S 18 AS 859/13 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 18 AS 859/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruches vom 20.05.2013 gegen den Minderungsbescheid vom 15.05.2013 wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der An-tragstellerin.

Gründe:

I.

Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ist die Rechtmäßigkeit einer Minderung des Arbeitslosengeldes II wegen eines Meldeversäumnisses streitig.

Die Antragstellerin bezieht vom Antragsgegner in Bedarfsgemeinschaft mit ihrer 2001 geborenen Tochter und ihrem am 00.00.2012 geborenen Sohn laufende Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Mit Bescheid vom 26.03.2013 bewilligte der Antragsgegner Leistungen nach dem SGB II für den Bewilligungszeitraum vom 01.04. bis zum 30.09.2013 für die Antragstellerin und ihre Kinder.

Mit Schreiben vom 27.03.2013 lud der Antragsgegner die Antragstellerin zu einer Vorsprache am 26.04.2013 um 08.15 Uhr ein. Das Schreiben enthielt den Hinweis, dass im Rahmen des Termins über die berufliche Situation im Zusammenhang mit der Elternzeit gesprochen werden sollte. Zugleich enthielt das Schreiben den Hinweis, dass, wenn die Antragstellerin ohne wichtigen Grund der Einladung nicht Folge leiste, das Arbeitslosengeld II um 10 % des maßgebenden Regelsatzes für 3 Monate gemindert werde.

Den Termin nahm die Antragstellerin ohne Ankündigung nicht wahr.

Am 29.04.2013 meldete sich die Antragstellerin telefonisch und wies darauf hin, dass ihr Sohn am 26.04.2013 erkrankt gewesen sei. Hierbei wurde die Antragstellerin auf ein Anhörungsschreiben vom selben Tag hingewiesen und aufgefordert, Nachweise über die Erkrankung einzureichen.

Nachdem keine weitere Erklärung bei dem Antragsgegner einging, minderte dieser mit Bescheid vom 15.05.2013 das Arbeitslosengeld II der Antragstellerin für die Zeit vom 01.06.2013 bis 31.08.2012 um 10 Prozent der für sie maßgebenden Regelleistung ab. Der Antragsgegner errechnete einen konkreten Minderungsbetrag von 38,20 EUR monatlich. Die Minderung begründete er damit, dass die Antragstellerin der Einladung zum Termin am 26.04.2013 ohne wichtigen Grund nicht nachgekommen sei.

Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin am 20.05.2013 Widerspruch.

Mit Schreiben vom 20.05.2013, bei Gericht am 23.05.2013 eingegangen, haben die Antragstellerin und ihre beiden Kinder um einstweiligen Rechtsschutz gegen die Minderungsentscheidung nachgesucht. Der Antrag für die beiden Kinder wurde mit Schreiben vom 03.06.2013 zurückgenommen.

Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass die Minderung rechtswidrig sei. Ihr Sohn habe eine Lungenentzündung gehabt und sie habe sich um ihn gekümmert und daher den Termin nicht wahrgenommen. Sie sei alleinerziehend und habe niemanden gehabt, der sich um das kranke Kind habe kümmern können. Da sie in den ersten drei Jahren nach Geburt des Kindes nicht arbeiten müsse, sei die Sanktion rechtswidrig. Auch der Hinweis auf den Krankenhausaufenthalt ab Sonntag dem 28.04.2013 habe nicht zum Einlenken beim Antragsgegner geführt.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruches vom 20.05.2013 gegen den Bescheid vom 15.05.2013 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er ist der Auffassung, seine Minderungsentscheidung sei rechtmäßig. Die Einladung sei zu Recht erfolgt, da das Gespräch um die berufliche Situation der Antragstellerin während bzw. nach der Elternzeit gehen sollte. Im Telefonat am 29.04.2013 seien keine Hinweise auf den Krankenhausaufenthalt erfolgt.

Ausweislich einer während des Eilverfahrens eingereichten Aufenthaltsbescheinigung der T. B- und T. S Kliniken, I war der Sohn der Antragstellerin vom 28.04.2013 um 22.45 Uhr bis zum 04.05.2013 in stationärer Behandlung.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag ist begründet.

Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Das Begehren, den Antragsgegner zur Auszahlung der Leistungen ohne Berücksichtigung der Sanktion vom 15.05.2013 zu verpflichten, ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches vom 20.05.2013 gegen den Bescheid vom 15.05.2013 auszulegen (§ 123 SGG).

Der Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 15.05.2013 hat keine auf-schiebende Wirkung, da der Bescheid eine Pflichtverletzung und Minderung feststellt und daher gemäß § 39 Nr. 1 SGB II Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung entfalten. Wenn dieser Bescheid jedoch durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung aktuell keine Rechtswirkung mehr entfalten würde, wären der Antragstellerin Leistungen für den betreffenden Zeitraum ohne Minderung ungemindert zu zahlen.

Über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung entscheidet das Gericht nach Ermessen und aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung. Die aufschiebende Wirkung ist in der Regel anzuordnen, wenn das Aussetzungsinteresse des belasteten Leistungsempfängers das Vollzugsinteresse der Behörde überwiegt. Die vorzunehmende Interessenabwägung orientiert sich in der Regel an den Erfolgsaussichten der Hauptsache, denn wenn sich die Entscheidung der Behörde als rechtswidrig erweist, kann es kein überwiegendes Interesse am Vollzug einer rechtswidrigen Entscheidung geben. Ist der Verwaltungsakt

offenbar rechtswidrig und der Antragsteller dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt, wird die aufschiebende Wirkung angeordnet, weil dann ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Vollziehung nicht erkennbar ist (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, § 86b Rn. 12 c).

Unter Beachtung dieser Maßstäbe hat der Antrag Erfolg. Nach summarischer Prüfung erweist sich die Minderung des Arbeitslosengeldes II als rechtswidrig.

Die Minderung des Arbeitslosengeldes II wegen eines sogenannten "Meldeversäumnis" ist unter den Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 SGB II möglich. Dies erfordert, dass der Leistungsempfänger trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis einer Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei ihm zu melden oder bei einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen, nicht nachkommt. Dies gilt nicht, wenn Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen. Gemäß § 31 b Abs. 1 Satz 1 SGB II beginnt die Minderung mit Beginn des Kalendermonats, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes folgt, der die Pflichtverletzung und den Umfang der Minderung der Leistung feststellt. Der Minderungszeitraum beträgt drei Monate (§ 31 b Abs. 1 Satz 3 SGB II).

Zwar liegt eine Pflichtverletzung durch die Antragstellerin vor, da sie zum Termin am 26.04.2013 nicht erschienen ist, jedoch sprechen nach dem Ergebnis der summarischen Prüfung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes überwiegende Gründe dafür, dass die Antragstellerin hierfür einen wichtigen Grund hatte. Die Antragstellerin ist trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen einer Aufforderung zu einem Gesprächstermin zu erscheinen, nicht nachgekommen. Das Einladungsschreiben vom 27.03.2013 genügt den inhaltlichen Anforderungen an eine entsprechende Meldeaufforderung. Denn in ihm wird der Zeitpunkt der Meldung, nämlich der 26.04.2013 um 08:15 Uhr, konkret benannt, auch enthält das Schreiben die konkrete Benennung des Ortes an dem sich die Antragstellerin melden soll. Das Gespräch über die berufliche Situation im Zusammenhang mit der Elternzeit stellt auch einen zulässigen Meldezweck gemäß § 59 SGB II i.V.m. § 309 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) dar. Zwar ist der Antragstellerin gem. § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II eine Beschäftigung nicht zumutbar, wenn

hierdurch die Erziehung ihres Kindes gefährdet würde und erst ab der Vollendung des dritten Lebensjahres wird davon ausgegangen, dass eine Gefährdung in der Regel bei sichergestellter Betreuung in einer Tageseinrichtung nicht mehr besteht. Jedoch schließt dies nicht die Pflicht der Antragstellerin aus, zu Beratungsgesprächen zu erscheinen, in denen über die Möglichkeiten gesprochen werden soll unter Berücksichtigung der Kindererziehung eine berufliche Tätigkeit aufzunehmen. Der Meldezweck ist auch ausreichend konkrete dargestellt worden.

Jedoch sprechen überwiegende Gründe im Ergebnis der summarischen Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren für die Annahme eines wichtigen Grund für das Nichterscheinen der Antragstellerin. Zwar führt nicht bereits die bloße Erkrankung des Kindes zur Annahme eines wichtigen Grundes für das Nichterscheinen zum Termin. Denn auch bei einer Erkrankung kann der Termin wahrgenommen werden, soweit eine anderweitige Be-treuungsmöglichkeit sichergestellt ist oder die Krankheit nicht so ausgeprägt ist, dass eine Mitnahme des zum Zeitpunkt des Meldetermins 5 Monate alten Kindes nicht möglich ist. Vorliegend spricht zwar gegen eine besonders stark ausgeprägte Erkrankung am Freitag den 26.04.2013 der Umstand, dass die Antragstellerin an diesem Tag noch keinen Arzt mit ihrem Kind aufgesucht hat. Für eine akute ausgeprägte Erkrankung spricht jedoch der Umstand, dass der Sohn zwei Tage später stationär im Krankenhaus aufgenommen wurde und hier bis zum folgenden Samstag verblieb.

Die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat zur Folge, dass keine Maßnahmen zur Durchsetzung oder Vollstreckung des Verwaltungsaktes eingeleitet oder durchgeführt werden dürfen. Bereits eingeleitete Maßnahmen sind einzustellen. Es tritt ein vorläufiger Schwebezustand ein, der bis zur Klärung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes durch Abschluss des Verfahrens den "status quo ante" beibehält. Während dieses Schwebezustandes darf die Behörde keine Folgerungen aus dem angefochtenen Bescheid ziehen. Bei der Entziehung von Leistungen muss deshalb, wenn Widerspruch eingelegt wird der kraft Gesetz oder durch gerichtliche Anordnung aufschiebende Wirkung entfaltet, zunächst weiter die Leistungen nach dem alten Verwaltungsakt gewährt werden (BSG NZS 98, 300; Meyer-Ladewig, SGG, § 86 a Rdnr. 5).

Für die Antragstellerin hat das zur Folge, dass mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Antragsgegner vorläufig verpflichtet ist, an sie die für den Bewilligungszeitraum festgesetzten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Berücksichtigung der Minderung aus dem Bescheid vom 15.05.2013 auszuzahlen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

III.

Dieser Beschluss ist gem. § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG unanfechtbar, da in der Hauptsache die Berufung gem. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG ohne Zulassung nicht zulässig wäre. Denn der erforderlich Berufungsstreitwert von 750,00 EUR wird nicht erreicht.
Rechtskraft
Aus
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