L 6 AY 4/07 NZB

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 1 AY 22/05
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AY 4/07 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 16. April 2007 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat den Klägern die notwendigen außergerichtlichen Kosten auch des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

Das Sozialgericht hat den Klägern, die mittlerweile am 16.08.2006 aus dem Bundesgebiet in ihr Heimatland abgeschoben worden sind, mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid die in § 3 Abs. 1 S. 4 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG) vorgesehenen Beträge zur Deckung der persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens (Taschengeld) für die Monate Februar 2003 und März 2003 zugesprochen.

Die Nichtzulassungsbeschwerde mit dem Antrag, die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 16.04.2007 zuzulassen, ist zulässig. Sie ist insbesondere innerhalb der Frist des § 145 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegt worden.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Berufung zu Recht nicht zugelassen. Es ist auch von einer ablehnenden Entscheidung des Sozialgerichts auszugehen. Insoweit reicht aus, dass der Gerichtsbescheid zur Frage der Zulassung der Berufung schweigt, jedoch in der Rechtsmittelbelehrung über die Nichtzulassungsbeschwerde belehrt wird (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., § 144, Rdnr. 41).

Zunächst ist das Sozialgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für die Beschränkung der Berufung nach § 144 Abs. 1 SGG erfüllt sind. Zum einen übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes von 163,61 EUR nicht die Grenze von 500,00 EUR (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG). Zum anderen sind auch keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen von mehr als einem Jahr betroffen (§ 144 Abs. 1 S. 2 SGG).

Es liegen keine Gründe für die Zulassung der Berufung vor. Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung nur zuzulassen, wenn

1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Keine der Voraussetzungen der vorstehenden Vorschrift ist erfüllt.

Der Beklagte hat die Nichtzulassungsbeschwerde zunächst damit begründet, die Kläger seien zum Zeitpunkt des Erlasses des Gerichtsbescheides bereits ausgereist gewesen. Nach § 1 AsylbLG bestehe eine Leistungsberechtigung nur für Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhielten (Abs. 1 S. 1); die Leistungsberechtigung ende mit der Ausreise (Abs. 3). Daraus werde der Normzweck der Vorschrift deutlich, wonach ein Leben unter menschenwürdigen Umständen während der Dauer des Asylverfahrens sichergestellt werden solle. Mit der Ausreise entfalle der Normzweck jedoch. Hieraus kann keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG abgeleitet werden. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die Streitsache eine bisher ungeklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (vgl. Meyer-Ladewig, a. a. O., § 144, Rdnr. 28). Hiervon kann zu Gunsten des Beklagten nicht ausgegangen werden, denn § 1 Abs. 3 AsylbLG ist bereits im Wortlaut eindeutig und bedarf keiner weiteren grundsätzlichen Klärung. Insoweit hat der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift nach Auffassung des Senats geregelt, dass Ansprüche bezogen auf Leistungszeiträume, die nach der Ausreise liegen, nicht mehr in Betracht kommen. Der Beklagte meint demgegenüber offenbar, dass Ansprüche auf Leistungen bezogen auf Leistungszeiträume vor der Ausreise mit der Ausreise erlöschen. Dies hat der Gesetzgeber jedoch erkennbar nicht gewollt und wird auch in der Kommentarliteratur so nicht vertreten (vgl. Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Auflage, § 1 AsylbLG Rdnr. 24; Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 1 AsylbLG Rdnr. 12; Birk in LPK-SGB XII, 7. Auflage, § 1 AsylbLG, Rdnr. 12). Dementsprechend ist es auch ohne Belang, dass die Kläger nunmehr im Heimatland leben. Vielmehr kommt es entscheidend darauf an, dass hier Ansprüche für die Monate Februar 2003 und März 2003 geltend gemacht worden sind und diese Zeiträume vor der Ausreise liegen. Für den Senat bestehen insoweit keine Zweifel daran, dass ein abgelehnter und abgeschobener Asylbewerber rechtswidrig abgelehnte Ansprüche bezogen auf die Zeit seines Aufenthaltes im Bundesgebiet auch nach seiner Ausreise weiterverfolgen kann. Eine entsprechende

Rechtsschutzmöglichkeit gebietet bereits Artikel 19 Abs. 4 S. 1 Grundgesetz (GG). Im Ergebnis liegt keine klärungsbedürftige Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor.

Weiter ist eine Divergenz im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG nicht erkennbar.

Letztlich liegt auch kein relevanter Verfahrensmangel vor, der nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG zu berücksichtigen wäre. Soweit der Beklagte hierzu geltend gemacht hat, ein Verfahrensmangel ergebe sich daraus, dass eine ladungsfähige Anschrift der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des Gerichtsbescheides nicht bekannt gewesen sei, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Die Kläger waren im erstinstanzlichen Verfahren kraft Vollmacht vom 16.04.2003 wirksam durch Rechtsanwälte B. und Kollegen in B-Stadt vertreten (vgl. § 73 SGG). Der Fortbestand der Vollmacht wird nicht dadurch tangiert, dass die ladungsfähige Anschrift – auch dem Bevollmächtigten – nicht bekannt ist. Für das gerichtliche Verfahren ergibt sich lediglich (allerdings nur im Falle fehlender Vertretung) die Notwendigkeit einer öffentlichen Zustellung von Ladungen und Entscheidungen. Eine wirksame Vertretung besteht im Übrigen auch derzeit noch. Insoweit führt die Beendigung des Rechtszuges nicht zum Erlöschen der Vollmacht (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl., § 87 Rdnr. 7). Ein Verfahrensmangel ergibt sich weiter auch nicht aus dem Vortrag des Beklagten, aufgrund der Ausreise der Kläger sei das notwendige Rechtsschutzbedürfnis nicht mehr gegeben gewesen. Angesprochen ist damit die Frage, ob das Sozialgericht statt einer Sachentscheidung eine Prozessentscheidung (Abweisung der Klage als unzulässig) hätte treffen müssen, was grundsätzlich als Verfahrensmangel im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG in Betracht kommt (vgl. Meyer-Ladewig, a. a. O., § 144, Rdnr. 32). Von einem zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr gegeben Rechtsschutzbedürfnis kann indes nicht ausgegangen werden. Mit der Klage war der Widerspruchsbescheid vom 17.10.2005 angefochten verbunden mit dem Antrag, den Beklagten zur Zahlung von Taschengeld für Februar 2003 und März 2003 in Höhe von insgesamt 163,61 EUR zu verurteilen. Die Kläger haben damit einen sie belastenden Verwaltungsakt angefochten und eine nach ihrer Auffassung ihnen zustehende Leistung begehrt. Für ein solches Begehren ist das Rechtsschutzbedürfnis regelmäßig gegeben (vgl. Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Aufl., § 42, Rdnr. 28; Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 42 Rdnr. 335). Das Rechtsschutzbedürfnis ist nicht aufgrund der Ausreise der Kläger nachträglich entfallen. Hiervon könnte lediglich dann ausgegangen werden, wenn die begehrte gerichtliche Entscheidung die rechtliche oder wirtschaftliche Stellung der Kläger nicht (mehr) verbessern würde (vgl. Meyer-Ladewig, a. a. O., vor § 51, Rdnr. 16a). Dies ist hier gerade nicht der Fall, denn der von dem Sozialgericht zugesprochene Anspruch ist – wie ausgeführt – nicht mit der Ausreise entfallen, wobei hier ohnehin die Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit im Rahmen des Rechtsschutzbedürfnisses angesprochen ist. Der Beklagte hat insoweit mit seinem Vortrag, der Aufenthalt im Bundesgebiet stelle ein leistungserhebliches Tatbestandsmerkmal dar, welches im Rahmen des Bestehens des Rechtsschutzbedürfnisses geprüft werden müsse, Zulässigkeitsfragen und Begründetheitsfragen unzutreffend vermischt. Im Übrigen können die zugesprochenen Leistungen, worauf die Klägerseite zu Recht hingewiesen hat, von den Prozessbevollmächtigten der Kläger in Empfang genommen und nach Klärung der Anschrift an diese weitergeleitet werden. Weitere Verfahrensrügen sind von dem Beklagten nicht erhoben worden und Verfahrensmängel im Übrigen für den Senat auch nicht ersichtlich.

Nach alledem hat es dabei zu verbleiben, dass das Sozialgericht die Berufung zu Recht nicht zugelassen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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