S 3 AL 116/11

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 3 AL 116/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Beklagten vom 07.07.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2011 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung der Klägerin zur Zahlung von Beiträgen zur Winterbauumlage dem Grunde nach.

Die Klägerin ist ein familiengeführter Baubetrieb mit ca. 35 Mitarbeitern. Der Geschäftszweck besteht im industriellen Akustik- und Trockenbau. Sie verrichtet im Rahmen größerer Bauvorhaben Tätigkeiten im Innenausbau von Gewerbeobjekten, in Miet- und Geschäftshäusern und bei Ladenausbauten.

Anlässlich einer Betriebsprüfung im Juli 2009 kam die Beklagte zu der Einschätzung, im Betrieb der Klägerin würden ausschließlich Bauarbeiten im Sinne des Akustik- und Trockenbaus erbracht.

Mit Bescheid vom 06.08.2009 wurde die Klägerin von der Umlagepflicht befreit, da sie Mitglied in der Bundesfachabteilung Akustik- und Trockenbau im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie sei.

Im Rahmen einer Neuüberprüfung stellte die Beklagte mit Bescheid vom 07.07.2010 die Umlagepflicht der Klägerin ab dem 01.08.2010 fest. Gleichzeitig hob sie den Bescheid vom 06.08.2009 mit Wirkung für die Zukunft auf.

Hiergegen hat die Klägerin Widerspruch eingelegt. Sie verweist darauf, dass sie keine witterungsabhängigen Arbeiten verrichte. Ihre Tätigkeiten kämen erst dann zur Ausführung, wenn die Rohbauarbeiten abgeschlossen, erforderliche Anschlusskonstruktionen hergestellt und die entsprechenden klimatischen Voraussetzungen geschaffen seien. Sie sei Mitglied der Bundesfachabteilung Akustik- und Trockenbau im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie und habe in der Vergangenheit keine witterungsbedingten Arbeitsausfälle zu verzeichnen gehabt.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.01.2011 als unbegründet zurück. Zwar könne die Mitgliedschaft der Klägerin in einer sogenannten abgrenzbaren Gruppe dazu führen, dass die Umlagepflicht nicht bestehe. Eine solche abgrenzbare Gruppe liege jedoch nur dann vor, wenn sich im Wirtschaftsleben eine bestimmte, einheitliche, nicht mehr als bloß nur zufällige Ansammlung zu vernachlässigende dauerhafte Gruppe etabliert hat, deren Mitgliedsbetriebe sämtlich nicht oder allenfalls in zu vernachlässigendem Ausmaß witterungsabhängig seien. Diese Voraussetzungen würden hier nicht vorliegen.

Am 18.02.2011 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie macht ergänzend geltend, in den letzten 10 Jahren keine witterungsabhängigen Förderleistungen der Beklagten in Anspruch genommen zu haben.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 07.07.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2011 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 07.07.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2011 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in ihren Rechten.

Nach § 45 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

Soweit die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 07.07.2010 den Bescheid vom 06.08.2009 mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen hat, war dies rechtswidrig. Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 SGB X liegen nicht vor, da die Beklagte die Klägerin mit Bescheid vom 06.08.2009 zu Recht von der Winterbauumlagepflicht befreit hat.

Gemäß §§ 354 bis 357 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) und der hierzu vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung erlassenen Verordnung über ergänzende Leistungen zum Saisonkurzarbeitergeld und die Aufbringung der erforderlichen Mittel zur Aufrechterhaltung der Beschäftigung in den Wintermonaten (Winterbeschäftigungs-Verordnung) vom 26.04.2006 (Bundesgesetzblatt I Seite 1680), zuletzt geändert durch die 3. Verordnung zur Änderung der Winterbeschäftigungs-Verordnung vom 18.12.2008 (Bundesgesetzblatt I Seite 2864), werden die Mittel für die ergänzenden Leistungen (Wintergeld etc.) nach § 175 a SGB III einschließlich der Verwaltungskosten und der sonstigen Kosten, die mit der Gewährung der genannten Leistungen zusammenhängen, von den Betrieben des Baugewerbes durch eine Umlage aufgebracht.

Mit der aufgrund des § 182 Abs. 2 SGB III (in der bis zum 31.03.2012 gültigen Form) erlassenen Baubetriebe-Verordnung vom 28.10.1980 (Bundesgesetzblatt I Seite 2033), zuletzt geändert durch Artikel 1 der 3. Verordnung zur Änderung der Baubetriebe-Verordnung vom 26.04.2006 (Bundesgesetzblatt I Seite 1085), hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung bestimmt, in welchen Zweigen des Baugewerbes die ganzjährige Beschäftigung in der Bauwirtschaft durch das Wintergeld zu fördern ist und welche Zweige nicht in die Förderung einbezogen werden.

Die Tätigkeit der Klägerin im Akustik- und Trockenbau fällt unter die Vorschrift des § 1 Abs. 2 Nr. 36 der Baubetriebe-Verordnung, so dass grundsätzlich Umlagepflicht besteht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist es ohne Bedeutung, ob für den umlagepflichtigen Betrieb das Risiko eines witterungsbedingten Arbeitsausfalls besteht, insbesondere, ob in der Vergangenheit bereits Leistungen der Winterbauförderung in Anspruch genommen worden sind (vgl. BSG, Urteil vom 09.09.1999 B 11 AL 27/99 R; zitiert nach www.juris.de).

Die Klägerin ist jedoch ausnahmsweise nach § 1 Abs. 5 der Baubetriebe-Verordnung von der Winterbauumlagepflicht zu befreien. Nach dieser Vorschrift sind Betriebe und Betriebsabteilungen im Sinne des § 1 Abs. 1 der Baubetriebe-Verordnung von der Förderung der ganzjährigen Beschäftigung im Baugewerbe ausgeschlossen, wenn sie zu einer abgrenzbaren und nennenswerten Gruppe gehören, bei denen eine Einbeziehung nach den Absätzen 2 bis 4 nicht zu einer Belebung der ganzjährigen Bautätigkeit führt.

Die Zuordnung eines Betriebes zu einer nicht förderungsfähigen Betriebsgruppe setzt nach der Rechtsprechung des BSG voraus, dass der Betrieb konkret nicht förderfähig ist und zu einer abgrenzbaren und nennenswerten Gruppe von Betrieben gehört, bei denen eine Einbeziehung in die Winterbauumlagepflicht nicht zu einer Belebung der wirtschaftlichen Tätigkeit oder zu einer Stabilisierung der Beschäftigungsverhältnisse der von saisonbedingten Arbeitsausfällen betroffenen Arbeitnehmer führt (vgl. BSG, Urteil vom 30.01.1996, 10 RAr 10/94; zitiert nach www.juris.de). Diese Voraussetzungen liegen nach Auffassung der Kammer bei der Klägerin vor.

Der Betrieb der Klägerin ist nicht förderfähig. Dies ergibt sich aus der witterungsunabhängigen Arbeit im Betrieb der Klägerin. Gegenstand des Unternehmens ist der industrielle Akustik- und Trockenbau. Der Geschäftsführer der Klägerin hat ferner glaubhaft dargelegt, dass die Klägerin fast ausschließlich Tätigkeiten im Innenausbau von Gewerbeobjekten, in Miet- und Geschäftshäusern und bei Ladenausbauten verrichtet. Solche Tätigkeiten erfordern bestimmte konstruktive und bauklimatische Bedingungen und setzen eine geschlossene Gebäudehülle voraus. Arbeiten im Akustik- und Trockenbau kommen erst dann zur Ausführung, wenn die Rohbauarbeiten abgeschlossen, erforderliche Anschlusskonstruktionen hergestellt und die entsprechenden klimatischen Voraussetzungen geschaffen sind. Ohne Beachtung dieser Witterungsvorgaben wäre die Durchführung der Montage von Gipskartonplatten und/oder Ständersystemen nicht DIN-normgerecht, nicht fachgerecht durchführbar und auch nicht abnahmefähig. Für Trockenbauunternehmen besteht keine Möglichkeit, bei witterungsbedingten Erschwernissen fachgerecht zu arbeiten und auf andere Tätigkeiten, die durch eine Winterbauförderung erleichtet werden können, auszuweichen (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 19.08.2010, L 3 AL 133/06; zitiert nach www.juris.de). Ein Indiz dafür, dass im Betrieb der Klägerin nur witterungsunabhängige Tätigkeiten ausgeübt wurden, ist, dass sie bisher noch keine Leistungen der Winterbauförderung in Anspruch genommen hat und keinen witterungsbedingten Arbeitsausfall zu verzeichnen hatte.

Nach den Vorgaben der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 30.01.1996, 10 RAr 10/94; zitiert nach www.juris.de) fällt eine Gruppe witterungsunabhängig arbeitender Trockenbauunternehmen zahlenmäßig ins Gewicht, wenn die Tarifvertragsparteien im Katalog des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe inzwischen eine neue Aufteilung vorgenommen haben, die einen nicht witterungsabhängigen Zweig des Baugewerbes nunmehr getrennt aufführt, oder wenn sich im Wirtschaftsleben eine bestimmte einheitliche, nicht mehr als bloß zufällige Ansammlung zu vernachlässigende, dauerhafte Gruppe von Betrieben etabliert hat, deren Mitgliedsbetriebe sämtlich nicht oder allenfalls in zu vernachlässigendem Ausmaß witterungsabhängig sind.

Im Falle der Klägerin ist die 2. Alternative erfüllt. Indiz für das Vorliegen einer derartigen Gruppe ist, dass sich ein Bundesverband gleichartiger Unternehmen gebildet hat (vgl. BSG, Urteil vom 30.01.1996, 10 RAr 10/94; zitiert nach www.juris.de). Die Klägerin ist Mitglied der Bundesfachabteilung Akustik- und Trockenbau beim Hauptverband der Deutschen Bauindustrie. Mitglied in dieser Bundesfachabteilung können alle im Akustik- und Trockenbau tätigen Unternehmen werden. Allein die Bildung dieses Interessenverbandes gleichartiger Unternehmen reicht nach der Rechtsprechung des BSG aus, um von einer dauerhaften Gruppe witterungsunabhängiger Unternehmen auszugehen. Von zahlenmäßigen Vorgaben, die statistisch ohnehin schwer zu belegen sind, hat das BSG ausdrücklich Abstand genommen (vgl. BSG, Urteil vom 30.01.1996, 10 RAr 10/94; zitiert nach www.juris.de).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG in Verbindung mit § 154 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Beim Streit um einen Grundlagenbescheid im Hinblick auf die Winterbeschäftigungsumlage der §§ 354 ff SGB III ist der Regelstreitwert in Höhe von 5.000,00 Euro anzusetzen (vgl. Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit, 4. Auflage 2012, Seite 13).
Rechtskraft
Aus
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