L 7 AS 346/09

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 22 AS 817/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 346/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 17. Juni 2009 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren Kosten nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) – Grundsicherung für Arbeitsuchende – wegen Fahrtkosten, die im Zuge der Ausübung des Umgangsrecht des Klägers mit seinem Sohn entstanden sind.

Der 1974 geborene Kläger ist der Vater des 1998 geborenen X. Dieser lebt bei seiner allein sorgeberechtigten Mutter D. in D-Stadt. Dem Kläger steht auf Grund eines Beschlusses des Amtsgerichts – Familiengericht – E. vom 2. Dezember 2005, berichtigt durch Beschluss vom 27. Januar 2006, ein Umgangsrecht zu. Danach ist vorgesehen, dass sich der Sohn des Klägers vierzehntägig am Wochenende und teilweise in den Ferien bei ihm aufhält. Der in A-Stadt im Kreis F. wohnende Kläger hat seinen Sohn dazu jeweils in G. abzuholen und dorthin zurückzubringen. Wegen der Einzelheiten wird auf die erwähnten Beschlüsse, Bl. 64-85 der Leistungsakte des Beklagten, verwiesen.

Der Kläger beantragte unter dem 23. Mai 2006 erstmals laufende Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II, die er in der Folgezeit auch erhielt. In dem Antrag wies er darauf hin, dass er dem Grunde nach unterhaltspflichtig für seinen außerhalb seines Haushaltes lebenden Sohn sei. Am 13. Juli 2006 machte er ausdrücklich die Übernahme der durch die Ausübung des Umgangsrechts entstehenden Kosten geltend. Der Beklagte lehnte diesen Antrag hinsichtlich der hier streitigen Fahrtkosten durch Bescheid vom 6. Mai 2008 ab. Die Gewährung von Leistungen wegen der Lebenshaltungskosten des Sohnes während des Aufenthaltes bei dem Kläger beschied er anschließend mit Bescheid vom 26. Mai 2008 negativ; dies ist Gegenstand des Verfahrens L 7 AS 344/09.

Der Widerspruch des Klägers durch Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 9. Juni 2008 gegen den hier streitigen Bescheid wegen der Fahrtkosten blieb erfolglos; dabei führte der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 2. September 2008 insbesondere aus, das Bundessozialgericht habe bereits in seinem Urteil vom 7. November 2006 (B 7b AS 14/06 R) entschieden, dass die Kosten des Umgangsrechts, insbesondere Fahrtkosten, nicht zu nach dem SGB II zu erbringenden Leistungen führten; sowohl eine Regelsatzerhöhung sei nach § 3 Abs. 3 SGB II ausgeschlossen als auch die darlehensweise Erbringung von Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB II, da es sich bei den Kosten des Umgangsrechts um regelmäßig wiederkehrende Bedarfe handele. Vielmehr begründeten diese eine atypische Bedarfslage, die die Anwendung des § 73 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) – Sozialhilfe – rechtfertige. Der Antrag sei deshalb an das zuständige Amt für Soziales, Grundsicherung und Wohngeld weitergeleitet worden.

Der Landkreis F. bewilligte daraufhin als Träger der Leistungen nach dem SGB XII durch sein Amt für Soziales, Grundsicherung und Wohngeld mit Bescheid vom 15. September 2008 Leistungen wegen der Fahrtkosten in Höhe von 135,00 Euro monatlich auf der Grundlage von § 73 SGB XII für die Zeit ab 1. März 2008.

Der Kläger hat – nach Zugang des Widerspruchsbescheides am 3. September 2008 – am 6. Oktober 2008, einem Montag, durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage zum Sozialgericht Darmstadt (SG) erhoben. Im Hinblick auf die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB XII ab 1. März 2008 hat er seinen Klageantrag auf die Zeit bis 29. Februar 2008 beschränkt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen geltend gemacht, die einfache Fahrtstrecke von A-Stadt nach G. – wo er seinen Sohn nach den hinsichtlich seines Umgangsrechts maßgeblichen Regelungen abzuholen und wohin er ihn wieder zurückzubringen habe – betrage 80 km. Die Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel, insbesondere auch eine eigenständige Bewältigung des Weges durch seinen Sohn, sei nicht möglich bzw. nicht zumutbar. Wegen des verfassungsrechtlichen Schutzes des Umgangsrechts müsse der Beklagte, da die Fahrtkosten aus der Regelleistung nicht bestritten werden könnten, hierfür zusätzliche Leistungen erbringen.

Das SG hat die Klage – wobei der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung Fahrtkosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts für ihn und seinen Sohn geltend gemacht hatte – durch Urteil vom 17. Juni 2009 als unbegründet abgewiesen. Der Kläger habe – jedenfalls gegen den Beklagten – keinen Anspruch auf Übernahme seiner eigenen Fahrkosten. Soweit er Fahrtkosten seines Sohnes geltend mache, sei er bereits nicht aktivlegitimiert. Bei der Entscheidung über Ansprüche im Rahmen des Umgangsrechts sei zu unterscheiden zwischen den Ansprüchen des Klägers und denen des Kindes. Anspruchsinhaber sei der jeweils Bedürftige für seine Kosten. Sozialrechtlich sei nicht von Bedeutung, wem die Kosten der Ausübung des Umgangsrechts unterhaltsrechtlich zuzuordnen seien. Kosten des Klägers seien danach lediglich seine eigenen Fahrtkosten von A-Stadt nach G. und zurück; Kosten seines Sohnes seien dagegen dessen Fahrtkosten von seinem Wohnort nach A-Stadt und zurück. Hinsichtlich dieser Kosten fehle es dem Kläger deshalb an der Aktivlegitimation. Anspruchsinhaber sei sein Sohn. Der Kläger habe nicht die Befugnis, Ansprüche des Kindes durchzusetzen. Dies könne er auch nicht in Stellvertretung für ihn, da er nicht sorgeberechtigt sei. Die Kammer sei nicht der Auffassung, dass der Kläger gegen oder ohne den Willen des Sorgeberechtigten Ansprüche des Kindes zur Durchführung des Umgangsrechts durchsetzen könne, selbst wenn ansonsten die Gefahr einer Vereitelung des Umgangsrechts bestünde. Sie sehe keine prozessrechtliche Handhabe für ein derartiges Vorgehen. Eine Analogie oder eine verfassungskonforme Auslegung bestehender Regeln zur Stellvertretung oder Prozessstandschaft erschienen der Kammer nicht erforderlich, da dem Kläger eine Klärung der das Umgangsrecht betreffenden Rechtsfragen vor dem sachnäheren und zuständigen Familiengericht möglich und zumutbar sei. Es sei nicht angebracht, diese letztlich familienrechtlichen Fragen zwischen den Eltern vor die Sozialgerichte zu verlagern. Auch einen Anspruch auf Übernahme seiner eigenen Fahrtkosten habe der Kläger – jedenfalls gegen den Beklagten – nicht. Anspruchsgrundlagen aus dem SGB II seien nicht ersichtlich. Eine Erhöhung der Regelleistung [nach § 20 SGB II] sei, wie die Systematik des SGB II zeige, nicht vorgesehen. Auch die Voraussetzungen für einen Mehrbedarf beim Lebensunterhalt im Sinne des § 21 SGB II seien nicht gegeben. § 23 SGB II sei als Anspruchsgrundlage nicht einschlägig, weil kein einmaliger, durch ein Darlehen abwendbarer Sonderbedarf vorliege, sondern ein zusätzlicher Dauerbedarf (Hinweis auf BSG, 07.11.2006 – B 7b AS 14/06 R). Ein Anspruch des Klägers auf die Übernahme eigener Fahrtkosten lasse sich daher nur aus § 73 SGB XII herleiten. Selbst wenn man aber mit der Rechtsprechung des BSG § 73 SGB XII als mögliche Anspruchsgrundlage ansehe, sei Anspruchsgegner nicht der Leistungsträger nach dem SGB II, sondern der nach dem SGB XII. Hinsichtlich dieses Anspruchs fehle es daher an der Passivlegitimation des Beklagten. Passivlegitimiert sei vielmehr der Landkreis F. Eine Beiladung des SGB XII-Trägers erscheine der Kammer entbehrlich. Der SGB XII-Träger habe bereits bestandskräftig über den Antrag des Klägers auf Übernahme der Fahrtkosten entschieden. Er übernehme die Fahrtkosten seit dem 1. März 2008. Seine Verurteilung erscheine daher ausgeschlossen.

Der Kläger hat daraufhin – nach Zustellung des Urteils am 3. Juli 2009 – am 15. Juli 2009 durch seinen Prozessbevollmächtigten Berufung eingelegt. Dabei wiederholt und vertieft er sein bisheriges Vorbringen.

Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 17. Juni 2009 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 6. Mai 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. September 2008 zu verurteilen, für die Zeit vor dem 1. März 2008 die Fahrtkosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts für ihn selbst und das Kind zu übernehmen.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das Urteil des SG und seine Bescheide.

Der Senat hat durch Schreiben des Berichterstatters vom 24. November 2011 auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten zum hiesigen Verfahren wie zu den Parallelverfahren L 7 AS 344/09, L 9 AS 345/09 und L 9 AS 347/09 sowie der Leistungsakte des Beklagten, die dem Senat vorlagen, Bezug genommen.

II.

Der Senat kann durch Beschluss auf der Grundlage von § 153 Abs. 4 SGG entscheiden, nachdem die Beteiligten zuvor hierzu gehört wurden.

Die Berufung ist zurückzuweisen. Die Entscheidung des SG ist nicht zu beanstanden.

1. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 6. Mai 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. September 2008. Mit diesem hat der Beklagte die Gewährung von Fahrtkosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts abgelehnt.

Der Kläger macht dabei Leistungen ab dem 23. Mai 2006, also dem Tag der Erstantragstellung geltend, weil er davon ausgeht, bereits in diesem Zusammenhang hinreichend eindeutig zum Ausdruck gebracht zu haben, auch Leistungen wegen der mit der Wahrnehmung des Umgangsrechts verbundenen Kosten zu benötigen. Der streitige Zeitraum endet auf Grund der ausdrücklichen Antragsbeschränkung bereits vor dem SG mit dem 29. Februar 2008, nachdem dem Kläger für die Zeit danach entsprechende Sozialhilfeleistungen bewilligt wurden.

Gegenstand des Verfahrens sind nur mögliche Ansprüche nach dem SGB II, nicht die Ansprüche nach § 73 SGB XII. Es handelt sich insofern nicht um einen Fall der bloßen Anspruchsnormenkonkurrenz bei einem einheitlichen prozessualen Anspruch, der regelmäßig dazu führen müsste, dass auch § 73 SGB XII als alternative Anspruchsgrundlage im hiesigen Rechtsstreit zu prüfen wäre. Es kann offenbleiben, ob dies der Fall wäre, wenn sowohl die Leistungen nach dem SGB II wie nach dem SGB XII einheitlich vom Landkreis EQ. erbracht würden ohne die organisatorische Verselbständigung, die mit der Erledigung der Aufgaben nach dem SGB II durch einen Eigenbetrieb verbunden sind. Auch das BSG ist in seiner grundlegenden Entscheidung zum hiesigen Fragenkreis vom 7. November 2006 (B 7b AS 14/06 R) offenbar davon ausgegangen, dass es sich um unterschiedliche Ansprüche handelt, (jedenfalls) wenn es sich bei den beiden Trägern um zwei unterschiedliche Behörden mit unterschiedlichen Funktionen ohne einheitliche gemeinsame vorgesetzte Behörde handelt. Es hat diesen Gesichtspunkt zwar im Zusammenhang mit der Möglichkeit (und Notwendigkeit) einer Beiladung und hinsichtlich des Verhältnisses einer Arbeitsgemeinschaft nach § 44b SGB II in der ursprünglichen Fassung des SGB II zu dem an ihr beteiligten Sozialhilfeträger thematisiert. Auch die Verselbständigung in einem Eigenbetrieb führt allerdings zu einer Unterscheidbarkeit der prozessualen Ansprüche in personaler Hinsicht, auch wenn es sich bei einem Eigenbetrieb nicht um einen selbständigen Rechtsträger handelt: Die Aufgabenwahrnehmung durch einen Eigenbetrieb führt dennoch zu einer Verselbständigung der Aufgabenerledigung (vgl. § 2 Abs. 1 des hessischen Eigenbetriebsgesetzes – EigBG –). In der Konsequenz wird der Kreis, sofern Angelegenheiten des Eigenbetriebs betroffen sind, auch nicht durch die üblichen kommunalen Vertretungsorgane, sondern durch die Betriebsleitung vertreten (§ 3 Abs. 1 S. 1 EigBG). Dementsprechend wäre das im hiesigen Rechtsstreit zuständige Vertretungsorgan des Kreises, die Betriebsleitung des Eigenbetriebs, nicht befugt, Erklärungen hinsichtlich eines auf § 73 SGB XII gestützten Anspruchs abzugeben und den Kreis insoweit zu vertreten. Im Ergebnis kann § 73 SGB XII nicht zur Begründung eines Anspruchs zwischen den Beteiligten, so wie sie im hiesigen Rechtsstreit auftreten (müssen), herangezogen werden.

Der Beklagte war dementsprechend auch nicht gehindert, über die hier streitigen Kosten isoliert hinsichtlich eines auf das SGB II gestützten Anspruchs und unabhängig von möglichen Ansprüchen nach dem SGB XII zu entscheiden. Der angefochtene Bescheid bringt eine entsprechende Beschränkung auch deutlich zum Ausdruck. Da diese Begrenzung des Regelungsumfangs durch die rechtliche und die organisatorische Struktur der Leistungserbringung gerechtfertigt ist, kann dahinstehen, ob eine derartige Beschränkung des Regelungsumfangs beachtlich wäre, wenn es sich um einen einheitlichen Anspruch, also um einen bloßen Fall der Anspruchsnormenkonkurrenz, handelte. Ansprüche nach dem SGB XII waren jedenfalls im konkreten Fall weder Gegenstand des angegriffenen Bescheides noch hat das SG über sie entschieden, so dass sie auch in der Berufung nicht angefallen sind. Der Kläger hat sie dementsprechend auch richtigerweise nicht zum Gegenstand seiner Anträge gemacht; ihre Berücksichtigung von Amts wegen – wie dies im Falle einer bloßen Anspruchsnormenkonkurrenz regelmäßig geboten wäre – kommt unmittelbar im Verhältnis von Kläger und Beklagtem, so wie er hier auftritt, und damit vorbehaltlich der Frage einer Beiladung nicht in Betracht.

2. Hinsichtlich möglicher Ansprüche nach dem SGB II ist die Berufung zulässig, aber nicht begründet.

Die Klage war zunächst zulässig, insbesondere war sie nicht verfristet. Der Widerspruchsbescheid ging dem Kläger bzw. seinem Prozessbevollmächtigten am 3. September 2008 zu. Die einmonatige Frist zur Klageerhebung (§ 87 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG) endete jedoch, da das reguläre Fristende (§ 64 Abs. 2 S. 1 SGG) am 3. Oktober 2008 auf einen Feiertag fiel, erst am folgenden Werktag (vgl. § 64 Abs. 3 SGG), so dass die am Montag, den 6. Oktober 2008, eingegangene Klage rechtzeitig war.

Das SG hat die Klage jedoch zu Recht als unbegründet abgewiesen. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die zutreffende Begründung des Sozialgerichts und weist die Berufung aus diesen Gründen zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen: Hinsichtlich seiner eigenen Fahrtkosten bestehen hinsichtlich der Aktivlegitimation des Klägers keine Bedenken. Jedoch ergab sich aus dem SGB II im hier streitigen Zeitraum keine Anspruchsgrundlage für entsprechende Leistungen, und zwar weder durch eine im Bereich des SGB II durch § 3 Abs. 3 S. 2 SGB II kraft gesetzlicher Anordnung ausgeschlossene Erhöhung des Regelbedarfs noch durch einen eigenständigen Anspruch. Gerade dies hat das Bundesverfassungsgericht in seiner grundlegenden Entscheidung zu den Leistungen nach dem SGB II vom 19. Februar 2010 (1 BvL 1/09 u.a.) bemängelt; vielmehr sei von Verfassungs wegen die Existenz eines Anspruchs geboten, der es ermögliche, einen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf zu decken, wie es gerade bei den Kosten des Umgangsrechts der Fall ist. Das BVerfG hat sogar – anders als bei der Regelleistung, hinsichtlich derer es dem Gesetzgeber bis zum 1. Januar 2011 Zeit für eine Neuregelung gelassen hat – die Anordnung eines Härtefallanspruchs unmittelbar aus der Verfassung mit sofortiger Wirkung ab dem Zeitpunkt der Entscheidung für notwendig erachtet. Eine Rückwirkung hat es aber auch in diesem Zusammenhang nicht vorgesehen und dementsprechend die Entscheidung, dass ein entsprechender Anspruch unmittelbar auf der Grundlage von Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG geltend gemacht werden könne, auf die Zeit ab dem Erlass seines Urteils beschränkt (vgl. BVerfG, a.a.O., juris Rdnr. 220). Auch aus der Entscheidung des BVerfG folgt für den hier noch streitigen Zeitraum daher keine andere als die vom SG zugrunde gelegte rechtliche Lage.

Hinsichtlich der Ansprüche seines Sohnes war der Kläger dagegen nicht aktivlegitimiert. Die Ansprüche auf Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe nach dem SGB II sind – wegen des in Art. 1 i.V.m. 20 Grundgesetz gegründeten, je individuellen Rechts auf die zur Existenzsicherung notwendigen Leistungen – jeweils demjenigen zugewiesen, der die entsprechenden Bedarfe hat. Im Rahmen der temporären Bedarfsgemeinschaft, die das BSG gerade dazu entwickelt hat, für die in der Umgangssituation entstehenden Aufwendungen eine Leistungsberechtigung nach dem SGB II zu ermöglichen, hat dies zur Folge, dass die Ansprüche auf die Lebenshaltungskosten dem Kind, nicht aber dem umgangsberechtigten Elternteil zugewiesen sind (BSG, 07.11.2006 – B 7b AS 14/06 R). Der Kläger hätte diese daher nur in Vertretung für seinen Sohn geltend machen können.

Der anwaltlich vertretene Kläger ist jedoch durchgängig nur im eigenen Namen aufgetreten und hat eigene Ansprüche geltend gemacht, so dass der Streitgegenstand entsprechend beschränkt war. Ein Auftreten für seinen Sohn setzte zudem – nach der bis zum 31. März 2011 geltenden, hier maßgeblichen Rechtslage – die Zustimmung der bzw. die Bevollmächtigung durch die sorgeberechtigte(n) Mutter voraus (vgl. dazu ausführlich LSG NRW, 18.08.2008 – L 20 AS 29/07), die hier nicht behauptet wird und deren Vorliegen auch sonst nicht ersichtlich ist. Eine gesetzliche Vertretungsmacht, die es dem umgangs-, aber nicht sorgeberechtigten Elternteil ermöglicht, die im Rahmen des Umgangsrechts entstehenden Bedarfe seines Kindes für dieses geltend zu machen, ist erst in § 38 Abs. 2 SGB II in der ab 1. April 2011 geltenden Fassung vorgesehen. Diese Neuregelung durch Art. 2 Ziff. 32 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 (BGBl. I S. 453) ist denn auch gerade mit den Schwierigkeiten begründet worden, die Ansprüche in der temporären Bedarfsgemeinschaft durchzusetzen, wenn der sorgeberechtigte Elternteil zu einer Mitwirkung nicht bereit ist (vgl. BT-Drs. 17/3404 S. 114). Auch dies verdeutlicht, dass die Auffassung des SG zutreffend war, im hier streitigen Zeitraum sei der umgangsberechtigte Elternteil nicht befugt gewesen, die dem Kind zuzuordnenden Ansprüche auf Leistungen für seinen Lebensunterhalt (für dieses) geltend zu machen. Die Vertretungsbefugnis lag vielmehr allein bei der sorgeberechtigten Mutter. Mit der elterlichen Sorge (§ 1626 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB –) ist die Befugnis, das Kind zu vertreten, verbunden (§ 1629 Abs. 1 S. 1 BGB). Dabei vertritt ein Elternteil alleine, wenn er – wie hier die Mutter – die elterliche Sorge allein ausübt (§ 1629 Abs. 1 S. 3 BGB). Demgegenüber gaben nach der hier maßgeblichen Rechtslage weder die Befugnis des Umgangsberechtigten, während des Umgangs über die Angelegenheiten der täglichen Betreuung zu entscheiden (§§ 1687a i.V.m. 1687 Abs. 1 S. 4 BGB), noch das in diesem Rahmen bestehende Notvertretungsrecht (§§ 1687a i.V.m. 1687 Abs. 1 S. 4 und 1629 Abs. 1 S. 4 BGB) dem Umgangsberechtigten die Möglichkeit, die Ansprüche des Kindes nach dem SGB II ohne Mitwirkung des Sorgeberechtigten gegenüber der Verwaltung und im gerichtlichen Verfahren durchsetzen zu können (vgl. Kallert in Gagel, SGB II/SGB III, § 38 SGB II Rdnr. 28 [Stand: 06/11]).

3. Eine – angesichts der organisatorischen Verselbständigung der Aufgabenerledigung nach dem SGB II durch einen Eigenbetrieb mögliche – Beiladung des Beklagten, vertreten durch seinen Landrat, als SGB XII-Träger war auch nach Einschätzung des Senats nicht geboten, nachdem dieser über den Anspruch aus dem SGB XII bindend entschieden hatte. Der Senat ist von der Bestandskraft des entsprechenden Bescheides vom 15. September 2008 überzeugt, nachdem schon das SG von dieser Annahme ausgegangen und die Frage im hiesigen Verfahren Thema war, ohne dass der anwaltlich vertretene Kläger dem entgegengetreten wäre. Dieser hat vielmehr gegenüber dem Beklagten im Widerspruchsverfahren mögliche Amtshaftungsansprüche wegen der verspäteten Weiterleitung seines Antrags und des damit verbundenen Rechtsverlusts angesprochen; dies verdeutlicht, dass auch der Kläger von einer bindenden Regelung des Anspruchs nach § 73 SGB XII ausgegangen ist. Daher scheidet eine Verurteilung des hierfür zuständigen, ggf. beizuladenden Leistungsträgers – hier also des Kreises F., vertreten durch den Landrat, als Sozialhilfeträger – aus (vgl. dazu für viele Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG, 9. Auflage 2008, § 75 Rdnr. 18b). Die Beiladung auf der Grundlage von § 75 Abs. 2 Alt. 2 SGG setzt aber die ernsthafte Möglichkeit voraus, dass der Beigeladene zur Leistung verurteilt werden könnte, so dass sie hier nicht geboten ist (vgl. nochmals Leitherer, a.a.O., Rdnr. 12).

Dabei ist nicht zu prüfen, ob der Kläger möglicherweise einen Anspruch auf einen Zugunsten- oder Rücknahmebescheid hat (vgl. BSG, 13.08.1991 – 11 RA 56/80). Es kann daher dahinstehen, dass angesichts des zeitlichen Ablaufs und trotz der (späten) Weiterleitung des Antrags viel dafür spricht, dass der Sozialhilfeträger im Hinblick auf § 16 Abs. 2 S. 2 SGB I zu einer Leistungserbringung ab dem Zeitpunkt der Antragstellung beim SGB II-Träger verpflichtet gewesen wäre. Darüber hinaus erscheint fraglich, ob sich insoweit der Landkreis F. auf die organisatorische Verselbständigung hinsichtlich der Erledigung der Aufgaben nach dem SGB II berufen kann; vielmehr spricht in diesem Zusammenhang viel dafür, dass der Antrag nicht nur isoliert beim Eigenbetrieb, sondern insgesamt beim Landkreis F. auch in seiner Eigenschaft als SGB XII-Träger gestellt war.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

5. Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
Saved