Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 5 KR 173/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 255/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Antragsgegnerin die über den Festbetrag hinausgehenden Mehrkosten für das Arzneimittel Alvesco® der Antragsstellerin zu erstatten hat.
Die am 00.00.1954 geborene Antragstellerin leidet unter einem Asthma Bronchiale. Bei ihr besteht ausweislich des Berichtes des Klinikums C vom 02.04.2009, wo sie sich in der Zeit vom 28.03. bis 02.04.2009 in stationärer Behandlung befunden hat, eine Allergie gegen den Wirkstoff Beclometason. Sie ist jedoch auf ein glucocorticoidhaltiges Medikament zur Behandlung der Lungenfunktionsstörung angewiesen. Wegen der Unverträglichkeit von Beclometason erhält die Klägerin von der sie behandelnden Ärztin Dr. L Verordnungen für.Alvesco®. Unter der Einnahme dieses Medikaments werden die Beschwerden auf gut verträgliche Weise gelindert.
Bei Alvesco® handelt es sich um ein Medikament mit dem Wirkstoff Ciclesonid, der zur Festbetragsgruppe der Stufe 2 der Gruppe der Glucocortikoide (inhalativ, oral) gehört. Andere Wirkstoffe dieser Gruppe sind Beclometason, Budenosid, Fluticason und Mometason. Laut Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 21.06.2007 wird die Gruppe beschrieben als Glucocorticoide zur Anwendung bei Atemwegserkrankungen, orale Darlegungsform, ggf. mit apparativen Zusätzen auf Antrag des Herstellers (BAnz NR.160 (S. 7355) v. 28.08.2007). Alvesco® ist zum Festbetrag nicht erhältlich. Die Mehrkosten betragen jährlich 346,75 Euro.
Bei der Klägerin wurde ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 durch den Kreis H festgestellt. Berücksichtigt wurde dabei u.a. ein Bronchialasthma, das mit einem Einzel-GdB von 40 bewertet worden ist.
Am 23.04.2009 beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin die Übernahme der Mehrkosten für das Medikament Alvesco®. Sie machte geltend, sie habe bei der Einnahme von Beclometason nach 3 Tagen kleine Pusteln am ganzen Körper und einen starken Juckreiz. Dieser sei verbunden mit leichtem Fieber. Sie sei täglich dreimal auf einen Hub (160 mg) Alvesco® angewiesen. Behandlungsalternativen gebe es für sie nicht. Die Festbetragsregelung des § 35 Sozialgesetzbuch, 5. Buch (SGB V) könne für sie nicht gelten, da sie auf das Medikament Alvesco® angewiesen sei und die Krankenkasse daher verpflichtet sei, auch die Mehrkosten zu übernehmen.
Mit Bescheid vom 24.04.2009 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Übernahme der Kosten mit der Begründung ab, für die Wirkstoffgruppe sei nach den Arzneimittelrichtlinien ein Festbetrag festgelegt worden. Die Krankenkasse dürfe daher nur die Kosten bis zur Höhe dieses Betrages übernehmen.
Die Antragstellerin legte Widerspruch ein und berief sich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Krankenkassen verpflichtet seien, eine ausreichende und notwendige medizinische Behandlung zu gewährleisten.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20.05.2009 zurückgewiesen. Da das Arzneimittel Alvesco® unter die Festbetragsregelung falle, könne der Differenzbetrag nicht von der Krankenkasse übernommen werden. Vielmehr seien diese Mehrkosten von dem Versicherten zu tragen. Eine Kulanzregelung sei deshalb nicht möglich, da ein Ermessensspielraum der Krankenkasse nicht zustehe.
Am 31.05.2009 hat die Antragstellerin die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt. Mit Beschluss vom 02.07.2009 wurde der Antrag abgelehnt. Die hiergegen erhobene Beschwerde wurde mit Beschluss des Landessozialgerichts vom 30.11.2009 zurückgewiesen (Az. S 5 KR 144 / 09 ER, L 11 B 11 / 09 KR ER). Zur Begründung wurde ausgeführt, eine besondere Eilbedürftigkeit bestehe nicht. Vor dem Hintergrund der Kosten des Medikaments sei nicht glaubhaft gemacht, dass die Klägerin nicht in der Lage sei, die Kosten zumindest vorläufig zu tragen.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 20.05.2009 richtet sich die am 01.06.2009 erhobene Klage. Die Klägerin begehrt weiterhin die Erstattung der Mehrkosten und darüber hinaus die Feststellung, dass die Entscheidung der Krankenkasse gegen das Sachleistungsprinzip und gegen die Grundrechte der Antragstellerin verstößt und dass die Beklagte auch künftig verpflichtet ist, die Mehrkosten für das Medikament zu übernehmen. Das Bundesverfassungsgericht habe gefordert, dass für alle Versicherten eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung gewährleistet sein muss. Diese Rechtsprechung müsse auch in ihrem Falle zur Anwendung kommen. Sie reagiere auf alle Festbetragsmedikamente allergisch und könne diese nicht einnehmen. Die Grundversorgung sei daher nicht gesichert. In ihrem Fall sei daher eine Ausnahmeregelung notwendig. Es liege nämlich ein Systemversagen vor, das zu einer entsprechenden Verpflichtung der Krankenkasse führe. Außerdem seien möglicherweise bei der Festlegung der Festbeträge Fehler unterlaufen. Insoweit müsse der Gemeinsame Bundesausschuss zu dem Sachverhalt Stellung nehmen und dort vorhandene Unterlagen übersenden. Auch wenn sie Medikamente mit dem Wirkstoff Budenosid noch nicht eingenommen habe, sei sehr unwahrscheinlich, dass sich hiermit eine gute Verträglichkeit ergebe. Sie habe in der Vergangenheit bereits sehr niedrige Kortisondosen nicht gut vertragen und müsse schon in Notfallsituationen diese Nebenwirkungen hinnehmen. Mit anderen Präparaten entwickle sich eine Akne, außerdem träten Kreislaufbeschwerden auf. Daher befürworteten auch die behandelnden Ärzte den Einsatz von Medikamenten mit dem Wirkstoff Budesonid nicht. 2007 habe sie auch Medikamente mit dem Wirkstoff Fluticason getestet. Die Verträglichkeit sei ebenfalls nicht gut gewesen.
Die Klägerin hat Belege über die Mehrkosten bei der Anschaffung des Medikamentes Alvesco® für die Kalenderjahre 2009 und 2010 vorgelegt. Ebenso sind ihr entsprechende Kosten in den Folgejahren entstanden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.05.2009 zu verurteilen, die Mehrkosten für das Arzneimittel Alvesco für die Zeit ab Januar 2009 zu erstatten und künftig die Kosten für das Arzneimittel Alvesco nach vertragsärztlicher Verordnung auch insoweit zu übernehmen, als sie den Festbetrag der Festbetragsgruppe "Glucocortikoid, inhalativ, oral" der Stufe 2, Gruppe 1 und die gesetzliche Zuzahlung übersteigen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, der angefochtene Bescheid entspreche der Sach- und Rechtslage und sei daher nicht zu beanstanden. Zur Begründung verweist sie auf ihre Ausführungen im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sowie das Gutachten des MDK vom 12.06.2009. Die Einnahme von Alvesco® sei nicht alternativlos, so dass die Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 06.12.2005 aufgestellt habe nicht verletzt seien. Zur weiteren Begründung beruft sie sich auf ein nach den gerichtlichen Ermittlungen eingeholtes Gutachten des MDK vom 22.08.2011.
Nach Durchführung eines Erörterungstermins hat das Gericht zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts Befund- und Behandlungsberichte von Dr. L und Dr. I beigezogen. Auf Inhalt und Ergebnisse der am 09.06.2011 und 06.07.2011 eingegangenen Berichte wird verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten im Sach- und Streitstand nimmt die Kammer Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakten und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten. Dieser war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid vom 24.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.05.2009 nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs 2 S 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), denn der Bescheid ist rechtmäßig.
Die Klägerin kann von der Beklagten nicht die Erstattung der Mehrkosten für das Medikament Alvesco® für die Zeit ab Januar 2009 verlangen. Ebenso wenig besteht auch unter Berücksichtigung der derzeitigen Tatsachenlage kein Anspruch auf Übernahme der Mehrkosten für das Arzneimittel, soweit dieses ärztlich verordnet wird.
Das vom Sachleistungsprinzip geprägte System der gesetzlichen Krankenversicherung erlaubt eine Kostenerstattung anstelle der Sach- oder Dienstleistung nur, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch den Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Soweit die Leistung notwendig war, hat die Krankenkasse die Kosten in der entstandenen Höhe zu erstatten. Dabei reicht der Kostenerstattungsanspruch nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung: vgl. BSGE 79, 125, 125).
Eine Erstattung der Mehrkosten für das Medikament Alvesco® ist nach der hier allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 13 Abs 3 S 1, 2.Alternative SGB V nicht möglich. Die Beklagte hat nämlich den Antrag auf festbetragsfreie Versorgung mit Alvesco® nicht zu Unrecht abgelehnt. Ein entsprechender Sachleistungsanspruch stand der Klägerin nicht zu und kann auch nach der gegenwärtig nachgewiesenen gesundheitlichen Situation aktuell gegenüber der Beklagten nicht beansprucht werden.
Nach § 27 Abs 1 S 1 Sozialgesetzbuch, 5. Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst dabei auch die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB V). Dabei haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit diese Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB V ausgeschlossen sind (§ 31 Abs 1 S 1 SGB V). Sofern für ein Arzneimittel wirksam ein Festbetrag festgesetzt ist, trägt die Krankenkasse grundsätzlich die Kosten bis zur Höhe dieses Betrages (§ 31 Abs 2, S 5 SGB V). In diesem Fall ist der Leistungsanspruch des Versicherten regelmäßig mit der Übernahme des Festbetrages erfüllt (§ 12 Abs 2 SGB V). Dementsprechend bestimmt § 35 SGB V, unter welchen Voraussetzungen in Richtlinien nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB V für bestimmte Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge festgesetzt werden können. Dabei sollen in den Gruppen Arzneimittel mit denselben Wirkstoffen, pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen und therapeutisch vergleichbarer Wirkung zusammengefasst werden. Den unterschiedlichen Bioverfügbarkeiten soll Rechnung getragen werden, wenn sie für die Therapie bedeutsam sind. Darüber hinaus müssen die gebildeten Gruppen gewährleisten, dass Therapiemöglichkeiten nicht eingeschränkt werden und medizinisch notwendige Verordnungsalternativen zur Verfügung stehen. Ausgenommen sind lediglich Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen, deren Wirkungsweise neuartig ist oder die eine therapeutische Verbesserung bedeuten. Die Festsetzung des Festbetrages erfolgt auf der Grundlage von rechnerischen mittleren Tages- oder Einzeldosen oder anderen geeigneten Vergleichsgrößen. Die Festsetzung erfolgt durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen. § 35 Abs 5 SGB V bestimmt darüber hinaus, dass die Festbeträge so festzusetzen sind, dass sie im Allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten. Sie haben Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen, sollen einen wirksamen Preiswettbewerb auslösen und haben sich deshalb an möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten auszurichten. Unter Berücksichtigung dieser Bestimmungen trägt die Festbetragsregelung dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs 1 SGB V Rechnung. Danach haben Versicherte Anspruch auf eine in der Qualität gesicherte Vollversorgung durch Sachleistungen und müssen sich nicht mit einer Teilkostenerstattung zufrieden geben.
Mit Beschluss vom 21.06.2007 (Bundesanzeiger Nr. 160 vom 28.08.2007) hat der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) die seinerzeit gültige Anlage II (seit 2009 ist dies die Anlage IX) der Richtlinie über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinie) dahingehend geändert, dass die Festbetragsgruppe der Glucocortikoide sich auch auf den Wirkstoff Ciclesonid erstreckt.
Zunächst ist festzustellen, dass der Wirtstoff Ciclesonid wirksam in die Festbetragsgruppe einbezogen wurde. Der insoweit vom GBA erlassene Beschluss und die Änderung der Arzneimittel-Richtlinien sind weder in formeller noch in materieller Hinsicht zu beanstanden. Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht ist insoweit nicht ersichtlich.
Die Kammer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die gesetzlich vorgegebenen Kriterien der Festbetragsfestsetzung nicht an den individuellen Verhältnissen eines einzelnen Patienten ausgerichtet sind, sondern sich in generalisierender Weise an allen Versicherten orientiert (BSGE 107, 287 = Soz R 4-2500 § 35 Nr 4, Rdnr 26). Die Festbetragsregelung hat damit als Allgemeinverfügung Gültigkeit bis zu ihrer Aufhebung oder Änderung, was aber nicht zwangsläufig dazu führt, dass ihre Rechtmäßigkeit im Rechtsstreit um die Versorgung mit einer Leistung der gesetzlichen Krankenkasse ungeprüft zu bleiben hat. Dementsprechend muss eine Festbetragsregelung mit dem Einwand zur Überprüfung gestellt werden können, die Festsetzung sei von Anfang an oder durch Zeitablauf partiell oder vollständig rechtswidrig und reiche demgemäß zum Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht aus (BSG, Urteil vom 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R).
Nach der jüngeren Rechtsprechung des BSG ist dieser Gesichtspunkt für den Bereich der Arzneimittel wie folgt konkretisiert worden: Sofern es um einen atypischen Ausnahmefall geht, in dem trotz Gewährleistung einer ausreichenden Arzneimittelversorgung durch die Festbetragsfestsetzung im Allgemeinen aufgrund der ungewöhnlichen Individualverhältnisse keine ausreichende Versorgung zum Festbetrag möglich ist, greift die Leistungsbeschränkung auf den Festbetrag nicht ein. Dies kann dann der Fall sein, wenn die zum Festbetrag erhältlichen Arzneimittel unerwünschte Nebenwirkungen verursachen, die über bloße Unannehmlichkeiten oder Befindlichkeitsstörungen hinausgehen und damit die Qualität einer behandlungsbedürftigen Krankheit im Sinne des § 27 Abs 1 S 1 SGB V erreichen. Dabei richtet sich die Beurteilung der Verursachung nach der im Sozialrecht maßgeblichen Theorie der Wesentlichen Bedingung. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen muss im Gerichtsverfahren grundsätzlich zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen. Lediglich für die zu prüfenden Kausalzusammenhänge genügt die überwiegende Wahrscheinlichkeit. Die Versicherten tragen nach den allgemeinen Grundsätzen die objektive Beweislast (BSG, Urteil vom 03.07.2012, B 1 KR 22/11, www.juris.de).
Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist im Falle der Klägerin nicht nachgewiesen, dass durch die Einnahme der übrigen in der Festbetragsgruppe enthaltenen Wirkstoffe Nebenwirkungen von solchem Ausmaß erreicht werden, dass eine neue Krankheit mit Behandlungsbedürftigkeit auftritt.
Nach den Berichten der behandelnden Ärzte Dr. L und Dr. I hat die Klägerin seit 2007 lediglich Ciclesonid erhalten. Der Grund hierfür lag nach den übereinstimmenden Angaben der Ärzte darin, dass die Klägerin ihnen gegenüber angegeben hatte, andere Kortisonpräparate, die als Dosieraerosol zur Verfügung stehen, nicht vertrage. Konkrete Feststellungen dazu, mit welchen Erkrankungen oder Nebenwirkungen die Einnahme der anderen in der Festbetragsgruppe enthaltenen Wirkstoffe im Falle der Klägerin verbunden sind, konnten infolgedessen von den Ärzten nicht getroffen werden.
Nach Auffassung der Kammer lässt sich zwar für den Wirkstoff Beclometason noch das Vorliegen einer Erkrankung im Sinne des § 27 Abs 1 S 1 SGB V auf der Grundlage der Stellungnahmen der Ärzte und der glaubhaften und nachvollziehbaren Angaben der Klägerin annehmen. Insoweit wird nämlich über allergische Reaktionen berichtet. Ob und ggf. mit Hilfe welcher therapeutischen Maßnahmen eine Gegensteuerung erreicht werden kann, ergibt sich hingegen aus den Befunden nicht. Nach den Angaben der Klägerin wurde offenbar das Kombinationsspray Viani mit dem Wirkstoff Fluticason getestet, wobei Kreislauf- und Atemprobleme aufgetreten sind. Der Versuch des Einsatzes des Wirkstoffs Beclometason ist nach den Angaben der Klägerin ebenfalls gescheitert, da sie nach ihren eigenen Bekundungen Nesselfieber und intensiven Juckreiz am ganzen Körper hinnehmen musste. Vor diesem Hintergrund kann die Kammer zwar davon ausgehen, dass mit der Einnahme von Beclometason Nebenwirkungen verursacht werden, die offenbar Krankheitswert erreichen. Die Kammer weist allerdings in diesem Zusammenhang darauf hin, dass gesicherte Erkenntnisse hierzu letztlich nicht vorliegen. Weder Dr. L noch Dr. I konnten über konkrete Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit Beclometason berichten und Dr. I führt sogar in seinem Bericht an das Sozialgericht aus, dass der Wirkstoff normalerweise zur Anwendung kommen könnte, eine Testung jedoch aufgrund der subjektiven Angaben der Klägerin nicht erfolgt sei.
Ebenso verhält es sich mit dem Wirkstoff Fluticason, den die Klägerin nach einem Versuch offenbar im Jahr 2007 ebenfalls abgesetzt hat. Welche ärztlich gesicherten Nebenwirkungen, die evtl. Krankheitswert verursachen könnten, hiermit verbunden sind, geht aus den Berichten der behandelnden Ärzte ebenfalls nicht hervor. Medikamente mit dem Wirkstoff Mometason oder Budenosid hat die Klägerin offenbar zu keinem Zeitpunkt getestet. Der Kammer liegen keine Informationen darüber vor, welche Beeinträchtigungen hiermit verbunden sein könnten. Auch wenn die Klägerin in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass sie mit Ciclesonid einen Wirkstoff verwenden könne, der gut verträglich ist und in relativ geringer Häufigkeit eingenommen werden muss, so führt dies nicht zwangsläufig zu einem Anspruch auf festbetragsfreie Versorgung. Das BSG hat nämlich in der bereits zitierten Entscheidung vom 03.07.2012 (aaO) ausgeführt, dass die tatsächlichen Umstände bezogen auf das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Erkrankung objektiv im Sinne des Vollbeweises nach den Regeln der ärztlichen Kunst gesichert sein müssen. Allein das subjektive Empfinden eines Versicherten kann die Regelwidrigkeit und die daraus abgeleitete Behandlungsbedürftigkeit seines Zustandes nicht begründen.
Die insoweit erforderliche Alternativlosigkeit von Alvesco® ist damit nach Auffassung der Kammer zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht nachgewiesen. Die Beweislast für das Vorliegen dieser Umstände trägt die Klägerin. Sofern über das in Verbindung mit einem Wirkstoff einer Festbetragsgruppe auftretende Nebenwirkungsspektrum keine gesicherten medizinischen Erkenntnisse vorliegen, ist der Versicherte nach Auffassung der Kammer auf die Wirkstoffe der Festbetragsgruppe, die er bis auf die gesetzliche Zuzahlung eigenanteilsfrei erhalten kann, zu verweisen. Dies gilt auch dann, wenn - wie dies bei der Klägerin der Fall ist - für die bisherige Einstellung mit dem Medikament, für das Mehrkosten anfallen, eine ärztliche Empfehlung ausgesprochen wird und die Einstellung auch gut funktioniert.
Soweit die Klägerin darauf hinweist, dass die Einnahme von Alvesco® täglich 2-3 Hübe erfordere, was bereits als sehr hohe Dosis anzusehen ist, kann auch dieser Umstand nicht zur Verpflichtung der Krankenkasse führen, die Klägerin eigenanteilsfrei mit dem Medikament zu versorgen. Es mag zwar sein, dass die Einnahme anderer Wirkstoffe im Falle der Klägerin sehr hoch dosiert zu erfolgen hat. Dies ist jedenfalls dann, wenn sich hierdurch die Nebenwirkungen im Rahmen halten oder jedenfalls keinen Krankheitswert aufweisen, zumutbar und betrifft letztlich allein die Modalität in der Anwendung ohne medizinische Relevanz. Für eine insoweit besser zu handhabende Verabreichung hat die gesetzliche Krankenversicherung nicht einzustehen.
Die Klägerin kann ferner auch nicht mit dem Argument gehört werden, dass der Wirkstoff Ciclesonid allein unter dem Handelsnamen Alvesco® vertrieben wird und Alternativpräparate mit diesem Wirkstoff nicht zur Verfügung stehen. Zwar ist grundsätzlich richtig, dass die Auswahlmöglichkeit des Behandlers bzw. des Versicherten nach § 35 Abs 3 SGB V auch bei der Bildung von Festbetragsgruppen gesichert sein muss. Da im Falle der Klägerin aber bereits nicht nachgewiesen ist, dass sie alle anderen Wirkstoffe der Festbetragsgruppe nicht verträgt, vermag auch dieser Einwand der Klägerin nicht zum Erfolg verhelfen.
Unter Berücksichtigung der tatsächlichen Anhaltspunkte war nach Auffassung der Kammer nicht, beispielsweise durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, zu prüfen, ob theoretisch die in der Festbetragsgruppe genannten Wirkstoffe im Falle der Klägerin Nebenwirkungen mit dem erforderlichen Krankheitswert verursachen. Für diesen Nachweis ist jedenfalls in einem ersten Schritt der Versicherte selbst verantwortlich. Nur subjektive Angaben - ohne medizinisch eindeutige Belege - vermögen eine weitere Verpflichtung des Gerichts zur Aufklärung des bestehenden Nebenwirkungspotentials sämtlicher Wirkstoffe nicht zu begründen.
Weitere medizinische Ermittlungen waren daher nicht angezeigt.
Die Klage war folglich abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Antragsgegnerin die über den Festbetrag hinausgehenden Mehrkosten für das Arzneimittel Alvesco® der Antragsstellerin zu erstatten hat.
Die am 00.00.1954 geborene Antragstellerin leidet unter einem Asthma Bronchiale. Bei ihr besteht ausweislich des Berichtes des Klinikums C vom 02.04.2009, wo sie sich in der Zeit vom 28.03. bis 02.04.2009 in stationärer Behandlung befunden hat, eine Allergie gegen den Wirkstoff Beclometason. Sie ist jedoch auf ein glucocorticoidhaltiges Medikament zur Behandlung der Lungenfunktionsstörung angewiesen. Wegen der Unverträglichkeit von Beclometason erhält die Klägerin von der sie behandelnden Ärztin Dr. L Verordnungen für.Alvesco®. Unter der Einnahme dieses Medikaments werden die Beschwerden auf gut verträgliche Weise gelindert.
Bei Alvesco® handelt es sich um ein Medikament mit dem Wirkstoff Ciclesonid, der zur Festbetragsgruppe der Stufe 2 der Gruppe der Glucocortikoide (inhalativ, oral) gehört. Andere Wirkstoffe dieser Gruppe sind Beclometason, Budenosid, Fluticason und Mometason. Laut Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 21.06.2007 wird die Gruppe beschrieben als Glucocorticoide zur Anwendung bei Atemwegserkrankungen, orale Darlegungsform, ggf. mit apparativen Zusätzen auf Antrag des Herstellers (BAnz NR.160 (S. 7355) v. 28.08.2007). Alvesco® ist zum Festbetrag nicht erhältlich. Die Mehrkosten betragen jährlich 346,75 Euro.
Bei der Klägerin wurde ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 durch den Kreis H festgestellt. Berücksichtigt wurde dabei u.a. ein Bronchialasthma, das mit einem Einzel-GdB von 40 bewertet worden ist.
Am 23.04.2009 beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin die Übernahme der Mehrkosten für das Medikament Alvesco®. Sie machte geltend, sie habe bei der Einnahme von Beclometason nach 3 Tagen kleine Pusteln am ganzen Körper und einen starken Juckreiz. Dieser sei verbunden mit leichtem Fieber. Sie sei täglich dreimal auf einen Hub (160 mg) Alvesco® angewiesen. Behandlungsalternativen gebe es für sie nicht. Die Festbetragsregelung des § 35 Sozialgesetzbuch, 5. Buch (SGB V) könne für sie nicht gelten, da sie auf das Medikament Alvesco® angewiesen sei und die Krankenkasse daher verpflichtet sei, auch die Mehrkosten zu übernehmen.
Mit Bescheid vom 24.04.2009 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Übernahme der Kosten mit der Begründung ab, für die Wirkstoffgruppe sei nach den Arzneimittelrichtlinien ein Festbetrag festgelegt worden. Die Krankenkasse dürfe daher nur die Kosten bis zur Höhe dieses Betrages übernehmen.
Die Antragstellerin legte Widerspruch ein und berief sich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Krankenkassen verpflichtet seien, eine ausreichende und notwendige medizinische Behandlung zu gewährleisten.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20.05.2009 zurückgewiesen. Da das Arzneimittel Alvesco® unter die Festbetragsregelung falle, könne der Differenzbetrag nicht von der Krankenkasse übernommen werden. Vielmehr seien diese Mehrkosten von dem Versicherten zu tragen. Eine Kulanzregelung sei deshalb nicht möglich, da ein Ermessensspielraum der Krankenkasse nicht zustehe.
Am 31.05.2009 hat die Antragstellerin die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt. Mit Beschluss vom 02.07.2009 wurde der Antrag abgelehnt. Die hiergegen erhobene Beschwerde wurde mit Beschluss des Landessozialgerichts vom 30.11.2009 zurückgewiesen (Az. S 5 KR 144 / 09 ER, L 11 B 11 / 09 KR ER). Zur Begründung wurde ausgeführt, eine besondere Eilbedürftigkeit bestehe nicht. Vor dem Hintergrund der Kosten des Medikaments sei nicht glaubhaft gemacht, dass die Klägerin nicht in der Lage sei, die Kosten zumindest vorläufig zu tragen.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 20.05.2009 richtet sich die am 01.06.2009 erhobene Klage. Die Klägerin begehrt weiterhin die Erstattung der Mehrkosten und darüber hinaus die Feststellung, dass die Entscheidung der Krankenkasse gegen das Sachleistungsprinzip und gegen die Grundrechte der Antragstellerin verstößt und dass die Beklagte auch künftig verpflichtet ist, die Mehrkosten für das Medikament zu übernehmen. Das Bundesverfassungsgericht habe gefordert, dass für alle Versicherten eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung gewährleistet sein muss. Diese Rechtsprechung müsse auch in ihrem Falle zur Anwendung kommen. Sie reagiere auf alle Festbetragsmedikamente allergisch und könne diese nicht einnehmen. Die Grundversorgung sei daher nicht gesichert. In ihrem Fall sei daher eine Ausnahmeregelung notwendig. Es liege nämlich ein Systemversagen vor, das zu einer entsprechenden Verpflichtung der Krankenkasse führe. Außerdem seien möglicherweise bei der Festlegung der Festbeträge Fehler unterlaufen. Insoweit müsse der Gemeinsame Bundesausschuss zu dem Sachverhalt Stellung nehmen und dort vorhandene Unterlagen übersenden. Auch wenn sie Medikamente mit dem Wirkstoff Budenosid noch nicht eingenommen habe, sei sehr unwahrscheinlich, dass sich hiermit eine gute Verträglichkeit ergebe. Sie habe in der Vergangenheit bereits sehr niedrige Kortisondosen nicht gut vertragen und müsse schon in Notfallsituationen diese Nebenwirkungen hinnehmen. Mit anderen Präparaten entwickle sich eine Akne, außerdem träten Kreislaufbeschwerden auf. Daher befürworteten auch die behandelnden Ärzte den Einsatz von Medikamenten mit dem Wirkstoff Budesonid nicht. 2007 habe sie auch Medikamente mit dem Wirkstoff Fluticason getestet. Die Verträglichkeit sei ebenfalls nicht gut gewesen.
Die Klägerin hat Belege über die Mehrkosten bei der Anschaffung des Medikamentes Alvesco® für die Kalenderjahre 2009 und 2010 vorgelegt. Ebenso sind ihr entsprechende Kosten in den Folgejahren entstanden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.05.2009 zu verurteilen, die Mehrkosten für das Arzneimittel Alvesco für die Zeit ab Januar 2009 zu erstatten und künftig die Kosten für das Arzneimittel Alvesco nach vertragsärztlicher Verordnung auch insoweit zu übernehmen, als sie den Festbetrag der Festbetragsgruppe "Glucocortikoid, inhalativ, oral" der Stufe 2, Gruppe 1 und die gesetzliche Zuzahlung übersteigen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, der angefochtene Bescheid entspreche der Sach- und Rechtslage und sei daher nicht zu beanstanden. Zur Begründung verweist sie auf ihre Ausführungen im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sowie das Gutachten des MDK vom 12.06.2009. Die Einnahme von Alvesco® sei nicht alternativlos, so dass die Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 06.12.2005 aufgestellt habe nicht verletzt seien. Zur weiteren Begründung beruft sie sich auf ein nach den gerichtlichen Ermittlungen eingeholtes Gutachten des MDK vom 22.08.2011.
Nach Durchführung eines Erörterungstermins hat das Gericht zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts Befund- und Behandlungsberichte von Dr. L und Dr. I beigezogen. Auf Inhalt und Ergebnisse der am 09.06.2011 und 06.07.2011 eingegangenen Berichte wird verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten im Sach- und Streitstand nimmt die Kammer Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakten und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten. Dieser war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid vom 24.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.05.2009 nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs 2 S 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), denn der Bescheid ist rechtmäßig.
Die Klägerin kann von der Beklagten nicht die Erstattung der Mehrkosten für das Medikament Alvesco® für die Zeit ab Januar 2009 verlangen. Ebenso wenig besteht auch unter Berücksichtigung der derzeitigen Tatsachenlage kein Anspruch auf Übernahme der Mehrkosten für das Arzneimittel, soweit dieses ärztlich verordnet wird.
Das vom Sachleistungsprinzip geprägte System der gesetzlichen Krankenversicherung erlaubt eine Kostenerstattung anstelle der Sach- oder Dienstleistung nur, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch den Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Soweit die Leistung notwendig war, hat die Krankenkasse die Kosten in der entstandenen Höhe zu erstatten. Dabei reicht der Kostenerstattungsanspruch nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung: vgl. BSGE 79, 125, 125).
Eine Erstattung der Mehrkosten für das Medikament Alvesco® ist nach der hier allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 13 Abs 3 S 1, 2.Alternative SGB V nicht möglich. Die Beklagte hat nämlich den Antrag auf festbetragsfreie Versorgung mit Alvesco® nicht zu Unrecht abgelehnt. Ein entsprechender Sachleistungsanspruch stand der Klägerin nicht zu und kann auch nach der gegenwärtig nachgewiesenen gesundheitlichen Situation aktuell gegenüber der Beklagten nicht beansprucht werden.
Nach § 27 Abs 1 S 1 Sozialgesetzbuch, 5. Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst dabei auch die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB V). Dabei haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit diese Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB V ausgeschlossen sind (§ 31 Abs 1 S 1 SGB V). Sofern für ein Arzneimittel wirksam ein Festbetrag festgesetzt ist, trägt die Krankenkasse grundsätzlich die Kosten bis zur Höhe dieses Betrages (§ 31 Abs 2, S 5 SGB V). In diesem Fall ist der Leistungsanspruch des Versicherten regelmäßig mit der Übernahme des Festbetrages erfüllt (§ 12 Abs 2 SGB V). Dementsprechend bestimmt § 35 SGB V, unter welchen Voraussetzungen in Richtlinien nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB V für bestimmte Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge festgesetzt werden können. Dabei sollen in den Gruppen Arzneimittel mit denselben Wirkstoffen, pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen und therapeutisch vergleichbarer Wirkung zusammengefasst werden. Den unterschiedlichen Bioverfügbarkeiten soll Rechnung getragen werden, wenn sie für die Therapie bedeutsam sind. Darüber hinaus müssen die gebildeten Gruppen gewährleisten, dass Therapiemöglichkeiten nicht eingeschränkt werden und medizinisch notwendige Verordnungsalternativen zur Verfügung stehen. Ausgenommen sind lediglich Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen, deren Wirkungsweise neuartig ist oder die eine therapeutische Verbesserung bedeuten. Die Festsetzung des Festbetrages erfolgt auf der Grundlage von rechnerischen mittleren Tages- oder Einzeldosen oder anderen geeigneten Vergleichsgrößen. Die Festsetzung erfolgt durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen. § 35 Abs 5 SGB V bestimmt darüber hinaus, dass die Festbeträge so festzusetzen sind, dass sie im Allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten. Sie haben Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen, sollen einen wirksamen Preiswettbewerb auslösen und haben sich deshalb an möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten auszurichten. Unter Berücksichtigung dieser Bestimmungen trägt die Festbetragsregelung dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs 1 SGB V Rechnung. Danach haben Versicherte Anspruch auf eine in der Qualität gesicherte Vollversorgung durch Sachleistungen und müssen sich nicht mit einer Teilkostenerstattung zufrieden geben.
Mit Beschluss vom 21.06.2007 (Bundesanzeiger Nr. 160 vom 28.08.2007) hat der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) die seinerzeit gültige Anlage II (seit 2009 ist dies die Anlage IX) der Richtlinie über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinie) dahingehend geändert, dass die Festbetragsgruppe der Glucocortikoide sich auch auf den Wirkstoff Ciclesonid erstreckt.
Zunächst ist festzustellen, dass der Wirtstoff Ciclesonid wirksam in die Festbetragsgruppe einbezogen wurde. Der insoweit vom GBA erlassene Beschluss und die Änderung der Arzneimittel-Richtlinien sind weder in formeller noch in materieller Hinsicht zu beanstanden. Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht ist insoweit nicht ersichtlich.
Die Kammer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die gesetzlich vorgegebenen Kriterien der Festbetragsfestsetzung nicht an den individuellen Verhältnissen eines einzelnen Patienten ausgerichtet sind, sondern sich in generalisierender Weise an allen Versicherten orientiert (BSGE 107, 287 = Soz R 4-2500 § 35 Nr 4, Rdnr 26). Die Festbetragsregelung hat damit als Allgemeinverfügung Gültigkeit bis zu ihrer Aufhebung oder Änderung, was aber nicht zwangsläufig dazu führt, dass ihre Rechtmäßigkeit im Rechtsstreit um die Versorgung mit einer Leistung der gesetzlichen Krankenkasse ungeprüft zu bleiben hat. Dementsprechend muss eine Festbetragsregelung mit dem Einwand zur Überprüfung gestellt werden können, die Festsetzung sei von Anfang an oder durch Zeitablauf partiell oder vollständig rechtswidrig und reiche demgemäß zum Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht aus (BSG, Urteil vom 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R).
Nach der jüngeren Rechtsprechung des BSG ist dieser Gesichtspunkt für den Bereich der Arzneimittel wie folgt konkretisiert worden: Sofern es um einen atypischen Ausnahmefall geht, in dem trotz Gewährleistung einer ausreichenden Arzneimittelversorgung durch die Festbetragsfestsetzung im Allgemeinen aufgrund der ungewöhnlichen Individualverhältnisse keine ausreichende Versorgung zum Festbetrag möglich ist, greift die Leistungsbeschränkung auf den Festbetrag nicht ein. Dies kann dann der Fall sein, wenn die zum Festbetrag erhältlichen Arzneimittel unerwünschte Nebenwirkungen verursachen, die über bloße Unannehmlichkeiten oder Befindlichkeitsstörungen hinausgehen und damit die Qualität einer behandlungsbedürftigen Krankheit im Sinne des § 27 Abs 1 S 1 SGB V erreichen. Dabei richtet sich die Beurteilung der Verursachung nach der im Sozialrecht maßgeblichen Theorie der Wesentlichen Bedingung. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen muss im Gerichtsverfahren grundsätzlich zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen. Lediglich für die zu prüfenden Kausalzusammenhänge genügt die überwiegende Wahrscheinlichkeit. Die Versicherten tragen nach den allgemeinen Grundsätzen die objektive Beweislast (BSG, Urteil vom 03.07.2012, B 1 KR 22/11, www.juris.de).
Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist im Falle der Klägerin nicht nachgewiesen, dass durch die Einnahme der übrigen in der Festbetragsgruppe enthaltenen Wirkstoffe Nebenwirkungen von solchem Ausmaß erreicht werden, dass eine neue Krankheit mit Behandlungsbedürftigkeit auftritt.
Nach den Berichten der behandelnden Ärzte Dr. L und Dr. I hat die Klägerin seit 2007 lediglich Ciclesonid erhalten. Der Grund hierfür lag nach den übereinstimmenden Angaben der Ärzte darin, dass die Klägerin ihnen gegenüber angegeben hatte, andere Kortisonpräparate, die als Dosieraerosol zur Verfügung stehen, nicht vertrage. Konkrete Feststellungen dazu, mit welchen Erkrankungen oder Nebenwirkungen die Einnahme der anderen in der Festbetragsgruppe enthaltenen Wirkstoffe im Falle der Klägerin verbunden sind, konnten infolgedessen von den Ärzten nicht getroffen werden.
Nach Auffassung der Kammer lässt sich zwar für den Wirkstoff Beclometason noch das Vorliegen einer Erkrankung im Sinne des § 27 Abs 1 S 1 SGB V auf der Grundlage der Stellungnahmen der Ärzte und der glaubhaften und nachvollziehbaren Angaben der Klägerin annehmen. Insoweit wird nämlich über allergische Reaktionen berichtet. Ob und ggf. mit Hilfe welcher therapeutischen Maßnahmen eine Gegensteuerung erreicht werden kann, ergibt sich hingegen aus den Befunden nicht. Nach den Angaben der Klägerin wurde offenbar das Kombinationsspray Viani mit dem Wirkstoff Fluticason getestet, wobei Kreislauf- und Atemprobleme aufgetreten sind. Der Versuch des Einsatzes des Wirkstoffs Beclometason ist nach den Angaben der Klägerin ebenfalls gescheitert, da sie nach ihren eigenen Bekundungen Nesselfieber und intensiven Juckreiz am ganzen Körper hinnehmen musste. Vor diesem Hintergrund kann die Kammer zwar davon ausgehen, dass mit der Einnahme von Beclometason Nebenwirkungen verursacht werden, die offenbar Krankheitswert erreichen. Die Kammer weist allerdings in diesem Zusammenhang darauf hin, dass gesicherte Erkenntnisse hierzu letztlich nicht vorliegen. Weder Dr. L noch Dr. I konnten über konkrete Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit Beclometason berichten und Dr. I führt sogar in seinem Bericht an das Sozialgericht aus, dass der Wirkstoff normalerweise zur Anwendung kommen könnte, eine Testung jedoch aufgrund der subjektiven Angaben der Klägerin nicht erfolgt sei.
Ebenso verhält es sich mit dem Wirkstoff Fluticason, den die Klägerin nach einem Versuch offenbar im Jahr 2007 ebenfalls abgesetzt hat. Welche ärztlich gesicherten Nebenwirkungen, die evtl. Krankheitswert verursachen könnten, hiermit verbunden sind, geht aus den Berichten der behandelnden Ärzte ebenfalls nicht hervor. Medikamente mit dem Wirkstoff Mometason oder Budenosid hat die Klägerin offenbar zu keinem Zeitpunkt getestet. Der Kammer liegen keine Informationen darüber vor, welche Beeinträchtigungen hiermit verbunden sein könnten. Auch wenn die Klägerin in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass sie mit Ciclesonid einen Wirkstoff verwenden könne, der gut verträglich ist und in relativ geringer Häufigkeit eingenommen werden muss, so führt dies nicht zwangsläufig zu einem Anspruch auf festbetragsfreie Versorgung. Das BSG hat nämlich in der bereits zitierten Entscheidung vom 03.07.2012 (aaO) ausgeführt, dass die tatsächlichen Umstände bezogen auf das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Erkrankung objektiv im Sinne des Vollbeweises nach den Regeln der ärztlichen Kunst gesichert sein müssen. Allein das subjektive Empfinden eines Versicherten kann die Regelwidrigkeit und die daraus abgeleitete Behandlungsbedürftigkeit seines Zustandes nicht begründen.
Die insoweit erforderliche Alternativlosigkeit von Alvesco® ist damit nach Auffassung der Kammer zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht nachgewiesen. Die Beweislast für das Vorliegen dieser Umstände trägt die Klägerin. Sofern über das in Verbindung mit einem Wirkstoff einer Festbetragsgruppe auftretende Nebenwirkungsspektrum keine gesicherten medizinischen Erkenntnisse vorliegen, ist der Versicherte nach Auffassung der Kammer auf die Wirkstoffe der Festbetragsgruppe, die er bis auf die gesetzliche Zuzahlung eigenanteilsfrei erhalten kann, zu verweisen. Dies gilt auch dann, wenn - wie dies bei der Klägerin der Fall ist - für die bisherige Einstellung mit dem Medikament, für das Mehrkosten anfallen, eine ärztliche Empfehlung ausgesprochen wird und die Einstellung auch gut funktioniert.
Soweit die Klägerin darauf hinweist, dass die Einnahme von Alvesco® täglich 2-3 Hübe erfordere, was bereits als sehr hohe Dosis anzusehen ist, kann auch dieser Umstand nicht zur Verpflichtung der Krankenkasse führen, die Klägerin eigenanteilsfrei mit dem Medikament zu versorgen. Es mag zwar sein, dass die Einnahme anderer Wirkstoffe im Falle der Klägerin sehr hoch dosiert zu erfolgen hat. Dies ist jedenfalls dann, wenn sich hierdurch die Nebenwirkungen im Rahmen halten oder jedenfalls keinen Krankheitswert aufweisen, zumutbar und betrifft letztlich allein die Modalität in der Anwendung ohne medizinische Relevanz. Für eine insoweit besser zu handhabende Verabreichung hat die gesetzliche Krankenversicherung nicht einzustehen.
Die Klägerin kann ferner auch nicht mit dem Argument gehört werden, dass der Wirkstoff Ciclesonid allein unter dem Handelsnamen Alvesco® vertrieben wird und Alternativpräparate mit diesem Wirkstoff nicht zur Verfügung stehen. Zwar ist grundsätzlich richtig, dass die Auswahlmöglichkeit des Behandlers bzw. des Versicherten nach § 35 Abs 3 SGB V auch bei der Bildung von Festbetragsgruppen gesichert sein muss. Da im Falle der Klägerin aber bereits nicht nachgewiesen ist, dass sie alle anderen Wirkstoffe der Festbetragsgruppe nicht verträgt, vermag auch dieser Einwand der Klägerin nicht zum Erfolg verhelfen.
Unter Berücksichtigung der tatsächlichen Anhaltspunkte war nach Auffassung der Kammer nicht, beispielsweise durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, zu prüfen, ob theoretisch die in der Festbetragsgruppe genannten Wirkstoffe im Falle der Klägerin Nebenwirkungen mit dem erforderlichen Krankheitswert verursachen. Für diesen Nachweis ist jedenfalls in einem ersten Schritt der Versicherte selbst verantwortlich. Nur subjektive Angaben - ohne medizinisch eindeutige Belege - vermögen eine weitere Verpflichtung des Gerichts zur Aufklärung des bestehenden Nebenwirkungspotentials sämtlicher Wirkstoffe nicht zu begründen.
Weitere medizinische Ermittlungen waren daher nicht angezeigt.
Die Klage war folglich abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
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