisiert hat, wäre vermeidbar gewesen, wenn der Kläger rechtzeitig sachkundigen Rechtsrat eingeholt hätte. Insoweit hat die höchstrichterliche Rechtsprechung wiederholt festgestellt, dass es zu den Sorgfaltspflichten eines Arbeitnehmers im Regelungsbereich des § 141e Abs. 1 Satz 3 AFG gehört, sich rechtzeitig sachkundigen Rechtsrat zu verschaffen (BSG, USK 9908, 9013). Ein Wiedereinsetzungsgrund kommt in diesem Fall nur in Betracht, wenn der Arbeitnehmer von einer Person eine falsche Auskunft erhalten hat, auf deren Sachkunde er vertrauen durfte, die er jedoch nicht mit der Wahrnehmung seiner Interessen betraut hatte (BSGE 71, 213 = SozR 3-4100 § 141e Nr. 2). Nach den Angaben des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG besteht kein Zweifel, dass er seinen Arbeitskollegen G. aufgrund seines vorangegangenen Kontakts zum Arbeitsamt für sachkundig gehalten und darauf vertraut hat, dass zur Vermeidung von Verzögerungen der Konkursausfallgeldantrag zusammen mit der Verdienstbescheinigung des Arbeitgebers beim Arbeitsamt eingereicht werden müsse. Dennoch ist das Vertrauen des Klägers in diese Angaben seines Arbeitskollegen G. nicht schutzwürdig. Der Kläger hatte das Merkblatt für Kaug erhalten und daraus sogar die Information für die zweimonatige Ausschlussfrist bezogen. In dem Merkblatt werden auch die Bedeutung der Verdienstbescheinigung erläutert und Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung beschrieben. An keiner Stelle findet sich der Hinweis, dass der Konkursausfallgeldantrag zusammen mit der Verdienstbescheinigung des Arbeitgebers eingereicht werden müsse. Die daraus resultierenden Missverständlichkeiten hätte der Kläger in Anbetracht des Umstandes, dass er seinen Konkursausfallgeldantrag unmittelbar fristwahrend beim Arbeitsamt hätte einreichen können, ausräumen müssen. In diesem Sinne kann die anschließende gelegentliche Erkundigung nach dem Stand des Verfahrens nicht als ausreichend erachtet werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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