Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
31
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 31 KR 108/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin sich von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) befreien lassen und gleichzeitig freiwilliges Mitglied bei der Beklagten werden kann.
Die am 23.10.19xx geborene Klägerin ist seit 1982 Mitglied bei der Beklagten. Sie war zuletzt über ihren Ehemann freiwilliges Mitglied. Am 28.07.2010 beantragte sie eine Regelaltersrente, die ihr mit Bescheid vom 19.10.2010 ab November 2010 gewährt wurde.
Am 18.08.2010 beantragte sie die Befreiung von der Versicherungspflicht in der KVdR. Die Beklagte lehnte den Antrag unter Berufung auf § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) – Gesetzliche Krankenversicherung – und das Urteil des Bundessozialgerichts – BSG – vom 28.04.1987 (12 RK 51/86) ab. Hiergegen legte die Klägerin am 15.09.2010 Widerspruch ein. Am 11.10.2010 stellte sie einen Antrag auf freiwillige Mitgliedschaft bei der Beklagten. Der bereits gestellte Befreiungsantrag solle unter der Bedingung stehen, dass die Beklagte sie als freiwilliges Mitglied aufnehme. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 16.02.2011 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 24.02.2011 erhobene Klage.
Die Beteiligten haben den Rechtsstreit ausdrücklich auf die Frage der Mitgliedschaft in der Krankenversicherung beschränkt.
Die Klägerin trägt vor, sie könne sich gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 4 SGB V von der Versicherungspflicht in der KVdR befreien lassen. Die Frist des § 8 Abs. 2 SGB V sei gewahrt. Das von der Beklagten in Bezug genommene Urteil des BSG vom 28.04.1987 sei für den vorliegenden Fall nicht maßgeblich, da es sich nicht mit § 8 SGB V, sondern mit dessen Vorgängervorschrift, § 173a Reichsversicherungsordnung (RVO), befasse. Sodann seien die Voraussetzungen einer freiwilligen Mitgliedschaft nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 SGB V gegeben. Wegen der Möglichkeit einer freiwilligen Mitgliedschaft im Anschluss an eine Befreiung nach § 8 SGB V werde auf die Kommentierung von Peters, in: KassKomm, § 9 SGB V Rdnr. 16 verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 02.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.02.2011 zu verurteilen, sie von der Versicherungspflicht zu befreien und gleichzeitig ab Stellung des Rentenantrags am 28.07.2010 als freiwilliges Mitglied aufzunehmen,
hilfsweise die Sprungrevision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen, deren jeweiliger wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Entscheidungen nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG – beschwert, da diese rechtmäßig sind. Die Klägerin war nicht von der Versicherungspflicht in der KVdR zu befreien und sodann als freiwilliges Mitglied aufzunehmen.
Die Klägerin ist zunächst mit Stellung ihres Rentenantrags und sodann mit Gewährung der Rente gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V i.V.m. § 189 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB V kraft Gesetzes Pflichtmitglied in der KVdR geworden (vgl. hierzu Peters, in: KassKomm, Stand: April 2008, § 5 SGB V Rdnr. 206). Mit Beginn dieser Pflichtmitgliedschaft endete gemäß § 191 Nr. 2 SGB V die vorherige und vom Ehemann abgeleitete freiwillige Mitgliedschaft.
Der von der Klägerin im Ergebnis erstrebte Beitritt zur freiwilligen Versicherung kann im vorliegenden Fall alleine nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 SGB V erfolgen. Entsprechend müsste die Klägerin entweder "als Mitglied aus der Versicherungspflicht ausgeschieden" sein (hierzu unter 1.) oder eine Person sein, "deren Versicherung nach § 10 SGB V" erloschen ist (hierzu unter 2.). Hier lag aber weder der eine noch der andere Fall vor.
1. Es liegt zunächst kein Fall eines Ausscheidens aus der Versicherungspflicht nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V vor.
Ohne den hier vorliegenden Fall eines Rentenantragstellers bzw. Rentenbeziehers ausdrücklich zu thematisieren wird allerdings in der Kommentarliteratur überwiegend vertreten, ein "Ausscheiden" im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V liege auch im Fall einer "Befreiung" nach § 8 SGB V vor (vgl. Peters, in: KassKomm, Stand: April 2011, § 9 Rdnr. 16; Gerlach, in: Hauck/Noftz, VI/05, § 9 SGB V Rdnr. 46; Ulmer, in: BeckOK-SGB V, Stand: 01.09.2011, § 9 Rdnr. 3; ausdrücklich für den Fall eines Rentners Kruse, in: LPK-SGB V, 3. Aufl. 2009, § 9 Rdnr. 9). Das Bayerische Landessozialgericht - LSG - hält dem in seinem Urteil vom 26.09.1991 (L 4 KR 28/91, Seite 6) unter Bezugnahme auf § 313 RVO, der zwischen einem Ausscheiden und einer Befreiung ausdrücklich unterschieden habe, entgegen, ein Ausscheiden im Sinne von § 9 SGB V sei nur dann gegeben, wenn ein Versicherter ohne sein Zutun, d.h. kraft Gesetzes ausscheide, weil die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht nicht mehr vorlägen. Das LSG Baden-Württemberg setzt für den vorliegenden Fall eines Rentenantragstellers bzw. -beziehers in seinen Entscheidungen vom 19.08.2005 (L 4 KR 1533/02) und 14.02.2006 (L 11 KR 4223/05) auf einer vorgelagerten Ebene an und hält bereits die dem Wortlaut nach durchaus gegebene Befreiungsmöglichkeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 SGB V für nicht gegeben.
Nach Auffassung der Kammer ist die Frage, ob das vorliegende Problem dogmatisch bei § 8 oder bei § 9 SGB V zu verorten ist, sekundär. Für den Fall, dass der hier unter der Bedingung der Ermöglichung eines anschließenden Beitritts zur freiwilligen Versicherung gestellte Befreiungsantrag als solcher überhaupt zulässig ist (offen gelassen von Bayerisches LSG, Urteil vom 26.09.1991, L 4 KR 28/91, Seite 6), wäre es im Sinne der Klägerin vorzugswürdig, das Problem bereits auf der Ebene der Befreiung von der Versicherungspflicht anzusiedeln, um eine Befreiung ohne anschließende freiwillige Versicherung zu verhindern. Die Kammer ist jedenfalls der Auffassung, dass eine Befreiung von der Pflichtmitgliedschaft in der KVdR zugunsten eines Beitritts zur freiwilligen Versicherung nicht möglich ist. Dies ergibt sich aus einer systematischen Auslegung sowie Sinn und Zweck von §§ 8 und 9 SGB V unter Einbeziehung ihrer Entstehungsgeschichte.
Die von der Klägerin gewünschte Befreiung zum Zwecke des Beitritts zur freiwilligen Versicherung widerspricht bereits dem Grundsatz des Vorrangs der Pflichtversicherung vor einer freiwilligen Mitgliedschaft, wie er insbesondere in § 191 Nr. 2 SGB V zum Ausdruck kommt (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 26.09.1991, L 4 KR 28/91, Seite 7; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.08.2005, L 4 KR 1533/02, juris, Rdnr. 27; allgemein zum Vorrang der Pflichtversicherung Peters, in: KassKomm, Stand April 2010 bzw. April 2011, § 191 Rdnr. 7 und § 9 Rdnr. 10). Danach beendet gerade die Pflichtmitgliedschaft eine freiwillige Mitgliedschaft. Es wäre widersinnig, wenn das Pflichtmitglied sich sodann zum Zwecke des Beitritts zu einer freiwilligen Versicherung befreien lassen könnte.
Gegen die Zulässigkeit des klägerischen Begehrens spricht auch die als Ausnahme vom Regelfall anzusehende Regelung in § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 SGB V. Sie ist so zu lesen, dass nur in dem dort genannten Fall pflichtversicherte Rentner ebendiese Pflichtversicherung zugunsten einer freiwilligen Versicherung abwählen können (hierauf stellt maßgeblich ab LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 14.02.2006, L 11 KR 4223/05, juris, Rdnr. 29; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.08.2005, L 4 KR 1533/02, juris, Rdnr. 29; im Anschluss hieran Hampel, in: jurisPK-SGB V, Stand: 01.08.2007, § 8 Rdnr. 76). Die Kammer misst diesem Argument allerdings nur indizielle Bedeutung bei, da diese Ausnahmeregelung erst mit Gesetz vom 23.03.2002 eingefügt wurde.
Schließlich geht die Kammer davon aus, dass es bereits bei der Vorgängernorm des § 173a RVO um eine Systemabgrenzung von privater und gesetzlicher Versicherung ging (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 28.04.1987, 12 RK 51/86, juris, Rdnr. 14; BSG, Urteil vom 24.06.2008, B 12 KR 28/07 R, juris, Rdnr. 21: "Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung" (Hervorhebung durch die erkennende Kammer); LSG für das Saarland, Urteil vom 22.06.2011, L 2 KR 80/10, juris, Rdnr. 22). Bei der Einführung von § 8 SGB V wurde diese Regelung "inhaltlich übernommen" (vgl. BT-Drs. 11/2237, Seite 160). Entsprechend geht es auch bei § 8 SGB V um die Abgrenzung zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 24.06.2008, B 12 KR 28/07, juris, Rdnr. 19; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.08.2005, L 4 KR 1533/02, juris, Rdnr. 27; LSG des Saarlandes, a.a.O., Rdnr. 19; Bayerisches LSG, Urteil vom 09.08.2007, L 4 KR 8/07, juris, Rdnr. 18 unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 11.11.2003, B 12 KR 3/03 R; vgl. auch die Antwort der Bundesregierung in BT-Drs. 11/2493, Seite 57 auf den Änderungsvorschlag des Bundesrats in BR-Drs. 200/88, Seite 10 = BT-Drs. 11/2493, Seite 9). Geht es bei § 8 Abs. 1 Nr. 4 SGB V aber darum, dem lebenslang privat Versicherten die Möglichkeit zu eröffnen, trotz grundsätzlichen Eintritts einer Pflichtmitgliedschaft den Verbleib in der privaten Versicherung zu ermöglichen, so ist damit nicht zugleich die Möglichkeit eröffnet, von der Pflichtversicherung in die freiwillige Versicherung zu wechseln.
Dafür, dass der Gesetzgeber des SGB V bei § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 nicht auch den von der Versicherungspflicht befreiten Rentner vor Augen hatte, spricht im Übrigen die Wortwahl in der Gesetzesbegründung, wo von Personen gesprochen wird, bei denen die Zugehörigkeit zur GKV "weggefallen" ist bzw. von Rentnern, die "nicht versicherungspflichtig sind" (vgl. BT-Drs. 11/2237, Seite 160).
Soweit von den oben zitierten Kommentarmeinungen – weitestgehend ohne Auseinandersetzung mit der hier vorliegenden Problematik – für eine Beitrittsmöglichkeit auch des nach § 8 SGB V Befreiten angeführt wird, diese ergebe sich schlicht aus der Gesetzesformulierung und ein anderes Ergebnis sei nur bei entsprechender Gesetzesänderung möglich (vgl. insbesondere Peters, a.a.O.; Gerlach, a.a.O.), so überzeugt dies nicht. Der Wortlaut ist gerade nicht eindeutig. Eine "Befreiung" (§ 8 SGB V) ist eben nicht ohne Weiteres ein "Ausscheiden" (§ 9 SGB V). Das belegt § 313 Abs. 1 RVO (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 26.09.1991, L 4 KR 28/91, Seite 6). Der Wortlaut spricht damit eher für die von der Kammer gefundene Auslegung als gegen sie. Jedenfalls ist der Wortlaut der hiesigen Auslegung ohne Weiteres zugänglich.
2. Es liegt auch kein Fall von § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V vor. Denn wenn die Klägerin sich tatsächlich wirksam von der Pflichtmitgliedschaft in der KVdR befreien lassen könnte, so entfiele mit dieser Pflichtmitgliedschaft der Grund für die Beendigung der vom Ehemann abgeleiteten freiwilligen Mitgliedschaft. Ihre Versicherung nach § 10 SGB V wäre dann nicht im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V erloschen. Aber auch unter Außerachtlassung des Befreiungsantrags liegt kein solches Erlöschen vor. Es stellt sich bereits die Frage, ob hiervon nur solche Fälle erfasst sind, in denen die Familienversicherung wegfällt und keine andere Versicherung an ihre Stelle tritt. Ein solcher Fall läge hier wegen der durch die Rentenantragstellung begründeten Pflichtversicherung gerade nicht vor. Jedenfalls gelten auch hier die unter 1. dargelegten Argumente des Vorrangs der Pflichtversicherung sowie des Umkehrschlusses aus § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 SGB V.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Die Zulässigkeit der Berufung ergibt sich aus § 144 Abs. 1 SGG, da der Streitsache kein Wert von bis zu 750 EUR beigemessen werden kann. Die Sprungrevision war gemäß §§ 161 Abs. 2 Satz 1, 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da der Sache in Ermangelung einer ausdrücklichen höchstrichterlichen Klärung grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin sich von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) befreien lassen und gleichzeitig freiwilliges Mitglied bei der Beklagten werden kann.
Die am 23.10.19xx geborene Klägerin ist seit 1982 Mitglied bei der Beklagten. Sie war zuletzt über ihren Ehemann freiwilliges Mitglied. Am 28.07.2010 beantragte sie eine Regelaltersrente, die ihr mit Bescheid vom 19.10.2010 ab November 2010 gewährt wurde.
Am 18.08.2010 beantragte sie die Befreiung von der Versicherungspflicht in der KVdR. Die Beklagte lehnte den Antrag unter Berufung auf § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) – Gesetzliche Krankenversicherung – und das Urteil des Bundessozialgerichts – BSG – vom 28.04.1987 (12 RK 51/86) ab. Hiergegen legte die Klägerin am 15.09.2010 Widerspruch ein. Am 11.10.2010 stellte sie einen Antrag auf freiwillige Mitgliedschaft bei der Beklagten. Der bereits gestellte Befreiungsantrag solle unter der Bedingung stehen, dass die Beklagte sie als freiwilliges Mitglied aufnehme. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 16.02.2011 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 24.02.2011 erhobene Klage.
Die Beteiligten haben den Rechtsstreit ausdrücklich auf die Frage der Mitgliedschaft in der Krankenversicherung beschränkt.
Die Klägerin trägt vor, sie könne sich gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 4 SGB V von der Versicherungspflicht in der KVdR befreien lassen. Die Frist des § 8 Abs. 2 SGB V sei gewahrt. Das von der Beklagten in Bezug genommene Urteil des BSG vom 28.04.1987 sei für den vorliegenden Fall nicht maßgeblich, da es sich nicht mit § 8 SGB V, sondern mit dessen Vorgängervorschrift, § 173a Reichsversicherungsordnung (RVO), befasse. Sodann seien die Voraussetzungen einer freiwilligen Mitgliedschaft nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 SGB V gegeben. Wegen der Möglichkeit einer freiwilligen Mitgliedschaft im Anschluss an eine Befreiung nach § 8 SGB V werde auf die Kommentierung von Peters, in: KassKomm, § 9 SGB V Rdnr. 16 verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 02.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.02.2011 zu verurteilen, sie von der Versicherungspflicht zu befreien und gleichzeitig ab Stellung des Rentenantrags am 28.07.2010 als freiwilliges Mitglied aufzunehmen,
hilfsweise die Sprungrevision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen, deren jeweiliger wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Entscheidungen nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG – beschwert, da diese rechtmäßig sind. Die Klägerin war nicht von der Versicherungspflicht in der KVdR zu befreien und sodann als freiwilliges Mitglied aufzunehmen.
Die Klägerin ist zunächst mit Stellung ihres Rentenantrags und sodann mit Gewährung der Rente gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V i.V.m. § 189 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB V kraft Gesetzes Pflichtmitglied in der KVdR geworden (vgl. hierzu Peters, in: KassKomm, Stand: April 2008, § 5 SGB V Rdnr. 206). Mit Beginn dieser Pflichtmitgliedschaft endete gemäß § 191 Nr. 2 SGB V die vorherige und vom Ehemann abgeleitete freiwillige Mitgliedschaft.
Der von der Klägerin im Ergebnis erstrebte Beitritt zur freiwilligen Versicherung kann im vorliegenden Fall alleine nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 SGB V erfolgen. Entsprechend müsste die Klägerin entweder "als Mitglied aus der Versicherungspflicht ausgeschieden" sein (hierzu unter 1.) oder eine Person sein, "deren Versicherung nach § 10 SGB V" erloschen ist (hierzu unter 2.). Hier lag aber weder der eine noch der andere Fall vor.
1. Es liegt zunächst kein Fall eines Ausscheidens aus der Versicherungspflicht nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V vor.
Ohne den hier vorliegenden Fall eines Rentenantragstellers bzw. Rentenbeziehers ausdrücklich zu thematisieren wird allerdings in der Kommentarliteratur überwiegend vertreten, ein "Ausscheiden" im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V liege auch im Fall einer "Befreiung" nach § 8 SGB V vor (vgl. Peters, in: KassKomm, Stand: April 2011, § 9 Rdnr. 16; Gerlach, in: Hauck/Noftz, VI/05, § 9 SGB V Rdnr. 46; Ulmer, in: BeckOK-SGB V, Stand: 01.09.2011, § 9 Rdnr. 3; ausdrücklich für den Fall eines Rentners Kruse, in: LPK-SGB V, 3. Aufl. 2009, § 9 Rdnr. 9). Das Bayerische Landessozialgericht - LSG - hält dem in seinem Urteil vom 26.09.1991 (L 4 KR 28/91, Seite 6) unter Bezugnahme auf § 313 RVO, der zwischen einem Ausscheiden und einer Befreiung ausdrücklich unterschieden habe, entgegen, ein Ausscheiden im Sinne von § 9 SGB V sei nur dann gegeben, wenn ein Versicherter ohne sein Zutun, d.h. kraft Gesetzes ausscheide, weil die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht nicht mehr vorlägen. Das LSG Baden-Württemberg setzt für den vorliegenden Fall eines Rentenantragstellers bzw. -beziehers in seinen Entscheidungen vom 19.08.2005 (L 4 KR 1533/02) und 14.02.2006 (L 11 KR 4223/05) auf einer vorgelagerten Ebene an und hält bereits die dem Wortlaut nach durchaus gegebene Befreiungsmöglichkeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 SGB V für nicht gegeben.
Nach Auffassung der Kammer ist die Frage, ob das vorliegende Problem dogmatisch bei § 8 oder bei § 9 SGB V zu verorten ist, sekundär. Für den Fall, dass der hier unter der Bedingung der Ermöglichung eines anschließenden Beitritts zur freiwilligen Versicherung gestellte Befreiungsantrag als solcher überhaupt zulässig ist (offen gelassen von Bayerisches LSG, Urteil vom 26.09.1991, L 4 KR 28/91, Seite 6), wäre es im Sinne der Klägerin vorzugswürdig, das Problem bereits auf der Ebene der Befreiung von der Versicherungspflicht anzusiedeln, um eine Befreiung ohne anschließende freiwillige Versicherung zu verhindern. Die Kammer ist jedenfalls der Auffassung, dass eine Befreiung von der Pflichtmitgliedschaft in der KVdR zugunsten eines Beitritts zur freiwilligen Versicherung nicht möglich ist. Dies ergibt sich aus einer systematischen Auslegung sowie Sinn und Zweck von §§ 8 und 9 SGB V unter Einbeziehung ihrer Entstehungsgeschichte.
Die von der Klägerin gewünschte Befreiung zum Zwecke des Beitritts zur freiwilligen Versicherung widerspricht bereits dem Grundsatz des Vorrangs der Pflichtversicherung vor einer freiwilligen Mitgliedschaft, wie er insbesondere in § 191 Nr. 2 SGB V zum Ausdruck kommt (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 26.09.1991, L 4 KR 28/91, Seite 7; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.08.2005, L 4 KR 1533/02, juris, Rdnr. 27; allgemein zum Vorrang der Pflichtversicherung Peters, in: KassKomm, Stand April 2010 bzw. April 2011, § 191 Rdnr. 7 und § 9 Rdnr. 10). Danach beendet gerade die Pflichtmitgliedschaft eine freiwillige Mitgliedschaft. Es wäre widersinnig, wenn das Pflichtmitglied sich sodann zum Zwecke des Beitritts zu einer freiwilligen Versicherung befreien lassen könnte.
Gegen die Zulässigkeit des klägerischen Begehrens spricht auch die als Ausnahme vom Regelfall anzusehende Regelung in § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 SGB V. Sie ist so zu lesen, dass nur in dem dort genannten Fall pflichtversicherte Rentner ebendiese Pflichtversicherung zugunsten einer freiwilligen Versicherung abwählen können (hierauf stellt maßgeblich ab LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 14.02.2006, L 11 KR 4223/05, juris, Rdnr. 29; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.08.2005, L 4 KR 1533/02, juris, Rdnr. 29; im Anschluss hieran Hampel, in: jurisPK-SGB V, Stand: 01.08.2007, § 8 Rdnr. 76). Die Kammer misst diesem Argument allerdings nur indizielle Bedeutung bei, da diese Ausnahmeregelung erst mit Gesetz vom 23.03.2002 eingefügt wurde.
Schließlich geht die Kammer davon aus, dass es bereits bei der Vorgängernorm des § 173a RVO um eine Systemabgrenzung von privater und gesetzlicher Versicherung ging (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 28.04.1987, 12 RK 51/86, juris, Rdnr. 14; BSG, Urteil vom 24.06.2008, B 12 KR 28/07 R, juris, Rdnr. 21: "Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung" (Hervorhebung durch die erkennende Kammer); LSG für das Saarland, Urteil vom 22.06.2011, L 2 KR 80/10, juris, Rdnr. 22). Bei der Einführung von § 8 SGB V wurde diese Regelung "inhaltlich übernommen" (vgl. BT-Drs. 11/2237, Seite 160). Entsprechend geht es auch bei § 8 SGB V um die Abgrenzung zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 24.06.2008, B 12 KR 28/07, juris, Rdnr. 19; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.08.2005, L 4 KR 1533/02, juris, Rdnr. 27; LSG des Saarlandes, a.a.O., Rdnr. 19; Bayerisches LSG, Urteil vom 09.08.2007, L 4 KR 8/07, juris, Rdnr. 18 unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 11.11.2003, B 12 KR 3/03 R; vgl. auch die Antwort der Bundesregierung in BT-Drs. 11/2493, Seite 57 auf den Änderungsvorschlag des Bundesrats in BR-Drs. 200/88, Seite 10 = BT-Drs. 11/2493, Seite 9). Geht es bei § 8 Abs. 1 Nr. 4 SGB V aber darum, dem lebenslang privat Versicherten die Möglichkeit zu eröffnen, trotz grundsätzlichen Eintritts einer Pflichtmitgliedschaft den Verbleib in der privaten Versicherung zu ermöglichen, so ist damit nicht zugleich die Möglichkeit eröffnet, von der Pflichtversicherung in die freiwillige Versicherung zu wechseln.
Dafür, dass der Gesetzgeber des SGB V bei § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 nicht auch den von der Versicherungspflicht befreiten Rentner vor Augen hatte, spricht im Übrigen die Wortwahl in der Gesetzesbegründung, wo von Personen gesprochen wird, bei denen die Zugehörigkeit zur GKV "weggefallen" ist bzw. von Rentnern, die "nicht versicherungspflichtig sind" (vgl. BT-Drs. 11/2237, Seite 160).
Soweit von den oben zitierten Kommentarmeinungen – weitestgehend ohne Auseinandersetzung mit der hier vorliegenden Problematik – für eine Beitrittsmöglichkeit auch des nach § 8 SGB V Befreiten angeführt wird, diese ergebe sich schlicht aus der Gesetzesformulierung und ein anderes Ergebnis sei nur bei entsprechender Gesetzesänderung möglich (vgl. insbesondere Peters, a.a.O.; Gerlach, a.a.O.), so überzeugt dies nicht. Der Wortlaut ist gerade nicht eindeutig. Eine "Befreiung" (§ 8 SGB V) ist eben nicht ohne Weiteres ein "Ausscheiden" (§ 9 SGB V). Das belegt § 313 Abs. 1 RVO (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 26.09.1991, L 4 KR 28/91, Seite 6). Der Wortlaut spricht damit eher für die von der Kammer gefundene Auslegung als gegen sie. Jedenfalls ist der Wortlaut der hiesigen Auslegung ohne Weiteres zugänglich.
2. Es liegt auch kein Fall von § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V vor. Denn wenn die Klägerin sich tatsächlich wirksam von der Pflichtmitgliedschaft in der KVdR befreien lassen könnte, so entfiele mit dieser Pflichtmitgliedschaft der Grund für die Beendigung der vom Ehemann abgeleiteten freiwilligen Mitgliedschaft. Ihre Versicherung nach § 10 SGB V wäre dann nicht im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V erloschen. Aber auch unter Außerachtlassung des Befreiungsantrags liegt kein solches Erlöschen vor. Es stellt sich bereits die Frage, ob hiervon nur solche Fälle erfasst sind, in denen die Familienversicherung wegfällt und keine andere Versicherung an ihre Stelle tritt. Ein solcher Fall läge hier wegen der durch die Rentenantragstellung begründeten Pflichtversicherung gerade nicht vor. Jedenfalls gelten auch hier die unter 1. dargelegten Argumente des Vorrangs der Pflichtversicherung sowie des Umkehrschlusses aus § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 SGB V.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Die Zulässigkeit der Berufung ergibt sich aus § 144 Abs. 1 SGG, da der Streitsache kein Wert von bis zu 750 EUR beigemessen werden kann. Die Sprungrevision war gemäß §§ 161 Abs. 2 Satz 1, 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da der Sache in Ermangelung einer ausdrücklichen höchstrichterlichen Klärung grundsätzliche Bedeutung zukommt.
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