L 9 AS 532/17 B

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 16 AS 815/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 532/17 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen einen zum Erörterungstermin nicht erschienenen Kläger ist ermessensfehlerhaft, wenn der Kläger vor dem Termin den zuständigen Richter als befangen ablehnt, der abgelehnte Richter hierüber in verfassungswidriger Weise selbst entscheidet und anschließend den Termin durchführt, weil dann in dem Erörterungstermin das Verfahren durch den abgelehnten Richter nicht verfahrensfehlerfrei hätte gefördert werden können.
Bemerkung
S 16 AS 933/15, S 16 AS 980/15, 1011/15, 809/16
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 13. Oktober 2017 aufgehoben.

Die Staatskasse hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes.

Der Kläger begehrt in mehreren Klageverfahren vor dem Sozialgericht Darmstadt (S 16 AS 815/13, S 16 AS 933/15, S 16 AS 980/15, S 16 AS 1011/15, S 16 AS 809/16) Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Nach mehrfachem Wechsel in der Prozessvertretung erhielt der nunmehr bevollmächtigte Klägervertreter am 22. Februar 2017 Akteneinsicht in die Gerichts- und Beklagtenakten. Unter dem 15. März 2017 bat er um Übersendung weiterer in der Anlage handschriftlich aufgeführter Akten, die ihm bislang nicht vorgelegen hätten. Der Vorsitzende der 16. Kammer teilte daraufhin in seinem Schreiben vom 20. März 2017 mit, dass alle vorhandenen Akten übersandt worden seien und bat um Darlegung, was nach Auffassung des Klägervertreters noch in welchem Verfahren (von dem Beklagten) wann übersandt worden und nunmehr nicht in den Akten vorhanden sei. Mit Schriftsatz vom 10. Juli 2017 trug der Klägervertreter hierzu vor, dass im Akteneinsichtsgesuch vom 15. März 2017 im Einzelnen aufgeführt worden sei, welche Akten noch benötigt würden. Mit Schreiben vom 11. Juli 2017 versicherte der Vorsitzende der 16. Kammer, dass Akteneinsicht in alle bei Gericht vorhandenen Akten gewährt worden sei. Unter dem 7. September 2017 beraumte er sodann einen Erörterungstermin für den 13. Oktober 2017, 10.45 Uhr, an und ordnete hierfür das persönliche Erscheinen des Klägers an. Mit Schreiben vom 21. September 2017 erinnerte der Klägervertreter an das Akteneinsichtsgesuch vom 15. März 2017 und beantragte, den Termin vom 13. Oktober 2017 aufzuheben. Mit Schreiben vom 27. September 2017 legte der Vorsitzende der 16. Kammer erneut dar, dass vollumfänglich Akteneinsicht gewährt worden sei und dass im Termin vom 13. Oktober 2017 insbesondere die Frage der Akteneinsicht geklärt werden könne, sodass eine Aufhebung des Termins kontraproduktiv erscheine und um Mitteilung gebeten werde, ob an dem Terminsaufhebungsantrag festgehalten werde.

Mit dem am 11. Oktober 2017 beim Sozialgericht eingegangenen Schriftsatz lehnte der Klägervertreter den Vorsitzenden der 16. Kammer wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor, dieser habe durch die Ablehnung des Antrages auf Terminsaufhebung vom 21. September 2017 die Besorgnis der Befangenheit erregt. Entweder seien die Akten nicht vollständig an ihn übersandt worden oder aber der abgelehnte Richter habe es unterlassen, die fehlenden Akten von dem Beklagten beizuziehen. Zudem habe der Vorsitzende es unterlassen, Herrn Rechtsanwalt C. als Zeugen zu dem anberaumten Termin zu laden. Obgleich im Jahr 2014 noch Prozesskostenhilfe in einem anderen Verfahren bewilligt worden sei, habe der Vorsitzende im Dezember 2015 trotz gleicher Verhältnisse ohne vorherigen Hinweis Prozesskostenhilfe wegen fehlender wirtschaftlicher Voraussetzungen und damit unanfechtbar abgelehnt. Die gewillkürte Erzwingung eines Erörterungstermins unter ungleichem Kenntnisstand sei ein Nötigungsversuch, auf Biegen und Brechen die Angelegenheit einem Abschluss zuzuführen.

Mit Beschluss vom 12. Oktober 2017 verwarf der abgelehnte Vorsitzende der 16. Kammer des Sozialgerichts das Ablehnungsgesuch als unzulässig und begründete dies wie folgt:

"Zwar entscheidet grundsätzlich gemäß § 60 SGG i. V. m. § 45 Abs. 1 ZPO über einen Ablehnungsantrag das Gericht, dem der abgelehnte Richter angehört, jedoch durch einen anderen Richter (§ 45 Abs. 2 ZPO). Abweichend von der Regelung des § 45 Abs. 2 ZPO darf der abgelehnte Richter aber selbst über ein rechtsmissbräuchliches oder sonst offensichtlich unzulässiges Ablehnungsgesuch mitentscheiden (h. M.; vergleiche nur Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 60 Rn. 10d m.w.N.). Voraussetzung hierfür ist, dass das Ablehnungsgesuch völlig ungeeignet ist und es sich bloß um eine formale Entscheidung handelt. Hierunter fallen etwa die Fälle, dass das Befangenheitsgesuch allein in Verschleppungsabsicht gestellt wurde, d. h. wenn der Antragsteller ausschließlich eine Verzögerung des Verfahrens bezweckt oder wenn der Antragsteller sonst allein verfahrensfremde Zwecke verfolgt, z. B. um Richter, die eine missliebige Rechtsansicht vertreten, auszuschalten oder einen Termin zur mündlichen Verhandlung zu verhindern (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 60 Rn. 10b, 10c und 10d m. w. N.). Diese Voraussetzungen liegen bezüglich des Ablehnungsgesuchs vom 11. Oktober 2017 gegen den Vorsitzenden der 16. Kammer, Richter am Sozialgericht D., vor, so dass die 16. Kammer durch den Vorsitzenden selbst über diesen Antrag zu entscheiden hat und dieser mangels Zulässigkeit abzulehnen ist. Der Erörterungstermin am 13. Oktober 2017 war den Antragstellern ausweislich der Zustellungsurkunde vom 15. September 2017 bereits knapp einen Monat vor dem vorgesehenen Verhandlungstermin bekannt. Erst am gestrigen Tag nach dem üblichen Ende des gerichtlichen Arbeitstages in den Geschäftsstellen übermittelten die Antragsteller das Ablehnungsgesuch um 16:43 Uhr per Fax. Der Schriftsatz mit dem Ablehnungsgesuch umfasst 17 Seiten und müsste durch die dafür zuständige 13. Kammer des Sozialgerichts Darmstadt hinreichend gewürdigt werden, um über den Antrag auf Befangenheit des Kammervorsitzenden zu entscheiden. Den anwaltlich vertretenen Antragstellern musste damit bewusst sein, dass diese Entscheidung wegen der erst kurzfristig erfolgten Antragstellung bis zum Erörterungstermin nicht mehr wird ergehen können. Aus dem zeitlichen Ablauf kann daher geschlossen werden, dass es den Antragstellern jedenfalls auch darauf ankommt. Dies wird dadurch bestärkt, dass die Antragsteller dem Kammervorsitzenden der 16. Kammer vorwerfen, er gewähre keine vollumfängliche Akteneinsicht in die die Verfahren betreffenden Gerichts- und Behördenakten. Dies ist evident unzutreffend und verkürzt in unzulässiger Weise den bisherigen Geschehensablauf. Jedem der Bevollmächtigten der Antragsteller wurde durch die Kammer bisher Akteneinsicht gewährt, soweit die Kammer hierfür zuständig war. Die Akten wurden auch schon mehrfach an die Bevollmächtigten der Antragsteller versandt. Der Vorwurf der (ganz oder teilweise) verweigerten Akteneinsicht kann damit beim besten Willen nicht durchgreifen. Beispielhaft sei insoweit auf die Reaktion der Kammer hinsichtlich des Akteneinsichtsgesuches des Rechtsanwalts B. vom 6. Dezember 2016 Bezug genommen. Hierauf hat die Kammer sogar noch angefragt, ob sich das Akteneinsichtsgesuch auch auf die Behördenakten in den jeweiligen Verfahren beziehen soll (vgl. Verfügung des Gerichts in allen hier genannten Verfahren vom 14. Dezember 2016). Letztlich zeigt sich der sachfremde und damit unzulässige Charakter des vorliegenden Ablehnungsgesuches gestützt auf das Recht auf Akteneinsicht dadurch, dass den Klägern noch am 27. September 2017 in allen Verfahren mitgeteilt wurde, dass der für den 13. Oktober 2017 anberaumte Erörterungstermin auch der Aufklärung dienen soll, welche Teile der Akte nach Ansicht der Antragsteller diesen vorenthalten wurden. Es ist klar erkennbar, dass die Kammer gerade darum bemüht ist diesen Vorwurf der Antragstellerseite aufzuklären, gegenüber den Antragstellern Teile der Gerichts- oder Behördenakten vorzuenthalten. Durch den unmittelbar vor dem Erörterungstermin gestellten Antrag auf Feststellung der Befangenheit des Kammervorsitzenden wird dieser Aufklärungsversuch der Kammer blockiert. Dies muss den Antragstellern zum Zeitpunkt der Stellung des Antrages auch bewusst gewesen sein. Eine sachliche Erklärung hierfür gibt es nicht, da es doch den Antragstellern gerade darauf ankommt vollständige Akteneinsicht zu erlangen und die Kammer gerade im bevorstehenden Termin sich darum bemühen will, die hier von den Antragstellern eingenommenen Defizite in der Akteneinsicht-Gewährung aufzuklären. Die an der Stelle müssten damit ein überdurchschnittliches Interesse daran haben, dass dieser Termin stattfindet. Dennoch wird durch die kurzfristige Antragstellung gerade dies bei Betrachtung dieses Antrages als zulässig unmöglich gemacht. Soweit dem Vorsitzenden der 16. Kammer auch vorgeworfen wird, er verletze das "Gebot der Waffengleichheit", beruht dies wohl ebenfalls auf der oben dargestellten Fehleinschätzung der Tatsachenlage. Soweit dem Vorsitzenden der 16. Kammer weiter vorgeworfen wird, er habe den "Schutz vor Überraschungsentscheidungen" nicht gewahrt, kann dies schon im Ansatz nicht nachvollzogen werden, weil es sich bei dem Termin am 13. Oktober 2017 lediglich um eine Rettungsring handelt, der nicht mit einer gerichtlichen Entscheidung in der Sache enden kann. Hierfür wäre die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich, die bisher nicht anberaumt wurde. Den anwaltlich vertretenen Antragstellern muss dies auch bewusst sein. Jedenfalls ihren Bevollmächtigten muss der Unterschied zwischen einem Erörterungstermin und einer mündlichen Verhandlung geläufig sein. Dieses Wissen ist den Antragstellern zuzurechnen. Auch ein widersprüchliches Verhalten, welches dem Vorsitzenden der 16. Kammer vorgeworfen wird, greift gerade nicht durch. Wenn der Erörterungstermin (auch) der Aufklärung der Aktenlage dienen soll, kann es nicht widersprüchlich sein, dass an diesem Termin festgehalten wird, obwohl nach Auffassung der Antragsteller Akteneinsicht noch nicht vollumfänglich gewährt wurde. Der weitere Vortrag im Ablehnungsgesuch ist allenfalls verwirrend und kann schon daher nicht die Besorgnis der Befangenheit begründen. Zusammengefasst zeigt das Vorbringen der auch hinsichtlich des Ablehnungsgesuchs anwaltlich vertretenen Antragsteller, dass es ihnen ganz offensichtlich nur darum geht, den für den morgigen Tag anberaumten Termin zu verhindern, wie dies schon im Rahmen des letzten anberaumten Termins (erfolgreich) geschehen ist. Insoweit wird auf die Abladung zum Termin am 30. Oktober 2015 vom 20. Oktober 2015 Bezug genommen."

Dem Klägervertreter wurde dieser Beschluss am 13. Oktober 2017 per DigiFax um 7:27 Uhr übermittelt. Am 13. Oktober 2017 fand ab 10:55 Uhr der Erörterungstermin statt. Für die Klägerseite erschien niemand. Der Vorsitzende der 16. Kammer verkündete in dieser Sitzung den Beschluss, dass gegen den Kläger wegen Nichterscheinens im heutigen Termin ein Ordnungsgeld von 300,00 Euro festgesetzt wird. Mit schriftlichem Beschluss vom selben Tag bestätigte er die Festsetzung des Ordnungsgeldes. Am 18. Oktober 2017 wurde dem Kläger mit Zustellungsurkunde der Beschluss vom 12. Oktober 2017 zugestellt.

Am 10. November 2017 hat der Kläger Beschwerde beim Hessischen Landessozialgericht gegen den Ordnungsgeldbeschluss vom 13. Oktober 2017 eingelegt.

Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, der angegriffene Beschluss sei von einem befangenen Richter erlassen worden und müsse daher aufgehoben werden.

II.

Die zulässige Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht gegen den Kläger ein Ordnungsgeld festgesetzt.

Nach § 202 Satz 1 SGG i. V. m. § 141 Abs. 3 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) kann das Gericht gegen einen Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet war, ein Ordnungsgeld wie gegen eine Zeugen festsetzen, wenn er im Termin ausbleibt (vgl. §§ 380, 381 ZPO).

Die Tatbestandsvoraussetzungen für die Festsetzung eines Ordnungsgeldes liegen zwar vor. Der Kläger wurde ordnungsgemäß unter Anordnung seines persönlichen Erscheinens und unter Hinweis auf die Folgen des Ausbleibens zum Erörterungstermin am 13. Oktober 2017 geladen (vgl. §§ 111 Abs. 1, 106 Abs. 3 Nr. 7 SGG). Zum Termin ist er nicht erschienen. Sein Ausbleiben ist auch nicht hinreichend entschuldigt, § 381 Abs. 1 ZPO. Insbesondere genügt eine Falschauskunft des Prozessbevollmächtigten gegenüber dem Kläger, er müsse nicht erscheinen, insoweit nicht (vgl. Sächsisches LSG, Beschluss vom 3. April 2017 - L 7 AS 919/16 B -, juris, Rn. 16). Auch der Ablehnungsantrag vom 12. Oktober 2017 ändert an der Erscheinenspflicht aus § 111 Abs. 1 SGG zunächst nichts.

Die Festsetzung des Ordnungsgeldes war aber ermessensfehlerhaft. Die Entscheidung, ob und in welcher Höhe ein Ordnungsgeld gegen einen nicht erschienenen Beteiligten festgesetzt wird, steht im Ermessen des Gerichts (siehe z. B. Beschluss des Senats vom 14. März 2017 - L 9 AS 110/17 B -, juris, Rn. 6). Dieses Ermessen hat der Vorsitzende der 16. Kammer zwar erkannt, aber nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Denn eine Anwesenheit des Klägers im Termin am 13. Oktober 2017 wäre ohne jeden prozessualen Nutzen gewesen. Es kann dahinstehen, ob Sinn und Zweck der Anordnung des persönlichen Erscheinens ausschließlich die Förderung der Sachverhaltsaufklärung oder auch eine konsensuale Konfliktlösung ist (vgl. dazu Frehse, SGb 2010, 388, 389) und ob das Ordnungsgeld auch die Funktion haben kann, eine vermeintliche Missachtung der richterlichen Anordnung zu ahnden (vgl. dazu LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 31. Mai 2017 - L 31 AS 1027/17 B -, juris, Rn. 9, 15). Ein Ordnungsgeld kann jedenfalls nicht festgesetzt werden, wenn in dem Termin selbst eine Verfahrensförderung im weitesten Sinne ausgeschlossen ist. Dies ist hier aber der Fall.

Denn der Vorsitzende der 16. Kammer hätte am 13. Oktober 2017 nicht mit den Beteiligten (verfahrensfehlerfrei) verhandeln dürfen.

Angesichts des Ablehnungsgesuches vom 12. Oktober 2017 hätte er nach § 47 Abs. 1 ZPO nämlich nur unaufschiebbare Handlungen vornehmen dürfen, wozu die Durchführung eines Erörterungstermins jedenfalls nicht gehört.

Dieses Verbot zur Vornahme von Handlungen wurde auch nicht durch den Beschluss vom 12. Oktober 2017 beendet. Denn dieser Beschluss hat die Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz - GG -) verletzt.

Die Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) erschöpft sich nicht in einer Zuständigkeitsregelung ("Recht auf den gesetzlich bestimmten Richter"), sondern gewährleistet darüber hinaus auch einen Richter, der in jeder Hinsicht den Anforderungen des Grundgesetzes entspricht (siehe dazu ausführlich O. Schmitt, SGb 2015, 662, 666). Insbesondere soll durch diese materielle Dimension des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sichergestellt werden, dass der Rechtsuchende im Einzelfall einem Richter gegenübersteht, der unabhängig (Art. 97 GG) und unparteilich (vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK -) ist und jederzeit die Gewähr für Neutralität und professionelle Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (BVerfG, NJW 2012, 2334, 2335). Der Gesetzgeber wird durch diese materielle Dimension von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet, Regeln über den Ausschluss und die Ablehnung von Richtern vorzusehen, die im Einzelfall die Gewähr für Neutralität und Unparteilichkeit nicht bieten (BVerfG, NJW 2007, 3771, 3773). Für den Sozialgerichtsprozess ist dies durch § 60 SGG i. V. m. §§ 41 ff. ZPO sichergestellt.

Nach dem Wortlaut von § 60 Abs. 1 SGG i. V. m. § 45 ZPO wirkt der abgelehnte Richter bei der Entscheidung über ein gegen ihn gerichtetes Ablehnungsgesuch nicht mit. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass es an der völligen inneren Unbefangenheit und Unparteilichkeit eines Richters fehlt, wenn er über die vorgetragenen Gründe für seine angebliche Befangenheit selbst entscheidet (BVerfG(K), Beschluss vom 11. März 2013 1 BvR 2853/11 -, juris, Rn. 27). Eine Entscheidung des abgelehnten Richters ist allerdings ausnahmsweise in klaren Fällen eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten Ablehnungsgesuches nicht zu beanstanden. Bei strenger Beachtung des gänzlich untauglichen oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuches gerät eine Selbstentscheidung nicht mit der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in Konflikt, weil die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltes des abgelehnten Richters voraussetzt und deshalb keine Entscheidung in eigener Sache ist. Das vereinfachte Ablehnungsverfahren soll aber nur echte Formalentscheidungen ermöglichen oder einen offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhindern, was eine enge Auslegung der Voraussetzungen gebietet. Völlige Ungeeignetheit ist anzunehmen, wenn die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetzt und daher keine Entscheidung in eigener Sache, sondern eine bloße Formalentscheidung ist. Ist allerdings ein – wenn auch nur geringfügiges – Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforderlich, scheidet eine Ablehnung als unzulässig aus, und eine gleichwohl ergehende Entscheidung durch den abgelehnten Richter ist dann willkürlich (BVerfG(K), Beschluss vom 11. März 2013 1 BvR 2853/11 -, juris, Rn. 30; Beschluss vom 15. Juni 2015 - 1 BvR 1288/14 -, juris, Rn. 17). Mit dieser differenzierenden Zuständigkeitsregelung wird dem Gewährleistungsgehalt von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG einerseits und der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung andererseits angemessen Rechnung getragen (BVerfG(K), Beschluss vom 15. Juni 2015 - 1 BvR 1288/14 -, juris, Rn. 16).

Davon ausgehend verstößt die Selbstentscheidung des abgelehnten Richters gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Denn der Vorsitzende der 16. Kammer ist in seinem Beschluss vom 12. Oktober 2017 ausführlich auf sein eigenes Verhalten eingegangen und hat dies bewertet. Durch eine über die formale Prüfung hinausgehende inhaltliche Prüfung der Ablehnungsgründe hat er sich zum Richter in eigener Sache gemacht. Seine Ausführungen zeigen zudem, dass er die Tragweite von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nicht hinreichend berücksichtigt hat, indem er eine Verschleppungsabsicht und Verfahrensverzögerung erörtert, ohne die Garantie des gesetzlichen Richters im Blick zu haben, und zudem meint, er "müsse" sogar selbst über den Ablehnungsantrag entscheiden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 21 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i. V. m. § 46 Abs. 1 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) und § 467 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) entsprechend (siehe Beschluss des Senats vom 14. März 2017 - L 9 AS 110/17 B -, juris, Rn. 8).

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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