Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 15 KR 223/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 56/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 1/10 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Wird erstmals über die endgültige Beitragsfestsetzung entschieden, nachdem zunächst lediglich eine vorläufige Beitragsfestsetzung durch einstweilige Regelung erfolgte, sind Beiträge gerade auch rückwirkend aufgrund nunmehr vorliegender Nachweise einkommensgerecht festzusetzen.
2. Dies gilt auch dann, wenn zeitgleich Einkommensteuerbescheide für verschiedene Jahre vorgelegt werden, bei denen ein Einkommensteuerbescheid im Verhältnis zu dem Einkommensteuerbescheid des Folgejahres noch höhere Einnahmen ausweist.
2. Dies gilt auch dann, wenn zeitgleich Einkommensteuerbescheide für verschiedene Jahre vorgelegt werden, bei denen ein Einkommensteuerbescheid im Verhältnis zu dem Einkommensteuerbescheid des Folgejahres noch höhere Einnahmen ausweist.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichtes Gießen vom 26. Januar 2009 aufgehoben.
Der Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2008 wird insoweit aufgehoben als die Beklagte Krankenversicherungsbeiträge nach höheren täglichen beitragspflichtigen Einnahmen als 1/40 der jeweils geltenden monatlichen Bezugsgröße im Sinne von § 18 SGB IV bei dem Kläger festgesetzt hat.
Die Beklagte hat dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe der für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum 31. März 2008 zu zahlenden Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung.
Der Kläger nahm als Kfz-Meister am 20. Januar 2005 eine selbstständige Tätigkeit auf und erhielt vom 20. Januar 2005 bis zum 17. Juni 2005 Überbrückungsgeld von der Agentur für Arbeit in Höhe von 2.358,00 EUR monatlich. Am 4. April 2005 gab der Kläger eine Erklärung zur Erlangung einer einkommensbezogenen Einstufung ab, in der er Einkünfte aus selbstständiger Arbeit mit ca. 1.300,00 EUR und Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 400,00 EUR monatlich aufführte. Mit Bescheid vom 5. April 2005 stufte die Beklagte den Kläger unter Vorbehalt in die Versicherungsklasse F11 mit einem monatlichen Beitrag von 486,46 EUR ab dem 1. Februar 2005 ein. Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 7. Juli 2005 die Beklagte darauf hingewesen hatte, dass das Überbrückungsgeld am 17. Juni 2005 letztmalig an ihn ausgezahlt worden sei, erfolgte durch die Beklagte mit Bescheid vom 8. Juli 2005 eine erneute Beitragseinstufung unter Vorbehalt ab dem 1. Juli 2005 mit einem monatlichen Beitrag von 249,96 EUR. Sie legte dabei beitragspflichtige Einnahmen in Höhe der für hauptberuflich selbstständig tätige Versicherte geltenden Mindestbeitragsbemessungsgrundlage in Höhe von 1.811,25 EUR zugrunde. In beiden Einstufungsbescheiden führte die Beklagte ergänzend aus, dass Voraussetzung für die einkommensbezogene Einstufung sei, dass die Einkünfte aus der selbstständigen Tätigkeit mit dem letzten Einkommensteuerbescheid nachgewiesen seien. Dieser Nachweis liege noch nicht vor, da der Kläger seine selbstständige Tätigkeit erst vor kurzem aufgenommen habe und noch über keinen Einkommensteuerbescheid verfüge. Die Einstufung erfolge daher unter Vorbehalt. Nach Vorlage einer Kopie des entsprechenden Einkommensteuerbescheides müsse eine Überprüfung der Einstufung erfolgen. Sie weise darauf hin, dass eine Nacherhebung von Beiträgen erfolgen müsse, soweit höhere als der Einstufung zugrunde liegende Einkünfte nachgewiesen würden. Bei niedrigeren Einkünften würden Differenzbeträge erstattet, soweit die Einstufung nicht bereits nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage erfolgt sei. Am 5. März 2008 legten die Steuerberater des Klägers, C./D./E./F., eine Erklärung zur Erlangung einer einkommensbezogenen Einstufung vor, die für das Jahr 2006 einen Verlust in Höhe von 114,86 EUR auswies. Die Vorlage des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2006 vom 26. März 2008 und des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2005 vom 30. Oktober 2007 erfolgte am 28. März 2008. Am 17. April 2008 wurde der Beklagten der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2007 vom 16. April 2008 vorgelegt. Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2005 wies Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 49.937,00 EUR, die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2006 und 2007 jeweils negative Einkünfte aus. Mit Bescheid vom 15. Mai 2008 stellte die Beklagte die Höhe der Krankenversicherungsbeiträge für die Zeit ab dem 1. Juli 2005 mit monatlich 486,46 EUR, ab dem 1. Januar 2006 mit monatlich 491,62 EUR, ab dem 1. Januar 2007 mit monatlich 516,56 EUR und ab dem 1. Januar 2008 mit monatlich 522,00 EUR fest. Sie berücksichtigte dabei monatliche beitragspflichtige Einnahmen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze. Gleichfalls mit Bescheid vom 15. Mai 2008 stellte die Beklagte ab dem 1. April 2008 die Höhe des Krankenversicherungsbeitrages mit einem monatlichen Beitrag von 287,02 EUR unter Berücksichtigung der maßgebenden Mindestbeitragsbemessungsgrundlage fest. Den Widerspruch des Klägers vom 21. Mai 2008, mit dem dieser eine einkommensbezogene Einstufung ab dem 1. Januar 2006 begehrte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2008 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 19. September 2008 Klage zum Sozialgericht Gießen erhoben und zur Begründung vorgetragen, dass die Beklagte unzulässigerweise rückwirkend zu seinen Lasten ein zu hohes Einkommen für die Beitragserhebung herangezogen habe, obwohl zum Zeitpunkt der rückwirkenden Festsetzung positiv bekannt gewesen sei, dass sein Einkommen im fraglichen Zeitraum geringer gewesen sei. Zeitgleich mit der Bekanntgabe seines Einkommens für das Jahr 2005 sei der Beklagten auch das negative Einkommen im Jahr 2006 bekannt gegeben worden. Die Vorgehensweise der Beklagten bei der Beitragsfestsetzung führe zu einer einseitigen finanziellen Doppelbegünstigung der Beklagten, die vom Gesetzgeber ersichtlich so nicht gewollt sei. Die Beklagte hat im Klageverfahren an ihrer Rechtsauffassung, dass eine einkommensbezogene Einstufung bei einem selbstständig tätigen Mitglied erst dann erfolgen könne, wenn dieses einen Nachweis über niedrigere Einnahmen erbringe und diese Einstufung auch dann nur mit Wirkung auf die Zukunft erfolgen könne, festgehalten. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 26. Januar 2009 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass nach § 240 Abs. 4 Satz 5 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) Veränderungen der Beitragsbemessung aufgrund eines vom Versicherten geführten Nachweises nur zum 1. Tag des auf die Vorlage dieses Nachweises folgenden Monats wirksam seien. Nach der Gesetzesbegründung sei Zweck dieser Regelung, Beitragskorrekturen zu Gunsten von Versicherten nur für die Zukunft zuzulassen, um den Krankenkassen verlässliche Einnahmeprognosen zu erlauben. Eine rückwirkende Nachberechnung aufgrund später vorgelegter Steuerbescheide sei lediglich bei der Einstufung für einen hauptberuflich Selbstständigen im Zeitraum zwischen der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit und dem Erlass des ersten Steuerbescheides möglich. Ein solcher Fall liege jedoch nicht vor, da der Steuerbescheid für 2005, anhand dessen der Kläger den Nachweis tatsächlicher Einkünfte hätte führen können, bereits vorgelegen habe.
Gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 26. Januar 2009, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 11. Februar 2009, hat der Kläger am 6. März 2009 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht erhoben. Zur Begründung weist er erneut darauf hin, dass der Einkommensteuerbescheid für 2005 von der Beklagten nur so lange hätte zugrunde gelegt werden dürfen, bis ein neuer Einkommensnachweis vorgelegen habe. Dies sei in Form des zeitgleich vorgelegten Steuerbescheides für 2006 aber genau dann der Fall gewesen, als über die rückwirkende Feststellung von der Beklagten entschieden worden sei. Eine verzögerte Vorlage des Einkommensteuerbescheides von 2005 sei ihm nicht vorzuwerfen. Er habe sich zur Abwicklung der steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Problemstellungen eines Steuerberaters bedient, mit dessen Leistungen er nicht zufrieden gewesen sei, da es bei diesem wegen Arbeitsüberlastung zu Fristversäumnissen gekommen sei, weshalb er auch das Steuerberaterbüro gewechselt habe. Zur Bestätigung seines Vorbringens bezieht sich der Kläger ergänzend auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 11. März 2009, B 12 KR 30/07 R.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 26. Januar 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2008 aufzuheben, soweit die Beklagte Krankenversicherungsbeiträge nach höheren täglichen beitragspflichtigen Einnahmen als 1/40 der jeweils geltenden monatlichen Bezugsgröße im Sinne von § 18 SGB IV festgesetzt hat.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend. Ergänzend weist sie darauf hin, dass der Kläger den Einkommensteuerbescheid von 2005 entgegen seiner Mitwirkungspflicht und dem rechtlichen Hinweis in den vorliegenden Einstufungsbescheiden nicht rechtzeitig bei der Beklagten eingereicht habe. Er habe den Einkommensteuerbescheid von 2005 zeitgleich mit dem für ihn günstigeren Einkommensteuerbescheid für 2006 vorgelegt und damit versucht, einen Vorteil gegenüber den redlichen Versicherten zu erlangen, die ihren Mitwirkungspflichten zeitgerecht nachkommen würden.
Der Senat hat Beweis erhoben durch die Anhörung des Klägers und die Vernehmung der Steuerberater K. und L.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist auch begründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.
Der Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2008 ist rechtswidrig, soweit die Beklagte die Krankenversicherungsbeiträge nach höheren täglichen beitragspflichtigen Einnahmen als 1/40 der jeweils geltenden monatlichen Bezugsgröße im Sinne von § 18 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) in dem Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 31. März 2008 festgesetzt hat.
Für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung ist im Rahmen der im vorliegenden Fall erhobenen Anfechtungsklage regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung im Widerspruchsverfahren durch den Widerspruchsausschuss abzustellen.
Die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder richtet sich seit Inkrafttreten des Gesundheitsreformgesetzes vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I 2477) am 1. Januar 1989 nach § 240 SGB V. Nach § 240 SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 26. März 2007 (BGBl. I 378 mit Wirkung vom 1. April 2007) wird die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder durch die Satzung der Krankenkassen geregelt, Abs. 1 Satz 1, wobei sicherzustellen ist, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit berücksichtigt, Abs. 1 Satz 2. Als beitragspflichtige Einnahmen gelten für freiwillige Mitglieder, die hauptberuflich selbstständig erwerbstätig sind, für den Kalendertag der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 223 SGB V), bei Nachweis niedrigerer Einnahmen jedoch mindestens der vierzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße, § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V. Veränderungen der Beitragsbemessung aufgrund eines vom Versicherten geführten Nachweises nach Satz 2 können nur zum ersten Tag des auf die Vorlage dieses Nachweises folgenden Monats wirksam werden, § 240 Abs. 4 Satz 5 SGB V. Die Satzung der Beklagten in der hier anzuwendenden Fassung verweist in § 15 insoweit auf die Regelungen des SGB.
Die Beklagte hat auf der Grundlage des § 240 Abs. 4 i.V.m. § 15 ihrer Satzung für die Zeit vom 1. Juli 2005 bis zum 31. März 2008 die Beiträge endgültig festgesetzt, vom 1. Januar 2006 bis zum 31. März 2008 die Krankenversicherungsbeiträge des Klägers jedoch zu Unrecht nach Einnahmen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze berechnet.
Die Beklagte war berechtigt, mit Bescheid vom 15. Mai 2008 die Beiträge rückwirkend für den Zeitraum vom 1. Juli 2005 bis zum 31. März 2008 endgültig festzusetzen. Die Bescheide vom 5. April 2005 und vom 8. Juli 2005 setzten die Beitragshöhe lediglich vorläufig durch einstweiligen Verwaltungsakt fest. Den Bescheiden war hinreichend deutlich zu entnehmen ("Einstufungsbescheid für Selbstständige unter Vorbehalt zu Beginn der selbstständigen Tätigkeit"), dass die Regelung der Beitragshöhe nur einstweilig für eine Übergangszeit bis zur Vorlage des die Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit festzusetzenden Einkommensteuerbescheides sowie bis zum Abschluss der dann möglichen umfassenden Sachprüfung erfolgte. Es wurde damit keine das Verwaltungsverfahren über die Beitragseinstufung ab dem 1. Februar 2005 endgültig abschließende Regelung, wenn auch unter dem Vorbehalt des Widerrufs oder der Rücknahme, wie von der Beklagten im Rahmen des Widerspruchsbescheides angenommen, getroffen (st. Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, Urteil vom 16. November 1995, 4 RLw 4/94; Urteil vom 22. März 2006, B 12 KR 14/05 R; Urteil vom 11. März 2009, B 12 KR 30/07 R - juris -).
Der endgültigen Festsetzung ab dem 1. Januar 2006 waren als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag nicht der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 223 SGB V), sondern wegen des Nachweises niedrigerer Einnahmen lediglich der vierzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße zugrunde zu legen. Im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 15. Mai 2008 lagen der Beklagten Nachweise über die Einnahmen des Klägers vor, die ab dem 1. Januar 2006 (negative Einkünfte ausweislich der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2006 und 2007) lediglich die Erhebung von Mindestbeiträgen rechtfertigten. Entgegen der Auffassung der Beklagten führt auch der von dem Kläger zeitgleich mit dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2006 vorgelegte Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2005, der noch entsprechende Einkommen des Klägers aus Gewerbebetrieb auswies, zu keiner anderen Beurteilung.
Wird erstmals über die endgültige Beitragsfestsetzung entschieden, nachdem zunächst lediglich eine vorläufige Beitragsfestsetzung durch einstweilige Regelung erfolgte, sind Beiträge gerade auch rückwirkend aufgrund nunmehr vorliegender Nachweise einkommensgerecht festzusetzen. Dies ergibt sich zunächst aus den Einstufungsbescheiden der Beklagten selbst. Darin hat die Beklagte den Kläger darauf hingewiesen, dass Beiträge nacherhoben werden können, wenn höhere als der Einstufung zugrunde liegende Einkommen zu berücksichtigen sind, bei niedrigeren Einkommen aber auch Differenzbeträge zu erstatten sind, soweit die Einstufung nicht bereits nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage erfolgte. Dies entspricht auch dem Rechtscharakter der einstweiligen Verwaltungsakte, deren Rechtmäßigkeit das Bundessozialgericht bei der erstmaligen Beitragseinstufung bei Existenzgründern gerade im Blick auf einen andernfalls möglicherweise unverhältnismäßigen Grundrechtseingriff durch die fehlende Möglichkeit einer einkommensgerechten Beitragseinstufung bejaht hat (BSG, a.a.O.). Aufgrund des Vorbehalts des Gesetzes sind vorläufige Regelungen – insbesondere bei Eingriffsverwaltungsakten – nur unter engen Voraussetzungen möglich, um das System der §§ 45 ff Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) nicht zu umgehen. Bei vorläufigen Regelungen werden die Rechte und Pflichten aus einem Verwaltungsrechtsverhältnis zunächst nur aufgrund einer mehr oder weniger summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage geregelt. Der Gegenstand der Regelung steht dabei wegen der noch nicht abgeschlossenen Sachverhaltsermittlung unter dem Vorbehalt einer späteren, endgültigen Entscheidung, durch die sich der vorläufige Verwaltungsakt erledigt (BVerwGE, 67, 99; Diering/Timme/Waschull, Sozialgesetzbuch X - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz -, Kommentar, 2. Auflage 2007, § 31 Rdnr. 5, 47 m.w.N.). Zur Ermittlung steht der Behörde ein verwaltungsverfahrensrechtliches Instrumentarium zur Verfügung (vgl. § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB X).
Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich auch eine Berücksichtigung der Einkommensteuerbescheide aus den Jahren 2006 und 2007 erst ab dem 1. April 2008 nicht aus § 240 Abs. 4 Satz 5 SGB V entnehmen. Danach können Veränderungen der Beitragsbemessung aufgrund eines vom Versicherten geführten Nachweises nach Satz 2 nur zum 1. Tag des auf die Vorlage dieses Nachweises folgenden Monats wirksam werden. Der Nachweis geringerer Einkünfte führt zur Beitragsänderung nur mit Wirkung für die Zukunft und wirkt sich lediglich zeitverzögert aus. Dadurch sollen Beitragskorrekturen für die Vergangenheit aufgrund der Vorlage eines Steuerbescheides vermieden werden, weil die Krankenkassen ansonsten die Einnahmen nicht verlässlich schätzen können (BT-Drucksache 12/3937). Nach der Auffassung des Senats erfasst diese Regelung jedoch nicht den Fall der erstmaligen endgültigen Feststellung der Beitragshöhe eines hauptberuflich Selbstständigen, bei dem zu Beginn der selbstständigen Tätigkeit vorläufig Mindestbeiträge festgesetzt wurden und nunmehr für die Vergangenheit die vorläufige Regelung durch eine endgültige Beitragsfeststellung ersetzt wird. Eine verlässliche Einkommensschätzung durch die Krankenkassen ist in diesen Fällen gerade nicht möglich (vgl. BSG, a.a.O.; Landessozialgericht Nordrhein–Westfalen, Urteil vom 27. August 2009, L 5 KR 51/09 - juris -). Der Vorschrift des § 240 Abs. 4 Satz 5 SGB V ist zudem kein Strafcharakter zu entnehmen.
Soweit die Beklagte vorträgt, dass der Kläger den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2005, der vom 30. Oktober 2007 datiert, bewusst zurückgehalten habe, um eine günstigere Beitragseinstufung zu erreichen und dadurch Manipulationsmöglichkeiten eröffnet würden, kann dies von dem Senat nicht nachvollzogen werden.
Hierbei stützt sich der Senat auf die Anhörung des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 12. November 2009 und auf die Einvernahme der Zeugen L. und K. Nach den glaubwürdigen Angaben des Klägers und den von ihm vorgelegten Unterlagen stand in der streitgegenständlichen Zeit die korrekte Anschrift des Klägers nicht zur Verfügung. Im Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass die von dem Kläger über sein Einkommen zur Verfügung gestellten Unterlagen unstreitig den tatsächlichen Gegebenheiten entsprachen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Revision ist zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung i. S. von § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat.
Der Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2008 wird insoweit aufgehoben als die Beklagte Krankenversicherungsbeiträge nach höheren täglichen beitragspflichtigen Einnahmen als 1/40 der jeweils geltenden monatlichen Bezugsgröße im Sinne von § 18 SGB IV bei dem Kläger festgesetzt hat.
Die Beklagte hat dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe der für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum 31. März 2008 zu zahlenden Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung.
Der Kläger nahm als Kfz-Meister am 20. Januar 2005 eine selbstständige Tätigkeit auf und erhielt vom 20. Januar 2005 bis zum 17. Juni 2005 Überbrückungsgeld von der Agentur für Arbeit in Höhe von 2.358,00 EUR monatlich. Am 4. April 2005 gab der Kläger eine Erklärung zur Erlangung einer einkommensbezogenen Einstufung ab, in der er Einkünfte aus selbstständiger Arbeit mit ca. 1.300,00 EUR und Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 400,00 EUR monatlich aufführte. Mit Bescheid vom 5. April 2005 stufte die Beklagte den Kläger unter Vorbehalt in die Versicherungsklasse F11 mit einem monatlichen Beitrag von 486,46 EUR ab dem 1. Februar 2005 ein. Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 7. Juli 2005 die Beklagte darauf hingewesen hatte, dass das Überbrückungsgeld am 17. Juni 2005 letztmalig an ihn ausgezahlt worden sei, erfolgte durch die Beklagte mit Bescheid vom 8. Juli 2005 eine erneute Beitragseinstufung unter Vorbehalt ab dem 1. Juli 2005 mit einem monatlichen Beitrag von 249,96 EUR. Sie legte dabei beitragspflichtige Einnahmen in Höhe der für hauptberuflich selbstständig tätige Versicherte geltenden Mindestbeitragsbemessungsgrundlage in Höhe von 1.811,25 EUR zugrunde. In beiden Einstufungsbescheiden führte die Beklagte ergänzend aus, dass Voraussetzung für die einkommensbezogene Einstufung sei, dass die Einkünfte aus der selbstständigen Tätigkeit mit dem letzten Einkommensteuerbescheid nachgewiesen seien. Dieser Nachweis liege noch nicht vor, da der Kläger seine selbstständige Tätigkeit erst vor kurzem aufgenommen habe und noch über keinen Einkommensteuerbescheid verfüge. Die Einstufung erfolge daher unter Vorbehalt. Nach Vorlage einer Kopie des entsprechenden Einkommensteuerbescheides müsse eine Überprüfung der Einstufung erfolgen. Sie weise darauf hin, dass eine Nacherhebung von Beiträgen erfolgen müsse, soweit höhere als der Einstufung zugrunde liegende Einkünfte nachgewiesen würden. Bei niedrigeren Einkünften würden Differenzbeträge erstattet, soweit die Einstufung nicht bereits nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage erfolgt sei. Am 5. März 2008 legten die Steuerberater des Klägers, C./D./E./F., eine Erklärung zur Erlangung einer einkommensbezogenen Einstufung vor, die für das Jahr 2006 einen Verlust in Höhe von 114,86 EUR auswies. Die Vorlage des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2006 vom 26. März 2008 und des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2005 vom 30. Oktober 2007 erfolgte am 28. März 2008. Am 17. April 2008 wurde der Beklagten der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2007 vom 16. April 2008 vorgelegt. Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2005 wies Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 49.937,00 EUR, die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2006 und 2007 jeweils negative Einkünfte aus. Mit Bescheid vom 15. Mai 2008 stellte die Beklagte die Höhe der Krankenversicherungsbeiträge für die Zeit ab dem 1. Juli 2005 mit monatlich 486,46 EUR, ab dem 1. Januar 2006 mit monatlich 491,62 EUR, ab dem 1. Januar 2007 mit monatlich 516,56 EUR und ab dem 1. Januar 2008 mit monatlich 522,00 EUR fest. Sie berücksichtigte dabei monatliche beitragspflichtige Einnahmen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze. Gleichfalls mit Bescheid vom 15. Mai 2008 stellte die Beklagte ab dem 1. April 2008 die Höhe des Krankenversicherungsbeitrages mit einem monatlichen Beitrag von 287,02 EUR unter Berücksichtigung der maßgebenden Mindestbeitragsbemessungsgrundlage fest. Den Widerspruch des Klägers vom 21. Mai 2008, mit dem dieser eine einkommensbezogene Einstufung ab dem 1. Januar 2006 begehrte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2008 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 19. September 2008 Klage zum Sozialgericht Gießen erhoben und zur Begründung vorgetragen, dass die Beklagte unzulässigerweise rückwirkend zu seinen Lasten ein zu hohes Einkommen für die Beitragserhebung herangezogen habe, obwohl zum Zeitpunkt der rückwirkenden Festsetzung positiv bekannt gewesen sei, dass sein Einkommen im fraglichen Zeitraum geringer gewesen sei. Zeitgleich mit der Bekanntgabe seines Einkommens für das Jahr 2005 sei der Beklagten auch das negative Einkommen im Jahr 2006 bekannt gegeben worden. Die Vorgehensweise der Beklagten bei der Beitragsfestsetzung führe zu einer einseitigen finanziellen Doppelbegünstigung der Beklagten, die vom Gesetzgeber ersichtlich so nicht gewollt sei. Die Beklagte hat im Klageverfahren an ihrer Rechtsauffassung, dass eine einkommensbezogene Einstufung bei einem selbstständig tätigen Mitglied erst dann erfolgen könne, wenn dieses einen Nachweis über niedrigere Einnahmen erbringe und diese Einstufung auch dann nur mit Wirkung auf die Zukunft erfolgen könne, festgehalten. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 26. Januar 2009 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass nach § 240 Abs. 4 Satz 5 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) Veränderungen der Beitragsbemessung aufgrund eines vom Versicherten geführten Nachweises nur zum 1. Tag des auf die Vorlage dieses Nachweises folgenden Monats wirksam seien. Nach der Gesetzesbegründung sei Zweck dieser Regelung, Beitragskorrekturen zu Gunsten von Versicherten nur für die Zukunft zuzulassen, um den Krankenkassen verlässliche Einnahmeprognosen zu erlauben. Eine rückwirkende Nachberechnung aufgrund später vorgelegter Steuerbescheide sei lediglich bei der Einstufung für einen hauptberuflich Selbstständigen im Zeitraum zwischen der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit und dem Erlass des ersten Steuerbescheides möglich. Ein solcher Fall liege jedoch nicht vor, da der Steuerbescheid für 2005, anhand dessen der Kläger den Nachweis tatsächlicher Einkünfte hätte führen können, bereits vorgelegen habe.
Gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 26. Januar 2009, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 11. Februar 2009, hat der Kläger am 6. März 2009 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht erhoben. Zur Begründung weist er erneut darauf hin, dass der Einkommensteuerbescheid für 2005 von der Beklagten nur so lange hätte zugrunde gelegt werden dürfen, bis ein neuer Einkommensnachweis vorgelegen habe. Dies sei in Form des zeitgleich vorgelegten Steuerbescheides für 2006 aber genau dann der Fall gewesen, als über die rückwirkende Feststellung von der Beklagten entschieden worden sei. Eine verzögerte Vorlage des Einkommensteuerbescheides von 2005 sei ihm nicht vorzuwerfen. Er habe sich zur Abwicklung der steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Problemstellungen eines Steuerberaters bedient, mit dessen Leistungen er nicht zufrieden gewesen sei, da es bei diesem wegen Arbeitsüberlastung zu Fristversäumnissen gekommen sei, weshalb er auch das Steuerberaterbüro gewechselt habe. Zur Bestätigung seines Vorbringens bezieht sich der Kläger ergänzend auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 11. März 2009, B 12 KR 30/07 R.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 26. Januar 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2008 aufzuheben, soweit die Beklagte Krankenversicherungsbeiträge nach höheren täglichen beitragspflichtigen Einnahmen als 1/40 der jeweils geltenden monatlichen Bezugsgröße im Sinne von § 18 SGB IV festgesetzt hat.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend. Ergänzend weist sie darauf hin, dass der Kläger den Einkommensteuerbescheid von 2005 entgegen seiner Mitwirkungspflicht und dem rechtlichen Hinweis in den vorliegenden Einstufungsbescheiden nicht rechtzeitig bei der Beklagten eingereicht habe. Er habe den Einkommensteuerbescheid von 2005 zeitgleich mit dem für ihn günstigeren Einkommensteuerbescheid für 2006 vorgelegt und damit versucht, einen Vorteil gegenüber den redlichen Versicherten zu erlangen, die ihren Mitwirkungspflichten zeitgerecht nachkommen würden.
Der Senat hat Beweis erhoben durch die Anhörung des Klägers und die Vernehmung der Steuerberater K. und L.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist auch begründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.
Der Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2008 ist rechtswidrig, soweit die Beklagte die Krankenversicherungsbeiträge nach höheren täglichen beitragspflichtigen Einnahmen als 1/40 der jeweils geltenden monatlichen Bezugsgröße im Sinne von § 18 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) in dem Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 31. März 2008 festgesetzt hat.
Für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung ist im Rahmen der im vorliegenden Fall erhobenen Anfechtungsklage regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung im Widerspruchsverfahren durch den Widerspruchsausschuss abzustellen.
Die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder richtet sich seit Inkrafttreten des Gesundheitsreformgesetzes vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I 2477) am 1. Januar 1989 nach § 240 SGB V. Nach § 240 SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 26. März 2007 (BGBl. I 378 mit Wirkung vom 1. April 2007) wird die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder durch die Satzung der Krankenkassen geregelt, Abs. 1 Satz 1, wobei sicherzustellen ist, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit berücksichtigt, Abs. 1 Satz 2. Als beitragspflichtige Einnahmen gelten für freiwillige Mitglieder, die hauptberuflich selbstständig erwerbstätig sind, für den Kalendertag der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 223 SGB V), bei Nachweis niedrigerer Einnahmen jedoch mindestens der vierzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße, § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V. Veränderungen der Beitragsbemessung aufgrund eines vom Versicherten geführten Nachweises nach Satz 2 können nur zum ersten Tag des auf die Vorlage dieses Nachweises folgenden Monats wirksam werden, § 240 Abs. 4 Satz 5 SGB V. Die Satzung der Beklagten in der hier anzuwendenden Fassung verweist in § 15 insoweit auf die Regelungen des SGB.
Die Beklagte hat auf der Grundlage des § 240 Abs. 4 i.V.m. § 15 ihrer Satzung für die Zeit vom 1. Juli 2005 bis zum 31. März 2008 die Beiträge endgültig festgesetzt, vom 1. Januar 2006 bis zum 31. März 2008 die Krankenversicherungsbeiträge des Klägers jedoch zu Unrecht nach Einnahmen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze berechnet.
Die Beklagte war berechtigt, mit Bescheid vom 15. Mai 2008 die Beiträge rückwirkend für den Zeitraum vom 1. Juli 2005 bis zum 31. März 2008 endgültig festzusetzen. Die Bescheide vom 5. April 2005 und vom 8. Juli 2005 setzten die Beitragshöhe lediglich vorläufig durch einstweiligen Verwaltungsakt fest. Den Bescheiden war hinreichend deutlich zu entnehmen ("Einstufungsbescheid für Selbstständige unter Vorbehalt zu Beginn der selbstständigen Tätigkeit"), dass die Regelung der Beitragshöhe nur einstweilig für eine Übergangszeit bis zur Vorlage des die Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit festzusetzenden Einkommensteuerbescheides sowie bis zum Abschluss der dann möglichen umfassenden Sachprüfung erfolgte. Es wurde damit keine das Verwaltungsverfahren über die Beitragseinstufung ab dem 1. Februar 2005 endgültig abschließende Regelung, wenn auch unter dem Vorbehalt des Widerrufs oder der Rücknahme, wie von der Beklagten im Rahmen des Widerspruchsbescheides angenommen, getroffen (st. Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, Urteil vom 16. November 1995, 4 RLw 4/94; Urteil vom 22. März 2006, B 12 KR 14/05 R; Urteil vom 11. März 2009, B 12 KR 30/07 R - juris -).
Der endgültigen Festsetzung ab dem 1. Januar 2006 waren als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag nicht der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 223 SGB V), sondern wegen des Nachweises niedrigerer Einnahmen lediglich der vierzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße zugrunde zu legen. Im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 15. Mai 2008 lagen der Beklagten Nachweise über die Einnahmen des Klägers vor, die ab dem 1. Januar 2006 (negative Einkünfte ausweislich der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2006 und 2007) lediglich die Erhebung von Mindestbeiträgen rechtfertigten. Entgegen der Auffassung der Beklagten führt auch der von dem Kläger zeitgleich mit dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2006 vorgelegte Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2005, der noch entsprechende Einkommen des Klägers aus Gewerbebetrieb auswies, zu keiner anderen Beurteilung.
Wird erstmals über die endgültige Beitragsfestsetzung entschieden, nachdem zunächst lediglich eine vorläufige Beitragsfestsetzung durch einstweilige Regelung erfolgte, sind Beiträge gerade auch rückwirkend aufgrund nunmehr vorliegender Nachweise einkommensgerecht festzusetzen. Dies ergibt sich zunächst aus den Einstufungsbescheiden der Beklagten selbst. Darin hat die Beklagte den Kläger darauf hingewiesen, dass Beiträge nacherhoben werden können, wenn höhere als der Einstufung zugrunde liegende Einkommen zu berücksichtigen sind, bei niedrigeren Einkommen aber auch Differenzbeträge zu erstatten sind, soweit die Einstufung nicht bereits nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage erfolgte. Dies entspricht auch dem Rechtscharakter der einstweiligen Verwaltungsakte, deren Rechtmäßigkeit das Bundessozialgericht bei der erstmaligen Beitragseinstufung bei Existenzgründern gerade im Blick auf einen andernfalls möglicherweise unverhältnismäßigen Grundrechtseingriff durch die fehlende Möglichkeit einer einkommensgerechten Beitragseinstufung bejaht hat (BSG, a.a.O.). Aufgrund des Vorbehalts des Gesetzes sind vorläufige Regelungen – insbesondere bei Eingriffsverwaltungsakten – nur unter engen Voraussetzungen möglich, um das System der §§ 45 ff Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) nicht zu umgehen. Bei vorläufigen Regelungen werden die Rechte und Pflichten aus einem Verwaltungsrechtsverhältnis zunächst nur aufgrund einer mehr oder weniger summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage geregelt. Der Gegenstand der Regelung steht dabei wegen der noch nicht abgeschlossenen Sachverhaltsermittlung unter dem Vorbehalt einer späteren, endgültigen Entscheidung, durch die sich der vorläufige Verwaltungsakt erledigt (BVerwGE, 67, 99; Diering/Timme/Waschull, Sozialgesetzbuch X - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz -, Kommentar, 2. Auflage 2007, § 31 Rdnr. 5, 47 m.w.N.). Zur Ermittlung steht der Behörde ein verwaltungsverfahrensrechtliches Instrumentarium zur Verfügung (vgl. § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB X).
Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich auch eine Berücksichtigung der Einkommensteuerbescheide aus den Jahren 2006 und 2007 erst ab dem 1. April 2008 nicht aus § 240 Abs. 4 Satz 5 SGB V entnehmen. Danach können Veränderungen der Beitragsbemessung aufgrund eines vom Versicherten geführten Nachweises nach Satz 2 nur zum 1. Tag des auf die Vorlage dieses Nachweises folgenden Monats wirksam werden. Der Nachweis geringerer Einkünfte führt zur Beitragsänderung nur mit Wirkung für die Zukunft und wirkt sich lediglich zeitverzögert aus. Dadurch sollen Beitragskorrekturen für die Vergangenheit aufgrund der Vorlage eines Steuerbescheides vermieden werden, weil die Krankenkassen ansonsten die Einnahmen nicht verlässlich schätzen können (BT-Drucksache 12/3937). Nach der Auffassung des Senats erfasst diese Regelung jedoch nicht den Fall der erstmaligen endgültigen Feststellung der Beitragshöhe eines hauptberuflich Selbstständigen, bei dem zu Beginn der selbstständigen Tätigkeit vorläufig Mindestbeiträge festgesetzt wurden und nunmehr für die Vergangenheit die vorläufige Regelung durch eine endgültige Beitragsfeststellung ersetzt wird. Eine verlässliche Einkommensschätzung durch die Krankenkassen ist in diesen Fällen gerade nicht möglich (vgl. BSG, a.a.O.; Landessozialgericht Nordrhein–Westfalen, Urteil vom 27. August 2009, L 5 KR 51/09 - juris -). Der Vorschrift des § 240 Abs. 4 Satz 5 SGB V ist zudem kein Strafcharakter zu entnehmen.
Soweit die Beklagte vorträgt, dass der Kläger den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2005, der vom 30. Oktober 2007 datiert, bewusst zurückgehalten habe, um eine günstigere Beitragseinstufung zu erreichen und dadurch Manipulationsmöglichkeiten eröffnet würden, kann dies von dem Senat nicht nachvollzogen werden.
Hierbei stützt sich der Senat auf die Anhörung des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 12. November 2009 und auf die Einvernahme der Zeugen L. und K. Nach den glaubwürdigen Angaben des Klägers und den von ihm vorgelegten Unterlagen stand in der streitgegenständlichen Zeit die korrekte Anschrift des Klägers nicht zur Verfügung. Im Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass die von dem Kläger über sein Einkommen zur Verfügung gestellten Unterlagen unstreitig den tatsächlichen Gegebenheiten entsprachen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Revision ist zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung i. S. von § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat.
Rechtskraft
Aus
Login
HES
Saved