Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 12 P 4/16 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 P 34/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 P 1/17 S
Datum
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 10. Oktober 2016 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 10. Oktober 2016 mit dem Antrag (sinngemäß),
den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 10. Oktober 2016 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, ihm rückwirkend ab 1. Juli 2016 Leistungen der stationären Pflege zu erbringen,
ist unbegründet.
Der angefochtene Beschluss des Sozialgerichts Kassel ist nicht zu beanstanden. Das Sozialgericht hat es zu Recht abgelehnt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig Leistungen der stationären Pflege rückwirkend ab 1. Juli 2016 zu gewähren. Die Voraussetzungen hierfür sind nicht erfüllt.
Das Sozialgericht Kassel hat zunächst zutreffend entschieden, dass der vorliegend streitgegenständliche Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 11. August 2016 bereits aufgrund doppelter Rechtshängigkeit unzulässig war, da der Antragsteller bereits zuvor am 13. Juli 2016 in derselben Angelegenheit einen entsprechenden Antrag gestellt hatte und hierüber am 11. August 2016 noch keine Sachentscheidung vorlag.
Das Sozialgericht hat im Übrigen auch der Sache nach den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgewiesen.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung in Form der vorliegend allein in Betracht kommenden Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) setzt voraus, dass eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, d.h. dass dem Antragsteller ohne eine entsprechende Regelung schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, sodass ihm das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann (Anordnungsgrund) und ihm aufgrund der glaubhaft gemachten Tatsachen bei Prüfung der Rechtslage ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die begehrte Handlung bzw. Unterlassung zusteht (Anordnungsanspruch). Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 11. Auflage 2014, § 86b, Rn. 16b f.). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen dabei nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr verhalten sich beide in einer Wechselbeziehung zueinander, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Beschlüsse vom 21. Dezember 2009, L 4 KA 77/09 B ER - juris - und vom 21. März 2013, L 1 KR 32/13 B ER; Keller, a.a.O., § 86b Rn. 27 ff. m.w.N.). Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen solchen verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist, hat das Gericht im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Entscheidend ist, ob es bei einer Interessenabwägung nach den Umständen des Einzelfalls für den Betroffenen zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Keller, a.a.O., § 86b Rn. 28; Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 13. August 2013 - L 1 KR 229/13 B ER -, Rn. 17, juris).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die Voraussetzungen zum Erlass einer einstweiligen Anordnung auch der Sache nach nicht gegeben. Seit Ende Juni 2016 hält sich der Antragsteller nicht mehr nachweisbar in einer vollstationären Pflegeeinrichtung auf, so dass es vorliegend für den streitgegenständlichen Zeitraum bereits an den gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen für die vom Antragsteller geltend gemachten Leistungen für Pflegebedürftige in vollstationären Einrichtungen gem. § 43 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch - Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) mangelt. Der Antragsteller vermochte trotz wiederholter Anfragen sowohl des Sozialgerichts im erstinstanzlichen Verfahren als auch des Senats im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht nachvollziehbar mitzuteilen, wo er sich seit seinem Auszug aus der Seniorenresidenz X-Stadt aufhält. Für den Senat ist es auch im Übrigen nicht ersichtlich, ob und gegebenenfalls in welcher Weise seit dem ein Leistungsanspruch des Antragstellers gegenüber der Antragsgegnerin nach Maßgabe des SGB XI bestehen könnte. Im Ergebnis vermochte der Antragsteller damit auch im Beschwerdeverfahren einen Anordnungsgrund ebenso wenig glaubhaft zu machen wie den behaupteten Anordnungsanspruch.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 10. Oktober 2016 mit dem Antrag (sinngemäß),
den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 10. Oktober 2016 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, ihm rückwirkend ab 1. Juli 2016 Leistungen der stationären Pflege zu erbringen,
ist unbegründet.
Der angefochtene Beschluss des Sozialgerichts Kassel ist nicht zu beanstanden. Das Sozialgericht hat es zu Recht abgelehnt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig Leistungen der stationären Pflege rückwirkend ab 1. Juli 2016 zu gewähren. Die Voraussetzungen hierfür sind nicht erfüllt.
Das Sozialgericht Kassel hat zunächst zutreffend entschieden, dass der vorliegend streitgegenständliche Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 11. August 2016 bereits aufgrund doppelter Rechtshängigkeit unzulässig war, da der Antragsteller bereits zuvor am 13. Juli 2016 in derselben Angelegenheit einen entsprechenden Antrag gestellt hatte und hierüber am 11. August 2016 noch keine Sachentscheidung vorlag.
Das Sozialgericht hat im Übrigen auch der Sache nach den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgewiesen.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung in Form der vorliegend allein in Betracht kommenden Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) setzt voraus, dass eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, d.h. dass dem Antragsteller ohne eine entsprechende Regelung schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, sodass ihm das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann (Anordnungsgrund) und ihm aufgrund der glaubhaft gemachten Tatsachen bei Prüfung der Rechtslage ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die begehrte Handlung bzw. Unterlassung zusteht (Anordnungsanspruch). Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 11. Auflage 2014, § 86b, Rn. 16b f.). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen dabei nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr verhalten sich beide in einer Wechselbeziehung zueinander, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Beschlüsse vom 21. Dezember 2009, L 4 KA 77/09 B ER - juris - und vom 21. März 2013, L 1 KR 32/13 B ER; Keller, a.a.O., § 86b Rn. 27 ff. m.w.N.). Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen solchen verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist, hat das Gericht im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Entscheidend ist, ob es bei einer Interessenabwägung nach den Umständen des Einzelfalls für den Betroffenen zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Keller, a.a.O., § 86b Rn. 28; Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 13. August 2013 - L 1 KR 229/13 B ER -, Rn. 17, juris).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die Voraussetzungen zum Erlass einer einstweiligen Anordnung auch der Sache nach nicht gegeben. Seit Ende Juni 2016 hält sich der Antragsteller nicht mehr nachweisbar in einer vollstationären Pflegeeinrichtung auf, so dass es vorliegend für den streitgegenständlichen Zeitraum bereits an den gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen für die vom Antragsteller geltend gemachten Leistungen für Pflegebedürftige in vollstationären Einrichtungen gem. § 43 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch - Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) mangelt. Der Antragsteller vermochte trotz wiederholter Anfragen sowohl des Sozialgerichts im erstinstanzlichen Verfahren als auch des Senats im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht nachvollziehbar mitzuteilen, wo er sich seit seinem Auszug aus der Seniorenresidenz X-Stadt aufhält. Für den Senat ist es auch im Übrigen nicht ersichtlich, ob und gegebenenfalls in welcher Weise seit dem ein Leistungsanspruch des Antragstellers gegenüber der Antragsgegnerin nach Maßgabe des SGB XI bestehen könnte. Im Ergebnis vermochte der Antragsteller damit auch im Beschwerdeverfahren einen Anordnungsgrund ebenso wenig glaubhaft zu machen wie den behaupteten Anordnungsanspruch.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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