L 7 AL 106/11

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 1 AL 14/06
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 106/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 59/12 B
Datum
Kategorie
Beschluss
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld vom 1. Januar 2002 bis 31. Mai 2002 und die hierauf beruhende Erstattungsforderung der Beklagten in Höhe von insgesamt 7.360,76 EUR (5.567,37 EUR Arbeitslosengeld und 1.793,39 EUR Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung).

Der Kläger erhielt bis zur Abmeldung aus dem Leistungsbezug wegen Arbeitsaufnahme vom 4. September 1998 bis 31. Oktober 1998 und aufgrund seiner Arbeitslosmeldung vom 10. Dezember 2001 (Bl. 43 Leistungsakte – LA) vom 1. Januar 2002 bis 31. Mai 2002 Arbeitslosengeld. In dem von ihm unter dem 12. Dezember 2001 unterschriebenen Antragsformular unter der hierfür vorgesehenen Rubrik (Ziff. 2) ist die Frage nach der Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit durch Ankreuzen verneint und dementsprechend auch nichts weiter eingetragen worden. Am 9. Mai 2003 ging bei der Beklagten eine Gewerbeabmeldung des Klägers zum 30. April 2003 von der Stadt NU. ein (Bl. 65 LA). Nach Einholung ergänzender Auskünfte hörte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 5. Juni 2003 zu einer möglichen Aufhebung bewilligter Leistungen an, da vom 1. Dezember 1993 bis 8. Dezember 1998 (Vermittlung von Versicherungen und Bausparverträgen) und vom 1. November 1998 bis 30. April 2003 (Cafe) Gewerbe angemeldet gewesen seien (Bl. 69, 70 LA). Zugleich forderte sie den Kläger zur Vorlage von Steuerbescheiden sowie Gewinn- und Verlustrechnungen ab 1998 und zur Stellungnahme dazu auf, wie viele Stunden wöchentlich für die Tätigkeit aufgewandt worden seien. Hierzu erklärte der Kläger, dass er das Versicherungsgewerbe im September/Oktober 1998 schon längere Zeit nicht mehr ausgeübt habe und legte Jahresabschlüsse für den Gastronomiebetrieb für 1998 und 2002 nebst Gewinn- und Verlustrechnung 2002 vor (Bl. 75 – 91 LA). Unter Fristsetzung bis zum 15. Oktober 2003 forderte die Beklagte den Kläger nochmals mit Schreiben vom 17. September 2003 auf, die weiteren erbetenen Unterlagen und eine Erklärung über den Zeitumfang der selbständigen Tätigkeit vorzulegen. Am 8. Oktober 2003 erklärte der Kläger handschriftlich bei einer persönlichen Vorsprache bei der Beklagten auf der Rückseite des Schreibens vom 17. September 2003 (Blatt 94 Rückseite der Leistungsakte) "Ich bestätige hiermit, dass meine selbständige Tätigkeit in 2002 sicher auf nicht mehr als 20 Stunden betragen hat. Lt. Steuerbescheid ist ein Mitarbeiter beschäftigt gewesen!" Unterschrift und legte Steuerbescheide für 1998, 2001 und 2002 vor.

Mit Bescheid vom 8. Januar 2004 hob die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab 1. Januar 2002 auf, da der Kläger eine selbständige Tätigkeit ausgeübt habe, deren zeitlicher Umfang mindestens 15 Stunden betragen habe. Er sei deshalb nicht mehr arbeitslos gewesen und habe keinen Leistungsanspruch gehabt. Der Kläger habe wissen müssen, dass die zuerkannte Leistung ganz oder teilweise weggefallen sei. Zu Unrecht gezahltes Arbeitslosengeld und Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung seien in der eingangs genannten Höhe (7.360,76 EUR) zu erstatten. Hiergegen legte der Kläger am 3. Februar 2004 Widerspruch ein. Er habe bei der persönlichen Arbeitslosmeldung am 10. Dezember 2001 mit einer Mitarbeiterin der Beklagten darüber gesprochen, dass er mit einem Partner die "Cocktailbar XX." betrieben habe und ein kleines Bistro im Untergeschoss desselben Hauses "YY." betreibe. Er habe mitgeteilt, dass er erhebliche Schulden habe und über keine Einkünfte aus dem Betrieb des Bistros verfüge. Er selbst sei in dem Bistro nicht tätig gewesen. Vielmehr habe sein Vater alles unentgeltlich gemacht, während er sich ausschließlich im QQ-Raum aufgehalten habe, um eine neue Stelle zu suchen. Nach mehrfachen Erinnerungen habe er Leistungen erhalten, obwohl er nach dem Gespräch und der Einschätzung der Mitarbeiterin der Beklagten hiermit nicht mehr gerechnet habe. Die Begründung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids sei nicht richtig, da er keinerlei Tätigkeiten im Betrieb erledigt habe. Er sei nicht in NU. gewesen. Mit Schreiben vom 25. Februar 2004 teilte die Beklagte mit, es sei weder nachvollziehbar noch glaubhaft, dass im Zusammenhang mit der Arbeitslosmeldung und Antragstellung am 10. Dezember 2001 auf die selbständige Tätigkeit hingewiesen worden sei. Vielmehr sei im Leistungsantrag die Frage nach der Ausübung einer unselbständigen oder selbständigen Tätigkeit wahrheitswidrig mit "nein" beantwortet worden. Ferner sei am 8. Oktober 2003 schriftlich erklärt worden, dass die selbständige Tätigkeit nicht mehr als 20 Stunden wöchentlich umfasse, so dass nunmehr nicht geltend gemacht werden könne, dass überhaupt keine Tätigkeit ausgeübt worden sei. Selbst wenn sich der Kläger im streitigen Zeitraum nicht in NU. aufgehalten habe, wie ausgeführt, wäre ein Anspruch auf Arbeitslosengeld ebenfalls ausgeschlossen. Hierzu nahm der Kläger mit Schreiben vom 8. März 2004 Stellung und wandte sich gegen den Vorwurf, persönlich nicht erreichbar gewesen zu sein. Hierbei handele es sich um eine reine Spekulation, da von dem Recht hätte Gebrauch gemacht werden können, ihn telefonisch zu erreichen. Die schriftliche Erklärung vom 8. Oktober 2003 habe er auf Veranlassung eines Mitarbeiters der Beklagten abgegeben. Obwohl er bereits mehrfach mitgeteilt habe, dass er in der genannten Zeit nicht im Bistro gearbeitet habe, werde weiterhin vermutet, dass er wöchentlich mindestens 15 Stunden selbständig tätig gewesen sei.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2005 zurück. Der Kläger sei im streitigen Zeitraum nicht arbeitslos gewesen, da er eine selbständige Tätigkeit im Umfang von mindestens 15 Wochenstunden ausgeübt habe. Dies habe er selbst anlässlich einer persönlichen Vorsprache am 8. Oktober 2003 angegeben und mit seiner Unterschrift bestätigt. Die hiervon abweichenden Angaben im Vorverfahren seien nicht glaubhaft. Der Kläger habe die Ausübung der selbständigen Tätigkeit im Antrag auf Bewilligung von Arbeitslosengeld am 10. Dezember 2001 nicht angegeben, so dass der Verwaltungsakt auf Angaben beruht habe, die der Kläger zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht habe. Die Einlassung, dass im Zusammenhang mit der Arbeitslosmeldung ordnungsgemäß auf die selbständige Tätigkeit hingewiesen worden sei, könne nicht bestätigt werden. Die Ausübung der selbständigen Tätigkeit sei in der vorhandenen Dokumentation weder erwähnt noch im Antrag genannt. Da der Kläger angegeben habe, dass er sich im Aufhebungszeitraum ausschließlich im QQ-Raum aufgehalten habe, habe er den Vermittlungsbemühungen der Beklagten nicht zur Verfügung gestanden, so dass auch aus diesem Grund die Bewilligung von Arbeitslosengeld aufzuheben gewesen wäre.

Hiergegen hat der Kläger am 16. November 2005 Klage erhoben, über die das Sozialgericht Frankfurt am Main am 1. Dezember 2010 mündlich verhandelt hat. In der mündlichen Verhandlung hat sich der persönlich anwesende Kläger zur Sache geäußert und erneut darauf hingewiesen, dass die Eintragungen mit schwarzem Kugelschreiber von einem Mitarbeiter der Beklagten stammten. Hierzu hat sich der anwesende Terminvertreter der Beklagten dahingehend geäußert, es sei üblich, dass bei Ausgabe des Antrages bestimmte Fragen persönlich gestellt und von der Sachbearbeitung im Formular angekreuzt würden. Das Antragsformular bekomme der Arbeitslose dann ausgehändigt, damit er es zuhause vollständig ausfüllen und unterschreiben könne. Wegen weiterer Einzelheiten wird insoweit auf die Sitzungsniederschrift vom 1. Dezember 2010 ergänzend Bezug genommen. Mit Urteil vom 1. Dezember 2010 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig, denn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld nebst Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung lägen im streitigen Zeitraum vor. Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Verwaltungsverfahren (SGB X) i.V.m. § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III) sei ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn er auf Angaben beruhe, die der Begünstigte zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe, oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe; grobe Fahrlässigkeit liege vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt habe (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Diese Voraussetzungen seien vorliegend zu bejahen, wie die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden zutreffend ausgeführt habe. Zur Vermeidung von Wiederholungen hat das Sozialgericht zur Begründung im Einzelnen hierauf verwiesen (§ 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Anspruch auf Arbeitslosengeld habe bei Erfüllung der Voraussetzungen im Übrigen (§ 118 SGB III) nur derjenige, der arbeitslos sei. Arbeitslos sei gemäß § 118 Abs. 1 in der hier noch anzuwendenden Fassung (a. F.) SGB III ein Arbeitnehmer, der u. a. nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehe (Beschäftigungslosigkeit). Die Ausübung einer weniger als 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung schließe nach § 118 Abs. 2 SGB III a. F. Beschäftigungslosigkeit nicht aus; gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer blieben unberücksichtigt. Mehrere Beschäftigungen würden zusammen gerechnet. Eine selbständige Tätigkeit und eine Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger stünden einer Beschäftigung gleich (§ 118 Abs. 3 Satz 1 SGB III a. F.). Die Kammer gehe aufgrund der eigenen Angaben des Klägers davon aus, dass er im streitigen Zeitraum nicht arbeitslos gewesen sei. Auf seinen Namen sei seit 1. November 1998 bis 30. April 2003 ein Gewerbe für ein Cafe angemeldet gewesen. Nachdem die Beklagte hiervon und von einer weiteren Gewerbeanmeldung für die Vermittlung von Versicherungen und Bausparverträgen Kenntnis erlangt habe, habe der Kläger auf das erste Anhörungsschreiben vom 5. Juni 2003 lediglich Angaben zur selbständigen Tätigkeit im Versicherungsgewerbe gemacht und hinsichtlich des Gastronomiebetriebes Jahresabschlüsse und eine Gewinn- und Verlustrechnung vorgelegt. Weitere Angaben seien nicht erfolgt, obwohl sich dies habe aufdrängen müssen, wenn tatsächlich keine selbständige Tätigkeit ausgeübt worden sei. Wegen fehlender Unterlagen und der fehlenden Erklärung zum zeitlichen Umfang der selbständigen Tätigkeit habe die Beklagte den Kläger deshalb nochmals zur Vorlage der entsprechenden Unterlagen und Erklärungen aufgefordert. Zum zeitlichen Umfang der selbständigen Tätigkeit habe der Kläger anlässlich einer persönlichen Vorsprache am 8. Oktober 2003 schriftlich erklärt und mit seiner Unterschrift bestätigt, dass er nicht mehr als 20 Stunden selbständig tätig gewesen sei. Zwar habe der Kläger nach Bescheiderteilung im Verwaltungs- und Klageverfahren wiederholt vorgetragen, dass diese Erklärung von einem Mitarbeiter der Beklagten veranlasst worden sei. Dies treffe insoweit zu, als der Kläger bereits durch das Anhörungsschreiben vom 5. Juni 2003 ausdrücklich dazu aufgefordert worden sei, den zeitlichen Umfang der selbständigen Tätigkeit in der Woche genau anzugeben. Nachdem er hierzu auch bei der Vorsprache am 8. Oktober 2003 offenbar keine schriftliche Erklärung insoweit mitgebracht habe, sei die in der Leistungsakte der Beklagten (Blatt 94 Rückseite) befindliche Erklärung handschriftlich durch den Kläger abgegeben worden. Die Frage sei für den Kläger einfach zu beantworten gewesen. Wenn er - wie später behauptet - tatsächlich nicht im eigenen Gewerbebetrieb tätig gewesen sei, habe er dies anlässlich der persönlichen Vorsprache mitteilen müssen. Es gebe - worauf die Beklagte zu Recht verweise - keinen nachvollziehbaren Grund, warum die am 8. Oktober 2003 selbst gemachten Angaben unrichtig hätten sein sollen. Angaben zu seiner selbständigen Tätigkeit habe der Kläger im Antragsformular auf Bewilligung von Arbeitslosengeld unterlassen und die insoweit eindeutig gestellte Frage mit "nein" angekreuzt. Selbst wenn verschiedene Angaben im Antragsformular bei der Ausgabe des Antrags von einem Sachbearbeiter der Beklagten ausgefüllt worden seien, habe der Kläger diesen Antrag unterschrieben und mit seiner Unterschrift die Richtigkeit der dortigen Angaben bestätigt, obwohl er habe wissen müssen, dass die Angabe hinsichtlich der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit nicht zutreffe und deshalb ein Leistungsanspruch nicht bestanden habe. Soweit der Kläger Beweis dafür angeboten habe, dass nicht er, sondern sein Vater das Bistro/Cafe betrieben habe, bzw. dass die Beklagte von dieser gewerblichen Tätigkeit gewusst habe, sei eine weitere Sachaufklärung nicht erforderlich gewesen. Es könne dahinstehen, ob der Kläger in einem die Arbeitslosigkeit ausschließenden Umfang selbständig tätig gewesen sei, denn Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht nur dann, wenn der Arbeitslose den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung stehe (§ 119 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 Nr. 2 SGB III). Hierzu gehöre nach den aufgrund von § 152 Nr. 2 SGB III ergangenen Bestimmungen der Erreichbarkeitsanordnung, dass der Arbeitslose an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort unter der von ihm benannten Anschrift durch Briefpost erreichbar sei. Diese Voraussetzungen hätten nicht vorgelegen, denn der Kläger habe sich im streitigen Aufhebungszeitraum nach eigenen Angaben außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs in JQ. aufgehalten. Dabei sei die spätere Angabe, dass er an Wochenenden nach NU. zurückgekehrt sei, ohne rechtliche Bedeutung, denn bei einem Aufenthalt außerhalb des Bezirks der Agentur der Beklagten sei eine entsprechende Anzeige und vorherige Zustimmung hierfür erforderlich, die bis zu drei Wochen im Kalenderjahr erteilt werden könne. Eine diesbezügliche Mitteilung habe der Kläger gegenüber der Beklagten aber nicht gemacht, obwohl er dazu verpflichtet gewesen sei. Über die in einem solchen Fall eintretenden Rechtsfolgen sei er durch Aushändigung des Merkblatts für Arbeitslose informiert worden und habe deshalb wissen können, dass in einem solchen Fall kein Leistungsanspruch bestehe. Erhaltene Leistungen seien deshalb in dem von der Beklagten festgestellten Umfang zu erstatten.

Gegen das ihm am 30. April 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27. Mai 2011 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt. Eine selbständige Erwerbstätigkeit ab 1. November 1998 habe er der Beklagten schon mit Veränderungsmitteilung vom 25. November 1998 angezeigt (Bl. 26 LA). Bei seiner persönlichen Arbeitslosmeldung am 10. Dezember 2001 habe er die zuständige Mitarbeiterin der Beklagten darauf hingewiesen, wöchentlich 4 Stunden, nämlich samstags von 9:00 Uhr bis 13:00 Uhr, in dem Bistro zu arbeiten (Beweis: Zeugnis von W. WW. und E. WW.). Die Mitarbeiterin der Beklagten habe sich hierzu Notizen auf einem Zettel gemacht, der dem Arbeitslosengeld-Antrag mit einer Heftklammer beigefügt gewesen sei. Nur die mit blauem Kugelschreiber vorgenommenen Eintragungen auf dem Antragsformular stammten von ihm. Die Ankreuzungen auf der Rückseite des Antragsformulars (zu Ziff. 2) stammten nicht von ihm. Er sei davon ausgegangen, dass die Beklagte über seine selbständige Tätigkeit im Bistro informiert gewesen sei. Die Erklärung über den Umfang seiner selbständigen Tätigkeit vom 8. Oktober 2003 habe er nur abgegeben, weil zum Ausdruck gebracht worden sei, dass die Sache damit erledigt wäre. Er sei auch immer auf seinem Mobiltelefon erreichbar gewesen, die entsprechende Verbindung habe er im Antragsformular (Bl. 43 LA) angegeben. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht habe er sich nicht hinreichend äußern können und sei von der Vorsitzenden Richterin aufgefordert worden, Fragen nur mit Ja oder Nein zu beantworten. Auch sei ihm Zwangsgeld für den Fall angedroht worden, dass er darüber hinaus noch eine Stellungnahme zum Sachverhalt abgeben wolle. Die Beklagte habe sowohl am 8. Oktober 2003 als auch im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht erklärt, dass ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet worden sei und eine Ermittlungsakte existiere, auf deren Einsichtnahme er bestehe.

Der Kläger beantragt (sinngemäß), das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. Dezember 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 8. Januar 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Oktober 2005 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil und teilt mit, dass eine Ermittlungsakte gegen den Kläger nicht existiere und daher auch nicht zur Einsichtnahme zur Verfügung gestellt werden könne.

Auf Antrag des Klägers ist eine schriftliche Zeugenerklärung des im Termin vom 1. Dezember 2010 für die Beklagte anwesend gewesenen Mitarbeiters RR. vom 6. März 2012 eingeholt worden, wonach er in seinen Unterlagen keinerlei Hinweise auf die Existenz einer Ermittlungsakte gefunden habe. Aus seiner Erinnerung heraus könne er hierzu keine Aussagen mehr treffen. Er vermute, dass er seinerzeit auf die Frage des Gerichtes, ob eine solche Akte existiere, geantwortet hätte, dass er eine solche Akte nicht vorlegen könne. Aber auch hieran könne er sich nicht erinnern. Wegen weiterer Einzelheiten des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftliche Erklärung des Zeugen vom 6. März 2012 ergänzend Bezug genommen. Der Kläger hat sich hierzu dahingehend eingelassen, der Zeuge RR. habe seinerzeit ausdrücklich erklärt, es sei vergessen worden, die Ermittlungsakte beizufügen, worauf die Richterin ihn aufgefordert habe, die Akte nachzureichen, was die als Zeugin benannte Ehefrau des Klägers (T. TT.) ebenso wie den gesamten Ablauf der mündlichen Verhandlung bestätigen könne.

Der Senat hat die Beteiligten zu seiner Absicht, die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung als unbegründet zurückzuweisen, angehört.

Wegen weiterer Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, der Gegenstand der Beratung gewesen ist, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Eine Entscheidung konnte durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung ergehen, weil der Senat die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher angehört worden (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die zulässige Berufung ist sachlich unbegründet.

Das angegriffene Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. Dezember 2010 ist ebenso wie der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 8. Januar 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Oktober 2005 rechtlich nicht zu beanstanden. Dies hat das Sozialgericht mit zutreffender Begründung und nicht zu beanstandender Würdigung sowohl des gesamten Akteninhalts als auch der Einlassung der Beteiligten bereits umfassend in den Entscheidungsgründen des Urteils ausgeführt, weshalb der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf Bezug nimmt und von einer erneuten Darstellung der Entscheidungsgründe insoweit absieht (§ 153 Abs. 2 SGG).

Soweit der Kläger behauptet, er habe in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht keine hinreichende Gelegenheit zur sachlichen Äußerung gehabt, wird dies schon durch den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 1. Dezember 2010 widerlegt, der Ausführungen des Klägers zur Sache wiedergibt. Im Übrigen ergibt sich aus der Sitzungsniederschrift, dass sämtliche vorgeschriebenen Förmlichkeiten für die mündliche Verhandlung beachtet wurden. Insoweit kommt dem Protokoll, dessen Berichtigung auch nicht beantragt wurde, unwiderlegliche Beweiskraft zu, sofern nicht der Beweis geführt wird, dass der Inhalt der Sitzungsniederschrift auf einer vorsätzlichen Falschbeurkundung beruht, was nicht der Fall ist (§ 202 SGG i.V.m. § 165 Zivilprozessordnung – ZPO). Der Vorsitzenden oblag die Leitung der mündlichen Verhandlung. In diesem Zusammenhang hatte sie auch für den ordnungsgemäßen Sitzungsablauf zu sorgen und die zur Aufrechterhaltung der Ordnung erforderlichen Anordnungen zu erteilen (§ 112 SGG). Insbesondere erteilt die Vorsitzende das Wort und kann es auch entziehen, ohne dass hierdurch grundsätzlich der Anspruch auf rechtliches Gehör beeinträchtigt würde, sofern die Prozessbeteiligten hinreichend Gelegenheit zur Äußerung erhalten. Dass dies geschehen ist, folgt unwiderleglich aus dem Inhalt der Sitzungsniederschrift. Wenn die Vorsitzende den Kläger unter Hinweis auf die ihr zur Verfügung stehenden Ordnungsmittel zur Ordnung und insbesondere auch zum Schweigen angehalten hat, soweit ihm das Wort nicht erteilt war, so hat sie im Rahmen ihrer Befugnisse zur Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Sitzungsbetriebes gehandelt. Die dahingehende Tatsachenbehauptung des Klägers kann daher als wahr unterstellt werden, ohne dass dies Einfluss auf den Ausgang des Rechtsstreits hätte. Auf eine Vernehmung der Ehefrau des Klägers zum Ablauf der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht war daher zu verzichten.

Ebenso kann die nicht bewiesene Behauptung des Klägers über die Existenz einer Ermittlungsakte dahingestellt bleiben, weil sich aus Existenz oder Nichtexistenz einer solchen Akte keine weiteren Folgen für den Ausgang des Rechtsstreits ergeben. Davon unabhängig ist der Senat aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die behauptete Ermittlungsakte nicht existiert, denn weder die Beklagte konnte eine solche Ermittlungsakte auffinden noch konnte der Zeuge RR. in seiner glaubhaften schriftlichen Aussage die Existenz einer solchen Akte bestätigen. Im Übrigen hat gegen den Kläger offenbar weder ein Ordnungsgeldverfahren noch ein Strafverfahren stattgefunden, über dessen Einleitung und Einstellung er ggf. durch die zuständigen Behörden informiert worden wäre.

In der Sache selbst hat das Sozialgericht bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger selbst am 8. Oktober 2003 schriftlich erklärt hat, seine selbständige Tätigkeit habe sich im Jahr 2002 auf nicht mehr als 20 Stunden erstreckt und er im Übrigen auch wegen seiner nicht genehmigten Ortsabwesenheit der Vermittlung nicht zur Verfügung stand. Nach der insoweit maßgeblichen Erreichbarkeits-Anordnung (EAO) reicht hierfür die telefonische Erreichbarkeit keineswegs aus, wie aus § 1 Abs. 1 S. 2 EAO eindeutig folgt, weshalb es auch dahingestellt bleiben kann, ob der Kläger ständig fernmündlich erreichbar war, wie er nunmehr behauptet. Im Übrigen hat nicht die Beklagte den Nachweis dafür zu erbringen, dass sie den Kläger nicht erreichen konnte, vielmehr reicht es für die Rücknahme der Arbeitslosengeld-Bewilligung aus, wenn - wie im vorliegenden Fall - durch die eigene Erklärung des Klägers nachgewiesen ist, dass er nicht persönlich an jedem Werktag an seiner Wohnung durch Briefpost erreichbar war, denn damit stand er den Vermittlungsbemühungen der Beklagten nicht zur Verfügung und war somit auch nicht arbeitslos.

Soweit der Kläger vorträgt, er habe die Beklagte auf seine selbständige Tätigkeit hingewiesen, steht dies der Rücknahme der Arbeitslosengeld-Bewilligung im streitigen Zeitraum nicht entgegen, denn damit war dem Kläger bewusst oder zumindest infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt, dass ihm Arbeitslosengeld bei gleichzeitiger Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit in mehr als geringfügigem Umfang oder auch bei dauerhafter Abwesenheit von seinem Wohnort nicht zusteht. Dass er diese Möglichkeit in Betracht gezogen hat, folgt schon aus seinem eigenen Vortrag, wonach er selbst nicht mit einer Bewilligung von Arbeitslosengeld gerechnet hätte. Ob darüber hinaus in diesem Zusammenhang auch Mitarbeiter der Beklagten bereits Kenntnis davon hatten, dass dem Leistungsbezug entgegenstehende tatsächliche Umstände vorlagen, kann damit dahingestellt bleiben, zumal der Beklagten bei der Rücknahme der Bewilligung und der Festsetzung der Erstattungsforderung kein Ermessen eingeräumt ist. Selbst wenn der Kläger keine vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtigen oder unvollständigen Angaben gemacht haben sollte, was allerdings nur dann der Fall wäre, wenn Mitarbeiter der Beklagten erst nach Unterzeichnung des Antragsformulars durch den Kläger am 12. Dezember 2001 die Frage nach Ausübung einer Beschäftigung/Tätigkeit durch Ankreuzen mit Nein beantwortet und damit eine Urkundenfälschung begangen hätten, wofür es keinerlei Anhaltspunkte gibt und wie der Kläger auch nicht ausdrücklich vorgetragen hat, kann er sich gem. § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X nicht auf Vertrauen berufen, weil er zumindest infolge grober Fahrlässigkeit die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung im streitigen Zeitraum nicht kannte.

Nach dem Akteninhalt und unter Berücksichtigung der beruflichen Tätigkeit des Klägers hat der Senat auch keine Zweifel daran, dass er über die hinreichende subjektive Einsichtsfähigkeit verfügt, um die Rechtswidrigkeit des Leistungsbezugs im streitigen Zeitraum zu erkennen. Der Kläger ist bereits vor dem Sozialgericht in der Sache persönlich angehört worden, ohne dass sich hieraus irgendwelche Hinweise auf eine eingeschränkte subjektive Einsichtsfähigkeit ergeben hätten. Solche sind auch für den Senat nicht erkennbar.

Nach allem war die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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