Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 1 U 171/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 252/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 295/16 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum Anwendungsbereich des Abschmelzungsbescheides nach § 48 Abs. 3 SGB X.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 13. November 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen einen sogenannten Abschmelzungsbescheid.
Sie erlitt am 24. April 1997 auf dem Weg zur Arbeit einen Verkehrsunfall, als ein Lkw in die Fahrerseite des von ihr geführten Kraftfahrzeuges fuhr. Neben in der Folge auftretender deutlicher Druckschmerzhaftigkeit von Halswirbelsäule und Brustwirbelsäule sowie schmerzhafter Einschränkung der Beweglichkeit der genannten Wirbelsäulenabschnitte kam es nach einem Bericht des Dr. C. vom 3. August 1997 zu einer unfallabhängigen Entwicklung einer pathologischen Angstreaktion, was eine Überweisung in die Neurologische Klinik Bad Zwesten zur Folge hatte. In der Folge befand sich die Klägerin in Behandlung bei Dr. D., der in einem Bericht vom 8. November 1997 vom Vorliegen einer phobischen posttraumatischen Reaktion berichtete. In der weiteren Folge befand sie sich vom 30. Januar 1998 bis 20. Februar 1998 in stationärer Behandlung im Christoph-Dornier-Zentrum für klinische Psychologie. Dort wurde unter dem 27. Februar 1998 eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Es schloss sich vom 14. Mai 1998 bis zum 25. Juni 1998 eine stationäre Unterbringung in der psychosomatischen Fachklinik Bad Pyrmont an. Der leitende Arzt der Klinik, Prof. Dr. E., verfasste darauf im Auftrag der Beklagten ein nervenärztliches Gutachten zu der Frage der unfallbedingten Gesundheitsstörung.
Unter dem 25. Juni 1998 gelangte Prof. Dr. E. zu dem Ergebnis, dass mitbedingt durch das Unfallereignis eine Anpassungsstörung mit emotionaler Symptomatik sowie ein Zustand nach einem HWS-Schleudertrauma bestehe. Unfallunabhängig bestehe eine dissoziative Störung mit Schwindel, Gangstörung und Wahrnehmungsverzerrungen sowie eine akzentuierte (histrionische) Persönlichkeit. Ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Unfallhergang sei unter rein körperlichen Gesichtspunkten bezüglich des HWS-Schleudertraumas zu sehen, was jedoch zum Behandlungszeitpunkt keine wesentliche Rolle mehr spiele. Im Weiteren sei ein Zusammenhang bezüglich der Anpassungsstörung mit Angstsymptomatik besonders mit reduzierter Fähigkeit einer eigenaktiven Bewegung im Straßenverkehr und Autofahren zu sehen. Diese Störungskomponente bestehe auch weiterhin. Die Ausweitung auf eine Störung mit überwiegend dissoziativer Symptomatik erscheine aus medizinischer Sicht nicht auf den Unfallhergang zurückzuführen, sondern habe sich mit der jetzt bereits bestehenden Chronifizierungstendenz auf dem Boden extremer Überschreitung individueller Belastungsgrenzen und Reizüberflutung initiiert. Die Störung werde aufrechterhalten vor dem Hintergrund einer akzentuierten (histrionischen) Persönlichkeit. Mitbedingt durch die Unfallfolgen im Sinne der Anpassungsstörung mit emotionaler Symptomatik bestehe weiterhin Arbeitsunfähigkeit. Unter dem Aspekt einer prognostisch erfolgreichen ambulanten Psychotherapie, möglichst verhaltenstherapeutisch ausgerichtet, könne aus medizinischer Sicht eine Gesundheitsverbesserung und damit eine Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit in 1 bis 2 Jahren erreicht werden. Leistungseinbußen vor dem Hintergrund der Angststörung dürften dann aller medizinischen Erfahrung nach nicht mehr vorliegen. Im Zuge der zur Chronizität tendierenden dissoziativen Symptomatik, vor dem Hintergrund der akzentuierten Persönlichkeit, bleibe die Prognose der Leistungsfähigkeit allerdings eher ungünstig. Hinsichtlich der Unfallfolgen bestehe aus medizinischer Sicht auch die Notwendigkeit zu fortgesetzter Behandlung im Rahmen ambulanter Psychotherapie. Diese solle für ca. 2 Jahre anberaumt werden. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage aufgrund der Anpassungsstörung 30 v. H. Mit Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit in ca. 1 bis 2 Jahren, was im Falle der Klägerin eine eigenständige Bewegung im Straßenverkehr voraussetze, sei die MdE unfallbedingt auf Null reduziert.
Mit Bescheid vom 3. November 1998 erkannte die Beklagte den Unfall vom 24. April 1997 als Arbeitsunfall an und stellte zugleich fest, dass die Unfallverletzung - Prellung der Halswirbelsäule und Brustwirbelsäule - ausgeheilt sei. Die bestehende schwere neurotische seelische Störung werde nicht als Unfallfolge anerkannt. Dagegen erhob die Klägerin am 19. November 1998 Widerspruch.
Im Widerspruchsverfahren veranlasste die Beklagte ein Gutachten bei Prof. Dr. F. Dieser gelangte in seinem Gutachten vom 25. November 1999 zu der Auffassung, dass die von ihm festgestellten Beeinträchtigungen posttraumatische Belastungsstörung, dissoziative Störungen der Bewegung und Empfindung und phobische Störung auf den Unfall zurückzuführen seien. Eine vorbestehende oder unfallfremde psychische Beeinträchtigung sei nicht gegeben. Die unfallbedingte MdE betrage 70 v. H. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 22. Dezember 1999 hielt der Gutachter an seiner Auffassung fest.
Auf Grundlage eines ausführlichen Aktenvermerkes vom Januar 2000 und des Gutachtens des Prof. Dr. E. änderte die Beklagte ihren Bescheid durch den Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2000 teilweise ab und erkannte als Unfallfolge eine Anpassungsstörung mit emotionaler Symptomatik (phobische Störungen/Ängste) an. Zugleich gewährte die Beklagte bis zum 27. September 1999 Verletztengeld und ab dem 29. September 1999 Verletztenrente nach einer MdE von 30 v. H. Im Übrigen wurde der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen. Dagegen erhob die Klägerin am 3. Februar 2000 Klage beim Sozialgericht Kassel, welches das Verfahren unter dem Aktenzeichen S 4/3 U 142/00 führte. Ein weiteres Verfahren wegen Gewährung von Haushaltshilfe, welches unter dem Aktenzeichen S 3 U 338/00 beim Sozialgericht Kassel geführt wurde, verband das Gericht mit dem Verfahren S 4/3 U 142/00.
In dem Verfahren S 4/3 U 142/00 holte das Sozialgericht Kassel in der Folge zur Klärung der Unfallfolgen ein psychiatrisches Gutachten mit psychologischem Zusatzgutachten bei Dr. G. ein. Der Sachverständige gelangte in seinem Gutachten vom 3. Juni 2003 zu der Diagnose einer dissoziativen Störung mit im Vordergrund stehenden dissoziativen Bewegungsstörungen und der Verdachtsdiagnose einer histrionischen Persönlichkeitsstörung. Retrospektiv werde hinsichtlich der Unfallverarbeitung die Diagnose einer Anpassungsstörung mit phobischen Symptomen gestellt. Diese Diagnose könne zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht mehr gestellt werden. Das Zustandsbild wirke übertrieben und unglaubhaft. Ein eindeutiger Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen lasse sich nicht herstellen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass ein banaler Autounfall ohne wesentliche körperliche Verletzungen zu einem solchen Bild, wie es die Klägerin präsentiere, führe. Die dissoziative Symptomatik werde somit zwar ausgelöst durch den Unfall und die nachfolgende Behandlung angesehen, der Unfall sei hierbei aber Zufallsursache. Der Unfall sei austauschbarer Auslöser für die Dekompensation, die in der Primärpersönlichkeit der Klägerin begründet liege. Unfallunabhängig habe mit hoher Wahrscheinlichkeit schon vor dem Unfall eine akzentuierte, histrionische Persönlichkeitsstruktur bestanden.
Unter Hinweis auf dieses Gutachten vom 3. Juni 2003 entzog darauf die Beklagte nach vorheriger Anhörung mit Bescheid vom 18. Februar 2004 der Klägerin mit Ablauf des Monats Februar 2004 die Verletztenrente. Die den Bescheid vom 10. Januar 2000 zugrundeliegenden Verhältnisse hätten sich wesentlich geändert. Es seien keine Befunde mehr vorhanden, die die Diagnose einer Anpassungsstörung stützen würden.
Unter dem 17. Januar 2005 erstattete Dr. H. ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG -. Darin wurde ausgeführt, die auf nervenärztlichem Fachgebiet als Unfallfolge nach erfolgter Rekonvaleszenz verbliebene Anpassungsstörung habe zu einer MdE von 30 v. H. geführt. Die seit Februar 1998 beobachtete Entstehung eines dissoziativen Störungsbildes mit der psychopathologischen Konstellation einer posttraumatischen Belastungsstörung habe für die unfallbedingten Entstehungs- und Komplikationsfaktoren eine Erhöhung der MdE auf 40 v. H. zur Folge gehabt mit einem Fortbestehen auch seit dem 28. September 1999. Hierbei seien die psychosomatischen Begleiterscheinungen insbesondere in ihrer Auswirkung auf das bestehende muskoloskelettäre Beschwerdebild mit berücksichtigt. Unter Berücksichtigung des bisherigen Verlaufs sei von einem Dauerzustand des bestehenden Beeinträchtigungsspektrums auszugehen. Vorliegend erscheine eine ausschließliche Rückführung der entstandenen psychischen Symptomatik auf die beschriebene Persönlichkeitsstruktur nicht statthaft. Aufgrund des aktuellen psychopathologischen Befundes seien die wesentlichen Kriterien für das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung gegeben. Der Ausschluss einer Retraumatisierung durch die erfolgte Reizkonfrontationstherapie durch Dr. G. sei nicht nachzuvollziehen. Umgekehrt sei das entstandene Störungsbild hinweisend auf das Vorliegen einer entsprechend vorbestehenden seelischen Reaktionsbereitschaft, wie sie plausibel mit der beschriebenen Persönlichkeitsstruktur in Einklang zu bringen sei.
Mit Urteil vom 23. März 2006 hob das Sozialgericht Kassel den Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 2004 auf und wies im Übrigen die Klage ab. Es führte aus, der Klägerin sei auf der Grundlage des Bescheides vom 10. Januar 2000 weiterhin Verletztenrente nach einer MdE von 30 v. H. zu gewähren. Im Übrigen sei die Klage jedoch nicht begründet. Zutreffend habe die Beklagte die Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. E. in ihrem Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2000 umgesetzt und der Klägerin Verletztenrente nach einer MdE von 30 v. H. gewährt. Weitere Unfallfolgen, die eine Erhöhung der MdE rechtfertigen könnten, lägen nicht vor. Die Beurteilung der unfallbedingten MdE für die vorhandene Anpassungsstörung von 30 v. H. im Gutachten von Prof. Dr. E. stehe auch im Einklang mit den MdE-Erfahrungswerten der gesetzlichen Unfallversicherung, wonach nach einer stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit eine MdE von 20 bis 40 vorliege. Entgegen der Ansicht der Beklagten sei seit Erteilung des Bescheides vom 10. Januar 2000 eine wesentliche Besserung der erlittenen Unfallfolgen, die nach § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X die Entziehung der gewährten Verletztenrente rechtfertigen könnte, nicht nachgewiesen. Der am 18. Februar 2004 während des Gerichtsverfahrens erteilte Bescheid sei daher aufzuheben. Die Herabsetzung der unfallbedingten MdE werde auch durch keines der eingeholten Sachverständigengutachten gestützt. Andererseits halte die Kammer eine wesentliche Verschlechterung der gesundheitlichen Unfallfolgen, die nach § 48 SGB X die Heraufsetzung der gewährten Verletztenrente rechtfertigen könnte, gleichfalls für nicht nachgewiesen.
Gegen diese Entscheidung legten beide Beteiligten Berufung beim Hessischen Landessozialgericht ein (Az.: L 9 U 160/06 und L 9 U 162/06). In einem von Amts wegen eingeholten Gutachten des Dr. J. vom 3. Januar 2008 diagnostizierte dieser bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD 10: F 43.1), dissoziative Störungen, gemischt (ICD 10: F 44.7) und eine phobische Störung (ICD 10: F 40.2). Ein weiteres Gutachten erstellte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. Dr. K. nach einem stationären Begutachtungsaufenthalt des Klägers vom 3. bis 5. Mai 2010 in der Klinik für Neurologie und neurologische Rehabilitation des Bezirkskrankenhauses Günzburg. Prof. Dr. Dr. K. gelangte in seinem Gutachten vom 10. Juni 2010 zu der Beurteilung, es könne nicht festgestellt werden, dass es unmittelbar nach dem Unfallereignis vom 24. April 1997 zu einem relevanten psychischen Primärschaden gekommen sei. Die Klägerin habe unmittelbar durch das Unfallereignis eine Zerrung des Stützapparates mit nachfolgenden Verspannungen der paravertebralen Muskulatur der Hals- und Brustwirbelsäule erlitten. Ein darüber hinausgehender Primärschaden sei jedoch nicht dokumentiert, auch seien keine äußeren Verletzungszeichen beschrieben. Der zeitnahe Erstbefund des Durchgangsarztes Dr. C. spreche lediglich von einem "leichten" Unfallschock. Zu einer ersten Verschlechterung sei es aufgrund einer mittelbaren Traumatisierung im Mai 1997 gekommen, als die Klägerin auf dem Weg zur Arbeit erneut dem Molkereifahrzeug begegnet sei, das den Unfall verursacht hatte. Es sei bei dieser Begegnung Ende Mai beinahe zu einem weiteren Unfall gekommen. Die Klägerin habe, wie sie am 30. Januar 1998 angegeben habe, danach unter Alpträumen gelitten und habe begonnen, sehr vorsichtig zu fahren, sei immer bemüht gewesen, alle Vorgänge des Straßenverkehrs möglichst vorher schon zu beobachten. Diese im weiteren Verlauf des Jahres 1997 beschriebene Angstsymptomatik sei als mittelbare Unfallfolge zu interpretieren. Diagnostisch sei hier von einer Anpassungsstörung auszugehen (ICD 10: F 43.22). Die phobische Symptomatik im Sinne einer Anpassungsstörung sei bis Januar 1998 mit 20 vom Hundert zu bewerten. Nach der stationären Behandlung im Christoph-Dornier-Centrum im Januar/Februar 1998 und nach Wiederaufnahme der Arbeit im März 1998 sei es bis Ende Juni 1998 zu einer vorübergehenden Verschlechterung der Symptomatik gekommen. Für den 30. März 1998 sei ein nochmaliges, drittes Ereignis beschrieben. Die Klägerin sei von einem Pkw "kurz hintereinander zweimal etwas rüde abgedrängt" worden. Danach sei es offensichtlich zu einer psychischen Dekompensation gekommen, die am 31. März 1998 zu einer weiteren Vorstellung bei dem Durchgangsarzt Dr. C. geführt habe. Dort habe die Klägerin in der Praxis einen "massiven Schreikrampf" entwickelt, angefangen "zu toben" und habe sich kaum beruhigen lassen. Bis Ende Juni 1998 habe ein "stark ausgeprägtes Störungsbild" vorgelegen, für welches eine MdE von 30 vom Hundert vorgesehen sei. Danach sei die MdE in grober Schätzung des "üblichen Verlaufs derartiger Störungen angesichts einer nur begrenzten Dokumentation bis Ende des zweiten Unfalljahres mit 20 v. H." einzuschätzen. Soweit danach noch Symptome vorgelegen hätten, seien diese als unfallunabhängig zu bewerten und der Persönlichkeit der Klägerin zuzuordnen. Entscheidend für die Einschätzung des weiteren Verlaufs sei vor allem der Bericht über die sechswöchige stationäre Therapie in der psychosomatischen Klinik Bad Pyrmont vom Mai/Juni 1998. Die Klägerin habe im zunehmenden Umfang Symptome entwickelt, die kaum mehr mit der in der ersten Zeit im Vordergrund stehenden Angstsymptomatik in Verbindung zu bringen seien, sondern sich, wie im Abschlussbericht der Klinik beschrieben, als Ausdruck einer dissoziativen Störung auf dem Boden einer emotional instabilen Persönlichkeit darstellten.
In einem Erörterungstermin am 17. Dezember 2010 wies der 9. Senat des Hessischen Landessozialgerichts die Beteiligten unter Bezugnahme auf das Gutachten des Prof. Dr. Dr. K. daraufhin, dass danach nicht § 48 SGB X - mangels einer wesentlichen Veränderung nach Erlass eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes - Rechtsgrundlage für die Aufhebung der bewilligten Rente wäre, sondern § 45 SGB X, weil bereits die Bewilligung der Rente rechtswidrig gewesen sei. Es wurde angeregt, dass die Beteiligten das Ergebnis des erstinstanzlichen Urteils akzeptieren und die Berufung jeweils zurücknehmen. Nach Eingang der Rücknahmeerklärungen wurde zum 30. Dezember 2010 die Erledigung des Rechtstreits festgestellt.
Nach entsprechender Anhörung mit Schreiben vom 14. April 2011 erließ die Beklagte unter dem 27. Juni 2011 den hier streitgegenständlichen Bescheid, in dem sie ausführte, der Bescheid vom 10. Januar 2000 über die Zahlung einer Rente ab dem 29. September 1999 auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 v. H. sei hinsichtlich der Anerkennung von Unfallfolgen und der Höhe der MdE fehlerhaft und somit rechtswidrig. Die Beklagte schloss sich diesbezüglich den Ausführungen des Prof. Dr. Dr. K. an. Die Rente werde aufgrund des Bestandsschutzes in bisheriger Höhe von 356,61 Euro monatlich weitergezahlt. Bei allen zukünftigen Änderungen zugunsten der Klägerin (auch Rentenanpassungen) werde der Leistungsbetrag von einer Erhöhung gemäß § 48 Abs. 3 SGB X ausgenommen. Es bestehe auch kein Anspruch auf die Übernahme von Behandlungen, Therapien und den damit zusammenhängenden Fahrtkosten. Gegen diesen ihren Bevollmächtigten am 28. Juni 2011 zugestellten Bescheid legte die am 8. Juli 2011 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2011 zurückwies.
Gegen diesen ihrem Bevollmächtigten am 17. Oktober 2011 zugestellten Bescheid hat die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 16. November 2011 am selben Tag Klage beim Sozialgericht Kassel (Sozialgericht; Az: L 3 U 252/12) erhoben.
Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 13. November 2012 den Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2011 aufgehoben. In den Gründen hat es ausgeführt, ungeachtet der Frage, ob die Voraussetzungen des § 48 Abs. 3 SGB X gegeben seien, erweise sich die Abschmelzung bereits deshalb als rechtswidrig, weil die Beteiligten an das nach Rücknahme der Berufung rechtskräftige Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. März 2006 gebunden seien. Denn § 48 Abs. 3 SGB X sei in den Fällen nicht anwendbar, in denen das Verwaltungshandeln die Ausführung eines rechtskräftigen Urteils darstelle. Die Vorschrift stelle einen Auffangtatbestand dar, die dann greife, wenn die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach § 45 SGB X scheitere. Sie stelle indes keine Korrekturmöglichkeit dar, wenn der angeblich rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakt auf einem Vergleich oder gerichtlichen Urteil beruhe. Dies habe seinen Grund. Denn Urteile seien, wie sich aus § 141 SGG ergebe, der Rechtskraft fähig. Die Durchbrechung der Rechtskraft sei unter engen Grenzen möglich und im SGB X für den Betroffenen in § 44 SGB X geregelt. § 48 Abs. 3 SGB X stelle aber keine solche Vorschrift dar. Vorliegend beruhe auch die begünstigende Leistung auf dem Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. März 2006. Mithin sei lediglich der Anfechtungsteil der Klage erfolgreich gewesen. Ob die begünstigende Leistung in Ausführung des rechtskräftigen Urteils bewilligt worden sei, richte sich nach dem Umfang der Rechtskraft bei Anfechtungsklagen. Diese ergebe sich bei stattgebenden Urteilen aus dem Antrag und den Entscheidungsgründen. Ausweislich der Entscheidungsgründe des sozialgerichtlichen Urteils sei maßgeblich für die Aufhebung des Änderungsbescheides vom 18. Februar 2004 allein der Umstand, dass das Gericht die Feststellung einer MdE von 30 Prozent für zutreffend erachtet habe. Den tragenden Gründen der Entscheidung des Sozialgerichts sei zu entnehmen, dass die Aufhebung des Änderungsbescheides und die Abweisung der Klage im Übrigen allein auf der Überzeugung gründeten, dass in der Person der Klägerin aufgrund der anerkannten Unfallfolgen eine MdE von 30 Prozent bestanden habe. Die Folgen dieses Urteils mit einer Entscheidung nach § 48 Abs. 3 SGB X abzumildern, sei der Beklagten damit verwehrt. Dieses Ergebnis erscheine auch unter Berücksichtigung des Zustandekommens der Berufungsrücknahmen gerechtfertigt. Die Beteiligten seien sich darüber einig gewesen, dass das erstinstanzliche Urteil mit dem so festgestellten Inhalt rechtskräftig werden solle. Für das Gericht werde klar, dass jede Partei unter allen Umständen sicher gehen wollte, dass es bei dem Inhalt des angefochtenen erstinstanzlichen Urteils bleibe. Es stelle einen Verstoß gegen Treu und Glauben dar, wenn die Beklagte im Anschluss an ihre Berufungsrücknahme einen Abschmelzungsbescheid nach § 48 Abs. 3 SGB X erlasse, ohne dass sie vorher bei ihrer Erklärung der Berufungsrücknahme auf ihre diesbezügliche Absicht hingewiesen habe.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 26. November 2012 zugestellte Urteil am 21. Dezember 2012 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht (L 3 U 252/12) eingelegt und vorgetragen, der Bescheid vom 27. Juni 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2011 sei rechtmäßig. Weder durch die Rechtskraft des Urteils vom 23. März 2006 noch durch die Rücknahme der Berufung im zweitinstanzlichen Verfahren sei bei der vorliegenden Rechts- und Sachlage die Korrektur nach § 48 Abs. 3 SGB X verschlossen. Sie sei vielmehr verpflichtet, Unrecht nicht weiter wachsen zu lassen und die rechtlichen Möglichkeiten im Interesse der Solidargemeinschaft der Mitgliedsunternehmen auszuschöpfen. Rechtsgrundlage für die Verletztenrente der Klägerin, die Vertrauens- und Bestandsschutz genieße, sei kein Vergleich oder Urteil, sondern der bindende Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2000. Gegenstand des anschließenden Sozialgerichtsverfahrens sei eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage und eine zweite Anfechtungsklage gewesen. Lediglich die zweite Anfechtungsklage, die sich gegen den nach § 96 SGG nachgeschobenen Änderungsbescheid nach § 48 Abs. 1 SGB X vom 18. Februar 2004 gerichtet habe, habe Erfolg gehabt. Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage bezüglich des Ausgangbescheides, den Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2000, sei hingegen abgewiesen worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 13. November 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für rechtens.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die zum Verfahren beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und in der Sache begründet.
Die Beklagte war aufgrund des Urteils des Sozialgerichts Kassel vom 23. März 2006 (Az.: S 4/3 U 142/00) nicht daran gehindert, nach § 48 Abs. 3 SGB X zu verfahren und die Rechtswidrigkeit des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2000 festzustellen und einen Abschmelzungsbescheid zu erlassen. Da die Voraussetzungen des § 48 Abs. 3 SGB X im Übrigen vorliegen, ist der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2011 nicht zu beanstanden.
Nach § 48 Abs. 3 SGB X darf, wenn ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 SGB X nicht zurückgenommen werden kann und eine Änderung nach Abs. 1 oder 2 des § 48 SGB X zu Gunsten des Betroffenen eingetreten ist, die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen führt zur zwingenden Rechtsfolge der Aussparung weiterer Leistungserhöhungen. Ein Ermessen ist dem Leistungserbringer nicht eingeräumt (BSG, 31. Januar 1989 - 2 RU 41/88 - juris; Brandenburg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK SGB X, § 48 Rdnr. 91).
Die Vorschrift des § 48 Abs. 3 SGB X bildet einen "Auffangtatbestand" zu § 45 SGB X. Sie schränkt den Bestandsschutz in der Weise ein, dass der Empfänger einer zu Unrecht gewährten Dauerleistung zwar die Leistung in der (rechtswidrig) festgestellten Höhe behält, die Leistung bei zukünftigen Erhöhungen aber auf den Umfang begrenzt wird, wie es sich bei fehlerfreier Erstfeststellung ergeben hätte (so Mertens in: Hauck/Noftz SGB, 08/16 § 48 SGB X m. w. N. in juris). Die Aussparung gemäß § 48 Abs. 3 SGB X gilt auch bei Rentenanpassungen (BSG, 31. Januar 1989 - 2 RU 41/88 - juris).
Zutreffend hat das Sozialgericht ausgeführt, dass sich § 48 Abs. 3 SGB X auf rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte mit Dauerwirkung beschränkt, § 48 Abs. 3 SGB X keine Anwendung findet auf unrichtige Feststellungen in gerichtlichen Entscheidungen und Vergleichen und § 48 Abs. 3 SGB X auch nicht auf Bescheide anwendbar ist, die Urteile oder gerichtliche Vergleiche ausführen. In diesen Fällen fehlt die Tatbestandsvoraussetzung "Verwaltungsakt", weil der Ausführungsbescheid selbst im Gegensatz zu den ihm zugrundeliegenden Urteil oder Vergleich - keine eigenständige Regelung im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X trifft.
Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Bei dem Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2000 handelt es sich nicht um einen Ausführungsbescheid in diesem Sinne. Vielmehr hat die Beklagte aufgrund eigener vorheriger Beurteilung und Entscheidung mit diesem Bescheid eine Anpassungsstörung mit emotionaler Symptomatik (phobische Störung/Ängste) als Unfallfolge anerkannt und der Klägerin Verletztenrente nach einer MdE von 30 v. H. ab dem 29. September 1999 gewährt.
Auch die Rechtskraftwirkung (§ 141 Abs. 1 SGG) des Urteils vom 23. März 2006 steht hier der Anwendung des § 48 Abs. 3 SGB X nicht entgegen. Die Klägerin hat den Bescheid der Beklagten vom 3. November 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2000 mit ihrer am 3. Februar 2000 eingereichten Klage (Az.: S 4/3 U 142/00) angefochten und die Feststellung weiterer Unfallfolgen - dissoziative Störungen und zervikoenzephales Syndrom - sowie eine Rente nach einer MdE von 100 v. H. begehrt. Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage hat das Sozialgericht durch Urteil vom 23. März 2006 abgewiesen. Erfolg hatte nur die Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 2004, mit dem die Beklagte der Klägerin mit Ablauf des Monats Februar 2004 die Rente entzogen hatte. Das Sozialgericht hatte folglich nur zu entscheiden, ob bei der Klägerin weitere Arbeitsunfallfolgen vorliegen, die MdE höher als mit 30 vom Hundert zu bewerten ist und ob seit Erlass des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2000 hinsichtlich der anerkannten Folge "Anpassungsstörung" eine wesentliche Besserung eingetreten ist. Nur im Rahmen und Umfang dieser Streitgestände konnte das Urteil des Sozialgerichts vom 23. März 2006 Rechtskraft entfalten (vgl. § 141 Abs. 1 SGG).
Nachdem die Beteiligten ihre Berufung jeweils zurückgenommen hatten und der Bescheid der Beklagten vom 3. November 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2000 bestandskräftig geworden war, konnte die Beklagte die Rechtswidrigkeit des begünstigenden Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vom 10. Januar 2000 feststellen und einen Abschmelzungsbescheid erlassen.
Die einvernehmliche Rücknahme der jeweiligen Berufung stellt hierfür kein rechtliches Hindernis dar. Wird hierin ein Vergleich gesehen, so besteht das gegenseitige Nachgeben in der jeweiligen Berufungsrücknahme. Die dadurch zum Ausdruck kommende Akzeptanz der erstinstanzlichen Entscheidung, die dadurch rechtskräftig wurde, beinhaltet keinen konkludenten Verzicht der Beklagten auf Anwendung des § 48 Abs. 3 SGB X. Die Klägerin ihrerseits hatte keinen Anlass darauf zu vertrauen, dass ihre Rente, die sie zu Unrecht bezieht, zukünftig auch noch erhöht wird, weil sie von den wiederkehrenden Rentenanpassungen profitiert. Die Klägerin musste vielmehr damit rechnen, dass sich die Beklagte an die gesetzliche Regelung des § 48 Abs. 3 SGB X hält und sie ihrer Verpflichtung nachkommt, einen Abschmelzungsbescheid zu erlassen, wenn hierfür die Voraussetzungen vorliegen. Einen Verstoß gegen Treu und Glauben wie von der Klägerin geltend gemacht – kann ein solches vom Gesetz zwingend gefordertes und nicht im Ermessen der Beklagten liegendes Verhalten nicht beinhalten.
Nach der Legaldefinition in § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, wenn die Behörde bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist. Unerheblich ist, ob sich die Rechtswidrigkeit durch Fehler begründet, die die Höhe oder den Grund der Leistung betreffen. In beiden Fällen findet § 48 Abs. 3 Satz 1 SGB X Anwendung. Die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts im Sinne des § 48 Abs. 3 SGB X beurteilt sich nach den gleichen Maßstäben, wie sie auch bei Anwendung der §§ 44 und 45 SGB X zugrunde zu legen sind. Nach ständiger Rechtsprechung des für die gesetzliche Unfallversicherung zuständigen 2. Senats des BSG ist die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts bereits anzunehmen, wenn dieser aus damaliger Sicht so nicht hätte erlassen werden dürfen (BSG, Urteile vom 2. November 1999 - B 2 U 47/98 R – und vom 20. März 2007 2 U 27/06 R - in juris). Da es um die Feststellung der ursprünglichen Rechtswidrigkeit geht, darf die Behörde dabei ausschließlich den tatsächlichen und rechtlichen Zustand im Zeitpunkt des Erlasses zugrunde legen. Bei der Prüfung sind dieselben materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Grundlagen wie auch bei der Prüfung der Erstfeststellung heranzuziehen. Dies gilt insbesondere für die juristische Subsumtion der Tatsachen unter die jeweilige Norm des materiellen Rechts, einschließlich deren kausaler Verknüpfung sowie für die anzuwendenden Beweismaßstäbe und die Regeln der objektiven Beweislast im Falle der Nichterweislichkeit. Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Annahme der Rechtswidrigkeit bereits dann gerechtfertigt, wenn sich im Rahmen einer nochmaligen Prüfung der ursprünglichen Sach- und Rechtslage erhebliche Zweifel am Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsachen oder des erforderlichen Ursachenzusammenhangs ergeben. Nicht erforderlich ist, dass die Behörde für das Fehlen der Gesundheitsstörung den Vollbeweis erbringen muss (so die Ausführungen von Brandenburg in: Schlegel/Voelzke, juris PK - SGB X, § 48 SGB X Rdnrn: 82 - 84).
Die Feststellung der Rechtswidrigkeit des nicht mehr rücknehmbaren Ausgangsverwaltungsaktes hat nach ständiger Rechtsprechung des BSG in einem eigenständigen anfechtbaren Verwaltungsakt zu erfolgen (vgl. zum Beispiel BSG, Urteile vom 22. Juni 1988 - 9/9a RV 46/86; vom 18. März 1997 - 2 RU 19/96 und vom 16. Dezember 2004 – B 9 VS 1/04 R – jeweils juris). Ein solcher Bescheid hat lediglich feststellende Wirkung. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit kann isoliert in einem gesonderten Bescheid oder zusammen und als Teil des Abschmelzungsbescheides erlassen werden.
Die Beklagte hat hier nach notwendiger Anhörung der Klägerin im Bescheid vom 27. Juni 2011 die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 10. Januar 2000 festgestellt und gleichzeitig einen Abschmelzungsbescheid erlassen. Zudem wurde der Klägerin mitgeteilt, dass sie keinen Anspruch auf Heilbehandlung und Reisekostenerstattung hat.
Bei Feststellung der Rechtswidrigkeit des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2000 hat sich die Beklagte im Wesentlichen auf das Gutachten des Prof. Dr. Dr. K. vom 10. Juni 2010 gestützt. Prof. Dr. Dr. K. begründet in seinem Gutachten überzeugend, weshalb in den Jahren 1997 und 1998 eine Anpassungsstörung mit unterschiedlicher Ausprägung vorgelegen hat. Zur Dauer dieses Zustandes konnte er aufgrund lückenhafter Dokumentation keine genauen zeitlichen Angaben machen. Seinen nachvollziehbaren Ausführungen zufolge hat sich bei der Klägerin im Laufe der Zeit, beginnend etwa im Frühjahr des Jahres 1998, eine andere Symptomatik - dissoziative Störung - entwickelt, die nicht mehr mit der ursprünglichen Anpassungsstörung in Zusammenhang gebracht werden kann. Insofern ist auch nach Überzeugung des Senats von einer Änderung der Wesensgrundlage der psychischen Störung auszugehen. Die Dauer der Anpassungsstörung schätzt der Sachverständige auf maximal zwei Jahre nach dem Unfallereignis. Er bezieht sich dabei zutreffend auf allgemein medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse. Nach diesen Erkenntnissen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, S. 143) beginnen die Symptome einer Anpassungsstörung innerhalb eines Zeitraums von längstens drei Monaten nach dem belastenden Ereignis und halten selten länger als sechs Monate danach an (akute Anpassungsstörung). Bei anhaltenden Belastungen, zum Beispiel entstellender oder stark beeinträchtigender Körperverletzung, spricht man von chronischer Anpassungsstörung. In solchen Fällen kann bei längeren depressiven Reaktionen eine Anpassungsstörung auch länger als sechs Monate andauern. Beim Fehlen von anhaltenden schweren körperlichen Schädigungsfolgen wie hier kann eine Anpassungsstörung lediglich bis zu einer Zeitdauer von maximal zwei Jahren diagnostiziert werden (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O.; Sk 2- Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen, AWMF – Register-Nr. 051/029 Teil II unter 2.2.3 Anpassungsstörungen). Der Zweijahreszeitraum war bei Erlass des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2000 bereits überschritten. Die Beklagte hat deshalb zu Recht die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 10. Januar 2000 im Bescheid vom 27. Juni 2011 festgestellt und gleichzeitig einen Abschmelzungsbescheid erlassen.
Einen Anspruch auf Heilbehandlung und auf Erstattung damit im Zusammenhang stehender Reisekosten hat die Klägerin nicht. Denn ein diesbezüglicher Anspruch nach den §§ 26, 27, 28, 30 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) setzt voraus, dass ein durch den Versicherungsfall verursachter Gesundheitsschaden überhaupt vorliegt (§ 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII). Dies ist hier nicht der Fall. Die bei der Klägerin zu behandelnden Erkrankungen sind nicht Arbeitsunfallfolgen. Die durch den Unfall am 24. April 1997 unmittelbar und mittelbar erlittenen Gesundheitsstörungen (Prellung der Halswirbelsäule und Brustwirbelsäule sowie die Anpassungsstörung) sind - wie von der Beklagten zutreffend festgestellt - schon lange ausgeheilt.
Auf die Berufung der Beklagten war folglich das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Die über die Nichtzulassung der Revision aus § 160 SGG.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen einen sogenannten Abschmelzungsbescheid.
Sie erlitt am 24. April 1997 auf dem Weg zur Arbeit einen Verkehrsunfall, als ein Lkw in die Fahrerseite des von ihr geführten Kraftfahrzeuges fuhr. Neben in der Folge auftretender deutlicher Druckschmerzhaftigkeit von Halswirbelsäule und Brustwirbelsäule sowie schmerzhafter Einschränkung der Beweglichkeit der genannten Wirbelsäulenabschnitte kam es nach einem Bericht des Dr. C. vom 3. August 1997 zu einer unfallabhängigen Entwicklung einer pathologischen Angstreaktion, was eine Überweisung in die Neurologische Klinik Bad Zwesten zur Folge hatte. In der Folge befand sich die Klägerin in Behandlung bei Dr. D., der in einem Bericht vom 8. November 1997 vom Vorliegen einer phobischen posttraumatischen Reaktion berichtete. In der weiteren Folge befand sie sich vom 30. Januar 1998 bis 20. Februar 1998 in stationärer Behandlung im Christoph-Dornier-Zentrum für klinische Psychologie. Dort wurde unter dem 27. Februar 1998 eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Es schloss sich vom 14. Mai 1998 bis zum 25. Juni 1998 eine stationäre Unterbringung in der psychosomatischen Fachklinik Bad Pyrmont an. Der leitende Arzt der Klinik, Prof. Dr. E., verfasste darauf im Auftrag der Beklagten ein nervenärztliches Gutachten zu der Frage der unfallbedingten Gesundheitsstörung.
Unter dem 25. Juni 1998 gelangte Prof. Dr. E. zu dem Ergebnis, dass mitbedingt durch das Unfallereignis eine Anpassungsstörung mit emotionaler Symptomatik sowie ein Zustand nach einem HWS-Schleudertrauma bestehe. Unfallunabhängig bestehe eine dissoziative Störung mit Schwindel, Gangstörung und Wahrnehmungsverzerrungen sowie eine akzentuierte (histrionische) Persönlichkeit. Ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Unfallhergang sei unter rein körperlichen Gesichtspunkten bezüglich des HWS-Schleudertraumas zu sehen, was jedoch zum Behandlungszeitpunkt keine wesentliche Rolle mehr spiele. Im Weiteren sei ein Zusammenhang bezüglich der Anpassungsstörung mit Angstsymptomatik besonders mit reduzierter Fähigkeit einer eigenaktiven Bewegung im Straßenverkehr und Autofahren zu sehen. Diese Störungskomponente bestehe auch weiterhin. Die Ausweitung auf eine Störung mit überwiegend dissoziativer Symptomatik erscheine aus medizinischer Sicht nicht auf den Unfallhergang zurückzuführen, sondern habe sich mit der jetzt bereits bestehenden Chronifizierungstendenz auf dem Boden extremer Überschreitung individueller Belastungsgrenzen und Reizüberflutung initiiert. Die Störung werde aufrechterhalten vor dem Hintergrund einer akzentuierten (histrionischen) Persönlichkeit. Mitbedingt durch die Unfallfolgen im Sinne der Anpassungsstörung mit emotionaler Symptomatik bestehe weiterhin Arbeitsunfähigkeit. Unter dem Aspekt einer prognostisch erfolgreichen ambulanten Psychotherapie, möglichst verhaltenstherapeutisch ausgerichtet, könne aus medizinischer Sicht eine Gesundheitsverbesserung und damit eine Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit in 1 bis 2 Jahren erreicht werden. Leistungseinbußen vor dem Hintergrund der Angststörung dürften dann aller medizinischen Erfahrung nach nicht mehr vorliegen. Im Zuge der zur Chronizität tendierenden dissoziativen Symptomatik, vor dem Hintergrund der akzentuierten Persönlichkeit, bleibe die Prognose der Leistungsfähigkeit allerdings eher ungünstig. Hinsichtlich der Unfallfolgen bestehe aus medizinischer Sicht auch die Notwendigkeit zu fortgesetzter Behandlung im Rahmen ambulanter Psychotherapie. Diese solle für ca. 2 Jahre anberaumt werden. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage aufgrund der Anpassungsstörung 30 v. H. Mit Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit in ca. 1 bis 2 Jahren, was im Falle der Klägerin eine eigenständige Bewegung im Straßenverkehr voraussetze, sei die MdE unfallbedingt auf Null reduziert.
Mit Bescheid vom 3. November 1998 erkannte die Beklagte den Unfall vom 24. April 1997 als Arbeitsunfall an und stellte zugleich fest, dass die Unfallverletzung - Prellung der Halswirbelsäule und Brustwirbelsäule - ausgeheilt sei. Die bestehende schwere neurotische seelische Störung werde nicht als Unfallfolge anerkannt. Dagegen erhob die Klägerin am 19. November 1998 Widerspruch.
Im Widerspruchsverfahren veranlasste die Beklagte ein Gutachten bei Prof. Dr. F. Dieser gelangte in seinem Gutachten vom 25. November 1999 zu der Auffassung, dass die von ihm festgestellten Beeinträchtigungen posttraumatische Belastungsstörung, dissoziative Störungen der Bewegung und Empfindung und phobische Störung auf den Unfall zurückzuführen seien. Eine vorbestehende oder unfallfremde psychische Beeinträchtigung sei nicht gegeben. Die unfallbedingte MdE betrage 70 v. H. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 22. Dezember 1999 hielt der Gutachter an seiner Auffassung fest.
Auf Grundlage eines ausführlichen Aktenvermerkes vom Januar 2000 und des Gutachtens des Prof. Dr. E. änderte die Beklagte ihren Bescheid durch den Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2000 teilweise ab und erkannte als Unfallfolge eine Anpassungsstörung mit emotionaler Symptomatik (phobische Störungen/Ängste) an. Zugleich gewährte die Beklagte bis zum 27. September 1999 Verletztengeld und ab dem 29. September 1999 Verletztenrente nach einer MdE von 30 v. H. Im Übrigen wurde der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen. Dagegen erhob die Klägerin am 3. Februar 2000 Klage beim Sozialgericht Kassel, welches das Verfahren unter dem Aktenzeichen S 4/3 U 142/00 führte. Ein weiteres Verfahren wegen Gewährung von Haushaltshilfe, welches unter dem Aktenzeichen S 3 U 338/00 beim Sozialgericht Kassel geführt wurde, verband das Gericht mit dem Verfahren S 4/3 U 142/00.
In dem Verfahren S 4/3 U 142/00 holte das Sozialgericht Kassel in der Folge zur Klärung der Unfallfolgen ein psychiatrisches Gutachten mit psychologischem Zusatzgutachten bei Dr. G. ein. Der Sachverständige gelangte in seinem Gutachten vom 3. Juni 2003 zu der Diagnose einer dissoziativen Störung mit im Vordergrund stehenden dissoziativen Bewegungsstörungen und der Verdachtsdiagnose einer histrionischen Persönlichkeitsstörung. Retrospektiv werde hinsichtlich der Unfallverarbeitung die Diagnose einer Anpassungsstörung mit phobischen Symptomen gestellt. Diese Diagnose könne zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht mehr gestellt werden. Das Zustandsbild wirke übertrieben und unglaubhaft. Ein eindeutiger Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen lasse sich nicht herstellen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass ein banaler Autounfall ohne wesentliche körperliche Verletzungen zu einem solchen Bild, wie es die Klägerin präsentiere, führe. Die dissoziative Symptomatik werde somit zwar ausgelöst durch den Unfall und die nachfolgende Behandlung angesehen, der Unfall sei hierbei aber Zufallsursache. Der Unfall sei austauschbarer Auslöser für die Dekompensation, die in der Primärpersönlichkeit der Klägerin begründet liege. Unfallunabhängig habe mit hoher Wahrscheinlichkeit schon vor dem Unfall eine akzentuierte, histrionische Persönlichkeitsstruktur bestanden.
Unter Hinweis auf dieses Gutachten vom 3. Juni 2003 entzog darauf die Beklagte nach vorheriger Anhörung mit Bescheid vom 18. Februar 2004 der Klägerin mit Ablauf des Monats Februar 2004 die Verletztenrente. Die den Bescheid vom 10. Januar 2000 zugrundeliegenden Verhältnisse hätten sich wesentlich geändert. Es seien keine Befunde mehr vorhanden, die die Diagnose einer Anpassungsstörung stützen würden.
Unter dem 17. Januar 2005 erstattete Dr. H. ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG -. Darin wurde ausgeführt, die auf nervenärztlichem Fachgebiet als Unfallfolge nach erfolgter Rekonvaleszenz verbliebene Anpassungsstörung habe zu einer MdE von 30 v. H. geführt. Die seit Februar 1998 beobachtete Entstehung eines dissoziativen Störungsbildes mit der psychopathologischen Konstellation einer posttraumatischen Belastungsstörung habe für die unfallbedingten Entstehungs- und Komplikationsfaktoren eine Erhöhung der MdE auf 40 v. H. zur Folge gehabt mit einem Fortbestehen auch seit dem 28. September 1999. Hierbei seien die psychosomatischen Begleiterscheinungen insbesondere in ihrer Auswirkung auf das bestehende muskoloskelettäre Beschwerdebild mit berücksichtigt. Unter Berücksichtigung des bisherigen Verlaufs sei von einem Dauerzustand des bestehenden Beeinträchtigungsspektrums auszugehen. Vorliegend erscheine eine ausschließliche Rückführung der entstandenen psychischen Symptomatik auf die beschriebene Persönlichkeitsstruktur nicht statthaft. Aufgrund des aktuellen psychopathologischen Befundes seien die wesentlichen Kriterien für das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung gegeben. Der Ausschluss einer Retraumatisierung durch die erfolgte Reizkonfrontationstherapie durch Dr. G. sei nicht nachzuvollziehen. Umgekehrt sei das entstandene Störungsbild hinweisend auf das Vorliegen einer entsprechend vorbestehenden seelischen Reaktionsbereitschaft, wie sie plausibel mit der beschriebenen Persönlichkeitsstruktur in Einklang zu bringen sei.
Mit Urteil vom 23. März 2006 hob das Sozialgericht Kassel den Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 2004 auf und wies im Übrigen die Klage ab. Es führte aus, der Klägerin sei auf der Grundlage des Bescheides vom 10. Januar 2000 weiterhin Verletztenrente nach einer MdE von 30 v. H. zu gewähren. Im Übrigen sei die Klage jedoch nicht begründet. Zutreffend habe die Beklagte die Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. E. in ihrem Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2000 umgesetzt und der Klägerin Verletztenrente nach einer MdE von 30 v. H. gewährt. Weitere Unfallfolgen, die eine Erhöhung der MdE rechtfertigen könnten, lägen nicht vor. Die Beurteilung der unfallbedingten MdE für die vorhandene Anpassungsstörung von 30 v. H. im Gutachten von Prof. Dr. E. stehe auch im Einklang mit den MdE-Erfahrungswerten der gesetzlichen Unfallversicherung, wonach nach einer stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit eine MdE von 20 bis 40 vorliege. Entgegen der Ansicht der Beklagten sei seit Erteilung des Bescheides vom 10. Januar 2000 eine wesentliche Besserung der erlittenen Unfallfolgen, die nach § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X die Entziehung der gewährten Verletztenrente rechtfertigen könnte, nicht nachgewiesen. Der am 18. Februar 2004 während des Gerichtsverfahrens erteilte Bescheid sei daher aufzuheben. Die Herabsetzung der unfallbedingten MdE werde auch durch keines der eingeholten Sachverständigengutachten gestützt. Andererseits halte die Kammer eine wesentliche Verschlechterung der gesundheitlichen Unfallfolgen, die nach § 48 SGB X die Heraufsetzung der gewährten Verletztenrente rechtfertigen könnte, gleichfalls für nicht nachgewiesen.
Gegen diese Entscheidung legten beide Beteiligten Berufung beim Hessischen Landessozialgericht ein (Az.: L 9 U 160/06 und L 9 U 162/06). In einem von Amts wegen eingeholten Gutachten des Dr. J. vom 3. Januar 2008 diagnostizierte dieser bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD 10: F 43.1), dissoziative Störungen, gemischt (ICD 10: F 44.7) und eine phobische Störung (ICD 10: F 40.2). Ein weiteres Gutachten erstellte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. Dr. K. nach einem stationären Begutachtungsaufenthalt des Klägers vom 3. bis 5. Mai 2010 in der Klinik für Neurologie und neurologische Rehabilitation des Bezirkskrankenhauses Günzburg. Prof. Dr. Dr. K. gelangte in seinem Gutachten vom 10. Juni 2010 zu der Beurteilung, es könne nicht festgestellt werden, dass es unmittelbar nach dem Unfallereignis vom 24. April 1997 zu einem relevanten psychischen Primärschaden gekommen sei. Die Klägerin habe unmittelbar durch das Unfallereignis eine Zerrung des Stützapparates mit nachfolgenden Verspannungen der paravertebralen Muskulatur der Hals- und Brustwirbelsäule erlitten. Ein darüber hinausgehender Primärschaden sei jedoch nicht dokumentiert, auch seien keine äußeren Verletzungszeichen beschrieben. Der zeitnahe Erstbefund des Durchgangsarztes Dr. C. spreche lediglich von einem "leichten" Unfallschock. Zu einer ersten Verschlechterung sei es aufgrund einer mittelbaren Traumatisierung im Mai 1997 gekommen, als die Klägerin auf dem Weg zur Arbeit erneut dem Molkereifahrzeug begegnet sei, das den Unfall verursacht hatte. Es sei bei dieser Begegnung Ende Mai beinahe zu einem weiteren Unfall gekommen. Die Klägerin habe, wie sie am 30. Januar 1998 angegeben habe, danach unter Alpträumen gelitten und habe begonnen, sehr vorsichtig zu fahren, sei immer bemüht gewesen, alle Vorgänge des Straßenverkehrs möglichst vorher schon zu beobachten. Diese im weiteren Verlauf des Jahres 1997 beschriebene Angstsymptomatik sei als mittelbare Unfallfolge zu interpretieren. Diagnostisch sei hier von einer Anpassungsstörung auszugehen (ICD 10: F 43.22). Die phobische Symptomatik im Sinne einer Anpassungsstörung sei bis Januar 1998 mit 20 vom Hundert zu bewerten. Nach der stationären Behandlung im Christoph-Dornier-Centrum im Januar/Februar 1998 und nach Wiederaufnahme der Arbeit im März 1998 sei es bis Ende Juni 1998 zu einer vorübergehenden Verschlechterung der Symptomatik gekommen. Für den 30. März 1998 sei ein nochmaliges, drittes Ereignis beschrieben. Die Klägerin sei von einem Pkw "kurz hintereinander zweimal etwas rüde abgedrängt" worden. Danach sei es offensichtlich zu einer psychischen Dekompensation gekommen, die am 31. März 1998 zu einer weiteren Vorstellung bei dem Durchgangsarzt Dr. C. geführt habe. Dort habe die Klägerin in der Praxis einen "massiven Schreikrampf" entwickelt, angefangen "zu toben" und habe sich kaum beruhigen lassen. Bis Ende Juni 1998 habe ein "stark ausgeprägtes Störungsbild" vorgelegen, für welches eine MdE von 30 vom Hundert vorgesehen sei. Danach sei die MdE in grober Schätzung des "üblichen Verlaufs derartiger Störungen angesichts einer nur begrenzten Dokumentation bis Ende des zweiten Unfalljahres mit 20 v. H." einzuschätzen. Soweit danach noch Symptome vorgelegen hätten, seien diese als unfallunabhängig zu bewerten und der Persönlichkeit der Klägerin zuzuordnen. Entscheidend für die Einschätzung des weiteren Verlaufs sei vor allem der Bericht über die sechswöchige stationäre Therapie in der psychosomatischen Klinik Bad Pyrmont vom Mai/Juni 1998. Die Klägerin habe im zunehmenden Umfang Symptome entwickelt, die kaum mehr mit der in der ersten Zeit im Vordergrund stehenden Angstsymptomatik in Verbindung zu bringen seien, sondern sich, wie im Abschlussbericht der Klinik beschrieben, als Ausdruck einer dissoziativen Störung auf dem Boden einer emotional instabilen Persönlichkeit darstellten.
In einem Erörterungstermin am 17. Dezember 2010 wies der 9. Senat des Hessischen Landessozialgerichts die Beteiligten unter Bezugnahme auf das Gutachten des Prof. Dr. Dr. K. daraufhin, dass danach nicht § 48 SGB X - mangels einer wesentlichen Veränderung nach Erlass eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes - Rechtsgrundlage für die Aufhebung der bewilligten Rente wäre, sondern § 45 SGB X, weil bereits die Bewilligung der Rente rechtswidrig gewesen sei. Es wurde angeregt, dass die Beteiligten das Ergebnis des erstinstanzlichen Urteils akzeptieren und die Berufung jeweils zurücknehmen. Nach Eingang der Rücknahmeerklärungen wurde zum 30. Dezember 2010 die Erledigung des Rechtstreits festgestellt.
Nach entsprechender Anhörung mit Schreiben vom 14. April 2011 erließ die Beklagte unter dem 27. Juni 2011 den hier streitgegenständlichen Bescheid, in dem sie ausführte, der Bescheid vom 10. Januar 2000 über die Zahlung einer Rente ab dem 29. September 1999 auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 v. H. sei hinsichtlich der Anerkennung von Unfallfolgen und der Höhe der MdE fehlerhaft und somit rechtswidrig. Die Beklagte schloss sich diesbezüglich den Ausführungen des Prof. Dr. Dr. K. an. Die Rente werde aufgrund des Bestandsschutzes in bisheriger Höhe von 356,61 Euro monatlich weitergezahlt. Bei allen zukünftigen Änderungen zugunsten der Klägerin (auch Rentenanpassungen) werde der Leistungsbetrag von einer Erhöhung gemäß § 48 Abs. 3 SGB X ausgenommen. Es bestehe auch kein Anspruch auf die Übernahme von Behandlungen, Therapien und den damit zusammenhängenden Fahrtkosten. Gegen diesen ihren Bevollmächtigten am 28. Juni 2011 zugestellten Bescheid legte die am 8. Juli 2011 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2011 zurückwies.
Gegen diesen ihrem Bevollmächtigten am 17. Oktober 2011 zugestellten Bescheid hat die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 16. November 2011 am selben Tag Klage beim Sozialgericht Kassel (Sozialgericht; Az: L 3 U 252/12) erhoben.
Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 13. November 2012 den Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2011 aufgehoben. In den Gründen hat es ausgeführt, ungeachtet der Frage, ob die Voraussetzungen des § 48 Abs. 3 SGB X gegeben seien, erweise sich die Abschmelzung bereits deshalb als rechtswidrig, weil die Beteiligten an das nach Rücknahme der Berufung rechtskräftige Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. März 2006 gebunden seien. Denn § 48 Abs. 3 SGB X sei in den Fällen nicht anwendbar, in denen das Verwaltungshandeln die Ausführung eines rechtskräftigen Urteils darstelle. Die Vorschrift stelle einen Auffangtatbestand dar, die dann greife, wenn die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach § 45 SGB X scheitere. Sie stelle indes keine Korrekturmöglichkeit dar, wenn der angeblich rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakt auf einem Vergleich oder gerichtlichen Urteil beruhe. Dies habe seinen Grund. Denn Urteile seien, wie sich aus § 141 SGG ergebe, der Rechtskraft fähig. Die Durchbrechung der Rechtskraft sei unter engen Grenzen möglich und im SGB X für den Betroffenen in § 44 SGB X geregelt. § 48 Abs. 3 SGB X stelle aber keine solche Vorschrift dar. Vorliegend beruhe auch die begünstigende Leistung auf dem Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. März 2006. Mithin sei lediglich der Anfechtungsteil der Klage erfolgreich gewesen. Ob die begünstigende Leistung in Ausführung des rechtskräftigen Urteils bewilligt worden sei, richte sich nach dem Umfang der Rechtskraft bei Anfechtungsklagen. Diese ergebe sich bei stattgebenden Urteilen aus dem Antrag und den Entscheidungsgründen. Ausweislich der Entscheidungsgründe des sozialgerichtlichen Urteils sei maßgeblich für die Aufhebung des Änderungsbescheides vom 18. Februar 2004 allein der Umstand, dass das Gericht die Feststellung einer MdE von 30 Prozent für zutreffend erachtet habe. Den tragenden Gründen der Entscheidung des Sozialgerichts sei zu entnehmen, dass die Aufhebung des Änderungsbescheides und die Abweisung der Klage im Übrigen allein auf der Überzeugung gründeten, dass in der Person der Klägerin aufgrund der anerkannten Unfallfolgen eine MdE von 30 Prozent bestanden habe. Die Folgen dieses Urteils mit einer Entscheidung nach § 48 Abs. 3 SGB X abzumildern, sei der Beklagten damit verwehrt. Dieses Ergebnis erscheine auch unter Berücksichtigung des Zustandekommens der Berufungsrücknahmen gerechtfertigt. Die Beteiligten seien sich darüber einig gewesen, dass das erstinstanzliche Urteil mit dem so festgestellten Inhalt rechtskräftig werden solle. Für das Gericht werde klar, dass jede Partei unter allen Umständen sicher gehen wollte, dass es bei dem Inhalt des angefochtenen erstinstanzlichen Urteils bleibe. Es stelle einen Verstoß gegen Treu und Glauben dar, wenn die Beklagte im Anschluss an ihre Berufungsrücknahme einen Abschmelzungsbescheid nach § 48 Abs. 3 SGB X erlasse, ohne dass sie vorher bei ihrer Erklärung der Berufungsrücknahme auf ihre diesbezügliche Absicht hingewiesen habe.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 26. November 2012 zugestellte Urteil am 21. Dezember 2012 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht (L 3 U 252/12) eingelegt und vorgetragen, der Bescheid vom 27. Juni 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2011 sei rechtmäßig. Weder durch die Rechtskraft des Urteils vom 23. März 2006 noch durch die Rücknahme der Berufung im zweitinstanzlichen Verfahren sei bei der vorliegenden Rechts- und Sachlage die Korrektur nach § 48 Abs. 3 SGB X verschlossen. Sie sei vielmehr verpflichtet, Unrecht nicht weiter wachsen zu lassen und die rechtlichen Möglichkeiten im Interesse der Solidargemeinschaft der Mitgliedsunternehmen auszuschöpfen. Rechtsgrundlage für die Verletztenrente der Klägerin, die Vertrauens- und Bestandsschutz genieße, sei kein Vergleich oder Urteil, sondern der bindende Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2000. Gegenstand des anschließenden Sozialgerichtsverfahrens sei eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage und eine zweite Anfechtungsklage gewesen. Lediglich die zweite Anfechtungsklage, die sich gegen den nach § 96 SGG nachgeschobenen Änderungsbescheid nach § 48 Abs. 1 SGB X vom 18. Februar 2004 gerichtet habe, habe Erfolg gehabt. Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage bezüglich des Ausgangbescheides, den Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2000, sei hingegen abgewiesen worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 13. November 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für rechtens.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die zum Verfahren beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und in der Sache begründet.
Die Beklagte war aufgrund des Urteils des Sozialgerichts Kassel vom 23. März 2006 (Az.: S 4/3 U 142/00) nicht daran gehindert, nach § 48 Abs. 3 SGB X zu verfahren und die Rechtswidrigkeit des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2000 festzustellen und einen Abschmelzungsbescheid zu erlassen. Da die Voraussetzungen des § 48 Abs. 3 SGB X im Übrigen vorliegen, ist der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2011 nicht zu beanstanden.
Nach § 48 Abs. 3 SGB X darf, wenn ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 SGB X nicht zurückgenommen werden kann und eine Änderung nach Abs. 1 oder 2 des § 48 SGB X zu Gunsten des Betroffenen eingetreten ist, die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen führt zur zwingenden Rechtsfolge der Aussparung weiterer Leistungserhöhungen. Ein Ermessen ist dem Leistungserbringer nicht eingeräumt (BSG, 31. Januar 1989 - 2 RU 41/88 - juris; Brandenburg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK SGB X, § 48 Rdnr. 91).
Die Vorschrift des § 48 Abs. 3 SGB X bildet einen "Auffangtatbestand" zu § 45 SGB X. Sie schränkt den Bestandsschutz in der Weise ein, dass der Empfänger einer zu Unrecht gewährten Dauerleistung zwar die Leistung in der (rechtswidrig) festgestellten Höhe behält, die Leistung bei zukünftigen Erhöhungen aber auf den Umfang begrenzt wird, wie es sich bei fehlerfreier Erstfeststellung ergeben hätte (so Mertens in: Hauck/Noftz SGB, 08/16 § 48 SGB X m. w. N. in juris). Die Aussparung gemäß § 48 Abs. 3 SGB X gilt auch bei Rentenanpassungen (BSG, 31. Januar 1989 - 2 RU 41/88 - juris).
Zutreffend hat das Sozialgericht ausgeführt, dass sich § 48 Abs. 3 SGB X auf rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte mit Dauerwirkung beschränkt, § 48 Abs. 3 SGB X keine Anwendung findet auf unrichtige Feststellungen in gerichtlichen Entscheidungen und Vergleichen und § 48 Abs. 3 SGB X auch nicht auf Bescheide anwendbar ist, die Urteile oder gerichtliche Vergleiche ausführen. In diesen Fällen fehlt die Tatbestandsvoraussetzung "Verwaltungsakt", weil der Ausführungsbescheid selbst im Gegensatz zu den ihm zugrundeliegenden Urteil oder Vergleich - keine eigenständige Regelung im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X trifft.
Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Bei dem Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2000 handelt es sich nicht um einen Ausführungsbescheid in diesem Sinne. Vielmehr hat die Beklagte aufgrund eigener vorheriger Beurteilung und Entscheidung mit diesem Bescheid eine Anpassungsstörung mit emotionaler Symptomatik (phobische Störung/Ängste) als Unfallfolge anerkannt und der Klägerin Verletztenrente nach einer MdE von 30 v. H. ab dem 29. September 1999 gewährt.
Auch die Rechtskraftwirkung (§ 141 Abs. 1 SGG) des Urteils vom 23. März 2006 steht hier der Anwendung des § 48 Abs. 3 SGB X nicht entgegen. Die Klägerin hat den Bescheid der Beklagten vom 3. November 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2000 mit ihrer am 3. Februar 2000 eingereichten Klage (Az.: S 4/3 U 142/00) angefochten und die Feststellung weiterer Unfallfolgen - dissoziative Störungen und zervikoenzephales Syndrom - sowie eine Rente nach einer MdE von 100 v. H. begehrt. Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage hat das Sozialgericht durch Urteil vom 23. März 2006 abgewiesen. Erfolg hatte nur die Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 2004, mit dem die Beklagte der Klägerin mit Ablauf des Monats Februar 2004 die Rente entzogen hatte. Das Sozialgericht hatte folglich nur zu entscheiden, ob bei der Klägerin weitere Arbeitsunfallfolgen vorliegen, die MdE höher als mit 30 vom Hundert zu bewerten ist und ob seit Erlass des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2000 hinsichtlich der anerkannten Folge "Anpassungsstörung" eine wesentliche Besserung eingetreten ist. Nur im Rahmen und Umfang dieser Streitgestände konnte das Urteil des Sozialgerichts vom 23. März 2006 Rechtskraft entfalten (vgl. § 141 Abs. 1 SGG).
Nachdem die Beteiligten ihre Berufung jeweils zurückgenommen hatten und der Bescheid der Beklagten vom 3. November 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2000 bestandskräftig geworden war, konnte die Beklagte die Rechtswidrigkeit des begünstigenden Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vom 10. Januar 2000 feststellen und einen Abschmelzungsbescheid erlassen.
Die einvernehmliche Rücknahme der jeweiligen Berufung stellt hierfür kein rechtliches Hindernis dar. Wird hierin ein Vergleich gesehen, so besteht das gegenseitige Nachgeben in der jeweiligen Berufungsrücknahme. Die dadurch zum Ausdruck kommende Akzeptanz der erstinstanzlichen Entscheidung, die dadurch rechtskräftig wurde, beinhaltet keinen konkludenten Verzicht der Beklagten auf Anwendung des § 48 Abs. 3 SGB X. Die Klägerin ihrerseits hatte keinen Anlass darauf zu vertrauen, dass ihre Rente, die sie zu Unrecht bezieht, zukünftig auch noch erhöht wird, weil sie von den wiederkehrenden Rentenanpassungen profitiert. Die Klägerin musste vielmehr damit rechnen, dass sich die Beklagte an die gesetzliche Regelung des § 48 Abs. 3 SGB X hält und sie ihrer Verpflichtung nachkommt, einen Abschmelzungsbescheid zu erlassen, wenn hierfür die Voraussetzungen vorliegen. Einen Verstoß gegen Treu und Glauben wie von der Klägerin geltend gemacht – kann ein solches vom Gesetz zwingend gefordertes und nicht im Ermessen der Beklagten liegendes Verhalten nicht beinhalten.
Nach der Legaldefinition in § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, wenn die Behörde bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist. Unerheblich ist, ob sich die Rechtswidrigkeit durch Fehler begründet, die die Höhe oder den Grund der Leistung betreffen. In beiden Fällen findet § 48 Abs. 3 Satz 1 SGB X Anwendung. Die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts im Sinne des § 48 Abs. 3 SGB X beurteilt sich nach den gleichen Maßstäben, wie sie auch bei Anwendung der §§ 44 und 45 SGB X zugrunde zu legen sind. Nach ständiger Rechtsprechung des für die gesetzliche Unfallversicherung zuständigen 2. Senats des BSG ist die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts bereits anzunehmen, wenn dieser aus damaliger Sicht so nicht hätte erlassen werden dürfen (BSG, Urteile vom 2. November 1999 - B 2 U 47/98 R – und vom 20. März 2007 2 U 27/06 R - in juris). Da es um die Feststellung der ursprünglichen Rechtswidrigkeit geht, darf die Behörde dabei ausschließlich den tatsächlichen und rechtlichen Zustand im Zeitpunkt des Erlasses zugrunde legen. Bei der Prüfung sind dieselben materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Grundlagen wie auch bei der Prüfung der Erstfeststellung heranzuziehen. Dies gilt insbesondere für die juristische Subsumtion der Tatsachen unter die jeweilige Norm des materiellen Rechts, einschließlich deren kausaler Verknüpfung sowie für die anzuwendenden Beweismaßstäbe und die Regeln der objektiven Beweislast im Falle der Nichterweislichkeit. Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Annahme der Rechtswidrigkeit bereits dann gerechtfertigt, wenn sich im Rahmen einer nochmaligen Prüfung der ursprünglichen Sach- und Rechtslage erhebliche Zweifel am Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsachen oder des erforderlichen Ursachenzusammenhangs ergeben. Nicht erforderlich ist, dass die Behörde für das Fehlen der Gesundheitsstörung den Vollbeweis erbringen muss (so die Ausführungen von Brandenburg in: Schlegel/Voelzke, juris PK - SGB X, § 48 SGB X Rdnrn: 82 - 84).
Die Feststellung der Rechtswidrigkeit des nicht mehr rücknehmbaren Ausgangsverwaltungsaktes hat nach ständiger Rechtsprechung des BSG in einem eigenständigen anfechtbaren Verwaltungsakt zu erfolgen (vgl. zum Beispiel BSG, Urteile vom 22. Juni 1988 - 9/9a RV 46/86; vom 18. März 1997 - 2 RU 19/96 und vom 16. Dezember 2004 – B 9 VS 1/04 R – jeweils juris). Ein solcher Bescheid hat lediglich feststellende Wirkung. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit kann isoliert in einem gesonderten Bescheid oder zusammen und als Teil des Abschmelzungsbescheides erlassen werden.
Die Beklagte hat hier nach notwendiger Anhörung der Klägerin im Bescheid vom 27. Juni 2011 die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 10. Januar 2000 festgestellt und gleichzeitig einen Abschmelzungsbescheid erlassen. Zudem wurde der Klägerin mitgeteilt, dass sie keinen Anspruch auf Heilbehandlung und Reisekostenerstattung hat.
Bei Feststellung der Rechtswidrigkeit des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2000 hat sich die Beklagte im Wesentlichen auf das Gutachten des Prof. Dr. Dr. K. vom 10. Juni 2010 gestützt. Prof. Dr. Dr. K. begründet in seinem Gutachten überzeugend, weshalb in den Jahren 1997 und 1998 eine Anpassungsstörung mit unterschiedlicher Ausprägung vorgelegen hat. Zur Dauer dieses Zustandes konnte er aufgrund lückenhafter Dokumentation keine genauen zeitlichen Angaben machen. Seinen nachvollziehbaren Ausführungen zufolge hat sich bei der Klägerin im Laufe der Zeit, beginnend etwa im Frühjahr des Jahres 1998, eine andere Symptomatik - dissoziative Störung - entwickelt, die nicht mehr mit der ursprünglichen Anpassungsstörung in Zusammenhang gebracht werden kann. Insofern ist auch nach Überzeugung des Senats von einer Änderung der Wesensgrundlage der psychischen Störung auszugehen. Die Dauer der Anpassungsstörung schätzt der Sachverständige auf maximal zwei Jahre nach dem Unfallereignis. Er bezieht sich dabei zutreffend auf allgemein medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse. Nach diesen Erkenntnissen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, S. 143) beginnen die Symptome einer Anpassungsstörung innerhalb eines Zeitraums von längstens drei Monaten nach dem belastenden Ereignis und halten selten länger als sechs Monate danach an (akute Anpassungsstörung). Bei anhaltenden Belastungen, zum Beispiel entstellender oder stark beeinträchtigender Körperverletzung, spricht man von chronischer Anpassungsstörung. In solchen Fällen kann bei längeren depressiven Reaktionen eine Anpassungsstörung auch länger als sechs Monate andauern. Beim Fehlen von anhaltenden schweren körperlichen Schädigungsfolgen wie hier kann eine Anpassungsstörung lediglich bis zu einer Zeitdauer von maximal zwei Jahren diagnostiziert werden (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O.; Sk 2- Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen, AWMF – Register-Nr. 051/029 Teil II unter 2.2.3 Anpassungsstörungen). Der Zweijahreszeitraum war bei Erlass des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2000 bereits überschritten. Die Beklagte hat deshalb zu Recht die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 10. Januar 2000 im Bescheid vom 27. Juni 2011 festgestellt und gleichzeitig einen Abschmelzungsbescheid erlassen.
Einen Anspruch auf Heilbehandlung und auf Erstattung damit im Zusammenhang stehender Reisekosten hat die Klägerin nicht. Denn ein diesbezüglicher Anspruch nach den §§ 26, 27, 28, 30 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) setzt voraus, dass ein durch den Versicherungsfall verursachter Gesundheitsschaden überhaupt vorliegt (§ 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII). Dies ist hier nicht der Fall. Die bei der Klägerin zu behandelnden Erkrankungen sind nicht Arbeitsunfallfolgen. Die durch den Unfall am 24. April 1997 unmittelbar und mittelbar erlittenen Gesundheitsstörungen (Prellung der Halswirbelsäule und Brustwirbelsäule sowie die Anpassungsstörung) sind - wie von der Beklagten zutreffend festgestellt - schon lange ausgeheilt.
Auf die Berufung der Beklagten war folglich das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Die über die Nichtzulassung der Revision aus § 160 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
HES
Saved