L 4 SO 296/11

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 9 SO 58/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 296/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 20. Oktober 2011 und der Bescheid des Beklagten vom 15. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Mai 2011 abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 86,76 EUR zu zahlen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten in beiden Instanzen zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die vom Beklagten nach § 63 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch (SGB X) zu erstattenden Kosten für die Führung eines Widerspruchsverfahrens.

Die Klägerin wird durch ihre Prozessbevollmächtigte gesetzlich betreut.

Am 29. Mai 2009 hatte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin als Betreuerin die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Zwölftes Buch -SGB XII- (Übernahme der Mietkosten) für die Klägerin beantragt und sich mit Schreiben vom 5. Juni 2009, 9. März 2010 sowie 1. April 2010 am den Beklagten gewandt. Mit Bescheid vom 7. April 2010 hatte der Beklagte die Gewährung der beantragten Leistungen abgelehnt. Hiergegen hatte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin in deren Namen Widerspruch am 15. April 2010 eingelegt und mitgeteilt, dass sie die Klägerin anwaltlich vertrete. Hierzu hatte sie eine Vollmacht, datiert vom 12. April 2010, zu den Akten gereicht und in der Folgezeit den Widerspruch schriftlich begründet. Mit Bescheid vom 15. Oktober 2010 hatte der Beklagte der Prozessbevollmächtigten mitgeteilt, dass er dem Begehren teilweise abhelfe und Kosten der Unterkunft in Höhe von 282,30 EUR für den Monat Juli übernehme. Mit Schreiben vom 18. Oktober 2010 hatte die Prozessbevollmächtigte den Widerspruch betreffend die Übernahme der Mietkosten für den Monat Juli 2009 mit Übernahme von 282,30 EUR für erledigt erklärt. Des Weiteren beantragte sie, die Kosten des Widerspruchsverfahrens nach § 63 SGB X zu erstatten.

Mit Bescheid vom 21. Oktober 2010 erließ der Beklagte folgende Kostenentscheidung: "1. Die durch das Widerspruchsverfahren zum Widerspruch vom 13.04.2010 bedingten notwendigen Aufwendungen werden der Widerspruchsführerin nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X anteilig zu 81 Prozent erstattet, da der Widerspruch nur teilweise erfolgreich war. Es wurden statt der beantragten tatsächlichen Unterkunftskosten inklusive Heizung von 350,00 EUR nur 282,30 EUR übernommen. 2. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes wird zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung als notwendig angesehen. Die entsprechenden Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes werden daher nach § 63 Abs. 2 SGB X in Höhe der unter 1. genannten Quote erstattet. 3. Die Höhe der zu erstattenden Rechtsanwaltskosten wird nach Vorlage der Kostennote festgesetzt."

Mit Schreiben vom 27. Oktober 2010 übersandte die Prozessbevollmächtigte ihre Kostennote:
Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 W-RVG 240,00 EUR
Post- und Kommunikationsentgelte nach Nr. 7002 W-RVG 20,00 EUR
6 Fotokopien gemäß Nr. 7000 W-RVG 3,00 EUR
263,00 EUR
19% Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 W-RVG 49,97 EUR
Gesamtsumme 312,97 EUR
Anteil der Beklagten 253,51 EUR

Mit Bescheid vom 15. Dezember 2010 setzte der Beklagte die erstattungsfähigen Rechtsanwaltskosten auf 166,75 EUR fest. Dem zu erstattenden Betrag legte der Beklagte eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2401 W-RVG in Höhe von 150,00 EUR, die Auslagenpauschale nach Nr. 7002 W-RVG in Höhe von 20,00 EUR, 6 Fotokopien nach Nr. 7000 W-RVG in Höhe von 3,00 EUR zugrunde. Dies ergebe ein Gesamtbetrag von 173,00 EUR zuzüglich Umsatzsteuer nach Nr. 7008 W-RVG in Höhe von 32,87 EUR, so dass sich ein Brutto-Betrag von 205,87 EUR ergebe, wovon 81 % und damit ein Betrag in Höhe von 166,75 EUR erstattet würde.

Die Klägerin legte mit Schreiben vom 21. Dezember 2010 hiergegen Widerspruch ein und führte aus, dass grundsätzlich im Widerspruchsverfahren eine Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 W-RVG anfalle. Die Reduzierung der Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2401 W-RVG erfolge nur, wenn eine vorausgegangene anwaltliche Tätigkeit im Verwaltungsverfahren vorgelegen habe. Im vorliegenden Fall werde aber keine Gebühr für eine Tätigkeit im Vorverfahren als Anwältin geltend gemacht, da die Prozessbevollmächtigte als Betreuerin im Antragsverfahren aufgetreten sei und nicht als Rechtsanwältin. Daraus dürfe sich nicht ein Ermäßigungstatbestand nach Nr. 2401 W RVG ergeben.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai.2011 als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat am 30. Mai 2011 Klage beim Sozialgericht Marburg erhoben und hat die Auffassung vertreten, dass Rechtsanwaltskosten in Höhe von weiteren 86,76 EUR nebst Zinsen zu erstatten seien. Es sei nicht die reduzierte Gebühr nach Nr. 2401 W-RVG festzusetzen, da die Prozessbevollmächtigte als gesetzliche Betreuerin im Verwaltungsverfahren tätig gewesen sei. Aus diesem Grund sei der Ermäßigungstatbestand nach Nr. 2401 W-RVG nicht gegeben, weshalb der angegriffene Bescheid rechtswidrig sei.

Der Beklagte hat vorgebracht, dass sich die erstattungsfähigen Rechtsanwaltskosten lediglich auf 166,75 EUR beliefen. Hierbei sei die Geschäftsgebühr nach Nr. 2401 W-RVG in Höhe der Mittelgebühr von 150,00 EUR berücksichtigt worden, da eine Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten im Verwaltungsverfahren in ihrer Funktion als Betreuerin vorausgegangen war. Er stelle darauf ab, dass in analoger Anwendung des Beschlusses des Hessischen Landesozialgerichtes vom 25. Mai 2009, Az. L 2 SF 50/09, zu berücksichtigen sei, dass eine reduzierte Gebühr anzusetzen sei, wenn ein innerer sachlicher und zeitlicher Zusammenhang mit der Tätigkeit im Verwaltungsverfahren besteht. Hierzu sei es nicht erforderlich, dass das Vorverfahren bereits abgeschlossen sei. Ein innerer sachlicher und zeitlicher Zusammenhang der Tätigkeit als Betreuerin im Verwaltungsverfahren und der Einlegung des Widerspruchsverfahrens in der Funktion als Rechtsanwältin sei unmittelbar vorhanden, weshalb von einer Vorbefassung auszugehen sei, so dass eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2401 W-RVG in Höhe der Mittelgebühr anzusetzen sei. Aus diesem Grund bestünde ein Anspruch auf die Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 W-RVG nicht.

Mit Urteil vom 20. November 2011 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen und die Berufung zugelassen. Die Klägerin habe keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Festsetzung höherer Rechtsanwaltskosten nach § 63 SGB X. Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren seien erstattungsfähig, wenn die Zuziehung des Bevollmächtigten notwendig war. Gemäß § 63 Abs. 3 SGB X setze die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen habe, auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest. Zwischen den Beteiligten sei lediglich streitig, in welcher Höhe die für das Widerspruchsverfahren zu erstattenden Kosten von dem Beklagten festzusetzen seien. Die Kammer sei der Ansicht, dass für das Widerspruchsverfahren folgende Kosten festzusetzen seien: Geschäftsgebühr in sozialrechtlicher Angelegenheit nach Nr. 2401 W-RVG in Höhe von 120,00 EUR Auslagenpauschale nach Nr. 7002 W-RVG in Höhe von 20,00 EUR, 6 Fotokopien gemäß Nr. 7000 W-RVG in Höhe von 3,00 EUR zuzüglich Umsatzsteuer nach Nr. 7008 W-RVG in Höhe von 27,17 EUR, so dass Gesamtkosten in Höhe von 170,17 EUR festzusetzen seien, wovon der Beklagte aufgrund der nicht angegriffenen Kostengrundentscheidung 81 %, und somit Kosten in Höhe von 137,84 EUR zu tragen habe. Die vom Beklagten festgesetzten Gebühren seien nach Ansicht der Kammer nicht zu beanstanden. Zwar habe die Klägerin nach der Berechnung der Kammer einen geringeren als vom Beklagten festgesetzten Anspruch auf Kostenerstattung, aufgrund des Verbots der reformatio in peuis sei die Klägerin im Ergebnis jedoch vor einer niedrigeren Kostenerstattung geschützt (Hinweis auf BSG, Urteil vom 9. Dezember 2010, Az.: B 13 R 63/09 R, Rn. 20). Gemäß Nr. 2400 W-RVG belaufe sich die Geschäftsgebühr zwischen 40,00 EUR bis 520,00 EUR. Eine Gebühr von mehr als 240,00 EUR könne nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig gewesen sei. Gemäß Nr. 2401 W-RVG sei eine Gebühr zwischen 40,00 EUR bis 260,00 EUR festzusetzen, wenn eine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren vorausgegangen sei. Die Gebühr nach Nr. 2400 für das weitere der Nachprüfung des Verwaltungsaktes dienende Verwaltungsverfahren betrage 40,00 EUR bis 260,00 EUR. Gemäß Nr. 2401 Abs. 2 W-RVG könne eine Gebühr von mehr als 120,00 EUR nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Die Kammer teile die Ansicht des Beklagten, dass hier die Geschäftsgebühr nach Nr. 2401 W-RVG festzusetzen sei. Zwar sei zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die Prozessbevollmächtigte der Klägerin zunächst im Vorverfahren als Betreuerin tätig gewesen sei und erst das Widerspruchsverfahren im Rahmen ihrer Anwaltstätigkeit für die Klägerin bestritten habe. Jedoch sei bei der Festsetzung der Gebühren zu berücksichtigen, dass der Prozessbevollmächtigten ihre vorangegangene Tätigkeit als Betreuerin die Tätigkeit im Widerspruchsverfahren durchaus erleichtert habe, denn die Prozessbevollmächtigte sei durch ihre Tätigkeit als Betreuerin im Vorverfahren bereits mit dem Sachverhalt vertraut gewesen. Nach Ansicht der Kammer sei die Festsetzung der Gebühr nach Nr. 2401 W-RVG durch den Beklagten nicht zu beanstanden, da sich auch aus der Gesetzesbegründung zum RVG ergebe, dass die Arbeitserleichterung aufgrund der Vertrautheit mit dem Sachverhalt zu einem geringeren Arbeitsaufwand führe, der die Festsetzung einer verminderten Gebühr rechtfertige. Der Gesetzgeber habe hierzu ausgeführt, dass der durch die vorangegangene Tätigkeit ersparte Aufwand ausschließlich durch die Anwendung des geringeren Rahmens und nicht mehr bei der Bemessung der konkreten Gebühr berücksichtigt werden solle (BT-Drucks 15/1971, S. 208; Hinweis auf BSG, Urteil vom 25. Februar 2010, Az.: B 11 AL 24/08 R, Rn. 20). Die Prozessbevollmächtigte sei unstreitig im Vorverfahren als Betreuerin aufgetreten und habe erst das Widerspruchsverfahren für die Klägerin als Prozessbevollmächtigte geführt. Da vorliegend ein Fall der Personenidentität von Betreuerin und Prozessbevollmächtigten vorliege, müsse die Prozessbevollmächtigte sich im Rahmen des Widerspruchsverfahrens zurechnen lassen, dass sie aufgrund der Vertrautheit mit dem Sachverhalt einen geringeren Arbeitsaufwand als ein Prozessbevollmächtigter habe, der erst im Rahmen des Widerspruchsverfahrens mit dem Verfahren betraut werde. Aus diesem Grund sei die Festsetzung der Gebühr nach Nr. 2401 W-RVG dem Grunde nach nicht zu beanstanden. Nach Ansicht der Kammer wäre die Gebühr nach Nr. 2401 W RVG in Höhe der Schwellengebühr von 120,00 EUR festzusetzen gewesen. Nach dem Wortlaut der Regelung könne eine Gebühr von mehr als 120,00 EUR nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig gewesen sei. Da die Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch der Schwierigkeit einen durchschnittlichen Tätigkeit entsprochen habe, wäre die Festsetzung der Gebühr in Höhe der Schwellengebühr angemessen (Hinweis auf BSG, Urteil vom 25. Februar 2010, Az.: B 11 AL 24/08 R, Rn. 5 zur Höhe der Gebühr 2501 W RVG a. F.). Der Beklagte habe eine Gebühr in Höhe von 150,00 EUR und damit in Höhe der Mittelgebühr festgesetzt (Hinweis Sermond, in: von Seitmann (Hrsg.), Beck scher online-Kommentar RV). Da die Festsetzung der Gebühr nach Nr. 2401 W-RVG weder dem Grunde noch der Höhe nach zu beanstanden sei, verletze der angegriffene Bescheid die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Gegen das ihr am 3. November 2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17. November 2011 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Die Klägerin trägt vor, das Sozialgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass bei einer Vorbeschäftigung auch eine weitere Gebühr für die Vertretung im Antragsverfahren nach Nr. 2400 VV-RVG neben der Nr. 2401 VV-RVG zustehen würde. Diese Gebühr habe sie nicht geltend gemacht, da die Prozessbevollmächtigte sie als gesetzliche Betreuerin im Antragsverfahren vertreten habe und lediglich die Fallpauschalen des Betreuungsrechts erhalte, dies sei ein Stundensatz von 44,00 EUR (brutto). Teile man die Ansicht des Sozialgerichts, so sei die Gebühr des Antragsverfahrens nach Nr. 2400 VV-RVG festzusetzen. Ihre Prozessbevollmächtigte führe eine Anwaltskanzlei, die organisatorisch von der betreuungsrechtlichen Tätigkeit getrennt sei; in letzterem Bereich arbeiteten keinerlei juristische Angestellte. Der Umstand, dass ihre Betreuerin Fachanwältin für Sozialrecht sei und aufgrund dieser Fachkenntnisses bereits im Antragsverfahren notwendige Dinge vorgetragen habe, könne nicht zu einer Kürzung der Gebühren führen. Konsequenterweise müsse dann für die Tätigkeit im Antragsverfahren die Geschäftsgebühr nach Nr. VV-RVG Nr. 2400 festgesetzt werden, da sonst die Fachkenntnisse unentgeltlich eingeführt würden. Im Einzelfall müsse berücksichtigt werden, dass der Beklagte trotz des Vortrags dem Antrag erst im Widerspruchsverfahren stattgegeben habe.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 20. November 2011 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 15. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Mai 2011 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an sie 86,76 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 23. Dezember 2010 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, dass entgegen der Auffassung der Klägerin Rechtsanwaltskosten nicht für das Antragsverfahren sondern gemäß § 63 SGB X nur für das Widerspruchsverfahren erstattet werden könnten. Durch die Vorbefassung als Betreuerin sei eindeutig ein Nutzen für die Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten im Widerspruchsverfahren gezogen werden, weshalb der Reduzierungstatbestand nach Nr. 2401 VV-RVG vorgelegen habe. Denn es habe ein innerer – sachlicher und zeitlicher – Zusammenhang in der Tätigkeit als Betreuerin im Verwaltungsverfahren und der Einlegung des Widerspruchs in der Funktion als Rechtsanwältin bestanden. Es hätten Synergieeffekte aufgrund der Vertrautheit mit dem Sachverhalt bestanden.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte des Beklagten, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten ihr Einverständnis hiermit erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die zulässige Berufung ist soweit begründet, als die Klägerin Anspruch auf die Erstattung weiterer Kosten des Widerspruchsverfahrens in Höhe von 86,76 EUR hat. Insoweit ist der Bescheid des Beklagten vom 15. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Mai 2011 Urteil des Sozialgerichts Marburg rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Insoweit war deshalb das Urteil des Sozialgerichts vom 20. November 2011 abzuändern. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet, weil die Klägerin die Verzinsung der Klageforderung nicht verlangen kann.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch ist § 63 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Zehntes Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Danach hat, soweit der Widerspruch erfolgreich ist, der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.

Diese Voraussetzungen sind gegeben, denn die Beklagte hat gem. § 63 Abs. 3 SGB X mit bestandskräftigem Bescheid vom 21. Oktober 2010 die Zuziehung eines Rechtsanwaltes für notwendig erklärt und entschieden, dass die zur Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu 81 % erstattet werden.

Gegenstand des Verfahrens ist daher allein der Umfang der zu erstattenden Aufwendungen, der sich nach §§ 3, 14, § 2 Abs. 2 RVG i. V. m. der Anlage 1 (zu § 2 Abs. 2) RVG (VV-RVG) richtet. Danach bestimmt sich die Höhe der Vergütung nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zum RVG (§ 2 Abs. 2 RVG). Es entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren (§ 3 Abs. 1 Satz 1 RVG); dies gilt entsprechend für eine Tätigkeit außerhalb des gerichtlichen Verfahrens (§ 3 Abs. 2 RVG). Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftragsgebers, nach billigem Ermessen (§ 14 Abs. 1 RVG).

Die nach § 63 SGB X in Verbindung mit diesen Vorschriften des RVG erstattungsfähigen Aufwendungen der Klägerin belaufen sich entsprechend der Kostennote ihrer Prozessbevollmächtigten vom 27. Oktober 2010 auf insgesamt 253,51 EUR, weshalb sie abzüglich der bereits durch den Beklagten aufgrund des angegriffenen Bescheids erstatteten Kosten des Widerspruchsverfahren Anspruch auf die Erstattung weiterer 86,76 EUR hat.

Die erstattungsfähigen Aufwendungen setzen sich insgesamt wie folgt zusammen.

Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 W-RVG 240,00 EUR
Post- und Kommunikationsentgelte nach Nr. 7002 W-RVG 20,00 EUR
6 Fotokopien gemäß Nr. 7000 W-RVG 3,00 EUR
263,00 EUR
19% Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 W-RVG 49,97 EUR
Gesamtsumme 312,97 EUR
Anteil der Beklagten (81%) 253,51 EUR

Entgegen der Auffassung des Beklagten bemisst sich die Geschäftsgebühr für die anwaltliche Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Widerspruchsverfahren nach Nr. 2400 VV-RVG. Danach beträgt die Geschäftsgebühr 40,00 EUR bis 520,00 EUR, eine Gebühr von mehr als 240,00 EUR kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig ist.

Nr. 2401 VV-RVG ist demgegenüber für den hier vorliegenden Fall einer Vorbefassung der Prozessbevollmächtigten im Verwaltungsverfahren als gesetzliche Betreuerin (§§ 1896 ff. BGB) der Klägerin nicht anwendbar.

Die Regelung bestimmt, dass bei vorausgegangener Tätigkeit im Verwaltungsverfahren oder im Beschwerdeverfahren nach der WBO die Gebühr 2400 für das weitere, der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienende Verwaltungsverfahren oder für das Verfahren der weiteren Beschwerde nach der WBO 40,00 EUR bis 260,00 EUR beträgt. Eine Gebühr von mehr als 120,00 EUR kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war (Nr. 2401 Abs. 2 VV-RVG).

Der Regelungsgehalt der – gegenüber Nr. 2400 VV-RVG spezielleren – Nr. 2401 VV RVG ist nicht erfüllt, denn eine "vorausgegangene Tätigkeit im Verwaltungsverfahren" der Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Sinne der Norm ist in deren Tätigwerden in ihrer Funktion als Betreuerin der Klägerin nicht gegeben.

Zwar schränken weder der Wortlaut noch der Gesetzeszweck den Begriff der "vorausgegangenen Tätigkeit" auf eine spezifisch anwaltliche Tätigkeit ein. So führen die Gesetzesmaterialien zu Nr. 2401 VV-RVG aus: "Nach dem vorgeschlagenen § 17 Nr. 1 RVG-E sollen das Verwaltungsverfahren sowie das einem gerichtlichen Verfahren vorausgehende und der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienende weitere Verwaltungsverfahren künftig verschiedene Angelegenheiten bilden. Es soll jedoch berücksichtigt werden, dass die Tätigkeit im Verwaltungsverfahren die Tätigkeit im weiteren Verwaltungsverfahren durchaus erleichtert. Deshalb soll die Geschäftsgebühr für das weitere Verfahren nur 0,5 bis 1,3 betragen." (BT-Drs 15/1971, S.207), woraus zutreffend geschlossen wird, dass dabei Vorkenntnisse über den Sachverhalt im Sinne eines inneren – sachlichen und zeitlichen - Zusammenhangs der Tätigkeiten ausreichen, um durch die Bearbeitung einen Synergieeffekt für den Rechtsanwalt anzunehmen (Beschluss des 2. Senats des erkennenden Gerichts vom 25. Mai 2009, L 2 SF 50/09 E). Ein solcher Zusammenhang ist auch vorliegend unzweifelhaft anzunehmen, nachdem die Prozessbevollmächtigte der Klägerin zunächst als Betreuerin im Verwaltungsverfahren und sodann im Widerspruchsverfahren mit dem identischen Streitgegenstand befasst war (hierzu näher: Hinne, Anwaltsvergütung im Sozialrecht, § 3 Rn. 84 ff. m. w. N.).

Indessen handelte es sich bei der Tätigkeit um Verwaltungstätigkeit nicht um eine anwaltliche Tätigkeit im Sinne von § 1 Abs. 1 RVG, sondern um eine Tätigkeit im Rahmen der gesetzlichen Betreuung. Für eine solche Tätigkeit gilt das RVG gemäß der ausdrücklichen Regelung in § 1 Abs. 2 Satz 1 RVG nicht, so dass unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik mit der "vorausgegangenen Tätigkeit im Verwaltungsverfahren", die sich gemäß Nr. 2401 VV-RVG mindernd auf die Geschäftsgebühr auswirkt, allein eine anwaltliche Tätigkeit gemeint sein kann.

Auf die konkreten Unterschiede zwischen der Tätigkeit eines Betreuers und eines Rechtsanwalts (vgl. hierzu aber SG Berlin, Urteil vom 26. Juli 2010, S 180 SF 1443/09 E) und die Frage, ob sich bei Personenidentität von Rechtsanwalt im Vorverfahren und Betreuer im vorausgegangenen Verwaltungsverfahren tatsächlich Synergieeffekte ergeben, kommt es unter Berücksichtigung der Typisierung der Regelung des Nr. 2401 VV-RVG nicht an.

Berufung und Klage sind weiterhin hinsichtlich des geltend gemachten Zinsanspruchs der Sache nach nicht begründet. Es fehlt insoweit an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung über die Verzinsung des Vergütungsanspruchs (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 15. Dezember 2006, L 8 SB 212/06, juris unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 23. März 2006 – B 3 KR 6/05 R; ausführlich: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 5. Mai 2008, juris Rn. 37 m. w. N.). Insbesondere ist höchstrichterlich geklärt (BSG, Urteil vom 24. Juli 1986, 7 RAr 86/84, juris Rn. 27), dass eine entsprechende Anwendung von § 104 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung über § 202 SGG wegen der grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten ausgeschlossen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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