L 4 KA 38/08

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 123/07
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 38/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 42/09 B
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 20. Februar 2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Ausschreibung eines Vertragsarztsitzes und Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens nach § 103 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) – Gesetzliche Krankenversicherung.

Die 1949 geborene Klägerin ist approbierte psychologische Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin. Sie war seit 25. November 1999 bis 31. Dezember 2006 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

Mit Schreiben vom 22. September 2003 teilte die Beklagte der Klägerin mit, bei einer Überprüfung sei festgestellt worden, dass sie über einen längeren Zeitraum keine Abrechnung eingereicht habe. Die Klägerin erklärte hierzu, ein Antrag auf Ruhen der Zulassung sei nicht erforderlich, da sie im Quartal IV/02 und I/03 gearbeitet habe. Sie wies auf entsprechende Abschlagszahlungen hin. Sie setze ihre Arbeit auch fort, könne aber krankheitsbedingt nur eingeschränkt arbeiten. Ende September habe sie für das vierte Quartal 2003 neue Termine vereinbart, die sie danach mit in die Abrechnung einbeziehen wolle, welche sie bis zum 15. Dezember des Jahres einzureichen beabsichtige. Mit Schreiben vom 12. Februar 2004 wies die Beklagte die Klägerin erneut daraufhin, dass eine Abrechnung nicht eingegangen sei. Sie kündigte an, sollte für das Quartal I/04 wiederum keine Abrechnung eingehen, werde sie einen Antrag auf Entziehung der Zulassung wegen Nichtausübung der Tätigkeit beim Zulassungsausschuss einreichen. Am 30. April 2004 beantragte die Klägerin das Ruhen der Zulassung ab dem 1. Januar 2004 bis vorsorglich 30. Juni 2004. Sie habe sich am 25. April 2004 in stationäre, klinische Behandlung wegen einer konservativen Behandlung der Wirbelsäule begeben.

Der Zulassungsausschuss/Psychotherapie bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen stellte mit Beschluss vom 17. Juni 2004 das Ruhen der Zulassung der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis 30. Juni 2004 fest. Unter Hinweis auf ihre anhaltende Krankheit beantragte die Klägerin die Verlängerung des Ruhens der Zulassung. Dies stellte der Zulassungsausschuss mit Beschluss vom 23. September 2004 - befristet bis 10. Januar 2005 - fest. Telefonisch kündigte die Klägerin am 6. Januar 2005 einen Verlängerungsantrag hinsichtlich des Ruhens der Zulassung an. Sie erklärte, sie liege wegen eines Unfalls in der Klinik und können nicht schreiben. Sie reichte hierzu eine ärztliche Bescheinigung ein. Unter Datum vom 30. November 2005 teilte die Klägerin mit, im Mai 2005 habe sie bisherige Patienten behandelt. Eine Praxis mit zirka 15 bis 20 Stunden pro Woche könne sie aufgrund ihrer Erkrankung nicht aufnehmen. Wegen eines bevorstehenden Umzugs könne sie neue Patienten gegenwärtig nicht aufnehmen.

Mit Schreiben vom 5. Januar 2006 beantragte die Beklagte die Entziehung der Zulassung. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, eine erneute Überprüfung der Abrechnung habe ergeben, dass die Klägerin nachweislich seit dem zweiten Quartal 2004 keine Abrechnungen eingereicht habe. Das Ruhen sei seit dem 10. Januar 2005 nicht mehr verlängert worden und eine baldige Aufnahme der psychotherapeutischen Tätigkeit sei nicht erkennbar. Es liege eine Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit vor.

Der Zulassungsausschuss/Psychotherapie stellte mit Beschluss vom 16. März 2006 das Ruhen der Zulassung bis zum 30. Juni 2006 fest. Ferner machte er der Klägerin die Auflage, nach Ablauf des Ruhens ein amtsärztliches Gutachten vorzulegen, aus dem ihre gesundheitliche Eignung zur Ausübung psychotherapeutischer Tätigkeit hervorgehe. Den Antrag auf Entziehung der Zulassung lehnte er ab. Mit Beschluss vom 21. September 2006 entzog der Zulassungsausschuss der Klägerin die Zulassung für den Vertragspsychotherapeutensitz D-Stadt, D-Weg wegen Nichtausübung der vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit. Zur Begründung führte er aus, nachdem die Klägerin die vertragspsychotherapeutische Tätigkeit am 1. Juli 2006 nicht aufgenommen habe, dem Zulassungsausschuss das amtsärztlichen Gutachten nicht vorgelegen habe, damit er beurteilen könne, inwieweit die gesundheitlichen Beschwerden der Klägerin die Ausübung psychotherapeutischer Tätigkeit erlaubten, habe er über die Entziehung der Zulassung beschließen müssen. Gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses legte die Klägerin am 26. Oktober 2006 Widerspruch ein, welchen der Berufungsausschuss mit Beschluss vom 5. Juli 2007 zurückwies. Hiergegen erhob die Klägerin am 1. November 2007 Klage zum Sozialgericht Marburg (S 12 KA 456/07); das Verfahren wurde vergleichsweise erledigt. In dem Vergleich kamen die Klägerin und der Berufungsausschuss überein, dass die Zulassung bis 31. Dezember 2006 ruhte und sodann endete.

Die Klägerin beantragte bei der Beklagten am 26. Oktober 2006 die Ausschreibung des Psychotherapeutensitzes gemäß § 103 Abs. 4 SGB V. Mit Bescheid vom 19. Oktober 2006 lehnte die Beklagte die Ausschreibung ab, weil es an einer fortführungsfähigen Praxis fehle. Hiergegen legte die Klägerin am 8. Januar 2007 Widerspruch ein. Sie führte aus, der Beklagten sei ihr Krankheitszustand bekannt. Das Amtsgericht habe aufgrund eines fachärztlichen Gutachtens am 20. Dezember 2006 eine Betreuung eingerichtet. Wer als Vertragspsychotherapeutin krankheitsbedingt außer Stande sei, die Praxis fortzuführen, könne dadurch den Vertragsarztsitz nicht verlieren, dies würde eine Diskriminierung aufgrund der Behinderung darstellen. Man könne ihr auch nicht zum Vorwurf machen, dass sie nach Ablauf der Ruhenszeit nicht ein amtsärztliches Gutachten vorgelegt habe. Sie sei seinerzeit gar nicht in der Lage gewesen, ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der Weise zu gestalten und wahrzunehmen, wie dies der Beklagten erforderlich erscheine. Sie habe den Mitbesitz an den Praxisräumen krankheitsbedingt verloren. Die Dauer des Nachbesetzungsverfahrens könne nicht zulasten des übergebenden Arztes gehen. Sie habe in den Jahren 2004 und 2005 nicht erkennen können, dass sich die Erkrankung länger hinziehen werde. Noch nicht einmal Mitte 2006 sei bei ihr die Fähigkeit vorhanden gewesen, das Ausmaß der Erkrankung zu kennen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. März 2007 wies die Beklagte den Widerspruch gegen die Ablehnung des Antrags auf Ausschreibung des Vertragsarztsitzes als unbegründet zurück. Hiergegen hat die Klägerin am 17. April 2007 Klage zum Sozialgericht Marburg erhoben. Ergänzend zu ihrem Vorbringen im Verwaltungsverfahren hat sie vorgetragen, der Zulassungsausschuss sei nicht befugt gewesen, die Zulassung zu entziehen, da ein Antrag der Beklagten gefehlt habe. Da eine Erkrankung weiterbestanden habe, habe die Entziehung der Zulassung wegen des Fehlens des amtsärztlichen Gutachtens nicht erfolgen dürfen. Sie sei im Jahre 2005 und 2006 aufgrund der verschiedenen Erkrankungen in eine finanzielle Notlage geraten, so dass sie Sozialhilfeleistungen habe in Anspruch nehmen müssen. Das im Betreuungsverfahren eingeholten Gutachten bestätige, dass es sich um einen schleichenden Prozess gehandelt habe, der von ihr nur sehr bedingt beherrscht oder bewältigt habe werden können. Sie habe aus finanziellen Gründen, ohne eigenes Verschulden, ihre Wohnung verloren. Wegen der Erkrankung sei es zu einer Schuldenspirale bekommen. Das Ruhen des Vertragsarztsitzes beinhalte gerade, dass der betroffene Inhaber diesen ausschreiben könne. Dies entspreche auch einer ständigen Praxis der Beklagten. Der Gesetzgeber wolle den Wert der Praxis schützen. Sie habe ihren Sitz gegebenenfalls örtlich verlegen dürfen.

Mit Urteil vom 20. Februar 2008 hat das Sozialgericht Marburg die Beklagte zur Ausschreibung des Vertragsarztsitzes und Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens verurteilt.

Gegen das ihr am 19. März 2008 zugestellte Urteil des Sozialgerichts richtet sich die am 10. April 2008 eingelegte Berufung der Beklagten.

Sie trägt vor, soweit das Sozialgericht sie zur Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens verpflichtet habe, sei dies für sie rechtlich unmöglich, da hierfür alleine der Zulassungsausschuss zuständig sei. Darüber hinaus habe die Klägerin keinen Anspruch auf die Ausschreibung des Vertragsarztsitzes, da diese eine fortführungsfähige Praxis voraussetze, andernfalls nur eine leere Hülse, nämlich nur die behördliche Erlaubnis - die Zulassung - verkauft werde. Die Zulassung der Klägerin habe ab dem 1. Januar 2004 geruht, sie verfüge über keinen Patientenstamm mehr und ihre Praxisräume seien zwangsgeräumt worden. Bereits vor dem Beginn des Ruhens habe sie eine psychotherapeutische Tätigkeit nicht mehr ausgeübt. Für die Zeit vom vierten Quartal 2002 bis zum vierten Quartal 2003 hätten ebenfalls keine Abrechnungen vorgelegen. Das letzte Abrechnungsquartal mit nur vier Abrechnungsfällen sei das dritte Quartal 2002 gewesen.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 20. Februar 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin trägt vor, die Verurteilung der Beklagten durch das Sozialgericht zur Durchführung das Nachbesetzungsverfahrens sei nicht rechtlich unmöglich, da der Tenor des Urteils einerseits auf die Ausschreibung des Vertragsarztsitzes und andererseits auf die Erstellung einer Liste der eingehenden Bewerbungen im Sinne von § 103 Abs. 4 S. 1 SGB V gerichtet sei. Darüber hinaus gehe der Einwand der Beklagten, eine ausschreibungsfähige Praxis bestehe nicht mehr, ins Leere, da ein Praxisinhaber keine Leistungen erbringen könne, so lange eine Praxis ruhe.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 20. Februar 2008 war aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Bescheid der Beklagten vom 19. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. März 2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Ausschreibung des Vertragsarztsitzes gem. § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V.

Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Ausschreibung eines Vertragsarztsitzes zur Nachbesetzung ist die Regelung des § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V, die im Zusammenhang mit den Regelungen über die versorgungsgradabhängige Bedarfsplanung mit örtlichen Zulassungssperren getroffen wurde. Sind danach – wie hier - für eine Arztgruppe in einem Planungsbereich Zulassungsbeschränkungen wegen Überversorgung angeordnet worden (§ 103 Abs. 1 und 2 SGB V), kann dort grundsätzlich kein Arzt mehr zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werden. Eine Ausnahme hiervon lässt das Gesetz zu, wenn die Zulassung eines Vertragsarztes – durch Erreichen der Altersgrenze, Tod, Verzicht oder Entziehung – endet. Auf Antrag des ausscheidenden Vertragsarztes bzw. seiner zur Verfügung über die Praxis berechtigten Erben hat die Kassenärztliche Vereinigung diesen Vertragsarztsitz in den für ihre amtlichen Bekanntmachungen vorgeschriebenen Blättern unverzüglich auszuschreiben und eine Liste der eingehenden Bewerbungen zu erstellen.

Ziel der Ausschreibung und Nachbesetzung ist – wie sich bereits aus dem Wortlaut von § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V ergibt - die Fortführung der Praxis. Deshalb können – im Falle einer Einzelpraxis – Ausschreibung und Nachbesetzung nur so lange erfolgen, als ein Praxissubstrat noch vorhanden ist (BSG, Urteil vom 28. November 2007 – B 6 KA 26/07 RBSGE 99, 218 ff., zitiert nach juris Rdnr. 19). Dabei ist in der Rechtsprechung des BSG geklärt, dass aus der Verpflichtung des Zulassungsausschusses zur Auswahl unter mehreren fortführungswilligen Bewerbern nach pflichtgemäßen Ermessen (§ 103 Abs. 4 Satz 3 SGB V), nicht abgeleitet werden kann, die Praxisfortführung spiele lediglich auf der Ebene der Auswahlentscheidung seitens des Zulassungsausschusses eine Rolle. Vielmehr ist nach dieser Rechtsprechung – der sich der Senat anschließt – auch ein Vertragsarztsitz nicht auszuschreiben, sofern der Tatbestand einer Praxisfortführung im Sinne des § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V nicht erfüllt ist (BSG, Urteil vom 29. September 1999 – B 6 KA 1/99 RBSGE 85, 1 ff., zitiert nach juris Rdnr. 37, 41; Urteil vom 28. November 2007 – B 6 KA 26/07 RBSGE 99, 218 ff, zitiert nach juris LS 1; ebenso Flint in: Hauck/Noftz SGB V, Stand VI/07, K § 103 Rdnr. 34; differenzierend für die Fälle des Ruhens Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, § 103 Rdnr. 52 ff.). Insofern steht der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung auch ein Prüfungsrecht zu.

Eine Praxis kann im Sinne des § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V nur dann von einem Nachfolger fortgeführt werden, wenn der ausscheidende Vertragsarzt tatsächlich unter einer bestimmten Anschrift (Ort der Niederlassung, Vertragsarztsitz (vgl. § 24 Abs. 1 Ärtze-ZV)) in nennenswertem Umfang (noch) vertragsärztlich tätig gewesen ist. Das setzt den Besitz von Praxisräumen, die Ankündigung von Sprechzeiten, die tatsächliche Entfaltung einer ärztlichen Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen sowie das Bestehen der für die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit im jeweiligen Fachgebiet erforderlichen Praxisinfrastruktur in apparativ-technischer Hinsicht voraus. Fehlt es an all dem, wird eine ärztliche Praxis nicht betrieben, die nach § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V von einem Nachfolger fortgeführt werden könnte (BSG, Urteil vom 29. September 1999 – B 6 KA 1/99 RBSGE 85, 1 ff., zitiert nach juris Rdnr. 40; vgl. auch Urteil vom 10. Mai 2000 – B 6 KA 67/98 RBSGE 86, 121 ff., zitiert nach juris Rdnr. 18).

Eine fortführungsfähige Praxis in diesem Sinne fehlt, denn die Klägerin hat keine Praxis mehr betrieben und verfügte nicht mehr über Praxisräume. Aus ihren früheren Räumen wurde sie – nach eigenem Vorbringen – zwangsgeräumt, da sie - krankheitsbedingt – in wirtschaftliche Schwierigkeiten gekommen war. Auch ein Patientenstamm ist nicht mehr vorhanden. In ihrem Schreiben vom 30. November 2005, mit dem die Klägerin eine Verlängerung des Ruhens der Zulassung beantragt hatte, führte sie aus, dass sie im Mai 2005 bisherige Patienten behandelt habe (ohne dass dies zur Abrechnung gebracht wurde), eine Praxistätigkeit von 15 bis 20 Stunden in der Woche könne sie jedoch nicht leisten, da sie diese Vielzahl von neuen Patienten krankheitsbedingt nicht aufnehmen könne. Daraus folgt, dass ein Patientenstamm, der eine 15- bis 20-stündige Praxistätigkeit erlaubt hätte, bereits damals nicht (mehr) vorhanden war. Nachdem die vertragsärztliche Tätigkeit der Klägerin bereits seit 1. Januar 2004 geruht hatte und bereits vor dem Ruhen keine Abrechnungen bzw. nur Abrechnungen mit einer überaus geringen Fallzahl (3 Fälle im 2. Quartal 2002, 4 Fälle im 3. Quartal 2002) erstellt wurden, ist davon auszugehen, dass aufgrund des fortdauernden Ruhens der Zulassung bis zum 30. Dezember 2006 ein Patientenstamm nicht erhalten werden konnte, weil das Ruhen nicht nur zum Stillstand der Praxis führt, sondern auch zur Abwanderung des Patientenstamms (vgl. Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, § 103 Rdnr. 55). Die Klägerin hat auch nichts Gegenteiliges vorgetragen.

Zutreffend hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass während des Ruhens der Zulassung der Vertragsarzt/Psychotherapeut von seinen vertragsärztlichen Rechten und Pflichten entbunden ist, also weder zur Ausübung einer vertragsärztlichen Tätigkeit berechtigt ist, noch eine solche Tätigkeit zulässig ist. Ob ein Ruhenszeitraum von bis zu sechs Monaten in diesem Zusammenhang als unschädlich für den Bestand einer Praxis angesehen werden kann, wie es im Schrifttum unter Hinweis auf § 32 Abs. 1 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) teilweise vertreten wird (so z. B. Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, § 103 Rdnr. 55), bedarf keiner Entscheidung, da die Zulassung der Klägerin länger als sechs Monate ruhte, nämlich vom 1. Januar 2004 bis zum 30. Dezember 2006. Obwohl es sich beim Ruhen der Zulassung also um einen Sonderfall handelt, weil der Vertragsarzt mit Genehmigung der Zulassungsgremien seiner vertragsärztlichen Tätigkeit nicht nachgegangen ist, was – je nach Dauer – quasi zwangsläufig zum Verlust auch des Patientenstamms führt und der Arzt während der Dauer des Ruhens – worauf die Vorinstanz insoweit zutreffend verweist – auch nicht zur Aufrechterhaltung von Praxisräumen und Praxisausstattung verpflichtet ist, entfällt das Erfordernis einer fortführungsfähigen Praxis als Voraussetzung für die Ausschreibung gem. § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V nicht.

Regelungszweck des Nachbesetzungsverfahrens nach § 103 Abs. 4 bis 6 SGB V – und damit auch der Ausschreibung nach dessen Abs. 4 Satz 1 – ist es, den verfassungsrechtlichen Erfordernissen der Konkretisierung des sozialpflichtigen Eigentums dadurch Rechnung zu tragen, dass dem Inhaber einer Praxis deren wirtschaftliche Verwertung auch in einem für Neuzulassungen an sich gesperrten Gebiet ermöglicht wird (vgl. Bericht des Ausschusses für Gesundheit, BT- Drucks. 12/3927 S. 7; s. auch BSG, Urteil vom 29. September 1999 – B 6 KA 1/99 RBSGE 85, 1 ff., zitiert nach juris Rdnr. 41). Weil andernfalls ein ausscheidender Arzt bzw. seine Erben keine Möglichkeit hätten, die oft einen erheblichen Wert repräsentierende Praxis zu verwerten, nimmt der Gesetzgeber damit die Fortsetzung des – an sich unerwünschten – Zustands der Überversorgung nach dem Ende der Zulassung hin. Das öffentliche Interesse an der Vermeidung von Überversorgung und deren Abbau tritt in diesen Fällen zurück, wenn und soweit die wirtschaftlichen Interessen des ausscheidenden Vertragsarztes (bzw. seiner Erben) die Erteilung einer Zulassung auch in einem gesperrten Gebiet als geboten erscheinen lassen (vgl. BSG a. a. O.). Dabei bestimmt sich der wirtschaftliche Wert der zu übergebenden Praxis wesentlich danach, ob eine vertragsärztliche Zulassung vorliegt und ob und in welchem Umfang Leistungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung durch den Arzt erbracht und abgerechnet werden können (Wigge, NZS 1998, 53, 54). Von der Arztpraxis als privatrechtlichem Vermögensgegenstand sind allerdings die Zulassung und der Vertragsarztsitz als öffentlich-rechtliche Berechtigung bzw. Zuordnung zu unterscheiden. Diese Unterscheidung ist auch beim durch die Übergabe einer vertragsärztlichen Praxis notwendigerweise erfolgenden Ineinandergreifen von privatrechtlich übertragbarer Arztpraxis und nicht übertragbarer öffentlich-rechtlicher Zulassung beachten, die von den Zulassungsgremien nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften vergeben wird. Gegenstand des Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG ist das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, welcher sich bei einer Arztpraxis als die Sach- und Rechtsgesamtheit aller sachlichen, persönlichen und sonstigen Mittel in allen ihren Erscheinungsformen und Ausstrahlungen darstellt, die zu einem einheitlichen wirtschaftlichen Organismus zusammengefasst sind. Geschützt wird der sich hieraus ergebende Mehrwert, der den Wert der einzelnen Wirtschaftsgüter übersteigt, und dessen wirtschaftliche Verwertung durch Veräußerung der Praxis (Fiedler, NZS 2003, 574). Fehlt es – wie bei der Klägerin – sowohl an konkreten Praxisräumen – mithin dem Vertragsarztsitz als solchen - der sachlichen und personellen Praxisausstattung als auch an dem vorhandenen Praxisbetrieb und der Bindung der Patienten an die Praxis (hierzu Fiedler, NZS 2003, 574, 578), bleibt von dieser Gesamtheit allein die öffentlich-rechtliche Zulassung übrig. Dies gilt auch für psychotherapeutische Praxen, die durch eine besondere Patientenbindung gekennzeichnet sind, obwohl sich deren immaterieller Wert (Goodwill) nicht nur auf das bisherige Klientel erstreckt (Schallen, Zulassungsverordnung, 5. Auflage 2007, Rdnr. 232), weil die Bindung der Patienten bei Ausscheiden des bisherigen Praxisinhabers sich auf die Praxis als Einrichtung bezieht, u. a. auf der gewohnten Praxisadresse, -telefonnummer und auf der gewohnten Atmosphäre (Fiedler, NZS 2003, 574, 578) ... Die Zulassung aber ist – wie ausgeführt – nicht übertragbar und weder vom Schutzzweck des § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V umfasst noch vom Schutzbereich des Art. 14 GG, da es sich nicht um eine öffentlich-rechtliche Rechtsposition handelt, die auf Eigenleistungen des Berechtigten beruht (vgl. Dieterich in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 9. Auflage 2009, Art. 14 GG Rdnr. 7). Würde man in den Fällen des Ruhens der Zulassung die Ausschreibung zulassen, obwohl eine fortführungsfähige Praxis nicht (mehr) - auch nicht teilweise – besteht, würde dies letztlich auf einen nicht zulässigen isolierten Zulassungskauf abzielen (vgl. hierzu Schallen, a. a. O. Rdnr. 233). Die Ausschreibung ginge überdies ins Leere, weil selbst eine vorherige Ausschreibung es nicht rechtfertigt, im Nachbesetzungsverfahren eine Zulassung zu erteilen (BSG, Urteil vom 29. September 1999 – B 6 KA 1/99 RBSGE 85, 1 ff, zitiert nach juris Rdnr. 40). Weil § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V allein dem Schutz der Verwertungsmöglichkeit der Praxis im zulassungsgesperrten Bereich als Ausfluss des sich aus Art. 14 GG ergebenden Eigentumsschutzes dient, kommt es nur auf die tatsächliche Existenz einer fortführungsfähigen Praxis als verwertbares Wirtschaftsgut an, nicht jedoch darauf, ob und aus welchen Gründen die Fortführungsfähigkeit weggefallen ist. Dies gilt auch, wenn die Zulassung – wie hier – wegen einer schweren Erkrankung über längere Zeit geruht hat. Eine erweiternde Auslegung von § 103 Abs. 4 SGB V ist schon wegen des Ausnahmecharakters der Vorschrift nicht möglich und auch nicht von Verfassungswegen geboten. Auch im Lichte des Grundrechts auf allgemeine Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG ergibt sich nichts anderes, da die Klägerin ebenso behandelt wird wie andere aus der vertragsärztlichen Versorgung ausscheidende Ärzte/Psychotherapeuten, deren Praxis nicht fortführungsfähig ist.

Nachdem bereits kein Anspruch auf die Ausschreibung des Vertragsarztsitzes gem. § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V gegeben ist, war das Urteil des Sozialgerichts insgesamt aufzuheben. Es bedarf insbesondere keiner Entscheidung, ob der Tenor des erstinstanzlichen Urteils – soweit darin die Beklagte zur Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens verpflichtet wird – die Beklagte zu einer ihr rechtlich unmöglichen Leistung verpflichtet, oder ob - nach Auslegung des Tenors unter Heranziehung der Entscheidungsgründe des Urteils - das SG die Beklagte über die Ausschreibung des Vertragsarztsitzes hinaus lediglich zur Erstellung einer Liste der eingehenden Bewerbungen (vgl. § 103 Abs.4 Satz 1 SGB V a.E.) verpflichten wollte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Die endgültige Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 63 Abs. 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Für die Klage, die auf die Ausschreibung des Vertragsarztsitzes gerichtet, ist der Auffangstreitwert 5.000,00 EUR (§ 52 Abs. 2 GKG) anzunehmen.
Rechtskraft
Aus
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