L 4 KA 77/09 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 11 KA 430/09 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 77/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 6. August 2009 geändert und die Antragsgegnerin verpflichtet, der Antragstellerin für das Quartal III/2009 ein Regelleistungsvolumen auf der Basis von 379 Fällen und für das Quartal IV/2009 ein Regelleistungsvolumen auf der Basis von 1.500 Fällen zuzuerkennen.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Antragstellerin und die Antragsgegnerin haben jeweils die Hälfte der Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu tragen.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Regelleistungsvolumens (RLV) für die Praxis der Antragstellerin ab dem Quartal III/09 strittig.

Die Antragstellerin ist eine seit 13. Dezember 2007 zugelassene Gemeinschaftspraxis seit 15. Mai 2008 mit Praxissitz in A-Stadt, A-Straße, bestehend aus den Radiologen Dr. A., Dr. C. und Dr. D ... Zuvor befand sich der Praxissitz in E-Stadt, E-Straße.

Dr. A. war seit 1. Januar 2005 zunächst mit Praxissitz in F-Stadt niedergelassen. In der Zeit vom 1. Juli 2007 bis 31. Dezember 2007 ruhte ihr Vertragsarztsitz, seit 1. Januar 2008 ist sie wieder vertragsärztlich tätig. Dr. D ... und Dr. C. sind seit 29. Juni 2004 ununterbrochen in Gemeinschaftspraxis zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Im Jahr 2005 erhielt die Gemeinschaftspraxis eine Genehmigung für eine Zweigpraxis in S-Stadt, welche aufgrund eines Konkurrentenwiderspruchs in zweiter Instanz durch das Hessische Landessozialgericht versagt wurde. Am Praxisstandort E-Stadt bildete diese Gemeinschaftspraxis mit der orthopädischen Praxisgemeinschaft Dr. G./H. eine Apparategemeinschaft. Am Praxisstandort A-Stadt ging die Antragstellerin eine erneute Apparategemeinschaft mit der orthopädischen Gemeinschaftspraxis Dres. I./J. ein. Wegen technischer Probleme und vorrangiger Gerätenutzung durch die orthopädische Gemeinschaftspraxis standen der Antragstellerin nur eingeschränkte Zeiten für die Nutzung einer konventionellen Röntgenanlage zur Verfügung, die im Dezember 2008 zugunsten eines neuen Geräts ausgetauscht wurde, was zu einem vollständigen Nutzungsausfall sowohl für die Antragstellerin als auch für die orthopädische Gemeinschaftspraxis führte.

Die Antragsgegnerin teilte Dr. A. mit Schreiben vom 2. Oktober 2007 Eckdaten der Honorarverteilung mit. Nachdem ausgeführt wurde, grundsätzlich sei eine verbindliche Aussage bezüglich der Honorarverteilung im Jahr 2008 nicht möglich, hieß es u. a.: "Mit dem 1. Quartal 2008 erlischt Ihr Status "Junge Praxis". Dies bedeutet, dass Sie im Rahmen der Fallzahlbegrenzungsregelung an Ihren eigenen Fallzahlen aus gewissen Vorquartalen gemessen werden (sofern solche vorliegen). Letztendlich haben Sie jedoch immer Anspruch auf die durchschnittliche Fallzahl Ihrer Fachgruppe. Diese betrug z. B. im 1. Quartal 2006 1.290 Fälle und im 2. Quartal 1.288 Fälle. Wenn Sie diese Grenze nicht überschreiten, wird im Rahmen dieser Fallzahlbegrenzungsregelung keine Kürzung vorgenommen."

Mit Schreiben vom 13. Januar 2009 beantragte die Antragstellerin eine Erhöhung des RLV, über diesen Antrag hat die Antragsgegnerin bislang nicht entschieden.

Mit Bescheid vom 27. Mai 2009 setzte die Antragsgegnerin das RLV der Praxis der Antragstellerin für das Quartal III/09 in Höhe von 3.700,09 EUR fest. Es resultiere aus der Multiplikation der für das RLV relevanten Fallzahl aus dem Quartal III/08 mit dem arztgruppenspezifischen Fallwert, werde zur Förderung der Versorgung in Berufsausübungsgemeinschaften für fach- und schwerpunktgleiche Berufsausübungsgemeinschaften um 10 % erhöht und berechne sich für die Antragstellerin wie folgt:

Name RLV-Gruppe RLV-relevante Fallzahl Fallwert Fallwertabstaffelung Alterstrukturquote Aufschlag für BAG RLV
Dr. R. Radiologen ohne Vorhaltung von CT u. MRT 6 36,90 EUR 1 0,9919 1,1 241,57 EUR
Dr. J. Radiologen ohne Vorhaltung von CT u. MRT 10 36,90 EUR 1 0,9874 1,1 400,79 EUR
Dr. O. Radiologen ohne Vorhaltung von CT u. MRT 74 36,90 EUR 1 1,0180 1,1 3.057,73 EUR

Mit Bescheid vom 16. Juni 2009 erteilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin die Genehmigung zum Führen einer Zweigpraxis in der F-Straße in F-Stadt.

Gegen den Bescheid vom 27. Mai 2009 richtete sich der am 22. Juni 2009 eingelegte Widerspruch der Antragstellerin.

Am 20. Juli 2009 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Marburg im Wege einer einstweiligen Anordnung die Feststellung beantragt, dass der Antragstellerin das Recht zustehe, Leistungen im Fachgebiet der Radiologie ab dem dritten Quartal 2009 bis zur Höhe des Fachgruppendurchschnitts vergütet zu erhalten. Sie hat vorgetragen, das zugeteilte RLV sei im Hinblick auf den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit unangemessen. Ihr sei ein RLV zuzumessen, welches dem Fachgruppendurchschnitt entspreche und dem Umfang der Tätigkeit ab dem Quartal III/09 Rechnung trage. Hierfür sei die Heranziehung des Aufsatzzeitraums 2008 ungeeignet, was sich unmittelbar aus der Höhe des RLV ergebe. Die im Aufsatzzeitraum (Quartal III/08) erzielten Honorarwerte seien deshalb so gering, weil bei allen Partnern der Gemeinschaftspraxis in der Vergangenheit Niederlassungsschwierigkeiten bestanden hätten. Voraussichtlich zum 1. August 2009 werde sie ihre Tätigkeit als radiologisches Diagnostikzentrum K.-L. unter der Anschrift des Vertragsarztsitzes M-Straße in M-Stadt aufnehmen. Die Finanzierung und Realisierung des radiologischen Zentrums sei von der Aufnahme von Dr. A. abhängig gewesen und habe auf der Realisierung der Zusicherung der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 2. Oktober 2007 beruht, wonach ein Wachstum bis zum Fachgruppendurchschnitt möglich sei. Die Zusicherung sei der Antragstellerin unmittelbar nach dem Zusammenschluss mit Dr. A. mündlich bestätigt worden. Basierend auf diesen Eckdaten, sei ein Businessplan mit einem Gesamtinvestitionsvolumen (für Grundstückskauf, Planung und Erstellung eines Praxisneubaus, Gerätekauf, Einstellung und Schulung von Personal) von ca. 6,5 Millionen Euro erstellt worden, auf dessen Grundlage ein entsprechender Kredit aufgenommen worden sei. Im Hinblick auf die notwendigen Praxissitzverlegungen und die Einrichtung eines radiologischen Zentrums könne die Praxis der Antragstellerin als "Neugründung" bewertet werden. Die Regelungen in Anlage 1 des Beschlusses des Erweiterten Bewertungsausschusses vom 27./28. August 2008, wonach für neu zugelassene Ärzte die durchschnittliche Zahl der kurativ-ambulanten Arztfälle des entsprechenden Vorjahresquartals herangezogen werden könne, habe die Antragsgegnerin unter Abschnitt II. Ziff. 3.35 des Honorarvertrags (HV) 2009 nicht oder nur unvollkommen umgesetzt. Beide Regelungen sähen nicht vor, wie lange eine Praxis als Neugründung anzusehen sei, bzw. wie Praxen, die erheblich unter dem Fachgruppendurchschnitt liegen, zu behandeln seien. Der Bescheid für das Quartal III/09 sei offensichtlich rechtswidrig. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 21. Oktober 1988 – B 6 KA 71/97 RSozR 3-2500 § 85 Nr. 28, S. 28) sei es mit dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit aus Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art 3 Abs. 1 GG unvereinbar, wenn Vertrags(zahn)ärzte mit unterdurchschnittlicher Fallzahl ihren Umsatz durch eine Erhöhung der Zahl der von ihnen behandelten Patienten nicht zumindest bis zum durchschnittlichen Umsatz der (Zahn)Arztgruppe steigern könnten. Danach dürften HVM-Vorschriften über die Begrenzung des Fallzahlzuwachses nicht jedes Wachstum der einzelnen Praxis blockieren, ein gewisses, kontinuierliches Fallzahlwachstum müsse vielmehr generell möglich sein (BSG, Urteil vom 11. September 2002 – B 6 KA 30/01 R – SozR 3-2500, § 85, S. 411). Nach ihrer Auffassung dürfe deshalb selbst nach Ablauf eines Fünf-Jahres-Zeitraums die Wachstumsprivilegierung nicht dadurch relativiert werden, dass die Praxis auf ein typischerweise geringeres Punktzahl- bzw. Honorarvolumen in der Aufbauphase zurückgeworfen werde. Das BSG habe das Erreichen des Fachgruppendurchschnitts jedenfalls innerhalb von fünf Jahren für notwendig gehalten. Ein Anordnungsgrund sei gegeben, weil die Antragstellerin zumindest eine gewisse Sicherheit benötige, dass sie die von ihr erbrachten Leistungen im Quartal III/09 auch vergütet erhalte. Sie sei gehalten, ihren Banken die jeweiligen Bescheide vorzulegen, so dass sie Gefahr laufe, dass ihre Kredite gekündigt würden, wenn die Zusage der Antragsgegnerin aus dem Jahr 2007 keine Geltung mehr beanspruchen sollte, zumindest bis zum Fachgruppendurchschnitt Leistungen erbringen und wachsen zu dürfen. Aus einem RLV der vorliegenden Art seien die von der Praxis getätigten Investitionen nicht zu erbringen oder zu refinanzieren. Es sei naheliegend, ihr den Status "Junge Praxis" aufgrund der Genehmigung der Gemeinschaftspraxis zum 13. Dezember 2007 zuzubilligen. Zur Glaubhaftmachung hat sie einen Werkvertrag mit der Firma N. GmbH & Co KG, Unterlagen über eine Baugrunduntersuchung des Ingenieurbüros O. vom 23. Juli 2008, eine Vertragsbestätigung der P. Deutschland GmbH & Co. KG vom 12. Februar 2009 und einen Kaufvertrag über ein Grundstück vom 29. Juli 2008 vorgelegt.

Die Antragsgegnerin hat die Auffassung vertreten, dass kein Anordnungsanspruch bestehe. Honorarverteilungsrechtliche Bestimmungen selbst könnten nicht Gegenstand einer Prüfung in einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sein, anderes könne allenfalls bei einer offensichtlichen Nichtigkeit der fraglichen Rechtsgrundlagen gelten. Die Regelungen im HV 2009 würden den Besonderheiten bei Neuzulassungen Rechnung tragen. Bei der Antragstellerin handele es sich jedoch nicht um eine Neupraxis. Die Gemeinschaftspraxis bestehe seit 1. Januar 2008 in gleicher Zusammensetzung, im Quartal III/09 stünden daher Fallzahlen aus dem Aufsatzzeitraum des Quartals III/08 zur Verfügung, weiteren Sonderkonstellationen wie dem Ausgleich von überproportionalen Honorarverlusten, Sicherstellungsgründe und begründete Fälle, insbesondere bei Praxisbesonderheiten, sei Rechnung getragen worden. Gegen die Übertragbarkeit der von der Antragstellerin zitierten Rechtsprechung zur fallzahlabhängigen Quotierung und zum Individualbudget spreche, dass die Ermittlung des Regelleistungsvolumens je Arzt durch eine Multiplikation mit dem arztgruppenspezifischen Fallwert erfolge. Die Darstellung, ein kontinuierliches Fallzahlwachstum sei auf Grundlage des HV 2009 nicht möglich, sei nicht nachvollziehbar. Steigerungen der Fallzahlen von Jahr zu Jahr seien so lange unbegrenzt ermöglicht, bis die vorgesehene Abstaffelung eintrete. Das Schreiben vom 2. Oktober 2007 stelle keine Zusicherung dar, die Passage, auf die sich die Antragstellerin beziehe, enthalte die ausdrückliche Einschränkung, dass im Rahmen von Fallzahlbegrenzungsregelungen ein Anspruch auf Zugrundelegung der durchschnittlichen Fallzahl der Fachgruppe bestehe. Streitgegenstand sei jedoch das RLV. Darüber hinaus sei ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. In der Hauptsache sei die Gewährung einer Sonderregelung zum RLV nach Abschnitt II Ziff. 3.4 Satz 6 HV 2009 streitig. Eine solche Entscheidung stehe im Ermessen der Antragsgegnerin, so dass auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allenfalls eine Neubescheidung erreicht werden könne. Der Status "junge Praxis" könne für die Antragstellerin nicht begründet werden; Dr. C. und Dr. D ... seien seit vielen Jahren zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Die Dauer der vertragsärztlichen Zulassung sei jedoch bereits deshalb nicht relevant, weil die Antragstellerin kein relevantes Fallzahlwachstum glaubhaft gemacht habe. Ein Anspruch auf Anwachsen bis zum Fachgruppendurchschnitt könne nur dann in Betracht kommen, wenn die Fallzahl der Antragstellerin überhaupt im Wachstum begriffen sei. Ihr stehe unter keinem Rechtsgedanken die Heranziehung von Fachgruppenwerten zur Vergütung von Leistungen zu, die sie selbst aufgrund geringen Tätigkeitsumfangs nicht erbracht habe. Ein relevantes Fallzahlwachstum im streitgegenständlichen Quartal sei nicht zu erwarten, nachdem im Quartal I/08 234 Fälle, im Quartal II/08 16 Fälle, im Quartal III/08 88 Fälle und im Quartal IV/08 19 Fälle abgerechnet worden seien. Hier zeigten sich Schwankungen im Abrechnungsverhalten.

Mit Beschluss vom 6. August 2009 hat das Sozialgericht Marburg festgestellt, dass der Antragstellerin ab dem Zeitpunkt des Vorliegens der Abrechnungsgenehmigung für die betriebenen Geräte das Recht zustehe, Leistungen im Fachgebiet der Radiologie bis zur Höhe des Fachgruppendurchschnitts vergütet zu erhalten. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Bescheid vom 27. Mai 2009 offensichtlich rechtswidrig sei, die vorgenommene Regelung verstoße evident gegen Art. 12 GG und komme aufgrund des damit verbundenen Ausmaßes der Einschränkungen sogar einem Berufsverbot gleich. Das Ermessen der Antragsgegnerin im Hinblick auf die Zuweisung des RLV ab dem Zeitpunkt der Vorliegens aller gerätetechnischen Voraussetzungen sei insoweit auf Null reduziert, als aufgrund der Lückenhaftigkeit der untergesetzlichen Vorgaben eine andere Entscheidung als die Zuweisung eines RLV in Höhe des Fachgruppendurchschnitts nicht in Betracht komme. Zwar könne eine Zusicherung im Schreiben vom 2. Oktober 2007 nicht gesehen werden. Gleichwohl sei rechtlich zutreffend, dass die Möglichkeit des Wachstums bis zum Durchschnitt der Fachgruppe auch unter dem Regime des HV 2009 gegeben sein müsse. Eine "Junge Praxis" liege nicht vor, die Antragstellerin sei jedoch als unterdurchschnittlich abrechnende Praxis zu qualifizieren. Für diese enthalte der Beschluss des Bewertungsausschusses vom 27./28. August 2008 auch in der Gestalt des 20. April 2009 keine Regelung. Die Regelungsbefugnis für "Neuzulassungen von Vertragsärzten" und für "Praxen in der Anfangsphase und Umwandlung der Kooperationsform" sei auf die Partner der Gesamtverträge delegiert, die hiervon unzureichend Gebrauch gemacht hätten. Es bestehe insofern eine Regelungslücke, welche vor dem Hintergrund der Grundrechtsrelevanz gefüllt werden müsse. Nach der Rechtsprechung des BSG müssten umsatzmäßig unterdurchschnittlich abrechnende Praxen die Möglichkeit haben, zumindest den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe zu erreichen. Da die Verpflichtung zur Gewährleistung einer gewissen Wachstumsmöglichkeit nicht allein auf junge Praxen zu beschränken sei, sondern alle Praxen erfasse, deren Umsatz den durchschnittlichen Umsatz der Fachgruppe unterschreitet, müssten die für junge Praxen entwickelten Grundsätze für die Antragstellerin entsprechend gelten. Auch Vertragsärzte mit unterdurchschnittlicher Patientenzahl dürften nicht gehindert werden, durch Erhöhung der Patientenzahl zumindest einen durchschnittlichen Umsatz zu erzielen. Grundsätzlich sei es auch unterdurchschnittlich abrechnenden Praxen zumutbar, dass ihr pro Jahr zulässiges Honorarwachstum beschränkt werde. Es seien Wachstumsraten in einer Größenordnung zuzulassen, die es noch gestatteten, den durchschnittlichen Umsatz in absehbarer Zeit zu errechen. Absehbar in diesem Sinne sei ein Zeitraum von fünf Jahren. Mangels abweichender Regelungen sei es der Antragstellerin nach allgemeinen Regelungen zuzubilligen, sofort bis zum Durchschnitt der Fachgruppe wachsen zu können. Der Anordnungsgrund sei gegeben. Eine Existenzgefährdung liege auf der Hand. Unabhängig von der erheblichen Investitionsentscheidung könne der Antragstellerin nicht zugemutet werden, bis zum Quartal III/2010 abzuwarten. Die geltend gemachten Verluste in Höhe von 700.000 EUR bedeuteten ein nicht hinzunehmendes finanzielles Risiko.

Mit Bescheid vom 7. September 2009, der Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden ist, hat die Antragsgegnerin das RLV für das Quartal III/09 auf 3.960,25 EUR korrigiert, weil zuvor die praxisindivuduellen Strukturen der Antragstellerin nicht berücksichtigt worden seien. Es wurde folgende Berechnung aufgeführt, nach der Dr. A. der RLV-Gruppe "Radiologen mit Vorhaltung von CT und MRT" zugeordnet wurde:

Name RLV-Gruppe RLV-relevante Fallzahl Fallwert Fallwertabstaffelung Alterstrukturquote Aufschlag für BAG RLV
Dr. R. Radiologen ohne Vorhaltung von CT u. MRT 6 36,90 EUR 1 0,9919 1,1 241,57 EUR
Dr. J. Radiologen mit Vorhaltung von CT u. MRT 10 59,55 EUR 1 1,0090 1,1 660,95 EUR
Dr. O. Radiologen ohne Vorhaltung von CT u. MRT 74 36,90 EUR 1 1,0180 1,1 3.057,73 EUR

Gegen den ihr am 10. August 2009 zugestellten Beschluss des SG hat die Antragsgegnerin am 8. September 2009 Beschwerde zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Mit Bescheiden vom 7., 9. bzw. 17. September 2009 hat die Antragsgegnerin den Mitgliedern der Antragstellerin jeweils mit Wirkung zum 29. Juli 2009 die Genehmigung zur Abrechnung von CT- bzw. MRT-Leistungen bzw. für Dr. A. auch die Genehmigung zu Abrechnung von Leistungen der diagnostischen Radiologie und MR-Angiographie erteilt. Mit Bescheid vom 8. Oktober 2009, der Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden ist, hat die Antragsgegnerin das RLV für das Quartal III/09 auf 5.860,69 EUR korrigiert, weil zuvor die praxisindivuduellen Strukturen der Antragstellerin nicht berücksichtigt worden seien. Es wurde folgende Berechnung aufgeführt, nach der Dr. D ... und Dr. C ... der RLV-Gruppe "Radiologen mit Vorhaltung von CT und MRT" zugeordnet wurden:

Name RLV-Gruppe RLV-relevante Fallzahl Fallwert Fallwertabstaffelung Alterstrukturquote Aufschlag für BAG RLV
Dr. R. Radiologen mit Vorhaltung von CT u. MRT 6 59,55 EUR 1 1,0063 1,1 395,61 EUR
Dr. J. Radiologen mit Vorhaltung von CT u. MRT 10 59,55 EUR 1 1,0090 1,1 660,95 EUR
Dr. O. Radiologen mit Vorhaltung von CT u. MRT 74 59,55EUR 1 0,9911 1,1 4.804,23 EUR

Im Beschwerdeverfahren trägt die Antragsgegnerin ergänzend vor, das SG gehe von einer Lückenhaftigkeit des Honorarvertrags 2009 aus und schließe diese Lücke, obwohl der Beschluss des Bewertungsausschusses auch in der Gestalt des Beschlusses vom 20. April 2009 eine Regelung für unterdurchschnittlich abrechnende Praxen gerade nicht vorsehe. Es sei davon auszugehen, dass der Bewertungsausschuss seine ursprünglich getroffene Regelung überdacht und ergänzt habe, ohne diese Praxen erfassen zu wollen. Der angefochtene Bescheid beruhe auf rechtswirksamen Rechtsgrundlagen. Es fehle bei summarischer Prüfung bereits an einem Rechtsanspruch der Antragstellerin, dessen Realisierung in einem Hauptsacheverfahren Aussicht auf Erfolg hätte. Sie, die Antragsgegnerin, habe in Abschnitt II Ziff. 3.5 HV 2009 den durch Neuzulassungen bestehenden Besonderheiten Rechnung getragen, indem die Übernahme der Fallzahlen des Praxisvorgängers ermöglicht worden sei. Für die Antragstellerin stünden jedoch Fallzahlen aus dem Aufsatzzeitraum zur Verfügung. Ihre Mitglieder hätten in der Vergangenheit mehrfach ihren Praxissitz verlegt, gleichwohl seien sie seit geraumer Zeit in einem engen bzw. in demselben Umfeld vertragsärztlich tätig. Der HV 2009 trage darüber hinaus noch Sonderkonstellationen (überproportionaler Honorarverlust, Gründe der Sicherstellung, Praxisbesonderheiten) Rechnung. Die Festsetzung des RLV sei auch nicht aufgrund der vom SG herangezogenen Rechtsprechung rechtswidrig, der eine andere Rechtslage zugrunde gelegen habe. Die Übertragbarkeit der Rechtsprechung auf die ab 2009 geltenden Regelungen zur Ermittlung und Festsetzung von RLV habe das SG nicht dargelegt. Hiergegen spreche, dass eine Steigerung der Fallzahlen von Jahr zu Jahr möglich sei, angeknüpft werde an das Vorjahresquartal, damit werde ein kontinuierliches Fallzahlwachstum innerhalb eines angemessenen Zeitraums gewährleistet. Eine Fallzahlbegrenzung werde nicht vorgesehen. Das SG habe auch ein etwaiges Ermessen der Antragsgegnerin berücksichtigen müssen. Die Voraussetzungen einer Ermessensreduzierung auf Null lägen nicht vor, entgegen der Auffassung des SG sei eine andere Entscheidung als die Zuweisung eines RLV in Höhe des Fachgruppendurchschnitts möglich, da das BSG in der vom SG in Bezug genommenen Entscheidung (Urteil vom 28. Januar 2009 – B 6 KA 5/08 R) von einer Gestaltungsfreiheit des Normgebers ausgehe. Es komme danach ausschließlich eine zeitlich begrenzte Wachstumsmöglichkeit in Betracht. Die Antragstellerin habe darüber hinaus nicht substantiiert dargelegt, welche schweren und unzumutbaren Nachteile ihr entstehen würden. Bei der Frage der Vergütung der im Quartal III/09 erbrachten Leistungen handele es sich um eine Frage des Honorarbescheids und mithin der Honorarabrechnungen und nicht des RLV-Zuweisungsbescheids. Es handele sich um ein unternehmerisches Risiko der Arztpraxis, die infolge häufiger Standortwechsel Investitionen getätigt habe, ohne an stützende Fallzahlen in Ausgangsquartalen anknüpfen zu können oder rechtzeitig Abrechnungsgenehmigungen beantragt zu haben. Die Schwierigkeiten der Antragstellerin im Zusammenhang mit der Errichtung der Praxisräume seien einem Umzug nicht gleichzusetzen und nicht geeignet, eine Sonderregelung zum RLV unter dem Gesichtspunkt "außergewöhnlicher Gründe" zuzubilligen. Probleme in der Abwicklung des Grundstückkaufes und der Finanzierung stellten keine Situation dar, der nicht auch andere Ärzte ausgesetzt seien. Jeder Arzt müsse Vorkehrungen treffen, warum er seine Tätigkeit an einem anderen Ort aufnehmen wolle. Das hindere ihn nicht daran, in den noch betriebenen Praxisräumen seine Tätigkeit aufrechtzuerhalten. Ärzten könne nicht das wirtschaftliche Risiko der Planung und Vorbereitung abgenommen werden. Die im HV vorgesehene Sonderregelung dürfe auch nicht ihres Charakters einer Härtefallregelung beraubt werden; auch dem Tatbestandsmerkmal "außergewöhnlich" wohne der Aspekt des Nichtverschuldens inne, insoweit sei ein Bezug zu dem beispielhaft genannten und nicht beeinflussbaren Umstand einer Krankheit herzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 6. August 2009 aufzuheben und den Antrag abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Antragstellerin trägt vor, es könne unter verfassungsrechtlicher Bewertung nicht richtig sein, dass sie entweder an dem angefochtenen RLV festgehalten werde – und keine weiteren Leistungen erbringe – oder ihr zugemutet werde, weitergehende Leistungen zur Steigerung des RLV – wirksam erst nach einem Jahr – zu erbringen, ohne dafür ein Honorar zu erhalten, welches einen realistischen Gegenwert der erbrachten Leistungen darstelle. Es sei deshalb eine allgemeine Regelung für die Möglichkeit zur Steigerung bis zum Fachgruppendurchschnitt erforderlich. Seit Vorliegen der Gerätegenehmigung habe sie insgesamt 421 Fälle abgerechnet. Der Praxis seien aufgrund der hohen Investitionen zum Praxisneuanfang im Sommer 2009 Verluste in Höhe von 92.000,00 EUR im Jahr 2008 und 383.000,00 EUR im bisherigen Jahr 2009 entstanden, die sich für 2009 nach der Schätzung des Steuerberaters auf 521.000,00 EUR erhöhen würden. Aus der Planungsrechnung des Steuerberaters ergebe sich, dass der erste Tilgungsbeitrag zum 30.12.2009 nicht aufgebracht werden könne, wenn ihr nicht ein entsprechendes RLV zugebilligt werde. Sie sei auf angemessene Abschlagszahlungen angewiesen. Im Jahr 2008 und 2009 hätten an den früheren Praxisstandorten E-Stadt und A-Stadt nur in eingeschränktem Maße Behandlungen bzw. Untersuchungen von Kassenpatienten durchgeführt werden können, aufgrund beengter Räumlichkeiten habe keine Möglichkeit bestanden, radiologische Großgeräte einzurichten. Die Suche nach einem geeigneten Standort habe sich bis ins Jahr 2007 erstreckt, für den nunmehr gefundenen Standort in M-Stadt habe es sodann noch Verzögerungen gegeben, weil sie – die Antragstellerin – zunächst auf einer Warteliste die Vergabe von Grundstücken durch die örtliche Kommune habe abwarten müssen. Nachdem im September 2008 der Erwerb des Grundstücks in M-Stadt möglich geworden sei, habe man von einer Erweiterung am Standort A-Stadt Abstand genommen, Baubeginn sei am 14. Oktober 2008 gewesen, am 29. Juli 2009 sei die Praxis sodann übergeben worden.

Die Antragstellerin hat die Honorarbescheide für die Quartale IV/08 und I/09, eine Liquiditätsbewertung ihres Steuerberaters Q., Summen- und Saldenlisten für IV/2008 und III/2009, betriebswirtschaftliche Auswertungen für IV/2008 und III/2009, Darlehensverträge, die Ertragsplanung 2009/2010 sowie eine Stellungnahme des Steuerberaters Q. vom 29. Oktober 2009, einen Vertrag zur Gründung einer Praxisgemeinschaft für Orthopädie und Radiologie vom 31. Januar 2005, einen Betriebskosten- und Nutzungsvertrag vom 31. Januar 2005 sowie ein Schreiben der Orthopädischen Gemeinschaftspraxis Dres. R./J., A-Stadt, vom 26. November 2009 vorgelegt.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist teilweise begründet.

Zu Unrecht hat das Sozialgericht Marburg in dem angegriffenen Beschluss vom 6. August 2009 festgestellt, dass der Antragstellerin das Recht zusteht, Leistungen im Fachgebiet der Radiologie bis zur Höhe des Fachgruppendurchschnitts vergütet zu erhalten. Allerdings ist das Sozialgericht zutreffend davon ausgegangen, dass im Hinblick auf das der Antragstellerin zugewiesene RLV für das Quartal III/09 sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund insoweit gegeben sind, als die Höhe des RLV sich für die Antragstellerin als existenzgefährdend darstellt.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Sinne einer Regelungsanordnung gemäß § 86 b Abs. 2 und 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist zulässig. Gemäß § 86 b Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGG sind, soweit kein Fall des § 86 b Abs. 1 SGG vorliegt, einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Ein Fall des 86 b Abs. 1 SGG, der die Möglichkeit betrifft, die aufschiebende Wirkung oder das Fehlen der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch oder Anfechtungsklage durch gerichtliche Entscheidungen zu korrigieren, liegt hier nicht vor, denn Gegenstand des Rechtsstreits ist eine Erweiterung der der Antragstellerin zugewiesenen Regelleistungsvolumina für die Quartale ab III/2009 auf den Antrag vom 13. Januar 2009.

Gemäß § 86b Abs. 3 SGG ist der Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung bereits vor Klageerhebung zulässig.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung in Form der Regelungsanordnung gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG setzt voraus, dass eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, d.h. dass dem Antragsteller ohne eine entsprechende Regelung schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, so dass ihm das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann (Anordnungsgrund) und ihm aufgrund der glaubhaft gemachten Tatsachen bei Prüfung der Rechtslage ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die begehrte Handlung bzw. Unterlassung zusteht (Anordnungsanspruch). Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr stehen beide in einer Wechselbeziehung zueinander, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Hessisches Landessozialgericht (HLSG), Beschluss vom 29.06.2005 – L 7 AS 1/05 ER; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 86b Rn. 27 und 29 m.w.N.). Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist. Welche Anordnung zu treffen ist, beurteilt sich nach dem Ermessen des Gerichts, § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 938 Abs. 1 Zivilprozessordnung.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die Voraussetzungen zum Erlass einer einstweiligen Anordnung im tenorierten Umfang gegeben. Der Beschluss des Sozialgerichts war dementsprechend zu ändern und der weitergehende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Zunächst hat die Antragstellerin einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Ein Anordnungsgrund im Sinne von § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ist gegeben, wenn die einstweilige Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist. Maßgeblich ist, ob es nach den Umständen des Einzelfalles für den Betroffenen zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Dies ist in Bezug auf honorarrelevante Maßnahmen im Vertragsarztrecht dann nicht der Fall, wenn irreparable Rechtsnachteile zu erwarten sind. Diese sind insbesondere zu bejahen, wenn ohne den vorläufigen Rechtsschutz der notwendige Lebensunterhalt des Antragstellers oder die Existenz seiner Praxis gefährdet wäre (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 86b RdNrn. 27, 28, 33 m.w.N.). Wie sich aus den von der Antragstellerin vorgelegten Unterlagen zur wirtschaftlichen Lage ihrer Praxis ergibt, hat sie – nach ihrem Vortrag im (subjektiven) Vertrauen auf die Möglichkeit der Abrechnung von Fallzahlen im Bereich des Fachgruppendurchschnitts ohne Honorarbegrenzung – erhebliche Investitionen zum Bau und Aufbau eines neuen Praxisstandortes getätigt. Diesen Investitionen stehen laut den Angaben des Steuerberaters der Antragstellerin in dessen Schreiben vom 29. Oktober 2009 Tilgungsraten in Höhe von 142.000 EUR pro Quartal gegenüber, erstmals fällig mit dem 30. Dezember 2009. Diese Angaben sind vor dem Hintergrund der im Verfahren vorgelegten Darlehensverträge ebenso glaubhaft wie die unter Berücksichtigung der vorgelegten Ertragsplanung für das Jahr 2009 und 2010 im Erörterungstermin vorgetragenen Angaben, dass ein RLV auf der Basis einer Fallzahl von 1.500 Fällen für die Antragstellerin im Quartal notwendig – aber auch ausreichend – ist, um zusammen mit den Einnahmen aus privatärztlicher Tätigkeit die Raten aufzubringen. Die zur Glaubhaftmachung vorgelegten Unterlagen ergeben darüber hinaus, dass die bisherigen und erwarteten Einnahmen aus privatärztlicher Tätigkeit mit dem zuletzt mit Bescheid vom 8. Oktober 2009 festgesetzten RLV zusammen nicht ausreichen, um die Raten aufzubringen. Damit ist zur Überzeugung des Senats glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin ohne ein RLV in ausreichender Höhe von Insolvenz bedroht wäre, mithin ihre wirtschaftliche Situation Existenz gefährdend ist. Für das geltend gemachte RLV auf der Basis der Fallzahl des Fachgruppendurchschnittes (im Quartal III/09 1354 Fälle pro Arzt) besteht jedoch kein Anordnungsgrund. Denn die Regelungsanordnung kann nur zur Abwendung der wesentlichen, nicht anders abwendbaren Nachteile erlassen werden, mithin zu Beseitigung der Existenzgefährdung. Soweit der Antragstellerin darüber hinaus ggf. ein Anspruch auf eine Vergütung bis zur Höhe des Fachgruppendurchschnitts bereits in den Quartalen III/09 und IV/09 zustehen sollte, ist es ihr zuzumuten, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.

Die Antragstellerin hat weiterhin einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung steht ihr ein höheres RLV für die Quartale III/09 und IV/09 zu.

Dabei geht der Senat im Unterschied zur erstinstanzlichen Entscheidung nicht davon aus, dass die der vorgenommenen Zuweisung des RLV zugrunde liegende untergesetzliche Regelung des HV 2009 evident rechtswidrig und lückenhaft ist, weil eine ausdrückliche Regelung zu Wachstumsmöglichkeiten für unterdurchschnittlich abrechnende Praxen im HV 2009 selbst fehlt.

Zunächst können honorarverteilungsrechtliche Bestimmungen entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin jedenfalls im Wege der inzidenten Prüfung der Rechtsmäßigkeit des Verwaltungshandelns Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens sein. Die Gerichte haben im Rahmen der insoweit gebotenen summarischen Prüfung selbstverständlich die Vereinbarkeit dieser untergesetzlichen Normen mit höherrangigem Recht zu prüfen.

Zutreffend hat das Sozialgericht unter Bezugnahme auf höchstrichterliche Rechtsprechung herausgearbeitet, dass aus dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit (Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG) der Anspruch umsatzmäßig unterdurchschnittlich abrechnender Praxen folgt, die Möglichkeit zu haben, den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe zu erreichen. Nach Auffassung des Senats ergibt sich aus diesem Grundsatz aber nicht evident die Rechtswidrigkeit des HV 2009, weil eine entsprechende ausdrückliche Wachstumsregelung fehlt. Denn auch unterdurchschnittlich abrechnenden Praxen ist es – worauf das Sozialgericht gleichfalls hinweist – zumutbar, dass ihr pro Jahr zulässiges Honorarwachstum beschränkt wird, wenn Wachstumsraten in einer Größenordnung zugelassen sind, die es noch gestatten, den durchschnittlichen Umsatz der Fachgruppe in absehbarer Zeit zu erreichen, wobei absehbar in diesem Sinne ein Zeitraum von fünf Jahren ist (BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 – B 6 KA 54/02 R - BSGE 92, 10 = SozR 4-2500 § 85 Nr. 5, Urteil vom 10. März 2004 – B 6 KA 3/03 R - BSGE 92, 233 = SozR 4-2500 § 85 Nr. 9). Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze sind die Bedenken des Sozialgerichts zwar erwägenswert, nach Auffassung des Senats spricht jedoch einiges dafür, dass die Bestimmungen des HV 2009 rechtmäßig sind: Der HV 2009 bestimmt das arztgruppenspezifische RLV (vereinfacht dargestellt) eines Arztes als Produkt des arztgruppenspezifischen Fallwertes und der Fallzahl des Arztes im Vorjahresquartal, vgl. Abschnitt II Ziff. 3.2.1. Satz 2 HV 2009. Dies bedeutet, dass eine unterdurchschnittliche Fallzahl im Aufsatzquartal des Vorjahres – wie auch bei der Antragstellerin – zu einem unterdurchschnittlichen RLV führt, was – auch bei durchschnittlicher oder höherer Fallzahl – im entsprechenden Quartal 2009 eine im Verhältnis zur Fachgruppe niedrigeren Vergütung zur Folge hat. Ausgehend von einer Fortschreibung der Regelungssystematik für das Folgejahr 2010 führt die Bezugnahme auf einen Aufsatzzeitraum im Vorjahr jedoch dazu, dass bereits innerhalb eines Jahres – bezogen auf das RLV – durchschnittliche Honorarwerte erreicht werden können. Damit ist den Regelungen des HV 2009 die Möglichkeit eines Honorarwachstums auf durchschnittliche Werte innerhalb eines absehbaren Zeitraums von nur einem Jahr immanent. Es erscheint daher fraglich, ob angesichts dessen eine spezielle Regelung für unterdurchschnittlich abrechnende Praxen noch erforderlich ist.

Der Senat kann im Ergebnis jedoch offen lassen ob der HV 2009 mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Denn der Anspruch auf ein höheres RLV ergibt sich nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung bereits aus Abschnitt II Ziff. 3.4 HV 2009. Nach den dort genannten Kriterien zu Ausnahmen von der Abstaffelung können auf Antrag des Arztes und nach Genehmigung durch die Kassenärztliche Vereinigung Hessen Leistungen über das arzt-/praxisbezogene RLV hinaus mit den Preisen der regionalen Euro-Gebührenordnung vergütet werden. Dies gilt insbesondere für folgende Fallgestaltungen: Bei einer außergewöhnlich starken Erhöhung der Zahl der behandelnden Versicherten aufgrund
- urlaubs- und krankheitsbedingter Vertretung eines Arztes der eigenen Berufsausübungsgemeinschaft,
- urlaubs- und krankheitsbedingter Vertretung eines Arztes/einer Arztpraxis in der näheren Umgebung der Arztpraxis,
- Aufgabe einer Zulassung oder genehmigten Tätigkeit eines Arztes der eigenen Berufsausübungsgemeinschaft,
- Aufgabe einer Zulassung oder genehmigten Tätigkeit eines Arztes in der näheren Umgebung der Arztpraxis,
- eines außergewöhnlichen und/oder durch den Arzt unverschuldeten Grundes, der zu einer niedrigeren Fallzahl des Arztes im Aufsatzquartal geführt hat. Hierzu zählt z. B. Krankheit des Arztes.
Darüber hinaus kann auf Beschluss des Vorstandes der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen in begründeten Ausnahmefällen (Urlaub, Krankheit etc.) anstelle des entsprechenden Vergleichsquartals des Vorjahres ein anderes Quartal als Referenzquartal zugrunde gelegt werden.

Zur Überzeugung des Senats sind die von der Antragstellerin glaubhaft gemachten Umstände geeignet, eine Sonderregelung zum RLV nach Abschnitt II Ziff. 3.2.1. HV 2009 im Sinne eines außergewöhnlichen Grundes gem. Abschnitt II Ziff. 3.4 Satz 3 letzter Spiegelstrich HV 2009 zu rechtfertigen.

Es handelt sich bei dem Begriff des "außergewöhnlichen Grundes" um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der gerichtlich voll überprüfbar ist. Ausgehend von der Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin liegt ein außergewöhnlicher Grund in diesem Sinne jedenfalls dann vor, wenn er eine unverschuldete oder nachweisliche Schließung der Praxis von über 14 zusammenhängenden Tagen zur Folge hatte (z. B. bei Krankheit) und in gleichgelagerten Fällen, in denen eine nachgewiesene Erkrankung bzw. ein anderer außergewöhnlicher und/oder unverschuldeter Grund zu einer merklichen Minderung der Fallzahlen im Aufsatzquartal geführt hat. Der Auffassung der Antragsgegnerin, nach Sinn und Zweck der Regelung könne es nur ein dem aufgeführten Beispiel der Krankheit gleichwertiger Grund sein, aus dem heraus die ärztliche Tätigkeit über einen gewissen Zeitraum nicht ausgeübt wurde, der eine Mindestzeit von zwei Wochen erreichen müsse, weil ansonsten eine merkliche Fallzahlminderung im Aufsatzquartal nicht verursacht werden könne, kann nicht gefolgt werden, eine solche Auslegung erweist sich als zu restriktiv. Denn das Erfordernis einer Praxisschließung ergibt sich aus der – beispielhaften – Nennung einer Krankheit als Grund für eine niedrige Fallzahl im Aufsatzzeitraum nicht. Denkbar sind auch Fälle einer längerandauernden Erkrankung mit intensivem regelmäßigen Behandlungsbedarf (z. B. Dialyse-Behandlungen, Chemotherapie), die aufgrund ihrer Schwere dazu führen, dass über einen längeren Zeitraum eine Praxisführung nur unter eingeschränkten (zeitlichen) Bedingungen möglich ist, ohne dass es dabei zu einer Praxisschließung kommen muss. Auch in solchen Fällen sind merkliche Fallzahlminderungen denkbar. Unter Berücksichtigung des Wortlauts der Vorschrift ("insbesondere") sind darüber hinaus die genannten Fallgestaltungen Urlaub und Krankheit bzw. Aufgabe oder Zulassung oder genehmigte Tätigkeit, die eine Sonderregelungen erlauben, nicht abschließend aufgezählt. Andere Fallgestaltungen können daher zu berücksichtigen sein, wenn sie eine vergleichbare – außergewöhnliche - Qualität haben, wobei es ausdrücklich auf ein Verschulden nicht ankommt. Wie an dem Beispiel Krankheit ersichtlich, müssen solche Gründe jedoch nicht so außergewöhnlich sein, dass sie praktisch nie vorkommen oder völlig unvorhersehbar sind.

Zur Überzeugung des Senats sind außergewöhnliche Gründe für die in den Aufsatzquartalen abgerechneten niedrigen Fallzahlen (III/08: 90; IV/08 18) gegeben. Denn die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass nach dem Scheitern der Zweigpraxis – deren (übergangsweise erteilte) Genehmigung zu einer Fallzahl von 1196 im Quartal II/05 führte) - die beengten räumlichen und zeitlich eingeschränkten gerätetechnischen Verhältnisse sie daran hinderten, auskömmliche Fallzahlen zu erbringen. Die dargelegten und glaubhaft gemachten – insgesamt als widrig zu bezeichnenden - Umstände in den maßgeblichen Quartalen III/08 und IV/08 spitzten sich durch technische Schwierigkeiten bis hin zum Geräteaustausch im Dezember 2008 bei ohnehin aufgrund der eingegangenen Apparategemeinschaft eingeschränkten Möglichkeiten der Leistungserbringung zu. Es ist für den Senat nachvollziehbar, dass die Antragstellerin ohne funktionierende radiologische Geräte bzw. mit nur begrenzten Gerätezeiten als radiologische Gemeinschaftspraxis nicht in größerem Maße Fallzahlen erbringen konnte. Dabei ist es für die hier angestrebte Sonderregelung nach dem klaren Wortlaut von Abschnitt II Ziff. 3.4 HV 2009 irrelevant, ob und inwieweit die äußeren Umstände durch die Ärzte der Praxisgemeinschaft verschuldet wurden oder ggf. durch anderes – wirtschaftlich geschickteres - Verhalten hätten abgewendet werden können. Nicht ersichtlich ist jedenfalls, dass die vertragsärztliche Tätigkeit nicht mehr ausgeübt oder etwa zugunsten einer privatärztlichen Tätigkeit erheblich vernachlässigt wurde.

Die einstweilige Regelung war möglich, obwohl nach zutreffender Auffassung (so etwa: Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Kommentar, 9. Aufl. 2008, § 86b RdNr. 30a m.w.N.) in Fällen, in denen der Verwaltung – wie hier – Ermessen oder ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist, der Erlass einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich nur bei einer Ermessensreduzierung auf Null zulässig ist. Denn angesichts der existenzbedrohenden wirtschaftlichen Situation der Praxis der Antragstellerin ist das Entschließungsermessen der Antragsgegnerin, ob eine Sonderregelung – nachdem alle tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind - zu treffen ist, eingeschränkt. Hierbei sind die wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin und das Interesse der Antragsgegnerin an einer kalkulierbaren Honorarverteilung, die letztlich der Sicherung des Vergütungssystems im Interesse aller niedergelassenen Ärzte in Hessen dient, gegeneinander abzuwägen. Vor dem Hintergrund des im Verhältnis zur Gesamtvergütung niedrigen Honorarvolumens, das der Antragstellerin über die Sonderregelung zusätzlich zur Verfügung gestellt wird, und unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Bildung von arzt- und praxisbezogenen RLV nach Abschnitt II Ziff 1.1 HV 2009 i. V. m. § 87 Abs. 2 Satz 1 SGB V eine übermäßige – nicht jedoch eine auch nur durchschnittliche - Ausdehnung der vertragsärztlichen Tätigkeit verhindern soll, überragen hier deutlich die Interessen der Antragstellerin. Da diese nur mit der Sonderregelung den Bestand ihrer Praxis sichern kann, ist das Ermessen der Antragsgegnerin auf Null reduziert. Eine Ermessensreduktion ist hinsichtlich der Höhe der Sonderregelung im tenorierten Umfang gleichfalls gegeben, nachdem die Antragstellerin glaubhaft gemacht hat, dass 1.500 Fälle bei Zugrundelegung des arztgruppenspezifischen Fallwertes von 59,55 EUR zum Erhalt der Praxis erforderlich sind. Dabei war für das Quartal III/09 jedoch auf die Zahl der tatsächlich abgerechneten Fälle abzustellen, ein höheres RLV würde insofern ins Leere laufen.

Die Regelungsanordnung ist allerdings nur für die Quartale III/09 und IV/09 möglich, weil der HV 2009 lediglich eine Laufzeit bis zum 31. Dezember 2009 hat und eine rechtliche Grundlage für die Honorarverteilung für folgende Quartale (noch) nicht gegeben ist, weshalb ein – zeitlich – weitergehender Anordnungsanspruch nicht besteht.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin wird durch den Erlass der einstweiligen Anordnung die Hauptsache nicht vorweggenommen. Eine echte Vorwegnahme der Hauptsache liegt nur dann vor, wenn die Maßnahme nachträglich nicht mehr für die Vergangenheit korrigierbar ist (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 86b RdNr. 31). Die ist nicht der Fall, denn die getroffene einstweilige Anordnung trifft lediglich eine Regelung zur Honorarhöhe. Umstände, die eine etwaige Rückforderung des Honorars für den Fall ausschließen würden, dass es in der Hauptsache zu einem anderen Ergebnis kommt, sind nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 155 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Der Streitwert beträgt 5.000,00 EUR und folgt aus § 197a SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Der Senat folgt insoweit den Vorschlägen im Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit (Stand: 1. April 2009, unter 10.4.3 m.w.N.), wonach insoweit vom Vierfachen des Regelstreitwerts für die Festsetzung eines Basisvolumens für ein Jahr auszugehen ist. Nachdem hier allenfalls eine Regelung für zwei Quartale in Betracht kam, war vom zweifachen Regelstreit auszugehen, der im Hinblick auf den Charakter des einstweiligen Anordnungsverfahrens unter Berücksichtigung der Existenzgefährdung zu halbieren war.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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