L 1 KR 177/14

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 4 R 955/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 177/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 RE 21/16 B
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 27. März 2013 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Klägerin ab dem 1. April 2011 für die Beschäftigung, die sie bei der Beigeladenen zu 2. ausübt, von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreien muss.

Die 1960 geborene Klägerin ist Volljuristin, seit dem 20. Juni 2010 zugelassene Rechtsanwältin und Mitglied im Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Hessen, der Beigeladenen zu 1. Die Beigeladene zu 2. ist ein Versicherungsunternehmen und bietet Versicherungs- und Finanzdienstleistungen an.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 16. Oktober 2000 befreite die Beklagte die Klägerin rückwirkend für den Zeitraum ab 1. Juli 2000 für ihre Tätigkeit als Rechtsanwältin bei der Beigeladenen zu 2. im Bereich "Haftpflicht-Unfall-Kraftfahrt-Großschaden". Zum 1. Oktober 2000 schied die Klägerin aus dem Beschäftigungsverhältnis bei der Beigeladenen zu 2. aus und war fortan als Rechtsanwältin wegen Kindererziehung in Teilzeit tätig.

Ab 1. April 2011 war die Klägerin wieder als Volljuristin bei der Beigeladenen zu 2. im Bereich "Schadensservice zur Regulierung von Großschäden und Spezialschäden" beschäftigt und beantragte am 10. Mai 2011 die Fortgeltung der mit Bescheid vom 16. Oktober 2000 ausgesprochenen Befreiung von der Rentenversicherungspflicht. Nach Auswertung der Arbeitsplatzbeschreibungen der Beigeladenen zu 2. vom 13. April 2011 und 7. Juni 2011 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. August 2011 die Weitergeltung der mit Bescheid vom 16. Oktober 2000 ausgesprochenen Befreiung ab 1. Juli 2000 mit der Begründung ab, die gesetzlichen Voraussetzungen der Befreiungsvorschrift des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) lägen nicht vor. Die Klägerin übe für die Beigeladene zu 2. keine berufsspezifische anwaltliche Tätigkeit aus. Die Befreiung erfolge tätigkeits- und nicht personenbezogen; die Zulassung als Rechtsanwältin reiche nicht aus. Nach der Stellenbeschreibung erfülle sie nicht kumulativ die vier Kriterien einer anwaltlichen Tätigkeit. Weder das Tätigkeitsfeld der Rechtsgestaltung sei nachvollziehbar dargelegt, noch sei belegt, inwieweit die Klägerin tatsächlich im Rahmen von Versicherungsverträgen zur Schaffung neuer oder zur Veränderung bestehender Versicherungsbedingungen befugt sei.

Den Widerspruch der Klägerin vom 9. September 2011 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 2011 zurück.

Das Sozialgericht hat auf die hiergegen am 20. Dezember 2011 erhobene Klage zunächst mit Beschluss vom 5. Juli 2012 das Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande Hessen gemäß § 75 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Verfahren notwendig beigeladen und mit Urteil vom 27. März 2013 den Bescheid vom 15. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Dezember 2011 aufgehoben sowie die Beklagte verurteilt, die Klägerin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für ihre Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2. ab 1. April 2011 zu befreien. Die Klägerin sei für die ab 1. April 2011 ausgeübte Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2. zu befreien. Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI seien erfüllt. Die Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer und somit die Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk beruhten zwar nicht auf ihrer Tätigkeit für die Beigeladene zu 2., sondern aufgrund ihrer Zulassung als Rechtsanwältin. Eine kausale Beziehung zwischen ihrer Beschäftigung bzw. ihrer Tätigkeit einerseits und einer Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung andererseits müsse nach Auffassung der Kammer aber nicht vorliegen. Ein innerer Zusammenhang zwischen der Tätigkeit, für die die Befreiung begehrt werde und dem Versicherungsschutz im Versorgungswerk sei nicht erforderlich. Eine entsprechende Auslegung der Formulierung in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V ("wegen der") sei mit dem Zweck der Regelung nicht zu vereinbaren. Das Sozialgericht schließe sich insoweit einer Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Februar 2013 (L 11 R 2182/11) an.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 25. April 2013 zugestellte Urteil am 3. Mai 2013 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht erhoben.

Der Senat hat vor dem Hintergrund anhängiger Revisionsverfahren mit Beschluss vom 11. Juli 2013 auf Antrag der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens angeordnet und nach Fortsetzung des Verfahrens mit Beschluss vom 6. Januar 2015 den Arbeitgeber der Klägerin, die C., gemäß § 75 SGG zum Verfahren notwendig beigeladen.

Zur Berufungsbegründung nimmt die Beklagte Bezug auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den so genannten Syndikusanwälten (BSG, Urteile vom 3. April 2014, B 5 RE 13/14 R, B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 3/14 R) und trägt vor: Das Bundessozialgericht habe in den Urteilen vom 3. April 2014 ein Recht auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für abhängig beschäftigte Rechtsanwälte bei nichtanwaltlichen Arbeitgebern verneint. Die entschiedenen Sachverhalte seien uneingeschränkt auf den vorliegenden Fall übertragbar. Syndikusanwälte seien danach nicht als Rechtsanwälte bei ihren jeweiligen Arbeitgebern beschäftigt. Nach gefestigter verfassungsrechtlicher und berufsrechtlicher Rechtsprechung zum Tätigkeitsbild des Rechtsanwaltes nach der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) werde derjenige, der als ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst- oder Angestelltenverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber stehe, in dieser Eigenschaft nicht als Rechtsanwalt tätig. Unabhängiges Organ der Rechtspflege und damit Rechtsanwalt sei der Syndikus nur in seiner freiberuflichen, versicherungsfreien Tätigkeit außerhalb seines Dienstverhältnisses. Auf die von der Rechtsprechungspraxis entwickelte so genannte "Vier-Kriterien-Theorie" komme es nicht (mehr) an. Einem Ruhen des Verfahrens werde nicht zugestimmt; Gründe, die ein Aussetzen des Verfahrens rechtfertigten, lägen nicht vor.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 27. März 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin regt im Hinblick auf die anhängigen Verfassungsbeschwerden gegen die Urteile des Bundessozialgerichts vom 3. April 2014 (B 5 RE 13/14 R, B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 3/14 R) ein Ruhen des Verfahrens an. Sie hält die Entscheidung des Bundessozialgerichts für unzutreffend und weist auf Gesetzesvorhaben hin, welche die Befreiung von Syndikusanwälten und Volljuristen in Verbänden von der Versicherungspflicht vorsähen.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen sowie wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Prozessbevollmächtigten der Klägerin und der Beigeladenen zu 1. und 2. verhandeln und entscheiden, da diese durch Empfangsbekenntnisse bzw. Postzustellungsurkunde vom 25. Februar 2015 zum Termin der mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß geladen worden sind. Die Ladungen enthielten den Hinweis gem. §§ 153 Abs. 1, 110 Sozialgerichtsgesetz (SGG), dass auch im Falle des Ausbleibens verhandelt und entschieden werden könne.

Auf den Antrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 20. April 2015 war der Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 23. April 2015 auch nicht aufzuheben bzw. zu vertagen. Soweit der Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 20. April 2015 vorgetragen hat, er habe am 23. April 2015 einen langfristig geplanten Arzttermin wahrzunehmen, ist insoweit ein Hinderungsgrund nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin wurde bereits mit gerichtlicher Verfügung vom 6. Januar 2015 auf den beabsichtigten Senatstermin am 23. April 2015 hingewiesen. Die Ladung erfolgte am 24. Februar 2015 und ging dem Prozessbevollmächtigten ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 25. Februar 2015 zu. Im Hinblick auf diesen Ablauf mit einem zeitlichen Abstand von mehr als drei Monaten zwischen Terminsmitteilung und Sitzungstermin ist bereits nicht anzunehmen, dass der vom ihm mit Schriftsatz vom 20. April 2015 mitgeteilte Arzttermin zeitlich vor der gerichtlichen Terminierung vereinbart worden ist. Jedenfalls hätte aber ausreichend Zeit bestanden, den Arzttermin zu verlegen. Trotz entsprechenden gerichtlichen Hinweises vom 21. April 2015 erfolgte keine Glaubhaftmachung. Auch die Ankündigung im Schriftsatz vom 23. April 2015, ein ärztliches Attest nachzureichen, ist unzureichend. Ebenso ist mit einem pauschalen Verweis auf den Lokführerstreik am 23. April 2015 nicht glaubhaft gemacht, warum es dem Prozessbevollmächtigten am Sitzungstag nicht möglich war, ein anderes Verkehrsmittel bzw. den trotz Streiks verbliebenen Bahnverkehr zu nutzen.

Die Berufung ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Klägerin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für ihre Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2. ab 1. April 2011 zu befreien. Der Bescheid vom 15. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten kein Recht auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht aufgrund ihrer Beschäftigung für die Beigeladene zu 2.

Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI (in der Neufassung von Art. 1 Nr. 3 Buchst. a des Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und andere Gesetze SGB6uaÄndG - vom 15. Dezember 1995 - BGBl I 1824 -, der am 1. Januar 1996 in Kraft getreten und durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung - RVOrgG - vom 9. Dezember 2004 - BGBl I 3242 - ab dem 1. Januar 2005 durch Art. 86 Abs. 1 geringfügig modifiziert worden ist) werden von der Versicherungspflicht befreit Beschäftigte und selbstständig Tätige für die Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn

a) am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 1. Januar 1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat,
b) für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und
c) aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

Die Klägerin kann in ihrer Erwerbstätigkeit für die Beigeladene zu 2. als so genannter Syndikusanwalt (ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst- oder Angestelltenverhältnis bei einem bestimmten Arbeitgeber), der zudem als Rechtsanwalt zugelassen ist, nicht dem Berufsbild des Rechtsanwalts zugeordnet werden.

Insoweit folgt der Senat nach eigener Überprüfung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den Syndikusanwälten (zugelassene und abhängig beschäftigte Rechtsanwälte - Bundessozialgericht, Urteile vom 3. April 2014, B 5 RE 13/14 R, B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 3/14 R), wobei mit dem Urteil im Verfahren B 5 RE 9/14 R auch das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Februar 2013 (L 11 R 2182/11), auf das sich das erstinstanzliche Gericht stützt, aufgehoben worden ist.

Das Bundessozialgericht führt in den Urteilen vom 3. April 2014 aus:

"Ihre anwaltliche Berufsausübung ist in der äußeren Form der Beschäftigung nicht möglich. Umgekehrt bedarf es - worauf bereits das LSG zutreffend hingewiesen hat - mangels Tätigkeit in einer konkreten fremden Angelegenheit für die Erbringung von Rechtsdienstleistungen gegenüber einem Arbeitgeber keiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft (§ 2 Abs 1, § 3 des Gesetzes über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen - RDG). Die im Rahmen der Beschäftigung erbrachte Erwerbstätigkeit ist damit für ihre Mitgliedschaft bei der Beigeladenen zu 2. und die hierdurch parallel zur gesetzlichen Rentenversicherung begründete öffentlich-rechtliche Sicherung ohne Bedeutung, sodass es bereits deshalb an der Grundvoraussetzung von § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI fehlt und sich eine weitergehende inhaltliche Prüfung erübrigt. ( )

Der Senat legt seiner Beurteilung der sozialrechtlichen (Vor-)Frage, ob eine Erwerbstätigkeit dem Bereich anwaltlicher Berufstätigkeit zugeordnet werden kann, obwohl sie im Rahmen einer Beschäftigung einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber geschuldet ist, die ständige übereinstimmende Rechtsprechung des für das Berufsrecht der Rechtsanwälte zuständigen BGH, des BVerfG und des EuGH zugrunde. Er sieht auch nach eigener Prüfung keinen Rechtsgrund, hiervon abzuweichen, was grundsätzlich ohnehin erst nach Vorlage an den EuGH (Art 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV), das BVerfG (Art 100 Abs. 1 GG) und/oder durch Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (§ 11 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes - RsprEinhG) möglich gewesen wäre. ( )

Damit ist insbesondere geklärt, dass ungeachtet im Einzelfall arbeitsrechtlich eröffneter Möglichkeiten, auch gegenüber dem Arbeitgeber sachlich selbständig und eigenverantwortlich zu handeln, allein die Eingliederung in die von diesem vorgegebene Arbeitsorganisation mit dem Berufsbild des Rechtsanwalts unvereinbar ist. Das für die Zulassung unverzichtbare Berufsbild des Rechtsanwalts kann sich damit nur daraus ergeben, dass der Syndikus rechtlich und tatsächlich in der Lage ist, neben (!) seiner Tätigkeit im Unternehmen Rechtsuchende als freier Anwalt zu beraten und zu vertreten. Der Syndikusanwalt ist Rechtsanwalt, nicht weil er Syndikus ist, sondern weil er sich aufgrund einer nur deshalb zu erteilenden Zulassung unabhängig hiervon und daneben gesondert als Rechtsanwalt betätigt. Beide Tätigkeiten sind grundsätzlich getrennt zu betrachten (vgl BGH Beschluss vom 22.3.1999 - PatAnwZ 10/98 - EBE/BGH 1999, 150 f, zum Erfordernis einer mindestens halbjährigen Tätigkeit "bei einem Patentanwalt", das nur dann erfüllt ist, wenn der Antragsteller auf dem Gebiet eines Patentanwalts tätig geworden ist und nicht lediglich im Rahmen eines "Beschäftigungsverhältnisses in einem Unternehmen" bei einem dort ebenfalls angestellten Syndikusanwalt). ( )

Ungeachtet möglicher inhaltlicher Übereinstimmungen kommt für das Deckungsverhältnis der gesetzlichen Rentenversicherung nicht in Betracht, abhängige Beschäftigung und eine daneben ausgeübte selbständige Tätigkeit als Rechtsanwalt im Sinne einer einheitlichen Betrachtung "zusammenzuziehen". Die isolierte Fragestellung, ob eine anwaltliche Tätigkeit in Gestalt einer abhängigen Beschäftigung ausgeübt werden kann und damit grundsätzlich eine Befreiungsmöglichkeit eröffnet ist, würde damit gerade verlassen. Die beiden (einzigen) Formen der Ausübung einer Erwerbstätigkeit, die selbständige Tätigkeit und die abhängige Beschäftigung, schließen sich im Übrigen wechselseitig aus. Wo - wie vorliegend - die Befreiung von der Versicherungspflicht aufgrund einer abhängigen Beschäftigung in Frage steht, können Gesichtspunkte der selbständigen Erwerbstätigkeit keine Rolle spielen. Es entspricht daher ständiger Rechtsprechung des BSG im Rentenversicherungsrecht, dass, wenn nebeneinander verschiedene rentenversicherungsrechtlich bedeutsame Sachverhalte vorliegen, das Bestehen von Versicherungspflicht (oder Versicherungsfreiheit bzw. Versicherungsbefreiung) hinsichtlich des einen Sachverhalts grundsätzlich keine Wirkung für den anderen Sachverhalt hat, jeder Sachverhalt mithin, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, selbständig zu beurteilen ist und es deshalb zulässigerweise zu Mehrfachversicherungen und mehrfacher Beitragspflicht kommen kann (vgl BSG Urteile vom 4.11.2009 - B 12 R 7/08 R - SozR 4-2600 § 2 Nr 13 RdNr 19 mit Hinweis auf die Rechtslage bereits vor Inkrafttreten des SGB VI, vom 13.9.1979 - 12 RK 26/77 - BSGE 49, 38, 39 f = SozR 2200 § 1227 Nr 29 S 67, 68 f, mwN und vom 2.6.1982 – 12 RK 66/80 - SozR 5800 § 2 Nr 3; s auch - hieran anknüpfend - die Begründung zum Entwurf eines Rentenreformgesetzes 1992, BT-Drucks 11/4124 S 148)."

Vertrauensschutzgesichtspunkte sind nach der Auffassung des Senats vorliegend nicht berührt. Insoweit nimmt der Senat erneut auf die Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 3. April 2014 Bezug (B 5 RE 13/14 R, RdNr. 58 zit. nach juris). Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Klägerin keine Rechte aus der früheren Befreiung von der Rentenversicherungspflicht mit bestandskräftigem Bescheid vom 16. Oktober 2000 für ihre Tätigkeit für die Beigeladene zu 2. ableiten kann. Die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht war lediglich bezogen auf die bis 1. Oktober 2000 ausgeübte Beschäftigung.

Die Voraussetzungen für die Anordnung eines Ruhens des Verfahrens gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 251 Zivilprozessordnung (ZPO) liegen nicht vor. Die Beteiligten haben ein Ruhen des Verfahrens gerade nicht übereinstimmend beantragt, denn die Beklagte hat ein Ruhen des Verfahrens ausdrücklich abgelehnt.

Eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 SGG kam vorliegend nicht in Betracht. Nach § 114 Abs. 2 SGG kann das Gericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung eines anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung einer Verwaltungsstelle auszusetzen ist, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsstelle festzustellen ist. Diese Voraussetzungen sind hier weder im Sinne der unmittelbaren noch im Sinne einer entsprechenden Anwendung der Norm gegeben. Hierfür reicht die bloße Parallelität im Rechtlichen, z.B. die Anwendbarkeit derselben Rechtsnorm, nicht aus. Vorgreiflichkeit im Sinne von § 114 Abs. 2 SGG ist deshalb nicht gegeben, wenn in dem anderen Verfahren nur über dieselbe oder eine vergleichbare Rechtsfrage, z.B. in einem Musterprozess, oder über eine abstrakte Rechtsfrage, etwa über die Gültigkeit oder Auslegung einer Rechtsnorm, zu entscheiden ist. Es stellt keinen Aussetzungsgrund dar, wenn beispielsweise eine Änderung der Gesetzeslage erwartet wird oder wenn beim Bundessozialgericht oder Bundesverfassungsgericht ein Rechtsstreit über einen gleichliegenden Streitgegenstand schwebt (Bundessozialgericht, Beschluss vom 1. April 1992, 7 RAr 16/91; Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 3. Juli 2001, L 19 B 293/00 RJ; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 20. Auflage 2014, § 94 Rdnr. 4 ff.). Auch der Referententwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 26. März 2015 (Fundstelle: z.B: http://vsw-ra-nw.de/aktuelles) rechtfertigt ein Aussetzen des Verfahrens nicht. Insbesondere ist nicht absehbar, ob und in welcher Form eine rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht, wie in § 231 Abs. 4 SGB VI (geplante Fassung) vorgesehen, umgesetzt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Kosten der Beigeladenen waren nicht zu erstatten, da diese keine Anträge gestellt haben (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 11. Auflage 2014, § 193 Rdnr. 11a).

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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