Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 4 R 81/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 524/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 8/12 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Zur Abgrenzung von § 45 SGB X und § 48 SGB X.
2) Maßgeblich für die Höhe des Arbeitseinkommens sind die in dem Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Einkünfte; ein Abweichen von der grundsätzlich bestehenden Parallelität zwischen Sozialversicherungsrecht und Einkommenssteuerrecht wegen der Regelung des § 15a EStG kommt nicht in Betracht.
3) Grobe Fahrlässigkeit in Fällen unrichtiger Angaben bei Mitwirkung eines Steuerberaters (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X).
4) Eine Umdeutung der Aufhebungsentscheidung im Sinne eines nachträglichen Ausweichens auf § 48 SGB X verbietet sich jedenfalls in den Fällen, in denen eine Bescheidrücknahme nach § 45 SGB X wegen überwiegendem Vertrauensschutz ausscheidet. Ein solches Vorgehen widerspricht der Systematik der §§ 44 ff SGB X.
2) Maßgeblich für die Höhe des Arbeitseinkommens sind die in dem Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Einkünfte; ein Abweichen von der grundsätzlich bestehenden Parallelität zwischen Sozialversicherungsrecht und Einkommenssteuerrecht wegen der Regelung des § 15a EStG kommt nicht in Betracht.
3) Grobe Fahrlässigkeit in Fällen unrichtiger Angaben bei Mitwirkung eines Steuerberaters (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X).
4) Eine Umdeutung der Aufhebungsentscheidung im Sinne eines nachträglichen Ausweichens auf § 48 SGB X verbietet sich jedenfalls in den Fällen, in denen eine Bescheidrücknahme nach § 45 SGB X wegen überwiegendem Vertrauensschutz ausscheidet. Ein solches Vorgehen widerspricht der Systematik der §§ 44 ff SGB X.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. September 2010 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob und in welcher Höhe dem Kläger für die Zeit vom 1. September 2004 bis 31. Dezember 2005 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zusteht oder ob die Leistungen wegen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenzen von ihm vollständig oder teilweise zurückzuerstatten sind.
Der Kläger wurde 1968 geboren. Wegen eines Diabetes mellitus Typ-I, insbesondere der Folgeerkrankungen (diabetische Nephropathie mit terminaler dialysepflichtiger Niereninsuffizienz) beantragte er im August 2004 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung. In dem Rentenformantrag gab er an, bis Februar 2004 Geschäftsführer gewesen und noch Gesellschafter des Autohauses XY. GmbH & Co. KG in B-Stadt zu sein.
Auf Nachfrage der Beklagten erklärte der Kläger unter dem 3. Februar 2005, in der Zeit vom 1. September 2004 bis 8. November 2004 keinen steuerrechtlichen Gewinn aus dem Gewerbebetrieb erzielt zu haben. Diese Angabe bestätigte sein Steuerberater auf dem Formvordruck der Beklagten.
Mit Bescheid vom 18. Februar 2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger aufgrund eines Leistungsfalles vom 6. Februar 2004 eine von September 2004 bis Februar 2007 zeitlich befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Der Rentenbescheid enthält auf der Seite 4 folgenden Hinweis:
"Die Rente wird auf der Grundlage einer vorausschauenden Beurteilung des Arbeitseinkommens im Sinne von § 15 SGB IV bewilligt. Dabei ist davon ausgegangen worden, dass entsprechend der Erklärung vom 3. Februar 2005 und dem Schreiben des Steuerberaters vom 31. Januar 2005 das Arbeitseinkommen im Sinne von § 15 SGB IV seit dem 1. September 2004 die Hinzuverdienstgrenze nicht überschreitet. Daher besteht die Verpflichtung, uns jeweils bei Abgabe der Einkommensteuererklärung für das Jahr des Rentenbeginns und der Folgejahre bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres das Arbeitseinkommen abzüglich der Betriebsausgaben - jedoch vor Abzug der Sonderausgaben und Freibeträge - mitzuteilen. ( ) Sollte sich herausstellen, dass das Arbeitseinkommen wider Erwarten für Zeiten des Bezuges der Rente die Hinzuverdienstgrenze überschritten hat, besteht für die jeweiligen Zeiträume kein Anspruch auf die gezahlte Rente. Zu Unrecht erhaltene Beträge sind zu erstatten."
Beigefügt war dem Rentenbescheid des Weiteren eine Darstellung und Berechnung der Hinzuverdienstgrenzen (Anlage 19 des Bescheides vom 18. Februar 2005).
Auch die Anfrage der Beklagten vom 17. Mai 2005 beantwortete der Kläger unter Bestätigung seines Steuerberaters unter dem 24. Mai 2005 dahin, dass für die Zeit vom 1. September 2004 (sogar) bis zum 30. April 2005 kein Gewinn erzielt worden sei.
Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens auf Weiterzahlung der Erwerbsminderungsrente legte der Kläger den Einkommensteuerbescheid des Jahres 2004 vom 8. März 2006 vor, der Einkünfte aus Gewerbebetrieb / Beteiligungen in Höhe von 27.325,00 EUR auswies.
Mit Bescheid vom 16. März 2007 gewährte die Beklagte neuerlich unter Darstellung der Hinzuverdienstgrenzen eine volle Erwerbsminderungsrente für die Zeit vom 1. Juni 2007 bis zum 31. Mai 2008.
Nach Anhörung des Klägers nahm die Beklagte den Rentenbescheid vom 18. Februar 2005 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem 1. September 2004 zurück und forderte die entstandene Überzahlung in Höhe von 4.244,40 EUR zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Rücknahme des Rentenbescheides sei sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft zulässig, weil der Kläger sich zum einen auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides nicht berufen könne (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - SGB X -) und zum anderen die Fristen des § 45 Abs. 3, 4 SGB X nicht abgelaufen seien. Auch im Wege des Ermessens sei die Bescheidrücknahme gerechtfertigt, weil Umstände, die die Rücknahme und die damit verbundenen Rückforderung als unbillige Härte erscheinen ließen, nach Lage der Akten nicht ersichtlich seien.
In seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, im Jahre 2004 als Kommanditist an dem Autohaus XY. GmbH & Co KG beteiligt gewesen, darüber hinaus jedoch auch Miteigentümer des ausschließlich an diese Firma vermieteten Grundstücks in B-Stadt, X Straße gewesen zu sein. Steuerrechtlich habe eine Betriebsaufspaltung vorgelegen, so dass die Vermietungseinkünfte (27.325,00 EUR) Einkünfte aus Gewerbebetrieb darstellten. Aus der Beteiligung an dem Autohaus XY. sei ihm im Jahre 2004 ein Verlust von 19.685,29 EUR zugewiesenen worden, der allerdings wegen der Regelung des § 15a Einkommensteuergesetz (EStG) steuerlich nicht im Entstehungsjahr berücksichtigt würde, sondern erst später mit den Gewinnen aus der KG verrechnet werden könne.
Dieser Verlust sei jedoch für die hier relevante Berechnung des Arbeitseinkommens in Ansatz zu bringen. Maßgeblich sei insoweit der Bescheid für 2004 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 EStG vom 7. Februar 2006, der sich als Grundlagenbescheid zum Einkommensteuerbescheid darstelle und die Höhe der Einkünfte aus Gewerbebetrieb verbindlich festlege. Aus diesem ergäben sich für den Kläger Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 7.639,80 EUR. Damit bestehe zumindest Anspruch auf eine Teilrente wegen voller Erwerbsminderung.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Januar 2008 zurück. Sie führte aus, dass maßgeblich der in dem Einkommensteuerbescheid für 2004 unter "Einkünften aus Gewerbebetrieb" angegebene Gewinn sei. Dieser Gewinn sei vom Finanzamt nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften ermittelt worden und vom Rentenversicherungsträger als Grundlage für die Berücksichtigung des Hinzuverdienstes heranzuziehen. Der nicht an den Kläger persönlich, sondern an das Autohaus XY. gerichtete "Bescheid für 2004 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 EStG" sei kein Nachweis seines Arbeitseinkommens, zumal dieser als steuerpflichtigen Gewinn / Verlust auch eine Summe von 27.325,00 EUR feststelle. Die Beurteilung der Frage, ob Arbeitseinkommen aus einer selbstständigen Tätigkeit vorliege, richte sich nach § 15 SGB IV grundsätzlich nur nach der steuerrechtlichen Würdigung der Einkünfte. Durch die Anbindung der Vorschriften des Einkommensteuerrechts bliebe dem Rentenversicherungsträger bei der Anwendung der Vorschriften der Sozialversicherung kein Spielraum, von den Feststellungen der Steuerverwaltung abzuweichen. Dies bedeute im Ergebnis, dass die Angaben im Einkommensteuerbescheid grundsätzlich für die Berücksichtigung als Hinzuverdienst maßgeblich seien. Der Kläger erhob daraufhin am 8. Februar 2008 Klage bei dem Sozialgericht in Frankfurt am Main. Unter Wiederholung und Vertiefung seines Vorbringens aus dem Widerspruchsverfahren hielt er daran fest, in 2004 lediglich einen Hinzuverdienst in Höhe von 7.639,80 EUR (monatlich 636,65 EUR) erzielt zu haben. Im stehe aus diesem Grund Anspruch auf einer Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 3/4 für den streitgegenständlichen Zeitraum zu.
Mit Bescheid vom 5. März 2008 gewährte die Beklagte dem Kläger die Erwerbsminderungsrente bis Mai 2010 weiter.
Unter dem 27. März 2007 setzte das Finanzamt A-Stadt die für das Jahr 2005 von dem Kläger zu zahlende Einkommensteuer fest. Der Bescheid weist an Einkünften aus Gewerbebetrieb einen Betrag von 7.901,00 EUR aus. Dieser Betrag geht auf die auf den Kläger bezogene gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 EStG (Bescheid vom 17. April 2007) zurück. Nach weiterer Anhörung des Klägers nahm die Beklagte den Rentenbescheid vom 18. Februar 2005 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Bescheid vom 30. Oktober 2008 auch mit Wirkung für das Jahr 2005 zurück, gewährte unter Berücksichtigung eines Arbeitseinkommens in Höhe von 7.901,00 EUR jährlich für das Jahr 2005 statt der Vollrente nur noch eine 2/3 – Teilrente und forderte die errechnete Überzahlung in Höhe von 3.176,64 EUR zurück. Sie wies darauf hin, dass der Bescheid gem. § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens geworden sei.
Auch gegen diesen wandte sich der Kläger und machte unter Hinweis auf die Steuerbescheide geltend, dass die Hinzuverdienstgrenzen für das Jahr 2005 nicht überschritten seien und ihm die volle Erwerbsminderungsrente zustehe; er habe negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 66.669,81 EUR erzielt.
Das Sozialgericht Frankfurt am Main hat die Beklagte mit Urteil vom 24. September 2010 unter Abänderung des Bescheides vom 14. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 2008 im Ergebnis verurteilt, dem Kläger für die Zeit von September 2004 bis Dezember 2004 entsprechend seiner (letzten) Antragstellung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 2/3 zu gewähren und den Erstattungsbetrag zu mindern. Den Bescheid vom 30. Oktober 2008, den das Gericht klageerweiternd mit in das Verfahren einbezogen hat, hat es aufgehoben. Unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des BSG stellte das Sozialgericht zunächst fest, dass bei der Berechnung des Hinzuverdienstes die Einkommensteuerbescheide der Jahre 2004 und 2005 zu Grunde zu legen seien. Daraus folge, dass für die Zeit vom 1. September bis zum 31. Dezember 2004 kein Rentenanspruch sowie für das Jahr 2005 nur in Höhe von 2/3 der Vollrente wegen Erwerbsminderung bestanden habe. Indes lägen die Voraussetzungen für eine Rücknahme für die Vergangenheit im Hinblick auf beide mit der Klage angegriffenen Bescheide nicht vor. Die Tatbestandsvoraussetzungen für § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X (vorsätzliche oder grob fahrlässige falsche Angaben) seien nicht erfüllt. Zwar beruhe der Bewilligungsbescheid vom 18. Februar 2005 auf falschen Angaben, die der Kläger gemacht habe. Allerdings seien diese nicht grob fahrlässig gewesen.
Zwar seien die Angaben des Steuerberaters dem Kläger zuzurechnen. Jedoch handele sich es sich bei der Frage des Gewinns im Sinne des § 15 SGB IV im Ergebnis um die Auslegung eines Rechtsbegriffes. Im Hinblick auf die vorliegende Konstellation einer Betriebsaufspaltung und eines Verlustausgleichs gemäß § 15a EStG habe es sich für den Kläger und seinen Steuerberater nicht aufdrängen müssen, dass die voraussichtlichen Einkünfte allein aus dem Einkommensteuerbescheid unter Außerachtlassung des nach § 15a EStG nicht abzugsfähigen Verlustes anzugeben gewesen seien. Zu berücksichtigen sei, dass die Auslegung solcher steuerrechtlicher Begriffe Gegenstand vielfältiger Rechtsprechung und damit keineswegs eindeutig sei. Aus diesen Gründen läge auch keine Kenntnis oder ein Kennenmüssen der Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vor (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Da die Rücknahme für die Vergangenheit folglich nicht zulässig sei und auch kein zulässiger Widerrufsvorbehalt vorliege, sei zudem die Zweijahresfrist verstrichen. Beide Rücknahmebescheide seien insgesamt rechtswidrig.
Auch machte das Sozialgericht Bedenken an der ordnungsgemäßen Ermessenausübung in dem Bescheid vom 14. Juni 2007 geltend. Diese sei dort nur formelhaft, in dem Widerspruchsbescheid überhaupt nicht mehr erwähnt. Entsprechend seien auch keinerlei Ermessenserwägungen angestellt worden, obwohl der Kläger sich durchaus noch geäußert habe. Die Ausführungen ließen nicht erkennen, dass der Beklagten ihr Ermessen überhaupt bewusst gewesen sein. Da die Beklagte offenbar von einer gebundenen Entscheidung ausgegangen sei, sei eine nachträgliche Ermessensausübung im laufenden Klageverfahren ausgeschlossen, denn § 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 SGB X erlaubten es nicht, während des Klage- oder Berufungsverfahren erstmals Ermessenserwägungen anzustellen und mit heilender Wirkung nachzuschieben.
Gegen das ihr am 26. November 2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte im Wesentlichen gestützt auf ihr bisheriges Vorbringen am 14. Dezember 2010 Berufung eingelegt. Dem Kläger sei vorzuwerfen, dass er bzw. sein Steuerbevollmächtigter in grob fahrlässiger Weise unrichtige bzw. unvollständige Angaben zu dem Einkommen aus Gewerbebetrieb gemacht habe. Die fehlerhaften Angaben seines Steuerberaters müsse sich der Kläger zurechnen lassen. Entsprechend seien die Fristen für die Bescheidrücknahme gewahrt.
Die Beklagte ist zudem der Ansicht, ihr Ermessen ordnungsgemäß betätigt zu haben. In dem Rücknahmebescheid habe sie deutlich gemacht, dass eine Entscheidung nach ordnungsgemäßer Ermessenserwägung zu erfolgen habe.
Da jedoch von Seiten des Klägers keinerlei besondere Umstände, die in die Ermessensabwägung hätten einfließen können, vorgetragen worden und auch dem Akteninhalt nicht zu entnehmen gewesen seien, habe sie keine umfassende Ermessenentscheidung anstellen können. Gleiches gelte für den Widerspruchsbescheid. Die Ausführungen des Sozialgerichts zu diesem Punkt seien pauschal und wenig substantiell; unklar sei, welche Umstände sie im Rahmen der erforderten Ermessensabwägung konkret versäumt habe zu berücksichtigen bzw. welche konkreten Anhaltspunkte sie zu weiteren Sachverhaltsermittlung hätten veranlassen müssen. Unter Hinweis auf einige Entscheidungen anderer Landessozialgerichte zur Abgrenzung von § 45 SGB X zu § 48 SGB X ist sie schließlich der Ansicht, dass sie ihre Entscheidung auch auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X rechtswirksam hätte stützen können.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
das Urteil Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. September 2010 aufzuheben und die Klage auch gegen den Bescheid vom 30. Oktober 2008 abzuweisen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend, insbesondere was die Frage der nicht ordnungsgemäßen Ermessenserwägungen anbelangt. Die Anwendung von § 48 SGB X bzw. ein Rückgriff auf diese Vorschrift in der Berufungsinstanz sei nicht zulässig. Durch den Austausch der Rückforderungstatbestände würde ein sehr schädlicher, das Wesen des Aufhebungsbescheides ändernder Begründungswechsel vorgenommen. Für den Kläger sei es von entscheidender Bedeutung, ob er sich ursprünglich rechtmäßig oder grob fahrlässig verhalten habe.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Rentenakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist sachlich unbegründet. Das erstinstanzliche Urteil ist zu Recht ergangen. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 2008 wie auch der Bescheid vom 30. Oktober 2008 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der ursprüngliche Rentenbescheid vom 18. Februar 2005 durfte von der Beklagten bezogen auf den Zeitraum vom 1. September 2004 bis zum 31. Dezember 2005 trotz seiner die Rentenhöhe betreffenden Rechtswidrigkeit nicht mit der Folge zurückgenommen werden, dass der Kläger zur Erstattung der zu Unrecht gezahlten Rentenleistungen verpflichtet ist.
Ermächtigungsgrundlage für die Bescheide vom 14. Juni 2007 und vom 30. Oktober 2008 bildet § 45 SGB X. Nach dessen Absatz 1 darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Er darf gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (Satz 2 a.a.O.). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte von vornherein nämlich dann nicht berufen, soweit
1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat oder
3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
(§ 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X).
Die Voraussetzungen für die Rücknahme des Bescheides vom 18. Februar 2005 gemäß dieser Vorschrift liegen nicht vollständig vor. Bei einem Bescheid über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung handelt es sich zwar um einen begünstigenden Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Der Bescheid war auch von Anfang an rechtswidrig, weil bereits bei seinem Erlass die Hinzuverdienstgrenzen überschritten waren.
Im Erlasszeitpunkt lag bei der Beklagten ein Mangel in der Sachverhaltserkenntnis insoweit vor, als dass der ihrer Entscheidung zugrunde gelegte Sachverhalt mit der tatsächlichen Sachlage objektiv nicht übereingestimmt hat. Die Beklagte hat zwar ausweislich ihres Bescheides eine Prognoseentscheidung bezüglich des Einkommens des Klägers zugrunde gelegt. Allerdings war diese (Null-)Prognose von Anbeginn an fehlerhaft, da Einkommen aus Gewerbebetrieb zu berücksichtigen war. Solche Einkünfte waren der Beklagten nach der von dem Kläger unter dem 3. Februar 2005 abgegebenen Erklärung nicht bekannt, so dass sie diese nicht ihrer Prognose zugrunde legen konnte. Dies begründet einen Fall der bereits anfänglichen Rechtswidrigkeit. Erlässt die Verwaltung einen endgültigen Bescheid auf Grundlage eines nicht abschließend aufgeklärten Sachverhalts und stellt sich später - nach weiteren Ermittlungen - heraus, dass der Bescheid bereits im Zeitpunkt des Erlasses objektiv rechtswidrig war, ist ein Fall des § 45 SGB X gegeben (BSG vom 21. Juni 2011 – B 4 AS 21/10 R). § 48 SGB X ist dann nicht anwendbar (so i.ü. schon BSG vom 27. November 1984 – 12 RK 70/82; vgl. auch Schütze in: von Wulffen SGB X, 7. Aufl. 2010, § 45 RdNr. 32; Waschull in: Diering/Timme/Waschull, SGB X, 3. Aufl. 2011, § 45 RdNr. 16 f).
Gem. § 96a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der Fassung vom 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2007 wird eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur geleistet, wenn die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten wird. Sie wird nicht überschritten, wenn das für denselben Zeitraum erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit die in § 96a Abs. 2 SGB VI genannten, auf einen Monat bezogenen Beträge nicht übersteigt, wobei ein zweimaliges Überschreiten um jeweils einen Betrag bis zur Höhe der Hinzuverdienstgrenze nach Absatz 2 im Laufe eines jeden Kalenderjahres außer Betracht bleibt. Nach § 96a Abs. 1a SGB VI wird abhängig vom erzielten Hinzuverdienst eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in voller Höhe, in Höhe von 3/4, 1/2 oder 1/4 bewilligt (§ 96a Abs. 1a Nr. 2 SGB VI a. F.), wobei die Hinzuverdienstgrenze bei einer vollen Erwerbsminderungsrente im Jahr 2004 ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße 345,00 EUR - betrug (§ 96a Abs. 2 Nr. 2 SGB VI a. F.).
Der Kläger erzielte im Jahr 2004 ausweislich dem Einkommenssteuerbescheid vom 8. März 2006 für 2004 Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit in Höhe von 27.325,00 EUR, was einem monatlichen Betrag von 2.277,08 EUR entspricht. Damit lag ein Hinzuverdienst oberhalb der Hinzuverdienstgrenze von 345,00 EUR wie auch der aller Teilrenten (3/4 Rente = 1.001,30 EUR, 1/2 - Rente = 1.328,64 EUR, 1/4 - Rente = 1.655,99 EUR) vor, so dass von Anfang an kein Rentenanspruch bestand (§ 96a Abs. 2 Nr. 3b SGB VI a. F.)
Was unter dem Begriff "Arbeitseinkommen" zu verstehen ist, ist der allgemeinen Norm des § 15 SGB IV zu entnehmen (BSG Urteil vom 7. Oktober 2004 - B 13 RJ 13/04 R). Nach § 15 Abs. 1 SGB IV in der vom 1. Januar 1995 bis 31. Dezember 2005 geltenden Fassung ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbstständigen Tätigkeit. Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist. Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung dazu entschieden, dass der Begriff der selbstständigen Tätigkeit im Sinne des § 15 SGB IV alle typischerweise mit persönlichem Einsatz verbundenen Einkunftsarten erfasst. Nach dem Katalog des § 2 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 EStG sind dies Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (§ 13 EStG), Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG), Einkünfte aus selbstständiger Arbeit (§ 18 EStG) sowie diesen gleichgestellte Einkünfte (BSG vom 30. März 2006 – B 10 KR 2/04 R m.w.N.). Dabei ist grundsätzlich von einer Parallelität von Sozialversicherungsrecht und Einkommenssteuerrecht auszugehen (BSG vom 7. Oktober 2004 - B 13 RJ 13/04 R; 17. Februar 2005 - B 13 RJ 43/03 R; 3. Mai 2005 B 13 RJ 8/04 R; 30. März 2006 - B 10 KR 2/04 R). Abweichungen sind nur in Ausnahmefällen zu berücksichtigen. Denn grundsätzlich war es gerade die Absicht des Gesetzgebers, mit der Neufassung des § 15 SGB IV ab dem 1. Januar 1995 die Parallelität herzustellen. § 15 Abs. 1 SGB IV a.F., wonach bei der Ermittlung des Gewinns steuerliche Vergünstigungen unberücksichtigt zu lassen und Veräußerungsgewinne abzuziehen waren, ist ersatzlos gestrichen worden. Die Begründung im Gesetzentwurf (BT-Drucks. 12/5700 Satz 92 zu Art. 3 Nr. 2) führt dazu an, dass die ersatzlose Streichung des § 15 Satz 2 SGB IV a.F. aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung erfolge. Die Regelung des § 15 Satz 2 führe in der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten.
Der Begriff der steuerlichen Vergünstigung sei im Einkommenssteuerrecht nicht eindeutig bestimmt, die Rentenversicherung müsste deshalb selbst das entsprechende Steuerrecht auslegen. Fehler bei der Rechtsanwendung und lange Bearbeitungszeiten seien die Folge. Entspreche das Arbeitseinkommen dem steuerrechtlichen Gewinn, könnten die Angaben direkt aus dem Einkommensteuerbescheid übernommen werden.
Einschränkungen hat dieser Grundsatz insoweit durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erhalten, als jedenfalls dann nicht auf die Feststellung der Finanzverwaltung zurückzugreifen ist, wenn der Betroffene gegen die Richtigkeit der tatsächlichen Feststellung oder steuerrechtlichen Bewertung des Finanzamts schlüssige und erhebliche Einwendungen erhebt (BSG vom 30. März 2006 - B 10 KR 2/04 R). Weiter findet die Parallelität zum Einkommensteuerrecht dort ihre Grenzen, wo auch steuerrechtlich gerade keine selbstständige Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 EStG zugrunde liegt (BSG vom 17. Februar 2005 - B 13 RJ 43/03 R) oder keine eigene selbstständige Tätigkeit vorliegt (BSG vom 27. Januar 1999 - B 4 RA 17/98 R). Eine dieser Ausnahmen liegt indes hier nicht vor. Der Kläger erzielte Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit, nämlich aus Gewerbebetrieb. Diese Einkünfte wurden auch nach den Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts gem. §§ 4 bis 9 EStG ermittelt. Gegen die feststellenden Bescheide der Finanzverwaltung vom 8. März 2006 und 27. März 2007 wurden von ihm - auch was die die Einordnung seiner Einkünfte aus Vermietung/Verpachtung des Grundstücks X-Straße in B-Stadt aus der Betriebsaufspaltung anbelangt - keine Rechtsmittel eingelegt. Diese sind damit für die Beklagte verbindlich, die ausgewiesene Gewinne für die Prüfung der Hinzuverdienstgrenzen alleinig maßgeblich. Ohnehin ist für das vom Kläger angewandte steuerrechtliche Institut der Betriebsaufspaltung, bei dem bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung wegen der personellen Verflechtung zwischen Besitz und Betriebsunternehmen Einkünfte aus Gewerbebetrieb vorliegen, entschieden worden, dass es sich insoweit um Arbeitseinkommen im Sinne des § 15 SGB IV handelt (BSG vom 13. September 1997 - 4 RA 122/95). Hiervon geht der Kläger nach seinem Vorbringen aber auch selbst aus.
Eine andere Beurteilung ergibt sich vorliegend auch nicht in Ansehung der von dem Kläger vorgelegten Bescheide der Jahre 2004 und 2005 über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 EStG vom 7. Februar 2006 und 17. April 2007. Nach § 15a EStG können Kommanditisten Verluste, die zu einem negativen Kapitalkonto geführt haben oder dieses erhöhen, erst künftig und nur gegen Gewinne aus der Beteiligung verrechnen. Dessen Abs. 1 bestimmt, dass Verluste grds. nur bis zur Höhe des Haftungsbetrags des Kommanditisten mit anderen positiven Einkünften ausgeglichen werden können. Der Verlust kann zudem auch nur mit Gewinnen späterer Jahre, die aus der Beteiligung des Kommanditisten fließen, verrechnet werden (Abs. 2 a.a.O.). Bei der Vorschrift handelt es sich insoweit um eine die Einkünfte eines Kommanditisten aus Gewerbebetrieb definierende Sondervorschrift; sie ist entsprechend bei der Bestimmung des Arbeitseinkommens im Rahmen des § 15 SGB IV zu berücksichtigen. Maßgeblich für die Höhe des Arbeitseinkommens ist und bleibt gleichwohl der jeweilige Einkommensteuerbescheid und die darin ausgewiesenen - den verrechenbaren Verlust des Vorjahres berücksichtigenden - Einkünfte. Die zeitliche Verzögerung bei der Verlusterfassung ist dabei aufgrund der gesetzlich angeordneten Parallelität zwischen Einkommensteuer- und Sozialrecht hinzunehmen, zumal sie im Ergebnis auch nur lediglich eine zeitliche Verschiebung bei der Erfassung der verlustgeminderten Einkünfte zur Folge hat. Eine Abweichung von dieser Vorgehensweise verbietet sich im Übrigen auch aus verwaltungsökonomischen und Praktikabilitätsgründen. Eine Modifizierung bei einer sozialrechtlich gebotenen Berücksichtigung des Einkommens hätte nämlich zur Folge, dass der Rentenversicherungsträger in jedem Einzelfall nachprüfen müsste, ob eine Korrektur des steuerrechtlich relevanten Einkommens zu Gunsten oder auch zu Lasten des Versicherten nach sozialrechtlichen Vorgaben vorzunehmen ist. Dies würde zum einen mit einer erheblichen Fehlergefahr einhergehen, zum anderen die im Einkommensteuerrecht wenig versierte Verwaltung schlicht überfordern (so auch für den Fall der Ansparabschreibung LSG Niedersachsen-Bremen vom 30. Mai 2007 – L 2 Kn 12/07).
Nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. HS SGB X ist grobe Fahrlässigkeit gegeben, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dies ist dann der Fall, wenn er bereits einfache, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (BSG vom 8. Februar 2001, SozR 3-1300 § 45 SGB X Nr. 45 S. 152 ff.; BSGE 62, 32, 35; 42, 184, 187). Bei der Beurteilung der groben Fahrlässigkeit ist nicht von einem objektiven, sondern von einem subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab auszugehen (BSG vom 9. Februar 2006 – B 7a AL 58/05 R und vom 24. April 1997 – 11 RAr 89/96). Das Maß der Fahrlässigkeit ist insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten gemäß dem subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff zu beurteilen (BSGE 35, 108, 112; 44, 264, 273). Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt nach der Rechtsprechung - der sich der Senat anschließt - derjenige, der schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem auffallen und einleuchten muss (BSGE 42, 184, 187; 62, 32, 35); dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen (sog. subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff: BSGE 35, 108, 112; 44, 264, 273).
Der Bescheid vom 18. Februar 2005 beruhte auf Angaben des Klägers, die dieser in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat. Nach der von ihm abgegebenen Erklärung vom 3. Februar 2005 war die Beklagte bei der Rentenfestsetzung davon ausgegangen, dass der Kläger ab Rentenbeginn (1. September 2004) keine Einkünfte, insbesondere keine solchen aus Gewerbetrieb, bezieht. Denn diese hatte er, bestätigt durch die Unterschrift seines Steuerberaters mit "0" beziffert. Die insoweit fehlerhaften Angaben waren indes nicht grob fahrlässig. Ausgehend von dem bei § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 HS 2 SGB X maßgeblichen subjektiven Sorgfaltsmaßstab sind Angaben dann falsch gemacht, wenn dem Versicherten ohne weitere Überlegungen klar sein musste, dass er den betreffenden Umstand mitteilen musste (Schütze in: von Wulffen SGB X, 7. Aufl. 2010, § 45 RdNr. 52). Im vorliegenden Fall wurde in dem Vordruck der Beklagten "Erklärung bei selbstständiger Tätigkeit über steuerrechtlichen Gewinn" (Forms R 14345) um Angaben zu dem nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrecht ermittelten Gewinn gefragt, erforderlichenfalls für dessen Höhe einen gewissenhafte Schätzung durch den Steuerberater erbeten und insoweit auch für ausreichend erklärt. Eine Erläuterung, was darunter genau zu verstehen ist, war nicht beigefügt. Auch war dem Kläger von der Beklagten kein Informationsmaterial, insbesondere kein Merkblatt, darüber ausgehändigt worden, was unter dem bei den Hinzuverdienstgrenzen zu berücksichtigenden Arbeitseinkommen eines Selbstständigen zu verstehen ist bzw. wonach sich dieses im Einzelnen bemisst. Anhaltspunkte, bei der Beklagten genauer nachzufragen, ergaben sich für ihn ebenfalls nicht. Die Beklagte hat in dem Formvordruck ausdrücklich auf Angaben eines Steuerberaters abgehoben und eine Bestätigung des voraussichtlichen - sogar nur geschätzten - Gewinns in dem angefragten Zeitraum durch den Steuerberater verlangt. Aus diesem Grund durfte er auf dessen Angaben und Erklärungen vertrauen. Bestätigt hat der Steuerberater insoweit durch seine Unterschrift den für die Zeit ab September 2004 erzielten, nach den allgemeinen in Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommenssteuerrecht ermittelten Gewinn und diesen mit Null angegeben. Es gab keinerlei Anlass für den Kläger, die fachkundigen Angaben seines Steuerberaters infrage zu stellen. Zwar muss er sich dessen im Ergebnis fehlerhafte Erklärung zurechnen lassen.
Zu berücksichtigen ist indes, dass es sich bei der Auslegung dessen, was unter Arbeitseinkommen oder auch Einkünften aus Gewerbebetrieb mit rentenrechtlicher Relevanz für die Hinzuverdienstgrenzen zu fassen ist, letztlich um die Auslegung von Rechtsbegriffen handelt, die vielfach Gegenstand der Rechtsprechung sind und waren, demzufolge keineswegs eindeutig sind.
Hierauf hat auch das Sozialgericht in seinem Urteil ebenso zutreffend hingewiesen, wie darauf, dass aus gleichen Gründen keine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 18. Februar 2005 vorlag. Ergänzend verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen daher auf die dortigen Ausführungen (§ 153 Abs. 2 SGG).
Da nach alledem weder die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 oder Nr. 3 SGB X gegeben sind noch der Verwaltungsakt nicht mit einem zulässigen Widerrufsvorbehalt erlassen wurde, konnte der Rentenbescheid vom 18. Februar 2005 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Die Rücknahme ist jedoch erst durch Bescheid vom 14. Juni 2007 bzw. 30. Oktober 2008 erfolgt, damit außerhalb der Zweijahresfrist und verspätet. Beide Rücknahmebescheide erweisen sich daher als rechtswidrig.
Die Beklagte ist auch nicht berechtigt, im Nachhinein die Rechtsgrundlage für ihre Aufhebungsentscheidung auszutauschen. Es besteht insoweit keine Wahlmöglichkeit zwischen § 45 und § 48 SGB X. Da der Bewilligungsbescheid vom 18. Februar 2005 bereits im Erlasszeitpunkt rechtswidrig war, kommt als Ermächtigungsgrundlage - wie ausgeführt - ausschließlich § 45 SGB X in Betracht. Im Übrigen könnte nach endgültiger Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb auf Basis der Einkommensteuerbescheide der Jahre 2004 und 2005 ohnehin nur § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X (nachträgliche Einkommenserzielung) zum Tragen kommen. Auf diesen Tatbestand beruft sich auch die Beklagte gestützt auf Entscheidungen anderer Landessozialgerichte. Zum einen führt sie an, dass sich die maßgeblichen Einkommensverhältnisse erst aus dem Einkommensteuerbescheid ergäben, der nach dem Erlasszeitpunkt ergangen sei (so LSG Sachsen vom 12. Oktober 2010 – L 4 R 263/08). Zudem könne unter Berücksichtigung steuerrechtlichen Vorgaben ein konkretes Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit erst dann im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X als "erzielt" angesehen werden, wenn mit Abgabe der Steuererklärung die steuerrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten ausgeübt worden seien, aufgrund derer erstmals die Einkommenshöhe berechnet werden könne (so LSG Niedersachsen-Bremen vom 30. Mai 2007 – L 2 Kn 12/07). Eine Umdeutung der Aufhebungsentscheidung, konkret ein Stützen derselben auf eine andere - günstigere - Rechtsgrundlage verbietet sich vorliegend alleine schon deshalb, weil sie den Kläger wegen des gravierenden Unterschiedes zwischen den §§ 45 und 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X in einer unvertretbaren Weise benachteiligen würde.
Da beide Vorschriften die Aufhebung eines Verwaltungsakts zum Ziel haben, ist das sog. "Nachschieben von Gründen", also das Auswechseln der Rechtsgrundlagen, zwar nach der Rechtsprechung grds. zulässig. Dies allerdings nur, soweit der Verwaltungsakt dadurch nicht in seinem Regelungsumfang oder seinem Wesensgehalt verändert oder die Rechtsverteidigung des Betroffenen in nicht zulässiger Weise beeinträchtigt oder erschwert wird (BSGE 29, 129, 132; 87, 8, 12; BSG vom 18. September 1997 - 11 RAr 9/97, vom 25. April 2002 - B 11 AL 69/01 R und sowie vom 21. Juni 2011- B 14 AS 22/10 R). Vorliegend würde damit jedoch gerade eine dem Sinn des § 43 SGB X widersprechende und damit unzulässige Umdeutung der mit der Klage angefochtenen Bescheide vom 14. Juni 2007 und 30. Oktober 2008 vorgenommen. Im Gegensatz zu § 45 SGB X erfordert § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X auf der Tatbestandsseite kein mitwirkendes Verschulden des Begünstigten, insbesondere keine Bösgläubigkeit im Sinne einer Kenntnis des Begünstigten von der Überzahlung für eine rückwirkende Aufhebung. Als alleinig an die Einkommenserzielung anknüpfende Regelung unterliegt sie damit weniger strengeren Anforderungen. Eine generelle Umdeutungsoption, auch in den Fällen, in denen ein Verwaltungsakt wegen überwiegendem Vertrauensschutzes nicht rücknehmbar ist, würde zum einen die Unterscheidung zwischen §§ 45, 48 SGB X obsolet machen, zudem hätte sie für den Betroffenen weitaus ungünstigere Rechtsfolgen. Eine Umdeutung im Sinne eines nachträglichen Ausweichens auf § 48 SGB X verbietet sich daher jedenfalls in den Fällen, in denen eine Bescheidrücknahme nach § 45 SGB X wegen überwiegendem Vertrauensschutz ausscheidet. Ein solches Vorgehen widerspricht auch der Systematik der §§ 44 ff. SGB X (Schütze in: von Wulffen SGB X, 7. Aufl. 2010, § 43 RdNr. 11; a.A. Heilemann, SGb 1996, 160, 162, der in diesen Fällen für die Anwendbarkeit des § 48 SGB X den Verwaltungsakt als von Anfang an rechtmäßig "fingieren" will).
Nur der Vollständigkeit halber sei abschließend noch darauf hingewiesen, dass die Beklagte das in § 45 SGB X vorgeschriebene Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat. Der Senat teilt die von dem Sozialgericht in seiner Entscheidung aufgezeigten Bedenken nicht. Ob behördliches Ermessen richtig ausgeübt worden ist, kann von den Gerichten letztlich nur eingeschränkt überprüft werden. Das Gericht darf sein Ermessen nicht an die Stelle des Ermessens der Beklagten setzen. Vielmehr darf lediglich geprüft werden, ob Ermessensfehler, ein Ermessensfehlgebrauch oder ein Ermessensnichtgebrauch vorliegen. Die Beklagte hat nach dem Inhalt der angegriffenen Bescheide erkannt, dass Ermessen auszuüben ist. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Da der Kläger selbst weder im Rahmen des Anhörungsverfahrens noch sonst besondere Umstände vorgetragen hat und solche auch sonst nicht ersichtlich waren, reichte die (formularmäßige) Feststellung der Beklagten in den Rücknahmebescheiden vom 14. Juni 2007 und auch 30. Oktober 2008 aus, nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden zu haben bzw. auch im Rahmen der Ermessenausübung zu keiner anderen Entscheidung gelangen zu können (so auch BSGE 61, 223). Der Kläger hat auch im Widerspruchsverfahren keine für die Ermessensausübung relevanten Umstände vorgetragen, sondern ausschließlich seine Rechtsansicht zur Frage der Einkommensermittlung dargetan. Dass die Beklagte die Widerspruchsprüfung auf die begehrte Ansetzung eines niedrigeren Gewinnes beschränkt hat, ist daher nicht zu beanstanden. Eine Verpflichtung zur Kontrolle der angegriffenen Entscheidung unter jedem tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt besteht nicht. Der Umfang der Prüfungspflicht wird vielmehr durch den Vortrag resp. das Vorbringen des Widerspruchsführers bestimmt. Entgegen der Auffassung des Klägervertreters war die Beklagte auch nicht verpflichtet, ins Blaue hinein wirtschaftliche Verhältnisse oder andere Gegebenheiten zu ermitteln, die ggf. bei ihrer Ermessensentscheidung Bedeutung gewinnen könnten. Eine entsprechende Verpflichtung zur Sachverhaltsermittlung kann sich allenfalls dann ergeben, wenn sich aus dem Akteninhalt für das Ermessen bedeutende Umstände ergeben. Dies war vorliegend jedoch gerade nicht der Fall. Da der Kläger bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens keine Ermessensgesichtspunkte vorgetragen hat, ist die von ihm angebrachte Rüge der unterlassenen Ermessensbetätigung insoweit unbeachtlich (so auch die Rspr. des BSG, z.B. BSGE 67, 232; 61, 223; Schütze in: von Wulffen SGB X, 7. Aufl. 2010, § 45 RdNr. 94 m.w.N.).
Nach alledem war die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. September 2010 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen. Soweit ersichtlich, liegt bisher keine höchstrichterliche Entscheidung zur Abgrenzung der §§ 45, 48 SGB X bei Fällen wie dem vorliegenden vor.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob und in welcher Höhe dem Kläger für die Zeit vom 1. September 2004 bis 31. Dezember 2005 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zusteht oder ob die Leistungen wegen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenzen von ihm vollständig oder teilweise zurückzuerstatten sind.
Der Kläger wurde 1968 geboren. Wegen eines Diabetes mellitus Typ-I, insbesondere der Folgeerkrankungen (diabetische Nephropathie mit terminaler dialysepflichtiger Niereninsuffizienz) beantragte er im August 2004 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung. In dem Rentenformantrag gab er an, bis Februar 2004 Geschäftsführer gewesen und noch Gesellschafter des Autohauses XY. GmbH & Co. KG in B-Stadt zu sein.
Auf Nachfrage der Beklagten erklärte der Kläger unter dem 3. Februar 2005, in der Zeit vom 1. September 2004 bis 8. November 2004 keinen steuerrechtlichen Gewinn aus dem Gewerbebetrieb erzielt zu haben. Diese Angabe bestätigte sein Steuerberater auf dem Formvordruck der Beklagten.
Mit Bescheid vom 18. Februar 2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger aufgrund eines Leistungsfalles vom 6. Februar 2004 eine von September 2004 bis Februar 2007 zeitlich befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Der Rentenbescheid enthält auf der Seite 4 folgenden Hinweis:
"Die Rente wird auf der Grundlage einer vorausschauenden Beurteilung des Arbeitseinkommens im Sinne von § 15 SGB IV bewilligt. Dabei ist davon ausgegangen worden, dass entsprechend der Erklärung vom 3. Februar 2005 und dem Schreiben des Steuerberaters vom 31. Januar 2005 das Arbeitseinkommen im Sinne von § 15 SGB IV seit dem 1. September 2004 die Hinzuverdienstgrenze nicht überschreitet. Daher besteht die Verpflichtung, uns jeweils bei Abgabe der Einkommensteuererklärung für das Jahr des Rentenbeginns und der Folgejahre bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres das Arbeitseinkommen abzüglich der Betriebsausgaben - jedoch vor Abzug der Sonderausgaben und Freibeträge - mitzuteilen. ( ) Sollte sich herausstellen, dass das Arbeitseinkommen wider Erwarten für Zeiten des Bezuges der Rente die Hinzuverdienstgrenze überschritten hat, besteht für die jeweiligen Zeiträume kein Anspruch auf die gezahlte Rente. Zu Unrecht erhaltene Beträge sind zu erstatten."
Beigefügt war dem Rentenbescheid des Weiteren eine Darstellung und Berechnung der Hinzuverdienstgrenzen (Anlage 19 des Bescheides vom 18. Februar 2005).
Auch die Anfrage der Beklagten vom 17. Mai 2005 beantwortete der Kläger unter Bestätigung seines Steuerberaters unter dem 24. Mai 2005 dahin, dass für die Zeit vom 1. September 2004 (sogar) bis zum 30. April 2005 kein Gewinn erzielt worden sei.
Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens auf Weiterzahlung der Erwerbsminderungsrente legte der Kläger den Einkommensteuerbescheid des Jahres 2004 vom 8. März 2006 vor, der Einkünfte aus Gewerbebetrieb / Beteiligungen in Höhe von 27.325,00 EUR auswies.
Mit Bescheid vom 16. März 2007 gewährte die Beklagte neuerlich unter Darstellung der Hinzuverdienstgrenzen eine volle Erwerbsminderungsrente für die Zeit vom 1. Juni 2007 bis zum 31. Mai 2008.
Nach Anhörung des Klägers nahm die Beklagte den Rentenbescheid vom 18. Februar 2005 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem 1. September 2004 zurück und forderte die entstandene Überzahlung in Höhe von 4.244,40 EUR zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Rücknahme des Rentenbescheides sei sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft zulässig, weil der Kläger sich zum einen auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides nicht berufen könne (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - SGB X -) und zum anderen die Fristen des § 45 Abs. 3, 4 SGB X nicht abgelaufen seien. Auch im Wege des Ermessens sei die Bescheidrücknahme gerechtfertigt, weil Umstände, die die Rücknahme und die damit verbundenen Rückforderung als unbillige Härte erscheinen ließen, nach Lage der Akten nicht ersichtlich seien.
In seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, im Jahre 2004 als Kommanditist an dem Autohaus XY. GmbH & Co KG beteiligt gewesen, darüber hinaus jedoch auch Miteigentümer des ausschließlich an diese Firma vermieteten Grundstücks in B-Stadt, X Straße gewesen zu sein. Steuerrechtlich habe eine Betriebsaufspaltung vorgelegen, so dass die Vermietungseinkünfte (27.325,00 EUR) Einkünfte aus Gewerbebetrieb darstellten. Aus der Beteiligung an dem Autohaus XY. sei ihm im Jahre 2004 ein Verlust von 19.685,29 EUR zugewiesenen worden, der allerdings wegen der Regelung des § 15a Einkommensteuergesetz (EStG) steuerlich nicht im Entstehungsjahr berücksichtigt würde, sondern erst später mit den Gewinnen aus der KG verrechnet werden könne.
Dieser Verlust sei jedoch für die hier relevante Berechnung des Arbeitseinkommens in Ansatz zu bringen. Maßgeblich sei insoweit der Bescheid für 2004 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 EStG vom 7. Februar 2006, der sich als Grundlagenbescheid zum Einkommensteuerbescheid darstelle und die Höhe der Einkünfte aus Gewerbebetrieb verbindlich festlege. Aus diesem ergäben sich für den Kläger Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 7.639,80 EUR. Damit bestehe zumindest Anspruch auf eine Teilrente wegen voller Erwerbsminderung.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Januar 2008 zurück. Sie führte aus, dass maßgeblich der in dem Einkommensteuerbescheid für 2004 unter "Einkünften aus Gewerbebetrieb" angegebene Gewinn sei. Dieser Gewinn sei vom Finanzamt nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften ermittelt worden und vom Rentenversicherungsträger als Grundlage für die Berücksichtigung des Hinzuverdienstes heranzuziehen. Der nicht an den Kläger persönlich, sondern an das Autohaus XY. gerichtete "Bescheid für 2004 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 EStG" sei kein Nachweis seines Arbeitseinkommens, zumal dieser als steuerpflichtigen Gewinn / Verlust auch eine Summe von 27.325,00 EUR feststelle. Die Beurteilung der Frage, ob Arbeitseinkommen aus einer selbstständigen Tätigkeit vorliege, richte sich nach § 15 SGB IV grundsätzlich nur nach der steuerrechtlichen Würdigung der Einkünfte. Durch die Anbindung der Vorschriften des Einkommensteuerrechts bliebe dem Rentenversicherungsträger bei der Anwendung der Vorschriften der Sozialversicherung kein Spielraum, von den Feststellungen der Steuerverwaltung abzuweichen. Dies bedeute im Ergebnis, dass die Angaben im Einkommensteuerbescheid grundsätzlich für die Berücksichtigung als Hinzuverdienst maßgeblich seien. Der Kläger erhob daraufhin am 8. Februar 2008 Klage bei dem Sozialgericht in Frankfurt am Main. Unter Wiederholung und Vertiefung seines Vorbringens aus dem Widerspruchsverfahren hielt er daran fest, in 2004 lediglich einen Hinzuverdienst in Höhe von 7.639,80 EUR (monatlich 636,65 EUR) erzielt zu haben. Im stehe aus diesem Grund Anspruch auf einer Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 3/4 für den streitgegenständlichen Zeitraum zu.
Mit Bescheid vom 5. März 2008 gewährte die Beklagte dem Kläger die Erwerbsminderungsrente bis Mai 2010 weiter.
Unter dem 27. März 2007 setzte das Finanzamt A-Stadt die für das Jahr 2005 von dem Kläger zu zahlende Einkommensteuer fest. Der Bescheid weist an Einkünften aus Gewerbebetrieb einen Betrag von 7.901,00 EUR aus. Dieser Betrag geht auf die auf den Kläger bezogene gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 EStG (Bescheid vom 17. April 2007) zurück. Nach weiterer Anhörung des Klägers nahm die Beklagte den Rentenbescheid vom 18. Februar 2005 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Bescheid vom 30. Oktober 2008 auch mit Wirkung für das Jahr 2005 zurück, gewährte unter Berücksichtigung eines Arbeitseinkommens in Höhe von 7.901,00 EUR jährlich für das Jahr 2005 statt der Vollrente nur noch eine 2/3 – Teilrente und forderte die errechnete Überzahlung in Höhe von 3.176,64 EUR zurück. Sie wies darauf hin, dass der Bescheid gem. § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens geworden sei.
Auch gegen diesen wandte sich der Kläger und machte unter Hinweis auf die Steuerbescheide geltend, dass die Hinzuverdienstgrenzen für das Jahr 2005 nicht überschritten seien und ihm die volle Erwerbsminderungsrente zustehe; er habe negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 66.669,81 EUR erzielt.
Das Sozialgericht Frankfurt am Main hat die Beklagte mit Urteil vom 24. September 2010 unter Abänderung des Bescheides vom 14. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 2008 im Ergebnis verurteilt, dem Kläger für die Zeit von September 2004 bis Dezember 2004 entsprechend seiner (letzten) Antragstellung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 2/3 zu gewähren und den Erstattungsbetrag zu mindern. Den Bescheid vom 30. Oktober 2008, den das Gericht klageerweiternd mit in das Verfahren einbezogen hat, hat es aufgehoben. Unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des BSG stellte das Sozialgericht zunächst fest, dass bei der Berechnung des Hinzuverdienstes die Einkommensteuerbescheide der Jahre 2004 und 2005 zu Grunde zu legen seien. Daraus folge, dass für die Zeit vom 1. September bis zum 31. Dezember 2004 kein Rentenanspruch sowie für das Jahr 2005 nur in Höhe von 2/3 der Vollrente wegen Erwerbsminderung bestanden habe. Indes lägen die Voraussetzungen für eine Rücknahme für die Vergangenheit im Hinblick auf beide mit der Klage angegriffenen Bescheide nicht vor. Die Tatbestandsvoraussetzungen für § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X (vorsätzliche oder grob fahrlässige falsche Angaben) seien nicht erfüllt. Zwar beruhe der Bewilligungsbescheid vom 18. Februar 2005 auf falschen Angaben, die der Kläger gemacht habe. Allerdings seien diese nicht grob fahrlässig gewesen.
Zwar seien die Angaben des Steuerberaters dem Kläger zuzurechnen. Jedoch handele sich es sich bei der Frage des Gewinns im Sinne des § 15 SGB IV im Ergebnis um die Auslegung eines Rechtsbegriffes. Im Hinblick auf die vorliegende Konstellation einer Betriebsaufspaltung und eines Verlustausgleichs gemäß § 15a EStG habe es sich für den Kläger und seinen Steuerberater nicht aufdrängen müssen, dass die voraussichtlichen Einkünfte allein aus dem Einkommensteuerbescheid unter Außerachtlassung des nach § 15a EStG nicht abzugsfähigen Verlustes anzugeben gewesen seien. Zu berücksichtigen sei, dass die Auslegung solcher steuerrechtlicher Begriffe Gegenstand vielfältiger Rechtsprechung und damit keineswegs eindeutig sei. Aus diesen Gründen läge auch keine Kenntnis oder ein Kennenmüssen der Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vor (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Da die Rücknahme für die Vergangenheit folglich nicht zulässig sei und auch kein zulässiger Widerrufsvorbehalt vorliege, sei zudem die Zweijahresfrist verstrichen. Beide Rücknahmebescheide seien insgesamt rechtswidrig.
Auch machte das Sozialgericht Bedenken an der ordnungsgemäßen Ermessenausübung in dem Bescheid vom 14. Juni 2007 geltend. Diese sei dort nur formelhaft, in dem Widerspruchsbescheid überhaupt nicht mehr erwähnt. Entsprechend seien auch keinerlei Ermessenserwägungen angestellt worden, obwohl der Kläger sich durchaus noch geäußert habe. Die Ausführungen ließen nicht erkennen, dass der Beklagten ihr Ermessen überhaupt bewusst gewesen sein. Da die Beklagte offenbar von einer gebundenen Entscheidung ausgegangen sei, sei eine nachträgliche Ermessensausübung im laufenden Klageverfahren ausgeschlossen, denn § 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 SGB X erlaubten es nicht, während des Klage- oder Berufungsverfahren erstmals Ermessenserwägungen anzustellen und mit heilender Wirkung nachzuschieben.
Gegen das ihr am 26. November 2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte im Wesentlichen gestützt auf ihr bisheriges Vorbringen am 14. Dezember 2010 Berufung eingelegt. Dem Kläger sei vorzuwerfen, dass er bzw. sein Steuerbevollmächtigter in grob fahrlässiger Weise unrichtige bzw. unvollständige Angaben zu dem Einkommen aus Gewerbebetrieb gemacht habe. Die fehlerhaften Angaben seines Steuerberaters müsse sich der Kläger zurechnen lassen. Entsprechend seien die Fristen für die Bescheidrücknahme gewahrt.
Die Beklagte ist zudem der Ansicht, ihr Ermessen ordnungsgemäß betätigt zu haben. In dem Rücknahmebescheid habe sie deutlich gemacht, dass eine Entscheidung nach ordnungsgemäßer Ermessenserwägung zu erfolgen habe.
Da jedoch von Seiten des Klägers keinerlei besondere Umstände, die in die Ermessensabwägung hätten einfließen können, vorgetragen worden und auch dem Akteninhalt nicht zu entnehmen gewesen seien, habe sie keine umfassende Ermessenentscheidung anstellen können. Gleiches gelte für den Widerspruchsbescheid. Die Ausführungen des Sozialgerichts zu diesem Punkt seien pauschal und wenig substantiell; unklar sei, welche Umstände sie im Rahmen der erforderten Ermessensabwägung konkret versäumt habe zu berücksichtigen bzw. welche konkreten Anhaltspunkte sie zu weiteren Sachverhaltsermittlung hätten veranlassen müssen. Unter Hinweis auf einige Entscheidungen anderer Landessozialgerichte zur Abgrenzung von § 45 SGB X zu § 48 SGB X ist sie schließlich der Ansicht, dass sie ihre Entscheidung auch auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X rechtswirksam hätte stützen können.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
das Urteil Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. September 2010 aufzuheben und die Klage auch gegen den Bescheid vom 30. Oktober 2008 abzuweisen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend, insbesondere was die Frage der nicht ordnungsgemäßen Ermessenserwägungen anbelangt. Die Anwendung von § 48 SGB X bzw. ein Rückgriff auf diese Vorschrift in der Berufungsinstanz sei nicht zulässig. Durch den Austausch der Rückforderungstatbestände würde ein sehr schädlicher, das Wesen des Aufhebungsbescheides ändernder Begründungswechsel vorgenommen. Für den Kläger sei es von entscheidender Bedeutung, ob er sich ursprünglich rechtmäßig oder grob fahrlässig verhalten habe.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Rentenakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist sachlich unbegründet. Das erstinstanzliche Urteil ist zu Recht ergangen. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 2008 wie auch der Bescheid vom 30. Oktober 2008 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der ursprüngliche Rentenbescheid vom 18. Februar 2005 durfte von der Beklagten bezogen auf den Zeitraum vom 1. September 2004 bis zum 31. Dezember 2005 trotz seiner die Rentenhöhe betreffenden Rechtswidrigkeit nicht mit der Folge zurückgenommen werden, dass der Kläger zur Erstattung der zu Unrecht gezahlten Rentenleistungen verpflichtet ist.
Ermächtigungsgrundlage für die Bescheide vom 14. Juni 2007 und vom 30. Oktober 2008 bildet § 45 SGB X. Nach dessen Absatz 1 darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Er darf gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (Satz 2 a.a.O.). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte von vornherein nämlich dann nicht berufen, soweit
1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat oder
3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
(§ 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X).
Die Voraussetzungen für die Rücknahme des Bescheides vom 18. Februar 2005 gemäß dieser Vorschrift liegen nicht vollständig vor. Bei einem Bescheid über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung handelt es sich zwar um einen begünstigenden Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Der Bescheid war auch von Anfang an rechtswidrig, weil bereits bei seinem Erlass die Hinzuverdienstgrenzen überschritten waren.
Im Erlasszeitpunkt lag bei der Beklagten ein Mangel in der Sachverhaltserkenntnis insoweit vor, als dass der ihrer Entscheidung zugrunde gelegte Sachverhalt mit der tatsächlichen Sachlage objektiv nicht übereingestimmt hat. Die Beklagte hat zwar ausweislich ihres Bescheides eine Prognoseentscheidung bezüglich des Einkommens des Klägers zugrunde gelegt. Allerdings war diese (Null-)Prognose von Anbeginn an fehlerhaft, da Einkommen aus Gewerbebetrieb zu berücksichtigen war. Solche Einkünfte waren der Beklagten nach der von dem Kläger unter dem 3. Februar 2005 abgegebenen Erklärung nicht bekannt, so dass sie diese nicht ihrer Prognose zugrunde legen konnte. Dies begründet einen Fall der bereits anfänglichen Rechtswidrigkeit. Erlässt die Verwaltung einen endgültigen Bescheid auf Grundlage eines nicht abschließend aufgeklärten Sachverhalts und stellt sich später - nach weiteren Ermittlungen - heraus, dass der Bescheid bereits im Zeitpunkt des Erlasses objektiv rechtswidrig war, ist ein Fall des § 45 SGB X gegeben (BSG vom 21. Juni 2011 – B 4 AS 21/10 R). § 48 SGB X ist dann nicht anwendbar (so i.ü. schon BSG vom 27. November 1984 – 12 RK 70/82; vgl. auch Schütze in: von Wulffen SGB X, 7. Aufl. 2010, § 45 RdNr. 32; Waschull in: Diering/Timme/Waschull, SGB X, 3. Aufl. 2011, § 45 RdNr. 16 f).
Gem. § 96a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der Fassung vom 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2007 wird eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur geleistet, wenn die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten wird. Sie wird nicht überschritten, wenn das für denselben Zeitraum erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit die in § 96a Abs. 2 SGB VI genannten, auf einen Monat bezogenen Beträge nicht übersteigt, wobei ein zweimaliges Überschreiten um jeweils einen Betrag bis zur Höhe der Hinzuverdienstgrenze nach Absatz 2 im Laufe eines jeden Kalenderjahres außer Betracht bleibt. Nach § 96a Abs. 1a SGB VI wird abhängig vom erzielten Hinzuverdienst eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in voller Höhe, in Höhe von 3/4, 1/2 oder 1/4 bewilligt (§ 96a Abs. 1a Nr. 2 SGB VI a. F.), wobei die Hinzuverdienstgrenze bei einer vollen Erwerbsminderungsrente im Jahr 2004 ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße 345,00 EUR - betrug (§ 96a Abs. 2 Nr. 2 SGB VI a. F.).
Der Kläger erzielte im Jahr 2004 ausweislich dem Einkommenssteuerbescheid vom 8. März 2006 für 2004 Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit in Höhe von 27.325,00 EUR, was einem monatlichen Betrag von 2.277,08 EUR entspricht. Damit lag ein Hinzuverdienst oberhalb der Hinzuverdienstgrenze von 345,00 EUR wie auch der aller Teilrenten (3/4 Rente = 1.001,30 EUR, 1/2 - Rente = 1.328,64 EUR, 1/4 - Rente = 1.655,99 EUR) vor, so dass von Anfang an kein Rentenanspruch bestand (§ 96a Abs. 2 Nr. 3b SGB VI a. F.)
Was unter dem Begriff "Arbeitseinkommen" zu verstehen ist, ist der allgemeinen Norm des § 15 SGB IV zu entnehmen (BSG Urteil vom 7. Oktober 2004 - B 13 RJ 13/04 R). Nach § 15 Abs. 1 SGB IV in der vom 1. Januar 1995 bis 31. Dezember 2005 geltenden Fassung ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbstständigen Tätigkeit. Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist. Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung dazu entschieden, dass der Begriff der selbstständigen Tätigkeit im Sinne des § 15 SGB IV alle typischerweise mit persönlichem Einsatz verbundenen Einkunftsarten erfasst. Nach dem Katalog des § 2 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 EStG sind dies Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (§ 13 EStG), Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG), Einkünfte aus selbstständiger Arbeit (§ 18 EStG) sowie diesen gleichgestellte Einkünfte (BSG vom 30. März 2006 – B 10 KR 2/04 R m.w.N.). Dabei ist grundsätzlich von einer Parallelität von Sozialversicherungsrecht und Einkommenssteuerrecht auszugehen (BSG vom 7. Oktober 2004 - B 13 RJ 13/04 R; 17. Februar 2005 - B 13 RJ 43/03 R; 3. Mai 2005 B 13 RJ 8/04 R; 30. März 2006 - B 10 KR 2/04 R). Abweichungen sind nur in Ausnahmefällen zu berücksichtigen. Denn grundsätzlich war es gerade die Absicht des Gesetzgebers, mit der Neufassung des § 15 SGB IV ab dem 1. Januar 1995 die Parallelität herzustellen. § 15 Abs. 1 SGB IV a.F., wonach bei der Ermittlung des Gewinns steuerliche Vergünstigungen unberücksichtigt zu lassen und Veräußerungsgewinne abzuziehen waren, ist ersatzlos gestrichen worden. Die Begründung im Gesetzentwurf (BT-Drucks. 12/5700 Satz 92 zu Art. 3 Nr. 2) führt dazu an, dass die ersatzlose Streichung des § 15 Satz 2 SGB IV a.F. aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung erfolge. Die Regelung des § 15 Satz 2 führe in der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten.
Der Begriff der steuerlichen Vergünstigung sei im Einkommenssteuerrecht nicht eindeutig bestimmt, die Rentenversicherung müsste deshalb selbst das entsprechende Steuerrecht auslegen. Fehler bei der Rechtsanwendung und lange Bearbeitungszeiten seien die Folge. Entspreche das Arbeitseinkommen dem steuerrechtlichen Gewinn, könnten die Angaben direkt aus dem Einkommensteuerbescheid übernommen werden.
Einschränkungen hat dieser Grundsatz insoweit durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erhalten, als jedenfalls dann nicht auf die Feststellung der Finanzverwaltung zurückzugreifen ist, wenn der Betroffene gegen die Richtigkeit der tatsächlichen Feststellung oder steuerrechtlichen Bewertung des Finanzamts schlüssige und erhebliche Einwendungen erhebt (BSG vom 30. März 2006 - B 10 KR 2/04 R). Weiter findet die Parallelität zum Einkommensteuerrecht dort ihre Grenzen, wo auch steuerrechtlich gerade keine selbstständige Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 EStG zugrunde liegt (BSG vom 17. Februar 2005 - B 13 RJ 43/03 R) oder keine eigene selbstständige Tätigkeit vorliegt (BSG vom 27. Januar 1999 - B 4 RA 17/98 R). Eine dieser Ausnahmen liegt indes hier nicht vor. Der Kläger erzielte Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit, nämlich aus Gewerbebetrieb. Diese Einkünfte wurden auch nach den Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts gem. §§ 4 bis 9 EStG ermittelt. Gegen die feststellenden Bescheide der Finanzverwaltung vom 8. März 2006 und 27. März 2007 wurden von ihm - auch was die die Einordnung seiner Einkünfte aus Vermietung/Verpachtung des Grundstücks X-Straße in B-Stadt aus der Betriebsaufspaltung anbelangt - keine Rechtsmittel eingelegt. Diese sind damit für die Beklagte verbindlich, die ausgewiesene Gewinne für die Prüfung der Hinzuverdienstgrenzen alleinig maßgeblich. Ohnehin ist für das vom Kläger angewandte steuerrechtliche Institut der Betriebsaufspaltung, bei dem bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung wegen der personellen Verflechtung zwischen Besitz und Betriebsunternehmen Einkünfte aus Gewerbebetrieb vorliegen, entschieden worden, dass es sich insoweit um Arbeitseinkommen im Sinne des § 15 SGB IV handelt (BSG vom 13. September 1997 - 4 RA 122/95). Hiervon geht der Kläger nach seinem Vorbringen aber auch selbst aus.
Eine andere Beurteilung ergibt sich vorliegend auch nicht in Ansehung der von dem Kläger vorgelegten Bescheide der Jahre 2004 und 2005 über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 EStG vom 7. Februar 2006 und 17. April 2007. Nach § 15a EStG können Kommanditisten Verluste, die zu einem negativen Kapitalkonto geführt haben oder dieses erhöhen, erst künftig und nur gegen Gewinne aus der Beteiligung verrechnen. Dessen Abs. 1 bestimmt, dass Verluste grds. nur bis zur Höhe des Haftungsbetrags des Kommanditisten mit anderen positiven Einkünften ausgeglichen werden können. Der Verlust kann zudem auch nur mit Gewinnen späterer Jahre, die aus der Beteiligung des Kommanditisten fließen, verrechnet werden (Abs. 2 a.a.O.). Bei der Vorschrift handelt es sich insoweit um eine die Einkünfte eines Kommanditisten aus Gewerbebetrieb definierende Sondervorschrift; sie ist entsprechend bei der Bestimmung des Arbeitseinkommens im Rahmen des § 15 SGB IV zu berücksichtigen. Maßgeblich für die Höhe des Arbeitseinkommens ist und bleibt gleichwohl der jeweilige Einkommensteuerbescheid und die darin ausgewiesenen - den verrechenbaren Verlust des Vorjahres berücksichtigenden - Einkünfte. Die zeitliche Verzögerung bei der Verlusterfassung ist dabei aufgrund der gesetzlich angeordneten Parallelität zwischen Einkommensteuer- und Sozialrecht hinzunehmen, zumal sie im Ergebnis auch nur lediglich eine zeitliche Verschiebung bei der Erfassung der verlustgeminderten Einkünfte zur Folge hat. Eine Abweichung von dieser Vorgehensweise verbietet sich im Übrigen auch aus verwaltungsökonomischen und Praktikabilitätsgründen. Eine Modifizierung bei einer sozialrechtlich gebotenen Berücksichtigung des Einkommens hätte nämlich zur Folge, dass der Rentenversicherungsträger in jedem Einzelfall nachprüfen müsste, ob eine Korrektur des steuerrechtlich relevanten Einkommens zu Gunsten oder auch zu Lasten des Versicherten nach sozialrechtlichen Vorgaben vorzunehmen ist. Dies würde zum einen mit einer erheblichen Fehlergefahr einhergehen, zum anderen die im Einkommensteuerrecht wenig versierte Verwaltung schlicht überfordern (so auch für den Fall der Ansparabschreibung LSG Niedersachsen-Bremen vom 30. Mai 2007 – L 2 Kn 12/07).
Nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. HS SGB X ist grobe Fahrlässigkeit gegeben, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dies ist dann der Fall, wenn er bereits einfache, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (BSG vom 8. Februar 2001, SozR 3-1300 § 45 SGB X Nr. 45 S. 152 ff.; BSGE 62, 32, 35; 42, 184, 187). Bei der Beurteilung der groben Fahrlässigkeit ist nicht von einem objektiven, sondern von einem subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab auszugehen (BSG vom 9. Februar 2006 – B 7a AL 58/05 R und vom 24. April 1997 – 11 RAr 89/96). Das Maß der Fahrlässigkeit ist insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten gemäß dem subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff zu beurteilen (BSGE 35, 108, 112; 44, 264, 273). Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt nach der Rechtsprechung - der sich der Senat anschließt - derjenige, der schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem auffallen und einleuchten muss (BSGE 42, 184, 187; 62, 32, 35); dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen (sog. subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff: BSGE 35, 108, 112; 44, 264, 273).
Der Bescheid vom 18. Februar 2005 beruhte auf Angaben des Klägers, die dieser in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat. Nach der von ihm abgegebenen Erklärung vom 3. Februar 2005 war die Beklagte bei der Rentenfestsetzung davon ausgegangen, dass der Kläger ab Rentenbeginn (1. September 2004) keine Einkünfte, insbesondere keine solchen aus Gewerbetrieb, bezieht. Denn diese hatte er, bestätigt durch die Unterschrift seines Steuerberaters mit "0" beziffert. Die insoweit fehlerhaften Angaben waren indes nicht grob fahrlässig. Ausgehend von dem bei § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 HS 2 SGB X maßgeblichen subjektiven Sorgfaltsmaßstab sind Angaben dann falsch gemacht, wenn dem Versicherten ohne weitere Überlegungen klar sein musste, dass er den betreffenden Umstand mitteilen musste (Schütze in: von Wulffen SGB X, 7. Aufl. 2010, § 45 RdNr. 52). Im vorliegenden Fall wurde in dem Vordruck der Beklagten "Erklärung bei selbstständiger Tätigkeit über steuerrechtlichen Gewinn" (Forms R 14345) um Angaben zu dem nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrecht ermittelten Gewinn gefragt, erforderlichenfalls für dessen Höhe einen gewissenhafte Schätzung durch den Steuerberater erbeten und insoweit auch für ausreichend erklärt. Eine Erläuterung, was darunter genau zu verstehen ist, war nicht beigefügt. Auch war dem Kläger von der Beklagten kein Informationsmaterial, insbesondere kein Merkblatt, darüber ausgehändigt worden, was unter dem bei den Hinzuverdienstgrenzen zu berücksichtigenden Arbeitseinkommen eines Selbstständigen zu verstehen ist bzw. wonach sich dieses im Einzelnen bemisst. Anhaltspunkte, bei der Beklagten genauer nachzufragen, ergaben sich für ihn ebenfalls nicht. Die Beklagte hat in dem Formvordruck ausdrücklich auf Angaben eines Steuerberaters abgehoben und eine Bestätigung des voraussichtlichen - sogar nur geschätzten - Gewinns in dem angefragten Zeitraum durch den Steuerberater verlangt. Aus diesem Grund durfte er auf dessen Angaben und Erklärungen vertrauen. Bestätigt hat der Steuerberater insoweit durch seine Unterschrift den für die Zeit ab September 2004 erzielten, nach den allgemeinen in Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommenssteuerrecht ermittelten Gewinn und diesen mit Null angegeben. Es gab keinerlei Anlass für den Kläger, die fachkundigen Angaben seines Steuerberaters infrage zu stellen. Zwar muss er sich dessen im Ergebnis fehlerhafte Erklärung zurechnen lassen.
Zu berücksichtigen ist indes, dass es sich bei der Auslegung dessen, was unter Arbeitseinkommen oder auch Einkünften aus Gewerbebetrieb mit rentenrechtlicher Relevanz für die Hinzuverdienstgrenzen zu fassen ist, letztlich um die Auslegung von Rechtsbegriffen handelt, die vielfach Gegenstand der Rechtsprechung sind und waren, demzufolge keineswegs eindeutig sind.
Hierauf hat auch das Sozialgericht in seinem Urteil ebenso zutreffend hingewiesen, wie darauf, dass aus gleichen Gründen keine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 18. Februar 2005 vorlag. Ergänzend verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen daher auf die dortigen Ausführungen (§ 153 Abs. 2 SGG).
Da nach alledem weder die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 oder Nr. 3 SGB X gegeben sind noch der Verwaltungsakt nicht mit einem zulässigen Widerrufsvorbehalt erlassen wurde, konnte der Rentenbescheid vom 18. Februar 2005 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Die Rücknahme ist jedoch erst durch Bescheid vom 14. Juni 2007 bzw. 30. Oktober 2008 erfolgt, damit außerhalb der Zweijahresfrist und verspätet. Beide Rücknahmebescheide erweisen sich daher als rechtswidrig.
Die Beklagte ist auch nicht berechtigt, im Nachhinein die Rechtsgrundlage für ihre Aufhebungsentscheidung auszutauschen. Es besteht insoweit keine Wahlmöglichkeit zwischen § 45 und § 48 SGB X. Da der Bewilligungsbescheid vom 18. Februar 2005 bereits im Erlasszeitpunkt rechtswidrig war, kommt als Ermächtigungsgrundlage - wie ausgeführt - ausschließlich § 45 SGB X in Betracht. Im Übrigen könnte nach endgültiger Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb auf Basis der Einkommensteuerbescheide der Jahre 2004 und 2005 ohnehin nur § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X (nachträgliche Einkommenserzielung) zum Tragen kommen. Auf diesen Tatbestand beruft sich auch die Beklagte gestützt auf Entscheidungen anderer Landessozialgerichte. Zum einen führt sie an, dass sich die maßgeblichen Einkommensverhältnisse erst aus dem Einkommensteuerbescheid ergäben, der nach dem Erlasszeitpunkt ergangen sei (so LSG Sachsen vom 12. Oktober 2010 – L 4 R 263/08). Zudem könne unter Berücksichtigung steuerrechtlichen Vorgaben ein konkretes Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit erst dann im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X als "erzielt" angesehen werden, wenn mit Abgabe der Steuererklärung die steuerrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten ausgeübt worden seien, aufgrund derer erstmals die Einkommenshöhe berechnet werden könne (so LSG Niedersachsen-Bremen vom 30. Mai 2007 – L 2 Kn 12/07). Eine Umdeutung der Aufhebungsentscheidung, konkret ein Stützen derselben auf eine andere - günstigere - Rechtsgrundlage verbietet sich vorliegend alleine schon deshalb, weil sie den Kläger wegen des gravierenden Unterschiedes zwischen den §§ 45 und 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X in einer unvertretbaren Weise benachteiligen würde.
Da beide Vorschriften die Aufhebung eines Verwaltungsakts zum Ziel haben, ist das sog. "Nachschieben von Gründen", also das Auswechseln der Rechtsgrundlagen, zwar nach der Rechtsprechung grds. zulässig. Dies allerdings nur, soweit der Verwaltungsakt dadurch nicht in seinem Regelungsumfang oder seinem Wesensgehalt verändert oder die Rechtsverteidigung des Betroffenen in nicht zulässiger Weise beeinträchtigt oder erschwert wird (BSGE 29, 129, 132; 87, 8, 12; BSG vom 18. September 1997 - 11 RAr 9/97, vom 25. April 2002 - B 11 AL 69/01 R und sowie vom 21. Juni 2011- B 14 AS 22/10 R). Vorliegend würde damit jedoch gerade eine dem Sinn des § 43 SGB X widersprechende und damit unzulässige Umdeutung der mit der Klage angefochtenen Bescheide vom 14. Juni 2007 und 30. Oktober 2008 vorgenommen. Im Gegensatz zu § 45 SGB X erfordert § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X auf der Tatbestandsseite kein mitwirkendes Verschulden des Begünstigten, insbesondere keine Bösgläubigkeit im Sinne einer Kenntnis des Begünstigten von der Überzahlung für eine rückwirkende Aufhebung. Als alleinig an die Einkommenserzielung anknüpfende Regelung unterliegt sie damit weniger strengeren Anforderungen. Eine generelle Umdeutungsoption, auch in den Fällen, in denen ein Verwaltungsakt wegen überwiegendem Vertrauensschutzes nicht rücknehmbar ist, würde zum einen die Unterscheidung zwischen §§ 45, 48 SGB X obsolet machen, zudem hätte sie für den Betroffenen weitaus ungünstigere Rechtsfolgen. Eine Umdeutung im Sinne eines nachträglichen Ausweichens auf § 48 SGB X verbietet sich daher jedenfalls in den Fällen, in denen eine Bescheidrücknahme nach § 45 SGB X wegen überwiegendem Vertrauensschutz ausscheidet. Ein solches Vorgehen widerspricht auch der Systematik der §§ 44 ff. SGB X (Schütze in: von Wulffen SGB X, 7. Aufl. 2010, § 43 RdNr. 11; a.A. Heilemann, SGb 1996, 160, 162, der in diesen Fällen für die Anwendbarkeit des § 48 SGB X den Verwaltungsakt als von Anfang an rechtmäßig "fingieren" will).
Nur der Vollständigkeit halber sei abschließend noch darauf hingewiesen, dass die Beklagte das in § 45 SGB X vorgeschriebene Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat. Der Senat teilt die von dem Sozialgericht in seiner Entscheidung aufgezeigten Bedenken nicht. Ob behördliches Ermessen richtig ausgeübt worden ist, kann von den Gerichten letztlich nur eingeschränkt überprüft werden. Das Gericht darf sein Ermessen nicht an die Stelle des Ermessens der Beklagten setzen. Vielmehr darf lediglich geprüft werden, ob Ermessensfehler, ein Ermessensfehlgebrauch oder ein Ermessensnichtgebrauch vorliegen. Die Beklagte hat nach dem Inhalt der angegriffenen Bescheide erkannt, dass Ermessen auszuüben ist. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Da der Kläger selbst weder im Rahmen des Anhörungsverfahrens noch sonst besondere Umstände vorgetragen hat und solche auch sonst nicht ersichtlich waren, reichte die (formularmäßige) Feststellung der Beklagten in den Rücknahmebescheiden vom 14. Juni 2007 und auch 30. Oktober 2008 aus, nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden zu haben bzw. auch im Rahmen der Ermessenausübung zu keiner anderen Entscheidung gelangen zu können (so auch BSGE 61, 223). Der Kläger hat auch im Widerspruchsverfahren keine für die Ermessensausübung relevanten Umstände vorgetragen, sondern ausschließlich seine Rechtsansicht zur Frage der Einkommensermittlung dargetan. Dass die Beklagte die Widerspruchsprüfung auf die begehrte Ansetzung eines niedrigeren Gewinnes beschränkt hat, ist daher nicht zu beanstanden. Eine Verpflichtung zur Kontrolle der angegriffenen Entscheidung unter jedem tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt besteht nicht. Der Umfang der Prüfungspflicht wird vielmehr durch den Vortrag resp. das Vorbringen des Widerspruchsführers bestimmt. Entgegen der Auffassung des Klägervertreters war die Beklagte auch nicht verpflichtet, ins Blaue hinein wirtschaftliche Verhältnisse oder andere Gegebenheiten zu ermitteln, die ggf. bei ihrer Ermessensentscheidung Bedeutung gewinnen könnten. Eine entsprechende Verpflichtung zur Sachverhaltsermittlung kann sich allenfalls dann ergeben, wenn sich aus dem Akteninhalt für das Ermessen bedeutende Umstände ergeben. Dies war vorliegend jedoch gerade nicht der Fall. Da der Kläger bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens keine Ermessensgesichtspunkte vorgetragen hat, ist die von ihm angebrachte Rüge der unterlassenen Ermessensbetätigung insoweit unbeachtlich (so auch die Rspr. des BSG, z.B. BSGE 67, 232; 61, 223; Schütze in: von Wulffen SGB X, 7. Aufl. 2010, § 45 RdNr. 94 m.w.N.).
Nach alledem war die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. September 2010 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen. Soweit ersichtlich, liegt bisher keine höchstrichterliche Entscheidung zur Abgrenzung der §§ 45, 48 SGB X bei Fällen wie dem vorliegenden vor.
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