Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 10 KR 463/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 231/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 65/12 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Mindestbindungsfrist von drei Jahren für einen Selbstbehaltwahltarif gilt auch bei einem beabsichtigten Wechsel eines freiwillig gesetzlich Versicherten in die private Krankenversicherung.
Erst durch das GKV-Finanzierungsgesetz vom 22. Dezember 2010 (BGBl I 2309) ist seit dem 1. Januar 2011 eine Änderung erfolgt.
Danach geht das Sonderkündigungsrecht nach § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V der Bindung durch einen Wahltarif nach § 53 Abs. 1, 2, 4 und 5 SGB V vor, § 53 Abs. 8 Satz 2 SGB V.
Erst durch das GKV-Finanzierungsgesetz vom 22. Dezember 2010 (BGBl I 2309) ist seit dem 1. Januar 2011 eine Änderung erfolgt.
Danach geht das Sonderkündigungsrecht nach § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V der Bindung durch einen Wahltarif nach § 53 Abs. 1, 2, 4 und 5 SGB V vor, § 53 Abs. 8 Satz 2 SGB V.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichtes Darmstadt vom 26. Mai 2010 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit von Kündigungen der freiwilligen Mitgliedschaft der Klägerin in der gesetzlichen Krankenversicherung für den Zeitraum vom 1. Januar 2009 bis zum 31. Dezember 2010.
Die 1970 geborene Klägerin ist seit dem 1. Juli 2004 Mitglied bei der Beklagten und dort seit dem 1. März 2006 freiwillig versichert. Am 27. Dezember 2007 unterzeichnete die Klägerin die Erklärung über die Wahl des Tarifes xxxxx 4 (Tarifbeginn: 1. Januar 2008). Die Erklärung enthält unter anderem den folgenden Passus:
"Ich wähle für den Zeitraum von 3 Jahren den folgenden Selbstbehalt-Tarif ( ). Ab Vertragsabschluss besteht ein 14-tägiges Rücktrittsrecht. Dies muss schriftlich ausgeübt werden. Die Informationen im Merkblatt habe ich aufmerksam gelesen."
In dem Merkblatt heißt es unter anderem:
"Laufzeit Wenn Sie sich für diesen Tarif entscheiden, sind Sie mindestens 3 Jahre an den Tarif gebunden. Wird der Tarif nicht 3 Jahre vor Ablauf der Bindungsfrist gekündigt, verlängert er sich automatisch um ein weiteres Jahr."
Mit Schreiben vom 27. Oktober 2008, bei der Beklagten eingegangen am 31. Oktober 2008, kündigte die Klägerin zum 31. Dezember 2008 ihre Mitgliedschaft bei der Beklagten. Mit Bescheid vom 5. November 2008 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass sie sich zum 1. Januar 2008 für den Tarif xxxxx 4 entschieden habe. Der Tarif beinhalte eine Bindungsfrist von 3 Jahren, welche in ihrem Fall zum 31. Dezember 2010 frühestens gekündigt werden könne. Seit dem 1. Januar 2009 ist die Klägerin privat bei der XY. Versicherung krankenversichert. Mit Datum vom 22. Januar 2009, 23. Februar 2009, 21. April 2009, 3. Juni 2009, 24. Juni 2009, 20. Juli 2009, 20. August 2009 und 22. Dezember 2009 erließ die Beklagte gegenüber der Klägerin Beitragsbescheide. Mit Schreiben vom 8. März 2009 erhob die Klägerin unter Bezugnahme auf den Beitragsbescheid vom 23. Februar 2009 Widerspruch und führte aus, dass sie von ihrem Recht zur außerordentlichen Kündigung fristgerecht zum 31. Dezember 2008 Gebrauch gemacht habe, da zum 1. Januar 2009 die Beiträge erhöht und zudem Leistungen aus dem ursprünglich geschlossenen Vertrag (Krankengeld) entfallen seien. Mit Bescheid vom 17. März 2009 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass aufgrund der Einführung des Gesundheitsfonds/Einheitsbeitrages kein Sonderkündigungsrecht bestehe. Zum 1. Januar 2009 hätten Versicherte einer Krankenkasse nur das Sonderkündigungsrecht, wenn diese Krankenkassen einen Zusatzbeitrag erheben würden. Dieses Sonderkündigungsrecht gelte nicht, wenn der Versicherte sich für einen Wahltarif entschieden habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2009 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.
Am 16. Juli 2009 beantragte die Klägerin beim Sozialgericht Darmstadt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche vom 8. März 2009, 10. Juni 2009 und 23. Juni 2009 gegen die betreffenden Bescheide der Beklagten. Das Verfahren erklärte sie am 10. September 2009 für erledigt (S 10 KR 195/09 ER).
Am 17. September 2009 beantragte die Klägerin beim Sozialgericht Darmstadt erneut im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche vom 8. März 2009, 10. Juni 2009, 23. Juni 2009 sowie vom 3. September 2009 gegen die betreffenden Bescheide der Beklagten. Mit Beschluss vom 11. Dezember 2009 wies das Sozialgericht Darmstadt den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als unzulässig zurück (S 10 KR 267/09 ER).
Am 30. November 2009, 21. Dezember 2009, 21. Januar 2010, 7. April 2010, 23. April 2010, 26. Mai 2010, 16. Juni 2010, 22. Juli 2010, 27. August 2010, 27. September 2010, 26. Oktober 2010, 23. November 2010, 4. Januar 2011 und am 26. Januar 2011 erließ die Beklagte weitere Beitragsbescheide unter Einbeziehung von Beiträgen zur Pflegeversicherung. Die Klägerin erhob jeweils Widerspruch gegen die Beitragsbescheide.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2009 hat die Klägerin am 13. November 2009 Klage zum Sozialgericht Darmstadt erhoben. Zur Begründung hat sie darauf hingewiesen, dass sich mit der Erhöhung des Beitragssatzes und dem Wegfall des Krankengeldes innerhalb der Vertragslaufzeit zum 1. Januar 2009 die Leistungen der abgeschlossenen Versicherung zu ihren Ungunsten als freiwillige Versicherungsnehmerin geändert hätten, weshalb ihr ein außerordentliches Kündigungsrecht zugesprochen werden müsse. Zudem sei auch ihr Ehemann zum 1. Januar 2009 aus der Familienversicherung ausgeschieden, da sein Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze gelegen habe. Bei Vertragsschluss sei auch kein Ausschluss des Sonderkündigungsrechts vereinbart worden. Sie und ihre Familie hätten zu keiner Zeit Leistungen aus dem xxxxx 4 Tarif in Anspruch genommen. Durch die entsprechenden Regelungen der §§ 53, 175 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) hätte zwar zum einen die Konkurrenz zwischen den gesetzlichen Krankenkassen angespornt werden sollen, gleichzeitig habe man aber ein sogenanntes "Krankenkassenhopping" auf der Suche nach dem jeweils günstigsten Wahltarif vermeiden wollen. Es handele sich jedoch um einen völlig anderen, nicht vergleichbaren Sachverhalt, wenn wie im vorliegenden Fall in eine private Krankenkasse gewechselt werde. Die Beklagte hat im Klageverfahren an ihrer Rechtsauffassung, dass eine Kündigungsmöglichkeit für die Klägerin vor dem Ablauf der Bindungsfrist von 3 Jahren nicht in Betracht komme, festgehalten. Bei Abschluss des strittigen Tarifes sei kraft Gesetzes eine Mindestbindungsfrist von 3 Jahren maßgeblich gewesen. Mit der Einführung des Gesundheitsfonds am 1. Januar 2009 und den gesetzlichen Neuregelungen seien zudem keine Änderungen des Wahltarifes verknüpft gewesen. Es hätte eine gesetzliche Regelung zumindest in Form einer gesetzlichen Klarstellung bedurft, wenn der Gesetzgeber mit der zum 1. Januar 2009 vorübergehenden Abschaffung des gesetzlichen Krankengeldes bezweckt hätte, den freiwillig Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung ein allgemeines Sonderkündigungsrecht zu eröffnen.
Mit Schreiben vom 21. Februar 2010 hat die Klägerin ihre Mitgliedschaft bei der Beklagten vorsorglich aufgrund der Erhebung eines Zusatzbeitrages ab Februar 2010 zum 31. April 2010 erneut gekündigt.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 26. Mai 2010 abgewiesen. Die Klägerin habe sich von dem Wahltarif xxxxx 4 nicht mit Wirkung zum 31. Dezember 2008 durch ihre Kündigung gelöst. Ihr habe weder ein ordentliches, noch ein Sonderkündigungsrecht zugestanden. Bei der Nutzung eines von den gesetzlichen Krankenkassen angebotenen Wahltarifes gelte eine andere Kündigungsfrist, die von der allgemeinen Bindungsfrist des § 175 Abs. 4 Satz 1 SGB V - 18 Monate - abweiche. Nach § 53 Abs. 8 Satz 1 SGB V betrage die Mindestbindungsfrist 3 Jahre und könne abweichend von § 175 Abs. 4 SGB V frühestens zum Ablauf der 3-jährigen Mindestbindungsdauer gekündigt werden. Da dies selbst dann gelte, wenn in der Satzung der Beklagten gar keine Mindestkündigungsfrist verankert worden sei, sei damit die am 28. Oktober 2008 ausgesprochene Kündigung des von der Klägerin ab dem 1. Januar 2008 abgeschlossenen Wahltarifes als freiwilliges Mitglied der Beklagten von Gesetzes wegen frühestens zum 31. Dezember 2010 möglich. Der Klägerin stehe auch nicht das in § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V verankerte Sonderkündigungsrecht bei Beitragserhöhung zu. Unabhängig davon, ob die Tatsache des vom Gesetzgeber ausdrücklich geregelten Wegfalls der Krankengeldgewährung bei freiwillig selbstständig Versicherten hierunter zu fassen sei, gelte diese Regelung ausdrücklich nicht für den Abschluss eines Wahltarifes nach § 53 Abs. 1 SGB V. Hintergrund der Nichtanwendbarkeit des Sonderkündigungsrechts sei die Tatsache, dass der Gesetzgeber es für angemessen gehalten habe, eine Bindungsfrist für grundsätzlich 3 Jahre festzulegen, um den Normzweck, einen missbräuchlichen Wechsel zwischen Tarifen nach Erwartung der Inanspruchnahme von Leistungen zu verhindern, zu erfüllen und der gesetzlichen Krankenkasse für die Kalkulation ihrer Wahltarife eine gewisse Sicherheit zu bieten. Die Verlängerung der Pflichtmitgliedschaft diene genauso dem Ziel, die Finanzgrundlage der gesetzlichen Krankenversicherung, die auf einem umfassenden sozialen Ausgleich basiere, zu stärken. Die Klägerin habe auch nicht geltend gemacht, hinsichtlich der 3-jährigen Bindungswirkung durch die Beklagte getäuscht oder nicht ordnungsgemäß informiert worden zu sein.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 7. Juli 2010 zugestellte Urteil hat diese am 5. August 2010 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung weist sie darauf hin, dass sie vor der Unterzeichnung des Wahltarifes über dessen Rechtsfolgen weder beraten noch informiert worden sei. Dies gelte insbesondere für geltende Verbraucherschutzrechte. In entsprechender Anwendung aller im deutschen Recht geltenden Grundsätze und auch nach den Vorgaben des Rechts der Europäischen Union zum Verbraucherschutz müssten zumindest die Regelungen der §§ 355 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) analog gelten. Bei dem endgültigen Austritt der nur freiwillig Versicherten aus der gesetzlichen Krankenversicherung in die private Krankenversicherung würde § 175 Abs. 4 Satz 2 bis 4 SGB V gelten, wonach die Kündigung zum übernächsten Monat möglich sei. Die Bindungsfrist des § 53 Abs. 8 SGB V von 36 Monaten gelte nur bei einem beabsichtigten Wechsel aus dem Tarif zu einer anderen gesetzlichen Krankenkasse oder Ersatzkasse. Andernfalls würde § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V völlig ausgehebelt, da freiwillig Versicherte über den Wahltarif faktisch zu zeitlich befristeten Pflichtmitgliedern mutierten. Die gesetzlichen Krankenkassen befänden sich bei freiwillig Versicherten in faktischer Konkurrenz zur privaten Krankenversicherung, ohne die Einschränkung des Versicherungsvertragsgesetzes zum Verbraucherschutz (Widerrufsrecht, Belehrungen) erfüllen zu müssen. Dies sei eine wettbewerbswidrige Begünstigung gegenüber der privaten Krankenversicherung. Der Vertrag zum Wahltarif mit der Beklagten wäre ohne jede Beratung nach dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) und ohne Dokumentation über Rechtsfolgen und hinreichende Belehrung analog § 355 BGB bzw. analog § 8 Abs. 4 VVG als widerrufen bzw. hilfsweise nach § 119 Abs. 1 BGB i.V.m. § 5 Abs. 4 VVG analog als angefochten anzusehen. Zur Bestätigung ihres Vorbringens bezieht die Klägerin sich auf eine Entscheidung des Sozialgerichtes Chemnitz vom 5. Februar 2010, S 7 KR 45/09.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 26. Mai 2010 und die Bescheide der Beklagten vom 5. November 2008, 22. Januar 2009, 23. Februar 2009, 21. April 2009, 3. Juni 2009, 24. Juni 2009, 20. Juli 2009, 20. August 2009, 22. September 2009 und vom 17. März 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 7. April 2010 aufzuheben und festzustellen, dass sie durch ihre Kündigung vom 27. Oktober 2008 zum 1. Januar 2009, hilfsweise durch die Kündigung vom 21. Februar 2010 zum Zeitpunkt der erstmaligen Fälligkeit des Zusatzbeitrages – rechnerisch zum 28. Februar 2010, spätestens zum 30. April 2010 – kein Mitglied der Beklagten mehr ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und weist ergänzend auf die Entscheidungen des Sächsischen Landessozialgerichtes vom 5. Februar 2010, L 1 KR 44/10 und den Beschluss des Landessozialgerichtes Nordrhein-Westfalen vom 23. April 2009, L 5 B 15/09 KR ER hin.
Der Senat hat auf den Erörterungstermin vom 22. Dezember 2011 mit Beschluss vom 21. Juni 2012 die Pflegekasse beigeladen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung waren.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte im vorliegenden Fall im schriftlichen Verfahren entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Die nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangenen Beitragsbescheide der Beklagten sind bis auf den Beitragsbescheid vom 7. April 2010 nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Nach § 96 Abs. 1 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Abändern oder Ersetzen setzt voraus, dass der Regelungsgegenstand des neu einzubeziehenden Verwaltungsaktes mit dem des früheren identisch ist, was durch Vergleich der in beiden Verwaltungsakten getroffenen Verfügungssätze festgestellt werden muss (Leitherer in: Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 10. Auflage 2012, § 96 Rdnr. 4a). Vorliegend sind zum einen die Mitgliedschaft der Klägerin und die Beitragspflicht für einen bestimmten, vergangenen und abgegrenzten Zeitraum im Rahmen der angegriffenen Bescheide der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2009 betroffen. Die weiteren Beitragsbescheide beziehen sich insoweit auf andere Zeiträume (vgl. hierzu auch: Leitherer, a.a.O., § 96 Rdnr. 10). Der Beitragbescheid vom 7. April 2010 ist durch Klageänderung nach § 99 Abs. 1 SGG Streitgegenstand geworden. Die Beklagte hat in die Klageänderung im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 26. Mai 2010 eingewilligt. Die nach § 99 Abs. 1 SGG erforderliche Einwilligung kann auch stillschweigend zum Ausdruck gebracht werden. Dies wird unwiderleglich vermutet, wenn sich die Beklagte, wie im vorliegenden Fall, ohne Widerspruch auf die geänderte Klage durch die entsprechende Antragstellung in der mündlichen Verhandlung eingelassen hat (Leitherer, a.a.O., § 99 Rdnr. 9).
Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die freiwillige Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten endete aufgrund ihrer Kündigungen nicht vor Ablauf des 31. Dezember 2010.
Die Klägerin ist an den von ihr mit Erklärung vom 27. Dezember 2007 gewählten Selbstbehalt (Wahl)-Tarif xxxxx 4 bis zum 31. Dezember 2010 gebunden.
Nach § 53 SGB V (in der bis zum 1. Januar 2011 geltenden Fassung vom 17. Juli 2009) können Krankenkassen in ihrer Satzung verschiedene Arten von Wahltarifen vorsehen, insbesondere einen Wahltarif für Selbstbehalt, § 53 Abs. 1 SGB V. Die Beklagte hat hiervon in § 27d Abs. 1 ihrer Satzung vom 8. April 1989 in der Fassung des 68. Nachtrages (Stand: 1. Juli 2007) Gebrauch gemacht.
Die Tarifwahlerklärung der Klägerin ist mit dem Zugang bei der Beklagten wirksam geworden.
Eine rückwirkende Beseitigung der Wirksamkeit der Tarifwahlerklärung der Klägerin ergibt sich nicht daraus, dass die Schreiben vom 27. Oktober 2008 und vom 21. Februar 2010, wie von der Klägerin vorgetragen, als Anfechtung bzw. Widerruf der Tarifwahl auszulegen sind. Zwar können verwaltungsrechtliche Willenserklärungen unter Umständen angefochten werden (Bundessozialgericht, Urteil vom 23. Oktober 2003, B 4 RA 27/03 R). Voraussetzung für eine gesetzes- oder rechtsanaloge oder rechtsgrundsätzliche Anwendung des § 119 BGB ist aber stets, dass eine verwaltungsrechtliche Willenserklärung eines Bürgers vorliegt und öffentlich-rechtliche Regelungen konzeptwidrig (planwidrig) nicht vorhanden sind, in denen die Frage geregelt ist, ob und gegebenenfalls mit welchen Rechtswirkungen wirksam abgegebene verwaltungsrechtliche Willenserklärungen nachträglich mit Rückwirkung für unwirksam erklärt werden dürfen. Hierauf ist nicht weiter einzugehen, da es vorliegend bereits an den tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 119 ff. BGB fehlt. Es liegt ein unbeachtlicher Rechtsfolgen- oder Motivirrtum vor. Die Klägerin irrte vorliegend nicht über die das Wesen des Rechtsgeschäfts bestimmenden rechtlichen Wirkungen der Erklärung in Form des Abschlusses des Selbstbehalttarifs zu den entsprechenden Tarifbedingungen, sondern befand sich, ihren Vortrag unterstellt, lediglich in Unkenntnis oder irrigen Annahme seiner rechtsgeschäftlichen Nebenwirkung, der Mindestbindungsfrist von 3 Jahren.
Ein Widerruf der Tarifwahlerklärung gemäß § 355 BGB in direkter oder analoger Anwendung scheidet gleichfalls aus.
§ 355 BGB beinhaltet ein Widerrufsrecht bei privatrechtlichen Verbraucherverträgen, bei denen sich Verbraucher und Unternehmer im Sinne der §§ 13, 14 BGB gegenüberstehen. § 14 BGB definiert insoweit den Unternehmer als eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtgeschäftes in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt. Krankenkassen handeln im Wettbewerb um beitragszahlende Mitglieder im Verhältnis zum Versicherten nicht als Unternehmen. Insoweit erfüllen die Krankenkassen eine Aufgabe mit ausschließlich sozialem Charakter, die auf dem Grundsatz der Solidarität beruht und ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt wird. Krankenkassen sind gesetzlich verpflichtet, ihren Mitgliedern im Wesentlichen gleiche Pflichtleistungen anzubieten, die unabhängig von der Beitragshöhe sind. Sie haben außerhalb der geringfügigen Bandbreite der Wahltarife keine Möglichkeit, auf diese Leistungen Einfluss zu nehmen. Sie sind zu einer kassenübergreifenden Solidargemeinschaft zusammengeschlossen, die ihnen ermöglicht, untereinander einen Kosten- und Risikoausgleich vorzunehmen. Die Einführung der Wahltarife nach § 53 SGB V ist dabei im Zusammenhang mit der Abschaffung der unterschiedlichen Beitragssätze der gesetzlichen Krankenversicherung zu sehen, die ab 2009 zu einem bundeseinheitlichen Beitragssatz für alle Krankenkassen geführt hat und kassenindividuell nur noch die Erhebung eines Zusatzbeitrages zulässt (§ 242 SGB V). Dem damit einhergehenden Abbau von Gestaltungsspielräumen der Krankenkassen hat der Gesetzgeber zur Effizienzsteigerung neue Versorgungsformen und Wahltarife an die Seite gestellt, um auch weiterhin im Rahmen eines eingeschränkten Wettbewerbes das Funktionieren des Gesamtsystems so effizient und kostengünstig wie möglich zu gestalten (vgl. ausführlich: Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 15. September 2011, L 1 KR 89/10 KL unter Bezugnahme auf: Bundessozialgericht, Urteil vom 22. Juni 2010, B 1 A 1/09 R; Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 16. März 2004, Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01, C-355/01 – AOK-Bundesverband – Slg. 2004, I – 2493; Rs. C 350/07 – Kattner Stahlbau GmbH – Slg. 2009, I – 1513). Das Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten ist öffentlich-rechtlicher Natur. Insoweit fehlt es für eine analoge Anwendung des § 355 BGB bereits an einer entsprechenden planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber sieht zum Schutz der Versicherten spezielle abschließende Regelungen vor (Aufklärungs-, Beratungs- und Auskunftsrechte der Versicherten in den §§ 13 ff Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – SGB I, Sonderkündigungsrechte usw.; s.a.: Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 10. August 2011, L 1 KR 44/10).
Anhaltspunkte für eine Nicht- bzw. Fehlberatung der Klägerin über die Rechtsfolgen der Tarifwahl als Grundlage eines eventuell bestehenden sozialrechtlichen Herstellungsanspruches dergestalt, dass die Klägerin so gestellt werden müsse, als hätte sie die Erklärung nicht abgegeben, sind für den Senat vorliegend nicht ersichtlich. Ausweislich des Antragsformulars kreuzte sie die Erklärung "ich wähle für den Zeitraum von 3 Jahren den Selbstbehalt-Tarif xxxxx 4" ab und bestätigte durch ihre Unterschrift, die ausführliche Beratung durch die Beklagte und die Information im Merkblatt aufmerksam gelesen zu haben. Ausweislich dieses von der Klägerin im Klageverfahren selbst vorgelegten Merkblattes ist unter "Laufzeit" ausdrücklich ausgeführt, dass eine Mindestbindungsfrist von 3 Jahren für den Tarif besteht.
Eine Unwirksamkeit der Erklärung wegen Verstoßes gegen europarechtliche Vorgaben für den Verbraucherschutz ist für den Senat zudem nicht erkennbar (z.B. u.a.: Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern vom 11. Mai 2005 und Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates - Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken -). Insoweit nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die oben dargestellte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes Bezug, wonach es sich bei den Krankenkassen im Angebotshandeln im Verhältnis zum Versicherten gerade nicht um Unternehmen in der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit handelt.
Die wirksame Erklärung der Klägerin für den gewählten Selbstbehalt(Wahl)-Tarif xxxxx 4 schloss bis zum 31. Dezember 2010 eine Kündigung der Mitgliedschaft bei der Beklagten auch bei dem erstrebten Wechsel in die private Krankenversicherung aus.
Die Mindestbindungsfrist für Wahltarife mit Ausnahme der Tarife in Abs. 3 des § 53 SGB V – die vorliegend nicht einschlägig sind (besondere Versorgungsformen) – beträgt 3 Jahre. Abweichend von § 175 Abs. 4 SGB V kann die Mitgliedschaft frühestens zum Ablauf der 3-jährigen Mindestbindungsfrist gekündigt werden, § 53 Abs. 8 Satz 1 und Satz 2 SGB V. § 27d Abs. 4 der Satzung der Beklagten bestimmt insoweit, dass Wahltarife (mit Ausnahme der hier nicht einschlägigen Tarife nach Abs. 3) für 3 Jahre vereinbart werden und mit einer Frist von 3 Monaten kündbar sind. Während dieser Bindungsfrist kann die Mitgliedschaft nicht gekündigt werden.
Eine Privilegierung dergestalt, dass bei einem Wechsel in die private Krankenversicherung keine Mindestbindungsfrist von 3 Jahren anzusetzen ist, es also bei der Möglichkeit der "ordentlichen Kündigung" nach § 175 Abs. 4 SGB V verbleibt und diese Mindestbindungsfrist lediglich bei einem Wechsel im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung eintritt, kann dem Wortlaut des Gesetzes nicht entnommen werden. § 53 Abs. 8 Satz 2 SGB V bezieht sich insoweit auf den gesamten Absatz des § 175 Abs. 4 SGB V und differenziert nicht zwischen pflichtversicherten und freiwilligen Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung (so auch: Sächsisches Landessozialgericht, a.a.O.; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. April 2009, L 5 B 15/09 KR ER; Knispel in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung SGB V, Kommentar, Stand: September 2011, § 53 Rdnr. 181; Baier und Krauskopf in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, Kommentar, Stand: November 2011, § 175 Rdnr. 29 und § 53 Rdnr. 32; Lang in: Becker/Kingreen, SGB V, Kommentar, 2. Auflage 2010, § 53 Rdnr. 22). Hierfür spricht zudem die Systematik des Gesetzes. Nach § 191 Nr. 3 1. Halbsatz SGB V (Dritter Abschnitt - Mitgliedschaft und Verfassung -) endet die freiwillige Mitgliedschaft mit dem Wirksamwerden der Kündigung, wobei auf § 175 Abs. 4 SGB V als allgemeinen Tatbestand Bezug genommen wird. Im Fall der Entscheidung für einen Wahltarif verdrängt die speziellere Regelung des § 53 Abs. 8 Satz 1 bis 3 SGB V diese allgemeine Regelung (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 4. Dezember 2008, L 1 KR 150/08 KL). Dies wird auch nach der Auffassung des Senats durch Sinn und Zweck der gesetzlichen Mindestbindungsfrist von 3 Jahren bei Wahltarifen bestätigt. Zweck der gesetzlichen Regelung ist es, einen "missbräuchlichen" Wechsel zwischen den Wahltarifen zu verhindern, der durch Optimierungsstrategien der Versicherten je nach der erwarteten Inanspruchnahme von Leistungen verursacht werden könnte. Wahltarife sollen zudem nicht zu Quersubventionierungen durch die übrigen Versicherten führen (Bundestagsdrucksache 16/3100 S. 109 zu Nr. 33, § 53 Abs. 7 des Entwurfes; Bundestagsdrucksache 16/3100 S. 109 zu Nr. 33, § 53 Abs. 8 des Entwurfes; Höfler in: Kasseler Kommentar, Stand: April 2011, § 53 SGB V Rdnr. 46). Der Wahltarif nach § 53 SGB V ist auch nur rechtmäßig, wenn die Aufwendungen für jeden Wahltarif durch die aus dem Wahltarif selbst folgenden Einnahmen, Einsparungen und Effizienzsteigerungen gegenfinanziert werden können, § 53 Abs. 9 SGB V (Hessisches Landessozialgericht, a.a.O.). Ist jedoch die Finanzierungsgrundlage der gesetzlichen Krankenversicherung durch die entsprechende Notwendigkeit einer Planungssicherheit (Kalkulationsgrundlage) für die Krankenkassen betroffen, werden nicht nur Pflichtversicherte, sondern gerade auch die in der Regel leistungsstärkeren freiwilligen Mitglieder bezüglich einer Abwanderung aus der gesetzlichen Krankenversicherung erfasst. Insoweit ist durch den Gesetzgeber erst durch das GKV-Finanzierungsgesetz vom 22. Dezember 2010 (BGBl I 2309) seit dem 1. Januar 2011 eine Änderung vorgenommen worden. Danach geht gemäß § 53 Abs. 8 Satz 2 SGB V das Sonderkündigungsrecht nach § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V der Bindung durch einen Wahltarif nach den Abs. 1, 2, 4 u. 5 vor (vgl. Krauskopf in: Krauskopf, a.a.O, § 53 SGB V Rdnr. 32).
Ein Sonderkündigungsrecht der Klägerin besteht nicht. Nach § 53 Abs. 8 Satz 3 SGB V hat die Satzung für Tarife ein Sonderkündigungsrecht in besonderen Härtefällen vorzusehen. § 27d Abs. 4 Satz 4 der maßgeblichen Satzung der Beklagten sieht insoweit vor, dass bei Eintritt von besonderen Härtefällen, insbesondere wenn im Laufe der Bindungsfrist Dritte überwiegend die Beiträge aufbringen, der Versicherte den Wahltarif kündigen kann. Das Sonderkündigungsrecht besteht auch, wenn die Tarifbedingungen des Wahltarifes verändert werden. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Unter besonderen Härtefälle sind nicht alle unerwarteten Veränderungen in den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen zu sehen, sondern nur solche außergewöhnlichen, die ein weiteres Festhalten am Tarif unzumutbar machen (z.B.: Vermögensverfall, Arbeitslosigkeit und demzufolge die mangelnde Fähigkeit Prämien aufzubringen; vgl. Schlegel in: jurisPK – SGB V, Kommentar, Stand: 27. September 2010, § 53 Rdnr. 154 ff.). Das von der Klägerin insoweit vorgetragene Ausscheiden ihres Ehemannes aus der Familienversicherung wegen Überschreitens der Beitragsbemessungsgrenze kann diese Voraussetzungen nicht erfüllen. Eine Veränderung der Tarifbedingungen des Wahltarifes ist für den Senat zudem nicht erkennbar. Hierunter fällt weder der (zeitweise) Wegfall der Krankengeldgewährung bei freiwillig selbstständig Versicherten kraft Gesetzes noch die Einführung des Einheitsbeitrages oder des Zusatzbeitrages nach § 242 SGB V. Hiervon sind alle Versicherten, unerheblich von den einzelnen Tarifbedingungen der Wahltarife, betroffen gewesen.
Auch der Hilfsantrag der Klägerin kann keinen Erfolg haben. Die Einführung des Zusatzbeitrages eröffnet der Klägerin kein allgemeines Sonderkündigungsrecht nach § 175 Abs. 4 SGB V. Dieses ist durch die Sonderregelung des § 53 Abs. 8 Satz 2 SGB V gerade ausgeschlossen. Auf die obigen Ausführungen wird insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit von Kündigungen der freiwilligen Mitgliedschaft der Klägerin in der gesetzlichen Krankenversicherung für den Zeitraum vom 1. Januar 2009 bis zum 31. Dezember 2010.
Die 1970 geborene Klägerin ist seit dem 1. Juli 2004 Mitglied bei der Beklagten und dort seit dem 1. März 2006 freiwillig versichert. Am 27. Dezember 2007 unterzeichnete die Klägerin die Erklärung über die Wahl des Tarifes xxxxx 4 (Tarifbeginn: 1. Januar 2008). Die Erklärung enthält unter anderem den folgenden Passus:
"Ich wähle für den Zeitraum von 3 Jahren den folgenden Selbstbehalt-Tarif ( ). Ab Vertragsabschluss besteht ein 14-tägiges Rücktrittsrecht. Dies muss schriftlich ausgeübt werden. Die Informationen im Merkblatt habe ich aufmerksam gelesen."
In dem Merkblatt heißt es unter anderem:
"Laufzeit Wenn Sie sich für diesen Tarif entscheiden, sind Sie mindestens 3 Jahre an den Tarif gebunden. Wird der Tarif nicht 3 Jahre vor Ablauf der Bindungsfrist gekündigt, verlängert er sich automatisch um ein weiteres Jahr."
Mit Schreiben vom 27. Oktober 2008, bei der Beklagten eingegangen am 31. Oktober 2008, kündigte die Klägerin zum 31. Dezember 2008 ihre Mitgliedschaft bei der Beklagten. Mit Bescheid vom 5. November 2008 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass sie sich zum 1. Januar 2008 für den Tarif xxxxx 4 entschieden habe. Der Tarif beinhalte eine Bindungsfrist von 3 Jahren, welche in ihrem Fall zum 31. Dezember 2010 frühestens gekündigt werden könne. Seit dem 1. Januar 2009 ist die Klägerin privat bei der XY. Versicherung krankenversichert. Mit Datum vom 22. Januar 2009, 23. Februar 2009, 21. April 2009, 3. Juni 2009, 24. Juni 2009, 20. Juli 2009, 20. August 2009 und 22. Dezember 2009 erließ die Beklagte gegenüber der Klägerin Beitragsbescheide. Mit Schreiben vom 8. März 2009 erhob die Klägerin unter Bezugnahme auf den Beitragsbescheid vom 23. Februar 2009 Widerspruch und führte aus, dass sie von ihrem Recht zur außerordentlichen Kündigung fristgerecht zum 31. Dezember 2008 Gebrauch gemacht habe, da zum 1. Januar 2009 die Beiträge erhöht und zudem Leistungen aus dem ursprünglich geschlossenen Vertrag (Krankengeld) entfallen seien. Mit Bescheid vom 17. März 2009 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass aufgrund der Einführung des Gesundheitsfonds/Einheitsbeitrages kein Sonderkündigungsrecht bestehe. Zum 1. Januar 2009 hätten Versicherte einer Krankenkasse nur das Sonderkündigungsrecht, wenn diese Krankenkassen einen Zusatzbeitrag erheben würden. Dieses Sonderkündigungsrecht gelte nicht, wenn der Versicherte sich für einen Wahltarif entschieden habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2009 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.
Am 16. Juli 2009 beantragte die Klägerin beim Sozialgericht Darmstadt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche vom 8. März 2009, 10. Juni 2009 und 23. Juni 2009 gegen die betreffenden Bescheide der Beklagten. Das Verfahren erklärte sie am 10. September 2009 für erledigt (S 10 KR 195/09 ER).
Am 17. September 2009 beantragte die Klägerin beim Sozialgericht Darmstadt erneut im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche vom 8. März 2009, 10. Juni 2009, 23. Juni 2009 sowie vom 3. September 2009 gegen die betreffenden Bescheide der Beklagten. Mit Beschluss vom 11. Dezember 2009 wies das Sozialgericht Darmstadt den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als unzulässig zurück (S 10 KR 267/09 ER).
Am 30. November 2009, 21. Dezember 2009, 21. Januar 2010, 7. April 2010, 23. April 2010, 26. Mai 2010, 16. Juni 2010, 22. Juli 2010, 27. August 2010, 27. September 2010, 26. Oktober 2010, 23. November 2010, 4. Januar 2011 und am 26. Januar 2011 erließ die Beklagte weitere Beitragsbescheide unter Einbeziehung von Beiträgen zur Pflegeversicherung. Die Klägerin erhob jeweils Widerspruch gegen die Beitragsbescheide.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2009 hat die Klägerin am 13. November 2009 Klage zum Sozialgericht Darmstadt erhoben. Zur Begründung hat sie darauf hingewiesen, dass sich mit der Erhöhung des Beitragssatzes und dem Wegfall des Krankengeldes innerhalb der Vertragslaufzeit zum 1. Januar 2009 die Leistungen der abgeschlossenen Versicherung zu ihren Ungunsten als freiwillige Versicherungsnehmerin geändert hätten, weshalb ihr ein außerordentliches Kündigungsrecht zugesprochen werden müsse. Zudem sei auch ihr Ehemann zum 1. Januar 2009 aus der Familienversicherung ausgeschieden, da sein Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze gelegen habe. Bei Vertragsschluss sei auch kein Ausschluss des Sonderkündigungsrechts vereinbart worden. Sie und ihre Familie hätten zu keiner Zeit Leistungen aus dem xxxxx 4 Tarif in Anspruch genommen. Durch die entsprechenden Regelungen der §§ 53, 175 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) hätte zwar zum einen die Konkurrenz zwischen den gesetzlichen Krankenkassen angespornt werden sollen, gleichzeitig habe man aber ein sogenanntes "Krankenkassenhopping" auf der Suche nach dem jeweils günstigsten Wahltarif vermeiden wollen. Es handele sich jedoch um einen völlig anderen, nicht vergleichbaren Sachverhalt, wenn wie im vorliegenden Fall in eine private Krankenkasse gewechselt werde. Die Beklagte hat im Klageverfahren an ihrer Rechtsauffassung, dass eine Kündigungsmöglichkeit für die Klägerin vor dem Ablauf der Bindungsfrist von 3 Jahren nicht in Betracht komme, festgehalten. Bei Abschluss des strittigen Tarifes sei kraft Gesetzes eine Mindestbindungsfrist von 3 Jahren maßgeblich gewesen. Mit der Einführung des Gesundheitsfonds am 1. Januar 2009 und den gesetzlichen Neuregelungen seien zudem keine Änderungen des Wahltarifes verknüpft gewesen. Es hätte eine gesetzliche Regelung zumindest in Form einer gesetzlichen Klarstellung bedurft, wenn der Gesetzgeber mit der zum 1. Januar 2009 vorübergehenden Abschaffung des gesetzlichen Krankengeldes bezweckt hätte, den freiwillig Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung ein allgemeines Sonderkündigungsrecht zu eröffnen.
Mit Schreiben vom 21. Februar 2010 hat die Klägerin ihre Mitgliedschaft bei der Beklagten vorsorglich aufgrund der Erhebung eines Zusatzbeitrages ab Februar 2010 zum 31. April 2010 erneut gekündigt.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 26. Mai 2010 abgewiesen. Die Klägerin habe sich von dem Wahltarif xxxxx 4 nicht mit Wirkung zum 31. Dezember 2008 durch ihre Kündigung gelöst. Ihr habe weder ein ordentliches, noch ein Sonderkündigungsrecht zugestanden. Bei der Nutzung eines von den gesetzlichen Krankenkassen angebotenen Wahltarifes gelte eine andere Kündigungsfrist, die von der allgemeinen Bindungsfrist des § 175 Abs. 4 Satz 1 SGB V - 18 Monate - abweiche. Nach § 53 Abs. 8 Satz 1 SGB V betrage die Mindestbindungsfrist 3 Jahre und könne abweichend von § 175 Abs. 4 SGB V frühestens zum Ablauf der 3-jährigen Mindestbindungsdauer gekündigt werden. Da dies selbst dann gelte, wenn in der Satzung der Beklagten gar keine Mindestkündigungsfrist verankert worden sei, sei damit die am 28. Oktober 2008 ausgesprochene Kündigung des von der Klägerin ab dem 1. Januar 2008 abgeschlossenen Wahltarifes als freiwilliges Mitglied der Beklagten von Gesetzes wegen frühestens zum 31. Dezember 2010 möglich. Der Klägerin stehe auch nicht das in § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V verankerte Sonderkündigungsrecht bei Beitragserhöhung zu. Unabhängig davon, ob die Tatsache des vom Gesetzgeber ausdrücklich geregelten Wegfalls der Krankengeldgewährung bei freiwillig selbstständig Versicherten hierunter zu fassen sei, gelte diese Regelung ausdrücklich nicht für den Abschluss eines Wahltarifes nach § 53 Abs. 1 SGB V. Hintergrund der Nichtanwendbarkeit des Sonderkündigungsrechts sei die Tatsache, dass der Gesetzgeber es für angemessen gehalten habe, eine Bindungsfrist für grundsätzlich 3 Jahre festzulegen, um den Normzweck, einen missbräuchlichen Wechsel zwischen Tarifen nach Erwartung der Inanspruchnahme von Leistungen zu verhindern, zu erfüllen und der gesetzlichen Krankenkasse für die Kalkulation ihrer Wahltarife eine gewisse Sicherheit zu bieten. Die Verlängerung der Pflichtmitgliedschaft diene genauso dem Ziel, die Finanzgrundlage der gesetzlichen Krankenversicherung, die auf einem umfassenden sozialen Ausgleich basiere, zu stärken. Die Klägerin habe auch nicht geltend gemacht, hinsichtlich der 3-jährigen Bindungswirkung durch die Beklagte getäuscht oder nicht ordnungsgemäß informiert worden zu sein.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 7. Juli 2010 zugestellte Urteil hat diese am 5. August 2010 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung weist sie darauf hin, dass sie vor der Unterzeichnung des Wahltarifes über dessen Rechtsfolgen weder beraten noch informiert worden sei. Dies gelte insbesondere für geltende Verbraucherschutzrechte. In entsprechender Anwendung aller im deutschen Recht geltenden Grundsätze und auch nach den Vorgaben des Rechts der Europäischen Union zum Verbraucherschutz müssten zumindest die Regelungen der §§ 355 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) analog gelten. Bei dem endgültigen Austritt der nur freiwillig Versicherten aus der gesetzlichen Krankenversicherung in die private Krankenversicherung würde § 175 Abs. 4 Satz 2 bis 4 SGB V gelten, wonach die Kündigung zum übernächsten Monat möglich sei. Die Bindungsfrist des § 53 Abs. 8 SGB V von 36 Monaten gelte nur bei einem beabsichtigten Wechsel aus dem Tarif zu einer anderen gesetzlichen Krankenkasse oder Ersatzkasse. Andernfalls würde § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V völlig ausgehebelt, da freiwillig Versicherte über den Wahltarif faktisch zu zeitlich befristeten Pflichtmitgliedern mutierten. Die gesetzlichen Krankenkassen befänden sich bei freiwillig Versicherten in faktischer Konkurrenz zur privaten Krankenversicherung, ohne die Einschränkung des Versicherungsvertragsgesetzes zum Verbraucherschutz (Widerrufsrecht, Belehrungen) erfüllen zu müssen. Dies sei eine wettbewerbswidrige Begünstigung gegenüber der privaten Krankenversicherung. Der Vertrag zum Wahltarif mit der Beklagten wäre ohne jede Beratung nach dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) und ohne Dokumentation über Rechtsfolgen und hinreichende Belehrung analog § 355 BGB bzw. analog § 8 Abs. 4 VVG als widerrufen bzw. hilfsweise nach § 119 Abs. 1 BGB i.V.m. § 5 Abs. 4 VVG analog als angefochten anzusehen. Zur Bestätigung ihres Vorbringens bezieht die Klägerin sich auf eine Entscheidung des Sozialgerichtes Chemnitz vom 5. Februar 2010, S 7 KR 45/09.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 26. Mai 2010 und die Bescheide der Beklagten vom 5. November 2008, 22. Januar 2009, 23. Februar 2009, 21. April 2009, 3. Juni 2009, 24. Juni 2009, 20. Juli 2009, 20. August 2009, 22. September 2009 und vom 17. März 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 7. April 2010 aufzuheben und festzustellen, dass sie durch ihre Kündigung vom 27. Oktober 2008 zum 1. Januar 2009, hilfsweise durch die Kündigung vom 21. Februar 2010 zum Zeitpunkt der erstmaligen Fälligkeit des Zusatzbeitrages – rechnerisch zum 28. Februar 2010, spätestens zum 30. April 2010 – kein Mitglied der Beklagten mehr ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und weist ergänzend auf die Entscheidungen des Sächsischen Landessozialgerichtes vom 5. Februar 2010, L 1 KR 44/10 und den Beschluss des Landessozialgerichtes Nordrhein-Westfalen vom 23. April 2009, L 5 B 15/09 KR ER hin.
Der Senat hat auf den Erörterungstermin vom 22. Dezember 2011 mit Beschluss vom 21. Juni 2012 die Pflegekasse beigeladen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung waren.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte im vorliegenden Fall im schriftlichen Verfahren entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Die nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangenen Beitragsbescheide der Beklagten sind bis auf den Beitragsbescheid vom 7. April 2010 nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Nach § 96 Abs. 1 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Abändern oder Ersetzen setzt voraus, dass der Regelungsgegenstand des neu einzubeziehenden Verwaltungsaktes mit dem des früheren identisch ist, was durch Vergleich der in beiden Verwaltungsakten getroffenen Verfügungssätze festgestellt werden muss (Leitherer in: Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 10. Auflage 2012, § 96 Rdnr. 4a). Vorliegend sind zum einen die Mitgliedschaft der Klägerin und die Beitragspflicht für einen bestimmten, vergangenen und abgegrenzten Zeitraum im Rahmen der angegriffenen Bescheide der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2009 betroffen. Die weiteren Beitragsbescheide beziehen sich insoweit auf andere Zeiträume (vgl. hierzu auch: Leitherer, a.a.O., § 96 Rdnr. 10). Der Beitragbescheid vom 7. April 2010 ist durch Klageänderung nach § 99 Abs. 1 SGG Streitgegenstand geworden. Die Beklagte hat in die Klageänderung im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 26. Mai 2010 eingewilligt. Die nach § 99 Abs. 1 SGG erforderliche Einwilligung kann auch stillschweigend zum Ausdruck gebracht werden. Dies wird unwiderleglich vermutet, wenn sich die Beklagte, wie im vorliegenden Fall, ohne Widerspruch auf die geänderte Klage durch die entsprechende Antragstellung in der mündlichen Verhandlung eingelassen hat (Leitherer, a.a.O., § 99 Rdnr. 9).
Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die freiwillige Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten endete aufgrund ihrer Kündigungen nicht vor Ablauf des 31. Dezember 2010.
Die Klägerin ist an den von ihr mit Erklärung vom 27. Dezember 2007 gewählten Selbstbehalt (Wahl)-Tarif xxxxx 4 bis zum 31. Dezember 2010 gebunden.
Nach § 53 SGB V (in der bis zum 1. Januar 2011 geltenden Fassung vom 17. Juli 2009) können Krankenkassen in ihrer Satzung verschiedene Arten von Wahltarifen vorsehen, insbesondere einen Wahltarif für Selbstbehalt, § 53 Abs. 1 SGB V. Die Beklagte hat hiervon in § 27d Abs. 1 ihrer Satzung vom 8. April 1989 in der Fassung des 68. Nachtrages (Stand: 1. Juli 2007) Gebrauch gemacht.
Die Tarifwahlerklärung der Klägerin ist mit dem Zugang bei der Beklagten wirksam geworden.
Eine rückwirkende Beseitigung der Wirksamkeit der Tarifwahlerklärung der Klägerin ergibt sich nicht daraus, dass die Schreiben vom 27. Oktober 2008 und vom 21. Februar 2010, wie von der Klägerin vorgetragen, als Anfechtung bzw. Widerruf der Tarifwahl auszulegen sind. Zwar können verwaltungsrechtliche Willenserklärungen unter Umständen angefochten werden (Bundessozialgericht, Urteil vom 23. Oktober 2003, B 4 RA 27/03 R). Voraussetzung für eine gesetzes- oder rechtsanaloge oder rechtsgrundsätzliche Anwendung des § 119 BGB ist aber stets, dass eine verwaltungsrechtliche Willenserklärung eines Bürgers vorliegt und öffentlich-rechtliche Regelungen konzeptwidrig (planwidrig) nicht vorhanden sind, in denen die Frage geregelt ist, ob und gegebenenfalls mit welchen Rechtswirkungen wirksam abgegebene verwaltungsrechtliche Willenserklärungen nachträglich mit Rückwirkung für unwirksam erklärt werden dürfen. Hierauf ist nicht weiter einzugehen, da es vorliegend bereits an den tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 119 ff. BGB fehlt. Es liegt ein unbeachtlicher Rechtsfolgen- oder Motivirrtum vor. Die Klägerin irrte vorliegend nicht über die das Wesen des Rechtsgeschäfts bestimmenden rechtlichen Wirkungen der Erklärung in Form des Abschlusses des Selbstbehalttarifs zu den entsprechenden Tarifbedingungen, sondern befand sich, ihren Vortrag unterstellt, lediglich in Unkenntnis oder irrigen Annahme seiner rechtsgeschäftlichen Nebenwirkung, der Mindestbindungsfrist von 3 Jahren.
Ein Widerruf der Tarifwahlerklärung gemäß § 355 BGB in direkter oder analoger Anwendung scheidet gleichfalls aus.
§ 355 BGB beinhaltet ein Widerrufsrecht bei privatrechtlichen Verbraucherverträgen, bei denen sich Verbraucher und Unternehmer im Sinne der §§ 13, 14 BGB gegenüberstehen. § 14 BGB definiert insoweit den Unternehmer als eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtgeschäftes in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt. Krankenkassen handeln im Wettbewerb um beitragszahlende Mitglieder im Verhältnis zum Versicherten nicht als Unternehmen. Insoweit erfüllen die Krankenkassen eine Aufgabe mit ausschließlich sozialem Charakter, die auf dem Grundsatz der Solidarität beruht und ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt wird. Krankenkassen sind gesetzlich verpflichtet, ihren Mitgliedern im Wesentlichen gleiche Pflichtleistungen anzubieten, die unabhängig von der Beitragshöhe sind. Sie haben außerhalb der geringfügigen Bandbreite der Wahltarife keine Möglichkeit, auf diese Leistungen Einfluss zu nehmen. Sie sind zu einer kassenübergreifenden Solidargemeinschaft zusammengeschlossen, die ihnen ermöglicht, untereinander einen Kosten- und Risikoausgleich vorzunehmen. Die Einführung der Wahltarife nach § 53 SGB V ist dabei im Zusammenhang mit der Abschaffung der unterschiedlichen Beitragssätze der gesetzlichen Krankenversicherung zu sehen, die ab 2009 zu einem bundeseinheitlichen Beitragssatz für alle Krankenkassen geführt hat und kassenindividuell nur noch die Erhebung eines Zusatzbeitrages zulässt (§ 242 SGB V). Dem damit einhergehenden Abbau von Gestaltungsspielräumen der Krankenkassen hat der Gesetzgeber zur Effizienzsteigerung neue Versorgungsformen und Wahltarife an die Seite gestellt, um auch weiterhin im Rahmen eines eingeschränkten Wettbewerbes das Funktionieren des Gesamtsystems so effizient und kostengünstig wie möglich zu gestalten (vgl. ausführlich: Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 15. September 2011, L 1 KR 89/10 KL unter Bezugnahme auf: Bundessozialgericht, Urteil vom 22. Juni 2010, B 1 A 1/09 R; Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 16. März 2004, Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01, C-355/01 – AOK-Bundesverband – Slg. 2004, I – 2493; Rs. C 350/07 – Kattner Stahlbau GmbH – Slg. 2009, I – 1513). Das Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten ist öffentlich-rechtlicher Natur. Insoweit fehlt es für eine analoge Anwendung des § 355 BGB bereits an einer entsprechenden planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber sieht zum Schutz der Versicherten spezielle abschließende Regelungen vor (Aufklärungs-, Beratungs- und Auskunftsrechte der Versicherten in den §§ 13 ff Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – SGB I, Sonderkündigungsrechte usw.; s.a.: Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 10. August 2011, L 1 KR 44/10).
Anhaltspunkte für eine Nicht- bzw. Fehlberatung der Klägerin über die Rechtsfolgen der Tarifwahl als Grundlage eines eventuell bestehenden sozialrechtlichen Herstellungsanspruches dergestalt, dass die Klägerin so gestellt werden müsse, als hätte sie die Erklärung nicht abgegeben, sind für den Senat vorliegend nicht ersichtlich. Ausweislich des Antragsformulars kreuzte sie die Erklärung "ich wähle für den Zeitraum von 3 Jahren den Selbstbehalt-Tarif xxxxx 4" ab und bestätigte durch ihre Unterschrift, die ausführliche Beratung durch die Beklagte und die Information im Merkblatt aufmerksam gelesen zu haben. Ausweislich dieses von der Klägerin im Klageverfahren selbst vorgelegten Merkblattes ist unter "Laufzeit" ausdrücklich ausgeführt, dass eine Mindestbindungsfrist von 3 Jahren für den Tarif besteht.
Eine Unwirksamkeit der Erklärung wegen Verstoßes gegen europarechtliche Vorgaben für den Verbraucherschutz ist für den Senat zudem nicht erkennbar (z.B. u.a.: Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern vom 11. Mai 2005 und Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates - Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken -). Insoweit nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die oben dargestellte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes Bezug, wonach es sich bei den Krankenkassen im Angebotshandeln im Verhältnis zum Versicherten gerade nicht um Unternehmen in der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit handelt.
Die wirksame Erklärung der Klägerin für den gewählten Selbstbehalt(Wahl)-Tarif xxxxx 4 schloss bis zum 31. Dezember 2010 eine Kündigung der Mitgliedschaft bei der Beklagten auch bei dem erstrebten Wechsel in die private Krankenversicherung aus.
Die Mindestbindungsfrist für Wahltarife mit Ausnahme der Tarife in Abs. 3 des § 53 SGB V – die vorliegend nicht einschlägig sind (besondere Versorgungsformen) – beträgt 3 Jahre. Abweichend von § 175 Abs. 4 SGB V kann die Mitgliedschaft frühestens zum Ablauf der 3-jährigen Mindestbindungsfrist gekündigt werden, § 53 Abs. 8 Satz 1 und Satz 2 SGB V. § 27d Abs. 4 der Satzung der Beklagten bestimmt insoweit, dass Wahltarife (mit Ausnahme der hier nicht einschlägigen Tarife nach Abs. 3) für 3 Jahre vereinbart werden und mit einer Frist von 3 Monaten kündbar sind. Während dieser Bindungsfrist kann die Mitgliedschaft nicht gekündigt werden.
Eine Privilegierung dergestalt, dass bei einem Wechsel in die private Krankenversicherung keine Mindestbindungsfrist von 3 Jahren anzusetzen ist, es also bei der Möglichkeit der "ordentlichen Kündigung" nach § 175 Abs. 4 SGB V verbleibt und diese Mindestbindungsfrist lediglich bei einem Wechsel im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung eintritt, kann dem Wortlaut des Gesetzes nicht entnommen werden. § 53 Abs. 8 Satz 2 SGB V bezieht sich insoweit auf den gesamten Absatz des § 175 Abs. 4 SGB V und differenziert nicht zwischen pflichtversicherten und freiwilligen Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung (so auch: Sächsisches Landessozialgericht, a.a.O.; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. April 2009, L 5 B 15/09 KR ER; Knispel in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung SGB V, Kommentar, Stand: September 2011, § 53 Rdnr. 181; Baier und Krauskopf in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, Kommentar, Stand: November 2011, § 175 Rdnr. 29 und § 53 Rdnr. 32; Lang in: Becker/Kingreen, SGB V, Kommentar, 2. Auflage 2010, § 53 Rdnr. 22). Hierfür spricht zudem die Systematik des Gesetzes. Nach § 191 Nr. 3 1. Halbsatz SGB V (Dritter Abschnitt - Mitgliedschaft und Verfassung -) endet die freiwillige Mitgliedschaft mit dem Wirksamwerden der Kündigung, wobei auf § 175 Abs. 4 SGB V als allgemeinen Tatbestand Bezug genommen wird. Im Fall der Entscheidung für einen Wahltarif verdrängt die speziellere Regelung des § 53 Abs. 8 Satz 1 bis 3 SGB V diese allgemeine Regelung (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 4. Dezember 2008, L 1 KR 150/08 KL). Dies wird auch nach der Auffassung des Senats durch Sinn und Zweck der gesetzlichen Mindestbindungsfrist von 3 Jahren bei Wahltarifen bestätigt. Zweck der gesetzlichen Regelung ist es, einen "missbräuchlichen" Wechsel zwischen den Wahltarifen zu verhindern, der durch Optimierungsstrategien der Versicherten je nach der erwarteten Inanspruchnahme von Leistungen verursacht werden könnte. Wahltarife sollen zudem nicht zu Quersubventionierungen durch die übrigen Versicherten führen (Bundestagsdrucksache 16/3100 S. 109 zu Nr. 33, § 53 Abs. 7 des Entwurfes; Bundestagsdrucksache 16/3100 S. 109 zu Nr. 33, § 53 Abs. 8 des Entwurfes; Höfler in: Kasseler Kommentar, Stand: April 2011, § 53 SGB V Rdnr. 46). Der Wahltarif nach § 53 SGB V ist auch nur rechtmäßig, wenn die Aufwendungen für jeden Wahltarif durch die aus dem Wahltarif selbst folgenden Einnahmen, Einsparungen und Effizienzsteigerungen gegenfinanziert werden können, § 53 Abs. 9 SGB V (Hessisches Landessozialgericht, a.a.O.). Ist jedoch die Finanzierungsgrundlage der gesetzlichen Krankenversicherung durch die entsprechende Notwendigkeit einer Planungssicherheit (Kalkulationsgrundlage) für die Krankenkassen betroffen, werden nicht nur Pflichtversicherte, sondern gerade auch die in der Regel leistungsstärkeren freiwilligen Mitglieder bezüglich einer Abwanderung aus der gesetzlichen Krankenversicherung erfasst. Insoweit ist durch den Gesetzgeber erst durch das GKV-Finanzierungsgesetz vom 22. Dezember 2010 (BGBl I 2309) seit dem 1. Januar 2011 eine Änderung vorgenommen worden. Danach geht gemäß § 53 Abs. 8 Satz 2 SGB V das Sonderkündigungsrecht nach § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V der Bindung durch einen Wahltarif nach den Abs. 1, 2, 4 u. 5 vor (vgl. Krauskopf in: Krauskopf, a.a.O, § 53 SGB V Rdnr. 32).
Ein Sonderkündigungsrecht der Klägerin besteht nicht. Nach § 53 Abs. 8 Satz 3 SGB V hat die Satzung für Tarife ein Sonderkündigungsrecht in besonderen Härtefällen vorzusehen. § 27d Abs. 4 Satz 4 der maßgeblichen Satzung der Beklagten sieht insoweit vor, dass bei Eintritt von besonderen Härtefällen, insbesondere wenn im Laufe der Bindungsfrist Dritte überwiegend die Beiträge aufbringen, der Versicherte den Wahltarif kündigen kann. Das Sonderkündigungsrecht besteht auch, wenn die Tarifbedingungen des Wahltarifes verändert werden. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Unter besonderen Härtefälle sind nicht alle unerwarteten Veränderungen in den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen zu sehen, sondern nur solche außergewöhnlichen, die ein weiteres Festhalten am Tarif unzumutbar machen (z.B.: Vermögensverfall, Arbeitslosigkeit und demzufolge die mangelnde Fähigkeit Prämien aufzubringen; vgl. Schlegel in: jurisPK – SGB V, Kommentar, Stand: 27. September 2010, § 53 Rdnr. 154 ff.). Das von der Klägerin insoweit vorgetragene Ausscheiden ihres Ehemannes aus der Familienversicherung wegen Überschreitens der Beitragsbemessungsgrenze kann diese Voraussetzungen nicht erfüllen. Eine Veränderung der Tarifbedingungen des Wahltarifes ist für den Senat zudem nicht erkennbar. Hierunter fällt weder der (zeitweise) Wegfall der Krankengeldgewährung bei freiwillig selbstständig Versicherten kraft Gesetzes noch die Einführung des Einheitsbeitrages oder des Zusatzbeitrages nach § 242 SGB V. Hiervon sind alle Versicherten, unerheblich von den einzelnen Tarifbedingungen der Wahltarife, betroffen gewesen.
Auch der Hilfsantrag der Klägerin kann keinen Erfolg haben. Die Einführung des Zusatzbeitrages eröffnet der Klägerin kein allgemeines Sonderkündigungsrecht nach § 175 Abs. 4 SGB V. Dieses ist durch die Sonderregelung des § 53 Abs. 8 Satz 2 SGB V gerade ausgeschlossen. Auf die obigen Ausführungen wird insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
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