Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 142/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 164/16
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 13.09.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.04.2013 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerseite ambulante Eingliederungshilfe für Frau V N in Form der Übernahme der Kosten im Umfang von drei Fachleistungsstunden je Woche im Rahmen des ambulanten betreuten Wohnens gemäß Antrag vom 02.08.2011 ab dem 01.10.2012 bis zum 19.12.2015 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die ursprüngliche Klägerin begehrte die Weitergewährung von wohnbezogener Eingliederungshilfe im Rahmen des ambulanten betreuten Wohnens. Sie ist am 19.12.2015 verstorben.
Die am 00.00.1953 geborene Klägerin litt unter einer stark ausgeprägten Alkoholerkrankung mit körperlichem und geistigem Verfall. Sie hatte bis zu ihrem Tod einen rechtlichen Betreuer für die Gesundheitsfürsorge einschließlich der damit zusammenhängenden Aufenthaltsbestimmung, Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten und Vertretung gegenüber Behörden- und Leistungsträgern. Sie war schwerbehindert mit einem GdB von 100 und den Merkzeichen G und B. Sie benötigte wegen der schweren Polyneuropathie einen Rollator. Sie lebte im ambulanten betreuten Wohnen. Sie lebte allein in einer Wohnung. Zuvor hatte sie in einer Wohngruppe gelebt. Diese Wohnform wurde seinerzeit im Interesse der Mitbewohner beendet. In dem Gebäude, wo sich ihre Wohnung befand, gibt es ein sogenanntes Wohncafe, in dem sie soziale Kontakte pflegen konnte. Hierzu konnte sie auch motiviert werden, wenngleich sie andere Menschen im Erstkontakt wegen ihrer verwaschenen Sprache kaum noch verstehen konnten und sich die Klägerin für ihre gesundheitliche Situation schämte. Die Klägerin litt auch unter Inkontinenz. Wenn ihr das wöchentliche Taschengeld ausbezahlt wurde, kaufte sie regelmäßig Alkohol an einer nahegelegenen Tankstelle und konsumierte diesen dann in ihrer Wohnung. Die Klägerin gehörte durch ihren geistigen Verfall infolge der Alkoholerkrankung zum Personenkreis des § 45a SGB XI, der zur Selbst- und Fremdgefährdung neigt. Die Klägerin erhielt seit dem 30.09.2012 im Rahmen des ambulanten betreuten Wohnens auch Eingliederungshilfe in Form von drei Fachleistungsstunden wöchentlich, in denen sie zur Eigenständigkeit motiviert und angeleitet werden sollte. Darüber hinaus erhielt sie Hilfe zur Pflege und für andere Verrichtungen.
Am 02.08.2011 beantragte sie die Weitergewährung der bisherigen Eingliederungshilfe, die zuvor zuletzt bis zum 30.09.2012 verlängert worden war. Der Beklagte forderte den aktuellen Integrierten Behandlungs- und Rehabilitationsplan (IBRP) an. Mit Bescheid vom 13.09.2012 lehnte der Beklagte die Weiterbewilligung der Eingliederungshilfe ab. Eine wohnbezogene Eingliederungshilfe könne nicht mehr bewilligt werden, da die Klägerin phasenweise weiterhin verstärkt Alkohol trinke. Seit Bewilligung der Eingliederungshilfe im April 2009 habe keine Entwicklung stattgefunden. Der Betreuungsbedarf sei unverändert. Die Eingliederungshilfe sei zwecklos. Für die Einzelheiten wird auf den Inhalt des Bescheids Bezug genommen. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Ziel der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff SGB XII sei nicht zwangsläufig eine Verbesserung des Krankheitsbildes, hier des Alkoholkonsums, sondern die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Aufgrund der Eingliederungshilfe sei es bislang gelungen ihr diese Teilhabe zu gewährleisten. Ohne die Eingliederungshilfe könne diese nicht aufrecht erhalten werden, Vereinsamung und Verwahrlosung seien dann die Folge. Sie benötige Rückmeldung und Anleitung um im sozialen Kontext nicht aufzufallen. Sie benötige auch Motivation und genaue Anleitungen, um ihren Haushalt bewerkstelligen zu können. Aufgrund der Alkoholerkrankung und der daraus resultierenden Einschränkungen müsse sie zu Arztbesuchen motiviert werden. So habe sie zuletzt erstmals nach 16 Jahren einen Zahnarzt besucht. Ohne die Eingliederungshilfe könne sie auch die Konflikte, die durch ihren oft angetrunkenen Zustand mit Dritten entstehen, nicht lösen. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Widerspruchsbegründung im Schriftsatz vom 23.10.2012 Bezug genommen. Mit Widerspruchsbescheid vom 08.04.2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Es sei nicht ersichtlich, dass im Rahmen der Eingliederungshilfe eine Entwicklung stattgefunden habe. Eine Eingliederungsmaßnahme aufgrund des über die letzten Jahre gleichbleibenden Betreuungsbedarfs komme daher nicht in Betracht. Die lebenspraktischen Fertigkeiten könnten im Rahmen der Hilfe zur Pflege durch die Stadt C erbracht werden. Der Bedarf an selbstbestimmten Wohnen sei damit ausreichend gedeckt.
Mit der dagegen erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Anliegen weiter. Aufgabe der Eingliederungshilfe sei es, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen und zu erleichtern. In genau dieser Situation befinde sich die Klägerin. Die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft könne ohne die Eingliederungshilfe nicht aufrecht erhalten werden. Die Hilfe zur Pflege sei insoweit nicht ausreichend. Sie benötige dringend weitere Unterstützung, um ihren Haushalt möglichst selbständig bzw. mit entsprechender Anleitung führen zu können. Ihr Alkoholkonsum könne durch die Betreuung zumindest unter Kontrolle gehalten werden. Es gehe außerdem um eine Orientierungshilfe, Hilfe bei der Gestaltung sozialer Beziehungen, Aufrechterhaltung der Tagesstruktur und die Wahrnehmung einer sinnvollen Freizeitbeschäftigung.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 13.09.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.04.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab dem 01.10.2012 bis zum 19.12.2015 ambulante Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten im Umfang von drei Fachleistungsstunden wöchentlich im Rahmen des ambulanten betreuten Wohnens nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte wiederholt seine bisherigen Ausführungen. Die Eingliederungshilfe habe hier ihren Zweck nicht mehr erreichen können. Die lebenspraktischen Fertigkeiten hätten im Rahmen der Hilfe zur Pflege vermittelt werden können.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens der Dipl. Pflegemanagerin (FH) M. Die Klägerin hat die begehrten Fachleistungsstunden bis zu ihrem Tode vom Leistungserbringer erhalten. Die Kosten sind noch nicht beglichen. Für die weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Akte des Verwaltungsverfahrens.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin ist im Sinne von § 54 Absatz 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beschwert. Der Bescheid vom 13.09.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.04.2013 ist rechtswidrig und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt.
Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, erhalten gemäß § 53 Abs.1 SGB XII Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung können Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten. Von einer Behinderung bedroht sind gemäß § 53 Abs.2 SGB XII Personen, bei denen der Eintritt der Behinderung nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dies gilt für Personen, für die vorbeugende Gesundheitshilfe und Hilfe bei Krankheit nach den §§ 47 und 48 erforderlich ist, nur, wenn auch bei Durchführung dieser Leistungen eine Behinderung einzutreten droht. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es gemäß § 53 Abs.3 SGB XII, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen. Für die Leistungen zur Teilhabe gelten gemäß § 53 Abs.4 SGB XII die Vorschriften des Neunten Buches, soweit sich aus diesem Buch und den auf Grund dieses Buches erlassenen Rechtsverordnungen nichts Abweichendes ergibt. Die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe richten sich nach diesem Buch.
Leistungen der Eingliederungshilfe sind gemäß § 54 Abs.1 SGB XII neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 des Neunten Buches insbesondere 1. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt, 2. Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule, 3. Hilfe zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit, 4. Hilfe in vergleichbaren sonstigen Beschäftigungsstätten nach § 56, 5. nachgehende Hilfe zur Sicherung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen und zur Sicherung der Teilhabe der behinderten Menschen am Arbeitsleben. Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben entsprechen jeweils den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit.
Als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft werden gemäß § 55 SGB IX die Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege machen und nach den Kapiteln 4 bis 6 nicht erbracht werden. Leistungen nach Absatz 1 sind gemäß § 55 Absatz 2 SGB IX insbesondere 1. Versorgung mit anderen als den in § 31 genannten Hilfsmitteln oder den in § 33 genannten Hilfen, 2. heilpädagogische Leistungen für Kinder, die noch nicht eingeschult sind, 3. Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen, 4. Hilfen zur Förderung der Verständigung mit der Umwelt, 5. Hilfen bei der Beschaffung, dem Umbau, der Ausstattung und der Erhaltung einer Wohnung, die den besonderen Bedürfnissen der behinderten Menschen entspricht, 6. Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten, 7. Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben.
Hiervon ausgehend zählt die Klägerin aufgrund ihrer sehr schweren, alkoholbezogenen Suchterkrankung zum Kreis der Leistungsberechtigten im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Danach erhalten Leistungen der Eingliederungshilfe Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Seelische Störungen, die eine wesentliche Einschränkung der Teilhabefähigkeit im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zur Folge haben können, sind gemäß § 3 der Verordnung nach § 60 SGB XII (Eingliederungshilfe-Verordnung) 1. körperlich nicht begründbare Psychosen, 2. seelische Störungen als Folge von Krankheiten oder Verletzungen des Gehirns, von Anfallsleiden oder von Krankheiten oder körperlichen Beeinträchtigungen, 3. Suchtkrankheiten, 4. Neurosen und Persönlichkeitsstörungen.
Die begehrten Fachleistungsstunden waren nach den Besonderheiten des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung in Form der schweren Alkoholerkrankung mit Polyneuropathie und geistigem Verfall aussichtsreich, die Aufgabe der Eingliederungshilfe zu erfüllen. Denn die Voraussetzungen des § 4 Abs.1 SGB IX sind hier erfüllt.
Die Leistungen zur Teilhabe umfassen gemäß § 4 Abs.1 SGB IX die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung 1. die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern, 2. Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug anderer Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern, 3. die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern oder 4. die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern. Die Leistungen zur Teilhabe werden gemäß § 4 Abs.2 SGB IX zur Erreichung der in Absatz 1 genannten Ziele nach Maßgabe dieses Buches und der für die zuständigen Leistungsträger geltenden besonderen Vorschriften neben anderen Sozialleistungen erbracht. Die Leistungsträger erbringen die Leistungen im Rahmen der für sie geltenden Rechtsvorschriften nach Lage des Einzelfalls so vollständig, umfassend und in gleicher Qualität, dass Leistungen eines anderen Trägers möglichst nicht erforderlich werden.
Geradezu selbstverständlich stellt § 4 SGB IX klar, dass die Behinderung unabhängig von der Ursache zu betrachten ist. Insoweit spielt es keine Rolle, warum die Klägerin alkoholkrank geworden ist. Und an die Fähigkeit, die Alkoholkrankheit zu überwinden, dürfen daher ebenfalls keine gesteigerten Erwartungen formuliert werden. Voraussetzung der Gewährung von Eingliederungshilfe ist es generell nicht, dass der Zustand zwingend gebessert werden kann. Gerade bei sehr schweren Erkrankungen ist dies vielfach selbstredend nicht möglich. Im Bereich der körperlichen, somatischen Erkrankungen wird dies regelmäßig nicht in Frage gestellt. Der Blinde wird nicht wieder sehen können, der Querschnittsgelähmte nicht wieder laufen können. Selbstverständlich ist aber Eingliederungshilfe zu gewähren. Nichts anderes gilt aber auch für den Bereich der geistigen und seelischen Erkrankungen. Auch der schwerst alkoholkranke Mensch wird in dem Stadium mit Polyneuropathie und alkoholbedingter Demenz nicht wieder trocken werden. Hier ist die Eingliederungshilfe jedoch dazu da, eine Verschlimmerung zu verhüten und die Folgen der Behinderung abzumildern. Bei der Klägerin bestand das Ziel der Eingliederungshilfe bis zu ihrem Versterben darin, ihr einen Verbleib im ambulanten betreuten Wohnen zu ermöglichen. Dies war umso dringlicher, nachdem sie im Interesse anderer Mitbewohner bereits eine Wohngruppe hatte verlassen müssen, sich gemeinschaftliche Unterbringungen also als nicht durchführbar erwiesen hatten. Auch und gerade in einer solch schwierigen Situation der Erkrankung, darf der Mensch nicht aufgegeben werden, indem die Eingliederungshilfe für in Zukunft zwecklos erklärt wird. Vielmehr sind die Ziele der Eingliederungshilfe im Lichte der Schwere der Erkrankung zu sehen und die Erwartungen nicht zu hoch zu formulieren.
Die Sachverständige M führt in ihrem Gutachten aus, dass die Erkrankung der Klägerin bei ihr sowohl zu kognitiven als auch körperlichen Funktionseinschränkungen führt. Die Klägerin zeige durch ihre Polyneuropathie und die Einschränkungen im Kleinhirn ein ataktisches Gangbild und sei sturzgefährdet. Ihre körperliche Verfassung führe zu Kraftlosigkeit und Störungen der Feinmotorik. Sie könne Handlungsabläufe häufig nicht selbständig in sinnvoller Reihenfolge abwickeln, müsse zur Körperpflege motiviert werden. Ihre Denkprozesse und die Gedächtnisleistung seien beeinträchtigt, es bestehe die Gefahr der Selbstschädigung. Bei der Klägerin bestehe eine in erhöhtem Maße eingeschränkte Alltagskompetenz. Im Weiteren führt die Sachverständige aus, die Klägerin benötige insbesondere durch ihre Beeinträchtigungen im kognitiven Bereich psychosoziale Begleitung und Versorgung in ihrem Wohnumfeld mindestens 12 Stunden wöchentlich. Sie benötige Unterstützung bei der Alltagsbewältigung, es müssten Hilfen koordiniert werden und sie müsse zur Teilnahme an Betreuungsangeboten motiviert werden. Ihre sozialen Beziehungen könne sie nicht selbständig gestalten, eine sinnvolle Freizeitgestaltung und die Vorgabe einer Tagesstruktur wirkten der vermehrten Alkoholaufnahme entgegen. Des Nachts seien Kontrollen erforderlich, damit die Klägerin sich selbst oder andere nicht gefährde. Die Klägerin benötige jede Woche mindestens drei Stunden Anleitung zur Selbständigkeit. In den vier Entwicklungsberichten der Eingliederungshilfe werde deutlich, dass sich durch die Eingliederungshilfestunden ihre Wohnsituation verbessert hat und die Klägerin zu einer sinnvollen Freizeitbeschäftigung motiviert werden konnte. Insbesondere die Weigerung pflegerische Hilfe anzunehmen, habe beseitigt werden können. Sie suche nun auch das Wohncafé auf, obwohl sie sich nur schwer verständigen kann und ihre körperlichen Beeinträchtigungen ihr peinlich sind. Die Klägerin habe mit dieser Unterstützung einen stabilen Kontakt zu ihren Mitbewohnern aufgebaut. Die negative Beziehung zum Lebensgefährten habe sie abgebrochen. Die festen Bezugspersonen sollten unbedingt erhalten bleiben. Zum Erhalt der stabilen Beziehungen und einer vertrauten Umgebung, sowie einer strukturierten Tagesgestaltung seien die Eingliederungshilfeleistungen auch weiterhin erforderlich. Die Sachverständige kommt zu dem Ergebnis, dass die Eingliederungshilfeleistungen die Folgen der Alkoholerkrankung abmildern und die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft fördern. Für die weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt des Gutachtens der Sachverständigen M. Die Sachverständige hat sich eindeutig mit den erhobenen medizinischen Befunden, mit der Aktenlage und dem Vorbringen der Beteiligten auseinandergesetzt. Die Ausführungen der Sachverständigen lassen Unrichtigkeiten, Widersprüche oder Fehlschlüsse nicht erkennen.
Demgegenüber ist die Argumentation des Beklagten schon in sich nicht stimmig. Er führt einerseits aus, die Eingliederungshilfe bringe nichts, weil keine Besserung erzielbar sei. Anderseits führt er aus, die Vermittlung der Motivation könne nebenbei im Rahmen der Vermittlung der lebenspraktischen Fertigkeiten als Annexleistung der Pflege erbracht werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die ursprüngliche Klägerin begehrte die Weitergewährung von wohnbezogener Eingliederungshilfe im Rahmen des ambulanten betreuten Wohnens. Sie ist am 19.12.2015 verstorben.
Die am 00.00.1953 geborene Klägerin litt unter einer stark ausgeprägten Alkoholerkrankung mit körperlichem und geistigem Verfall. Sie hatte bis zu ihrem Tod einen rechtlichen Betreuer für die Gesundheitsfürsorge einschließlich der damit zusammenhängenden Aufenthaltsbestimmung, Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten und Vertretung gegenüber Behörden- und Leistungsträgern. Sie war schwerbehindert mit einem GdB von 100 und den Merkzeichen G und B. Sie benötigte wegen der schweren Polyneuropathie einen Rollator. Sie lebte im ambulanten betreuten Wohnen. Sie lebte allein in einer Wohnung. Zuvor hatte sie in einer Wohngruppe gelebt. Diese Wohnform wurde seinerzeit im Interesse der Mitbewohner beendet. In dem Gebäude, wo sich ihre Wohnung befand, gibt es ein sogenanntes Wohncafe, in dem sie soziale Kontakte pflegen konnte. Hierzu konnte sie auch motiviert werden, wenngleich sie andere Menschen im Erstkontakt wegen ihrer verwaschenen Sprache kaum noch verstehen konnten und sich die Klägerin für ihre gesundheitliche Situation schämte. Die Klägerin litt auch unter Inkontinenz. Wenn ihr das wöchentliche Taschengeld ausbezahlt wurde, kaufte sie regelmäßig Alkohol an einer nahegelegenen Tankstelle und konsumierte diesen dann in ihrer Wohnung. Die Klägerin gehörte durch ihren geistigen Verfall infolge der Alkoholerkrankung zum Personenkreis des § 45a SGB XI, der zur Selbst- und Fremdgefährdung neigt. Die Klägerin erhielt seit dem 30.09.2012 im Rahmen des ambulanten betreuten Wohnens auch Eingliederungshilfe in Form von drei Fachleistungsstunden wöchentlich, in denen sie zur Eigenständigkeit motiviert und angeleitet werden sollte. Darüber hinaus erhielt sie Hilfe zur Pflege und für andere Verrichtungen.
Am 02.08.2011 beantragte sie die Weitergewährung der bisherigen Eingliederungshilfe, die zuvor zuletzt bis zum 30.09.2012 verlängert worden war. Der Beklagte forderte den aktuellen Integrierten Behandlungs- und Rehabilitationsplan (IBRP) an. Mit Bescheid vom 13.09.2012 lehnte der Beklagte die Weiterbewilligung der Eingliederungshilfe ab. Eine wohnbezogene Eingliederungshilfe könne nicht mehr bewilligt werden, da die Klägerin phasenweise weiterhin verstärkt Alkohol trinke. Seit Bewilligung der Eingliederungshilfe im April 2009 habe keine Entwicklung stattgefunden. Der Betreuungsbedarf sei unverändert. Die Eingliederungshilfe sei zwecklos. Für die Einzelheiten wird auf den Inhalt des Bescheids Bezug genommen. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Ziel der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff SGB XII sei nicht zwangsläufig eine Verbesserung des Krankheitsbildes, hier des Alkoholkonsums, sondern die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Aufgrund der Eingliederungshilfe sei es bislang gelungen ihr diese Teilhabe zu gewährleisten. Ohne die Eingliederungshilfe könne diese nicht aufrecht erhalten werden, Vereinsamung und Verwahrlosung seien dann die Folge. Sie benötige Rückmeldung und Anleitung um im sozialen Kontext nicht aufzufallen. Sie benötige auch Motivation und genaue Anleitungen, um ihren Haushalt bewerkstelligen zu können. Aufgrund der Alkoholerkrankung und der daraus resultierenden Einschränkungen müsse sie zu Arztbesuchen motiviert werden. So habe sie zuletzt erstmals nach 16 Jahren einen Zahnarzt besucht. Ohne die Eingliederungshilfe könne sie auch die Konflikte, die durch ihren oft angetrunkenen Zustand mit Dritten entstehen, nicht lösen. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Widerspruchsbegründung im Schriftsatz vom 23.10.2012 Bezug genommen. Mit Widerspruchsbescheid vom 08.04.2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Es sei nicht ersichtlich, dass im Rahmen der Eingliederungshilfe eine Entwicklung stattgefunden habe. Eine Eingliederungsmaßnahme aufgrund des über die letzten Jahre gleichbleibenden Betreuungsbedarfs komme daher nicht in Betracht. Die lebenspraktischen Fertigkeiten könnten im Rahmen der Hilfe zur Pflege durch die Stadt C erbracht werden. Der Bedarf an selbstbestimmten Wohnen sei damit ausreichend gedeckt.
Mit der dagegen erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Anliegen weiter. Aufgabe der Eingliederungshilfe sei es, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen und zu erleichtern. In genau dieser Situation befinde sich die Klägerin. Die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft könne ohne die Eingliederungshilfe nicht aufrecht erhalten werden. Die Hilfe zur Pflege sei insoweit nicht ausreichend. Sie benötige dringend weitere Unterstützung, um ihren Haushalt möglichst selbständig bzw. mit entsprechender Anleitung führen zu können. Ihr Alkoholkonsum könne durch die Betreuung zumindest unter Kontrolle gehalten werden. Es gehe außerdem um eine Orientierungshilfe, Hilfe bei der Gestaltung sozialer Beziehungen, Aufrechterhaltung der Tagesstruktur und die Wahrnehmung einer sinnvollen Freizeitbeschäftigung.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 13.09.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.04.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab dem 01.10.2012 bis zum 19.12.2015 ambulante Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten im Umfang von drei Fachleistungsstunden wöchentlich im Rahmen des ambulanten betreuten Wohnens nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte wiederholt seine bisherigen Ausführungen. Die Eingliederungshilfe habe hier ihren Zweck nicht mehr erreichen können. Die lebenspraktischen Fertigkeiten hätten im Rahmen der Hilfe zur Pflege vermittelt werden können.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens der Dipl. Pflegemanagerin (FH) M. Die Klägerin hat die begehrten Fachleistungsstunden bis zu ihrem Tode vom Leistungserbringer erhalten. Die Kosten sind noch nicht beglichen. Für die weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Akte des Verwaltungsverfahrens.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin ist im Sinne von § 54 Absatz 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beschwert. Der Bescheid vom 13.09.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.04.2013 ist rechtswidrig und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt.
Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, erhalten gemäß § 53 Abs.1 SGB XII Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung können Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten. Von einer Behinderung bedroht sind gemäß § 53 Abs.2 SGB XII Personen, bei denen der Eintritt der Behinderung nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dies gilt für Personen, für die vorbeugende Gesundheitshilfe und Hilfe bei Krankheit nach den §§ 47 und 48 erforderlich ist, nur, wenn auch bei Durchführung dieser Leistungen eine Behinderung einzutreten droht. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es gemäß § 53 Abs.3 SGB XII, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen. Für die Leistungen zur Teilhabe gelten gemäß § 53 Abs.4 SGB XII die Vorschriften des Neunten Buches, soweit sich aus diesem Buch und den auf Grund dieses Buches erlassenen Rechtsverordnungen nichts Abweichendes ergibt. Die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe richten sich nach diesem Buch.
Leistungen der Eingliederungshilfe sind gemäß § 54 Abs.1 SGB XII neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 des Neunten Buches insbesondere 1. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt, 2. Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule, 3. Hilfe zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit, 4. Hilfe in vergleichbaren sonstigen Beschäftigungsstätten nach § 56, 5. nachgehende Hilfe zur Sicherung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen und zur Sicherung der Teilhabe der behinderten Menschen am Arbeitsleben. Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben entsprechen jeweils den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit.
Als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft werden gemäß § 55 SGB IX die Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege machen und nach den Kapiteln 4 bis 6 nicht erbracht werden. Leistungen nach Absatz 1 sind gemäß § 55 Absatz 2 SGB IX insbesondere 1. Versorgung mit anderen als den in § 31 genannten Hilfsmitteln oder den in § 33 genannten Hilfen, 2. heilpädagogische Leistungen für Kinder, die noch nicht eingeschult sind, 3. Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen, 4. Hilfen zur Förderung der Verständigung mit der Umwelt, 5. Hilfen bei der Beschaffung, dem Umbau, der Ausstattung und der Erhaltung einer Wohnung, die den besonderen Bedürfnissen der behinderten Menschen entspricht, 6. Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten, 7. Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben.
Hiervon ausgehend zählt die Klägerin aufgrund ihrer sehr schweren, alkoholbezogenen Suchterkrankung zum Kreis der Leistungsberechtigten im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Danach erhalten Leistungen der Eingliederungshilfe Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Seelische Störungen, die eine wesentliche Einschränkung der Teilhabefähigkeit im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zur Folge haben können, sind gemäß § 3 der Verordnung nach § 60 SGB XII (Eingliederungshilfe-Verordnung) 1. körperlich nicht begründbare Psychosen, 2. seelische Störungen als Folge von Krankheiten oder Verletzungen des Gehirns, von Anfallsleiden oder von Krankheiten oder körperlichen Beeinträchtigungen, 3. Suchtkrankheiten, 4. Neurosen und Persönlichkeitsstörungen.
Die begehrten Fachleistungsstunden waren nach den Besonderheiten des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung in Form der schweren Alkoholerkrankung mit Polyneuropathie und geistigem Verfall aussichtsreich, die Aufgabe der Eingliederungshilfe zu erfüllen. Denn die Voraussetzungen des § 4 Abs.1 SGB IX sind hier erfüllt.
Die Leistungen zur Teilhabe umfassen gemäß § 4 Abs.1 SGB IX die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung 1. die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern, 2. Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug anderer Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern, 3. die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern oder 4. die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern. Die Leistungen zur Teilhabe werden gemäß § 4 Abs.2 SGB IX zur Erreichung der in Absatz 1 genannten Ziele nach Maßgabe dieses Buches und der für die zuständigen Leistungsträger geltenden besonderen Vorschriften neben anderen Sozialleistungen erbracht. Die Leistungsträger erbringen die Leistungen im Rahmen der für sie geltenden Rechtsvorschriften nach Lage des Einzelfalls so vollständig, umfassend und in gleicher Qualität, dass Leistungen eines anderen Trägers möglichst nicht erforderlich werden.
Geradezu selbstverständlich stellt § 4 SGB IX klar, dass die Behinderung unabhängig von der Ursache zu betrachten ist. Insoweit spielt es keine Rolle, warum die Klägerin alkoholkrank geworden ist. Und an die Fähigkeit, die Alkoholkrankheit zu überwinden, dürfen daher ebenfalls keine gesteigerten Erwartungen formuliert werden. Voraussetzung der Gewährung von Eingliederungshilfe ist es generell nicht, dass der Zustand zwingend gebessert werden kann. Gerade bei sehr schweren Erkrankungen ist dies vielfach selbstredend nicht möglich. Im Bereich der körperlichen, somatischen Erkrankungen wird dies regelmäßig nicht in Frage gestellt. Der Blinde wird nicht wieder sehen können, der Querschnittsgelähmte nicht wieder laufen können. Selbstverständlich ist aber Eingliederungshilfe zu gewähren. Nichts anderes gilt aber auch für den Bereich der geistigen und seelischen Erkrankungen. Auch der schwerst alkoholkranke Mensch wird in dem Stadium mit Polyneuropathie und alkoholbedingter Demenz nicht wieder trocken werden. Hier ist die Eingliederungshilfe jedoch dazu da, eine Verschlimmerung zu verhüten und die Folgen der Behinderung abzumildern. Bei der Klägerin bestand das Ziel der Eingliederungshilfe bis zu ihrem Versterben darin, ihr einen Verbleib im ambulanten betreuten Wohnen zu ermöglichen. Dies war umso dringlicher, nachdem sie im Interesse anderer Mitbewohner bereits eine Wohngruppe hatte verlassen müssen, sich gemeinschaftliche Unterbringungen also als nicht durchführbar erwiesen hatten. Auch und gerade in einer solch schwierigen Situation der Erkrankung, darf der Mensch nicht aufgegeben werden, indem die Eingliederungshilfe für in Zukunft zwecklos erklärt wird. Vielmehr sind die Ziele der Eingliederungshilfe im Lichte der Schwere der Erkrankung zu sehen und die Erwartungen nicht zu hoch zu formulieren.
Die Sachverständige M führt in ihrem Gutachten aus, dass die Erkrankung der Klägerin bei ihr sowohl zu kognitiven als auch körperlichen Funktionseinschränkungen führt. Die Klägerin zeige durch ihre Polyneuropathie und die Einschränkungen im Kleinhirn ein ataktisches Gangbild und sei sturzgefährdet. Ihre körperliche Verfassung führe zu Kraftlosigkeit und Störungen der Feinmotorik. Sie könne Handlungsabläufe häufig nicht selbständig in sinnvoller Reihenfolge abwickeln, müsse zur Körperpflege motiviert werden. Ihre Denkprozesse und die Gedächtnisleistung seien beeinträchtigt, es bestehe die Gefahr der Selbstschädigung. Bei der Klägerin bestehe eine in erhöhtem Maße eingeschränkte Alltagskompetenz. Im Weiteren führt die Sachverständige aus, die Klägerin benötige insbesondere durch ihre Beeinträchtigungen im kognitiven Bereich psychosoziale Begleitung und Versorgung in ihrem Wohnumfeld mindestens 12 Stunden wöchentlich. Sie benötige Unterstützung bei der Alltagsbewältigung, es müssten Hilfen koordiniert werden und sie müsse zur Teilnahme an Betreuungsangeboten motiviert werden. Ihre sozialen Beziehungen könne sie nicht selbständig gestalten, eine sinnvolle Freizeitgestaltung und die Vorgabe einer Tagesstruktur wirkten der vermehrten Alkoholaufnahme entgegen. Des Nachts seien Kontrollen erforderlich, damit die Klägerin sich selbst oder andere nicht gefährde. Die Klägerin benötige jede Woche mindestens drei Stunden Anleitung zur Selbständigkeit. In den vier Entwicklungsberichten der Eingliederungshilfe werde deutlich, dass sich durch die Eingliederungshilfestunden ihre Wohnsituation verbessert hat und die Klägerin zu einer sinnvollen Freizeitbeschäftigung motiviert werden konnte. Insbesondere die Weigerung pflegerische Hilfe anzunehmen, habe beseitigt werden können. Sie suche nun auch das Wohncafé auf, obwohl sie sich nur schwer verständigen kann und ihre körperlichen Beeinträchtigungen ihr peinlich sind. Die Klägerin habe mit dieser Unterstützung einen stabilen Kontakt zu ihren Mitbewohnern aufgebaut. Die negative Beziehung zum Lebensgefährten habe sie abgebrochen. Die festen Bezugspersonen sollten unbedingt erhalten bleiben. Zum Erhalt der stabilen Beziehungen und einer vertrauten Umgebung, sowie einer strukturierten Tagesgestaltung seien die Eingliederungshilfeleistungen auch weiterhin erforderlich. Die Sachverständige kommt zu dem Ergebnis, dass die Eingliederungshilfeleistungen die Folgen der Alkoholerkrankung abmildern und die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft fördern. Für die weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt des Gutachtens der Sachverständigen M. Die Sachverständige hat sich eindeutig mit den erhobenen medizinischen Befunden, mit der Aktenlage und dem Vorbringen der Beteiligten auseinandergesetzt. Die Ausführungen der Sachverständigen lassen Unrichtigkeiten, Widersprüche oder Fehlschlüsse nicht erkennen.
Demgegenüber ist die Argumentation des Beklagten schon in sich nicht stimmig. Er führt einerseits aus, die Eingliederungshilfe bringe nichts, weil keine Besserung erzielbar sei. Anderseits führt er aus, die Vermittlung der Motivation könne nebenbei im Rahmen der Vermittlung der lebenspraktischen Fertigkeiten als Annexleistung der Pflege erbracht werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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