S 2 SO 193/15 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 193/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsteller sind als Touristen aus Serbien eingereist und begehren Leistungen nach dem SGB XII.

Der am 00.00.1959 geborene Antragsteller und die am 00.00.1963 geborene Antragstellerin sind am 02.03.2015 als Touristen visumsfrei in die Bundesrepublik eingereist und begaben sich zu ihrer in C wohnhaften Tochter.

Am 02.06.2015 beantragten sie bei der Antragsgegnerin die Gewährung von Sozialhilfeleistungen nach §§ 23, 27 SGB XII. Mit Bescheid vom 22.06.2015 wurde der Antrag abgelehnt. Auf den Inhalt des Bescheids wird Bezug genommen. Dagegen erhoben die Antragsteller Widerspruch.

Sie begehren nun einstweiligen Rechtsschutz.

Sie beantragten,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII ab Antragstellung vom 02.06.2015 vorläufig zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung verweist sie auf ihre bisherigen Ausführungen. Inzwischen sei durch Bescheid der Ausländerbehörde vom 16.07.2015 die Feststellung von Abschiebehindernissen abgelehnt worden. Zugleich habe die Ausländerbehörde die Antragsteller zur Ausreise aufgefordert. Für die Einzelheiten wird auf den Bescheid der Ausländerbehörde vom 16.07.2015 Bezug genommen.

Im Übrigen wird für die weiteren Einzelheiten Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Akte des Verwaltungsverfahrens. Diese haben bei der Entscheidung vorgelegen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, aber nicht begründet.

Gemäß § 86 b Abs. 2 S. 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus.

Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung derart, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kommentar, 8. Auflage, § 86 b Rdnrn. 27 und 29 m.w.N.). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. zuletzt Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05).

Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86 b Abs. 2 S. 4 SGG glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., Rdnrn. 16 b, 16 c, 40).

Hiervon ausgehend haben die Antragsteller einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII ist Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben gemäß § 23 Abs. 1 S. 2 SGB XII unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe gemäß § 23 Abs. 1 S. 4 SGB XII geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten gemäß § 23 Abs. 1 S. 4 SGB XII nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben gemäß § 23 Abs. 1 S. 5 SGB XII unberührt. Gemäß § 23 Abs. 2 SGB XII erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG keine Leistungen der Sozialhilfe. Gemäß § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII haben Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, sowie ihre Familienangehörige, keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Sofern sie zum Zweck einer Behandlung oder Linderung einer Krankheit eingereist sind, soll gemäß § 23 Abs. 3 S. 2 SGB XII Hilfe bei Krankheit insoweit nur zur Behebung eines akut lebensbedrohlichen Zustandes oder für eine unaufschiebbare und unabweisbar gebotene Behandlung einer schweren oder ansteckenden Erkrankung geleistet werden.

Für die Zeit ab Erlass des Bescheids der Ausländerbehörde vom 16.07.2015 ist bereits aufgrund der Bestimmung des § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG ein Leistungsausschluss nach dem SGB XII gegeben.

Auch für den Zeitraum vor Erlass des Bescheids vom 16.07.2015 besteht kein Anspruch nach dem SGB XII, ein solcher ist jedenfalls nicht glaubhaft gemacht.

Ein Ausschlussgrund nach § 23 Abs. 3 SGB XII im Rahmen der summarischen Prüfung ohne weitere Beweisaufnahme ist zwar nicht feststellen. Nach der Rechtsprechung des BSG bedarf es hierzu einer prägenden Finalität. Dass die Antragsteller zum Zwecke der Arbeitssuche eingereist sind, ist weder vorgetragen noch sonst aus dem Akteninhalt ersichtlich Dass die Antragsteller zum Zwecke des Sozialhilfebezuges eingereist sind, lässt sich den vorgelegten Erklärungen nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit entnehmen. Der Ausschlussgrund des § 23 Abs. 3 S. 1 1. Alt. SGB XII setzt einen finalen Zusammenhang zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme von Sozialhilfe im Sinne eines ziel- und zweckgerichteten vorsätzlichen Handelns voraus, für das nur fahrlässiges Verhalten nicht ausreicht (LSG NRW, Beschluss vom 08.09.2014, Az.: L 20 SO 322/14 B ER). Beruht die Einreise auf verschiedenen Motiven, ist das Erfordernis des finalen Zusammenhangs nur erfüllt, wenn der Zweck der Inanspruchnahme von Sozialhilfe für den Einreiseentschluss von zumindest prägender Bedeutung ist (LSG NRW, a.a.O.). Es genügt hingegen nicht, dass Sozialhilfe lediglich beiläufig in Anspruch genommen werden soll oder anderen Einreisezwecken untergeordnet ist und in diesem Sinne (nur) billigend in Kauf genommen wird (LSG NRW, a.a.O.). Die Antragsteller sind hier als Touristen eingereist, um ihre in C lebende Tochter zu besuchen. Das spricht eher gegen die erforderliche Finalität. Es handelt sich um einen ganz gewöhnlichen Besuch von Eltern bei ihrer erwachsenen Tochter.

Die Antragssteller haben jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass sie bedürftig wären. Sie haben zwar vorgetragen, selbst über keine Geldmittel zu verfügen. Andererseits halten sie sich als Besucher bei ihrer Tochter in C auf, was dafür spricht, dass sie tatsächlich von ihr versorgt werden. Und Verwandte in gerade Linie sind einander gemäß § 1601 BGB grundsätzlich auch rechtlich zum Unterhalt verpflichtet. Da ist es vom Sachverhalt her insgesamt naheliegend, dass sich die Tochter um ihre Eltern, die als Touristen zu Besuch in C sind, kümmert. Gegenteiliges hierzu, was die sofortige Inanspruchnahme einer gerichtlichen Eilentscheidung rechtfertigen würde, ist nicht vorgetragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved