L 1 KR 391/12

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 12 KR 15/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 391/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit einer stationären Liposuktion in Abgrenzung zur ambulanten Behandlung sind die Kriterien der Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie zur Liposuktion heranzuziehen.

Differenzierungskriterien zwischen ambulanter und stationärer Behandlungsbedürftigkeit sind danach die Menge des abzusaugenden Fettgewebes und die damit zusammenhängenden spezifischen Komplikationsmöglichkeiten.

Obwohl die Leitlinien für den außerhalb des Leistungsspektrums der gesetzlichen Krankenversicherung liegenden Anwendungsbereich der ästhetischen Chirurgie entwickelt worden sind, besitzen diese umfassende medizinische Relevanz.

Im Bereich der stationären Leistungserbringung müssen die Kriterien der evidenzbasierten Medizin nicht erfüllt sein.
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Kassel vom 29. September 2010 aufgehoben.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 23. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 2009 verurteilt, die Klägerin mit Liposuktionen zur Behandlung des Lipödems der Arme und Beine und in der Gesäßregion im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthaltes zu versorgen.

Die Beklagte hat der Klägerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Anspruch der Klägerin auf Liposuktionen (Absaugungen von Fettdepotansammlungen) im Rahmen einer stationären Krankenhausbehandlung.

Die 1984 geborene und bei der Beklagten versicherte Klägerin leidet an einer Adipositas mit Beeinträchtigungen der Mobilität bei euthyreoter Stoffwechsellage und einem schmerzhaften Lipödem (Fettgewebsvermehrung) der oberen und unteren Extremitäten unter Beteiligung der Gesäßregion, welches mit Wassereinlagerungen (Ödemen) in das Gewebe einhergeht. Unter Vorlage einer ärztlichen Stellungnahme von Dr. QQ., leitender Arzt der JT.Klinik in BK., vom 16. Juli 2009 beantragte die Klägerin am 20. Juli 2009 die Kostenübernahme für die Durchführung einer wasserstrahlassistierten Liposuktion oder einer Liposuktion in Tumeszenz-Anästhesie. Die Behandlung sei aufgrund der massiven Verschlechterung des Krankheitsbildes indiziert und auch wirtschaftlich, da die Kompressionstherapie nur gegen das Ödem wirke und diese langfristig gesehen deutlich kostenintensiver sei. Nach Einholung eines Gutachtens bei dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK), Dr. WW., vom 12. August 2009 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23. September 2009 die Kostenübernahme für eine Liposuktion ab. Die konservativen Therapiemöglichkeiten seien noch nicht ausgeschöpft, da neben einer Gewichtsreduktion auch Lymphdrainagen zu empfehlen seien. Den Widerspruch der Klägerin vom 30. Oktober 2009 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2009 zurück. Die ambulante Liposuktionsbehandlung sei bis jetzt noch nicht als vertragsärztliche Versorgung zulasten der Krankenkassen anerkannt. Sie gehöre zu den so genannten neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Der Gemeinsame Bundesausschuss müsse insoweit feststellen, ob bei der Liposuktion ein diagnostischer oder therapeutischer Nutzen nachgewiesen werden könne. Eine diesbezügliche Bewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses liege bisher noch nicht vor. Diese Rechtsauffassung habe bereits das Bundessozialgericht im Rahmen seiner Entscheidung vom 16. Dezember 2008, B 1 KR 11/08 R bestätigt.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2009 hat die Klägerin am 14. Januar 2010 Klage zum Sozialgericht Kassel erhoben und zur Begründung ausgeführt, dass sie durch das genetisch bedingte Lipödem unter äußerst schmerzhaften und dauerhaften Schwellungen und Verformungen der Arme und Beine leide. Die konsequente Kompressionsbestrumpfung an Armen und Beinen und die zwischenzeitlich regelmäßig angewandte manuelle Lymphdrainage bewirkten lediglich eine temporäre Linderung der starken Schmerzen. Beide Behandlungsmaßnahmen stellten zudem erhebliche Eingriffe in ihren Tagesablauf dar und seien mit einer Minderung ihrer Lebensqualität verbunden. So nehme allein das morgendliche Anziehen der Kompressionsstrumpfhosen 25 bis 30 Minuten und die Armbestrumpfung weitere 15 Minuten in Anspruch. Zwar leide sie zusätzlich unter Übergewicht, das sie aber durch ein Abnehmprogramm der Beklagten um 8 kg reduziert habe. Das Lipödem II. Grades könne jedoch gerade nicht durch gewichtsreduzierende Maßnahmen verringert werden. So sei bei ihr trotz des Abnehmens eine Vermehrung des Umfanges der Oberschenkel/Oberarme eingetreten. Im Weiteren verbiete sich eine "klassische" Berechnung ihres Übergewichtes nach dem sog. BMI, da die krankhaft erhöhte Konzentration des Unterfettgewebes und die angesammelte Lymphflüssigkeit zu keinem aussagekräftigen Ergebnis führe. Die Beklagte hat im Klageverfahren an ihrer Rechtsauffassung, dass eine Kostenübernahme weder für eine ambulante noch für eine stationäre Liposuktion in Betracht komme, festgehalten. Das Gericht hat Befundberichte bei den Dres. EE., RR. und TT. vom 31. Mai 2010, Dr. ZZ. vom 16. August 2010 und Dr. UU. vom 8. Juni 2010 eingeholt. Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 29. September 2010 die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf ambulante ärztliche Liposuktion scheitere rechtlich bereits daran, dass der Gemeinsame Bundesausschuss diese als neue Behandlungsmethode zu wertende Methode der Fettabsaugung nicht positiv empfohlen habe. Ein Ausnahmefall, in dem es einer Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht bedürfe, läge nicht vor, da weder Anhaltspunkte für einen Seltenheitsfall, noch für ein Systemversagen oder für eine notstandsähnliche Situation (Erkrankung/Behinderung, die mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung vergleichbar sei) erkennbar seien. Für eine stationäre Leistungserbringung fehle es bereits an einer behandlungsbedürftigen Erkrankung, die allein mit den Mitteln eines Krankenhauses vollstationär behandelbar sei. Vorliegend sei eine Liposuktion nach der Stellungnahme des MDK ambulant möglich.

Die Klägerin hat gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 30. September 2010 zugestellten Gerichtsbescheid am 28. Oktober 2010 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung weist sie darauf hin, dass sich ihr Zustand trotz Lymphdrainage und (apperativer) Kompressionsbehandlung weiter verschlechtert habe, da sich das Lipödem zwischenzeitlich zwischen Stadium II und III befinde, eine weitere Umfangsvermehrung im Bereich der Knie und der Waden erfolgt sei und zudem eine Beeinträchtigung der Kniegelenke durch das Krankheitsbild hinzugetreten sei. Konservative Behandlungsmöglichkeiten seien erschöpft. Aufgrund der Menge der bei ihr abzusaugenden Fettmassen sei eine Liposuktion im Rahmen einer stationären Krankenhausbehandlung erforderlich. Eine hohe Zahl an sequenziellen Absaugungen mit kleinen Mengen, die eventuell ambulant durchgeführt werden könnten, sei ihr angesichts der hohen Gesamtmenge der abzusaugenden Fettmassen und des erhöhten Narkose- und Operationsrisikos nicht zumutbar. Zur Bestätigung ihres Vorbringens hat die Klägerin u.a. Umfangsmessungen vom 30. März 2010 und vom 24. November 2010, eine Fotodokumentation, ein Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 23. März 2011, L 4 KR 228/10, einen Arztbrief von Dr. OO., Chefarzt der Klinik für plastische, rekonstruktive und ästhetische Chirurgie des XO. Krankenhauses in A-Stadt, vom 13. August 2012 und eine Stellungnahme der Lipödem Hilfe e.V. vom 24. September 2012 vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Kassel vom 29. September 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 23. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie mit Liposuktionen zur Behandlung des Lipödems der Arme und Beine und in der Gesäßregion im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthaltes zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Ergänzend weist sie darauf hin, dass die Krankenkasse verpflichtet sei, auf der Grundlage des normierten Wirtschaftlichkeitsprinzips allen möglichen ambulanten Behandlungsmethoden einen vollumfänglichen Vorrang gegenüber einer stationären Behandlung einzuräumen. Diese seien vorliegend noch nicht erschöpft. Die Beklagte hat auf Aufforderung des Senats ein Gutachten des MDK, Dr. PP., vom 20. August 2012 zur Notwendigkeit einer stationären Liposuktion vorgelegt. Zur Bestätigung ihres Vorbringens bezieht sich die Beklagte u.a. auf das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. April 2012, L 4 KR 595/11 und das Gutachten Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen vom 6. Oktober 2011 der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 "Methoden- und Produktbewertung", welches im Auftrag des GKV-Spitzenverbandes unter Federführung des medizinischen Fachbereichs Methodenbewertung des MDK Nordrhein unter Hinzuziehung der Ergebnisse einer interdisziplinären Arbeitsgruppe (AG Liposuktion des MDK Nordrhein) erstellt wurde. Mit Bescheid vom 13. November 2012 hat die Beklagte der Klägerin eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme (Gewichtsreduktion, Lymphkur) bewilligt.

Der Senat hat eine ärztliche Stellungnahme bei Dr. QQ., XQ.klinik, vom 27. April 2012 und eine Auskunft des Gemeinsamen Bundesausschusses - Unterausschuss Methodenbewertung - vom 23. Mai 2012 eingeholt. Im Weiteren hat der Senat dem Verfahren die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie zur Liposuktion - GÄCD - Leitlinien - (in Anlehnung an die Liposuction Guidelines AACS 2001) und die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie - Lipödem der Beine - (Version vom 25. Juni 2009) nebst einem fachdermatologischen Gutachten von Professor ÜÜ., Universitätsmedizin ND., vom 5. November 2012 aus einem parallel geführten Rechtsstreit bei dem 8. Senat des Hessischen Landessozialgerichtes beigezogen. Zudem hat der Senat Beweis erhoben durch die Anhörung der Klägerin im Rahmen der Erörterungstermine vom 30. April 2012 und vom 27. September 2012.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Gerichtsakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist auch begründet.

Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Gewährung von Liposuktionen zur Behandlung des Lipödems an Armen und Beinen und in der Gesäßregion als Sachleistung im Rahmen einer stationären Krankenhausbehandlung.

Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 5 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre (Kranken)Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Der Anspruch auf Krankenbehandlung besteht, wenn er notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen, § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V.

Bei der Klägerin liegt durch das Lipödem an Armen und Beinen und in der Gesäßregion eine Krankheit vor, deren Behandlung notwendig ist. Eine Krankheit im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht. Zieht dabei eine Krankheit im unbehandelten oder behandelten Zustand zwangsläufig oder mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Erkrankungen nach sich, so sind medizinische Maßnahmen, die dem entgegenwirken und eine Verschlechterung des Gesamtgesundheitszustandes verhüten sollen, als Behandlung der Grundkrankheit und damit als Krankheit im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V aufzufassen (Bundessozialgericht, Urteile vom 17. Februar 2010, B 1 KR 10/09 R; vom 16. November 1999, B 1 KR 9/97 R; vom 11. September 2012, B 1 KR 3/12 R m.w.N. juris -). Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Hierbei stützt sich der Senat auf das im Berufungsverfahren nach einer körperlichen Untersuchung der Klägerin erstellte und durch die Beklagte vorgelegte Gutachten des MDK, Dr. PP., vom 20. August 2012. Danach leidet die Klägerin unter einer massiven schmerzhaften Fettgewebsvermehrung der Arme und Beine mit Beteiligung der Gesäßregion im Sinne eines Lipödems bei symmetrischer Verteilung, die mit einer Neigung zu Ödemen in das Gewebe einhergeht. Dr. PP. führt insoweit aus, dass eine Erkrankung mit Funktionsbeeinträchtigungen, insbesondere im Bereich der unteren Extremitäten durch die Beeinträchtigungen des schnellen Gehens, die inadäquate Belastung der Kniegelenke aufgrund einer X-Beinstellung und durch ein anhaltendes Druck- und Spannungsgefühl der Beine, besteht. Dies ist für den Senat aufgrund der umfangreichen Befundungen der Gutachterin und der vorgelegten Fotodokumentation der Klägerin nachvollziehbar. So zeigt sich nach Dr. PP. bereits mit einer Kompressionsbestrumpfung beider Arme bei der Klägerin eine deutlich bauchige Oberarmsilhouette. Beide Oberschenkel sind bogig nach ventral ausladend bei einer deutlichen Gewebsvermehrung mit einem Umfang von beidseits 80 cm (Messung 15 cm oberhalb der Patella). Eine ebenso deutliche Gewebsvermehrung besteht nach Dr. PP. auch im Bereich der Gesäßregion.

Eine stationäre Krankenhausbehandlung der Klägerin ist auch erforderlich. Voraussetzung dafür ist, dass eine stationäre Behandlung aus medizinischen Gründen notwendig ist (Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts vom 25. September 2007 - GS 1/06; Bundessozialgericht, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 1 KR 11/08 R - juris -). Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ist dabei ein Krankheitszustand, dessen Behandlung den Einsatz der besonderen Mittel des Krankenhauses in Form einer apparativen Mindestausstattung, geschultem Pflegepersonal und eines jederzeit präsenten oder rufbereiten Arztes erforderlich macht. Insoweit ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, bei der den mit Aussicht auf Erfolg angestrebten Behandlungszielen und den vorhandenen Möglichkeiten einer vorrangigen ambulanten Behandlung entscheidende Bedeutung zukommt (Bundessozialgericht, Urteile vom 16. Dezember 2008, B 1 KN 1/07 KR R und B 1 KN 3/08 KR R - juris -).

Nach der Auffassung des Senats sind diese Kriterien im Sinne einer stationären Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vorliegend erfüllt.

Ausweislich der ärztlichen Stellungnahme von Dr. QQ. und des beigezogenen Gutachtens von Professor ÜÜ., Universitätsmedizin ND., vom 5. November 2012 bemisst sich die Frage der Notwendigkeit einer ambulanten bzw. stationären Liposuktion nach den Mengen des abzusaugenden Fettgewebes und den damit zusammenhängenden spezifischen Komplikationsmöglichkeiten (z.B. Fettembolie). Diese Differenzierung entspricht den GÄCD-Leitlinien zur Liposuktion, die im ambulanten Bereich eine maximale Aspirationsmenge von 2.000 ml reinem Fettgewebe vorsehen und bis 4.000 ml Aspirationsmenge eine gewährleistete postoperative Nachbetreuung bis 24 Stunden für notwendig erachten. Die im Rahmen dieser Leitlinien genannten Kriterien sind nach der Auffassung des Senats trotz der Tatsache, dass sie für den außerhalb des Leistungsspektrums der GKV liegenden Anwendungsbereich der ästhetischen Chirurgie entwickelt worden sind, als Grundlage für die Abgrenzung zwischen ambulanter und stationärer Behandlungsbedürftigkeit vorliegend heranzuziehen, da sie eine umfassende medizinische Relevanz besitzen. Nach Dr. QQ. ist bei der Klägerin dementsprechend aufgrund der Menge der abzusaugenden lipödem-typischen Fettmassen (je Sitzung zwischen 3 bis 4 Liter Fett) eine stationäre Behandlung notwendig. Ergänzend weist Dr. OO. im Rahmen seiner Stellungnahme vom 13. August 2012 darauf hin, dass aufgrund der Adipositas der Klägerin zudem ein erhöhtes Operationsrisiko besteht. Die Notwendigkeit einer stationären Krankenhausbehandlung - die obigen Kriterien unterstellt - bestätigt im Ergebnis auch die MDK-Gutachterin, Frau Dr. PP., im Rahmen ihres Gutachtens vom 20. August 2012.

Keine Rolle spielt in diesem Zusammenhang, dass es sich bei der Liposuktion um eine neue Behandlungsmethode handelt, für die bis dato keine positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses bezüglich des diagnostischen und therapeutischen Nutzens vorliegt. Neuartige Behandlungsverfahren bedürfen im Rahmen der Krankenhausbehandlung keiner besonderen Zulassung und werden in der ambulanten Versorgung ausgeschlossene Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im stationären Bereich erbracht, kommt eine Prüfung dieser stationären Leistungen anhand der in der ambulanten Versorgung geltenden Maßstäbe nicht in Betracht. Während für den Bereich der ambulanten Versorgung bezüglich neuer Behandlungsmethoden ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt gilt, §§ 135 Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V, ist für den stationären Bereich ein Anspruch nur dann ausgeschlossen, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss dazu eine negative Stellungnahme abgegeben hat - Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt, § 137c SGB V, was vorliegend nicht der Fall ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 1 KR 11/08 R - juris -). Grundsätzlich zählen, wie die ausdrückliche Erwähnung des medizinischen Fortschritts in § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V belegt, auch neue medizinische Verfahren zum Leistungsumfang der GKV. Der sachliche Grund für diese unterschiedliche rechtliche Behandlung besteht darin, dass der Gesetzgeber die Gefahr des Einsatzes zweifelhafter oder unwirksamer Maßnahmen wegen der internen Kontrollmechanismen und der anderen Vergütungsstrukturen im Krankenhausbereich geringer einstuft als bei der Behandlung durch einzelne niedergelassene Ärzte (Bundessozialgericht, Urteile vom 26. September 2006, B 1 KR 3/06 R; vom 4. April 2006, B 1 KR 12/05 R; vom 12. August 2009, B 3 KR 10/07 R; vom 16. Dezember 2008, B 1 KR 2/08 R – juris -; Ihle in: jurisPK-SGB V, 2. Auflage 2012, § 137c SGB V Rdnr. 9 ff; Hess in: Kasseler Kommentar, Stand: April 2011, § 137c Rdnr. 3 ff; a.A. wohl: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 27. April 2012, L 4 KR 595/11 - juris -).

Die Liposuktion, z.B. in Tumeszenz-Lokalanästhesie in Form der so genannten "wet technique", bei einer Aspirationsmenge von 3 bis 4 Litern je Sitzung entspricht den Regeln der ärztlichen Kunst und stellt keine Außenseitermethode im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes dar, §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12 Abs. 1 SGB V (Bundessozialgericht, Urteile vom 17. Februar 2010, B 1 KR 10/09 R und vom 28. Juli 2008, B 1 KR 5/08 R - juris -). Es handelt sich nicht um eine Methode von experimentellem Charakter. Entsprechend den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie - Lipödeme der Beine - (Version vom 25. Juni 2009) wird eine Reduktion des krankhaft vermehrten Fettgewebes lediglich durch das operative Verfahren der Liposuktion empfohlen. Als Beleg werden Ergebnisse von Registernachbeobachtungen und kleine Fallserien angeführt. Ausweislich des Gutachtens Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen vom 6. Oktober 2011 der Expertengruppe 7 empfiehlt auch die Gesellschaft deutschsprachiger Lymphologen in der S 1 - Leitlinie die Liposuktion als letzte Option nach einer erfolglosen konservativen Therapie von mindestens 6 Monaten. Dass es sich insoweit um Konsensusleitlinien handelt und der Beleg von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlungsmethode nicht die Kriterien der evidenzbasierten Medizin erfüllt, ist vorliegend unerheblich (vgl. zur Frage des Systemversagens bei ambulanter Liposuktion, Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 24. Mai 2012, L 1 KR 10/12). Diese Stufe muss im Rahmen der stationären Behandlung nicht erreicht werden. Insoweit nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die obigen Ausführungen Bezug.

Eine weitere Behandlung des Lipödems der Klägerin durch ambulante Behandlungen kommt vorliegend nicht in Betracht.

Die konservativen Behandlungsmöglichkeiten sind zum einen ausgeschöpft. Ausweislich der für den Senat glaubhaften Angaben der Klägerin, die durch Dr. QQ. bestätigt werden, nützt die Klägerin bei einer Progredienz der Grunderkrankung, die mittels Vergleich der erhobenen Umfangswerte bei der Kompressionsbestrumpfung und der Begutachtung durch den MDK objektiviert sind, dauerhaft und konsequent seit Jahren manuelle Lymphdrainage und Kompressionstherapie (Kompressionsbestrumpfung und apparative Kompression). An einem Abnehmprogramm zur Reduzierung der Adipositas hat die Klägerin teilgenommen. Dies wird durch die Beklagte auch nicht bestritten. Zum anderen weist Professor ÜÜ. im Rahmen seines Gutachtens vom 5. November 2012 in grundsätzlicher Hinsicht für den Senat nachvollziehbar darauf hin, dass die alternativen Behandlungsmöglichkeiten rein empirisch und nicht durch randomisierte Studien abgesichert sind. Der Behandlungserfolg ist dabei nur kurzfristig und die daraus resultierende Notwendigkeit einer lebenslangen Behandlung kostspielig. Ausweislich der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie - Lipödeme der Beine - (Version vom 25. Juni 2009) und des Gutachtens Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen der Expertengruppe 7 existiert zudem keine eigentliche kausale Behandlung im Sinne der Reduktion des krankhaft vermehrten Fettgewebes für das Lipödem. Mittels konservativer Maßnahmen soll durch eine Ödemreduzierung lediglich eine Beschwerdebesserung/Beseitigung erzielt werden. Auch die Gewichtsabnahme beeinflusst danach die lipödem-typischen Fettansammlungen nicht, eine Reduzierung der Adipositas der Betroffenen kann lediglich den eigenständigen Risikofaktor für die Progredienz der Erkrankung minimieren. Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Angesichts dieser gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse der mangelnden Beeinflussbarkeit der massiven Grunderkrankung der Klägerin kann von dem Senat im vorliegenden Fall der Hinweis der Beklagten auf die Notwendigkeit der weiteren Reduktion der Adipositas der Klägerin und die Notwendigkeit der Behandlung in einer lymphologischen Fachklinik, um im Blick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot die konservativen (ambulanten) Behandlungsformen auszuschöpfen, nicht nachvollzogen werden. Dies gilt insbesondere im Blick auf die durch Frau Dr. PP. beschriebenen Folgeerscheinungen im Bereich der unteren Extremitäten der Klägerin (u.a.: inadäquate Belastung der Kniegelenke durch X-Beinfehlstellung mit Funktionseinschränkungen), die nach ihren nachvollziehbaren Ausführungen auch durch das Lipödem verursacht sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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