S 2 SO 79/15 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 79/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.
Der am 00.00.2012 geborene Antragsteller begehrt die Gewährung von Frühförderung durch die Übernahme der Kosten der Förderung bei dem Anbieter R zum Erlernen der Deutschen Gebärdensprache als persönliches Budget in Höhe von monatlich 1345,50 Euro statt 689,40 Euro.

Der Antragsteller hat eine an Taubheit grenzende Hörminderung. Zusätzlich besteht eine Knochenstoffwechselerkrankung mit komplexer Fehlanlage des Innenohres beidseits. Dadurch ist eine ausreichende Hörleistung auch mit physikalischen Hilfsmitteln nur unzureichend zu erreichen. Die Eltern haben sich nach intensiver Beratung mit dem "Cochlea-Implantat-Centrum" der Uniklinik Essen für den wahrscheinlich sinnvolleren Weg entschieden gemeinsam mit dem Kind die Deutsche Gebärdensprache zu erlernen.

Dem Antragsteller war seinerzeit zunächst durch Bescheid vom 11.02.2013 eine pädagogische Frühförderung bewilligt worden. Für die Einzelheiten wird auf den Inhalt des Bescheids Bezug genommen. Die Frühförderung erfolgte in der LWL-Förderschule mit Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation in C. Dabei wurde zunächst davon ausgegangen, dass ein gewisses Hörvermögen besteht. Die dortige Schule ist auf die Förderung von hörgeminderten Kindern ausgerichtet. Dort wird die lautsprachbegleitende Gebärdensprache vermittelt. Dabei handelt es sich um ein kommunikatives Hilfsmittel. Diese bildet Sprache nur bruchstückhaft ab und ist der Deutschen Gebärdensprache für Gehörlose nicht gleichwertig.

Mit Bescheid vom 12.08.2014 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller dann einen Hausgebärdensprachkurs mit 8 Wochenstunden für die Zeit vom 24.06.2014 bis zum 30.06.2015. Gebärdendolmetscher war hierbei zunächst Herr G aus C1. Die Vergütung belief sich auf 55 Euro je 60-minütiger Unterrichtsstunde zuzüglich Fahrtkostenerstattung von 30 Cent je Kilometer nebst 55 Euro je Stunde Fahrtzeit.

Am 22.10.2014 beantragte der Antragsteller sodann, die ihm gewährten Leistungen als Geldleistung in Form eines persönlichen Budgets zu erbringen. Der Antragsgegner übersandte dem Antragsteller den Entwurf einer Zielvereinbarung. Darin war ein Stundesatz von 60 Euro zugrunde gelegt. Ferner Fahrtkosten zu 0,35 Cent je Kilometer (aber keine Entschädigung des Zeitaufwandes der Fahrzeit). Bewilligt wurden monatlich 4 Fördereinheiten zu je 90 Minuten, mithin 6 Zeitstunden monatlich, woraus sich ein monatlicher Gesamtbetrag von 689,40 Euro ergab. Für die Einzelheiten wird auf den Entwurf der Zielvereinbarung Bezug genommen.

Diese Zielvereinbarung wurde zunächst nicht unterzeichnet. Daraufhin wurde die Gewährung eines persönlichen Budgets mit Bescheid vom 26.01.2015 abgelehnt. Sodann wurde die Zielvereinbarung seitens des Antragstellers unter dem Vorbehalt eines höheren Stundenlohns unterzeichnet. Es seien hier 75 Euro anstatt der avisierten 60 Euro in Ansatz zu bringen. Zur Begründung wurde der Kostenvoranschlag der Diplom Gebärdendolmetscherin (FH) L X vorgelegt, die unter dem Namen R firmiert und die hier nach dem Wunsch des Antragsstellers die Förderung künftig ausführen soll.

Mit Bescheid vom 04.03.2015 bewilligte der Antragsgegner dann ein persönliches Budget in Höhe von monatlich 689,40 Euro für den Zeitraum vom 01.11.2014 bis zum 30.10.2015 entsprechend der vorgeschlagenen Zielvereinbarung.

Dagegen legte der Antragsteller Widerspruch ein. Das Widerspruchsverfahren ist noch anhängig.

Der Antragsteller begehrt nun im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes,

den Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller Eingliederungshilfe unter Berücksichtigung der von der Dienstleisterin Frau X geltend gemachten Vergütungskriterien in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er trägt vor, es handle sich um eine Vorwegnahme der Entscheidung im Klageverfahren, indem tatsächlich endgültig entschieden werde, wenn die Leistung erbracht werde müsse. Ferner habe der Antragsgegner dem Antragsteller schon mit Bescheid vom 24.06.2014 einen Gebärdensprachkurs als Eingliederungshilfe in Form der Sachleistung bewilligt. Dort seien 55 Euro je Stunde an den Gebärdendolmetscher geleistet worden.

Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Akte des Verwaltungsverfahrens. Diese haben bei der Entscheidung vorgelegen.

II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet. Das Gericht der Hauptsache kann gemäß § 86 b Abs. 1 SGG auf Antrag ( ) 2. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Diese Bestimmung kommt auch zur Anwendung, wenn die Verwaltung die aufschiebende Wirkung nicht beachtet, also die aufschiebende Wirkung festgestellt werden muss (Meyer-Ladewig-Keller, Kommentar zum SGG § 86b Rdnr.5 und 15). Gemäß § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines bestehenden Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund), die Eilbedürftigkeit, sind gemäß §§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens bedarf es einer Interessenabwägung, ob dem Antragsteller unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten unzumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.

Im vorliegenden Fall fehlt es nach summarischer Prüfung, das heißt ohne weitere Beweisaufnahme, an einem weitergehenden Anspruch über die bereits bewilligten Leistungen hinaus.

Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, erhalten gemäß § 53 Abs. 1 SGB XII Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung können Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten. Von einer Behinderung bedroht sind gemäß § 53 Abs. 2 SGB XII Personen, bei denen der Eintritt der Behinderung nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dies gilt für Personen, für die vorbeugende Gesundheitshilfe und Hilfe bei Krankheit nach den §§ 47 und 48 erforderlich ist, nur, wenn auch bei Durchführung dieser Leistungen eine Behinderung einzutreten droht. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es gemäß § 53 Abs. 3 SGB XII, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen. Für die Leistungen zur Teilhabe gelten gemäß § 53 Abs. 4 SGB XII die Vorschriften des Neunten Buches, soweit sich aus diesem Buch und den auf Grund dieses Buches erlassenen Rechtsverordnungen nichts Abweichendes ergibt. Die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe richten sich nach diesem Buch.

Leistungen der Eingliederungshilfe sind neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 des Neunten Buches gemäß § 54 Abs. 1 SGB XII insbesondere 1. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt, 2. Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule, 3. Hilfe zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit, 4. Hilfe in vergleichbaren sonstigen Beschäftigungsstätten nach § 56, 5. nachgehende Hilfe zur Sicherung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen und zur Sicherung der Teilhabe der behinderten Menschen am Arbeitsleben. Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben entsprechen jeweils den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit.

Die Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe zum Erlernen der Gebärdensprache sind hier grundsätzlich erfüllt. Es geht nicht darum, ob der Antragsteller, die Förderung als solche erhalten soll oder nicht. Im Ergebnis streiten die Beteiligten letztlich um die Höhe der Vergütung des Gebärdendolmetschers.

Die Höhe der Vergütung von Gebärdendolmetschern für Tätigkeiten, die keine Behördengänge im Sinne des § 17 Abs. 2 SGB I und auch keine begleitende Dolmetschertätigkeit bei der Inanspruchnahme einer anderen Sozialleistung im Sinne des § 19 SGB X sind, ist nicht konkret geregelt. Hörbehinderte Menschen haben gemäß § 17 Abs. 2 SGB I das Recht, bei der Ausführung von Sozialleistungen, insbesondere auch bei ärztlichen Untersuchungen und Behandlungen, Gebärdensprache zu verwenden. Die für die Sozialleistung zuständigen Leistungsträger sind verpflichtet, die durch die Verwendung der Gebärdensprache und anderer Kommunikationshilfen entstehenden Kosten zu tragen; § 19 Abs. 2 Satz 4 des Zehnten Buches gilt entsprechend. Die Amtssprache ist gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB X deutsch. Hörbehinderte Menschen haben gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 SGB X das Recht, zur Verständigung in der Amtssprache Gebärdensprache zu verwenden; Aufwendungen für Dolmetscher sind von der Behörde oder dem für die Sozialleistung zuständigen Leistungsträger zu tragen. Falls die Behörde Dolmetscher oder Übersetzer herangezogen hat, erhalten sie gemäß § 19 Absatz 2 Satz 4 SGB X auf Antrag in entsprechender Anwendung des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) eine Vergütung; mit Dolmetschern oder Übersetzern kann die Behörde eine Vergütung vereinbaren. Bei der Schulung zum Erlernen der Gebärdensprache handelt es sich nicht um die Inanspruchnahme eines Gebärdendolmetschers bei einem Behördengang oder bei der Inanspruchnahme anderer Sozialleistungen. Das Erlernen der Gebärdensprache selbst ist die Sozialleistung. Dieser Fall ist gesetzlich nicht einzeln geregelt, es bleibt bei den allgemeinen Regeln, wann und in welcher Höhe ein persönliches Budget zu leisten ist.

Der zuständige Rehabilitationsträger kann gemäß § 17 Abs. 1 SGB IX Leistungen zur Teilhabe 1. allein oder gemeinsam mit anderen Leistungsträgern, 2. durch andere Leis-tungsträger oder 3. unter Inanspruchnahme von geeigneten, insbesondere auch freien und gemeinnützigen oder privaten Rehabilitationsdiensten und -einrichtungen (§ 19) ausführen. Er bleibt für die Ausführung der Leistungen verantwortlich. Satz 1 gilt insbesondere dann, wenn der Rehabilitationsträger die Leistung dadurch wirksamer oder wirtschaftlicher erbringen kann.

Auf Antrag können gemäß § 17 Abs.2 SGB IX Leistungen zur Teilhabe auch durch ein Persönliches Budget ausgeführt werden, um den Leistungsberechtigten in eigener Verantwortung ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Bei der Ausführung des Persönlichen Budgets sind nach Maßgabe des individuell festgestellten Bedarfs die Rehabilitationsträger, die Pflegekassen und die Integrationsämter beteiligt. Das Persönliche Budget wird von den beteiligten Leistungsträgern trägerübergreifend als Komplexleistung erbracht. Budgetfähig sind auch die neben den Leistungen nach Satz 1 erforderlichen Leistungen der Krankenkassen und der Pflegekassen, Leistungen der Träger der Unfallversicherung bei Pflegebedürftigkeit sowie Hilfe zur Pflege der Sozialhilfe, die sich auf alltägliche und regelmäßig wiederkehrende Bedarfe beziehen und als Geldleistungen oder durch Gutscheine erbracht werden können. An die Entscheidung ist der Antragsteller für die Dauer von sechs Monaten gebunden. Persönliche Budgets werden gemäß § 17 Abs. 3 SGB IX in der Regel als Geldleistung ausgeführt, bei laufenden Leistungen monatlich. In begründeten Fällen sind Gutscheine auszugeben. Persönliche Budgets werden auf der Grundlage der nach § 10 Abs. 1 getroffenen Feststellungen so bemessen, dass der individuell festgestellte Bedarf gedeckt wird und die erforderliche Beratung und Unterstützung erfolgen kann. Dabei soll die Höhe des persönlichen Budgets die Kosten aller bisher individuell festgestellten, ohne das persönliche Budget zu erbringenden Leistungen nicht überschreiten. Das persönliche Budget soll also regelmäßig nicht höher als die Kosten der Sachleistung durch die Behörde sein.

Im vorliegenden Fall sind die Kosten der Sachleistung jedenfalls für die Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz durch den Bescheid vom 12.08.2014 definiert, weil die Eingliederungshilfe bereits vor der Beantragung des persönlichen Budgets in Form der Sachleistung erbracht worden ist. Dort wurde ein Stundensatz von 55 Euro bewilligt. Die Sachleistung wurde auch erbracht, namentlich durch den Gebärdendolmetscher G. Insoweit liegt der hiesige Fall anders als bei der Entscheidung im Verfahren S 2 SO 261/14 ER, wo das hiesige Gericht eine höhere Dolmetschervergütung erstinstanzlich über die seitens der Behörde bewilligten 68 Euro hinaus ebenfalls abgelehnt hatte, das LSG NRW dann aber im Verfahren L 20 SO 426/14 B ER die vom dortigen Anbieter verlangte Vergütung von 89,25 Euro (bestehend aus 75 Euro zzgl. USt) zugesprochen hatte, mit der Begründung, der Antragsgegner selbst sei nicht in der Lage einen günstigeren Anbieter zu benennen und die derzeit tätigen Dolmetscher seien zwischenzeitlich nicht mehr bereit, für den festgesetzten Stundensatz von 68 Euro tätig zu werden. Der hiesige Antragsteller hat auch nicht ansatzweise thematisiert, geschweige denn glaubhaft gemacht, dass eine Zusammenarbeit mit dem bisherigen Dolmetscher unzumutbar geworden sei. Es steht dem Antragsteller frei zum persönlichen Budget zu optieren, dieses bleibt jedoch in der Höhe auf den Kostenbetrag der Sachleistung begrenzt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG
Rechtskraft
Aus
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