L 5 R 168/08

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 2 R 572/06
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 168/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 7. April 2008 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung von Kindererziehungs- bzw. Kinderberücksichtigungszeiten.

Die 1941 geborene Klägerin heiratete am 6. Juni 1975 den 1942 geborenen B. A. Dieser hat mit C. A., geborene D., die Kinder E. (geboren 1967), F. (geboren 1968) und G. (geboren 1968).

Die Klägerin beantragte am 16. Februar 2006 die Feststellung von Kindererziehungszeiten und trug vor, ab Oktober 1969 bis zum 18. Lebensjahr habe sie die Kinder erzogen und betreut. Am 14. März 2006 beantragte die Klägerin die Gewährung von Regelaltersrente.

Mit Rentenbescheid vom 26. April 2006 bewilligte die Beklagte Altersrente ab 1. Juli 2006 und erkannte u. a. für E. A. die Zeit vom 1. Juni 1975 bis 7. März 1977 als Berücksichtigungszeit an. Die Anerkennung der Zeit vom 1. April 1967 bis 31. März 1968 als Kindererziehungszeit und der Zeit vom 8. März 1967 bis 31. Mai 1975 als Berücksichtigungszeiten wurde abgelehnt, für G. A. wurde die Zeit vom 1. Juni 1975 bis 24. Januar 1978 als Berücksichtigungszeit anerkannt und die Zeit vom 1. Februar 1968 bis 31. Januar 1969 als Kindererziehungszeit und die Zeit vom 25. Januar 1968 bis 31. Mai 1975 als Berücksichtigungszeit abgelehnt, für F. A. wurde die Zeit vom 1. Juni 1975 bis 24. Januar 1978 als Berücksichtigungszeit anerkannt und die Zeit vom 1. Februar 1968 bis 31. Januar 1969 als Kindererziehungszeit und die Zeit vom 25. Januar 1968 bis 31. Mai 1975 als Berücksichtigungszeit abgelehnt.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und trug vor, sie sei im Oktober 1969 in die Familie gekommen habe ihren Beruf aufgegeben um sich voll um die drei Kinder zu kümmern und deshalb müssten die abgelehnten Zeiten auch anerkannt werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 3. November 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, dem Begehren auf Anerkennung von Kindererziehungs- bzw. Kinderberücksichtigungszeiten für die Zeit vom 1. Oktober 1969 bis 31. März 1975 für die Stiefkinder E., F. und G. könne nicht entsprochen werden, denn erst mit der Eheschließung beginne die Eigenschaft der Klägerin als Stiefmutter.

Mit Schreiben vom 13. November 2006 (Eingang 15. November 2006) erhob die Klägerin bei der Beklagten erneut Widerspruch gegen den "Bescheid vom 3. November 2006". Die Beklagte wertete diesen Widerspruch als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X. Mit Bescheid vom 28. November 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. April 2007 lehnte die Beklagte die Rücknahme bzw. Aufhebung der Bescheide vom 26. April 2006 und 28. November 2006 ab.

Am 1. Dezember 2006 erhob die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Gießen und verfolgte ihr Begehren weiter.

Mit Urteil vom 7. April 2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und in den Entscheidungsgründen ausgeführt, der Anspruch auf Anerkennung von Kindererziehungszeiten bzw. Berücksichtigungszeiten für den fraglichen Zeitraum bis zum 31. Mai 1975 scheitere daran, dass die Klägerin weder Stiefmutter noch Pflegemutter der Kinder E., F. und G. gewesen sei. Die Klägerin sei erst mit der Eheschließung zur Stiefmutter geworden. Ein Pflegekindschaftsverhältnis liege auch nicht vor, dieses sei nur gegeben, wenn kein Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern bestehe. Die leiblichen Kinder des nichtehelichen Lebensgefährten seien nicht als Pflegekinder anzuerkennen, denn die Kinder E., F. und G. seien bei ihrem leiblichen Vater aufgewachsen.

Gegen das am 20. Mai 2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17. April 2008 Berufung beim Sozialgericht Gießen eingelegt.

Die Klägerin ist weiterhin der Ansicht, dass sie Anspruch auf Anerkennung der Kindererziehungszeiten bzw. Kinderberücksichtigungszeiten habe, da sie die Kinder betreut und erzogen habe. Sie legt verschiedene Zeitungsartikel vor u. a. mit der Überschrift "Pflegeeltern haben Rentenanspruch".

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 7. April 2008 aufzuheben und unter Änderung des Bescheides vom 26. April 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. November 2006 und der Aufhebung des Bescheides vom 28. November 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. April 2007 die Beklagte zu verurteilen, für die Kinder E., F. und G. eine Kindererziehungs- bzw. Kinderberücksichtigungszeit vom 1. Oktober 1969 bis 31. Mai 1975 anzurechnen und ihr unter Berücksichtigung dieser Zeit höhere Rente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Rentenakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie statthaft (§§ 143, 144 und 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz –SGG-).

Die Berufung der Klägerin ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht mit Urteil vom 7. April 2008 die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind im Ergebnis rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung von Kindererziehungs- bzw. Kinderberücksichtigungszeiten für den Zeitraum vom 1. Oktober 1969 bis 31. Mai 1975.

Es liegt kein Fall des § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch (SGB X) vor, denn der Rentenbescheid vom 26. April 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. November 2006 ist nicht bindend geworden. Die Klägerin hat vielmehr noch fristgerecht am 1. Dezember 2006 Klage beim Sozialgericht Gießen erhoben.

Unabhängig davon, dass die streitigen Zeiträume insgesamt vor dem erstmaligen Inkrafttreten der Normen des Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch (SGB VI) über Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung zum 1. Januar 1992 (Artikel 1, 85 Abs. 1 Rentenreformgesetz 1992 vom 18. Dezember 1989, BGBl. I, 2261) liegen, werden seither aufgrund Wortlaut, Funktion und Entstehungsgeschichte in Übereinstimmung mit Artikel 82 Grundgesetz (GG) i. Verbindung mit § 300 Abs. 1 SGB VI grundsätzlich auch derartige Altfälle durchgehend vom Anwendungsbereich des SGB VI mit umfasst. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass die §§ 56 und 57 SGB VI keine ausdrückliche Begrenzung auf Geburten bzw. Zeiten nach dem 31. Dezember 1991 vorsehen und andernfalls auch die bis heute noch fortbestehenden Sonderregelungen in § 249 Abs. 1, 4 bis 6 SGB VI von vornherein überflüssig wären.

Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VI sind Zeiten der Erziehung eines Kindes in den ersten drei Lebensjahren als Erziehungszeit zu berücksichtigen. Abweichend hiervon endet nach der Vorschrift des § 249 Abs. 1 SGB VI zufolge die Kindererziehungszeit für einen vor dem 1. Januar 1992 geborenen Kindes bereits 12 Kalendermonate nach Ablauf des Monates der Geburt. Die Kinder E., F. und G. sind bereits 1967 bzw. 1968 geboren worden, damit kann im vorliegenden Rechtsstreit grundsätzlich nur ein Jahr nach der Geburt des Kindes als Kindererziehungszeit anrechnet werden. Da aber erst die Zeit ab Oktober 1969 geltend gemacht wird, sind jedoch keine Kindererziehungszeiten, sondern nur die Anerkennung von Kinderberücksichtigungszeiten grundsätzlich möglich.

Gemäß § 57 SGB VI ist die Zeit der Erziehung eines Kindes bis zur Vollendung des 10. Lebensjahres bei einem Elternteil eine Berücksichtigungszeit, soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit auch in dieser Zeit vorliegen.

Die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 SGB VI liegen zu Gunsten der Klägerin jedoch nicht vor, auch wenn sie die Kinder unstreitig im streitigen Zeitraum betreut und erzogen hat. Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VI können Kindererziehungszeiten nur für Eltern im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 2 und 3 Sozialgesetzbuch – Erstes Buch (SGB I) angerechnet werden. Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 2 und 3 SGB I sind damit die leiblichen Eltern, Adoptiveltern, Stiefeltern und Pflegeeltern gemeint. Die Klägerin ist unstreitig weder leibliche Mutter noch Adoptivmutter. Sie ist aber auch nicht Stiefmutter noch Pflegemutter im Sinne des Gesetzes.

Der Begriff Stiefeltern ist im Sozialgesetzbuch nicht definiert. Anknüpfen lässt sich aber an § 2 Abs. 1 Nr. 1 Bundeskindergeldgesetz (BKGG), der in Abkehr vom früheren Stiefkindbegriff und in teilweise Anlehnung an die Umschreibung in § 1371 Abs. 4 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) Stiefkinder bezeichnet als "vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommene Kinder seines Ehegatten". Stiefkinder sind danach nur Kinder des anderen Ehegatten (Schuler-Harms in: jurisPK-SGB VI, § 56 SGB VI Rdnr. 19). Dafür muss aber denknotwenig eine gültige Eheschließung vorliegen. Nur das leibliche bzw. adoptierte Kind des Ehegatten kann überhaupt Stiefkind sein (BSG, Urteil vom 21. Oktober 1998 – B 9 VG 1/96 R). Die Klägerin hat B. A. jedoch erst am 6. Juni 1975 geheiratet. Die Zeit davor können die Kinder deshalb nicht Stiefkinder sein.

Die Kinder E., F. und G. waren auch nicht Pflegekinder der Klägerin im Sinne von § 56 Abs. 3 Nr. 3 SGB I. Pflegeeltern sind Personen, die ein Kind als Pflegekind aufgenommen haben, d.h. ein Pflegekindschaftsverhältnis setzt voraus, dass ein Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern nicht mehr besteht und in einem förmlichen Verfahren die Aufnahme des Kindes bei den Pflegeltern erfolgt ist, dies kann z.B. durch eine Pflegeerlaubnis des Jugendamtes im Sinne von § 28 JWG erfolgen (Schuler-Harms in: jurisPK-SGB VI, § 56 SGB VI Rdnr. 20; BSG, Urteil vom 12. September 1990 – 5 RJ 45/89, BSG, Urteil vom 30. August 1994 - 12 RK 41/92; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 12. Februar 1990 – L 12 J 521/89; Sozialgericht Bremen, Urteil vom 24. Februar 2009 – S 14 R 54/06).

Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin aber nicht vor, da die Kinder E., F. und G. weiterhin bei ihrem leiblichen Vater lebten. Leibliche Kinder des nichtehelichen Lebensgefährten können damit nicht als Pflegekinder anerkannt werden (Wagner in: jurisPK-SGB VI; § 56 SGB I Rdnr. 25; BSG, Urteil vom 21. Oktober 1998 - B 9 VG 1/97 R). Für eine Erweiterung des Personenkreises gibt § 56 SGB VI in Verbindung mit § 56 SGB I keinen Raum, denn es fehlen Anhaltspunkte für eine Regelungslücke und damit möglich Analogien. Vielmehr hat der Gesetzgeber ausdrücklich die Regelung des § 56 SGB VI mit Wirkung zum 1. Januar 2005 auf Partner einer eingetragenen Lebensgemeinschaft durch das Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnergesetz LPartÜGA – vom 12. Dezember 2005 ausgedehnt und diese Ehegatten gleichgestellt (Kassler Kommentar, § 56 SGB VI Rdnr. 2). Für eine andere, erweiternde Auslegung des § 56 SGB VI ist gemäß § 31 SGB I kein Raum, da Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen nur begründet werden dürfen, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt. Eine Ausweitung des Personenkreises auf nichteheliche Lebensgemeinschaften, wie im vorliegenden Fall, scheidet damit aus. Für den streitigen Zeitraum könnte nur der leibliche Vater die Kindererziehungszeiten bzw. Berücksichtigungszeiten für sich selbst geltend machen, soweit nicht die leibliche Mutter bereits Zeiten anerkannt bekommen hat.

Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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