Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 3 KR 70/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 177/10
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Beklagten vom 15.02.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2008 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Kosten der Behandlung mit dem Arzneimittel Leukonorm in Höhe von 5.137,00 EUR zu erstatten. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Kostenerstattung für das Arzneimittel Leukonorm.
Leukonorm hat kein Arzneimittelzulassungsverfahren durchlaufen und hatte deshalb eine befristete Zulassung, die einer Verlängerung bedurfte. Mit Bescheid vom 22.12.2006 wurde die Verlängerung der Zulassung durch das Paul-Ehrlich-Institut, Bundesamt für Sera und Impfstoffe, abgelehnt. Die vom Hersteller hiergegen gerichtete Klage ist vor dem Verwaltungsgericht Darmstatt (3 E 15/07) anhängig. Aufgrund der aufschiebenden Wirkung der Klage war Leukonorm jedoch weiter verkehrsfähig. Die Verkehrsfähigkeit endete jedoch, nachdem das Paul-Ehrlich-Institut am 08.09.2008 die sofortige Vollziehung des Nachzulassungsbescheides anordnete.
Die 1969 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Im Zentrum für Kinderwunschbehandlung und Pränatale Medizin in N wurden bei der Klägerin und ihrem Ehemann in den Jahren 2002 bis 2005 9 Behandlungen mittels In-Vitro-Fertilsation (IVF) durchgeführt. Dabei kam es zu 3 Aborten (Fehlgeburten). Im August 2006 und Dezember 2006 kam es zu 2 Spontanaborten. Im April 2007 wurde die Klägerin schwanger. Ihr wurde auf Kassenrezept Leukonorm verordnet. In der 13. Schwangerschaftswoche wurde beim ungeborenen Kind Trisomie 21 festgestellt und die Schwangerschaft daraufhin abgebrochen.
Ende 2007 wurde erneut eine Schwangerschaft bei der Klägerin festgestellt. Auf Anraten ihres behandelnden Arztes wurde sofort die Anwendung von Leukonorm wieder aufgenommen, um das Abortrisiko zu minimieren. Die Klägerin wandte sich Anfang des Jahres 2008 an die Beklagte und bat um Entscheidung darüber, ob die Kosten für eine Behandlung mit Leukonorm übernommen werden könnten. Anfang Januar 2008 kaufte die Klägerin 10 Ampullen des streitigen Arzneimittels und zahlte hierfür 3.900,00 EUR. Weitere 3 Ampullen erwarb die Klägerin Anfang Februar 2008 und zahlte hierfür 1.237,00 EUR.
Am 10.02.2008 lehnte eine Mitarbeiterin der Beklagten den Kostenübernahmeantrag der Klägerin mündlich ab. Diese Entscheidung bestätigte die Beklagte mit Bescheid vom 15.02.2008 und begründete sie damit, Leukonorm könne nicht mehr zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnet werden.
Hiergegen hat die Klägerin Widerspruch eingelegt. Sie macht geltend, ohne die Einnahme von Leukonorm wäre das Leben ihres ungeborenen Kindes gefährdet. Andere Behandlungsalternativen zur Vermeidung eines Aborts existierten nicht.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22.04.2008 als unbegründet zurück.
Am 21.05.2008 hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt.
Am 00.09.2008 hat die Klägerin ein gesundes Kind geboren.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.02.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2008 zu verurteilen, ihr die Kosten für das Arzneimittel Leukonorm in Höhe von 5.137,00 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide und rügt, dass die Klägerin den Beschaffungsweg nicht eingehalten habe.
Dr. N1 vom Zentrum für Kinderwunschbehandlung und Pränatale Medizin in N teilte auf Anfrage des Gerichts folgendes mit: Bei der Klägerin seien sämtliche Abortursachen nach der Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften ausgeschlossen (chromosomale Störungen, anatomische Auffälligkeiten, thrombophile Störungen, sowie die umstrittene Impfung mit Partnerlymphozyten). Dr. N1 überreichte des Weiteren eine Stellungnahme von Frau Dr. S vom 06.09.2006. Dort heißt es: "Da die aktive Immuntherapie nicht zum gewünschten Austragen der Schwangerschaft geführt hat, würde ich der Folge, auch unter Berücksichtigung der autoimmunen Situation bei erneutem Eintritt der Schwangerschaft zur Behandlung mit Leukonorm raten. Unmittelbar nach Erhebung eines positiven Schwangerschaftstestes sollte mit der Behandlung begonnen werden mit zunächst 5 Einheiten Leukonorm aller drei Tage bis zum Nachweis von Vitalitätszeichen. Danach kann die Behandlung auf einmal wöchentlich reduziert werden, sollte dann aber bis zur 16. - 18. SSW beibehalten werden."
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 15.02.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2008 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf Kostenerstattung für die Behandlung mit dem Arzneimittel Leukonorm in Höhe von 5.137,00 EUR.
Anspruchsgrundlage ist § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind hierdurch dem Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
Vorliegend hat sich die Klägerin das Arzneimittel Leukonorm auf eigene Kosten beschafft, bevor die Beklagte über einen Kostenübernahmeanspruch entschieden hat. Sie ist damit von dem im SGB V grundsätzlich vorgesehenen Naturalleistungssystem (vgl. § 2 Abs. 2 SGB V) abgewichen. Die Nichteinhaltung des so genannten Beschaffungsweges schließt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) einen Kostenerstattungsanspruch nach der 2. Alternative des § 13 Abs. 3 SGB V ("Leistungen zu Unrecht abgelehnt") aus (vgl. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 11). Der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin ergibt sich jedoch vorliegend aus der Regelung in § 13 Abs. 3 1. Alternative SGB V. Danach sind die Kosten für eine selbst beschaffte Leistung von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte. Ein Fall der Unaufschiebbarkeit liegt hier vor. Unaufschiebbare Leistungen sind Notfälle im Sinne des § 76 Abs. 1 S. 2 SGB V und andere dringliche Bedarfslagen. Der übliche Beschaffungsweg muss bei Notfällen daher mit einer für den Berechtigten unvermeidbaren Verzögerung, d. h. mit medizinischen Risiken, nicht unbedingt aber Lebensgefahr, verbunden sein, der die Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit oder die Besserung des Gesundheitszustandes gefährden könnte, so dass es für den Versicherten nicht möglich oder unzumutbar ist, sich vor der Leistungsverschaffung mit der Krankenkasse in Verbindung zu setzen (vgl. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 22). Dies ist vor allem dann anzunehmen, wenn ein zur Lebenserhaltung notwendiger akuter Behandlungsbedarf besteht (vgl. BSG, Urteil vom 27.03.2007, B 1 KR 17/06 R; SGb 2007, 287). Ein solcher dringlicher Behandlungsbedarf bestand vorliegend. Ohne die sofortige Anwendung des Arzneimittels Leukonorm nach Feststellung der Schwangerschaft drohte bei der Klägerin der Eintritt einer Fehlgeburt. Dies machte es der Klägerin unzumutbar, vor der Selbstbeschaffung des Arzneimittels Leukonorm auf die Entscheidung der Beklagten bezüglich der Kostenübernahme zu warten.
Der Kostenerstattungsanspruch gemäß § 13 Abs. 3 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch. Er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 1). Nach der Rechtsprechung des BSG fehlt es an einer krankenversicherungsrechtlichen Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (vgl. § 2 Abs. 1 S. 1, § 12 Abs. 1 SGB V) speziell einer Arzneimitteltherapie, wenn das verwendete Mittel nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf und diese Zulassung nicht erteilt worden ist (vgl. BSG SozR 3-2500 § 31 Nr. 8). Diese Grundsätze finden auch dann Anwendung, wenn eine abschlägige Zulassungsentscheidung bei Verabreichung des Präparates noch nicht bestandskräftig ist; denn dann gebietet der Gesichtspunkt der Gewährleistung optimaler Arzneimittelsicherheit gleichermaßen, dass Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit im Sinne von § 1 Arzneimittelgesetz (AMG), d. h. die Einhaltung der Mindestsicherheits- und Qualitätsstandards, im einem dafür vorgesehenen Verfahren nachgewiesen worden sind (vgl. BSG SozR 3-2500 § 31 Nr. 5). Das Arzneimittel Leukonorm durfte Anfang des Jahres 2008 arzneimittelrechtlich in den Verkehr gebracht werden. Dies beruhte darauf, dass der Hersteller vor dem Verwaltungsgericht Darmstatt Klage gegen den Bescheid des Paul-Ehrlich-Institutes vom 22.12.2006 erhob, die aufschiebende Wirkung hatte. Die arzneimittelrechtliche Verkehrsfähigkeit von Leukonorm bewirkte jedoch keine Leistungspflicht der beklagten Krankenkasse. Denn die Verkehrsfähigkeit beruhte nur auf der Klageerhebung des Arzneimittelherstellers gegen die Versagung der Verlängerung der Zulassung und der damit einhergehenden verfahrensrechtlichen Position, es als Alt-Arzneimittel ohne hinreichend gesicherte Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit weiterhin in Verkehr bringen zu dürfen. Der Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln setzt nach dem SGB V mehr voraus, als die bloße Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels nach dem Arzneimittelrecht. Eine Leistungsverpflichtung der GKV besteht deshalb für im Nachzulassungsverfahren befindliche Alt-Arzneimittel grundsätzlich nicht (vgl. BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 3). Gemäß § 105 Abs. 3 AMG wäre für Leukonorm ohne einen Verlängerungsantrag die Zulassung erloschen; durch den Beschluss des Paul-Ehrlich-Instituts vom 22.12.2006 wurde der Nachzulassungs-Status versagt und Leukonorm war gemäß § 21 AMG nicht mehr zugelassen.
Der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin begründet sich jedoch aus einer verfassungskonformen Erweiterung des Leistungskatalogs der GKV. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25) ist es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht vereinbar, eine gesetzlich Krankenversicherte, für deren lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihr gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Nach der hieran anschließenden Rechtsprechung des BSG gilt die verfassungsrechtliche Konkretisierung der Leistungsansprüche von Versicherten der GKV bei lebensbedrohenden, tödlich verlaufenden Erkrankungen entsprechend dieser Rechtsprechung des BVerfG sinngemäß auch für die Versorgung mit Arzneimitteln (vgl. BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 4, 5). Eine verfassungskonforme Auslegung leistungsbeschränkender Vorschriften des SGB V kann zur Folge haben, dass im Rahmen der Anspruchsvoraussetzungen von § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 und § 31 Abs. 1 S. 1 SGB V Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit ausnahmsweise bejaht werden müssen, obwohl ein Mittel bzw. eine Behandlungsmethode an sich von der Versorgung zu Lasten der GKV ausgeschlossen ist. Die verfassungskonforme Auslegung setzt jedoch u. a. voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt (vgl. BSG SozR 4-2500 § 13 Nr. 16).
Hier liegt bei der Klägerin unstreitig keine lebensbedrohliche oder tödlich verlaufende Erkrankung vor. Ebenso unstreitig ist es zwischen den Beteiligten aber auch, dass durch die Erkrankung der Klägerin akute Lebensgefahr für ihr ungeborenes Kind bestand. Aufgrund der Immunerkrankung hat die Klägerin nach Angaben ihrer behandelnden Ärzte zwischen 2002 und 2006 5 Fehlgeburten erlitten. Bei Eintritt der Schwangerschaft Ende des Jahres 2007 bestand für die Klägerin die akute Gefahr, dass es erneut zu einem Abort kommen würde.
Das ungeborene Kind der Klägerin steht als selbständiges Rechtsgut unter dem Schutz der Verfassung (Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 1 Abs. 1 GG). Nach der Rechtsprechung des BVerfG enthalten die Grundrechtsnormen nicht nur subjektive Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat, sondern sie verkörpern zugleich eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt und Richtlinien und Impulse für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gibt. Die Schutzpflicht des Staates ist umfassend. Sie verbietet nicht nur unmittelbare staatliche Eingriffe in das sich entwickelnde Leben, sondern gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen (vgl. BVerfGE 39, 1 - 95). Das Sozialstaatsprinzip verlangt staatliche Vorsorge und Fürsorge für Einzelne oder für Gruppen der Gesellschaft, die aufgrund persönlicher Lebensumstände oder gesellschaftlicher Benachteiligung in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung behindert sind (vgl. BVerfGE 35, 202). Die Einbeziehung des in Lebensgefahr schwebenden ungeborenen Kindes einer Versicherten in den Schutzbereich der GKV ist hiernach geboten. Aufgrund der natürlichen Einheit von Mutter und Kind besteht auch bei Vorliegen einer nicht tödlich verlaufenden Erkrankung der Mutter und dadurch bedingter Lebensgefahr für das ungeborene Kind das Bedürfnis für eine verfassungskonforme Ausweitung des Leistungsumfangs der GKV (vgl. für den Bereich der Unfallversicherung: BVerfGE 45, 376 - 393).
Vom Leistungskatalog der GKV umfasste Behandlungsalternativen bestanden nicht.
Die vom Versicherten gewählte Behandlungsmethode muss auf eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf versprechen (vgl. BVerfGE 115, 25). Der Arzt muss insofern eine "gewissenhafte fachliche Einschätzung" vornehmen, die ernsthafte Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Erfolg auf Heilung oder auch nur auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im konkreten Fall gibt. Die Bestimmung, ob eine Methode einen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf verspricht, richtet sich danach, ob ernsthafte Hinweise auf einen solchen positiven Einfluss vorliegen. Diese ernsthaften Hinweise können sich nach der Einschätzung des BVerfG bei einer länger andauernden Behandlung aus den Erfahrungen mit den konkreten Versicherten und Patienten, aber auch aus Erfahrungen mit anderen Patienten und aus der wissenschaftlichen Diskussion ergeben. Daraus hat das BSG auf zwei Voraussetzungen geschlossen, die kumulativ vorliegen müssen, um einen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf erwarten zu lassen (vgl. BSG Urteil vom 26.09.2006, B 1 KR 24/06 R). Zunächst muss der positive Einfluss wahrscheinlich sein. Je schwerwiegender die Erkrankung und hoffnungsloser die Situation, desto geringere Anforderungen sind an den "ernsthaften Hinweis" auf ein nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg zu stellen (vgl. BSG, Urteil vom 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R). Je akuter die Lebensbedrohung ist, desto eher kommt ein geringerer Nachweis in Betracht. Vorliegend ist dieser Nachweis erbracht. Dr. N1 führte in seinem Befundbericht vom 24.10.2008 aus, dass Leukonorm von vielen namhaften Experten eingesetzt werde. Im Rahmen der Schwangerschaft der Klägerin im April 2007 wurde durch den Einsatz von Leukonorm ein Abort bis zur 13. Schwangerschaftswoche verhindert. Auch im Rahmen der zweiten, hier streitigen Anwendung von Leukonorm kam es nicht zur Fehlgeburt. Da nach den Ausführungen von Dr. N1 sämtliche anderen Abortursachen ausgeschlossen wurden, reicht dies als Hinweis auf einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg mit Leukonorm. Die 2. Voraussetzung, die das BSG aufgestellt hat, ist eine Nutzen-Risiko-Abwägung. Die Anwendung der vom Versicherten angestrebten Behandlung und der von ihr erwartete Nutzen (Behandlungsziel) müssen vor dem Hintergrund der zu erwartenden Nebenwirkungen vertretbar sein. Auch diese Voraussetzung ist nach der Auffassung der Kammer hier erfüllt. Eine Nutzen-Risiko-Abwägung ergeht hier zu Gunsten der Klägerin. Unkalkulierbare Nebenwirkungen waren durch die Anwendung von Leukonorm Anfang des Jahres 2008 nicht zu erwarten. Das Paul-Ehrlich-Institut hatte Ende 2006 von der Anordnung der sofortigen Vollziehung abgesehen, weil an der Qualität und Unbedenklichkeit von Leukonorm aufgrund der Nachzulassungsunterlagen bis dato keine Zweifel bestanden haben. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch den Bescheid vom 08.09.2008 erfolgte mit der Begründung, es seien schwere Mängel festgestellt worden, die die Grundsätze über die gute Herstellungspraxis für Arzneimittel betreffen. Für konkrete gesundheitliche Gefahren für Versicherte lagen offensichtlich keine Anhaltspunkte vor.
Die Klägerin hat Kosten für die Beschaffung von Leukonorm in Höhe von 5.137,00 EUR aufwenden müssen. Diese Kosten sind von der Beklagten zu erstatten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Kostenerstattung für das Arzneimittel Leukonorm.
Leukonorm hat kein Arzneimittelzulassungsverfahren durchlaufen und hatte deshalb eine befristete Zulassung, die einer Verlängerung bedurfte. Mit Bescheid vom 22.12.2006 wurde die Verlängerung der Zulassung durch das Paul-Ehrlich-Institut, Bundesamt für Sera und Impfstoffe, abgelehnt. Die vom Hersteller hiergegen gerichtete Klage ist vor dem Verwaltungsgericht Darmstatt (3 E 15/07) anhängig. Aufgrund der aufschiebenden Wirkung der Klage war Leukonorm jedoch weiter verkehrsfähig. Die Verkehrsfähigkeit endete jedoch, nachdem das Paul-Ehrlich-Institut am 08.09.2008 die sofortige Vollziehung des Nachzulassungsbescheides anordnete.
Die 1969 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Im Zentrum für Kinderwunschbehandlung und Pränatale Medizin in N wurden bei der Klägerin und ihrem Ehemann in den Jahren 2002 bis 2005 9 Behandlungen mittels In-Vitro-Fertilsation (IVF) durchgeführt. Dabei kam es zu 3 Aborten (Fehlgeburten). Im August 2006 und Dezember 2006 kam es zu 2 Spontanaborten. Im April 2007 wurde die Klägerin schwanger. Ihr wurde auf Kassenrezept Leukonorm verordnet. In der 13. Schwangerschaftswoche wurde beim ungeborenen Kind Trisomie 21 festgestellt und die Schwangerschaft daraufhin abgebrochen.
Ende 2007 wurde erneut eine Schwangerschaft bei der Klägerin festgestellt. Auf Anraten ihres behandelnden Arztes wurde sofort die Anwendung von Leukonorm wieder aufgenommen, um das Abortrisiko zu minimieren. Die Klägerin wandte sich Anfang des Jahres 2008 an die Beklagte und bat um Entscheidung darüber, ob die Kosten für eine Behandlung mit Leukonorm übernommen werden könnten. Anfang Januar 2008 kaufte die Klägerin 10 Ampullen des streitigen Arzneimittels und zahlte hierfür 3.900,00 EUR. Weitere 3 Ampullen erwarb die Klägerin Anfang Februar 2008 und zahlte hierfür 1.237,00 EUR.
Am 10.02.2008 lehnte eine Mitarbeiterin der Beklagten den Kostenübernahmeantrag der Klägerin mündlich ab. Diese Entscheidung bestätigte die Beklagte mit Bescheid vom 15.02.2008 und begründete sie damit, Leukonorm könne nicht mehr zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnet werden.
Hiergegen hat die Klägerin Widerspruch eingelegt. Sie macht geltend, ohne die Einnahme von Leukonorm wäre das Leben ihres ungeborenen Kindes gefährdet. Andere Behandlungsalternativen zur Vermeidung eines Aborts existierten nicht.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22.04.2008 als unbegründet zurück.
Am 21.05.2008 hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt.
Am 00.09.2008 hat die Klägerin ein gesundes Kind geboren.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.02.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2008 zu verurteilen, ihr die Kosten für das Arzneimittel Leukonorm in Höhe von 5.137,00 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide und rügt, dass die Klägerin den Beschaffungsweg nicht eingehalten habe.
Dr. N1 vom Zentrum für Kinderwunschbehandlung und Pränatale Medizin in N teilte auf Anfrage des Gerichts folgendes mit: Bei der Klägerin seien sämtliche Abortursachen nach der Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften ausgeschlossen (chromosomale Störungen, anatomische Auffälligkeiten, thrombophile Störungen, sowie die umstrittene Impfung mit Partnerlymphozyten). Dr. N1 überreichte des Weiteren eine Stellungnahme von Frau Dr. S vom 06.09.2006. Dort heißt es: "Da die aktive Immuntherapie nicht zum gewünschten Austragen der Schwangerschaft geführt hat, würde ich der Folge, auch unter Berücksichtigung der autoimmunen Situation bei erneutem Eintritt der Schwangerschaft zur Behandlung mit Leukonorm raten. Unmittelbar nach Erhebung eines positiven Schwangerschaftstestes sollte mit der Behandlung begonnen werden mit zunächst 5 Einheiten Leukonorm aller drei Tage bis zum Nachweis von Vitalitätszeichen. Danach kann die Behandlung auf einmal wöchentlich reduziert werden, sollte dann aber bis zur 16. - 18. SSW beibehalten werden."
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 15.02.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2008 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf Kostenerstattung für die Behandlung mit dem Arzneimittel Leukonorm in Höhe von 5.137,00 EUR.
Anspruchsgrundlage ist § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind hierdurch dem Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
Vorliegend hat sich die Klägerin das Arzneimittel Leukonorm auf eigene Kosten beschafft, bevor die Beklagte über einen Kostenübernahmeanspruch entschieden hat. Sie ist damit von dem im SGB V grundsätzlich vorgesehenen Naturalleistungssystem (vgl. § 2 Abs. 2 SGB V) abgewichen. Die Nichteinhaltung des so genannten Beschaffungsweges schließt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) einen Kostenerstattungsanspruch nach der 2. Alternative des § 13 Abs. 3 SGB V ("Leistungen zu Unrecht abgelehnt") aus (vgl. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 11). Der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin ergibt sich jedoch vorliegend aus der Regelung in § 13 Abs. 3 1. Alternative SGB V. Danach sind die Kosten für eine selbst beschaffte Leistung von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte. Ein Fall der Unaufschiebbarkeit liegt hier vor. Unaufschiebbare Leistungen sind Notfälle im Sinne des § 76 Abs. 1 S. 2 SGB V und andere dringliche Bedarfslagen. Der übliche Beschaffungsweg muss bei Notfällen daher mit einer für den Berechtigten unvermeidbaren Verzögerung, d. h. mit medizinischen Risiken, nicht unbedingt aber Lebensgefahr, verbunden sein, der die Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit oder die Besserung des Gesundheitszustandes gefährden könnte, so dass es für den Versicherten nicht möglich oder unzumutbar ist, sich vor der Leistungsverschaffung mit der Krankenkasse in Verbindung zu setzen (vgl. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 22). Dies ist vor allem dann anzunehmen, wenn ein zur Lebenserhaltung notwendiger akuter Behandlungsbedarf besteht (vgl. BSG, Urteil vom 27.03.2007, B 1 KR 17/06 R; SGb 2007, 287). Ein solcher dringlicher Behandlungsbedarf bestand vorliegend. Ohne die sofortige Anwendung des Arzneimittels Leukonorm nach Feststellung der Schwangerschaft drohte bei der Klägerin der Eintritt einer Fehlgeburt. Dies machte es der Klägerin unzumutbar, vor der Selbstbeschaffung des Arzneimittels Leukonorm auf die Entscheidung der Beklagten bezüglich der Kostenübernahme zu warten.
Der Kostenerstattungsanspruch gemäß § 13 Abs. 3 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch. Er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 1). Nach der Rechtsprechung des BSG fehlt es an einer krankenversicherungsrechtlichen Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (vgl. § 2 Abs. 1 S. 1, § 12 Abs. 1 SGB V) speziell einer Arzneimitteltherapie, wenn das verwendete Mittel nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf und diese Zulassung nicht erteilt worden ist (vgl. BSG SozR 3-2500 § 31 Nr. 8). Diese Grundsätze finden auch dann Anwendung, wenn eine abschlägige Zulassungsentscheidung bei Verabreichung des Präparates noch nicht bestandskräftig ist; denn dann gebietet der Gesichtspunkt der Gewährleistung optimaler Arzneimittelsicherheit gleichermaßen, dass Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit im Sinne von § 1 Arzneimittelgesetz (AMG), d. h. die Einhaltung der Mindestsicherheits- und Qualitätsstandards, im einem dafür vorgesehenen Verfahren nachgewiesen worden sind (vgl. BSG SozR 3-2500 § 31 Nr. 5). Das Arzneimittel Leukonorm durfte Anfang des Jahres 2008 arzneimittelrechtlich in den Verkehr gebracht werden. Dies beruhte darauf, dass der Hersteller vor dem Verwaltungsgericht Darmstatt Klage gegen den Bescheid des Paul-Ehrlich-Institutes vom 22.12.2006 erhob, die aufschiebende Wirkung hatte. Die arzneimittelrechtliche Verkehrsfähigkeit von Leukonorm bewirkte jedoch keine Leistungspflicht der beklagten Krankenkasse. Denn die Verkehrsfähigkeit beruhte nur auf der Klageerhebung des Arzneimittelherstellers gegen die Versagung der Verlängerung der Zulassung und der damit einhergehenden verfahrensrechtlichen Position, es als Alt-Arzneimittel ohne hinreichend gesicherte Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit weiterhin in Verkehr bringen zu dürfen. Der Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln setzt nach dem SGB V mehr voraus, als die bloße Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels nach dem Arzneimittelrecht. Eine Leistungsverpflichtung der GKV besteht deshalb für im Nachzulassungsverfahren befindliche Alt-Arzneimittel grundsätzlich nicht (vgl. BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 3). Gemäß § 105 Abs. 3 AMG wäre für Leukonorm ohne einen Verlängerungsantrag die Zulassung erloschen; durch den Beschluss des Paul-Ehrlich-Instituts vom 22.12.2006 wurde der Nachzulassungs-Status versagt und Leukonorm war gemäß § 21 AMG nicht mehr zugelassen.
Der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin begründet sich jedoch aus einer verfassungskonformen Erweiterung des Leistungskatalogs der GKV. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25) ist es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht vereinbar, eine gesetzlich Krankenversicherte, für deren lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihr gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Nach der hieran anschließenden Rechtsprechung des BSG gilt die verfassungsrechtliche Konkretisierung der Leistungsansprüche von Versicherten der GKV bei lebensbedrohenden, tödlich verlaufenden Erkrankungen entsprechend dieser Rechtsprechung des BVerfG sinngemäß auch für die Versorgung mit Arzneimitteln (vgl. BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 4, 5). Eine verfassungskonforme Auslegung leistungsbeschränkender Vorschriften des SGB V kann zur Folge haben, dass im Rahmen der Anspruchsvoraussetzungen von § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 und § 31 Abs. 1 S. 1 SGB V Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit ausnahmsweise bejaht werden müssen, obwohl ein Mittel bzw. eine Behandlungsmethode an sich von der Versorgung zu Lasten der GKV ausgeschlossen ist. Die verfassungskonforme Auslegung setzt jedoch u. a. voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt (vgl. BSG SozR 4-2500 § 13 Nr. 16).
Hier liegt bei der Klägerin unstreitig keine lebensbedrohliche oder tödlich verlaufende Erkrankung vor. Ebenso unstreitig ist es zwischen den Beteiligten aber auch, dass durch die Erkrankung der Klägerin akute Lebensgefahr für ihr ungeborenes Kind bestand. Aufgrund der Immunerkrankung hat die Klägerin nach Angaben ihrer behandelnden Ärzte zwischen 2002 und 2006 5 Fehlgeburten erlitten. Bei Eintritt der Schwangerschaft Ende des Jahres 2007 bestand für die Klägerin die akute Gefahr, dass es erneut zu einem Abort kommen würde.
Das ungeborene Kind der Klägerin steht als selbständiges Rechtsgut unter dem Schutz der Verfassung (Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 1 Abs. 1 GG). Nach der Rechtsprechung des BVerfG enthalten die Grundrechtsnormen nicht nur subjektive Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat, sondern sie verkörpern zugleich eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt und Richtlinien und Impulse für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gibt. Die Schutzpflicht des Staates ist umfassend. Sie verbietet nicht nur unmittelbare staatliche Eingriffe in das sich entwickelnde Leben, sondern gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen (vgl. BVerfGE 39, 1 - 95). Das Sozialstaatsprinzip verlangt staatliche Vorsorge und Fürsorge für Einzelne oder für Gruppen der Gesellschaft, die aufgrund persönlicher Lebensumstände oder gesellschaftlicher Benachteiligung in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung behindert sind (vgl. BVerfGE 35, 202). Die Einbeziehung des in Lebensgefahr schwebenden ungeborenen Kindes einer Versicherten in den Schutzbereich der GKV ist hiernach geboten. Aufgrund der natürlichen Einheit von Mutter und Kind besteht auch bei Vorliegen einer nicht tödlich verlaufenden Erkrankung der Mutter und dadurch bedingter Lebensgefahr für das ungeborene Kind das Bedürfnis für eine verfassungskonforme Ausweitung des Leistungsumfangs der GKV (vgl. für den Bereich der Unfallversicherung: BVerfGE 45, 376 - 393).
Vom Leistungskatalog der GKV umfasste Behandlungsalternativen bestanden nicht.
Die vom Versicherten gewählte Behandlungsmethode muss auf eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf versprechen (vgl. BVerfGE 115, 25). Der Arzt muss insofern eine "gewissenhafte fachliche Einschätzung" vornehmen, die ernsthafte Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Erfolg auf Heilung oder auch nur auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im konkreten Fall gibt. Die Bestimmung, ob eine Methode einen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf verspricht, richtet sich danach, ob ernsthafte Hinweise auf einen solchen positiven Einfluss vorliegen. Diese ernsthaften Hinweise können sich nach der Einschätzung des BVerfG bei einer länger andauernden Behandlung aus den Erfahrungen mit den konkreten Versicherten und Patienten, aber auch aus Erfahrungen mit anderen Patienten und aus der wissenschaftlichen Diskussion ergeben. Daraus hat das BSG auf zwei Voraussetzungen geschlossen, die kumulativ vorliegen müssen, um einen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf erwarten zu lassen (vgl. BSG Urteil vom 26.09.2006, B 1 KR 24/06 R). Zunächst muss der positive Einfluss wahrscheinlich sein. Je schwerwiegender die Erkrankung und hoffnungsloser die Situation, desto geringere Anforderungen sind an den "ernsthaften Hinweis" auf ein nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg zu stellen (vgl. BSG, Urteil vom 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R). Je akuter die Lebensbedrohung ist, desto eher kommt ein geringerer Nachweis in Betracht. Vorliegend ist dieser Nachweis erbracht. Dr. N1 führte in seinem Befundbericht vom 24.10.2008 aus, dass Leukonorm von vielen namhaften Experten eingesetzt werde. Im Rahmen der Schwangerschaft der Klägerin im April 2007 wurde durch den Einsatz von Leukonorm ein Abort bis zur 13. Schwangerschaftswoche verhindert. Auch im Rahmen der zweiten, hier streitigen Anwendung von Leukonorm kam es nicht zur Fehlgeburt. Da nach den Ausführungen von Dr. N1 sämtliche anderen Abortursachen ausgeschlossen wurden, reicht dies als Hinweis auf einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg mit Leukonorm. Die 2. Voraussetzung, die das BSG aufgestellt hat, ist eine Nutzen-Risiko-Abwägung. Die Anwendung der vom Versicherten angestrebten Behandlung und der von ihr erwartete Nutzen (Behandlungsziel) müssen vor dem Hintergrund der zu erwartenden Nebenwirkungen vertretbar sein. Auch diese Voraussetzung ist nach der Auffassung der Kammer hier erfüllt. Eine Nutzen-Risiko-Abwägung ergeht hier zu Gunsten der Klägerin. Unkalkulierbare Nebenwirkungen waren durch die Anwendung von Leukonorm Anfang des Jahres 2008 nicht zu erwarten. Das Paul-Ehrlich-Institut hatte Ende 2006 von der Anordnung der sofortigen Vollziehung abgesehen, weil an der Qualität und Unbedenklichkeit von Leukonorm aufgrund der Nachzulassungsunterlagen bis dato keine Zweifel bestanden haben. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch den Bescheid vom 08.09.2008 erfolgte mit der Begründung, es seien schwere Mängel festgestellt worden, die die Grundsätze über die gute Herstellungspraxis für Arzneimittel betreffen. Für konkrete gesundheitliche Gefahren für Versicherte lagen offensichtlich keine Anhaltspunkte vor.
Die Klägerin hat Kosten für die Beschaffung von Leukonorm in Höhe von 5.137,00 EUR aufwenden müssen. Diese Kosten sind von der Beklagten zu erstatten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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