L 2 R 415/14

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 6 R 250/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 415/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 6. November 2014 insoweit aufgehoben, als eine Verurteilung zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auch für die Zeit vom 1. September 2011 bis 31. Dezember 2012 erfolgt ist. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Der Tenor wird wie folgt neu gefasst: Der Bescheid der Beklagten vom 9. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2011 wird geändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin aufgrund eines Leistungsfalles vom 28. Juni 2012 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1. Januar 2013 bis 31. August 2015 in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Beklagte hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten in beiden Instanzen zu 2/3 zu erstatten

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit streitig.

Die 1963 in der Türkei geborene Klägerin hat keine Berufsausbildung absolviert. Sie lebt seit 1980 in Deutschland und hat in den Jahren 1989 bis 2005 als Reinigungskraft gearbeitet. Danach war sie von 2007 bis 2009 als Plakatiererin in der Firma ihres Ehemannes beschäftigt. Eine Tätigkeit als Küchenhilfe verrichtete die Klägerin kurzzeitig im Monat Oktober 2009.

Die Klägerin stellte am 4. August 2010 Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung und gab dabei an, sie halte sich seit 2008/2009 aufgrund von Bluthochdruck, Gelenkschmerzen, Diabetes, Wasseransammlungen im Körper sowie Gedächtnislücken und Orientierungsschwierigkeiten für erwerbsgemindert. Sie könne keinerlei Arbeiten mehr verrichten.

Die Beklagte zog einen Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin C. vom 14. Juli 2010 bei, wertete ein vom ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit A-Stadt erstelltes Gutachten (Dr. D.) vom 11. Mai 2010 aus und veranlasste sodann die Erstellung eines Gutachtens ihres sozialmedizinischen Dienstes vom 27. Oktober 2010 (Herr E.). Der Gutachter stellte die Diagnosen

1. Gonarthrose beidseits mit Bewegungseinschränkung,
2. depressive Episode,
3. Lymphödeme beidseits,
4. Adipositas Grad III,
5. Diabetes mellitus Typ IIb,
6. arterielle Hypertonie

und führte aus, im Vordergrund der Beschwerdesymptomatik stünden Gelenkbeschwerden, vor allem Schmerzen in den Kniegelenken. Darüber hinaus bestehe eine depressive Episode, die erst seit Oktober 2010 fachpsychiatrisch mitbehandelt werde. Im Ergebnis gelangte Herr E. zu der sozialmedizinischen Beurteilung, die Klägerin könne sowohl ihre letzte berufliche Tätigkeit als Küchenhilfe als auch leichte bis mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen der Wirbelsäule, ohne erhöhte Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen, ohne erhöhte Anforderungen an die Umstellung - und Anpassungsfähigkeit sowie ohne Wechselschicht und Nachtschicht sechs Stunden und mehr regelmäßig verrichten. Es bestehe Übereinstimmung mit dem Gutachten der Arbeitsverwaltung vom 11. Mai 2010. Im Übrigen bestehe Behandlungsbedarf im Sinne der Krankenversicherung. Insoweit sollten eine Gewichtsabnahme sowie die Behandlung der Depression im Vordergrund stehen.

Darauf gestützt lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 9. November 2010 den Rentenantrag der Klägerin ab und führte zur Begründung aus, die Klägerin erfülle nicht die medizinischen Voraussetzungen für die begehrte Rente. Nach der medizinischen Beurteilung könne sie noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.

Die Klägerin erhob Widerspruch am 26. November 2010 und legte im Verlauf des Widerspruchsverfahrens eine Stellungnahme der behandelnden Neurologin und Psychiaterin F. vom 8. März 2011 vor. Frau F. schilderte die Beschwerden der Klägerin, teilte die erhobenen körperlichen, neurologischen sowie psychopathologischen Befunde mit und vertrat im Ergebnis die Auffassung, die Klägerin sei nur in der Lage, weniger als sechs Stunden bzw. unter halbschichtig leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Für die Leistungsbeurteilung stehe die psychiatrische Diagnose im Vordergrund. Derzeit könne die Klägerin die psychischen Störungen und somatischen Beschwerden allein willensmäßig nicht beherrschen. Auch eine intensive Therapie in einer Fachklinik würde nicht zum Durchbrechen der Beschwerdesymptomatik führen, da diese deutliche Züge einer Chronifizierung zeige. Eine erneute Überprüfung der Erwerbsfähigkeit sei bei weiterer regelmäßiger psychiatrischer Behandlung in ca. zwei Jahren angezeigt.

Durch Widerspruchsbescheid vom 14. März 2011 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, die Klägerin habe zwar im Zeitpunkt der Rentenantragstellung die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt, sie sei jedoch weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Die Klägerin könne noch sechs Stunden und mehr täglich leichte bis mittelschwere Arbeiten mit Einschränkungen ausüben. Es liege auch keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, so dass es deswegen der Benennung einer Verweisungstätigkeit nicht bedürfe. Eine andere Beurteilung ergebe sich nicht aufgrund des Widerspruches, da dieser nicht weiter begründet worden sei. Die Vermittlung eines geeigneten Arbeitsplatzes falle in den Risikobereich der Arbeitsförderung und nicht in den der gesetzlichen Rentenversicherung.

Mit der am 15. April 2011 erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie berief sich auf die Stellungnahme von Frau F. und legte einen Bescheid des Versorgungsamtes A-Stadt vom 12. Mai 2010 vor, mit dem ihr ein Grad der Behinderung von 40 zuerkannt worden ist.

Im Rahmen der Beweiserhebung zog das Sozialgericht Befundberichte des Orthopäden Dr. G. vom 15. November 2011 und des Hausarztes C. vom 27. Oktober 2011 bei. Sodann holte das Sozialgericht ein Gutachten bei dem Sachverständigen Dr. H., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie, leitender Arzt interkulturelle Psychiatrie, Migrationsbeauftragter der Vitos-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Marburg ein. Der Sachverständige stellte in seinem Gutachten vom 12. Juli 2012 nach ambulanter Untersuchung der Klägerin vom 28. Juni 2012 (in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die türkische Sprache) die Diagnose einer chronifizierten depressiven Störung, gegenwärtig mittelgradigen Ausmaßes, die nach den Kriterien der ICD 10 als rezidivierende depressive Störung mit Somatisierungstendenzen (F 33.11) zu kodieren sei. Dr. H. führte weiter aus, der Erkrankung der Klägerin komme ein erwerbsmindernder Dauereinfluss zu. Sie sei derzeit in der Lage, nur unter drei Stunden pro Tag zu arbeiten. Nach Intensivierung der psychiatrischen/psychosomatischen Therapie in ihrer Muttersprache sowie einer längerfristigen internistischen Behandlung (insbesondere einer ausreichenden Gewichtsabnahme) sollte die Klägerin mittel- bis langfristig dazu in der Lage sein, zumindest drei bis unter sechs Stunden täglich leichte Arbeiten zu verrichten. Folgende qualitative Einschränkungen seien zu beachten: Tätigkeiten derzeit lediglich im Sitzen bzw. in wechselnder Körperhaltung, ohne Hebe- oder Bückarbeit, nicht auf Leitern und Gerüsten, ohne Zeitdruck, ohne Schichtarbeit, nur geistig einfache Arbeiten sowie ohne nervliche Belastung. Zu den Vorgutachten führte Dr. H. aus, in dem für die Beklagte erstellten Gutachten von Herrn E. seien die psychiatrischen Diagnosen und die damit verbundenen Einschränkungen im Arbeitsleben nicht ausreichend berücksichtigt worden. Dies gelte ebenso für das für die Agentur für Arbeit erstellte Gutachten von Dr. D. Dementsprechend sei bislang keine korrekte Leistungseinschätzung erfolgt. Zur Frage, ab wann das festgestellte Leistungsvermögen anzunehmen sei, führte der Sachverständige aus, rückwirkende Feststellungen seien prinzipiell schwierig. Aufgrund des Umstandes, dass in die Vorgutachten die psychiatrischen Diagnosen nicht mit einbezogen worden seien, sei eine rückwirkende Beurteilung nicht mit hinreichender Sicherheit möglich. Es sei lediglich als wahrscheinlich anzusehen, dass die depressive Symptomatik bereits vor Oktober 2010 bestanden habe. Aufgrund des nunmehr chronifizierten Krankheitsbildes sei mit hinreichender Sicherheit davon auszugehen, dass das aktuell festgestellte Zustandsbild der Klägerin spätestens seit Januar 2012 in vergleichbarer Art und Weise bestehe. Im Übrigen vertrat der Sachverständige Dr. H. die Auffassung, es sei nicht unwahrscheinlich, dass die festgestellte Leistungsminderung zumindest verbessert werden könne. Insoweit sei eine Besserung des Leistungsvermögens zumindest auf eine drei- bis sechsstündige Tätigkeit durch eine angemessene psychiatrische bzw. psychosomatische Rehabilitationsmaßnahme einschließlich Optimierung der bestehenden Psychopharmakotherapie zumindest möglich. In deren Anschluss solle eine langfristige psychotherapeutische Unterstützung der Klägerin in türkischer Sprache erfolgen. Von der Möglichkeit einer zumindest leichten Besserung sei deswegen auszugehen, weil bisher keine ausreichende psychiatrische Behandlung der Klägerin erfolgt sei, diese jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit einen positiven Einfluss auf die Schmerzsymptomatik und somit auch auf die Erwerbsfähigkeit haben dürfte.

Die Beklagte setzte sich mit Schriftsatz vom 10. September 2012 und beratungsärztlicher Stellungnahme vom 4. September 2012 (Herr E.) kritisch mit der Beurteilung von Dr. H. auseinander. Hierauf holte das Sozialgericht eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen vom 23. Oktober 2012 ein. Dr. H. führte aus, es bestehe bei der Klägerin zum jetzigen Zeitpunkt ein unter dreistündiges Leistungsvermögen. Gleichzeitig sei jedoch zu konstatieren, dass nach Intensivierung von Behandlungsmaßnahmen eine Besserung des Leistungsvermögens als wahrscheinlich anzusehen sei. Ob wieder vollschichtiges Leistungsvermögen erreicht werden könne, sei zwar in Anbetracht des chronischen Verlaufes eher unwahrscheinlich, jedoch nicht auszuschließen. Insofern könne er sich der Einschätzung des beratenden Arztes E. anschließen, dass es sich bei der Klägerin zurzeit um einen sogenannten Behandlungsfall handele. Es blieben die Behandlungsmaßnahmen (zunächst eine stationäre Reha-Maßnahmen in einer Einrichtung, die für aus der Türkei stammende und der deutschen Sprache nur unzureichend mächtige Patienten spezialisiert sei, und eine anschließende muttersprachliche Psychotherapie) abzuwarten.

Der beratende Arzt E. der Beklagten ging weiter von einem quantitativ nicht eingeschränkten Leistungsvermögen aus (Stellungnahmen vom 4. Dezember 2012 und 18. Dezember 2012), weshalb die Beklagte die Einholung eines erneuten nervenärztlichen Gutachtens anregte. Das Sozialgericht holte daraufhin ein weiteres neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten vom 19. Mai 2013 bei Dr. J. ein. Der Sachverständige stellte nach ambulanter Untersuchung der Klägerin vom 6. Mai 2013 (ebenfalls in Anwesenheit eines Dolmetschers für die türkische Sprache) die Diagnosen

1. Angst und depressive Störung, gemischt (F 41.2),
2. Anpassungsstörung (F 43.2) mit Verbitterungstendenz nach Linden,
3. Somatisierungsstörung (F 45.9),
4. HWS-Syndrom mit Wurzelreizung (50.1) ohne sichere radikuläre Ausfälle,
5. LWS-Syndrom mit Wurzelreizung (M 51.1) ohne sichere neurologische Ausfälle,
6. Reizung des sensiblen Nervus Ulnaris rechts (G 56.2) fachfremd:
7. Diabetes mellitus Typ 2,
8. arterielle Hypertonie,
9. Gonarthrose,
10. Polyarthritis,
11. Adipositas permagna,
12. Katarakt beidseits,
13. Nah- und Fern-Visus-Störungen,
14. Astigmatismus (Sehstörungen nicht durch Brille korrigiert)

und führte weiter aus, auf seinem Fachgebiet komme den aufgeführten Leiden eher ein qualitativer als quantitativer erwerbsmindernder Dauereinfluss zu. Die Klägerin sei in der Lage, sechs Stunden und mehr leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und überwiegendem Sitzen, ohne Zwangshaltungen wie Vorbeugen, lange Vorhalte, Bücken, Hocken, Knien, ohne schweres Heben und Tragen von Lasten, ohne Ersteigen von Leitern und Gerüsten, ohne Einfluss von Kälte, Nässe, Zugluft, ohne Nachtschicht sowie ohne Anforderungen an die geistig-psychische Belastbarkeit zu verrichten. Zur Wegefähigkeit gab Dr. J. an, die Klägerin sei durchaus in der Lage, viermal täglich eine Wegstrecke von 500 m in einer Zeit von jeweils weniger als 20 min zu Fuß zurückzulegen. Das festgestellte Leistungsvermögen der Klägerin bestehe seit Rentenantragstellung am 4. August 2010. Die Einholung von Zusatzgutachten auf anderem medizinischen Fachgebiet erscheine nicht erforderlich. Zur weiteren Begründung führte der Sachverständige aus, bei der jetzigen Untersuchung hätten sich auf neurologischem Gebiet keine wesentlichen Auffälligkeiten gefunden. Psychisch habe die Klägerin einen subdepressiven und etwas verbitterten Eindruck vermittelt. Bei der aktuellen Untersuchung seien keine ausgeprägten psychopathologischen Auffälligkeiten feststellbar gewesen. So seien von der Klägerin zwar Ängste und eine depressive Symptomatik geschildert worden, ohne dass sich jedoch Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, dass eine der beiden Störungen eindeutig vorherrsche und für sich genommen eine eigenständige Diagnose rechtfertige. Vielmehr scheine die Klägerin sich auf niedrigem Niveau arrangiert zu haben, sie sehe ihre behandelte Nervenärztin maximal einmal im Monat. Sowohl sie selber wie auch die Behandler hätten trotz des schon jahrelangen Verlaufes keine Notwendigkeit gesehen, die Therapie zu intensivieren. Zusammengefasst werde gutachterlich die Auffassung vertreten, dass zwar eine qualitative, jedoch keine quantitative Leistungsminderung vorliege.

Zu dem Gutachten von Dr. J. holte das Sozialgericht eine weitere ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Dr. H. vom 11. September 2013 ein. Dr. H. führte darin im Wesentlichen aus, der psychische Befund im Gutachten von Dr. J. sei wenig präzise, auch fehlten Angaben zur Dauer der Untersuchung. Eine wesentliche Schwäche des Gutachtens liege darin, dass keine inhaltliche Auseinandersetzung mit seinem Gutachten geführt werde. So habe Dr. J. die Diagnose einer Somatisierungsstörung gestellt, die er in seinem Gutachten mit entsprechender Begründung verworfen habe. Auch die Diagnose einer Anpassungsstörung mit Verbitterungstendenz nach Linden sei nicht nachvollziehbar und entspreche nicht den gängigen Klassifizierungssystemen. Zu der Angabe von Dr. J., die Klägerin habe sich auf niedrigem Niveau arrangiert und sehe ihre behandelnde Nervenärztin maximal einmal im Monat, sei zu berücksichtigen, dass die ambulanten Versorgungsstrukturen im A-Stadter Raum für aus der Türkei stammende Patienten mit schlechten Kenntnissen der deutschen Sprache nicht dem Bedarf entsprechen würden. Ein monatlicher Behandlungstermin sei unter diesen Voraussetzungen schon als überdurchschnittliche Versorgung zu bezeichnen, wenngleich Dr. J. Recht zu geben sei, dass diese Behandlungsfrequenz bei den psychischen Störungen der Klägerin nicht ausreichend sei. Auch der psychische Befund, den Dr. J. aufgelistet habe, sei nicht nachvollziehbar (wird im Einzelnen ausgeführt). Die Widersprüche zwischen den beiden Gutachten ließen sich auch nicht mit einer deutlichen Besserung der psychischen Befindlichkeit in dem knapp einjährigen Zeitraum, der zwischen beiden Begutachtungen liege, erklären. So habe die behandelnde Ärztin für Psychiatrie und Neurologie F. in einem Telefongespräch mitgeteilt, dass eher von einer Verschlechterung der psychischen Verfassung seit der Begutachtung Ende Juni 2012 auszugehen sei. Im Ergebnis könne er der Leistungseinschätzung von Dr. J. nicht folgen und halte seine Beurteilung, wonach die Klägerin lediglich noch unter drei Stunden täglich arbeiten könne, weiter aufrecht. Mittlerweile gehe er auch nicht mehr davon aus, dass es sich um einen sogenannten Behandlungsfall handele. In jedem Fall sei das Gutachten von Dr. J. aufgrund formaler und inhaltlicher Mängel nicht geeignet, seine Leistungseinschätzung zu entkräften.

Die Beklagte äußerte sich mit Schriftsatz vom 30. Januar 2014 nebst beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. K. vom 24. Januar 2014 weiter kritisch zu dem Gutachten von Dr. H. Sodann zog das Sozialgericht einen Befundbericht der behandelnden Neurologin und Psychiaterin F. vom 4. August 2014 bei. Hierzu führte die Beklagte mit Schriftsatz vom 27. August 2014 aus, selbst wenn man unter Berücksichtigung der Angaben von Frau F. von einem nur noch unter dreistündigen Leistungsvermögen seit Feststellung einer Verschlechterung vom 22. Juli 2014 ausgehe, ergäbe sich kein Rentenanspruch, da bei einem Leistungsfall zu diesem Zeitpunkt die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Vielmehr seien diese ausgehend von den derzeit bekannten zurückgelegten Zeiten nur bei einem Leistungsfall spätestens im August 2012 erfüllt. Ergänzend legte die Beklagte ein Versicherungsverlauf vom 27. August 2014 vor.

Durch Urteil vom 6. November 2014 hat das Sozialgericht der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 9. November 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2011 verurteilt, der Klägerin aufgrund eines Leistungsfalles vom 22. Februar 2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1. September 2011 bis 31. August 2014 und weiter bis 31. August 2015 nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht im Wesentlichen ausgeführt, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien zwischen den Beteiligten bis August 2012 nicht streitig und würden vorliegen. Nach den gutachterlichen Feststellungen der behandelnden Psychiaterin Dr. F. und des Sachverständigen Dr. H. stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seit Januar 2012 nur noch unter drei Stunden täglich arbeiten könne. Für die Zeit vom 22. Februar 2011 bis 31. Dezember 2011 sei von einem Leistungsvermögen von drei bis sechs Stunden täglich auszugehen. Im Jahr 2010 und bis 21. Februar 2011 habe die Klägerin noch vollschichtig arbeiten können. Für 2010 würden die Gutachten der Arbeitsagentur und der Beklagten vorliegen, die der Klägerin ein vollschichtiges Leistungsvermögen attestierten. Dies sei vor dem Hintergrund des Krankheitsverlaufes und der erst im Oktober begonnenen Behandlung bei Frau F. auch schlüssig und nachvollziehbar. Sodann sei Frau F. unter dem 8. März 2011 nach der letzten Vorstellung der Klägerin am 22. Februar 2011 zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin nur noch vier Stunden täglich arbeiten könne. Dr. H. habe schließlich am 28. Juni 2012 festgestellt, dass die Klägerin seit Januar 2012 nur noch unter drei Stunden täglich arbeiten könne. Die Leistungseinschätzung des Sachverständigen basiere auf einer sehr ausführlichen Anamnese sowie einer umfangreichen Untersuchung und Befunderhebung und sei für das Gericht in sich geschlossen und widerspruchsfrei. Die mit nachvollziehbaren Argumenten begründete Leistungseinschätzung bewege sich im Rahmen des einem Arzt einzuräumenden Beurteilungsspielraums, sodass sich das Gericht dessen Bewertungen zu Eigen mache. Nicht nachvollziehbar sei für die Kammer hingegen das Gutachten von Dr. J. Anamnese und Befunderhebung würden im Vergleich zu dem Gutachten von Dr. H. deutlich kürzer ausfallen. Vor allem aber setze sich der Gutachter nicht mit den Vorgutachten (insbesondere F. und H.) auseinander. Dies sei allerdings für die Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit eines Gutachtens unerlässlich. Ferner datiere Dr. J. das Leistungsvermögen auf die Rentenantragstellung und damit drei Jahre zurück, obwohl die Rückdatierung gerade bei psychiatrischen Erkrankungen schwierig sei. Eine Begründung für seine Einschätzung liefere Dr. J. nicht. Ein Leistungsfall erst vom 22. Juli 2014, wie von der Beklagten angedeutet, komme nicht in Betracht. Die behandelnde Ärztin F. habe für diesen Zeitpunkt letztlich eine weitere Verschlechterung bestätigt und die Auffassung vertreten, die Klägerin könne Arbeiten von wirtschaftlichem Wert nicht mehr verrichten, ohne den Zeitpunkt des Eintritts des aufgehobenen Leistungsvermögens näher festzulegen. Nach all dem sei die Kammer von dem Eintritt des Leistungsfalles am 22. Februar 2011 überzeugt. Es sei zunächst der Leistungsfall der teilweisen Erwerbsminderung am 22. Februar 2011 eingetreten und der der vollen Erwerbsminderung am 1. Januar 2012. Die Rente sei daher ab 1. September 2011 zu leisten und grundsätzlich zu befristen. Insoweit sei eine Besserung der Leistungsfähigkeit nicht unwahrscheinlich. Die Kammer halte vorliegend eine Befristung bis 31. August 2014 und weiter bis 31. August 2015 für angemessen, um eine längst überfällige Rehabilitation nun endlich durchzuführen.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 21. November 2014 mittels Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil am 22. Dezember 2014 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Sie trägt unter Bezugnahme auf die Ausführungen ihres ärztlichen Beraters Dr. K. in der beigefügten Stellungnahme vom 12. Dezember 2014 vor, beide im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachten seien unzureichend, um ein stimmiges und schlüssiges sozialmedizinisches Leistungsbild zu entwerfen. Nach dem Befundbericht von Frau F. vom 4. August 2014 lasse sich eine Verschlechterung im Juli 2014 feststellen. Zu diesem Zeitpunkt seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Rente wegen Erwerbsminderung jedoch nicht mehr erfüllt gewesen. Diese Voraussetzungen seien letztmalig erfüllt, wenn der Leistungsfall spätestens bis August 2012 eingetreten wäre. Das Sozialgericht folge nicht nur der Leistungseinschätzung von Dr. H., sondern gehe noch darüber hinaus und datiere den Leistungsfall auf Februar 2011 zurück. Diese Einschätzung teile sie, die Beklagte, nicht, vielmehr sei ein quantitativ gemindertes Leistungsvermögen bis August 2012 nicht nachgewiesen. Weder das Gutachten von Dr. H. noch die Befundberichte der behandelnden Nervenärztin F. seien ausreichend und geeignet, eine Chronifizierung der depressiven Störung bereits seit Februar 2011 bzw. seit Januar 2012 nachzuweisen. Im Übrigen habe bereits Dr. H. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 23. Oktober 2012 seine Einschätzung insoweit revidiert, dass er ein unter dreistündiges Leistungsvermögen bei der Klägerin erst "zum jetzigen Zeitpunkt" sehe. Bei zwei vorliegenden neurologisch-psychiatrischen Gerichtsgutachten mit völlig entgegenstehender Beurteilung des Leistungsvermögens, die beide nicht widerspruchsfrei seien, sei weder ein Nachweis für ein quantitativ gemindertes Leistungsvermögen noch für die vorgenommene Rückdatierung erbracht worden. Die Beklagte regt an, zu der ergänzenden Stellungnahme des Dr. H. vom 11. September 2013, dem Befundbericht von Frau F. vom 4. August 2014 sowie den Stellungnahmen ihres medizinischen Beraters Dr. K. eine Stellungnahme bei Dr. J. einzuholen. Ergänzend legt die Klägerin Versicherungsverläufe vom 4. Februar 2015 sowie 7. Mai 2015 vor und weist darauf hin, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen auch nicht nach der Übergangsvorschrift des § 241 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) erfüllt seien, weil es an der Erfüllung der allgemein Wartezeit von 60 Monaten vor dem 1. Januar 1984 fehle.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 6. November 2014 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, das Urteil des Sozialgerichts sei nicht zu beanstanden und verweist darauf, das Gutachten von Dr. J. sei mangelhaft und erfülle nicht die Anforderungen eines sozialmedizinischen neurologisch-psychiatrischen Gutachtens. Auf Nachfrage des Senats teilt die Klägerin mit, sie befinde sich nicht in Behandlung bei einer Psychotherapeutin, weil sie bisher keinen Platz bei einer türkisch sprechenden Psychotherapeutin bekommen habe. Sie sei jedoch regelmäßig (monatlich) bei der Fachärztin F. in ärztlicher Behandlung.

Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhaltes Beweis erhoben durch Beiziehung von Befundberichten des Orthopäden Dr. G. vom 22. Mai 2015, des Allgemeinarztes Dr. L. vom 12. Juni 2015 und der Neurologin und Psychiaterin F. vom 10. Dezember 2015. Darüber hinaus sind die über die Klägerin bei Frau F. und Dr. L. geführten Patientenunterlagen sowie die medizinischen Unterlagen des Versorgungsamtes A-Stadt beigezogen worden.

Sodann hat der Senat weiter Beweis erhoben durch Einholung einer Stellungnahme bei dem Sachverständigen Dr. J. vom 27. Juli 2016. Dr. J. trat den Beanstandungen von Dr. H. in dessen ergänzender Stellungnahme vom 11. September 2013 entgegen und führte weiter aus, die Depression sei eine gut behandelbare psychiatrische Erkrankung und nur eine Minderheit von etwa 15 % der Patienten entwickele eine anhaltende Depression, wobei man von einer solchen dann spreche, wenn die therapeutischen Maßnahmen ausgeschöpft worden seien, was hier noch nicht einmal annähernd erfolgt sei. Ausgehend von den Patientenunterlagen bzw. der Karteieinträge der Frau F. sei eine Intensivierung der Behandlung nicht erfolgt und offenbar auch zu keinem Zeitpunkt notwendig gewesen.

Abschließend hat der Senat zu den Ausführungen von Dr. J. auch eine Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. H. vom 23. November 2016 eingeholt. Dieser hielt an seiner im Gutachten dargelegten Leistungsbeurteilung fest und führte u.a. aus, was bleibe, sei eine auffällige Diskrepanz in dem psychischen Befund in beiden psychiatrischen Gutachten. Anhand der dokumentierten Einträge in seinem Gutachten habe er retrospektiv und überprüfbar die Hamilton-Depressionsskala als Fremdbeurteilungsinstrument durchgeführt. Dabei sei er bei vorsichtiger Bewertung auf 23 Punkte gekommen. In dem Bereich von 20 bis 26 Punkten werde eine mittelgradige Depression angenommen. Dies sei zwar nicht beweisend für die Diagnose einer mittelgradigen depressiven Störung, stütze jedoch seine diagnostische Einschätzung. Dr. J. stehe unter Berücksichtigung der Aktenlage mit seiner diagnostischen Einschätzung "Angst und depressive Störung, gemischt" alleine. Eine solch deutliche Besserung der psychischen Störung ein Jahr nach seiner Begutachtung sei mehr als unwahrscheinlich. Hierbei sei der spätere Verlauf zu berücksichtigen. So habe Dr. K. am 22. Dezember 2015, zweieinhalb Jahre nach der Begutachtung durch Dr. J., ausgeführt, dass die neu vorgelegten Befundberichte in der Tat für ein unter dreistündiges Leistungsvermögen sprechen würden. Dass er im Übrigen im telefonischen Kontakt mit der Nervenärztin F. noch weitere Fragen hätte stellen können und vielleicht sogar sollen, sei im Nachhinein nicht von der Hand zu weisen. Dies ändere jedoch nichts an der Stichhaltigkeit seines Gutachtens, an dessen Ergebnis, insbesondere hinsichtlich Diagnose und Leistungsbeurteilung, an dem er trotz der konstatierten Mängel nach wie vor festhalte.

Wegen aller weiteren Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden.

Die Berufung der Beklagten ist auch teilweise begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Leistungsfalles vom 28. Juni 2012 erst ab dem 1. Januar 2013 zu. Da lediglich die Beklagte Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 6. November 2014 eingelegt hat, verbleibt es für den Bezugszeitraum bei der Verurteilung zur Rentengewährung bis zum 31. August 2015. Der Bescheid der Beklagten vom 9. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2011 war entsprechend zu ändern.

Gemäß § 43 Abs. 1 und 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie

1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI demgegenüber Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch

1. Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können und
2. Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

Erwerbsgemindert ist der Vorschrift des § 43 Abs. 3 SGB VI zufolge nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Der für den Nachweis der sog. Vorversicherungszeit im Sinne des § 43 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI maßgebliche Fünfjahreszeitraum verlängert sich gemäß § 43 Abs. 4 und § 241 Abs. 1 SGB VI um die im Gesetz im Einzelnen aufgeführten sog. Aufschubzeiten (insbesondere Anrechnungs- und Ersatzzeiten). Gemäß § 43 Abs. 5 SGB VI ist eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren dann nicht erforderlich, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund eines Tatbestands eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit der Vorschrift des § 53 SGB VI zufolge (z. B. wegen eines Arbeitsunfalls) vorzeitig erfüllt ist. Nach der Sonderregelung des § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI sind Pflichtbeitragszeiten vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufungsfähigkeit außerdem nicht erforderlich für Versicherte, die vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit mit den im Gesetz im Einzelnen aufgeführten sog. Anwartschaftserhaltungszeiten (insbesondere Beitragszeiten, beitragsfreien Zeiten, Berücksichtigungszeiten oder Rentenbezugszeiten) belegt ist oder wenn die Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit vor dem 1. Januar 1984 eingetreten ist. Für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig ist, bedarf es gemäß § 241 Abs. 2 Satz 2 SGB VI keiner Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten.

Die für eine Rente wegen Erwerbsminderung erforderliche allgemeine Wartezeit im Sinne des § 43 Abs. 1 und 2 Nr. 3 SGB VI ist gemäß § 50 Abs. 1 SGB VI erfüllt, wenn vor Eintritt der Erwerbsminderung eine Versicherungszeit von fünf Jahren zurückgelegt ist.

Hiervon ausgehend ist im vorliegenden Fall die Fähigkeit der Klägerin, durch erlaubte Erwerbstätigkeit ein Arbeitsentgelt in nicht ganz unerheblichem Umfang zu erzielen (Erwerbsfähigkeit), durch verschiedene Gesundheitsstörungen beeinträchtigt. Unter Berücksichtigung dieser Gesundheitsstörungen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin seit dem 28. Juni 2012 nur noch in der Lage ist, unter drei Stunden täglich Arbeiten im Sitzen bzw. in wechselnder Körperhaltung, ohne Hebe- oder Bückarbeit, nicht auf Leitern und Gerüsten, ohne Zeitdruck, ohne Schichtarbeit, nur geistig einfache Arbeiten sowie ohne nervliche Belastung zu verrichten. Diese Beurteilung des Leistungsvermögens ergibt sich unter Berücksichtigung aller Einzelumstände des vorliegenden Falles aus einer Gesamtschau der über den Gesundheitszustand der Klägerin vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen und medizinischen Gutachten, insbesondere aus der im Gutachten vom 12. Juli 2012 sowie in den ergänzenden Stellungnahmen vom 23. Oktober 2012, 11. September 2013 und 23. November 2016 ausgeführten Beurteilung des Gerichtssachverständigen Prof. Dr. H. Mit dem Zeitpunkt der ambulanten Untersuchung der Klägerin durch Prof. Dr. H. (28. Juni 2012) ist der Eintritt des Leistungsfalles der vollen Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI zu bejahen, weil (erst) ab diesem Zeitpunkt die entsprechende rentenrelevante Leistungseinschränkung – Absinken des quantitativen beruflichen Leistungsvermögens auf unter drei Stunden täglich – als bewiesen angesehen werden kann. Nach den Ausführungen von Prof. Dr. H. liegt bei der Klägerin seitens des psychiatrischen Fachgebietes eine chronifizierte depressive Störung mittelgradigen Ausmaßes vor, die nach den Kriterien der ICD 10 einer rezidivierenden depressiven Störung mit Somatisierungstendenzen (F 33.11) entspricht. Der Sachverständige hat hierzu die kulturellen und psychodynamischen Zusammenhänge erläutert, insbesondere auf eine unvollständig gelungene Integration der Klägerin in Deutschland, einen zunehmenden sozialen Rückzug und auf ihre fragile Identität verwiesen, die eine depressive Entwicklung begünstigte. Die Depression wird wesentlich über körperliche Klagen und Symptome unterhalten, was nach den Ausführungen der Sachverständigen vor dem Hintergrund einer einfachen Persönlichkeit mit geringem Bildungsniveau nachvollziehbar ist. Soweit Prof. Dr. H. aus der von ihm festgestellten mittelgradigen rezidivierenden depressiven Störung mit Somatisierungstendenzen abgeleitet hat, dass das quantitative Leistungsvermögen der Klägerin auf unter drei Stunden täglich abgesunken ist, ist dies für den Senat gut nachvollziehbar, sodass keine Zweifel an der Richtigkeit der Leistungsbeurteilung bestehen. Angesichts der von dem Sachverständigen gegebenen ausführlichen und überzeugenden Begründung sieht der Senat die abweichende Beurteilung des ebenfalls im erstinstanzlichen Verfahren tätig gewordenen Sachverständigen Dr. J. als widerlegt an.

In diesem Zusammenhang ist vorab darauf hinzuweisen, dass im Falle von divergierenden Beurteilungen von gerichtlich bestellten Sachverständigen – wie sie hier vorliegen – die Einholung eines "Obergutachtens" nicht geboten ist. Dies schon deshalb, weil "Obergutachten" im SGG nicht vorgesehen sind (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Beschlüsse vom 6. Dezember 1989, 2 BU 146/89; vom 17. November 2003, B 3 P 23/03 B; vom 23. Mai 2006, B 13 RJ 272/05 B und vom 14. Oktober 2016, B 1 KR 59/16; ebenso Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Kommentar, 11. Auflage, § 128 Rn. 7e).). Entscheidend ist, ob durch einen Sachverständigen ein Absinken des quantitativen Leistungsvermögens auf unter sechs Stunden oder rentenrelevante qualitative Leistungseinschränkungen nachvollziehbar dargelegt werden. Die bloße, nicht plausibel begründete Behauptung eines weiteren Sachverständigen, das Leistungsvermögen sei noch mit regelmäßig sechs Stunden und mehr arbeitstäglich einzuschätzen, vermag nicht die Verpflichtung des Senats zu begründen, ein weiteres Gutachten einzuholen, wenn - wie hier - hinreichend gut begründete gutachterliche Aussagen vorhanden sind, die dieser Behauptung entgegenstehen. Insoweit ist es grundsätzlich die dem Gericht selbst obliegende Aufgabe, aufgrund der festgestellten Befundlage die vorhandenen Beweise zu gewichten und zu würdigen und schlussendlich zu einer eigenen Überzeugung zu gelangen.

Dies vorausgeschickt ist zu berücksichtigen, dass Dr. J. eine unzutreffende Hauptdiagnose (Angst und depressive Störung, gemischt, F 41.2) mit den weiteren Diagnosen einer Anpassungsstörung (F 43.2) und Somatisierungsstörung (F 45.9) gestellt hat. In seinem Gutachten sowie seinen ergänzenden Stellungnahmen hat Prof. Dr. H. wiederholt darauf hingewiesen, dass demgegenüber bei der Klägerin eine rezidivierende depressive Störung mit Somatisierungstendenzen (F 33.11) besteht und Dr. J. insbesondere mit seiner diagnostischen Einschätzung "Angst und depressive Störung, gemischt" nach der Aktenlage allein dasteht. Ebenso hat Prof. Dr. H. den von Dr. J. aufgelisteten psychischen Befund nicht für nachvollziehbar gehalten. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass sich Dr. J. in seinem Gutachten mit der abweichenden diagnostischen Einschätzung und Leistungsbeurteilung von Prof. Dr. H. nicht auseinandergesetzt hat, wie dies im Übrigen auch von dem beratenden Arzt der Beklagten bestätigt worden ist (Stellungnahme von Dr. K. vom 12. Dezember 2014). Soweit Dr. J. mit der im Berufungsverfahren eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 27. Juli 2016 den gutachterlichen Ausführungen von Prof. Dr. H. entgegengetreten ist, vermag dies dessen Beurteilung nicht entscheidend zu erschüttern. So hat Dr. J. einzelne Beanstandungen thematisiert, die für die Leistungsbeurteilung nicht relevant sind. Dies gilt für die Angaben zur Anwesenheit der Tochter bei der gutachterlichen Untersuchung der Klägerin, zu dem Widerspruch zwischen Hartz IV-Leistungen und Immobilienbesitz in Deutschland und in der Türkei sowie für die bestehenden Schulden. Die weiteren von Dr. J. aufgegriffenen Beanstandungen sind von Prof. Dr. H. mit seiner Stellungnahme im Berufungsverfahren vom 23. November 2016 ausreichend entkräftet worden. So hat er zwar bestätigt, dass bei der Klägerin eine höherfrequente ambulante psychiatrische Behandlung wünschenswert bzw. bei der Schwere der psychischen Störung erforderlich ist, jedoch im A-Stadter Raum aufgrund von Kapazitätsproblemen von einer hohen Schwelle für die Behandlung von türkischsprachigen Patienten ausgegangen werden muss, sodass die bisherige Behandlungsfrequenz nicht der Klägerin angelastet werden kann. Weiter hat Prof. Dr. H. den Vorhalt von Dr. J. widerlegt, er habe in seinem Gutachten nicht zwischen eigenem Befund und den von der Klägerin vorgetragenen Klagen unterschieden, in dem er klargestellt hat, dass er Beschwerdevortrag und psychischen Befund getrennt habe und eine Vermischung diese Aspekte gerade nicht vorliege. Soweit Dr. J. in seiner Stellungnahme zahlreiche Fragen aufgelistet hat, die Prof. Dr. H. an die behandelnde Neurologin und Psychiaterin F. hätte stellen sollen, hat dieser zwar eingeräumt, dass dies im Nachhinein nicht von der Hand zu weisen sei, jedoch nichts an der Stichhaltigkeit der Beurteilung im Gutachten vom 12. Juli 2012 ändere. Im Übrigen hat Prof. Dr. H. die Richtigkeit seiner diagnostischen Einschätzung nochmals damit begründet, dass er die Hamilton-Depressionsskala als Fremdbeurteilungsinstrument durchgeführt und einen Wert von 23 Punkten ermittelt hat. Eine mittelgradige Depression wird nach seinen Ausführungen im Bereich von 20 bis 26 Punkten angenommen. Hierdurch werde die Diagnose einer mittelgradigen depressiven Störung gestützt. Nicht zuletzt geht der Senat davon aus, dass Prof. Dr. H. für die Befunderhebung, diagnostische Einschätzung und Leistungsbeurteilung bei Rentenbewerbern mit Migrationshintergrund als leitender Arzt für interkulturelle Psychiatrie und Migrationsbeauftragter der Vitos Klinik Marburg über eine ausgewiesen stärkere Fachkompetenz gegenüber Dr. J. verfügt. Dies gilt auch angesichts des Umstandes, dass die Fachärztin für Neurologie Dr. M. an der Erstellung des Gutachtens mitgewirkt und insbesondere auch die Anamnese erhoben hat. Insoweit hat Prof. Dr. H. bestätigt, dass die endgültige Fassung des Gutachtens auf eigener Untersuchung und Beurteilung der Klägerin beruht. Dies reicht für die Erfüllung des an Prof. Dr. H. gerichteten Gutachtenauftrages aus. Es handelt sich um einen erfahrenen Sachverständigen, dem bekannt ist, in welchem Umfang Einzelleistungen delegationsfähig und inwieweit Eigenleistungen zu erbringen sind. Der Senat hegt deshalb keinen Zweifel daran, dass die fachliche Kompetenz von Prof. Dr. H. dem Gutachten und der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung zu Grunde liegt.

Der Beurteilung von Prof. Dr. H. stehen die Ausführungen des Beratungsarztes der Beklagten Dr. K. nicht entgegen. Dieser hat selbst nicht die Auffassung vertreten, die Klägerin sei noch quantitativ ausreichend leistungsfähig. Vielmehr hält er sowohl das Gutachten von Prof. Dr. H. als auch das Gutachten von Dr. J. aufgrund von Ungereimtheiten nicht für schlüssig. In diesem Zusammenhang ist grundsätzlich auf folgendes hinzuweisen: Es kann nicht übersehen werden, dass die beratungsärztlichen Stellungnahmen lediglich auf einer Auswertung des vorliegenden Aktenmaterials beruhen, wohingegen die vom Gericht bestellten medizinischen Sachverständigen sich anlässlich der von ihnen durchgeführten eingehenden Untersuchung einer Klägerin oder eines Klägers einen persönlichen Eindruck von der Leistungsfähigkeit machen können. Die auf dieser Grundlage vorgenommene Leistungsbeurteilung eines Sachverständigen steht demgemäß insbesondere auch von den Erkenntnismöglichkeiten her auf einer weit breiteren Basis als die "vom Schreibtisch her" angestellten und demzufolge eher theoretisierenden Überlegungen der beratenden Ärzte der Beklagten. Gerade wenn es darum geht, das Leistungsvermögen eines Rentenbewerbers in quantitativer Hinsicht zuverlässig einzuschätzen, kommt es ganz besonders auch auf diesen persönlichen Eindruck von den Möglichkeiten und Grenzen des jeweiligen Probanden an. Dies gilt im besonderen Maße für Beurteilungen auf psychiatrischem und psychologischem Gebiet Dieser bereits aufgrund der unterschiedlichen Erkenntnismöglichkeiten unvermeidbaren Schwachpunkt in der Beurteilung ihrer ärztlichen Berater ist von dem Gericht hinreichend zu berücksichtigen. Ob im Übrigen die beratenden Ärzte der Beklagten aus ihrer (ärztlichen) Sicht der Dinge eher geneigt sein könnten, sich der Leistungsbeurteilung eines Sachverständigen anzuschließen, wenn zusätzlich noch ein weiterer medizinischer Sachverständiger das Leistungsvermögen als quantitativ und damit rentenrelevant eingeschränkt bezeichnen würde, ist für die Entscheidung des Rechtsstreits unerheblich. Allein dieser Gesichtspunkt rechtfertigt es nämlich grundsätzlich nicht, ein weiteres Gutachten – wie hier von der Beklagten beantragt – einzuholen. Es ist zwar im Interesse einer weitest möglichen Akzeptanz des Verfahrensergebnisses durchaus erwünscht, dass das Ergebnis der gerichtlichen Beweiserhebungen auch die Verfahrensbeteiligten und ggf. auch deren (ärztliche) Berater überzeugen möge. Dieser Umstand kann freilich nicht darüber hinweg täuschen, dass das vorliegende Verfahren letztlich allein und ausschließlich der gerichtlichen Überzeugungsbildung zu dienen bestimmt ist und nicht den Zweck hat, die möglicherweise bei den Beratungsärzten der Beklagten noch vorhandenen (letzten) Zweifel zu überwinden. Den Verfahrensbeteiligten steht es frei, ihr prozessuales Verhalten an den Empfehlungen ihrer juristischen (oder auch ärztlichen) Berater auszurichten. Sofern die Überzeugungsbildung des Gerichts abgeschlossen ist und wie vorliegend – die prozessualen Voraussetzungen für einen Urteilsspruch gegeben sind, müssen sie es letztlich hinnehmen, dass die gerichtliche Entscheidung möglicherweise nicht mit der Beurteilung ihrer Berater übereinstimmt.

Dies alles vorausgeschickt, begründen vorliegend die Stellungnahmen von Dr. K. keine begründeten Zweifel gegenüber der Leistungsbeurteilung von Prof. Dr. H. Es mag zwar gewisse Unstimmigkeiten geben und Einzelheiten zur Behandlung der Klägerin hätten bei der Behandlerin F. weiter hinterfragt werden können. Dies alles führt jedoch nicht dazu, dass das Gutachten von Prof. Dr. H. unverwertbar ist. Vielmehr sieht der Senat die aufgezeigten Beanstandungen als widerlegt bzw. für die letztendlich vorzunehmende sozialmedizinischer Leistungsbeurteilung nicht als relevant an. Im Übrigen geht offenbar auch der beratende Arzt Dr. K. nunmehr davon aus, dass bei der Klägerin ein nur noch unter dreistündiges Leistungsvermögen vorliegt (Stellungnahme vom 22. Dezember 2015). Einer weiteren Vertiefung bedarf es jedoch – wie ausgeführt – nicht.

Nach alledem steht zur Überzeugung des Senats fest, dass bei der Klägerin der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung eingetreten ist. Dem kann auch nicht die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes zu der Frage, inwieweit seelische Erkrankungen bzw. psychische Leiden zur Minderung der Erwerbsfähigkeit führen können, entgegengehalten werden. Aus dieser Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteile vom 12. September 1990, 5 R 88/89 und 20. Oktober 2004, B 5 RJ 48/03R, jew. m.w.N.) folgt, dass psychische Erkrankungen erst dann von rentenrechtlicher Relevanz sind, wenn trotz adäquater Behandlung davon auszugehen ist, dass die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwunden werden können, weder aus eigener Kraft, noch mit ärztlicher bzw. therapeutischer Hilfe. Diese Rechtsprechung bezieht sich jedoch im Wesentlichen auf seelische Störungen im Sinne von neurotischen Hemmungen (BSG, Urteil vom 1. Juli 1964,11/1 RA 158/61) und kommt vor allem dann zum Tragen, wenn im Einzelfall die Prognose zuverlässig gestellt werden kann, dass die Ablehnung der Rente bei dem betroffenen Versicherten die neurotischen Erscheinungen ohne weiteres verschwinden lässt (BSG, Urteil vom 12. September 1990 a.a.O.). Typischerweise stehen Störungen nach F68.0 ICD 10 (Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen) der Gewährung einer Erwerbsminderungsrente entgegen (jurisPK-SGB VI, Stand 1. Juli 2013, § 43 Rn. 70). So liegt der Fall hier gerade nicht, denn bei der Klägerin handelt es sich nicht um eine neurotische Hemmung bzw. Persönlichkeits- oder Verhaltensstörung, sondern um eine manifeste psychiatrische Erkrankung im Sinne einer rezidivierenden depressiven Störung, wie dies der Sachverständige Prof. Dr. H. im Einzelnen begründet hat. Eine derartige Erkrankung ist in aller Regel der Beeinflussung durch die Willenskraft des Patienten entzogen.

Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass das eingeschränkte bzw. aufgehobene Leistungsvermögen der Klägerin im Sinne des sog. Vollbeweises erst für die Zeit seit dem 28. Juni 2012, dem Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung durch den Sachverständigen Prof. Dr. H., als nachgewiesen angesehen werden kann und für die davor liegende Zeit mangels belastbarer medizinische Unterlagen davon ausgegangen werden muss, dass die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein konnte. Der vollständige Beweis (Nachweis) für das Vorliegen einer Rentenberechtigung ist erst dann geführt, wenn für das Vorliegen der behaupteten rentenerheblichen Tatsachen ein derart hoher, an Gewissheit grenzender Grad von Wahrscheinlichkeit spricht, dass sämtliche begründeten Zweifel demgegenüber aus der Sicht eines vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen vollständig zu schweigen haben (vgl. hierzu schon: BSG, Urteil vom 28. November 1957, 4 RJ 186/56 = BSGE 6, 142 ff.). Davon ausgehend kann vorliegend gerade nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass das quantitative Leistungsvermögen der Klägerin bereits vor dem 28. Juni 2012 auf unter drei Stunden täglich herabgesunken war. Auch ein eingeschränktes Leistungsvermögen im Umfang von drei bis unter sechs Stunden ist insoweit nicht nachgewiesen. Der Senat vermag den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. H. im Gutachten vom 12. Juli 2012 nicht zu folgen, aufgrund des bereits chronifizierten Krankheitsbildes sei mit hinreichender Sicherheit von der festgestellten Leistungseinschränkung auf unter drei Stunden täglich spätestens ab Januar 2012 auszugehen. Eine greifbare Begründung hierfür hat der Sachverständige nicht gegeben, wie er dies mit seiner im Berufungsverfahren erfolgten Stellungnahme vom 23. November 2016 auch eingeräumt hat. Prof. Dr. H. hat seine Beurteilung zur Frage der Rückdatierung zurückgenommen und den Eintritt eines quantitativ eingeschränkten Leistungsvermögens nunmehr mit dem 1. Juni 2012 angenommen. Dem ist mit der Einschränkung zu folgen, das es nicht auf den 1. Juni 2012, sondern den 28. Juni 2012, den Zeitpunkt der ambulanten Untersuchung der Klägerin durch Prof. Dr. H. ankommt. Die in der Zeit davor erstellten medizinischen Gutachten und Berichte gebieten keine andere Sicht der Dinge. So ist der Klägerin mit dem Gutachten des sozialmedizinischen Dienstes vom 27. Oktober 2010 (Gutachter E.) noch ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr arbeitstäglich unter Beachtung gewisser qualitativer Einschränkungen attestiert worden. Soweit die behandelnden Neurologin und Psychiaterin F. in ihrem Bericht vom 8. März 2011 eine abweichende Auffassung vertreten hat, kommt dem aus zwei Gründen keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Zunächst ist grundsätzlich zu berücksichtigen, dass in aller Regel zwischen dem behandelnden Arzt und seinem Patient ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht und der Arzt die wohlgemeinte Förderung seiner Patienten im Blick hat. Dementsprechend kann einer Leistungsbeurteilung des behandelnden Arztes grundsätzlich nicht derselbe Beweiswert zukommen, wie er für das Gutachten eines unabhängigen gerichtlich bestellten Sachverständigen anzunehmen ist. Sodann kann vorliegend nicht übersehen werden, dass die behandelnden Neurologin und Psychiaterin F. offenbar mit den für einen Rentenanspruch maßgeblichen Leistungsabstufungen nicht vertraut ist. So hat sie im Bericht vom 8. März 2011 die Auffassung vertreten, die Klägerin sei nicht in der Lage, vollschichtig zu arbeiten. Sie sei jedoch in der Lage, "weniger als sechs Stunden, nur vier Stunden, d.h. unter halbschichtig" leichte Arbeiten zu verrichten. Dabei widersprechen sich die Angaben "vier Stunden" und "unter halbschichtig". Auch die weitere Äußerung von Frau F. (ärztliches Attest vom 20. Januar 2012) reicht für den Vollbeweis des Bestehens einer rentenrelevanten Leistungseinschränkung vor dem 28. Juni 2012 nicht aus. Nach alledem ist es gerechtfertigt, für den Zeitpunkt des Eintritts des Leistungsfalles der vollen Erwerbsminderung auf die gutachterliche Untersuchung durch Prof. Dr. H. vom 28. Juni 2012 abzustellen

Im Ergebnis ist die Klägerin seit dem 28. Juni 2012 nicht mehr der Lage, einer geregelten Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von zumindest drei Stunden arbeitstäglich nachzugehen. Dies erfüllt die Voraussetzungen eines Leistungsfalles der vollen Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI.

Ausgehend von dem 28. Juni 2012 sind vorliegend ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Versicherungsverläufe vom 4. Februar 2015 und 7. Mai 2015 neben der allgemeinen Wartezeit (§ 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI, § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI) auch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI) erfüllt. Im danach maßgeblichen Zeitraum von fünf Jahren vom 28. Juni 2007 bis 27. Juni 2012 hat die Klägerin 38 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt.

Der Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ist befristet und erstreckt sich auf ein Leistungszeitraum vom 1. Januar 2013 bis 31. August 2015, wobei das Leistungsende darauf beruht, dass im vorliegenden Verfahren lediglich die Beklagte Berufung eingelegt hat und das Verbot der reformatio in peius gilt, was noch auszuführen sein wird. Nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI werden u.a. Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet. Die Rentengewährung erfolgt nur unbefristet, wenn sie nicht von der Arbeitsmarktlage abhängt und es unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann; die letztgenannte Voraussetzung ist bei einer Gesamtdauer der Rentengewährung von neun Jahren stets zu bejahen (§ 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI). Vorliegend ist gerade nicht unwahrscheinlich, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Der Sachverständige Prof. Dr. H. hat zwar nach seinen Ausführungen im Gutachten vom 12. Juli 2012 eine Besserung des Gesundheitszustandes der Klägerin lediglich dahingehend für möglich gehalten, dass durch weitere Behandlungsmaßnahmen (psychiatrische bzw. psychosomatische Rehabilitationsmaßnahme, Optimierung der bestehenden Psychopharmakotherapie) ein drei- bis sechsstündiges Leistungsvermögen und damit kein quantitativ ausreichendes Leistungsvermögen erreicht wird. Darüber hinaus hat Prof. Dr. H. in der ergänzenden Stellungnahme vom 11. September 2013 darauf hingewiesen, eine Intensivierung der Behandlung zum Beispiel durch eine Rehabilitationsmaßnahme in einer internistisch-psychosomatischen Klinik mit türkischsprachigem Angebot sei sinnvoll, jedoch nehme er nicht an, dass die Klägerin hierdurch ein vollschichtiges Leistungsvermögen wiedererlange. Indes ist eine Besserung im Gesundheitszustand (mit relevanter Auswirkung auf das Leistungsvermögen) so lange noch nicht unwahrscheinlich, solange nicht alle therapeutischen Behandlungsmöglichkeiten erschöpft sind (juris-PK-SGB VI, Stand 16. Juni 2015, § 102 Rn. 7). So liegt der Fall hier, denn von einer Ausschöpfung des Therapieangebotes kann gerade nicht ausgegangen werden, auch wenn dies von der behandelnden Neurologin und Psychiaterin F. so gesehen wird (Attest vom 7. Februar 2014). Vielmehr geht der Senat in der Gesamtschau der vorliegenden medizinischen Unterlagen davon aus, dass weitergehende Behandlungsmaßnahmen (ambulant, stationär und medikamentös) nicht nur möglich, sondern geboten sind. Hierüber besteht zwischen den beiden Gerichtssachverständigen Prof. Dr. H. und Dr. J. auch kein Dissens.

Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nach § 101 Abs. 1 SGB VI nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet. Ausgehend von dem Leistungsfall vom 28. Juni 2012 begann der siebte Kalendermonat danach am 1. Januar 2013, sodass die Rente mit diesem Zeitpunkt beginnt. Die Befristung erfolgt nach § 102 Abs. 2 Satz 2 SGB VI für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Vorliegend sind zwar keine Gesichtspunkte erkennbar, die es rechtfertigen könnten, von dieser für den Regelfall vorgegebenen Befristungsdauer hier abzuweichen, sodass an sich ein Rentenanspruch befristet bis zum 31. Dezember 2015 (und ggf. darüber hinaus für weitere drei Jahre bis zum 31. Dezember 2018) in den Blick zu nehmen wäre. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass ausschließlich die Beklagte Berufungsführerin gegen das Urteil des Sozialgerichts ist, mit dem eine Verurteilung zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum 31. August 2015 erfolgt ist. Der Senat hat das sog. Verbot der reformatio in peius zu beachten, wonach der (Berufungs-) Kläger nicht schlechter gestellt werden darf, als ihn das angefochtene Urteil gestellt hat (vgl. § 202 SGG i.V.m. § 528 ZPO; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 123 Rn. 5a und vor § 143 Rn. 17). Etwas anderes würde lediglich dann geltend, wenn die Klägerin Anschlussberufung eingelegt hätte, was hier jedoch nicht erfolgt ist.

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich zugleich, dass ein vor dem 28. Juni 2012 eingetretener Leistungsfall mit entsprechendem Rentenanspruch nicht feststellbar ist. Insofern verbleiben nicht auszuräumende Zweifel, die nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten der Klägerin gehen. Für die Zeit vor dem genannten Zeitpunkt ergeben sich aus den im Rentenantragsverfahren von Herrn E. erstellten Gutachten gerade keine Hinweise auf eine rentenrelevante Leistungseinschränkung. Insoweit konnte die Klägerin ausgehend von diesem nicht widerlegten Ermittlungsergebnis vor dem Zeitpunkt des Leistungsfalles vom 28. Juni 2012 zumindest noch leichte Arbeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich verrichten und musste sich zur Verwertung ihres Restleistungsvermögen auf sämtliche – ihr in gesundheitlicher Hinsicht objektiv zumutbaren – Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes der Bundesrepublik Deutschland verweisen lassen.

Davon ausgehend kann die Klägerin auch nicht damit gehört werden, dass ihre Resterwerbsfähigkeit im Arbeitsleben wegen der Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt in der Zeit vor dem 28. Juni 2012 praktisch nicht mehr verwertbar gewesen sei. Denn es gab und gibt zur Überzeugung des Gerichts auf dem für die Klägerin in Betracht kommenden Arbeitsmarkt noch eine nennenswerte Zahl von Tätigkeiten, die sie trotz ihres eingeschränkten Leistungsvermögens ausüben konnte. Unter Berücksichtigung des festgestellten Leistungsvermögens lagen bei der Klägerin insbesondere auch keine ins Gewicht fallenden besonderen Umstände vor, welche die Ausübung einer leichten körperlichen Tätigkeit in ungewöhnlicher Weise erschwert hätten. Insoweit bedarf es im Rahmen der - bezüglich des hier streitigen Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung allein maßgeblichen - Frage nach dem Bestehen realer Erwerbsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsfeld einer besonders eingehenden Prüfung lediglich dann, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine spezifische Leistungsbehinderung festgestellt ist (vgl. hierzu: BSG, Urteil vom 1. März 1984, 4 RJ 43/83 = SozR 2200 § 1246 Nr. 117 mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 30. November 1982, 4 RJ 1/82 = SozR 2200 § 1246 Nr. 104) oder wenn der Rentenbewerber wegen eines besonders gearteten Berufslebens deutlich aus dem Kreis vergleichbarer Versicherter heraus fällt (vgl. hierzu: BSG, Urteile vom 27. April 1982, 1 RJ 132/80 = SozR 2200 § 1246 Nr. 90; vom 18. Februar 1981, 1 RJ 124/79 = SozR 2200 § 1246 Nr. 75). Derart gravierende Einschränkungen lagen bei der Klägerin für die zu prüfende Zeit vor dem 28. Juni 2012 aber gerade nicht vor, wie dies dem Gutachten von Herrn E. vom 27. Oktober 2010 entnommen werden kann.

Ob im Übrigen die in Betracht kommenden Arbeitsplätze frei waren oder besetzt, ist für die Entscheidung unerheblich, denn die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten, der wie die Klägerin für die Zeit vor dem 28. Juni 2012 noch zumindest sechs Stunden pro Arbeitstag einsatzfähig war, hängt nicht davon ab, ob das Vorhandensein von für sie offenen Arbeitsplätzen für die in Betracht kommenden Erwerbstätigkeiten konkret festgestellt werden kann oder nicht. Der im Sinne der sog. konkreten Betrachtungsweise auf die tatsächliche Verwertbarkeit der Resterwerbsfähigkeit abstellende Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG, Beschluss vom 10. Dezember 1976, GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75 u. GS 3/76) kann bei diesem Personenkreis grundsätzlich nicht herangezogen werden. Das hat der Gesetzgeber in § 43 Abs. 3 SGB VI nochmals ausdrücklich mit dem Hinweis darauf klargestellt, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer ungeachtet der jeweiligen Arbeitsmarktlage - unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Ausnahmen können allenfalls dann in Betracht kommen, wenn ein Versicherter nach seinem Gesundheitszustand nicht dazu in der Lage ist, die an sich zumutbaren Arbeiten unter den in der Regel in den Betrieben üblichen Bedingungen zu verrichten, oder wenn er außerstande ist, Arbeitsplätze dieser Art von seiner Wohnung aus aufzusuchen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011, B 13 R 79/11 R). Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend jedoch nicht gegeben.

Anhaltspunkte für das Vorliegen weiterer, in den vorliegenden Gutachten oder im sonstigen medizinischen Berichtswesen bislang nicht berücksichtigter Gesundheitsbeeinträchtigungen mit ernsthaft ins Gewicht fallendem erwerbsmindernden Dauereinfluss, aufgrund derer eine andere Sicht der Dinge geboten erscheinen könnte, sind weder von der Klägerin aufgezeigt worden noch sonst erkennbar. Der Senat hält deshalb das Leistungsvermögen der Klägerin mit den von medizinischer Seite insgesamt getroffenen Feststellungen für ausreichend aufgeklärt und weitere Begutachtungen von Amts wegen für nicht mehr geboten, zumal es angesichts des Versicherungsverlaufs der Klägerin auf deren Gesundheitszustand bzw. das berufliche Leistungsvermögen lediglich bis zum August 2012 ankommt, weil nur bei einem bis spätestens in diesem Monat eingetretenen Leistungsfall die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Erwerbsminderungsrente erfüllt sind.

Im Ergebnis rechtfertigt das aktenkundige medizinische Berichtswesen nicht, den Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung vor dem 28. Juni 2012 als bewiesen anzusehen. Ebenso fehlt es insoweit an dem Nachweis einer teilweisen Erwerbsminderung mit Leistungseinschränkung auf drei bis unter sechs Stunden arbeitstäglich.

Für die Klägerin ergibt sich bezüglich der vor dem 28. Juni 2012 bzw. 1. Januar 2013 liegenden Zeit im Übrigen auch kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit haben gemäß § 240 Abs. 1 SGB VI bei Erfüllung weiterer Voraussetzungen nämlich nur Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren sind. Die 1963 geborene Klägerin gehört damit ganz offenkundig nicht zu dem Personenkreis, welcher aus dieser Vorschrift einen Rentenanspruch herleiten kann.

Nach alledem steht der Klägerin ein Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung einer befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung erst ab dem 1. Januar 2013 zu, sodass auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Sozialgerichts entsprechend zu ändern war. Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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