L 4 KA 2/13

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 879/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 2/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 14. November 2012 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits für das Berufungsverfahren zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen Ziffer 2 bis 7 sind nicht erstattungsfähig.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Entziehung eines halben Versorgungsauftrags der Klägerin als psychologische Psychotherapeutin wegen Nichtausübung eines Teils des vertragspsychotherapeutischen Versorgungsauftrages.

Die Klägerin ist seit 1999 zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung als psychologische Psychotherapeutin mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Ihre vertragspsychotherapeutische Abrechnung wies – nach Mitteilung der Beigeladenen zu 1) - folgende Werte auf:

Quartal Fallzahl Stunden/Woche
I/07 10 3:13
II/07 9 2:42
III/07 8 2:59
IV/07 9 2:34
I/08 5 2:17
II/08 6 1:31
III/08 6 1:37
IV/08 8 2:21
I/09 4 1:25
II/09 13 4:13
III/09 10 3:58
IV/09 19 14:22
I/10 5 0:13
II/10 4 2:44

Die Beigeladene zu 1) wies die Klägerin mit Schreiben vom 7. Mai 2009 darauf hin, dass eine Überprüfung der Abrechnung ergeben habe, dass die Klägerin zumindest seit dem Quartal I/07 nur in sehr geringem Umfang entsprechende Abrechnungen einreiche. Nach dem Bundesmantelvertrag müsse sie mindestens 20 Stunden wöchentlich vertragspsychotherapeutisch zur Verfügung stehen. Die Klägerin verwies auf ihr Schreiben vom 1. Juli 2008, worin sie mietrechtliche Probleme in den Jahren 2004 - 2007 angegeben und weiter ausgeführt hatte, seit Juli 2008 die Räumlichkeiten abgesichert zu haben und die Aufstockung der genehmigungspflichtigen psychotherapeutischen Arbeitsstunden aufnehmen zu können. Die Beigeladene zu 1) beantragte mit Schreiben vom 14. Dezember 2009 beim Zulassungsausschuss die Entziehung der halben Zulassung der Klägerin. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin nehme nur in sehr geringem Umfang an der vertragspsychotherapeutischen Versorgung teil. Die Beratungsstelle Psychotherapie sei von einer Patientin darüber informiert worden, dass am Vertragspsychotherapeutensitz der Klägerin kein Praxisschild und auch keine Klingel mehr vorhanden sei. Die Patientin sei bereits seit Januar 2008 in Langzeit-Behandlung bei der Klägerin. Diese habe jedoch außer den probatorischen Sitzungen in den Quartalen III und IV/07 keine weiteren Leistungen abgerechnet und der Patienten auch auf deren Nachfrage, warum kein PT-Antrag gestellt werde, immer wieder versichert, dass alles in Ordnung wäre und sie sich keine Gedanken machen müsse. Nun sei aber die Klägerin nicht mehr erreichbar und die Patientin mache sich Sorgen. Die Klägerin gab mit Schreiben vom 23. Dezember 2009 an, sie wolle die volle Zulassung behalten. Sie arbeite vertragspsychotherapeutisch mit sehr gutem Erfolg, allerdings mit einem erheblichen Antrags-Überhang. Sie stehe mit den Krankenkassen noch in Verhandlung, ob ein Teil der von ihr geleisteten Stunden nachträglich vergütet werden könne. Sie habe ferner vor, ab Januar 2010 neue Praxisräume anzumieten, um ihre Arbeit fortsetzen zu können. Ihr gesamtes Mobiliar und die Praxiseinrichtung stünden ihr derzeit nicht zur Verfügung, sie sei in einer Notunterkunft untergebracht (Wohnungsverlust). Mit Schreiben vom 23. Juli 2010 führte die Klägerin weiter aus, die Praxisgemeinschaft A-Straße entwickle sich gut und sie arbeite aktuell mit 15 Patienten, wobei die für die Honorierung nötigen Anerkennungsbescheide (Neuanträge und Umwandlungsanträge in Langzeittherapie) noch nicht beantragt seien. Sie habe verzweifelt nach einer Wohnung gesucht, um ihre Praxisausstattung und Wohnungseinrichtung vor der drohenden Versteigerung zu retten. Seit März 2010 sei sie Arbeitslosengeld II-Bezieherin. Seit Juli 2010 besitze sie wieder einen Schreibtisch und ein Bett und einige Regale/Ordnungssysteme.

Der Zulassungsausschuss/Psychotherapie bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen gab dem Antrag der Beigeladenen zu 1) auf Entziehung der halben Zulassung zur vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit der Klägerin mit Beschluss vom 9. Dezember 2010, ausgefertigt am 18. April 2011, statt. Hiergegen legte die Klägerin am 16. Mai 2011 Widerspruch ein. Die Darlegung des Abrechnungsverhaltens bezweifle sie nicht, obwohl sie die aufgeführte Statistik nicht prüfen könne. Ihre konkrete Arbeitszeit sowie erfolgreiche Behandlungen von gesetzlich krankenversicherten Patienten bilde die Statistik nicht ab.

Der Beklagte wies mit Beschluss vom 14. September 2011, ausgefertigt am 3. November 2011 und der Klägerin am 5. November 2011 zugestellt, den Widerspruch als unbegründet zurück. Seit dem Quartal I/07 nehme die Klägerin nur noch in sehr geringem Umfang an der vertragspsychotherapeutischen Versorgung teil. Dies sei als andauernde Nichtausübung eines Teils des vertragspsychotherapeutischen Versorgungsauftrages anzusehen. Damit lägen die Voraussetzungen des § 95 Abs. 6 SGB V, § 27 Zulassungsverordnung-Ärzte (Ärzte-ZV) vor, demzufolge bei Nichtausübung der Vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit eine vollständige oder hälftige Entziehung der Zulassung zu erfolgen habe.

Hiergegen hat die Klägerin am 1. Dezember 2011 Klage beim Sozialgericht Marburg erhoben und vorgetragen, sie habe Patienten in der Vergangenheit zwar behandelt, aber auf Grund der damaligen hohen emotionalen und psychosozialen Belastung zwischen 2004 - 2007 sowie 2008 und 2009 und weil sie keinen passenden und finanziell verkraftbaren Behandlungsraum gefunden habe, keine Anträge für genehmigungspflichtige Leistungen und in der Folge keine Abrechnung erstellt. Sie habe aber jederzeit für Versicherte zur Verfügung gestanden, wenn die sich bei ihr gemeldet hätten. Aktiv aquiriere sie nicht, da ihre Bemühungen, neue Räume zu finden, keinen Erfolg gehabt hätten. Im Zeitraum I/07 bis II/10 habe sie durchschnittlich pro Woche zwischen 9 und 15 Patienten behandelt. Gegenwärtig behandle sie 25 Menschen mit teilweise schweren psychischen, psychiatrischen, psychosozialen und/oder psychosomatischen Erkrankungen. Es handele sich um 16 GKV-Versicherte, darin enthalten seien fünf Fortführungs-/Verlängerungsanträge, die in Arbeit seien, vier Versicherte mit Therapieplatz-Zusage im Antragsverfahren, zwei Versicherte hätten die Kurzzeittherapie erfolgreich abgeschlossen mit der Option einer Wiederaufnahme der Behandlung im Herbst/Winter 2012, falls nötig, zwei GKV-Versicherte seien als Selbstzahler in Langzeitbehandlung und eine privatversicherte Person. Daneben habe sie Anfragen nach probatorischen Sitzungen, die in der Regel innerhalb einer Woche ermöglicht würden.

Der Beklagte hat vorgetragen, alleinige Grundlage seines Beschlusses sei die Feststellung, dass die Klägerin seit dem Quartal I/07 nur noch in einem sehr geringen Umfang einer vertragspsychotherapeutischen Versorgung der Versicherten teilnehme, obwohl sie über einen vollen Versorgungsauftrag verfüge. Die Klägerin räume selbst ein, dass Abrechnungen vorgenommener vertragspsychotherapeutischer Leistungen nicht von ihr vorgenommen worden seien. Tatsächlich seien nur sehr geringe Abrechnungen vorgenommen worden. Die Klägerin bestätige damit selbst den Sachverhalt, der Grundlage seiner Entscheidung sei. Die von der Klägerin genannten Gesichtspunkte hätten - möglicherweise - ein vorübergehendes Ruhen der vertragspsychotherapeutischen Zulassung gerechtfertigt. Ein solches habe sie jedoch zur keiner Zeit beantragt. Auf die Beschwerde einer einzelnen Patientin habe er seine Entscheidung nicht gestützt.

Mit Urteil vom 14. November 2012 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Der angefochtene Beschluss des Beklagten vom 14. September 2011 sei rechtmäßig. Rechtsgrundlage für die Entziehung eines hälftigen Versorgungsauftrags sei § 95 SGB V.

Gegen das ihr am 22. November 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 18. Dezember 2012 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Sie trägt vor, sie genieße Vertrauensschutz, da es sich um einen Fall vor Veröffentlichung des Urteils des BSG vom 17. Oktober 2012 handele. Das Wohlverhalten im Sinne der dauerhaften Wahrnehmung des vollen Versorgungsauftrages sei gegeben. Sie habe persönlich in den Quartalen III/10 bis III/13 an ihrem Vertragspsychotherapeutensitz im Umfang von wöchentlich 20 Stunden in Form von Sprechstunden zur Verfügung gestanden. Es bestehe bei ihr weiterhin ein Antragsüberhang, weshalb es zu Differenzen zur Auflistung der Beigeladenen zu 1) komme, da diese nur die abgerechneten Fälle benenne. Für einen Teil der behandelten Fälle stünden die Anträge zur Kostenübernahme und der Genehmigungen durch die Krankenkassen noch aus. Hierzu legt sie eine Aufstellung der ihrer kalenderwöchentlichen Tätigkeit für die Quartale III/10 bis III/13 vor, aus der sich die erbrachten Behandlungsstunden ergeben die mit "+" gekennzeichnete Stundenzahl bezeichne Ausfallstunden durch krankheitsbedingte Ausfälle der Patienten oder Ausfälle wegen nicht entschuldigten Nichterscheinens. In dieser Zeit habe sie gleichwohl der vertragspsychotherapeutischen Versorgung zur Verfügung gestanden. Im Quartal IV/13 seien neun Patienten mit laufendem Anerkennungsbescheid der GKV in Behandlung. Für eine weitere Patientin sei die Kostenübernahme beantragt. Diese Patienten würden in der Regel wöchentlich zwischen 50 und 60 Minuten behandelt. Weitere 14 Patienten seien in Behandlung, für die noch kein Verlängerungsantrag gestellt worden sei. Eine weitere Behandlung sei abgeschlossen und könne innerhalb von vier Quartalen noch abgerechnet werden, somit stünden bei 13 Patienten ohne Abrechnung in Behandlung. Zwei weitere Patienten seien privat versichert, weitere zwei GKV-versicherte Patienten seien als Selbstzahler in wöchentlicher Behandlung, daneben fänden regelmäßig probatorische Sitzungen statt.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 14. November 2012 und den Beschluss des Beklagten vom 14. September 2011 aufzuheben.

Der Beklagte und die Beigeladene zu 1) beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte nimmt zur Begründung auf die Entscheidungsgründe seiner angefochtenen Entscheidung sowie die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts Marburg in der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug. Ergänzend führt er aus, dass es auf subjektive Gründe für die Nichterfüllung eines Versorgungsauftrages nicht ankomme, entscheidend sei allein der objektive Tatbestand. Der Vortrag, dass die Klägerin nach ihren eigenen Angaben im ersten Quartal 2013 durchschnittlich 21,4 Stunden in direktem Patientenkontakt gestanden habe, sei nach der Rechtsprechung des BSG (B 6 KA 49/11 R) nicht beachtlich, da es sich um ein "Wohlverhalten" nach seiner Entscheidung handele. Maßgeblich sei die Sachlage zum Zeitpunkt der Entscheidung. Auch der nunmehr geltend gemacht Umfang der Tätigkeit belege allenfalls, dass die Klägerin höchstens im Umfang eines hälftigen Versorgungsauftrages tätig sei. Die Berechnung des Tätigkeitsumfangs durch die Klägerin sei allerdings unrichtig, nach den Abrechnungsunterlagen der Beigeladenen zu 1) habe die Klägerin 31 Behandlungsscheine im ersten Quartal 2013 abgerechnet, das abgerechnete Leistungsvolumen habe sich jedoch lediglich auf 11.689 Minuten belaufen. Die zeitbezogene Kapazitätsgrenze eines Quartals bei vollem Versorgungsauftrag habe bei ca. 32.000 Minuten gelegen. Danach habe die Klägerin auch im Quartal I/1013 lediglich 37,5 % eines vollen Versorgungsauftrags erfüllt. Weiterhin beziehe sich die frühere Rechtsprechung des BSG zum Wohlverhalten auf die Zulassungsentziehung wegen gröblicher Verletzung vertragsärztlicher Pflichten, während im Fall der Klägerin allein der geringe Umfang der Teilnahme an der vertragspsychotherapeutischen Versorgung zur hälftigen Zulassungsentziehung geführt habe, weshalb überaus zweifelhaft sei, ob die Wohlverhaltensrechtsprechung auf den vorliegenden Fall Anwendung finden könne. Unabhängig davon könnten für die Feststellung der Umfangs der Teilnahme an der vertragspsychotherapeutischen Versorgung der Versicherten nicht die eigenen Aufzeichnungen der Klägerin maßgeblich sein, sondern allein die von der Beilgeladenen zu 1) vorgenommenen Abrechnungen ihrer Tätigkeit. Danach liege das Abrechnungsvolumen der Klägerin in den Quartalen III/10 bis IV/12 lediglich zwischen 2,3 bis 32,13% der zeitbezogenen Kapazitätsgrenze für psychologische Psychotherapeuten (diese Grenze sei seit I/13 nicht mehr ermittelt worden). Die nach Bundesmantelvertrag-Ärzte geforderte Mindestbehandlungszeit von 20 Stunden pro Woche ergebe bei 13 Wochen pro Quartal eine Summe von 15.600 Minuten für einen vollen Versorgungsauftrag. Diese Werte erreiche die Klägerin in keinem der Quartale II/10 bis III/13; sie sei keineswegs im Umfang eines vollen Versorgungsauftrags tätig geworden, vielmehr liege das abgerechnete Volumen in vielen Quartalen ganz erheblich unter einem hälftigen Versorgungsauftrag.

Die Beigeladene zu 1) schließt sich dem Beklagten vollinhaltlich, insbesondere dahingehend an, dass es für die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit der Entscheidung eines Berufungsausschusses nach der Rechtsprechung des BSG (B 6 KA 49/11 R) stets auf die Sachlage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsausschusses ankommt.

Auf Aufforderung des Senats hat die Beigeladene zu 1) weiterhin folgende Abrechnungswerte der Klägerin mitgeteilt:

Quartal Fallzahl d. Kl. Abgerechnete Leistungen d. Kl. in min Stunden/Woche* Zeitbezogene Kapazitätsgrenze gesamt in min Stunden/Woche*
III/10 9 2.479 3,18 30.410 38,99
IV/10 7 765 0,98 30.477 39,07
I/11 7 1.824 2,34 30.833 39,52
II/11 9 2.268 2,91 30.625 39,26
III/11 7 1.757 2,52 30.638 39,28
IV/11 29 13.134 16,84 30.802 39,49
I/12 17 10.189 13,06 31.131 39,91
II/12 19 8.538 10,95 30.848 39,55
III/12 22 8.367 10,73 31.138 39,92
IV/12 23 9.762 12,52 31.113 39,89
*nach Berechnung des Senats

Die übrigen Beigeladenen haben sich nicht eingelassen und stellen keinen Antrag.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das Urteil des Sozialgerichts ist rechtlich nicht zu beanstanden. Zutreffend hat es entschieden, dass der Beschluss des Beklagten vom 14. September 2011 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt.

Rechtsgrundlage für die angefochtene Entscheidung des Beklagten ist § 95 Abs. 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), wonach die Zulassung zu entziehen ist, wenn ihre Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen, der Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit nicht aufnimmt oder nicht mehr ausübt oder seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Der Zulassungsausschuss kann in diesen Fällen statt einer vollständigen auch eine hälftige Entziehung der Zulassung beschließen.

Abzustellen ist dabei grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten vom 14. September 2011. Für die Frage der Rechtmäßigkeit der hier streitgegenständlichen hälftigen Zulassungsentziehung kommt es nicht auf den Umfang der danach erfolgten vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit der Klägerin an (vgl. BSG, Urteil vom 17. Oktober 2011, B 6 KA 49/11 R). Maßgeblich ist vielmehr, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten die Voraussetzungen für die Entziehung der Zulassung gem. § 95 Abs.6 SGB V vorlagen.

Von einer Ausübung der Tätigkeit kann dann nicht mehr ausgegangen werden, wenn der Arzt/Psychotherapeut nicht mehr den Willen oder die Möglichkeit zur kontinuierlichen Teilnahme an der Versorgung hat. Dies dokumentiert sich insbesondere darin, dass der Vertragsarzt die ihm obliegenden Hauptpflichten wie Behandlung der Versicherten, Abhalten und Anbieten von Sprechstunden, sowie Bestellung eines Vertreters bei Abwesenheit über einer Woche nicht mehr erfüllt. So genügt es für die Annahme der Ausübung nicht, dass der Vertragsarzt noch in geringem Umfang Verordnungen und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausstellt. Diese Kriterien gelten grundsätzlich auch für Vertragspsychotherapeuten; da diese aber regelmäßig keine offene Sprechstunde abhalten, sondern ausschließlich eine Bestellpraxis betreiben und auch nicht an Notfalldiensten teilnehmen, sind an die Verfügbarkeit in der eigenen Praxis außerhalb der vereinbarten Behandlungstermine keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Es muss eine mehr als zwanzigstündige wöchentliche Verfügbarkeit in eigener Praxis gefordert werden. Die vertragsärztliche Tätigkeit muss zweifelsfrei den Hauptberuf ausmachen bzw. das Schwergewicht der beruflichen Tätigkeit bilden und ihr das Gepräge geben (Pawlita in: jurisPK-SGB V, § 95 RdNr. 617 unter Hinweis auf LSG Baden-Württemberg vom 13. Oktober 2004, L 5 KA 4212/03)

Die Klägerin hat nach den von der Beigeladenen zu 1) vorgelegten statistischen Auswertungen einen vollen Versorgungsauftrag bereits seit dem Quartal I/07 nicht mehr erfüllt. Danach hat die Klägerin seit dem Quartal I/07 bis zum Quartal III/11 regelmäßig deutlich unter 10 % der vertragspsychotherapeutischen Leistungen abgerechnet, die im Rahmen der Kapazitätsgrenzen einer vertragspsychotherapeutischen Vollzeittätigkeit möglich gewesen wären, mit Ausnahme des Quartals II/09 und des Quartals IV/09, in denen sie mit 4:13 h und 14:22 h jedoch noch immer deutlich unter einer Wochenstundenzahl von 20 zurück geblieben ist. Von einer Teilnahme an der vertragspsychotherapeutischen Versorgung in nennenswertem Umfang ist damit nicht mehr auszugehen (vgl. insoweit LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. März 2006, L 5 KA 3995/04). In praktisch allen Quartalen seit dem Quartal I/07 bis zum Erlass des streitgegenständlichen Beschlusses im Quartal III/11 hat die Klägerin deutlich unter fünf Stunden psychotherapeutischer Tätigkeit gegenüber der Beigeladenen zu 1) abgerechnet. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang immer wieder vorträgt, dass sie Privatpatienten behandelt habe sowie gesetzlich versicherte Patienten als Selbstzahler und dass es bei ihr einen erheblichen Rückstand hinsichtlich der Beantragung der genehmigungspflichtigen Leistungen gegeben habe, so ist zunächst festzuhalten, dass es gem. § 95 Abs. 6 SGB V auf die Ausübung gerade der vertragsärztlichen – bzw. hier vertragspsychotherapeutischen – Tätigkeit ankommt, weshalb es auf die privat abgerechnete berufliche Tätigkeit der Klägerin nicht ankommen kann, da sie diese unabhängig von einer Zulassung im Sinne von § 95 SGB V ausüben könnte. Auf die behaupteten zugunsten gesetzliche Versicherter erbrachten Leistungen, die wegen fehlender (weil nicht beantragter) Genehmigungen nicht zur Abrechnung gekommen seien, kann ebenso wenig abgestellt werden, weil bei genehmigungsbedürftigen Leistungen die Genehmigung Voraussetzung zur vertragspsychotherapeutischen Leistungserbringung ist. Soweit Anträge in erheblichem Umfang zwischenzeitlich im Genehmigungsverfahren gewesen sein sollten – wie die Klägerin verschiedentlich dargetan hat – müssten die entsprechenden Leistungen innerhalb des entscheidungserheblichen Zeitraums von fast 5 Jahren nach der Genehmigung der Therapien ihren Niederschlag in der Abrechnung gefunden haben, was aber erkennbar nicht zu einer Ausweitung der vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit der Klägerin geführt hat.

Selbst wenn man weiterhin zu Gunsten Klägerin von einer über die abgerechnete Zeit hinausgehenden Präsenz in der Praxis - sowie einem gewissen Zeitaufwand für die Dokumentation der abgerechneten Fälle ausgehen könnte (vgl. BSG Urteil vom 13. Oktober 2010, B 6 KA 40/09, juris RdNr. 21), ist nicht anzunehmen, dass ein Umfang von 10 Wochenstunden oder mehr erreicht wurde. Selbst gemessen an den seit dem 1. Juli 2007 geltenden Regelungen des § 17 Abs. 1a BMV-Ä (bekanntgemacht im DÄ vom 8. Juni 2007, A 445, 1689) bzw. des § 13 Abs. 7a EKV-Ä (bekanntgemacht im DÄ vom 8. Juni 2007, A 1691, 1694), wonach der sich aus der Zulassung ergebende Versorgungsauftrag dadurch zu erfüllen ist, dass der Vertragsarzt an seinem Vertragsarztsitz persönlich im Umfang von wöchentlich 20 Stunden in Form von Sprechstunden zur Verfügung steht (Satz 1) und für den halben Versorgungsauftrag im Umfang von 10 Stunden (Satz 2), ist allenfalls von der Erfüllung eines hälftigen Versorgungsauftrags auszugehen.

Die vorgenommene Entziehung des hälftigen Versorgungsauftrags durch den angefochtenen Beschluss des Beklagten ist daher nicht zu beanstanden.

Die Klägerin genießt darüber hinaus keinen Vertrauensschutz in die sog. "Wohlverhaltensrechtsprechung" des 6. Senats des BSG, wonach maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachgericht, d.h. vor dem erkennenden Senat abzustellen ist, und die noch anzuwenden ist auf alle Verfahren, in denen – wie hier – bereits vor Veröffentlichung des Urteils vom 17. Oktober 2012 (Az.: B 6 KA 49/11 R) eine Entscheidung des Berufungsausschusses ergangen ist und die Berücksichtigung von Wohlverhalten im Hinblick auf die Dauer des gerichtlichen Verfahrens in Betracht kommt. Denn die "Wohlverhaltensrechtsprechung" des BSG ist erkennbar für die Fallgruppe der Zulassungsentziehung bei gröblicher Pflichtverletzung entwickelt worden, bei der Grund für die Zulassungsentziehung die aufgrund der schweren Pflichtverletzung gegebenen Unzumutbarkeit der Fortsetzung des vertragsärztlichen bzw. vertragspsychotherapeutischen Verhältnisses ist, wenn und soweit durch eine mehrjährige Bewährungsphase die vertragsärztliche/vertragspsychotherapeutische Tätigkeit wegen der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage fortgesetzt werden konnte und das Wohlverhalten des Vertragsarztes/-psychotherapeuten eine sichere Prognose für ein zukünftiges pflichtentreues Verhalten zulässt, wodurch sich die Zulassungsentziehung im Lichte von Art. 12 Abs. 1 GG als unverhältnismäßig darstellen können sollte (vgl. zusammenfassend zu den Erwägungen des BSG, die zu dieser Rechtsprechung führten: BSG, Urteil vom 17. Oktober 2012, B 6 KA 49/11 R; vgl. auch BSG, Urteil vom 20. Oktober 2004, B 6 KA 67/03 R). Diese Möglichkeit der Bewährung für den Vertragsarzt ergab sich im Hinblick auf die nach der älteren Rechtsprechung erschwerten Möglichkeiten der Wiederzulassung als Ausnahme von dem Regelfall, dass auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsausschuss abzustellen ist. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte verbietet sich daher nach Auffassung des Senats die Ausdehnung des Vertrauensschutzes auf die hier vorliegende Fallgestaltung der Nichtausübung der vertragsärztlichen/vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit, bei der Aspekte des Wohlverhaltens nach den von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien (Mitwirkung an der Aufklärung, Schadenswiedergutmachung) keine Rolle spielen.

Selbst wenn die Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit als Unterfall der gröblichen Pflichtverletzung gewertet werden könnte (offengelassen: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. März 2006, L 5 KA 3995/04), wogegen schon die ausdrückliche Benennung dieses Entziehungsgrundes in § 95 Abs. 6 SGB V und die Reihenfolge der genannten Entziehungsgründe spricht, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Nach der Rechtsprechung beträgt die Bewährungszeit im Regelfall ca. fünf Jahre ab der Verhandlung des Berufungsausschusses, in der aufgrund des Wohlverhaltens ein künftig rechtmäßiges Verhalten prognostiziert werden kann. Dies muss zweifelsfrei feststehen; jeder ernstliche Zweifel, dass eine Verhaltensbesserung eingetreten ist, führt zur Verneinung von Wohlverhalten (BSG, Beschluss vom 27. Juni 2007 – B 6 KA 20/07 B). Bereits die regelmäßig verlangte Wohlverhaltensphase von fünf Jahren seit der Verhandlung des Berufungsausschusses ist noch nicht abgelaufen, so dass fraglich ist, ob aufgrund der seither verstrichenen 10 Quartale bereits eine hinreichend zuverlässige Prognose für eine zukünftige Ausübung der vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit im Umfang eines vollen Versorgungsauftrags getroffen werden kann. Darüber hinaus sprechen die Abrechnungsdaten seit dem Quartal IV/11 - worauf der Beklagte nicht zu Unrecht hinweist - eher für eine Tätigkeit im Umfang eines - der Klägerin auch belassenen - halben Versorgungsauftrags.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i. V. m. §§ 154 Abs. 1 und 2, 162 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
Saved