L 7/10 AL 1135/03

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 19 AL 2062/98
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7/10 AL 1135/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die gegenüber einem Erstattungsbescheid nach § 50 Abs. 1 SGB X erklärte Aufrechnung ist im gerichtlichen Anfechtungsverfahren unbeachtlich, solange allein die Festsetzung des Erstattungsbetrages verfügt ist. Lediglich für eine weitergehende selbstständige Regelung - Zahlungsaufforderung im Einziehungsverfahren - kann etwas anderes gelten (grundlegend: BVerwG, 3.6.1983 - 8 C 43/81). Die anderslautende Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 21.8.2009 - L 7 AL 270/05) wird aufgegeben.

2. Eine vorbeugende Feststellungsklage gegen den Vollzug des Erstattungsbescheids ist nur zulässig, wenn dem Bescheidadressaten nicht zuzumuten ist, das Einziehungsverfahren abzuwarten (grundlegend: BVerwG, a.a.O.).
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 16. September 2003 wird zurückgewiesen.
Die weitere Klage wird abgewiesen.

II. Kosten des Berufungsverfahrens sind auch nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Gegenstand der Berufung bildet nur noch die Rücknahme bewilligten Übergangsgeldes für eine Maßnahme zur beruflichen Rehabilitation und die Festsetzung eines Erstattungsbetrags durch die Beklagte.

Der 1959 geborene Kläger leidet an einer Augenerkrankung, die seine Sehfähigkeit stark einschränkt. Seit dem 1. Januar 1990 ist er bei der Fa. C. AG (Arbeitgeber), zuletzt als Abteilungsleiter, tätig.

Seinen Antrag auf Leistungen zur beruflichen Rehabilitation vom 3. Januar 1991 leitete der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung an das Arbeitsamt D-Stadt weiter. Dort beantragte er am 24. März 1992 erneut die Leistungen. Dabei bestätigte er schriftlich, das Merkblatt 12 der Beklagten "Berufliche Rehabilitation" erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Das Arbeitsamt D-Stadt bewilligte mit Bescheid vom 29. Juni 1992 im Rahmen der Arbeits- und Berufsförderung behinderter Personen eine berufliche Rehabilitationsmaßnahme in Form eines Studiums im Chemieingenieurwesen an der Universität X (Uni) und teilte dem Kläger mit, über die Bewilligung von Übergangsgeld (Übg), Reisekosten und Lernmittel werde er auf Nachweis gesonderte Bescheide erhalten, nach Beginn der Bildungsmaßnahme sei für die weitere Bearbeitung das Arbeitsamt E. zuständig.

Der Kläger nahm das Studium zum Wintersemester 1993/94 am 18. Oktober 1993 auf. In einem Fragebogen zur Berechnung des Übergangsgeldes und den Leistungen zu den Kosten der Maßnahme gab der Kläger am 3. September 1993 unter Ziffer 8. an, er erhalte während der Teilnahme an der Maßnahme kein Arbeitsentgelt, und fügte eine "Bescheinigung zur Vorlage beim Arbeitsamt" seiner privaten Krankenversicherung vom 15. September 1993 bei, wonach er seit dem 25. Mai 1993 arbeitsunfähig gewesen sei und ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit, vorerst bis zum 10. September 1993, Krankentagegeld erhalten habe.

Mit Bescheid vom 21. Dezember 1993 bewilligte das Arbeitsamt E. dem Kläger Leistungen für Fahrtkosten zur Bildungsstätte ab dem 18. Oktober 1993 bis vorläufig 31. Januar 1994 in Höhe von 533,50 DM monatlich. Gleichzeitig bat es ihn, die Dauer der einzelnen Semester sowie Krankheits- und sonstige Fehltage mitzuteilen. Weiter forderte es den Kläger auf, zur Berechnung des Übg die Verdienstbescheinigung seines bisherigen Arbeitgebers vorzulegen. Mit Schreiben vom 26. April 1994 reichte der Kläger eine von dem Arbeitgeber ausgestellte Verdienstbescheinigung vom 19. April 1994 ein. Unter Ziffer 1.2 hatte der Arbeitgeber bescheinigt, der letzte Arbeitstag vor der Maßnahme sei der 27. Mai 1993 gewesen, und unter Ziffer 1.4, während der Reha-Maßnahme werde das volle Arbeitsentgelt weitergezahlt bis zum 8. Juli 1993. Unter Ziffer 1.5 war eingetragen, dem Kläger werde über den unter Ziffer 1.4 genannten Tag hinaus teilweise Arbeitsentgelt laufend bis unbegrenzt weitergewährt in Höhe von monatlich 78 DM brutto als vermögenswirksame Leistung. Unter Ziffer 1.8 war angegeben, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst sei. Unter Ziffer 2. war als letzter abgerechneter Entgeltzahlungszeitraum der Monat April 1993 eingetragen mit einem Bruttoentgelt von 7.360,50 DM und einem Nettoentgelt von 5.786,34 DM.

Bereits ab 1. November 1993 hatte der Kläger jedoch bei dem Arbeitgeber erneut eine Vollzeittätigkeit aufgenommen, ohne das der Beklagten mitzuteilen.

Das Arbeitsamt E. bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 6. Mai 1994 Übg unter Berücksichtigung eines Bruttoarbeitsentgelts in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze von damals 240 DM kalendertäglich mit einem kalendertäglichen Zahlbetrag in Höhe von 153,60 DM vom 18. Oktober 1993 bis 31. Dezember 1993, in Höhe von 144,00 DM vom 1. Januar 1994 bis 30. April 1994 und in Höhe von 150,41 DM vom 1. Mai 1994 bis vorläufig 30. September 1997. Mit Anpassungsbescheid vom 15. Juli 1995 bewilligte die Beklagte dem Kläger Übg ab dem 1. Mai 1995 in Höhe von 155,00 DM kalendertäglich sowie mit Anpassungsbescheid vom 1. April 1996 ab 1. Mai 1996 in Höhe von 155,42 DM kalendertäglich. Das Arbeitsamt E. zahlte die Leistungen bis zum 31. Oktober 1996 aus.

Ab 1. November 1996 erklärte sich das Arbeitsamt D-Stadt wieder für den Kläger zuständig. Im Zusammenhang mit Ermittlungen wegen des maßgeblichen Anpassungstages erfuhr die Beklagte am 7. November 1996 telefonisch von dem Arbeitgeber, dass der Kläger weiterhin vollzeitig beschäftigt sei. Auf weitere Ermittlungen legte der Arbeitgeber die Entgeltabrechnungen für die Jahre 1993 bis November 1996 vor und teilte ergänzend mit Schreiben vom 17. Januar 1997 mit, dass der Kläger ab dem 1. November 1993 nach einem Arbeitsunfähigkeitszeitraum vom 28. Mai 1993 bis 31. Oktober 1993 seine bisherige Tätigkeit wieder aufgenommen habe.

Auf das Anhörungsschreiben der Beklagten vom 26. Mai 1997 teilte der Kläger schriftlich mit, die Beklagte habe der Verdienstbescheinigung des Arbeitgebers vom 19. April 1994 entnehmen können, dass das Arbeitsverhältnis mit den bisherigen Bezügen fortgesetzt werde. Er habe daher annehmen dürfen, dass ihm die bewilligten Reha-Leistungen trotzdem zustünden. Er könne das Studium neben seiner Vollzeitbeschäftigung absolvieren, weil sich die Lehrinhalte des Grundstudiums mit seinem abgeschlossenen Studium im Fach Lebensmitteltechnologie deckten.

Mit Bescheid vom 25. Juli 1997 nahm das Arbeitsamt E. die vorbenannten Bewilligungsbescheide mit Ausnahme des Grundbescheids vom 29. Juni 1992 ab dem 1. November 1993 zurück und setzte unter anderem einen Erstattungsanspruch in Höhe von insgesamt 164.419,20 DM für rechtswidrig gezahltes Übergangsgeld fest. Zur Begründung stützte sich die Beklagte darauf, ein Anspruch auf Übergangsgeld bestehe nur, wenn wegen der Reha-Maßnahme eine ganztätige Beschäftigung nicht ausgeübt werden könne. Außerdem widerlege die Beschäftigung die Notwendigkeit der Maßnahme. Der Kläger habe die Vollzeitbeschäftigung nicht mitgeteilt. Allein die Verdienstbescheinigung des Arbeitgebers genüge hierfür nicht, weil nur vermögenswirksame Leistungen bestätigt und die Auflösung des Arbeitsverhältnisses verneint sei. Weiter habe er wissen müssen, dass ihm Übg neben der Beschäftigung nicht zustehen könne. Im Rahmen der gebotenen Ermessensbetätigung sei dem Rückforderungsinteresse Vorrang einzuräumen.

Hiergegen legte der Kläger am 20. August 1997 bei dem Arbeitsamt E. schriftlich Widerspruch ein. Zur Begründung führte sein Verfahrensbevollmächtigter aus, der Bescheid sei schon deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte es versäumt habe auch den Grundbescheid vom 29. Juni 1992 aufzuheben. Die Jahresfrist ab Kenntnis der die Rechtswidrigkeit begründenden Tatsachen habe die Beklagte ebenso versäumt. Aus der vorgelegten Arbeitsbescheinigung des Arbeitgebers vom 29. April 1994 habe die Beklagte zweifelsfrei ersehen können, dass die Beschäftigung zu dem bisherigen Arbeitsentgelt fortgesetzt werde. Ein Arbeitsentgelt ab dem 1. November 1993 habe der Arbeitgeber nur deshalb nicht ausgewiesen, weil die Verdienstbescheinigung sich auf den Zeitraum vor Beginn der Reha-Maßnahme beschränken sollte. Weiter sei auch die Zwei-Jahres-Frist abgelaufen, weil dem Kläger wegen einer rechtswidrigen Gewährung der streitigen Leistungen kein Vorwurf zu machen sei. Er habe das Studium aufgenommen und fortgeführt. Eine Belegpflicht für Veranstaltungen sehe die Studienordnung nicht vor. Der Kläger habe erst nach Beginn des Studiums den Entschluss gefasst, es als Selbststudium zu betreiben und deshalb mit Schreiben vom 24. Oktober 1993 dem Arbeitgeber angeboten, die Beschäftigung im vollen Umfang wieder aufzunehmen. Merkblätter hätten ihm nicht zur Verfügung gestanden. Auch sei die Ermessensausübung fehlerhaft.

Den Widerspruch wies das Arbeitsamt E. mit Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 1998 als unbegründet zurück. Der Rehabilitationsanspruch sei mit erneuter Aufnahme der bisherigen Vollzeitbeschäftigung ab 1. November 1993 erloschen. Kenntnis davon habe es durch die Verdienstbescheinigung des Klägers nicht erlangt. Mangels vorheriger Information des Klägers über die Wiederaufnahme der Beschäftigung habe es davon ausgehen müssen, dass aus der Verdienstbescheinigung ersichtlich ein Anspruch auf Arbeitsentgelt über den 8. Juli 1993 nicht bestehe.

Die Rücknahmevoraussetzungen lägen vor, weil der Kläger habe wissen müssen, dass die Bewilligung von Übergangsgeld und die Übernahme von Fahrkosten rechtswidrig geworden seien und er die Wiederaufnahme der Beschäftigung habe mitteilen müssen. Hierüber sei er mit dem Merkblatt informiert worden, dessen Erhalt und Kenntnisnahme er im Antragsformblatt bestätigt habe. Ermessen sei nicht eingeräumt.

Hiergegen hat der Kläger am 12. Juni 1998 bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) unter dem Az. S 19 AL 2062/98 Klage erhoben.

Zur Begründung hat er vorgetragen, die Rücknahmeentscheidung der Beklagten sei ermessensfehlerhaft, denn das Mitverschulden des Arbeitsamtes sei nicht ausreichend berücksichtigt worden, die Jahresfrist für die Rücknahme der Bewilligung nach § 45 SGB X sei bereits verstrichen gewesen, er habe wahrheitsgemäße Angaben gemacht und auf die Bewilligungsentscheidung vertraut. Das Arbeitsamt D-Stadt sei schließlich in der Lage gewesen durch eigene Ermittlungen den richtigen Sachverhalt zu erfassen. Auch habe ein gegen den Kläger von der Beklagten angestrengtes Strafverfahren mit einem Freispruch geendet. Wegen des Urteils des Amtsgerichts F. vom 1. Dezember 1998 wird auf Blatt 70 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen. In der mündlichen Verhandlung vom 16. September 2003 hat der Kläger erklärt, er habe damals nicht mit dem Arbeitsamt darüber gesprochen, dass er sein Studium anders organisieren wollte als ursprünglich geplant, weil er hierfür keine Veranlassung gesehen habe. Für ihn sei Ziel gewesen, das Studium durchzuführen, egal wie. Er habe damals von Montag bis Freitag mittag für seinen Arbeitgeber gearbeitet und sei nach seiner Erinnerung in der Regel Freitag bis Sonnabend während des Semesters nach F. gefahren. Speziell zu Beginn jedes Semesters habe er seinen Urlaub teilweise dazu verwendet, häufiger nach F. zu fahren.

Die Beklagte hat im Wesentlichen die Gründe der angefochtenen Bescheide wiederholt.

In der mündlichen Verhandlung am 16. September 2003 hat das SG beschlossen, den Rechtsstreit, soweit er die Rücknahme der Bewilligung von Fahrkosten und die Erstattung von 7.302,10 DM betrifft, abzutrennen und unter dem Aktenzeichen S 19 AL 3306/03 fortzuführen. Im Übrigen hat es mit Urteil vom selben Tag die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Bewilligung von Übergangsgeld lägen nach § 152 Abs. 2 AFG i.V.m. § 45 Abs. 4 und Abs. 2 S. 3 Nr. 1 (gemeint ist wohl Nr. 3) SGB X vor. Die Bescheide über die Bewilligung von Übg seien anfänglich rechtswidrig gewesen, weil der Kläger eine ganztägige Erwerbstätigkeit habe ausüben können (vgl. § 59 Abs. 1 S. 1 AFG). Dasselbe Ergebnis ergebe sich bei einer Anrechnung des Arbeitsentgelts auf das Übergangsgeld nach § 59e Abs. 1 AFG. Die subjektiven Rücknahmevoraussetzungen für die Vergangenheit gemäß § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X lägen ebenfalls vor. Dem Kläger sei zur Last zu legen, dass er jedenfalls unter Verwendung des Merkblattes der Beklagten habe wissen müssen, dass ihm neben seinem hohen Arbeitsentgelt Leistungen zum Lebensunterhalt nicht zustehen können. Weiter sei schon den Bewilligungsbescheiden zu entnehmen gewesen, dass Einkommen auf das Übergangsgeld anzurechnen ist. Nicht glaubwürdig sei der Kläger, soweit er behaupte, er sei von einer korrekten Anrechnung durch die Beklagte ausgegangen. Die Rücknahme habe zwingend ohne Ermessensspielraum zu erfolgen. Die Beklagte habe die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X eingehalten, weil ihr die Voraussetzungen für eine Rücknahme frühestens im November 2006 nach einem Telefongespräch mit dem Arbeitgeber bekannt gewesen seien. Der Erstattungsbetrag sei zutreffend nach § 50 Abs. 1 SGB X festgesetzt.

Gegen das am 3. November 2003 ihm zugestellte Urteil hat der Kläger am 28. November 2003 bei dem Hessischen Landessozialgericht (HLSG) Berufung eingelegt.

Das SG hat mit weiterem Urteil vom 12. April 2005 auch hinsichtlich des anhängig gebliebenen Streitgegenstands (Fahrkosten) die Klage abgewiesen.

Auch gegen dieses dem Kläger am 21. Juni 2005 zugestellte Urteil hat er am 20. Juli 2005 bei dem HLSG Berufung unter dem Az.: L 7 AL 171/05 eingelegt.

Der damalige Berichterstatter hat den Kläger in einem Erörterungstermin vom 12. Dezember 2006 für beide Berufungen persönlich befragt. Wegen des Ergebnisses der Befragung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Der Kläger hat zum Termin zwei Schreiben der Uni vom 30. April 1997 sowie das Merkblatt der Beklagten "Berufliche Rehabilitation" vorgelegt. Auf die Dokumente wird ebenfalls wegen des Inhalts im Einzelnen Bezug genommen. Der Senat hat die beiden Berufungen mit Beschluss vom 20. September 2010 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 22. Oktober 2010 haben die Beteiligten mit Teil-Vergleich den Rechtsstreit hinsichtlich der Fahrkosten erledigt. Der Senat hat unter anderem zum Umfang der Mitteilungspflicht und deren Kenntnis den Kläger persönlich befragt. Wegen der Ergebnisse der Befragung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Der Kläger weist darauf hin, das SG habe sich möglicherweise davon beeinflussen lassen, dass ein hohes Arbeitsentgelt und daraus resultierend ein entsprechend hohes Übergangsgeld ihm zur Verfügung gestanden habe. Das ändere trotz seines Bildungsstandes nichts daran, dass er annehmen durfte, die Beklagte habe das Übergangsgeld in Kenntnis seines Arbeitsentgelts korrekt berechnet. Er sei, wie bereits vorgetragen, davon ausgegangen, die Abrechnung des Arbeitgebers habe alle erforderlichen Informationen enthalten. Es sei nach dem Arbeitsentgelt ausdrücklich nur für den Zeitraum vor Beginn des Studiums gefragt worden. Gleichwohl habe der Arbeitgeber bestätigt, das Arbeitsverhältnis sei nicht aufgelöst.

Soweit ihm das Merkblatt der Beklagten vorgehalten werde, sei diesem nur zu entnehmen, Arbeitsentgelt würde auf das Übg angerechnet. Ob und in welcher Höhe das im Einzelfall zu erfolgen habe, sei hingegen nicht ausgeführt.

Er sei im Strafverfahren durch Urteil des Amtsgerichts F. vom 1. Dezember 1998 ausdrücklich freigesprochen worden.

Weiter sei zu berücksichtigen, dass ihm aufgrund des Grundbescheids der Beklagten ein Anspruch auf Übernahme notwendiger Aufwendungen zustünde. Er habe nach Bewilligung des Übg keine weiteren Anträge gestellt oder Nachweise eingereicht, weil er davon ausgegangen sei, die Aufwendungen seien mit dem Übg zu finanzieren. Insgesamt seien ihm einschließlich Fahrkosten Aufwendungen in Höhe von insgesamt 113.671,00 DM bis zum Abbruch des Studiums entstanden. Hilfsweise würde er diese Aufwendungen auch für dem Grunde nach bereits bewilligte Teilleistungen gegen einen Erstattungsanspruch der Beklagten aufrechnen.

Weiter habe die Beklagte die Jahresfrist zur Rücknahme ab Kenntnis bereits deshalb versäumt, da er am 15. März 1995 seine Bewerbungsunterlagen bei der Zentralen Arbeitsvermittlungsstelle der Beklagten (ZAV) abgegeben habe. Aus den Unterlagen sei zu entnehmen, dass er seit 1990 als Leiter einer technischen Hauptabteilung in einem internationalen Konzern tätig - gewesen - sei.

Der Beklagten sei trotz § 152 Abs. 2 AFG ein Entschließungsermessen eingeräumt gewesen. Insoweit wiesen die angefochtenen Bescheide Ermessensdefizite auf. Im Widerspruchsbescheid sei eine Ermessensbetätigung nicht zu erkennen. Soziale Härten sowie ein Mitverschulden der Beklagten hätten keine Berücksichtigung gefunden.

Stünde der Beklagten in Höhe der Aufrechnung ein Erstattungsanspruch nicht zu, würde hilfsweise beantragt, das im Urteil festzustellen.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 16. September 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 1998 in der Fassung des Teilvergleiches vom 22. Oktober 2010 aufzuheben,
hilfsweise festzustellen,
dass er nicht verpflichtet ist, Übergangsgeld in Höhe von 113.671,00 DM zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückweisen und die weitere Klage abzuweisen.

Die Beklagte weist darauf hin, dem Kläger sei bekannt gewesen, dass sein Arbeitsentgelt über der Beitragsbemessungsgrenze gelegen habe. Schon deshalb habe ihm bekannt sein müssen, dass ihm Leistungen oberhalb dieser Grenze nicht zustehen können. Leistungsanträge für weitere Aufwendungen habe er nicht gestellt. Aus den Überweisungsträgern sei für ihn ersichtlich gewesen, dass ihm Übg auf sein Girokonto überwiesen sei. Die Jahresfrist könne vor der erforderlichen Anhörung nicht verstrichen sein. Zudem sei nach der Rechtsprechung des BSG auf die Kenntnis des zuständigen Sachbearbeiters abzustellen (BSG, 27.7.2000 - B 7 AL 88/99 R).

Wegen weiterer Einzelheiten und dem Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Reha-Akten der Arbeitsagenturen E. und D-Stadt, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg, weil im Ergebnis das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden ist.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig.

Dabei leidet er von vornherein nicht unter einem beachtlichen formellen Fehler.

Die nach § 24 Abs. 1 SGB X erforderliche Anhörung des Klägers ist mit Schreiben vom 26. Juni 1997 erfolgt.

Nicht zu prüfen ist, ob das Arbeitsamt E. für den Erlass des angefochtenen Bescheids örtlich zuständig gewesen ist. Gemäß § 45 Abs. 5 SGB X i.V.m. § 44 Abs. 3 SGB X ist die im Zeitpunkt der Aufhebung örtliche Zuständigkeitsregelung maßgeblich, auch wenn den zurückzunehmenden Verwaltungsakt eine andere Behörde erlassen hat. Zweifel könnten sich daher ergeben, weil nach dem Schreiben der Beklagten vom 24. Oktober 1996 ab 1. November 1996 ein Zuständigkeitswechsel zum Arbeitsamt D-Stadt erfolgt sein soll. Rechtsgrundlage dafür hätte allerdings nur eine abweichende Regelung des Präsidenten der Bundesanstalt nach §§ 57 Abs. 4, 56 Abs. 2 S. 4 Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit über die Arbeits- und Berufsförderung (A Reha) sein können, weil gemäß § 57 Abs. 1 A Reha ansonsten das Arbeitsamt E. zuständig geblieben wäre. Gemäß § 42 S. 1 SGB X wäre insoweit ein Fehler aber unbeachtlich, weil die gebundene Entscheidung des Arbeitsamts E. offensichtlich durch eine mögliche Verletzung der örtlichen Zuständigkeit nicht beeinflusst ist.

Die Beklagte durfte einen Erstattungsbetrag für gezahltes Übg nach § 50 Abs. 1 SGB X festsetzen, weil es zu Recht den Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 6. Mai 1994 in der Fassung der Anpassungsbescheide vom 15. Juli 1995 und 1. Mai 1996 zurückgenommen hat.

Materiell-rechtliche Befugnisnorm für die Rücknahme ist § 330 Abs. 2 SGB III i.V.m. § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 2 oder 3, Abs. 3 S. 3, Abs. 4 SGB X. § 330 Abs. 2 SGB III ist anstelle des inhaltsgleichen § 152 Abs. 2 AFG anzuwenden, weil der Widerspruchsbescheid nach Inkrafttreten des SGB III ab 1.1.1998 erlassen ist (Geltungszeitraumprinzip: BSG, 2.6.2004 - B 7 AL 58/03).

Danach ist ein begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Dabei hat die Rücknahme des Verwaltungsaktes innerhalb von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe zu erfolgen. Die Behörde hat das innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen zu tun, die die Rücknahme für die Vergangenheit rechtfertigen.

Die Befugnisnorm ist anzuwenden, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war und deswegen zurückgenommen werden soll; dagegen kommt eine Aufhebung nach § 330 Abs. 3 SGB III i.V.m. § 48 SGB X in Betracht, wenn nach Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung eine wesentliche Änderung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht eingetreten ist. Beide Normen grenzen sich folglich nach dem Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes ab, der aufgehoben werden soll (vgl. BSG, 16.12.2008 - B 4 AS 48/07 R mwN). Ob allein für die Abgrenzung es für die Bestimmung des Erlasszeitpunktes auf die Erstellung, Absendung - genauer Aufgabe zur Post - oder Bekanntgabe des Verwaltungsaktes ankommt, ist streitig (für Bekanntgabe: BSG, 1.6.2006 - B 7a AL 76/05 R mwN und 16.12.2008 - B 4 AS 48/07 R; für Absendung: Steinwedel in KassKomm, § 39 SGB X, Stand: V/2006, Rn. 18 mwN), kann aber vorliegend dahingestellt bleiben.

Vorliegend ist der Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 6. Mai 1994 bereits im Zeitpunkt seines Erlasses für den Zeitraum ab 1. November 1993 rechtswidrig gewesen.

Zwar sind die Anspruchsvoraussetzungen jedenfalls nicht weggefallen, weil der Kläger ab dem 1. November 1993 möglicherweise an dem geförderten Studium nicht mehr ordnungsgemäß teilgenommen hat. Insoweit ist der Bescheid der Beklagten vom 29. Juni 1992 gemäß § 77 SGG für die Beteiligten bindend, mit dem sie dem Grunde nach die Förderung verfügt hat ohne diesen Bescheid aufzuheben. Es haben jedoch die Voraussetzungen für die Bewilligung von Übg ab dem 1. November 1993, die im Bescheid vom 29. Juni 1992 ausdrücklich der späteren gesonderten Bewilligungsentscheidung vorbehalten bleiben sollte, nicht vorgelegen.

Ein Anspruch auf Übg setzte gemäß § 59 Abs. 1 S. 1 AFG, der hier nach § 426 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGB III maßgeblich ist, unter anderem voraus, eine ganztägige Erwerbstätigkeit neben der Maßnahme nicht ausüben zu können. Bereits daran fehlt es, weil der Kläger tatsächlich ab dem 1. November 1993 seine im Wesentlichen bisherige Tätigkeit in ganztägigem Umfang bei dem Arbeitgeber ausgeübt hat.

Dem Kläger ist unter Berücksichtigung des Eindrucks, den er bei dem Senat aufgrund seiner persönlichen Befragung in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, zur Last zu legen, über das bei dieser ganztägigen Beschäftigung ab dem 1. November 1993 erzielte Arbeitsentgelt die Beklagte vor Erlass des Bewilligungsbescheids allenfalls unvollständig informiert zu haben. Dabei ist nach der Rechtsprechung des BSG die unterbliebene Mitteilung wesentlicher geänderter Umstände, die bei Antragstellung - möglicherweise korrekt - noch anders angegeben sind, einer unrichtigen oder unvollständigen Angabe gleichzustellen (BSG, 1.6.2006 - B 7a AL 76/05 R).

Selbst wenn der Kläger in dem Fragebogen vom 3. September 1993 noch zutreffend davon ausgegangen sein sollte, dass er während des Studiums kein Arbeitsentgelt erhalten wird, ist ihm danach vorzuwerfen, spätestens Ende Oktober 1993 die eingetretene Änderung der Beklagten nicht mitgeteilt zu haben.

Der Kläger hat insoweit auch zumindest grob fahrlässig gehandelt.

Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss; dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff).

Nach seinen eigenen Angaben auch bei der persönlichen Befragung im Verhandlungstermin ist dem Kläger, wie im Merkblatt der Beklagten auf S. 12 ausgeführt, bekannt gewesen, dass für die Höhe des Übg gleichzeitig zustehendes Arbeitsentgelt erheblich sein kann und von ihm mitzuteilen ist. Weiter ist auf S. 24 des Merkblattes, dessen Erhalt und Kenntnisnahme er im Antragsformblatt der Beklagten schriftlich bestätigt hat, aufgeführt, dass Arbeitsentgelt auch mitzuteilen ist, wenn über den Anspruch auf Übg noch nicht entschieden ist.

Soweit der Kläger zu seiner Entlastung vorträgt, davon ausgegangen zu sein, mit der Vorlage der Verdienstbescheinigung des Arbeitgebers vom 19. April 1994 im April 1994 seiner Mitteilungsobliegenheit nachgekommen zu sein, ist dem nicht zu folgen.

Die Verdienstbescheinigung lässt zweifelsfrei auch für den geschäftserfahrenen Kläger in hoher Unternehmensposition eine eindeutige Angabe des Arbeitsentgelts ab dem 1. November 1993 nicht erkennen. Mitgeteilt ist unter Ziffer 1.8 der Arbeitsbescheinigung nur, das Arbeitsverhältnis sei nicht aufgelöst. Ein Arbeitsentgelt ist damit nicht bestätigt. Vielmehr wird unter Ziffer 1.4 eine Weiterzahlung des vollen Arbeitsentgelts während der Reha-Maßnahme verneint, obwohl der Beginn der Reha-Maßnahme am 18. Oktober 1993 ausdrücklich benannt ist. Bestätigt wird eine Weiterzahlung des Arbeitsentgelts in teilweiser Höhe erkennbar nur für vermögenswirksame Leistungen in Höhe von 78 DM monatlich brutto. Der Kläger hätte daher erkennen können, dass sich aus der Verdienstbescheinigung zumindest nicht zweifelsfrei ergibt, dass das Arbeitsentgelt ab 1. November 1993 in voller Höhe weitergezahlt ist.

Ist der Kläger von sich aus seiner Mitteilungsobliegenheit rechtzeitig vorher nicht nachgekommen, hätte er Sorge dafür tragen müssen, dass sich aus der Verdienstbescheinigung des Arbeitgebers für ihn erkennbar ohne jeden vernünftigen Zweifel die erforderlichen Angaben zum Arbeitsentgelt ab 1. November 1993 ergeben, oder gesondert die Beklagte darauf hinweisen müssen.

Die unterbliebene Änderungsmitteilung ist für die Bewilligung von Übg ursächlich gewesen. Auf ein mögliches Mitverschulden der Beklagten kommt es nicht an (vgl. BSG, 28.11.2007 - B 11a/7a AL 14/07 R).

Die Jahresfrist nach § 45 Abs. 4 SGB X - Rücknahme ab Kenntnis - ist eingehalten, weil die Beklagte weder durch die Verdienstbescheinigung des Arbeitgebers noch die bei der ZAV am 15. März 1995 eingereichten Bewerbungsunterlagen des Klägers Kenntnis über die die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen erlangt hat. Letzteres folgt schon daraus, dass die Bewerbungsunterlagen der ZAV, nicht aber der zuständigen Verwaltungseinheit zur Verfügung gestanden haben (hierzu: Waschull in LPK-SGB X § 45 Rn. 111). Weiter ist der Angabe in den Bewerbungsunterlagen, der Kläger sei seit dem 1. Januar 1990 beschäftigt, nicht zweifelsfrei zu entnehmen, bis wann die Beschäftigung erfolgt ist; zwingend ist nur, dass es sich um die letzte Beschäftigung gehandelt haben muss.

Die weitere Zehn-Jahresfrist (Rücknahme ab Bekanntgabe des aufzuhebenden Verwaltungsaktes) ist ebenfalls eingehalten.

Die Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Beklagten im Übrigen misst sich, soweit nicht der Ausgangsbescheid vom 6. Mai 1994, sondern die späteren Anpassungsbescheide betroffen sind, an § 48 SGB X. Diese Vorschrift setzt eine wesentliche Änderung nach Erlass (darunter ist der Zeitpunkt seines Wirksamwerdens - § 39 Abs. 1 SGB X - zu verstehen) eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung voraus. Die Anpassungsbescheide (veränderte Leistungen wegen neuer Leistungsentgelt-Verordnungen/Anpassungen), die lediglich auf dem Ausgangsbescheid aufbauen und die Leistungshöhe aufstocken bzw. herabsetzen, haben nach der Rechtsprechung des BSG nur einen beschränkten Regelungsgehalt. Das Vorgehen der Beklagten misst sich bezüglich dieser Bescheide an § 48 SGB X, weil deren beschränkter Regelungsgehalt nicht betroffen ist und deshalb der Folgebescheid erst mit der Aufhebung des Ausgangsbescheides als der wesentlichen Änderung i.S. des § 48 SGB X rechtswidrig wird (BSGE 93, 51 ff Rn 7 = SozR 4-4100 § 115 Nr. 1). Bei dem Folgebescheid bezieht sich dann allerdings der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit zwangsläufig auf den Ausgangsbescheid über die erstmalige Leistungsbewilligung bzw. die aus diesem übernommenen Berechnungselemente. Wäre mithin dem Kläger im Hinblick auf den Ausgangsbescheid der Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu machen, so wiederholt sich dieser Fahrlässigkeitsvorwurf auch hinsichtlich der Anpassungsbescheide (vgl. BSG SozR 3-1300 § 24 Nr. 21).

Liegen damit die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Bewilligung vor, hat diese entgegen der Auffassung des Klägers zwingend auch für die Vergangenheit zu erfolgen. Ein Entschließungsermessen steht der Beklagten aufgrund der Regelung des § 330 Abs. 2 SGB III nicht zu (vgl. zu § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III: BSG, 5.6.2003 - B 11 AL 70/02 R). Soweit gegen die zwingende Regelung verfassungsrechtliche Bedenken erhoben werden (zB Vorlagebeschlüsse des SG Aurich vom 19.5.2004 - S 5 AL 114/02 und 25.6.2003 - S 5 AL 101/99; Nichtannahme mangels Zulässigkeit der Vorlage: BVerfG, 15.4.2005 - 1 BvL 6/03 und 1 BvL 8/04), weil ein Ermessen selbst in atypischen Fällen nicht eingeräumt ist, kommt dem vorliegend keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Eine atypische Fallkonstellation ist ersichtlich nicht betroffen. Selbst wenn man der Beklagten ein gewisses Mitverschulden für die Leistungsgewährung zuweisen wollte, weil sie sich nicht von sich aus veranlasst gesehen hat, auf die Vorlage der Verdienstbescheinigung weitere Ermittlungen vorzunehmen oder von sich aus den Sozialversicherungsausweis und die Lohnsteuerkarte des Klägers anzufordern, würde das die Annahme eines atypischen Falles nicht rechtfertigen. Insoweit würde das als geringfügig anzusehende Mitverschulden der Beklagten gegenüber dem Vorwurf der groben Fahrlässigkeit gegenüber dem Kläger nicht ins Gewicht fallen. Weiter hat das BVerfG selber darauf hingewiesen, dass in atypischen Fällen eine Korrektur im Einziehungsverfahren nach § 76 Abs. 2 SGB IV ausreichend sein könnte (BVerfG, aaO). Letzteres würde auch für die vom Kläger geltend gemachten besonderen Härten greifen, soweit sie überhaupt vorliegen.

Soweit der Kläger gegen den Erstattungsanspruch weitere ihm seiner Auffassung nach zustehende Leistungsansprüche hilfsweise aufrechnen will, ist das nicht entscheidungserheblich.

Die Aufrechnung berührt die Rechtmäßigkeit des Erstattungsbescheides nicht, so dass dahingestellt bleiben kann, ob eine Aufrechnungslage überhaupt besteht. Letzteres könnte zweifelhaft sein, soweit die geltend gemachten Ansprüche noch einer Bescheidung der Beklagten bedürfen, um überhaupt entstehen zu können.

Zwar wird insoweit vertreten, dass eine Aufrechnung gegen den Erstattungsanspruch unter weiteren Voraussetzungen beachtlich sein kann (BSG, 9.6.1988 - 4 RA 9/88, Waschull in LPK-SGB X, § 50 Rn. 19 mwN; Steinwedel in KassKomm, Stand V/2006, § 50 SGB X, Rn. 28). Nach richtiger Auffassung setzt die Aufrechnung jedoch eine bestehende Hauptforderung voraus, die allein durch den Erstattungsbescheid festgesetzt wird. Die Aufrechnung kann daher nur in der Vollstreckung, z. B. gegen eine Zahlungsaufforderung, als Erfüllungshandlung geltend gemacht werden (VG Halle, 25.9.2009 - 4 A 23/09 (juris) mwN; grundlegend: BVerwG, 3.6.1983 - 8 C 43/81; VGH Ba.-Wü., 2.12.1996 - 7 S 2235/95). Der Senat gibt seine anderslautende Rechtsprechung (Urteil vom 21.8.2009 - L 7 AL 270/05) ausdrücklich auf. Jedenfalls das BSG hat seine gegenteilige Auffassung (Urteil, 9.6.1988, a.a.O.) nur greifen lassen, wenn die Gegenforderung verbindlich festgestellt oder unbestritten ist. Selbst danach würde die Aufrechnung vorliegend ins Leere laufen, weil diese Voraussetzung nicht erfüllt ist.

Die hilfsweise in der zweiten Instanz erhobene Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG ist bereits unzulässig. Es fehlt an dem hierfür erforderlichen besonderen Feststellungsinteresse. Handelt es sich bei einer Aufrechnung um eine Erfüllungshandlung, die ggf. im nachfolgenden Einziehungsverfahren geltend zu machen ist, ist nicht erkennbar, wieso für den Kläger ein Abwarten unzumutbar sein soll, was allein eine vorherige Feststellung zu rechtfertigen vermag (vgl. BVerwG, aaO). Es ist derzeit nicht erkennbar, dass die Beklagte Erfüllungshandlungen des Klägers im Wege der Aufrechnung im Einziehungsverfahren nicht berücksichtigen wird. Sollten besondere Gründe eine Stundung, Niederschlagung oder gar einen Erlass nach § 76 Abs. 4 SGB IV rechtfertigen, ist auch insoweit nicht ersichtlich, wieso der Kläger das nicht in dem zugehörigen Verfahren soll zumutbar klären können. Streitigkeiten darüber wären mittels der im Einziehungsverfahren zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen zu klären.

Die Kostenentscheidung beruht gemäß § 193 Abs. 1 S. 1 SGG im Wesentlichen auf dem Ausgang des Rechtsstreits. Soweit mit Teil-Vergleich hinsichtlich der Fahrkosten der Kläger teilweise obsiegt hat, fällt das für die Kostenentscheidung nicht ins Gewicht, weil einerseits das Obsiegen gemessen an dem wirtschaftlich zugrundeliegenden gesamten Erstattungsanspruch als geringfügig und unter Beachtung der objektiven Beweislast des Klägers für aus seiner Sphäre stammende Umstände der Höhe nach als nicht erwiesen anzusehen ist.

Gründe die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen sind nicht ersichtlich. Insbesondere weicht die Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des BSG (Urteil, 9.6.1988, a.a.O.) ab, soweit nach Auffassung des Senats eine Aufrechnung die Rechtmäßigkeit des festgesetzten Erstattungsanspruchs nicht berührt, wie bereits oben ausgeführt ist.
Rechtskraft
Aus
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