L 4 KA 52/12 NZB

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 168/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 52/12 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 20. Juni 2012 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die notwendigen Kosten auch des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird endgültig auf 394,12 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

In der Sache streiten die Beteiligten um eine sachlich-rechnerische Berichtigung der Kieferbruchabrechnung April 2008 und Folgeplan Juli 2008 für die Behandlung des bei der TK versicherten Patienten C. (geb. 1984) und hierbei noch um Absetzungen im Wert von insgesamt 394,12 EUR.

Die Beschwerdeführerin und Klägerin (im Folgenden: Klägerin) wendet sich gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts vom 20. Juni 2012.

Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis mit drei zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassenen Zahnärzten. Herr Dr. med. Dr. med. dent. A. ist Arzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und Zahnarzt. Die übrigen Mitglieder der Gemeinschaftspraxis sind Zahnärzte.

Die Beklagte bat die Klägerin bzgl. der KB-Abrechnung 04/2008 im Fall C. um Übersendung des OP-Berichts, der Röntgen-Aufnahmen und um Stellungnahme im Hinblick auf die verschiedenen Anästhesieleistungen sowie die Notwendigkeit der Vielzahl von Nachbehandlungen (Nr. 38 BEMA) im Zusammenhang mit der Abrechnung der Nummer 2702 GOÄ-82 (Behandlungstage 27. März; 29. März; 31. März und 4. April 2008) und erinnerte die Klägerin unter Datum vom 18. November 2008 hieran.

Die Beklagte nahm mit Bescheid vom 28. April 2009 die Absetzung verschiedener Anästhesieleistungen sowie der hier strittigen Nachbehandlungsleistungen vor. Da sie ohne Antwort auf ihre Nachfragen geblieben sei, habe sie nach Aktenlage entscheiden müssen und alle Wiederholungen der Nr. 40 BEMA (insgesamt viermal) im Frontzahnbereich am Behandlungstag 26. März 2006 und alle Wiederholungen der Nr. 40 (insgesamt achtmal) und Nr. 41a BEMA (zweimal) am Behandlungstag 7. April 2008 sowie alle Nachbehandlungsleistungen (Nrn. 2702 GoÄ-82 und 38 BEMA) am 27. März, 29. März, 31. März und 4. April 2008 abgesetzt, da die Notwendigkeit der Indikation nicht nachgewiesen worden sei.

Hiergegen legte die Klägerin am 11. Mai 2009 Widerspruch ein und machte geltend, die Nachbehandlungsleistungen stellten Korrekturen an den Schienen dar, d. h. Abdeckung von Drähten mit Kunststoffabdeckung und Adaption von Retentionshäkchen und anderes, Leistungen also, die den Leistungsinhalt der Nr. 2702 erfüllten.

Die Beklagte nahm daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 2010 die Absetzung der Anästhesieleistungen zurück und wies im Übrigen den Widerspruch als unbegründet zurück. Hinsichtlich der verbliebenen Absetzungen reiche der Hinweis der Klägerin, Korrekturen seien an den Schienen durchgeführt worden, für die Annahme, dass die getätigten Maßnahmen in jedem Einzelfall den Gebührentatbestand der Nr. 2702 GOÄ 82 erfüllen würden, nicht aus. Bei bestehenden und vorgetragenen Zweifeln an der eingereichten Abrechnung obliege es dem Vertragszahnarzt, diese Zweifel durch dezidierten und beweisbaren Vortrag auszuräumen. Auch zur Abrechnung der Leistungen nach Nr. 38 BEMA habe sie keine ergänzenden Angaben erhalten.

Hiergegen hat die Klägerin am 5. Juli 2010 Klage erhoben mit der Begründung, die Nr. 2702 GOÄ-82 sei für die Wiederanbringung einer gelösten Apparatur oder kleine Änderungen, teilweise Erneuerung von Schienen oder Spitzapparaten - auch Entfernung von Schienenunterstützapparaten - je Kiefer abrechenbar. Die Behandlung sei im Hinblick auf beidseits ausgerenkte Kiefergelenke erfolgt. Sie nehme Bezug auf den in Kopie anliegenden Auszug aus der Karteikarte, aus der sich die verschiedenen dokumentierten Behandlungen je Behandlungsdatum mit "Aufbau/Einschleifen/Erneuerung des Splints/IMF" je Kiefer ergeben. Nachbehandlungen nach Nr. 38 BEMA seien berechnungsfähig, wenn sie in besonderen Sitzungen, jedoch nicht im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit einer Extraktion oder Operation erforderlich seien. Die Leistung sei je Kieferhälfte oder Frontzahnbereich je Sitzung abrechnungsfähig. Sie nehme Bezug auf den in Kopie anliegenden Auszug aus der Karteikarte mit den Angaben wie Wundreinigung H202, Spülung mit Kochsalzlösung und Salbe auftragen zu den einzelnen Behandlungsdaten je Kieferhälfte oder Frontzahnbereich.

Mit Urteil vom 20. Juni 2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, der angefochtene Bescheid sei nicht zu beanstanden.

Die Absetzungen der Nr. 2702 GOÄ-82 (achtmal) seien nicht zu beanstanden. Die mit 34 Punkten bewertete Leistung nach Nr. 2702 GOÄ-82 beinhalte die Wiederanbringung einer gelösten Apparatur oder kleine Änderungen, teilweise Erneuerung von Schienen oder Stützapparaten - auch Entfernung von Schienen oder Stützapparaten -, je Kiefer. Es obliege dem Vertragszahnarzt, durch substantiierten Vortrag und Nachweis wenigstens einer Dokumentation zu belegen, dass er den Inhalt der Leistungslegende erfüllt hat. Der Vortrag, es seien umfangreiche Änderungen an Apparaturen vorgenommen worden, reiche hierfür nicht aus.

Auch die Absetzungen der Nr. 38 BEMA (16mal) seien nicht zu beanstanden.

Die Nr. 38 BEMA-Z sei definiert als Nachbehandlung nach chirurgischem Eingriff oder Tamponieren oder dergleichen, je Kieferhälfte oder Frontzahnbereich, als selbstständige Leistung, je Sitzung und sei mit der Bewertungszahl 10 bewertet.

Die Klägerin habe erst im Klageverfahren die Kopie eines Auszugs aus der Karteikarte vorgelegt, auf der Angaben wie Wundreinigung H202, Spülung mit Kochsalzlösung und Salbe auftragen zu den einzelnen Behandlungsdaten je Kieferhälfte oder Frontzahnbereich handschriftlich vermerkt sind. Angesichts der Häufigkeit der Leistungen hätte es einer Dokumentation für die Leistungserbringung bedurft. Eine solche Dokumentation oder wenigstens eines dezidierten Vortrags habe die Klägerin auch im Verwaltungsverfahren nicht nachgereicht.

Im Übrigen komme es auf die im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen nicht an. Es handele sich um keine Dokumentation der Klägerin, die hinreichend zeitnah erstellt wurde, sondern um bloßes Beteiligtenvorbringen. Die Kammer habe bereits in der Verfügung vom 15. Juni 2012 auf ihre Zweifel hingewiesen, die handschriftlichen Zusätze seien offensichtlich wesentlich später angefügt worden und es sei ohne Nachweis, dass sie zeitnah erbracht worden seien. Diese Zusätze seien erst im Gerichtsverfahren vorgelegt worden, also Jahre nach den strittigen Behandlungen und der ersten Nachfrage seitens der Beklagten. Die Kammer gehe daher davon aus, dass es sich um keine zeitnah erstellte Dokumentation handelt. Es handele sich um schlichtes Beteiligtenvorbringen, dem kein Beweiswert zukomme. Von daher sei die Klage abzuweisen.

Gegen das ihr am 29. Juni 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20. Juli 2012 Nichtzulassungsbeschwerde erhoben und Verfahrensmängel geltend gemacht. Soweit das SG der Auffassung sei, die Dokumentation zu Nr. 2702 GOÄ sei zu spät vorgelegt worden, verletze dies den Amtsermittlungsgrundsatz. Es gäbe keine Präklusion und selbst bei mangelnder Mitwirkung sei das Gericht grundsätzlich nicht von seiner Pflicht entbunden, selbst die möglichen Ermittlungen anzustellen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 20. Juni 2012 zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Nach ihrer Auffassung ist kein Verfahrensmangel im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG gegeben, auf dem das Urteil beruhen könne. Das Gericht habe klargestellt, dass es sich bei den nachgereichten Unterlagen nicht um eine zeitnah erstellte Dokumentation handele, so dass den Unterlagen kein Beweiswert zukomme. Auch inhaltlich stellten die nachgereichten Unterlagen keine ausreichend taugliche Dokumentation dar.

Wegen weiterer Einzelheiten sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der die Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.

II.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht gemäß § 145 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegt worden.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Berufung gegen das Urteil vom 20. Juni 2012 zu Recht nicht zugelassen.

Die Berufung bedarf gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG in der seit 1. April 2008 geltenden Fassung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt. Der Beschwerdewert liegt im vorliegenden Rechtsstreit höchstens bei 394,12 EUR, dem Absetzungsbetrag aufgrund der sachlich- rechnerischen Berichtigung durch die Beklagte. Eine wiederkehrende Leistung für mehr als ein Jahr im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG liegt nicht vor, weshalb die Berufung der Zulassung bedurfte.

Die Berufung war nicht nach § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen. Hiernach ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt auf denen die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).

Der geltend gemachte Verfahrensmangel der Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes liegt nicht i. S. des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG vor.

Bei der Beurteilung, ob ein die Zulassung der Berufung rechtfertigender Verfahrensmangel unterlaufen ist, muss von der Rechtsauffassung des SG ausgegangen werden (s. z. B. Leitherer in: Meyer-Ladewig u. a., SGG Kommentar, 10. Auflage, § 144 Rdnr. 32a).

Das Sozialgericht ist insoweit zunächst von dem rechtlichen Grundsatz ausgegangen, dass es dem Vertragszahnarzt obliegt, den vollständigen Leistungsnachweis über die abgerechneten Leistungen zu führen. Ausgehend hiervon musste es sich nicht zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen gedrängt fühlen. Darüber hinaus hat es den rechtlichen Grundsatz aufgestellt, der Vertragsarzt müsse seiner Nachweispflicht bis zur Entscheidung der Beklagten als Widerspruchsbehörde nachkommen. Von diesem Grundsatz ist es jedoch selbst abgewichen und hat auch die nachträglich vorgelegten Unterlagen berücksichtigt und hinsichtlich ihres Beweiswertes geprüft. Es ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich bei den nachgereichten Unterlagen nicht um eine zeitnah erstellte Dokumentation handele, so dass den Unterlagen kein Beweiswert zukomme. Ausgehend hiervon ist nicht ersichtlich, zu welchen weiteren Ermittlungen von Amts wegen sich das Gericht hätte gedrängt fühlen müssen.

Der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG liegt nicht vor, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Dieser Zulassungsgrund wurde von der Klägerin auch nicht behauptet. Eine Divergenz im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG, auf der das Urteil beruhen könnte, ist von der Klägerin zwar angesprochen aber nicht substantiiert worden. Angesichts der Berücksichtigung und Würdigung der nachgereichten Unterlagen durch das Sozialgericht ist jedoch nicht ersichtlich, dass eine Divergenz zur Rechtsprechung des BSG oder des erkennenden Senats besteht, auf dem die angegriffene Entscheidung beruhen könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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