L 7 SO 52/06 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 16 SO 35/06 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 SO 52/06 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 20. April 2006 aufgehoben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Übernahme von Mietschulden durch Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes streitig.

Die Antragsteller bezogen vom Antragsgegner im Jahre 2005 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Darin enthalten waren auch Unterkunftskosten für die in A-Stadt gelegene Mietwohnung. Der Leistungsbezug endete, nachdem der Antragsteller zu 1. einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I realisieren konnte.

Am 23. Februar 2006 beantragten die Antragsteller die Übernahme offener Mietrückstände, die aufgrund von nicht gezahlten Mietforderungen in der Vergangenheit entstanden waren. Dem Antrag beigefügt war ein Räumungsurteil des Amtsgerichts Darmstadt vom 19. Oktober 2005, mit dem sie zur Räumung der Wohnung verpflichtet wurden. Die Vermieterin der Wohnung, die E. GmbH, hatte die Antragsteller mit Schreiben vom 8. November 2005 davon in Kenntnis gesetzt, dass die Mietrückstände sich auf insgesamt 6.741,42 EUR beliefen, wobei sich diese Summe durch die Kosten des Rechtsstreits erhöhen werde.

Durch Bescheid vom 27. Februar 2006 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab. Die Kosten der Unterkunft seien nicht angemessen im Sinne der geltenden Vorschriften und das Mietverhältnis sei auf Dauer nicht schützenswert. Hiergegen erhoben die Antragsteller mit Schreiben vom 13. März 2006 Widerspruch.

Am 13. März 2006 begehrten die Antragsteller die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch das Sozialgericht Darmstadt (SG). Im Erörterungstermin vom 20. April 2006 wiesen sie darauf hin, dass für den kommenden Tag, nämlich Freitag, den 21. April 2006 die Räumung der Wohnung durch den Vermieter vorgesehen sei.

Durch Beschluss vom 20. April 2006 verpflichtete das SG den Antragsgegner, den Antragstellern ein Darlehen zur Tilgung ihrer Mietschulden in Höhe von 6.700 EUR zu bewilligen; dem Antragsgegner bleibe freigestellt, dieses Darlehen direkt an den Vermieter der Antragsteller zu zahlen. Die Antragsteller könnten sich sowohl auf einen Anordnungsanspruch als auch auf einen Anordnungsgrund berufen. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Räumung der Wohnung der Antragsteller für den nächsten Tag vorgesehen sei, sei auch die mit der Entscheidung verbundene Vorwegnahme der Hauptsache gerechtfertigt. Auf die Entscheidungsgründe im Einzelnen wird Bezug genommen.

Gegen den ihm am 6. April 2006 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsgegner mit seiner am 19. Mai 2006 eingegangenen Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat (Verfügung vom 13. Juni 2006). Er beruft sich auf die Rechtmäßigkeit seines Bescheides vom 27. Februar 2006. Außerdem sei die Zahlung von 6.700 EUR nicht geeignet, die Räumung zu verhindern und ausweislich der am 21. April 2006 getroffenen "Vereinbarung über eine Räumungsfrist" hätten die Antragsteller anerkannt, dass Rückstände in Höhe von insgesamt 14.335,34 EUR geschuldet würden. Auf diese Schuld hätten die Antragsteller selbst durch Barzahlung einen Betrag in Höhe von 11.000 EUR geleistet. Gleichzeitig sei den Antragstellern eine Verlängerung der Räumungsfrist bis zum 30. September 2006 gewährt worden. Selbst die Zahlung der 11.000 EUR sei mithin nicht geeignet gewesen, die Wohnung dauerhaft zu sichern. Anspruchsmerkmal des § 34 Abs. 1 SGB XII sei aber gerade die Sicherung der Wohnung.

Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 20. April 2006 aufzuheben und den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abzuweisen.

Die Antragsteller beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie weisen u.a. darauf hin, dass durch die Zahlung des Betrages von 11.000 EUR ihre Wohnung zumindest bis zum 30. September 2006 gesichert worden sei. Außerdem sei Ihnen Obdachlosigkeit auch ganz erspart geblieben, da sie nunmehr zum 1. August 2006 ein neues Mietverhältnis hätten abschließen können.

Im Übrigen wird auf die Akte des Antragsgegners und der Gerichtsakte, die dem Senat bei der Entscheidungsfindung vorgelegen haben, Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch bei der Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Für die richterliche Überzeugungsgewissheit genügt dann in Bezug auf die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruches und des Anordnungsgrundes eine überwiegende Wahrscheinlichkeit.

Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. etwa Meyer Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Rdnr. 42; s. auch Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rdnr. 165 ff.). Deshalb sind auch Erkenntnisse, die erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens zutage getreten sind, vom Senat zu berücksichtigen (vgl. etwa Beschluss des Senats vom 27. Juli 2006 - L 7 AS 54/06 ER).

Nach diesen Grundsätzen kann von einem Anordnungsanspruch nicht ausgegangen werden. Den Antragstellern steht der geltend gemachte Anspruch, der sich allein auf § 34 SGB XII stützen könnte, nicht zu. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift können Schulden nur dann übernommen werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn es gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen kann bereits deshalb nicht ausgegangen werden, weil - wie die Antragsteller selbst vorgetragen haben - sie vor der angekündigten Räumung der Wohnung einen Betrag von 11.000 EUR haben aufbringen können, mit der sie die Verlängerung der Räumungsfrist bis zum 30. September 2006 erreicht haben, und es ihnen zwischenzeitlich sogar gelungen ist, ein neues Mietverhältnis zum 1. August 2006 zu begründen. Damit liegt eine die Anwendung des § 34 SGB XII rechtfertigende Notlage nicht vor. Damit ist eine Schuldenübernahme seitens des Antragsgegners von Gesetzes wegen ausgeschlossen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved