L 7/10 AL 90/02

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 2/15 AL 322/01
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7/10 AL 90/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 10. Dezember 2001 und der Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2001 aufgehoben.

II. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger auf dessen Antrag vom 29. Dezember 1999 einem Schwerbehinderten gleichzustellen.

III. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gleichstellung des Klägers mit Schwerbehinderten.

Der 1958 geborene Kläger ist als Sachgebietsleiter im Kreditaktenarchiv bei der C. Sparkasse beschäftigt und verantwortlich für Verwaltung und Organisation des Sachgebietes, die Vertretung in den einzelnen Sparten des Sachgebietes sowie die Ein-, Aus- und Umlagerung sowie den Transport von allen Kreditaktenbeständen. Durch Bescheid vom 1. Oktober 1997 stellte das Hessische Amt für Versorgung und Soziales E Stadt das Vorliegen von folgenden Behinderungen des Klägers fest:

1. chronisches Halswirbelsäulen-Syndrom mit Kopfschmerzen und Lumbalsyndrom bei Wirbelsäulenfehlstatik, Spinalkanalenge und Bandscheibenschaden,
2. chronische Kniegelenksbeschwerden rechts bei Knorpelschaden,
3. Funktionseinschränkungen im rechten Handgelenk bei degenerativen Veränderungen und nach Verbrennung,
4. Teilleistungsschwäche.

Der daraus resultierende Grad der Behinderung (GdB) betrage 30.

Am 29. Dezember 1999 beantragte der Kläger seine Gleichstellung als Schwerbehinderter. Eine solche Gleichstellung wäre von Vorteil, da sein Arbeitgeber ihm mit Konsequenzen "wegen Krankheit" gedroht habe. Die im Bescheid vom 1. Oktober 1997 angeführten und schon erheblichen Funktionsbeeinträchtigungen stellten eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit dar. Im September 1999, so führte der Kläger unter dem 5. Januar 2000 aus, sei ihm in Anwesenheit eines Betriebsrates unverblümt gesagt worden, dass er in diesem Jahr mit krankheitsbedingter Kündigung zu rechnen habe. Das werde auch dokumentiert durch seine weit überdurchschnittlichen Fehlzeiten in den letzten vier Jahren.

Der Arbeitgeber des Klägers führte hierzu in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 11. Januar 2000 aus, der Kläger habe bisher keine Schwerbehinderung angezeigt. Da die genauen Umstände und die Art seiner Behinderung unbekannt seien, könne keine Aussage dazu getroffen werden, inwieweit sich die Behinderung auf seine Arbeitstätigkeit auswirke. Die Notwendigkeit einer Gleichstellung werde daher nicht gesehen. Die hohen Fehlzeiten (1996 99 Tage, 1997 74 Tage, 1998 30 Tage und 1999 78 Tage krank und 21 Tage krank wegen Berufsunfall) resultierten aus einer überdurchschnittlichen Zahl von Arbeitsunfällen (Akte auf Fuß gefallen, beim Treppensteigen umgeknickt etc.).

Während der Arbeitgeber die Arbeitsschwere mit überwiegend leicht und zeitweise mittelschwer überwiegend im Stehen, Gehen und Sitzen bezeichnete, wurde sie vom Betriebsrat und von der Schwerbehindertenvertrauensfrau in den Stellungnahmen vom 9. Februar 2000 als zeitweise leicht, mittelschwer und schwer, mit überwiegendem Stehen und Gehen und zeitweisem Sitzen charakterisiert. An seinem Arbeitsplatz sei der Kläger wegen des schweren Hebens und Tragens teilweise in seiner Leistung eingeschränkt. Eine behinderungsbedingte Gefährdung des Arbeitsplatzes sei abhängig von der weiteren Entwicklung der Fehlzeiten.

In ihrem arbeitsamtsärztlichen Gutachten vom 17. April 2000 kam die Arbeitsamtsärztin Dr. D. aufgrund ambulanter Untersuchung des Klägers zu dem Schluss, dieser könne die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Archivar weiterhin verrichten. Er könne noch vollschichtig körperlich leichte bis zeitweise mittelschwere Arbeiten in geschlossenen, temperierten Räumen, bei Tages-, Früh- und Spätschicht, im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen, ohne Zeitdruck, ohne Nässe, Kälte, Zugluft, Temperaturschwankungen, häufiges Bücken, Zwangshaltung und häufiges Heben und Tragen ohne mechanische Hilfsmittel ausüben. Der Kläger habe über vielfältige Beschwerden seitens der Wirbelsäule und der Kniegelenke geklagt. Hier lägen Verschleißerscheinungen und Bandscheibenschäden vor, bei der klinischen Untersuchung hätten aber keine Funktionseinschränkungen festgestellt werden können. Außerdem habe der Kläger angegeben, dass er sich den Anforderungen seiner Tätigkeit gesundheitlich gewachsen fühle.

Daraufhin lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 20. Juli 2000 den Gleichstellungsantrag des Klägers ab, weil keine Anhaltspunkte dafür gegeben seien, dass der Arbeitsplatz des Klägers aus behinderungsbedingten Gründen gefährdet sei und er zur Erhaltung des Arbeitsplatzes auf den Schutz des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) angewiesen sei. Der hiergegen vom Kläger am 18. August 2000 erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg. Im Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2001 führte die Beklagte aus, Voraussetzung für die Gleichstellung nach § 2 Abs. 1 des sei, dass der Antragsteller "infolge seiner Behinderung" ohne die Gleichstellung und die damit verbundene Rechtsstellung eines Schwerbehinderten keinen geeigneten Arbeitsplatz erlangen oder behalten könne. Der Gesetzgeber beschränke damit seine Hilfe auf die Behinderten, die trotz des geringen Grades der Behinderung besonders schutzbedürftig seien. Ob der Behinderte einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht behalten könne, brauche zwar nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustehen, andererseits genüge auch nicht nur die entfernte Möglichkeit. Bei beschäftigten Minderbehinderten müsse vielmehr ernstlich mit der – behinderungsbedingten Gefährdung des Arbeitsplatzes zu rechnen sein. Davon könne vorliegend nicht ausgegangen werden. Es seien keine konkreten Anhaltspunkte erkennbar, die für die Annahme, das Arbeitsverhältnis sei behinderungsbedingt gefährdet, sprechen würden. Gegenüber dem Arbeitsamtsarzt habe der Kläger auch angegeben, dass er sich den Anforderungen seiner Tätigkeit als Archivar bei der C. Sparkasse gesundheitlich gewachsen fühle. Auszuschließen seien nach dem Gutachten langandauernde Körperzwangshaltungen sowie das Heben und Tragen schwerer Lasten. Entgegen dem Vortrag des Klägers hätten sich bei den getroffenen Feststellungen keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er bei seiner Tätigkeit diesen auszuschließenden Umständen ausgesetzt sei. Insgesamt sei aufgrund der Untersuchung und Begutachtung festzustellen, dass er in seiner Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Nichtbehinderten für die auszuübende Tätigkeit nicht benachteiligt sei und dass auch nicht mit einer wesentlichen Verschlimmerung der Behinderung zu rechnen sei, wenn er am jetzigen Arbeitsplatz verbleibe. Für die derzeit von ihm ausgeübte Tätigkeit bestehe Leistungsfähigkeit. Die Zusammenstellung der Krankenkasse über die Arbeitsunfähigkeitszeiten und deren Diagnosen weise nur in der Zeit vom 14. August 1996 bis zum 9. April 1997 eine längere behinderungsbedingte Ausfallzeit auf. In dieser Zeit habe Arbeitsunfähigkeit aufgrund eines Bandscheibenvorfalls und eines Lendenwirbelsäulensyndroms bestanden. Weitere behinderungsbedingte Fehlzeiten befänden sich im Jahre 1999 (18 Kalendertage). Ansonsten seien nach Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit am 9. April 1997 im restlichen Kalenderjahr 1997, im Jahr 1998 sowie im Jahr 2000 bis zur Ausstellung der Bescheinigung am 7. Februar keine Arbeitsunfähigkeitszeiten zu verzeichnen, die in ursächlichem Zusammenhang mit den vom Versorgungsamt festgestellten Behinderungen stünden. Insgesamt habe die Auswertung ergeben, dass behinderungsbedingte Fehlzeiten in den letzten Jahren nicht in nennenswertem Umfange aufgetreten seien. Eine ernsthafte behinderungsbedingte Gefährdung des Arbeitsplatzes lasse sich auch nicht aus den eingeholten Stellungnahmen des Arbeitgebers und der Arbeitnehmer- bzw. Schwerbehindertenvertretung ableiten. Soweit Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung ausgeführt hätten, das Arbeitsverhältnis sei "evtl. behinderungsbedingt gefährdet", müsse berücksichtigt werden, dass eine abstrakte Gefährdung des Arbeitsplatzes noch nicht genüge, um die Gleichstellung nach § 2 Abs. 1 SchwbG zu rechtfertigen. Es müsse vielmehr eine konkrete Gefährdung des Arbeitsplatzes gegeben sein. Schließlich lasse auch der Vortrag des Klägers nicht auf eine behinderungsbedingte Gefährdung des Arbeitsplatzes schließen. Bei seiner persönlichen Vorsprache in der Sitzung des Widerspruchsausschusses am 21. Dezember 2000 habe er u.a. angegeben, das Kreditaktenarchiv werde künftig nicht mehr in der bisherigen Form weitergeführt, so dass er auf die Liste der zu entlassenden Mitarbeiter gesetzt worden sei. Ein Umsetzungswunsch seinerseits in die Sach- oder Liegenschaftsverwaltung sei mit dem Hinweis abgelehnt worden, er sei für eine Tätigkeit dort nicht geeignet oder es seien wegen Personalabbaus keine geeigneten Stellen vorhanden. Diese Einlassungen gingen dahin, den Arbeitsplatz mit Hilfe der Gleichstellung wegen möglicher struktureller Veränderungen zu erhalten. Sofern der Kläger mit dem Antrag auf Gleichstellung dieses Ziel verfolge, könne das Begehren keinen Erfolg haben, weil die gesetzlichen Voraussetzungen eine Gleichstellung wegen möglicher struktureller Veränderungen nicht zuließen.

Die dagegen am 1. März 2001 erhobene Klage hat das Sozialgericht Darmstadt (SG) durch Gerichtsbescheid vom 10. Dezember 2001 abgewiesen. Zur Begründung hat es auf die seiner Ansicht nach zutreffenden Gründe des angegriffenen Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2001 Bezug genommen.

Gegen den ihm am 21. Dezember 2001 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich der Kläger mit seiner am 21. Januar 2002 eingegangen Berufung. Er wiederholt, dass sein Arbeitsplatz durch die anerkannten Behinderungen gefährdet sei. Aus einem Schreiben der "Marktunterstützung aktiv" an die Personalabteilung vom 28. Dezember 1999 gehe hervor, dass eine behinderungsbedingte Gefährdung des Arbeitsplatzes bestehe, da die "extrem hohen Fehlzeiten" angesprochen würden und mitgeteilt werden, dass sich die personelle Situation im Kreditaktenarchiv "wesentlich verschärft" habe. Es werde in diesem Schreiben darum gebeten, "die Ablösung" des Klägers umgehend in die Wege zu leiten. Er sei aufgrund seiner hohen Fehlzeiten nicht mehr tragbar. Im Übrigen sei die Ansicht der Beklagten, dass lediglich 18 Kalendertage im Jahr 1999 auf den Behinderungen beruhten, nicht richtig. Aus der Aufstellung der AOK vom 7. Februar 2000 gehe hervor, dass eine erheblich höhere Anzahl (insgesamt 89 Kalendertage) an behinderungsbedingten Fehlzeiten vorliege.

Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 10. Dezember 2001 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20. Juli 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2001 zu verurteilen, seine Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten festzustellen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, dass die mangelnde Konkurrenzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt in jedem Fall auf die Behinderung als wesentliche Ursache zurückzuführen sein müsse. Der Vermerk der "Marktunterstützung aktiv" vom 28. Dezember 1999 lasse nicht schlüssig erkennen, dass Wettbewerbsnachteile des Klägers kausal auf seine Behinderung zurückzuführen seien. Die in dem genannten Vermerk zum Ausdruck gebrachte Kritik an den Arbeitsleistungen des Klägers beziehe sich erkennbar auf dessen mangelnde Fähigkeit, seinen Arbeitsbereich effektiv zu organisieren. Aufgrund des Vortrages des Klägers habe der leitende Arzt beim Landesarbeitsamt Hessen erneut die bescheinigten Diagnosen in der Aufstellung der AOK Hessen vom 7. Februar 2000 auf ihren kausalen Zusammenhang mit den festgestellten Behinderungen überprüft. Sowohl die Arbeitsunfähigkeitszeit vom 1. Dezember 1999 bis zum 3. Januar 2000 als auch diejenige vom 18. November 1999 bis zum 23. November 1999 könnten nicht als behinderungsbedingt anerkannt werden. Im Übrigen verweist die Beklagte auf eine weitere Stellungnahme des leitenden Arztes beim Landesarbeitsamt Hessen, Dr. F., vom 16. April 2003.

Der Senat hat von dem Facharzt für Orthopädie und Rheumatologie Dr. G., bei dem der Kläger in orthopädischer Behandlung steht, einen Befundbericht eingeholt. Wegen dessen Inhalt wird auf den Bericht vom 24. Oktober 2003 verwiesen.

Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf den Inhalt der Akte der Beklagten und der Gerichtsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid sowie der Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2001 halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Der Kläger hat einen Anspruch auf Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten.

Anwendbar im Falle des Klägers ist trotz des zwischenzeitlichen Inkrafttretens des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1046, 1047) noch das, weil – wie noch auszuführen sein wird – maßgeblich für die Beurteilung der Gleichstellung die Sach- und Rechtslage bei Antragstellung ist. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SchwbG in der vorliegend anwendbaren Fassung der Bekanntmachung vom 26. August 1986 (BGBl. I S. 1421) sollen Personen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen im Übrigen die Voraussetzungen des § 1 SchwbG vorliegen, aufgrund einer Feststellung nach § 4 SchwbG auf ihren Antrag vom Arbeitsamt Schwerbehinderten gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 7 Abs. 1 SchwbG nicht erlangen oder nicht behalten können. Die Voraussetzungen für eine Gleichstellung, die mit dem Tag des Eingangs des Antrags wirksam wird (§ 2 Abs. 1 Satz 2 SchwbG), sind vorliegend erfüllt.

Der Kläger hat rechtmäßig Wohnsitz und Arbeitsplatz im Bundesgebiet (§ 1 SchwbG) und versorgungsamtlich ist der für die Gleichstellung mindestens erforderliche GdB von 30 festgestellt (§ 4 Abs. 1 Satz 1 SchwbG). Auch die weitere Voraussetzung des § 2 Abs. 1 Satz 1 SchwbG ist entgegen der Auffassung der Beklagten erfüllt. Der Kläger benötigt wegen seiner Behinderung zur Erhaltung seines Arbeitsplatzes der Hilfen des SchwbG.

Dass der Kläger bei seiner Arbeitgeberin auf einem geeigneten Arbeitsplatz eingesetzt ist, steht aufgrund des arbeitsamtsärztlichen Gutachtens vom 17. April 2000 fest. Danach kann der Kläger die von ihm ausgeübte Tätigkeit als Archivar weiterhin verrichten. Auch die weiterhin vom Gesetz geforderte Kausalität ("infolge seiner Behinderung ohne die Gleichstellung nicht behalten können") ist zu bejahen. In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob bei wertender Betrachtung in der Behinderung, also gerade in ihrer Art und Schwere, die Schwierigkeit der Erhaltung des Arbeitsplatzes liegt. Da der Behinderte insoweit in seiner ungünstigen Konkurrenzsituation am Arbeitsplatz und auf dem Arbeitsmarkt zu sehen ist und die Gleichstellung wie die Anerkennung als Schwerbehinderter eine Rehabilitationsmaßnahme in einem weiten Sinne darstellt, ist bei der erforderlichen Prognose über das Behaltenkönnen des Arbeitsplatzes keine absolute Sicherheit erforderlich. Es genügt vielmehr, dass durch eine Gleichstellung der Arbeitsplatz sicherer gemacht werden kann, was bereits durch den besonderen Kündigungsschutz des § 15 SchwbG der Fall ist. Befände sich mithin der Kläger gegenüber Nichtbehinderten in einer ungünstigeren Konkurrenzsituation, so würde diese durch eine Gleichstellung verbessert und somit der Arbeitsplatz sicherer gemacht. Den gesetzlichen Kausalitätsanforderungen ist dann genügt (vgl. hierzu und zuvorstehendem BSG SozR 3-3870 § 2 Nr. 1).

In diesem Sinne ist der Kläger in seiner Konkurrenzsituation gegenüber Nichtbehinderten beeinträchtigt. Dies folgert der erkennende Senat zum einen daraus, dass der Kläger aufgrund der bei ihm vorliegenden Behinderungen seine Arbeit als Archivar nur unter erheblichen Einschränkungen ausüben kann. Die Arbeitsamtsärztin Dr. D. hat insbesondere ein häufiges Bücken, Zwangshaltungen (wie Über-Kopf-Arbeit, Knien, Armvorhalt, vornübergebeugt) sowie ein häufiges Heben und Tragen ohne mechanische Hilfsmittel ausgeschlossen. Solche Tätigkeiten gehören aber auch zu den Aufgaben des Klägers, was sich daraus ergibt, dass sowohl der Betriebsrat als auch die Schwerbehindertenvertrauensfrau bei der C. Sparkasse ausgeführt haben, die Wettbewerbsfähigkeit des Klägers gegenüber vergleichbar beschäftigten gesunden Mitarbeitern sei teilweise "wegen Einschränkung bzw. heben und tragen" beeinträchtigt. Zum anderen kommt die verminderte Konkurrenzfähigkeit des Klägers in den erheblichen Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers seit 1996 zum Ausdruck. Nach der Bescheinigung der AOK - Hessen vom 7. Februar 2000 war der Kläger in folgenden Zeiten arbeitsunfähig:

Vom Bis Diagnosen
14.08.1996 09.04.1997 Lumboischialgie, LWS-Syndrom rechts, Bandscheibenprolaps LWS
20.10.1997 24.10.1997 Erschöpfungszustand, Psychovegetatives Syndrom, Infektion der oberen Luftwege
05.01.1998 06.01.1998 akute Brustschmerzen, Verdacht auf Interkostalneuralgie
18.02.1998 10.03.1998 Bronchitis, akute Gastroenteritits chronisches Husten
08.06.1998 10.06.1998 Gastroenteritis
28.09.1998 02.10.1998 grippöser Infekt
23.11.1998 27.11.1998 Infekt, grippöser
22.01.1999 09.03.1999 Synkopen, Verdacht auf Hirngefäßkrankheit, akute aber mangelhaft bezeichnete Hirngefäßerkrankung
16.06.1999 03.07.1999 LWS-Syndrom, Iliosakralgelenkveränderung rechts, Bandscheibenprolaps
15.07.1999 20.08.1999 Fusskontusion links, Bänderverletzung 18.11.1999 23.11.1999 Akutes BWS-Syndrom
01.12.1999 03.01.2000 Spunggelenkdistorsion rechts

Zwar hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass nach Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit am 9. April 1997 im restlichen Kalenderjahr 1997 im Kalenderjahr 1998 sowie im Jahr 2000 bis zur Ausstellung der Bescheinigung am 2. Februar keine Arbeitsunfähigkeitszeiten zu verzeichnen seien, die in ursächlichem Zusammenhang mit den vom Versorgungsamt festgestellten Behinderungen stünden. Ob dies zutreffend ist so führt der Kläger etwa die aus der Fußkontusion, dem akuten BWS-Syndrom und der Sprunggelenksdistorsion resultierenden Arbeitsunfähigkeitszeiten ebenfalls ursächlich auf die Behinderung zurück – kann vorliegend dahingestellt bleiben. Die Beklagte übersieht, dass im Rahmen der Prüfung der Gleichstellungsvoraussetzungen nicht nur die versorgungsamtlich zur Begründung der (für sie verbindlichen) Feststellung des GdB aufgeführten Behinderungen zu berücksichtigen sind, die Arbeitsverwaltung vielmehr sämtliche im Zeitpunkt der Gleichstellungsentscheidung vorliegenden gesundheitlichen Leiden des Antragstellers mit den daraus für das Arbeitsleben folgenden Einschränkungen in die Beurteilung mit einzubeziehen hat (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 24).

Zu einer anderen Beurteilung führt auch nicht, dass laut dem Bericht des Dr. G. vom 24. Oktober 2003 nach dem Jahr 2000 Arbeitsunfähigkeitszeiten geringeren Umfangs (2001: 4 Arbeitstage, 2002: 10 Arbeitstage und 2003: 5 Arbeitstage) zu verzeichnen sind. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung einer Gleichstellung nach § 2 SchwbG ist nämlich – vor allem mit Rücksicht auf die Rückwirkungsregelung des § 2 Abs. 1 Satz 2 SchwbG – in erster Linie der Zeitpunkt der Antragstellung, mithin die Sach- und Rechtslage vor Erlass des Bescheides der Beklagten (BSG SozR 3-3870 § 2 Nr. 1). Andererseits ist aufgrund der Angaben des Dr. G. festzustellen, dass immer noch behinderungsbedingte Krankheitszeiten aufgetreten sind und auftreten sowie Beschwerden im Brustwirbelbereich hinzugekommen sind. Außerdem hat der Kläger im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat glaubhaft vorgetragen, im August 2004 einen Bandscheibenvorfall mit vierwöchiger Arbeitsunfähigkeit erlitten zu haben. Vor diesem Hintergrund hält der Senat die Annahme für noch nicht gerechtfertigt, dass im Anschluss an den Erlass des angefochtenen Bescheides die Voraussetzungen für eine Gleichstellung entfallen sind. Für eine zeitliche Begrenzung der Gleichstellung besteht deshalb kein Anlass. Im Übrigen kann eine Gleichstellung bei wesentlicher Änderung der Verhältnisse auch von der Beklagten widerrufen, aufgehoben oder entzogen werden (§§ 38 Abs. 2, 39 SchwbG, §§ 47, 48 SGB X).

Da nach alledem die Voraussetzungen für eine Gleichstellung vorliegen, auch Umstände nicht vorliegen, die den Sachverhalt als atypisch erscheinen lassen, der Beklagten mithin entsprechend der Soll-Vorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 1 SchwbG lediglich ein gebundenes Ermessen zugestanden worden ist (vgl. BSG a.a.O.), war die Beklagte antragsgemäß zur Gleichstellung zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, diejenige für die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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