L 1 KR 236/07

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 21 KR 13/06
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 236/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Frage der Seltenheit eines Krankheitsbildes
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gießen vom 16. Juli 2007 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten, die die Klägerin für die Beschaffung des Importarzneimittels "Flutinase®" seit September 2005 in Höhe von 1.095,51 EUR aufgewandt hat.

Die 1956 geborene und bei der Beklagten versicherte Klägerin leidet unter einem chronischen Intrinsic Asthma bronchiale, einer bronchialen Hyperreaktivität, einer chronisch rezidivierenden polypösen Rhinosinusitis, einer häufigen Aufhebung des Geruchsvermögens und einer Geschmacksstörung. Am 5. August 2005 beantragte die Klägerin unter Beifügung einer ärztlichen Bescheinigung von Dr. C. vom 22. Juli 2005 bei der Beklagten die Versorgung bzw. Kostenübernahme für das Importarzneimittel "Flutinase®". Zur Begründung ihres Antrages wies die Klägerin darauf hin, dass sie seit 1991 nach dem Auftreten einer chronischen Erkrankung ihrer Atemwege und insbesondere ihrer Nasenschleimhäute leidvoll mit vielen Medikamenten therapiert worden sei und auch bereits eine Operation der Nasennebenhöhlen notwendig geworden sei. Seit ihrem Aufenthalt in der C.-Klinik im Jahre 1994 sei sie durch das Arzneimittel "Flutinase®" im Nasenbereich fast beschwerdefrei. Das mit dem identischen Wirkstoff Fluticason in Deutschland zugelassene Arzneimittel "Flutide Nasal" habe sie wegen der weiteren Inhaltsstoffe nicht vertragen. Eine Versagung der Versorgung mit dem Arzneimittel "Flutinase®" würde für sie den vollständigen Verlust des Geruchssinnes und den Verlust des differenzierten Geschmackssinnes und ein hohes Risiko der Notwendigkeit von weiteren Operationen der Nasennebenhöhlen bedeuten, die bei einem Anschwellen der Schleimhäute Sekret zur Polypenbildung stauen und bakteriell überlagern würden.

"Flutinase®" verfügt weder in Deutschland noch in der Europäischen Union über eine arzneimittelrechtliche Zulassung. In der Schweiz liegt für das Fertigarzneimittel "Flutinase®" eine arzneimittelrechtliche Zulassung vor.

Nach der Einholung von Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), Dr. E., lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 2. September 2005 ab. Da das von der Klägerin eingesetzte Mittel weder über eine Zulassung in Deutschland noch in der Europäischen Union verfüge, sei eine Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ausgeschlossen. Den Widerspruch der Klägerin vom 30. September 2005, dem diese ärztliche Bescheinigungen von Dr. F. aus dem G.-Krankenhaus vom 7. Oktober 2005 und von Dr. H. vom 12. Oktober 2005 beifügte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2005 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 13. Januar 2006 Klage zum Sozialgericht Gießen erhoben. Zur Begründung hat sie erneut darauf hingewiesen, dass sie einen Anspruch auf eine bedarfsgerechte medizinische Versorgung habe. Die Beklagte habe auch die Kosten für eine Versorgung mit "Flutinase®" von Ende 1994 bis zum Sommer 2005 getragen. Die Behandlung mit dem Arzneimittel "Flutinase®" sei für sie zwingend medizinisch erforderlich. Die Tatsache, dass das Medikament "Flutinase®" auf dem deutschen Markt nicht zugelassen sei, rechtfertige in ihrem Fall die Ablehnung der Kostentragung nicht, da ein vergleichbares und für sie verträgliches Medikament auf dem deutschen Markt nicht zur Verfügung stehe, was ihr Krankheitsverlauf deutlich mache. Zur Bestätigung ihres Vorbringens hat die Klägerin u.a. Arztbriefe aus der I.-Klinik in J. vom 3. Dezember 1991 und vom 14. Februar 1992, von Dr. H. vom 14. Dezember 1992, von Dr. F. aus dem G. Krankenhaus vom 29. November 1993 und vom 15. September 1994 und den Entlassungsbericht aus der D.-Klinik vom 16. Dezember 1994 vorgelegt. Die Beklagte ist bei ihrer Rechtsauffassung, dass eine Versorgung der Klägerin mit dem Arzneimittel "Flutinase®" nicht möglich sei, geblieben. Das Sozialgericht hat Befundberichte von Dr. F. dem G. vom 16. Juni 2006, von Dr. H. vom 19. Juni 2006 und von Dr. C. vom 26. Juni 2006 eingeholt und nach Durchführung eines Erörterungstermins am 18. Januar 2007 die Klage mit Gerichtsbescheid vom 16. Juli 2007 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das Fertigarzneimittel "Flutinase®" mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht von der Leistungspflicht der GKV umfasst werde, da ihm die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung in Deutschland bzw. in der Europäischen Union fehle. Auch aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) könne sich kein Versorgungsanspruch der Klägerin ergeben. Bei der Klägerin liege weder eine lebensbedrohliche noch regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor.

Gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gießen, der Klägerin zugestellt am 20. Juli 2007, hat diese am 20. August 2007 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung weist sie erneut darauf hin, dass ihr für die Vergangenheit ein Kostenerstattungsanspruch und für die Zukunft ein Rechtsanspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel "Flutinase®" zustehe. Auch ohne eine arzneimittelrechtliche Zulassung sei in Erweiterung der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) für ihren Antrag nicht erforderlich, dass sie an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit leide. Sie befinde sich in einem notstandsähnlichen Zustand, in dem ihre grundrechtlich geschützten Güter Gesundheit und körperliche Unversehrtheit betroffen seien, was nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für einen Leistungsanspruch ausreichen müsse, da keine Behandlungsalternativen zu "Flutinase®" bestünden. Zudem sei nicht beachtet worden, dass sie unter einer besonderen Form der Rhinosinupathie leide, die durch eine zusätzliche Unverträglichkeit für bestimmte Hilfsstoffe gekennzeichnet sei. Aufgrund ihres vereinzelt gebliebenen konkreten Erkrankungsbildes und dem damit einhergehenden Mangel an vergleichbaren Fällen seien wissenschaftliche Aussagen mit generellem Charakter ausgeschlossen. Bei ihr liege ein so genannter "Seltenheitsfall" im Sinne der Rechtsprechung des BSG vor. Zudem sei durch die Gewährung des Arzneimittels durch die Beklagte von 1994 bis 2005 eine Selbstbindung der Verwaltung eingetreten.

Ende des Jahres 2008 ist das Arzneimittel "Flutinase®" in der Schweiz vom Markt genommen worden.

Die Klägerin beantragt nun sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Gießen vom 16. Juli 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 2. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2005 zu verurteilen, ihr die Kosten für das Arzneimittel "Flutinase®" in Höhe von 1.095,51 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Gießen vom 16. Juli 2007 zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Das Gericht hat einen Erörterungstermin durchgeführt und zu der streitigen Erkrankung bzw. den Therapiemöglichkeiten Material aus dem Internet beigezogen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Berichterstatterin konnte im vorliegenden Fall ohne mündliche Verhandlung anstelle des Senats entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, § 124 Abs. 2 i.V.m. § 155 Abs. 3 und Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihr die in der Zeit von September 2005 bis Mai 2009 aufgewandten Kosten in Höhe von 1.095,51 EUR für das auf ärztliche Verordnung hin selbst beschaffte Arzneimittel "Flutinase®" erstattet.

Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 Sozialgesetzbuch V – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) ist eine Krankenkasse zur Kostenerstattung verpflichtet, wenn sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.

Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse. Er setzt voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl.: Urteil vom 14. Dezember 2006, B 1 KR 12/06 R; Urteil vom 27. März 2007, B 1 KR 17/06 R). Zu diesen Leistungen gehört die Versorgung mit dem Arzneimittel "Flutinase®" nicht.

Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Medikamenten, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. "Flutinase®" ist als Fertigarzneimittel nicht von der Leistungspflicht der GKV nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst. Die erforderliche (§ 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz – AMG –) arzneimittelrechtliche deutsche oder europäische Zulassung ist für das Arzneimittel nicht erteilt worden. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG, der sich das Gericht anschließt, sind die Anforderungen des SGB V an Pharmakotherapien mit Medikamenten, die nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts der Zulassung bedürfen, nur erfüllt, wenn sie eine solche Zulassung besitzen. Ohne die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt es – auch in Würdigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes vom 6. Dezember 2005 (BVerfG, 1 BvR 347/98) – an der krankenversicherungsrechtlichen Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit dieser Arzneimitteltherapie (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 1 SGB V; BSG, Urteil vom 28. Februar 2008, B 1 KR 16/07 R – Lorenzos Öl -; BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 1 KN 3/07 KR R – Lorenzos Öl -).

Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich bei der chronisch rezidivierenden polypösen Rhinosinusitis auch in Kombination mit einem Asthma bronchiale mit entsprechenden Komplikationen nicht um eine Krankheit, die nur extrem selten auftritt und die deshalb im nationalen wie im internationalen Rahmen weder systematisch erforscht noch systematisch behandelt werden kann und bei der deshalb eine erweiterte Leistungspflicht der Krankenkassen in Betracht zu ziehen wäre (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004, B 1 KR 27/02 R; BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 1 KN 3/07 KR R). Ausweislich der beigezogenen Unterlagen handelt es sich bei der allergischen Rhinopathia um eine chronische Erkrankung mit steigender Prävalenz, die im Mittel mit 23 % in den westlichen europäischen Ländern angegeben wird. Epidemiologischen Studien zufolge liegt die Häufigkeit der allergischen Rhinitis bei Erwachsenen mit akuter Sinusitis bei 25 bis 30 %, während die Inzidenz (Anzahl der Neuerkrankungsfälle in einem bestimmten Referenzzeitraum) bei der chronischen Rhinosinusitis mit 40 bis 80 % angegeben wird. Die Inzidenz der Rhinosinusitis bei asthmatischen Patienten wird zwischen 40 und 75 % angegeben. So wurde in der Bundesrepublik im Jahr 2002 6,3 Millionen Mal die Diagnose einer akuten Sinusitis und 2,6 Millionen Mal die Diagnose einer chronischen Sinusitis gestellt (Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/II/017-049.htm im Internet recherchiert). Auch zur Wirksamkeit der Therapiemöglichkeiten der Erkrankung liegen insbesondere im pharmakologischen Bereich umfangreiche Studien mit unterschiedlichen Evidenzgraden vor, sodass von einem singulären Krankheitsfall vorliegend nicht ausgegangen werden kann. Angesichts dieser eindeutigen Datenlage hat das Gericht davon abgesehen, weitere Ermittlungen vorzunehmen.

Zu keinem anderen Ergebnis führt aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 (1 BvR 347/98) die verfassungskonforme Auslegung derjenigen Normen des SGB V, die einem verfassungsrechtlich begründeten Anspruch auf Arzneimittelversorgung entgegenstehen.

Diese Auslegung hat zur Folge, dass im Rahmen der Anspruchsvoraussetzungen von § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit ausnahmsweise bejaht werden müssen, obwohl ein Mittel bzw. eine Behandlungsmethode an sich von der Versorgung zu Lasten der GKV ausgeschlossen ist. Die verfassungskonforme Auslegung setzt hierbei u.a. voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt (vom BSG etwa verneint: Vorliegen eines Prostatakarzinoms im Anfangsstadium ohne metastatische Absiedelungen, Urteil vom 4. April 2006, B 1 KR 12/04 R; schwerwiegendes Restless-Legs-Sydrom mit massiven Schlafstörungen und daraus resultierenden erheblichen körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen – hochgradige akute Suizidgefahr –, Urteil vom 26. September 2006, B 1 KR 14/06 R).

Daran fehlt es im vorliegenden Fall.

Gerechtfertigt ist eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Ähnliches kann für den ggf. gleichzustellenden, akut drohenden und nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten (BSG, a.a.O.). Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin nicht gegeben. Wie bereits das Sozialgericht Gießen unter Zugrundelegung der medizinischen Stellungnahme von Dr. H. vom 19. Juni 2006 zutreffend festgestellt hat, liegt bei der Klägerin keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. Auch eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung oder ein gleichzustellender Verlust eines wichtigen Sinnesorganes oder einer herausgehobenen Körperfunktion ist bei der Klägerin nicht gegeben. Dies gilt insbesondere für den ohne das Arzneimittel "Flutinase®" möglicherweise eintretenden Verlust des Geruchs- und Geschmackssinnes. So ist nach der Auffassung des Gerichts bereits zweifelhaft, ob ohne das Arzneimittel "Flutinase®" ein vollständiger Verlust des Geruchs- und Geschmackssinnes der Klägerin drohte. Die Klägerin hat im Rahmen ihrer Klagebegründung vor dem Sozialgericht Gießen darauf hingewiesen, dass zwar unter der Anwendung des Medikamentes ihr Geruchs- und Geschmackssinn in einem schleichenden Prozess zurückgekehrt seien, die Fachärzte hierfür jedoch keine Erklärung hätten finden können. Es sei insoweit auf hormonelle Faktoren verwiesen worden, die möglicherweise die Veränderungen bewirkt hätten. Dies kann nach der Auffassung des Gerichts jedoch offen bleiben, da es letztlich an einer wertungsmäßigen Vergleichbarkeit im Sinne der Rechtsprechung des BSG fehlt. Mit dem Kriterium einer Krankheit, die zumindest mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist oder eines gleichzustellenden, nicht kompensierbaren Verlustes eines wichtigen Sinnesorganes oder einer herausgehobenen Körperfunktion sind strenge Voraussetzungen umschrieben, die mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden Erkrankung", die für die Eröffnung des so genannten Off-Label-Use ausreicht, nicht vergleichbar sind. Auch wenn es sich bei dem Verlust des Geruchs- und Geschmackssinnes unstreitig um eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung handelt, kann diese einer Erblindung (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004, B 1 KR 27/02 R) oder einem Verlust der Gehfähigkeit (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 1 KN 3/07 KR R) nicht gleichgestellt werden. Auch dass bei der Klägerin bei ungenügender Therapie das Auftreten einer lebensbedrohlichen Situation, z. B. im Rahmen einer schweren Infektexerzabation, möglich und nicht auszuschließen ist, reicht nicht aus. Nach der Rechtsprechung des BSG, der sich das Gericht anschließt, kommt lediglich in den oben beschriebenen notstandsähnlichen Extremsituationen eine grundrechtsorientierte Öffnung des Leistungsrechts der GKV in Betracht. Denn ohne einschränkende Auslegung ließen sich fast beliebig vom Gesetzgeber bewusst gezogene Grenzen überschreiten. Entscheidend ist, dass das vom Bundesverfassungsgericht herangezogene Schwere-Kriterium bei weiter Auslegung sinnentleert würde, weil nahezu jede schwere Krankheit ohne therapeutische Einwirkung irgendwann auch einmal lebensbedrohende Konsequenzen nach sich zieht. Das kann aber ersichtlich nicht ausreichen, das Leistungsrecht des SGB V und die dazu ergangenen untergesetzlichen Regelungen nicht mehr als maßgebenden rechtlichen Maßstab für die Leistungsansprüche der Versicherten anzusehen (zuletzt: BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 1 KN 3/07 KR R; BVerfG, Beschluss vom 30. Juni 2008, 1 BvR 1665/07).

Eine so genannte "Selbstbindung" der Verwaltung ist durch die Übernahme der Kosten der Behandlung mit "Flutinase®" in dem Zeitraum von 1994 bis 2005 nicht eingetreten. Eine schriftliche Zusicherung der Weiterversorgung mit dem Arzneimittel "Flutinase®" durch die Beklagte ist von der Klägerin weder vorgetragen worden noch aus der Verwaltungsakte ersichtlich. Eine Leistungsbewilligung bindet die Beklagte zudem regelmäßig nur im jeweils nachfolgenden Bewilligungsabschnitt. Eine Bindungswirkung für einen längeren Zeitraum ist nur möglich, wenn dieser Zeitraum in der Bewilligungsentscheidung genannt ist oder sich aus ihr sinngemäß ergibt (vgl. BSG, Urteil vom 16. November 1999, B 1 KR 9/97 R). Auch dies ist im vorliegenden Fall weder von der Klägerin vorgetragen worden noch aus der Verwaltungsakte ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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