L 7 SO 129/11 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 30 SO 104/11 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 SO 129/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 23. Mai 2011 wird als unzulässig verworfen.

II. Die Beteiligten haben einander auch im Beschwerdeverfahren Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin mit dem sinngemäß gestellten Antrag,

den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 23. Mai 2011 aufzuheben und
1. hinsichtlich der Leistungen für den Monat Mai 2011 die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen den Bescheid vom 21. April 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 2011 festzustellen,
hilfsweise,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr (auch) für den Monat Mai 2011 vorläufig höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches namentlich unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1 der Anlage zu § 28 SGB XII – zu gewähren,
2. die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr für die Zeit vom 1. Juni 2011 bis 31. August 2011 vorläufig höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches – namentlich unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1 der Anlage zu § 28 SGB XII – zu gewähren,

ist nicht statthaft.

Das Sozialgericht hat in der Rechtsmittelbelehrung zu dem angegriffenen Beschluss zutreffend darauf hingewiesen, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes nicht – wie nach §§ 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) notwendig – den Betrag von 750 Euro überschreitet. Streitig ist die monatliche Differenz zwischen den von der Antragstellerin geltend gemachten laufenden Sozialhilfeleistungen unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1 (in Höhe von 364 Euro) und den von der Antragsgegnerin ab 1. Mai 2011 gezahlten Leistungen auf der Grundlage der Regelbedarfsstufe 3 (in Höhe von 291 Euro); dabei reicht der Zeitraum, für den der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt werden kann, nicht über den der Entscheidung des Gerichts folgenden Monat – hier also August 2011 – hinaus.

Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin durch den von dieser beanstandeten Bescheid vom 21. April 2011 (inzwischen in Gestalt des Widerspruchsbescheides des UG.Kreises vom 7. Juli 2011) Leistungen unter Berücksichtigung der durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 (BGBl I S. 453) mit Wirkung zum 1. Januar 2011 neu eingeführten Regelbedarfsstufe 3 gemäß der Anlage zu § 28 SGB XII bewilligt.

Die Zeit bis 30. April 2011 zunächst ist dennoch nicht Gegenstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens. Da die Antragsgegnerin im Bescheid auf eine Rückforderung möglicherweise überzahlter Leistungen ausdrücklich verzichtet hat, besteht diesbezüglich kein Bedarf nach einstweiligem Rechtsschutz – und es ist dementsprechend auch nicht erkennbar, dass sich der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz auf diesen Zeitraum erstrecken würde: Die Antragstellerin verlangt vielmehr nur die Zahlung höherer Leistungen entsprechend der Regelbedarfsstufe 1, während die Antragsgegnerin die Leistungen wegen der Einführung der Regelbedarfsstufen und der Annahme, die Antragstellerin sei der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen, verringert hat. Soweit die Antragstellerin im Schreiben vom 3. Mai 2011 gerügt hat, sie habe im April 2011 eine unzureichende Zahlung der Antragsgegnerin erhalten, bezieht sich dies erkennbar auf die – im Voraus zu zahlende – Leistung für Mai 2011; die Leistung für April 2011 dagegen hatte die Antragsgegnerin, wie sich aus ihrer Akte und der von ihr zu den Gerichtsakten gereichten Zahlungsübersicht ergibt, bereits am 25. März 2011 angewiesen.

Bei der Berechnung des Beschwerdewerts und der in diesem Zusammenhang notwendigen Auslegung des Rechtsschutzziels der Antragstellerin – die einen unpräzisen "Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz" gestellt hat – ist Folgendes zu berücksichtigen:

Jedenfalls hinsichtlich der Zeit ab 1. Juni 2011 liegt eine vorangegangene höhere Leistungsbewilligung als die aus dem Bescheid vom 21. April 2011, auf die sich die Antragstellerin berufen könnte, nicht vor. Sie kann ihr Rechtsschutzziel dementsprechend nicht durch einen Antrag auf Anordnung oder Feststellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen den genannten Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 2011 erreichen, sondern ist auf den gemäß § 86b Abs. 2 SGG nachrangigen Rechtsschutz durch einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verwiesen.

Die Antragsgegnerin hatte der Antragstellerin zuletzt durch Bescheid vom 15. Februar 2010 Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII in Höhe von 691,36 Euro monatlich bewilligt und dabei einen Regelbedarf in Höhe von 359 Euro berücksichtigt. Das ergibt sich aus den von der Antragsgegnerin zu den Akten gereichten Bescheiden vom 15. und 16. Februar 2010; einen aktuelleren Bescheid hat auch die Antragstellerin trotz Aufforderung des Gerichts, dies ggf. zu tun – nicht vorgelegt. Der Senat versteht diesen Bescheid vom 15. Februar 2010 über die Änderung der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) – der dem von der Antragsgegnerin üblicherweise verwendeten Muster entspricht – so, dass damit Leistungen für die im Bescheid ausgewiesenen Monate bewilligt werden. Soweit dem Bescheid hinsichtlich der Folgemonate eine Entscheidung zu entnehmen ist, steht diese unter der Bedingung, dass in den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Leistungsempfängers keine Änderung eintritt. Bei der Auslegung des Bescheides ist zwar zunächst zu berücksichtigen, dass dieser – wie bei der Antragsgegnerin üblich – die Formulierung enthält, es würden Leistungen ab einem bestimmten Zeitpunkt – hier ab 1. Juni 2008 – "bis auf weiteres" neu berechnet; dies legt ein Verständnis im Sinne eines Verwaltungsaktes mit unbefristeter Dauerwirkung nahe (vgl. BSG, 09.12.2008 B 8/9b SO 10/07 R und 28.10.2008 – B 8 SO 22/07 R). Dem steht jedoch der ausdrücklich formulierte Vorbehalt gegenüber, die Beträge würden für die Folgemonate jeweils monatlich im Voraus gezahlt, solange sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin nicht änderten. Damit wird das Prinzip der (nur) monatsweisen Bewilligung von Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII außerhalb des Anwendungsbereichs von § 44 SGB XII, also der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (vgl. dazu Wahrendorf in Grube/ders., SGB XII – Kommentar, 3. Aufl. 2010, § 44 Rdnr. 1; Schoch in LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 44 Rdnr. 1), noch hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht (vgl. für einen ähnlich formulierten Bescheid BSG, 17.06.2008 – B 8/9b AY 1/07 R).

Das führt dazu, dass der Bescheid vom 21. April 2011 – für die Zeit ab dem seinem Zugang folgenden Monat – nicht als Eingriff in eine bestehende Rechtsposition und damit als an §§ 45 bzw. 48 SGB X zu messender Änderungsbescheid, sondern als eine – wenn auch aus Sicht der Antragstellerin in der Höhe unzureichende – (Neu-)Bewilligung zu verstehen ist. Die Antragsgegnerin war an die vorangegangene Bewilligung im Bescheid vom 15. Februar 2010 daher nicht gebunden, ohne dass es dessen (Teil-)Aufhebung bedurft hätte: Die Änderung der Leistungshöhe geht zwar auf die Einführung der Regelbedarfsstufen gemäß der Anlage zu § 28 SGB XII durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und damit in erster Linie auf eine Änderung der maßgeblichen rechtlichen Verhältnisse zurück. Der Senat ist jedoch der Auffassung, dass auch dies einer Fortgeltung der Leistungsbewilligung aus dem Bescheid vom 15. Februar 2010 entgegensteht, obwohl dort nur eine Änderung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse angesprochen ist. Die Formulierung zielt des ungeachtet – auch aus dem Verständnishorizont der Antragstellerin als Empfängerin des Bescheides erkennbar – darauf ab, die zeitliche Geltung des Bescheides entsprechend dem Grundsatz, dass die Sozialhilfe keine Dauerleistung darstellen soll (vgl. Grube, a.a.O., Einl. Rdnr. 82; W. Schellhorn in ders./H. Schellhorn/Hohm, SGB XII – Kommentar, 17. Aufl. 2006, Einl. Rdnr. 78), zu beschränken. Das gebietet eine weite Auslegung der entsprechenden Formulierung, so dass sich auch eine Änderung des vom Gesetzgeber anerkannten Bedarfs – hier durch die Einführung der Regelbedarfsstufen – als eine normativ verursachte Änderung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse begreifen lässt. In dem Bescheid vom 21. April 2011 liegt damit jedenfalls für die Zeit nach seinem Zugang eine – unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 44ff. SGB X mögliche – Neufestsetzung der der Antragstellerin zustehenden Leistungen. Zumindest für die Zeit ab 1. Juni 2011 kann die Antragstellerin ihr Rechtsschutzziel dementsprechend nur mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erreichen.

Für den Monat Mai 2011 wäre – auf Grund des Zugangs des Bescheides vom 21. April erst am 5. Mai 2011, wie von der Antragstellerin angesichts der Versendung erst am 3. Mai glaubhaft vorgetragen – dagegen die Feststellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen den Bescheid der statthafte Rechtsbehelf, soweit die Antragstellerin weiterhin die bisher erhaltenen Leistungen geltend macht. Der Senat geht insoweit davon aus, dass der vorangegangene Bewilligungsbescheid vom 15. Februar 2010 nicht allein durch die Änderung der Verhältnisse, hier also das Inkrafttreten des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, seine Regelungswirkung verliert, sondern dass dies – um eine für die Leistungsbezieher nicht hinnehmbare Rechtsunsicherheit zu vermeiden – zumindest voraussetzt, dass die Antragsgegnerin die Leistungsbezieher auf die Änderungen hinweist. Wegen des Zugangs des Bescheides vom 21. April 2011 erst im Mai 2011 hätten die Leistungen für diesen Monat nach den im Bescheid vom 15. Februar 2010 enthaltenen Formulierungen ("im Voraus") zu diesem Zeitpunkt schon gezahlt sein müssen, so dass die Antragstellerin insoweit ihr Rechtsschutzziel durch einen Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage gegen den Bescheid vom 21. April 2011 hätte erreichen können. Nur soweit sie Leistungen auf den Regelbedarf in Höhe von 364 Euro – statt zuvor 359 Euro – verlangt, wäre in jedem Fall auch für Mai 2011 der Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung der statthafte Rechtsbehelf.

Die Frage, welcher Antrag im Hinblick auf die Leistungen für Mai 2011 sachgerecht wäre, könnte im Übrigen offenbleiben, da sie ohne Auswirkungen auf die Höhe des Beschwerdewerts ist. Die jedenfalls ab Juni 2011 gebotene Regelungsanordnung könnte nach ständiger Rechtsprechung des Senats nur für die Zeit ab Antragstellung beim Sozialgericht bis zum Ende des Monats, der der Entscheidung des Senats folgt, ergehen. Der Beschwerdewert beschränkt sich daher im Ergebnis auf die Differenz der Leistungen für den Regelbedarf nach der Stufe 1 (364 Euro monatlich) zu der nach Stufe 3 (291 Euro monatlich) für die Zeit von Mai 2011 bis August 2011, insgesamt also 292 Euro.

Selbst wenn man darüber hinaus – obwohl die Antragstellerin diesbezüglich ein weiteres Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes angestrengt hat – einbeziehen wollte, dass die Antragsgegnerin zusätzlich ab 1. Juli 2011 die Leistungen durch Bescheid vom 16. Juni 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2011 teilweise versagt hat und monatlich nochmals 72,75 Euro weniger zahlt, wird der Beschwerdewert im Zeitraum bis Ende August 2011 nicht erreicht.

Es kann daher offenbleiben, ob ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegenwärtig nicht auch deswegen ohne Erfolg bleiben muss, weil der Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 21. April 2011 inzwischen durch Widerspruchsbescheid vom 7. Juli 2011 beschieden ist – ebenso im Übrigen der Widerspruch gegen den Bescheid vom 16. Juni 2011 durch Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2011 – und die Antragstellerin auf Anfrage des Gerichts nicht mitgeteilt hat, ob sie dagegen Klage erhoben hat.

Nur ergänzend ist schließlich darauf hinzuweisen, dass weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht sind. Die Beschwerde müsste daher – für die Zeit ab 1. Juni 2011 – auch aus diesem Grund erfolglos bleiben.

Hinsichtlich des Anordnungsanspruchs hat die Antragstellerin zwar behauptet, sie führe einen eigenen Haushalt und sei daher der Regelbedarfsstufe 1 zuzuordnen. Dieser Vortrag ist aber in keiner Weise näher konkretisiert; auf die Aufforderung des Gerichts, Unterlagen, die geeignet wären, die Führung eines eigenen Haushalts zu belegen (wie Rechnungen über den Kauf von Möbeln oder Haushaltsgegenständen oder auf sie lautende Verträge über Leistungen wie Telefonanschluss, Strom etc, die zu den Gemeinkosten eines Haushalts gehören), hat sie trotz Erinnerung nicht reagiert. Die im Rahmen der Beschwerdeschrift angeführte Mietzahlung an die Eltern ist in diesem Zusammenhang nicht aussagekräftig: Diese gehören zu den Kosten der Unterkunft und werden von der Antragsgegnerin zu einem entsprechenden Anteil übernommen.

Wiederum trotz Aufforderung und Erinnerung des Gerichts hat die Antragstellerin zudem – über die wiederholte Forderung hinaus, das Gericht möge endlich dafür sorgen, dass ihr die monatlich fehlenden 73 Euro gezahlt werden – zum Vorliegen eines Anordnungsgrundes weder konkret vorgetragen noch gar diesen glaubhaft gemacht. Zwar dürfte beim Fehlen Existenz sichernder Leistungen in dieser Höhe ein Anordnungsgrund regelmäßig vorliegen. Der konkrete Fall liegt aber insofern besonders, als – sofern die Antragstellerin, wie von der Antragsgegnerin angenommen, Teil des elterlichen Haushalts ist – bei ihr tatsächlich entsprechend geringere Lebenshaltungskosten anfallen. Da die Antragstellerin einen Bedarf, der über den eines Haushaltsmitglieds hinausgeht, gerade nicht konkret dargelegt, sondern nur pauschal behauptet hat, ist dementsprechend auch ein Anordnungsgrund vorliegend nicht glaubhaft gemacht.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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