L 2 R 200/12

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 25 R 237/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 200/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 10. April 2012 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Neufeststellung der Altersrente für schwerbehinderte Menschen des Klägers unter Berücksichtigung von nach Rentenbeginn liegender Beitragszeiten.

Der 1946 geborene Kläger ist ausgebildeter Betriebswirt. Aufgrund eines am 18. Mai 1993 erlittenen Verkehrsunfalls leistete der Haftpflichtversicherer des Schädigers bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres des Klägers Beiträge nach § 119 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) an die Beklagte.

Auf den Antrag des Klägers vom 6. März 2008 bewilligte ihm die Beklagte mit Rentenbescheid vom 17. April 2008 ab November 2007 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Wegen Änderung im Krankenversicherungsverhältnis des Klägers berechnete die Beklagte die Rente mit Bescheid vom 2. Mai 2008 neu. Nach erfolgtem Beitragsregress auch noch für die Zeit vom 1. Januar 2007 bis zum 31. Oktober 2007 stellte die Beklagte die Altersrente des Klägers mit Bescheid vom 27. November 2008 rückwirkend ab Rentenbeginn neu fest.

In Telefonaten vom 22. November 2009 und 23. November 2009 beanspruchte der Kläger von der Beklagten die Anpassung seiner Rente unter Berücksichtigung der ab dem 1. November 2007 von der Haftpflichtversicherung noch weiter gezahlten (regressierten) Beiträge. Mangels gesetzlicher Grundlage lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 25. November 2009 ab. Sie führte aus, bei Erlass des Bescheides vom 17. April 2008 in Gestalt des Bescheides vom 27. November 2008 sei weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem Sachverhalt ausgegangen worden, der sich als unrichtig erwiesen habe. Die (letzte) Rentenberechnung beinhalte regressierte Beiträge bis zum Vormonat des Rentenbeginns (Oktober 2007). Wegen der fortlaufend regressierten Beiträge bestehe lediglich die Möglichkeit, zu gegebener Zeit die Umwandlung der Altersrente in eine Regelaltersrente ab Vollendung des 65. Lebensjahres zu beantragen. In seinem Widerspruch hiergegen wies der Kläger darauf hin, dass sich aus der Gesetzesbegründung zu § 75 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) nicht ergäbe, dass die regressierten Beiträge erst bei der Berechnung der Regelaltersrente zu berücksichtigen seien. Des Weiteren habe das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 31. Januar 2002 (Az.: B 13 RJ 23/01 R) klar zum Ausdruck gebracht, dass es nicht Sinn und Zweck der Regelung sei, für eine finanzielle Entlastung der Rentenversicherungsträger zu sorgen. Genau dies werde jedoch mit der Weigerung einer permanenten Rentenerhöhung nach erfolgtem Beitragsregress erreicht. Die Beklagte gewähre Rente für schwerbehinderte Menschen, nutze jedoch Beiträge nicht für den Versicherten, sondern zur eigenen finanziellen Entlastung. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. März 2010 zurück. Unter Wiederholung ihres Vorbringens schon aus dem Ausgangsbescheid stellte sie klar, dass bei der Rentenberechnung sämtliche Beiträge bis zum Rentenbeginn berücksichtigt worden seien. Um regressierte Beiträge schon während eines Altersrentenbezuges berücksichtigen zu können, sei der Wechsel in eine andere Altersrente ausnahmsweise zulässig. Die gesetzlichen Regelung, § 75 Abs. 4 SGB VI, der eine Ausnahme zu § 34 Abs. 4 Nr. 3 SGB VI normiere, stelle sicher, dass dem Kläger eine Rente aus den ihm zustehenden Beiträgen erhalte. Entgegen seines Vortrages sei eine finanzielle Entlastung des Rentenversicherungsträgers nicht gegeben. Für eine neue Berechnung der Rente nach dem jeweiligen Eingang eines weiteren regressierten Beitrages bestehe keine gesetzliche Grundlage, zumal dies bedeuten würde, dass bis zum Abschluss der Regressierung einmal monatlich eine entsprechende Neufeststellung erfolgen müsse. Dies könne nicht im Sinne des Gesetzgebers gewesen sein.

Die hiergegen gerichtete Klage wies das Sozialgericht Darmstadt durch Gerichtsbescheid vom 10. April 2012 ab. Das Gericht bezog sich dabei zur Begründung auf den Widerspruchsbescheid der Beklagten. Ergänzend wies es darauf hin, dass das auf eine fortlaufende Neuberechnung der Rente gerichtete Begehr des Klägers als Konsequenz einer fortlaufenden Berücksichtigung regressierter Beiträge mit den legitimen Interessen und Bedürfnissen einer Massenverwaltung nicht vereinbar sei. Es sei auch kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass sich die gesetzliche Regelung außerhalb eines verfassungsrechtlich legitimierten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bewege. Ebenfalls sei nicht erkennbar, dass die Handhabung der Beitragsregressierung im Falle des Klägers zu einer finanziellen Entlastung der Beklagten führe.

Gegen die ihm am 30. April 2012 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 29. Mai 2012 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht angebracht. Zur Begründung wiederholt und vertieft er im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Widerspruchs- und auch erstinstanzlichen Verfahren. Durch die Beschränkung auf den Ausschluss des § 34 Abs. 4 Nr. 3 SGB VI sieht der Kläger sein Anwartschafts- und damit Eigentumsrecht in unzulässiger Weise eingeschränkt, wenn nicht in einer gegenüber der "Massenverwaltung" überschaubaren Zahl solcher Beitragsregresse durch die Rentenversicherungsträger die Rentenleistungen seit dem Beginn der Altersrente für schwerbehinderte Menschen bis zur Umwandlung in eine Regelaltersrente unter Berücksichtigung der jährlichen Regressierungen zumindest geprüft, neuberechnet und angepasst würden.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 10. April 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 2010 zu verurteilen, die ihm seit dem 1. November 2007 gewährte Altersrente für schwerbehinderte Menschen vor Umwandlung in eine Regelaltersrente ab dem 1. Juli 2011 aufgrund der Beitragsregressierungen bis zum 30. Juni 2011 neu festzustellen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Dazu bezieht sie sich auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung.

Seit dem 1. Juli 2011 bezieht der Kläger eine Regelaltersrente (Bescheid der Beklagten vom 12. Mai 2011). In die Rentenberechnung sind regressierte Beiträge auch für die Zeit vom 1. November 2007 bis zum 30. Juni 2011 eingestellt.

Die Beteiligten haben sich schriftsätzlich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, nachdem sich die Beteiligten schriftlich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –).

Das Sozialgericht Darmstadt hat die Klage durch den Gerichtsbescheid vom 10. April 2012 zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Ein Anspruch auf Neufeststellung der dem Kläger bis zum 30. Juni 2011 gewährten Altersrente für schwerbehinderte Menschen jeweils nach Zahlungseingang resp. Verbuchung der regressierten Beiträge durch den Haftpflichtversicherer besteht mangels gesetzlicher Grundlage nicht.

Nach § 75 Abs. 1 SGB VI werden für Zeiten nach Beginn der zu berechnenden Rente Entgeltpunkte nur für eine Zurechnungszeit und für Zuschläge an Entgeltpunkten aus Beiträgen nach Beginn einer Rente wegen Alters ermittelt. Die Vorschrift markiert damit den Rentenbeginn als grundsätzlichen Endzeitpunkt, bis zu dem im Rahmen der Rentenberechnung Entgeltpunkte ermittelt werden. Aus deren Umkehrschluss folgt, dass nach Beginn einer Rente zurückgelegte rentenrechtliche Zeiten - mit den genannten Ausnahmen - bei der Rentenberechnung nicht berücksichtigt werden können. Sie sind erst und nur bei einer späteren anderen Rente anrechenbar (KassKomm-Polster, § 75 SGB VI Rz. 7) und begründen entsprechend dem Leistungsfallprinzip keinen Anspruch auf Neufeststellung einer bereits laufend gezahlten Rente. Im Falle des Klägers wurden in zutreffender Anwendung des § 75 Abs. 1 SGB VI rentenrechtliche Zeiten bis zum Vormonat des Beginns der Altersrente für schwerbehinderte Menschen am 1. November 2007, also bis einschließlich Oktober 2007, in die Rentenberechnung eingestellt (Rentenbescheid vom 17. April 2008 in Gestalt des Bescheides vom 27. November 2008). Die Anrechnung der für die Zeit ab November 2007 gezahlten Beiträge ist nach dem eindeutigen Wortlaut der gesetzlichen Regelung ausgeschlossen. Diese (regressierten) Beiträge können erst bei der Berechnung der Regelaltersrente oder einer sonstigen vorzeitigen, d.h. vor Vollendung des 65. Lebensjahres beginnenden Altersrente, berücksichtigt werden (KassKomm-Polster, § 75 SGB VI Rz. 22).

Dies ergibt sich aus dem Gesetzeswortlaut des seit dem 1. August 2008 geltenden § 75 Abs. 4 SGB VI (Gesetz vom 21. Juli 2004, BGBl I, S. 1776). Klargestellt wird dort zunächst, dass sämtliche vom Schädiger resp. dessen Versicherer gezahlte Beiträge in die Rentenberechnung einzustellen sind. Als Ausnahme zu § 34 Abs. 4 Nr. 3 SGB VI ermöglicht die Regelung für den Fall, dass als Folge einer drittverursachten Schädigung eine Rente bezogen und regressierte Beiträge im Sinne von § 119 SGB X aus einem Schadensfall vor Beginn der (Regel-) Altersrente noch neben dem Bezug der Altersrente gezahlt werden den ansonsten ausgeschlossenen Wechsel von einer in eine andere Altersrente.

Die Anfügung des Absatzes 4 in § 75 SGB VI geht dabei auf die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung zurück (BT Drs. 15/2678, S. 5). Dort heißt es insoweit: "Der neue Absatz 4 hält für den Fall, dass als Folge einer drittverursachten Schädigung Rente bezogen und "regressierte Beiträge" im Sinne von § 119 SGB X aus einem Schadensfall vor Beginn der vorzeitigen Altersrente neben dem Bezug der Rente gezahlt werden, die bisherige Rechtslage aufrecht. Der Versicherte wird damit weitgehend so gestellt, als wäre der Schadensfall nicht eingetreten und steht damit einem durchgehend Beschäftigten gleich. Die regressierten Beiträge werden in diesen Fällen bei der Berechnung der Regelaltersrente berücksichtigt" (BT-Drs. 15/2678, S. 22).

Für eine Neufeststellung der Altersrente für schwerbehinderten Menschen jeweils nach Eingang / Verbuchung regessierter Beiträge fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Die Regelung des § 75 SGB VI ist insoweit abschließend. Auch bei Zahlung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Beitragszahlung während des Rentenbezuges kommt eine Berücksichtigung dieser nach Eintritt des Leistungsfalles gezahlten Beiträge erst bei einer späteren Altersrente bzw. eines neu eingetretenen Leistungsfalles in Betracht.

Die von dem Kläger vorgetragenen Argumente einer temporären finanziellen Entlastung des Rentenversicherungsträgers durch die erst später bei Eintritt der Regelaltersgrenze rentensteigernd berücksichtigten Beiträge und sein Hinweis auf die Entscheidung des BSG vom 31. Januar 2002 (Az. B 13 RJ 23/91 B) überzeugen nicht.

Dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall lag ein gänzlich anderer Sachverhalt zu Grunde. Dort ging es um die Frage der Anwendbarkeit des §§ 44 Abs. 4 SGB X in Fällen nachträglich gezahlter (regressierter) Beiträge.

Unter Hinweis auf den mit § 119 SGB X bezweckten Schutz des Versicherten vor schädigungsbedingten Renteneinbußen hat der 13. Senat das Eingreifen der Verjährungsregelung verneint. Vorliegend geht es indessen nicht um eine Renteneinbuße, sondern um die Frage, ab welchem Zeitpunkt dem Versicherten aus den regressierten Beiträgen ein Leistungsanspruch zukommt. Diese Frage ist nicht unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten zu beantworten, sondern alleine nach Maßgabe der Leistungsregelungen des SGB VI zu beurteilen. Das hinter § 119 SGB X, insbesondere in dessen Abs. 3 Satz 2 zum Ausdruck kommende Ziel, wonach ein Versicherter infolge eines Schadensfalles nicht schlechter gestellt werden darf, als er ohne den Schadensersatzanspruch gestanden hätte, ist durch die Regelung des § 75 Abs. 4 SGB VI beachtet. Durch den Ausschluss des § 34 Abs. 4 Nr. 3 SGB VI ist der Kläger sogar begünstigt.

Einen finanziellen Vorteil der Beklagten vermag der Senat unter keinem Aspekt zu erkennen. Es entspricht dem generellen Prinzip des SGB VI, dass sich gezahlte Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung erst bei Eintritt eines ggf. auch neuen Leistungsfalles leistungsrechtlich auswirken.

Zur weiteren Begründung wird auf die zutreffende Argumentation auch des Sozialgerichts in der angegriffenen Entscheidung gem. § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.

Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben. Sie war mit der Kostenfolge des § 193 SGG zurückzuweisen.

Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden. Die Frage, ob für nach Rentenbeginn gezahlte regressierte Beiträge einen Neufeststellungsgrund für eine laufend gezahlte Rente auslösen, erschien dem Senat mit Blick auf die eindeutige Rechtslage nicht im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG klärungsbedürftig.
Rechtskraft
Aus
Saved