S 33 VJ 2/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
33
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 33 VJ 2/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VJ 4/08
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Beschädigtenversorgung wegen eines Impfschadens im Zusammenhang mit der am 06.11.2000 verabreichten Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln. Der 1999 geborene Kläger wurde laut Impfbuch am 06.11.2000 mit dem dort bezeichneten Impfstoff Priorix, Ch-B. 690070 PD, gegen Masern, Mumps und Röteln geimpft. Weitere Impfungen gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis, Haemophilus influenzae B (HiB), Hepatitis B und Poliomyelitis waren am 29.11.1999, 05.01.2000 (nur Tetanus, Diphtherie und Pertussis), 15.02.2000 sowie 19.01.2001 erfolgt.

Die Eltern des Klägers machten mit beim Beklagten am 04.04.2003 eingegangenem Antrag auf Gewährung von Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz geltend, dass es als Folge der angegebenen Impfung am 06.11.2000 zu Verlust der bis dahin erworbenen Sprachentwicklung, Schlaflosigkeit, häufigem Erbrechen, häufigen Infektionen, erschlaffter Mundmuskulatur, allgemeiner Entwicklungsverzögerung mit Sprachentwicklungsstörung und Wahrnehmungsdefiziten gekommen sei. Im Gespräch des Beklagten mit den Eltern am 27.05.2003, vgl. Aktenvermerk Bl. 30f. VA-Akte, machten die Eltern zum Sachverhalt folgende Angaben: Ihr Sohn sei am 06.11.2000 durch Herrn Dr. S. in I. gegen Masern, Mumps und Röteln geimpft worden. Er sei zu diesem Zeitpunkt gesund gewesen. Nach acht bis zehn Tagen sei es zu einer ca. dreiwöchigen Erkrankung gekommen, die sich anschließend gebessert habe. Die Symptome seien aber nie ganz abgeklungen. In den genannten drei Wochen sei nächtliches Erbrechen (wiederholt aufgetreten), Schlafstörungen, nächtliches Jammern und Fieber zwischen 38,5 und 39,0 Grad aufgetreten. Das Fieber sei durch fiebersenkende Maßnahmen (Benuron-Zäpfchen) gesenkt worden. Dadurch sei es nicht stärker angestiegen. Nach Angaben der Mutter habe man mehrfach mit Dr. S. telefoniert, zum Inhalt der Gespräche seien keine genauen Angaben möglich. Nach dieser dreiwöchigen Erkrankung habe eine fortdauernde Infektanfälligkeit bestanden. Ihr Sohn habe ständiges Nasenlaufen, Sommer wie Winter. Nach der Impfung habe er sich in seiner Entwicklung zunächst zurück entwickelt, die ursprünglich erfreuliche Sprachentwicklung wieder verloren. Mit ca. einem Jahr habe er Papa, Mama, verschiedene Namen und "heiß" sagen können, nach der Impfung nur noch Laute und einfache Wort. Freies Laufen habe mit einem Jahr bestanden. Seit der Impfung sei das Gangbild auffällig, er gehe "schief", etwas seitlich verdreht. Die feinmotorische Entwicklung sei bis zur Impfung ebenfalls unauffällig gewesen, Spielen mit beiden Händen und Zusammenstecken von Bauklötzen sei vorher möglich gewesen. Nach der Impfung habe es nur geringe Fortschritte gegeben. Ihr Sohn könne mit Fingerfarben etwas malen, etwas kneten, mit Hölzchen im Garten spielen oder ein Buch anschauen, es bestünde kein altersentsprechendes Spiel. Das Verhalten in der Gemeinschaft sei auffällig. Er könne sich sprachlich kaum verständigen und versuche deshalb, sich durch lautes Schreien durchzusetzen. Körperlich bestünde nach wie vor Infektanfälligkeit, ihr Sohn erbreche mitunter (etwa einmal monatlich), schwitze in der Nacht stark. Über die Gesundheitsentwicklung vor der angeschuldigten Impfung wurde von den Eltern weiter berichtet: Leistenbruchoperation mit fünf Wochen, mit acht Monaten Behandlung einer spastischen Bronchitis, Laufen mit einem Jahr, erste Worte etwa gleichzeitig, zu diesem Zeitpunkt unauffälliges Sozialverhalten.

Im Untersuchungsheft des Klägers befindet sich bei der U2 vom 26.07.1999 ein Hinweis auf das Faktor-V-Leiden der Mutter. Am 03.08.1999 wurde hierzu vom medizinischen Laboratorium Dr. S., eine Faktor-V-Leiden Mutation in heterozygoter Form gefunden, Blatt 55 VA-Akte. Es wird in dem Bericht darauf hingewiesen, dass heterozygote Anlageträger ein 5-10-fach erhöhtes Risiko für thrombotische und embolische Ereignisse gegenüber Personen, die diese Mutation nicht tragen, haben. Bei der U3 am 17.08.1999 wurde eine etwas vermehrte Kopfdrehung nach rechts notiert sowie bei der U4 am 11.11.1999 "etwas Muskelhypertonie, Kiss-Syndrom links?". Es sind keine weiteren Einträge bei der U5 (13.03.2000), U6 (13.07.2000) und U7 (06.07.2001) enthalten.

Der Beklagte zog Unterlagen über die Geburt des Klägers im Klinikum I. bei. Die Mutter des Klägers war in der Schwangerschaft wegen einer tiefen Beinvenenthrombose mit Heparin behandelt worden, es handelte sich um eine Spontangeburt, der Apgarwert wird mit 9/10/10 angegeben. In der ärztlichen Mitteilung über die Leistenbruchoperation vom 02.09.1999, Blatt 88 VA-Akte, wird ein operativer und postoperativer Verlauf und Kostaufbau beschrieben, der komplikationslos gewesen sei.

In dem Bericht der Klinik St. Elisabeth, Neuburg/Donau, vom 17.02.2003, Bl. 7 VA-Akte, wurden als Diagnosen aufgeführt: Entwicklungsverzögerung von zwölf Monaten (F82/F83), Sprachentwicklungsverzögerung von achtzehn Monaten (F80.8), Ausschluss cerebrale Krampfanfälle (G40.2). Es werden Angaben des Vaters über die Sprache mit dreizehn Monaten festgehalten (Papa, Mama, Anna, Schokolade) sowie vermerkt, dass eigenanamnestisch der Kläger nach der Impfung von Mumps, Masern, Röteln für ein halbes Jahr krank gewesen sei. Bei teils nur orientierend möglicher Untersuchung wurde zusammenfassend eine globale Entwicklungsretadierung von zwölf Monaten sowie eine Sprachentwicklungsverzögerung von mindestens achtzehn Monaten festgestellt und die Aufnahme in einen Integrationskindergarten für dringend notwendig gehalten.

Im Bericht der Frühförderung P. vom 08.07.2003 (Blatt 42 VA-Akte) wird bezüglich der anamnestischen Daten berichtet, dass der Kläger nach Angaben seiner Mutter eine frühkindliche Entwicklung ohne bekannte Störung durchlaufen habe, erste Worte mit zwölf Monaten. Mit eineinhalb Jahren habe die Entwicklung dann zu stagnieren begonnen. Die Mutter vermute einen direkten Zusammenhang mit der Masern-Mumps-Röteln-Impfung. Seitdem sei er ständig krank (mit starker Erkältung, deutlicher Unausgeglichenheit, hohem Schlafbedürfnis) und mache nur sehr langsam Fortschritte in seiner Entwicklung. Befunderhebungen und Beobachtung des Verhaltens des Klägers habe ergeben: Entwicklungsrückstand in fast allen Bereichen, erhebliche Sprachentwicklungsretadierung, Störung der propriozeptiven und taktilen Wahrnehmungsverarbeitung, leichte Tendenz zu Hypertonie bei relativ guter Tonuslage, starke motorische Unruhe, Auffälligkeiten im sozio-emotionalen Verhalten, tendenziell instabiler Gesundheitszustand des Jungen mit rezidivierenden Erkältungen. Bezüglich der Kommunikation wird von einem eingeschränkten Sprachverständnis berichtet, der Kläger spreche in schwer verständlichen Zwei- und Drei/Vierwortsätzen.

Im psychologischen Bericht des Kinderzentrum München vom 13.01.2004, Blatt 92 VA-Akte, wurden als Diagnosen festgehalten: Intelligenzminderung im Bereich der leichten geistigen Behinderung (F70.0), rezeptive Sprachentwicklungsstörung (F80.2). Bei der Anamnese wurde festgehalten dass der anwesende Vater bei einer insgesamt unauffälligen frühkindlichen Entwicklung von einem massiven Entwicklungsknick nach einer Impfung im Alter von ca. vierzehn bis fünfzehn Monaten berichte. So habe der Junge die ca. zwölf aktiv und passiv zuverlässig beherrschten Wörter verloren und im Bereich der sprachlichen Entwicklung für ca. ein Jahr eine fast völlige Stagnation gezeigt. Darüber hinaus sei das gesamte Verhalten von einer stark motorischen Unruhe, einer emotionalen Gereiztheit sowie Schlafproblemen und der Abwehr von Körperkontakt geprägt gewesen. Diese Symptome hätten sich im Verlauf der letzten Jahre langsam wieder gebessert. Seit September 2003 werde der Kläger in einem Mehrfachbehindertenkindergarten in P. betreut. Zusammenfassend wurde festgestellt, dass der Kläger in seinen nichtsprachlichen, kognitiven Begabungsstrukturen derzeit im Übergangsbereich zwischen leichter geistiger Behinderung und Lernbehinderung sei. Zusätzlich ergäben sich Einschränkungen im Bereich der Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung sowie ausgeprägte Sprachverständnisdefizite. Es zeige sich eine multiple Dyslalie mit häufigen Zwei- bis Dreiwortkombinationen neben ersten, hinsichtlich der Satzstellung korrekt realisierten einfachen Aussagesätzen (z.B. "Da ist die Puppe kaputt.").

Der Beklagte führte am 17.02.2004 eine Untersuchung des Klägers in Begleitung der Eltern durch. Im nervenärztlichen Gutachten vom 02.07.2004 werden nochmals Angaben der Eltern zu der Entwicklung und den Impfungen festgehalten: Die Entwicklung sei nach der Geburt normal verlaufen, der Kläger sei eher voraus gewesen, auch wenn er nicht gekrabbelt habe, sondern sich auf Füße und Hände gestützt habe. Er sei ein Jahr gestillt worden, während des Stillens habe die Mutter des Klägers Heparin gespritzt. Mit einem Jahr habe er gesprochen (Mama, Papa sowie den Namen des Hundes). In Folge der angeschuldigten Impfung am 06.11.2000 habe er nach einer Woche nachts erbrochen, auch in den folgenden zwei Jahren habe er weiter öfter nachts erbrochen und sei von 01:00 Uhr bis ca. 04:00 Uhr nachts wach gewesen. Nach der Impfung sei er immer krank gewesen, erkältet und habe nachts nicht geschlafen. Er habe auch nach der Impfung nicht mehr gesprochen, sondern nur noch lautiert. Erst zwei Jahre nach der Impfung, ca. Februar 2003 habe er wieder angefangen zu sprechen. Er reagiere paradox auf Fieberzäpfchen, tanze dann auf dem Tisch. Homöopathisch sei er mit Nosode zur Ausscheidung der Impfung behandelt worden. Danach seien wieder dieselben Symptome wie nach der Impfung aufgetreten. Er habe wieder nachts erbrochen, nicht geschlafen, nach einigen Tagen habe er jedoch mit seiner Schwester, im Jahre 2001 geboren, gespielt. In dem Gutachten wird weiter ausgeführt, dass die Eltern des Klägers angegeben hätten, dass der Kläger drei Wochen nach der Impfung nachts erbrochen habe, schon bei der Nahrungsumstellung im Alter von fünf Monaten habe er sich verkrampft und beim Einschlafen erbrochen. Erst im Februar 2002 habe der Kläger wieder zur sprechen angefangen. Bezüglich der Befunderhebung wird in dem Gutachten ausgeführt, dass der neurologische Status soweit prüfbar regelrecht sei. Im Weiteren wird in dem nervenärztlichen Gutachten das derzeitige Verhalten des Klägers geschildert mit teils starker Unruhe. Ein Kind des Vaters aus erster Ehe leide an einem Aufmerksamkeits-Deficiency-Syndrom, es sei nicht lebhafter, auch intelligent, jedoch leicht ablenkbar. Der Kläger ist nach Schilderung des Vaters sehr lebhaft, ungestüm, zum Teil unberechenbar, könne Gefahren nicht abschätzen. Bei der Beurteilung geht der Beklagte in dem nervenärztlichen Gutachten vom Vorliegen einer allgemeinen Entwicklungsverzögerung mit im Vordergrund stehender Sprachentwicklungsstörung aus, daneben erhebliche Verhaltensstörungen, zum Teil in Richtung Autismus. Nach den vorliegenden Angaben der Mutter bestünden im zeitlichen Zusammenhang mit der angeschuldigten Impfung vom 06.11.2000 keine Hinweise auf eine cerebrale Affektion. Befunde über eine Erkrankung des Klägers nach der Impfung lägen nicht vor. Befunde bezüglich des Entwicklungsrückstands seien erst in den Jahren 2002 und 2003 erhoben worden. Ein Impfschaden sei auf dieser Basis nicht wahrscheinlich zu machen.

Mit Bescheid vom 16.08.2004 wurde der Antrag auf Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz abgelehnt. Mit hiergegen erhobenem Widerspruch wurde ein ärztliches Attest des Herrn Dr. S. vom 10.09.2004 vorgelegt (Bl. 120 VA-Akte), in dem dieser anlässlich der Vorsorgeuntersuchung U6 am 13.07.2000 einen ausgezeichneten Entwicklungsstand bestätigte. Die später aufgetretenen Entwicklungsprobleme seien damals und auch bis zum Zeitpunkt der Impfung in keiner Weise vorhersehbar gewesen. Von Herrn Dr. M. wurde mit ärztlichem Attest vom 15.09.2004 (Bl. 130 VA-Akte) bestätigt, dass bei der von ihm am 13.03.2000 durchgeführten U5 weder ein vermehrter Muskelhypertonus, noch eine Haltungsasymetrie nachweisbar war, der Kläger sei zu diesem Zeitpunkt normal entwickelt und neurologisch unauffällig gewesen.

In dem versorgungsärztlichen Gutachten nach Aktenlage vom 26.01.2005 (B. 125 VA-Akte) wird darauf hingewiesen, dass bei der U7 am 06.07.2001 Herr Dr. S. einen völlig unauffälligen Befund dokumentiert hatte. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass bei Faktor V-Leiden Mutation eine Gerinnungsstörung mit deutlich erhöhter Thrombosegefahr vorliege. Es sei deshalb nach der Durchführung einer Kernspintomographie oder Computertomographie des Gehirns zu fragen. Die Mutter des Klägers teilte daraufhin im März 2005 schriftlich und telefonisch unter Hinweis auf die damit verbundenen Nebenwirkungen wie notwendige Sedierung mit (vgl. Bl. 129, 133 VA-Akte), dass auf eine bildgebende Untersuchung bisher verzichtet worden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 02.05.2005 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen.

Mit am 18.05.2005 erhobener Klage wurde weiter die Anerkennung eines Impfschadens verfolgt. Die Mutter des Klägers schildert in der Klageschrift, dass der Kläger nach der Impfung am 06.11.2000 Fieber und Erbrechen bekommen habe, er sei sehr unruhig gewesen und Schlafstörungen hätten sich eingestellt. Auch sei aufgefallen, dass er die vorher erlernten Wörter nicht mehr sprechen konnte. Er habe seitdem immer wieder Infekte bekommen. Bis zur Impfung sei der Kläger gesund gewesen. Es wird nochmals auf die Eintragungen im Untersuchungsheft verwiesen.

Mit Schriftsatz vom 25.10.2005 reichte der nunmehr bestellte Prozessbevollmächtigte des Klägers Klageantrag und weitere Begründung ein.

Das Gericht holte bei den behandelnden Ärzten Befundberichte ab Behandlungsbeginn bzw. Geburt ein. Laut Befundbericht der pädagogisch-audiologischen Beratungs- und Frühförderstelle, München, wurde am 22.10.2002 eine Überprüfung des Hörvermögens durchgeführt, es habe kein Verdacht auf eine gravierende Höreinschränkung bestanden.

Im Befundbericht des Dr. M. wird über die Behandlung des Klägers vom 02.08.1999 bis 04.10.2004 berichtet. Beim Erstkontakt am 02.08.1999 wird von einem abklingenden Abszess praeumbilical berichtet, des Weiteren Heterozygotie im Zusammenhang mit der Faktor V-Gen Mutation berichtet. Unter dem 17.08.1999 wird eine vermehrte Kopfdrehung nach rechts im Sinne eines Kiss-Syndroms berichtet. Am 11.11.1999 anlässlich der U4 sei ein etwas steifer Muskeltonus aufgefallen, C1-Syndrom links im Sinne eines Kiss-Syndroms, Mobilisierung und danach Übungen zu Hause. Am 29.11.1999 wurde Krankengymnastik verordnet, Verbesserung des Kiss-Syndroms. Am 28.12.1999 wurde festgestellt: Obstipation, Ernährungsumstellung. Am 14.01.2000 wird berichtet, das Kind sei etwas verspannt beim Aufsetzen, Kopfdrehung seitengleich, keine Krankengymnastik mehr notwendig. Am 24.01.2000: Nach Abstillen Problematik mit der Ernährung. Am 13.03.2000 U5 unauffällig, nach Angaben der Mutter sei vor dem Einschlafen etwas Unruhe berichtet worden, allerdings nicht sicher abhängig von den Mahlzeiten. Im Zeitraum 07.05.2000 bis 20.08.2001 wird kein ärztlicher Kontakt berichtet. Am 20.08.2001 Behandlung wegen Aufschlagen auf Tischkante mit Auge, Lidödem links. Unter dem Datum 15.07.2001 (gemeint ist der 15.07.2002, vgl. für diesen Untersuchungszeitpunkt beigefügtes Ergebnis eines Blutbildes, Bl. 62 f. Klageakte) wird in dem Befundbericht vermerkt: "Größe 100 cm, Gewicht 16 kg RR 80/50 mmHg, Narkosevorbereitung kariöser Zähne zur Zahnsanierung. Jetzt bereits Sprachentwicklungsstörung, Verdacht auf Impfschaden nach Masern, Mumps, Rötelnimpfung, die nicht in unserer Praxis durchgeführt worden war". Des Weiteren enthält der Befundbericht Angaben über Untersuchungen im Zeitraum vom 10.02.2003 bis 04.10.2003. Im Befundbericht wird weiter vermerkt, dass bei dem Kind bis zum 13.03.2000 keine Auffälligkeiten in der hausärztlichen Betreuung festgestellt werden konnten. Dem Befundbericht ist beigegeben ein Arztbericht des Sozialpädiatrischen Zentrums im Kinderzentrum M. vom 06.11.2003, Diagnose: Verdacht auf allgemeine Entwicklungsstörung (F89V); expressive Sprachentwicklungsstörung (F80.1), Unruhe (R45.1), es wird berichtet, dass Entwicklungsauffälligkeiten seitens der Eltern im Alter von etwa 15 Monaten, nach der ersten 6-fach-Impfung, aufgefallen seien. Des Weiteren wird von einem EEG vom 30.10.2003 berichtet (keine epileptiforme Aktivität, in den verwertbaren Abschnitten keine signifikanten Seitendifferenzen oder anderweitigen Herdhinweise erkennbar). Im Befundbericht des Herrn Dr. S. wird von einer Behandlung des Klägers erstmals am 13.07.2000 und letztmals am 30.07.2002 berichtet. Bei der Erstvorstellung am 13.07.2000 sei die Vorsorgeuntersuchung U6 durchgeführt worden, zu diesem Zeitpunkt habe sich ein sehr aktives gut entwickeltes Kind ohne irgendwelche Auffälligkeiten gezeigt. Am 21.09.2000 Vorstellung wegen eines banalen Infekts, am 06.11.2000 sei von ihm die MMR-Impfung durchgeführt worden. Auch zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger ein ausgesprochen lebhaftes und agiles Kind gewesen. Am 28.12.2000 sei der Kläger erstmals nach der Impfung wegen einer Windeldermatitis vorgestellt worden. Weitergehende Beschwerden seien zu diesem Zeitpunkt nicht geäußert worden. Am 19.01.2001 sei erneut eine Impfung durchgeführt worden. Die Mutter habe über häufige Infekte seit der letzten Impfung und über nächtliches Erbrechen berichtet. Am 06.07.2001 habe die nächste kinderärztliche Vorsorgeuntersuchung U7 stattgefunden. Zu diesem Zeitpunkt habe sich ein Rückstand der Sprachentwicklung gezeigt. Danach erfolgte die nächste Vorstellung am 30.07.2002.

In den daraufhin vom Gericht beigezogenen Krankenunterlagen des Herrn Dr. S. (Bl. 75f. Klageakte) findet sich unter dem 28.12.2000 der Eintrag:" Windelsoor B-Fl. Mykodem", unter dem 19.01.2001 neben dem Vermerk der neuerlichen Impfung der Eintrag "war seit MMR dauernd krank, erzählt nachts." Unter dem 06.07.2001 ist unter anderem notiert: "Entwicklung regelrecht außer Sprache noch wenig, angedeutet Zweiwortsätze."

In dem Befundbericht der Heilpraktikerin Frau M. B., wird eine Behandlung vom 14.11.2001 bis 16.01.2003 angegeben. Unter geäußerten Beschwerden findet sich die Angabe verzögerte Sprachentwicklung, Ruhelosigkeit; des Weiteren ist der Hinweis enthalten, dass in der klassischen Homöopathie es keine Diagnosestellung gebe.

Mit Beweisanordnung vom 27.08.2007 wurde Herr Dr. H., W., mit der Erstellung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach Aktenlage oder falls erforderlich nach ambulanter Untersuchung des Klägers beauftragt.

In seinem medizinisch wissenschaftlichen Gutachten nach Aktenlage vom 11.10.2007 schildert der Gutachter zunächst die relevante Krankengeschichte des Klägers. Der Gutachter stellt fest, dass die Angaben zur Geburt für ein völlig gesundes Neugeborenes sprächen. Auch die Entwicklung im ersten Lebensjahr sei unauffällig verlaufen. Mit sechs Monaten habe der Kläger frei gesessen, mit zwölf Monaten habe er gekrabbelt und mit dreizehn Monaten habe auch die Sprachentwicklung zeitgerecht begonnen. Bei der U4 am 11.11.1999 sei eine Muskelhypertrophie bei Verdacht auf Kiss-Syndrom links festgestellt worden und Krankengymnastik verordnet worden. Bei der Vorsorgeuntersuchung U5 sei keine Auffälligkeit des Muskeltonus mehr nachweisbar gewesen. Bei der Vorsorgeuntersuchung U6 am 13.07.2000 sei der Kläger altersgerecht entwickelt und gesund gewesen. Der Kinderarzt habe zum Zeitpunkt dieser Untersuchung sogar einen ausgezeichneten Entwicklungszustand bestätigt. Die Impfung am 06.11.2000 im Alter von fünfzehn Monaten sei beim Kläger fristgerecht und gemäß den damals gültigen Empfehlungen der ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut durchgeführt worden. In den Unterlagen des Kinderarztes seien keine Angaben zum verwendeten Impfstoff oder zur Chargennummer enthalten. Etwa eine Woche nach der Impfung habe sich S.s Verhalten verändert. Es sei zu Fieber zwischen 38,5 und 39,0 Grad, Schlafstörungen, nächtlichem Erbrechen, auffälligem Jammern und einer gesteigerten Infektanfälligkeit gekommen. Diese Symptome hätten über mehrere Wochen angedauert und im weiteren Verlauf hätten die Eltern auch eine Reduktion der bereits vorhandenen Sprache bemerkt. Der Kläger habe nicht mehr die vor der Impfung gesprochenen Worte (Mama, Papa) benutzt, sondern nur noch lautiert. Nach Angabe der Eltern sei mehrfach telefonische Beratung durch den Kinderarzt erforderlich gewesen. Die nächste Vorstellung am 28.12.2000 nannte als Diagnose Windelsoor. Am 19.01.2001 sei dann wieder der Kinderarzt aufgesucht worden, die Eintragung in der Kartei habe hier gelautet: "War seit MMR dauernd krank, erzählt nachts." Eine genaue Abklärung dieser andauernden Krankheit habe dem Kinderarzt allerdings nicht erforderlich erschienen. An diesem Tag habe dann auch noch eine Impfung mit Infanrix-HiB, einem inaktivierten Tetanus-Diphtherie-Keuchhusten-HiB-Kombinations-Impfstoff stattgefunden.

Der Kläger sei von dieser Zeit an verhaltensauffällig geblieben und eine gestörte Hirnentwicklung sei immer deutlicher geworden. Im Rahmen der U7 am 06.07.2001 habe sich ein deutlicher Rückstand der Sprachentwicklung gezeigt. Des Weiteren nimmt der Gutachter Bezug auf den Bericht der Elisabeth-Klinik in N. vom 17.02.2003, dem die Untersuchung vom 11.02.2003 zugrunde lag, sowie den Bericht vom 13.01.2004 des Kinderzentrum München, dem die Untersuchung im Kinderzentrum München am 26.11.2003 zugrunde lag. Zusammenfassend stellt der Gutachter fest, dass es beim Kläger nach zunächst unauffälliger Entwicklung im ersten Lebensjahr im zeitlichen Anschluss an die MMR-Impfung zu einem deutlichen Entwicklungsknick gekommen sei, deren Ursache in einer erst später diagnostizierten Entwicklungsstörung des Gehirns zu sehen sei.

In seiner anschließenden Schilderung des aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstandes zur MMR-Impfung und postvakzinalen neurologischen Störungen schildert der Gutachter, dass zur normalen Impfreaktion der Masernimpfung Lokalreaktionen mit Rötung, Schwellung, Schmerzen an der Injektionsstelle und regionalen Lymphknotenschwellungen, die innerhalb von wenigen Tagen spontan zurückgehen, gehörten. Systemisch träten Müdigkeit, Fieber, gastrointestinale Symptome, Katarrh der oberen Luftwege, Kopfschmerzen und Kreislaufdisregulationen meist innerhalb der zweiten Woche nach der Impfung auf. Hierzu könne auch ein meist schwach ausgeprägtes masernartiges Exanthem gehören. An Komplikationen nach Masernimpfung seien in Einzelfällen Enzephalitiden, Myelitiden und Neuritiden unterschiedlichen Schweregrades sowie die Erkrankung ADEM (Autoimmun vermittelte Gehirnentzündung, akute dissemenierte Enzephalitis) bekannt. Des Weiteren gebe es unter anderem in seltenen Fällen Fieberkrämpfe und Ataxien.

Im Weiteren schildert der Gutachter die akute disseminierte, (demyelinisierende) Encephalo-Myelitis (ADEM). Dies sei eine seltene entzündliche ZNS-Erkrankung, die häufig ein bis vier Wochen nach einer Infektion oder nach Impfungen auftreten könne. Zugrunde läge der Erkrankung autoimmun verursachte Demyelinisierungen in Gehirn und Rückenmark, die überall im gesamten zentralen Nervensystem auftreten könnten. Die Erkrankung verlaufe im Unterschied zur Multiplen Sklerose monophasisch. Die sichere Abgrenzung von der Multiplen Sklerose gelinge oft erst durch die Beobachtung des weiteren Verlaufs, da keine genauen diagnostischen Kriterien etabliert seien und da es fließende Übergänge zur Multiplen Sklerose gebe. Die klinische Symptomatik sei abhängig von der Lokalisation der Läsionen variabel, umfasse meist jedoch auch neuropsychologische Symptome wie psychomotorische Verlangsamung oder auch eine Bewusstseinstrübung. Das Kernspintomogramm zeige mono- oder multifokale Demyelinisierungsherde, die Herde seien im Vergleich zur Multiplen Sklerose oft auffallend groß und reicherten meist Kontrastmittel an. Die Prognose der ADEM sei insgesamt eher günstig. Die Mehrzahl der Patienten erhole sich vollständig oder mit nur geringen Defiziten. Fälle von ADEM als immunologisch vermittelte Impfkomplikation seien gut bekannt und hinreichend in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben. Die Reaktionen verliefen bei Kleinkindern anders als bei Erwachsenen. Beim Kind sei das Hirnödem ausgeprägter (was mit der noch "lockeren" Struktur des noch nicht komplett myelinisierten kindlichen Gehirns in Verbindung gebracht werde). Man spreche daher beim Kind auch von einer Encephalopathie, beim Erwachsenen dagegen von einer Encephalitis. Bezüglich des Pathomechanismus schildert der Gutachter, dass ein von einer solchen immunologischen Fehlreaktion betroffener Patient das Pech habe, als genetische Disposition auf seinen Nervenzellen eine Struktur zu besitzen, die der Struktur eines Impfantigens sehr ähnlich sei. Es komme dann zu einer immunologisch entzündlichen Reaktion, das klinische Bild der Erkrankung sei äußerst variabel. Der Gutachter weist in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen in den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und Schwerbehindertenrecht 2004, Stand Juni 2005, zur postvakzinalen Encephalopathie (bzw. Enzephalitis) hin. Dort sei ausgeführt, dass diese Erkrankung nicht immer mit ausgeprägten Symptomen einher gehe, sie könne auch symptomarm (aber nicht "symptomlos") verlaufen und werde dann oft als "blande Encephalopathie" bezeichnet. Wenn eine solche Encephalopathie zur Frage stünde, sei neben einer genauen Feststellung der Krankheitserscheinungen und Verhaltensauffälligkeiten (z.B. Apathie, abnorme Schläfrigkeit, Nahrungsverweigerung, Erbrechen) die während der Inkubationszeit nach der Impfung vorgelegen hätten, eine eingehende Ermittlung und Würdigung des weiteren Verlaufs notwendig. Dabei sei vor allem zu prüfen, ob auf einen Entwicklungsknick (deutlicher Entwicklungsstillstand, Verlust bereits erworbener Fähigkeiten) im Anschluss an die Impfung geschlossen werden könne oder ob eine Progredienz von hirnorganischen Störungen zu erkennen sei. Bei einem Impfschaden sei eine solche Progredienz nicht zu erwarten, wenn nicht hirnorganische Anfälle den Hirnschaden mitbestimmten. Überdies müsse beachtet werden, dass in der Regel eine Parallelität zwischen dem schwerwiegenden Grad des Symptombildes der postvakzinalen Encephalopathie (bzw. Enzephalitis) und dem Ausmaß der Folgen bestehe. Nach einer symptomarmen Encephalopathie sei nicht mit einem sehr schweren Hirnschaden zu rechnen.

Anschließend führt der Gutachter zur Abschätzung der Wahrscheinlichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen der durchgeführten MMR-Impfung und den späteren Gesundheitsschäden des Klägers aus, dass die beim Kläger im Anschluss an die MMR-Impfung aufgetretene Erkrankung mit großer Wahrscheinlichkeit eine akute disseminierte (demyelniisierende) Encephalo-Myelitis (ADEM) sei. Die ADEM sei eine seltene akute entzündliche ZNS-Erkrankung, die in den meisten bekannt gewordenen Fällen ein bis vier Wochen nach einer Infektion und nach Impfungen auftreten könne. Das zeitliche Intervall zwischen den Impfungen und dem klinischen Beginn der ADEM sei als plausibel zu betrachten. Andere mögliche Auslöser für die Erkrankung (Infektionen) seien nicht gefunden worden. Des Weiteren stellt der Gutachter fest, dass die genetisch bedingte Blutgerinnungsstörung mit anschließender Heparin-Behandlung in der Schwangerschaft, die etwas vermehrte Kopfdrehung nach rechts bei der U3, leichte muskuläre Hypertonie bzw. das Kiss-Syndrom bei der U4 und ein ADS-Syndrom bei einem Kind des Vaters aus erster Ehe in keiner Weise die nach der MMR-Impfung aufgetretene Erkrankung erklären könnten. Auch die aufgrund der erst Wochen später erfolgten Wiedervorstellung beim Kinderarzt gewonnene Auffassung des Beklagten, es habe gar keine neurologische Erkrankung in der Zeit nach der Impfung vorgelegen, stehe in völligem Widerspruch zu den von den Eltern geschilderten Ereignissen. Die hier in der Zeit nach der Impfung abgelaufene ADEM sei sowohl vom Kinderarzt als auch von der Gutachterin des Beklagten nicht erkannt worden.

In Beantwortung der gerichtlichen Beweisfragen stellt der Gutachter fest, dass bei dem Kläger es in der Folge der MMR-Impfung mit Wahrscheinlichkeit zu einer entzündlichen Autoimmunreaktion des Gehirns (akute disseminierte Enzephalitis, ADEM) gekommen sei. Diese Erkrankung sei im Akutstadium nicht erkannt und nicht behandelt worden. Die heute bestehenden Gesundheitsstörungen seien ein Restschaden dieser ADEM-Erkrankung. Die ADEM sei mit hoher Wahrscheinlichkeit eine direkte Folge der Impfung mit MMR-Impfstoff. Als impfbedingte dauerhafte Gesundheitsstörung sieht der Gutachter eine Intelligenzminderung des Klägers und Störung der Sprachentwicklung an und schätzt die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 60% ein.

In der versorgungsärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage des Beklagten vom 08.11.2007 wird darauf hingewiesen, dass der Gutachter zutreffend darauf hingewiesen habe, dass eine ADEM nach einer Impfung in der Regel innerhalb von ein bis vier Wochen beginne. Der Beklagte stellt jedoch fest, dass bei der Vorstellung am 28.12.2000 sich nur die Angabe einer Windeldermatitis, aber keiner weitergehenden Beschwerden finde. Dies spreche gegen eine cerebrale Symptomatik in den ersten Wochen. Ein nächtliches Erbrechen könne dagegen ein Hinweis auf ein Hirnödem sein, sei aber erst am 19.01.2001 dokumentiert worden. Eventuell lasse sich durch eine genaue Befragung der Eltern klären, wann das nächtliche Erbrechen tatsächlich begonnen habe. Des Weiteren wird nochmals darauf hingewiesen, dass eventuell eine bildgebende Untersuchung des Gehirns weitere Erkenntnisse ergeben könnte.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 06.12.2007 wurde der Gutachter Herr Dr. H. zur ergänzenden Stellungnahme aufgefordert. Es wurde darauf hingewiesen, dass nach ständiger Rechtssprechung des Bundessozialgerichts zur Bejahung eines Anspruchs auf Impfschadensversorgung die Impfung als schädigende Einwirkung, der Impfschaden – das ist ein über die übliche Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden – und die Schädigungsfolge (Dauerleiden) nachgewiesen sein müsse, und nicht nur wahrscheinlich sein dürfe, dass heißt sie müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Es wurde in dem Schreiben konkret gefragt, ob die Gesundheitsstörung, hier ADEM, innerhalb der einschlägigen Inkubationszeit nach der MMR-Impfung vom 06.11.2000 als gesichert anzunehmen sei, wobei dies zu bejahen sei, wenn ihr Auftreten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu bejahen sei.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20.02.2008 äußerte sich der Gutachter zunächst nochmals zum Krankheitsverlauf und der Wahrscheinlichkeit der Diagnose einer akuten disseminierten Enzephalo-Myelitis (ADEM). Das Krankheitsgeschehen habe nach Schilderung der Eltern etwa eine Woche nach der MMR-Impfung begonnen. Der Beginn der Symptomatik mit einer Verhaltensänderung (Schlafstörungen, nächtlichem Erbrechen) habe nicht zur sofortigen Diagnose einer ADEM geführt. Solche Verläufe der Erkrankungen seien keine Seltenheit. Je nach Ausmaß und Lokalisation der entzündlichen Herde im Gehirn sei die Symptomatik leider nicht wegweisend. Es komme zu variierenden Verläufen von initial schwersten Krampfanfällen bis hin zu schleichend beginnenden psychischen Verhaltensauffälligkeiten (sogenannte "limbische Enzephalitis"). Folge man den Angaben der Eltern, so liege ein völlig plausibles Zeitintervall zwischen der Impfung und dem Beginn der Erkrankung vor. Die Angaben der Eltern zum Verlauf der Erkrankung würden durch die Eintragung in den Unterlagen des Kinderarztes bestätigt, der am 19.01.2001 notiert habe: "War seit MMR dauernd krank, erzählt nachts". Die nichtgestellte Diagnose am Anfang der Erkrankung habe es auch unmöglich gemacht, eine hoch dosierte Therapie mit Cortison einzuleiten. Bei dem Kläger liege für eine impfassoziierte ADEM also ein plausibles Zeitintervall vor und andere Ursachen für die Hirnschädigung könnten nicht festgestellt werden. Gerade ADEM-Fälle wie der des Klägers, seien besonders tückisch, da durch die unspezifische, anfängliche Symptomatik deren Diagnose nicht oder zu spät gestellt werde und durch Unterbleiben einer antientzündlichen Therapie die Wahrscheinlichkeit für Dauerschäden steige. Der Gutachter schreibt, dass zusammenfassend nach seiner Ansicht bei dem Kläger "mit hoher Wahrscheinlichkeit eine durch die MMR-Impfung ausgelöste ADEM mit Folgeschaden" vorliege. Anschließend erklärt der Gutachter, dass man bei Hirnschäden durch ADEM meist nur den Endzustand eines nicht normal entwickelten Gehirns mit z.B. erweiterten Liquorräumen im bildgebenden Verfahren erkennen könne. Einen echten Rückschluss auf die Ursache des Defekts könne bei einer solchen frühen ADEM das aktuelle Kernspintomogramm demnach nicht leisten.

Mit richterlichem Schreiben vom 09.05.2008 wurden die Beteiligten auf die ergänzende Stellungnahme des Dr. H. vom 20.02.2008 hingewiesen, in dem dieser ausführte, dass beim Kläger "mit hoher Wahrscheinlichkeit eine durch die MMR-Impfung ausgelöste ADEM mit Folgeschaden" vorliege. Dem Klägerbevollmächtigten wurde Frist zur Stellung eines Antrags nach § 109 SGG bis zum 17.06.2008 gestellt. Mit Schriftsatz vom 15.05.2008 bzw. 28.05.2008 regte der Klägerbevollmächtigte eine nochmalige Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des Dr. H. an bzw. beantragte höchstvorsorglich, den Sachverständigen zum Termin zu laden, damit er sein Gutachten erläutern könne.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 17.06.2008 schilderte die Mutter des Klägers nochmals, dass es ca. eine Woche nach der angeschuldigten Impfung zu nächtlichem Erbrechen, dieses oft mehrmals nachts, gekommen sei. Der telefonisch befragte Kinderarzt, Herr Dr. S., habe geäußert, dass dieses Erbrechen nicht bedenklich sei, so lange der Kläger wieder Nahrung zu sich nehme. Das Erbrechen habe erst mit einer Nosode-Ausleitung ca. 2 Jahr nach der Impfung aufgehört. Die Mutter des Klägers betonte nochmals die unauffällige, altersgerechte Entwicklung des Klägers vor der Impfung, der Kläger sei sogar seinem Alter voraus gewesen, und die nach der Impfung beginnenden Gesundheitsstörungen. Der Klägerbevollmächtigte erklärte, dass ein Antrag gemäß § 109 SGG nicht gestellt werde.

Der Klägerbevollmächtigte beantragt, den Beklagten zu verurteilen unter Aufhebung des Bescheides vom 16.08.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2005 bei dem Kläger einen Impfschaden anzuerkennen und entsprechende Beschädigtenversorgung ab Antragstellung zu gewähren.

Der Beklagtenvertreter beantragt, die Klage als unbegründet abzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet.

Der Beklagte hat zu Recht mit Bescheid vom 16.08.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2005 den Antrag des Klägers auf Beschädigtenversorgung nach dem Infektionsschutzgesetz abgelehnt.

Gemäß § 60 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) erhält derjenige, der durch eine Impfung, die unter anderem öffentlich empfohlen war, einen Impfschaden erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen des Impfschadens auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Anspruchsvoraussetzung ist, dass die Impfung als schädigende Einwirkung, der Impfschaden – das ist ein über die übliche Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden – und die Schädigungsfolge (Dauerleiden), nachgewiesen sind, und nicht nur wahrscheinlich sind (vgl. BSG, Urteil vom 19.03.1986, 9 a RVi 2/84 und Urteil vom 26.06.1985, 9 a RVi 3/83, sowie Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts zur Frage des Nachweises eines Impfschadens im Zusammenhang mit der Erkrankung ADEM vom 15.04.2008, Az. L 15 VJ 5/05). Der Kausalzusammenhang zwischen der Impfung und dem Impfschaden bzw. dem Impfschaden und der Schädigungsfolge muss wahrscheinlich sein. Wahrscheinlich in diesem Sinne ist die Kausalität dann, wenn wenigstens mehr für als gegen sie spricht, dass heißt die für den Zusammenhang sprechenden Umstände mindestens deutlich überwiegen.

Zwar ist vorliegend die Impfung als schädigende Einwirkung durch Eintrag der angeschuldigten Impfung am 06.11.2000 im Impfbuch nachgewiesen. Dort ist – anders als vom Gutachter ausgeführt – auch die Angabe des Impfstoffs Priorix und der Chargennummer 690070PD enthalten. Der Nachweis eines in Folge dieser Impfung eingetretenen Impfschadens, also eines über die übliche Impfreaktion hinausgehenden Gesundheitsschadens, ist nach Überzeugung des Gerichts unter Würdigung der gesamten vorliegenden medizinischen Unterlagen, der Angaben der Eltern des Klägers und des eingeholten Gutachtens jedoch nicht erbracht. Der Nachweis ist dann erbracht, wenn das Gericht aufgrund der getroffenen Tatsachenfeststellungen und dem Ergebnis der eingeholten Sachverständigengutachten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von seinem Vorliegen überzeugt ist, vgl. BSG Urteil vom 19.03.1986, Az. 9a RVi 2/84, mwN. Ein Impfschaden ist nach ständiger Rechtssprechung des Bundessozialgerichts, vgl. BSG, 26.06.1985, Az.: 9 a RVi 3/83, dabei nur ein solcher Gesundheitsschaden, der über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinaus geht. Damit war schon vor Einführung der Legaldefinition in das Bundesseuchengesetz im Jahre 1971 und deren Übernahme in § 2 Nr. 11 IfSG im Jahre 2001 nach der Rechtssprechung klargestellt, dass nicht jede das Wohlbefinden beeinträchtigende Impfreaktion in den Schutzbereich des Versorgungsrechts einbezogen ist, sondern nur der über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehende Gesundheitsschaden. Das Bundessozialgericht führt weiter aus, dass dies nichts anderes sei, als der klassische Aufopferungsanspruch des Impfgeschädigten. Vom Betroffenen werde lediglich verlangt, die natürlicherweise und allgemein mit der Impfung verbundenen Nachteile hinzunehmen, keinesfalls aber das Aufsichnehmen erheblicher, gesundheitlicher Schädigungen.

An dem Nachweis einer solchen unüblichen Impfreaktion mangelt es vorliegend. Sowohl unter Berücksichtigung der von den Eltern wiederholt geschilderten, aufgetretenen Gesundheitsbeeinträchtigungen nach Impfung des Klägers als auch unter Würdigung der Ausführungen im Sachverständigengutachten des Herrn Dr. H., liegt zur Überzeugung des Gerichts eine solche unübliche Impfreaktion nicht mit der zu fordernden an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit vor. Im Wesentlichen haben die Eltern des Klägers sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im Klageverfahren von einer eine Woche nach der angeschuldigten Masern-Mumps-Röteln-Impfung am 06.11.2000 beginnenden Erkrankung ihres Sohnes berichtet. Wie auch im Gutachten des Herrn Dr. H. zusammengefasst, kam es danach zu Fieber zwischen 38,5 und 39,0 Grad, Schlafstörungen, nächtlichem Erbrechen, auffälligem Jammern und einer gesteigerten Infektanfälligkeit. Die Symptome dauerten über mehrere Wochen an. Der Kläger habe nicht mehr die vor der Impfung gesprochenen Worte benutzt. In der mündlichen Verhandlung führte die Mutter des Klägers nochmals aus, dass es zu anhaltendem nächtlichen Erbrechen, oft mehrfach in der Nacht, gekommen sei. In Telefonanrufen beim behandelnden Kinderarzt, Herrn Dr. S., sei seinerseits das Erbrechen für unbedenklich gehalten worden, so lange der Kläger wieder Nahrung zu sich nehme. Im Gutachten des Herrn Dr. H. werden die dargestellten Symptome sowie sämtliche vor und nach der Impfung erhobenen Krankenunterlagen ausführlich gewürdigt. Dabei wird insbesondere auch auf den Befundbericht und die Krankenunterlagen des zur Zeit der angeschuldigten Impfung am 06.11.2000 behandelnden Kinderarztes, Herrn Dr. S., eingegangen, insbesondere seine am 19.01.2001 auf der Karteikarte notierte Bemerkung, "war seit MMR dauernd krank, erzählt nachts." Der Gutachter geht von einem Entwicklungsknick bei dem Kläger nach der angeschuldigten Impfung aus und setzt sich des Weiteren intensiv mit der Problematik auseinander, dass die klinische Symptomatik bei der von ihm diskutierten akuten disseminierten Encephalo-Myelitis (ADEM) variabel sei, und verweist hierzu auch auf die in den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit 2004, Stand Juni 2005, enthaltenen Anmerkungen zur "blanden Encephalopathie." Unter Bezugnahme auf die in den Anhaltspunkten 2004 aufgeführten Kriterien zur Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs sowie der von der Weltgesundheitsorganisation WHO veröffentlichten Kriterien zur Kausalitätsbewertung kommt der Gutachter zu dem Schluss, dass die bei dem Kläger im Anschluss an die MMR-Impfung aufgetretene Erkrankung mit großer Wahrscheinlichkeit eine ADEM sei. Das zeitliche Intervall zwischen der Impfung und dem klinischen Beginn der ADEM sei als plausibel zu betrachten, andere mögliche Auslöser für die Erkrankung (Infektionen) seien nicht gefunden worden. In Beantwortung der Beweisfragen des Gerichts, führt der Gutachter aus, dass es beim Kläger in der Folge der MMR-Impfung mit Wahrscheinlichkeit zu einer ADEM gekommen sei. Diese Erkrankung sei im Akutstadium nicht erkannt und nicht behandelt worden. Die heute bestehenden Gesundheitsstörungen seien ein Restschaden dieser ADEM-Erkrankung.

Auf richterliche Nachfrage vom 06.12.2007, ob die Gesundheitsstörung, hier ADEM, innerhalb der einschlägigen Inkubationszeit nach der MMR-Impfung vom 06.11.2000 als gesichert anzunehmen sei – wobei dies zu bejahen wäre, wenn ihr Auftreten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu bejahen ist - antwortete der Gutachter mit ergänzender Stellungnahme zum 20.02.2008. Darin beschreibt der Sachverständige nochmals die Schwierigkeiten der Diagnosestellung einer ADEM wegen oft unspezifischer anfänglicher Symptomatik. Er führt aus, dass beim Kläger für eine impfassoziierte ADEM ein plausibles Zeitintervall vorläge und andere Ursachen für die Hirnschädigung nicht festgestellt werden konnten. Zusammenfassend liege nach seiner Ansicht beim Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit eine durch die MMR-Impfung ausgelöste ADEM mit Folgeschaden vor.

Damit wird im Ergebnis auch vom Gerichtsgutachter, Herrn Dr. H., das Vorliegen einer Impfkrankheit in Form einer ADEM lediglich mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen. Nachdem auch der Gerichtsgutachter somit nicht davon ausgeht, dass diese Impfkrankheit als gesichert anzunehmen ist, fehlt es nach Überzeugung des Gerichts an dem Nachweis einer über das übliche Maß hinausgehenden Impfreaktion. Auch die Rechtssprechung hat sich in einem weiteren Urteil vom 19.03.1986, vgl. BSG, Az.: 9 a RVi 4/84, eingehend mit der Problematik von Impffolgen auseinandergesetzt, die nicht deutlich als ungewöhnliche Impfreaktionen in Erscheinung treten. Es hat zunächst betont, dass ein Impfschaden als Mittelglied erwiesen sein muss. Sodann führt das BSG für eine Fallkonstellation von außerhalb der bisher anerkannten Inkubationszeit auftretenden Krankheitserscheinungen Folgendes aus: Es sei rechtlich nicht ausgeschlossen, eine seit einiger Zeit nach der Impfung mit Gewissheit bestehende Gesundheitsstörung als wahrscheinliche Impffolge auch dann zu beurteilen, wenn eine gesundheitliche Schädigung, aus der sie sich wahrscheinlich entwickelt hat und die ihrerseits eine wahrscheinliche Impffolge sein muss, nicht deutlich als solche ungewöhnliche Impfreaktion in Erscheinung trat; sie würde dann unterstellt. Das Bundessozialgericht führt jedoch aus, dass der ursächliche Zusammenhang zwischen Impfung und verbleibenden Gesundheitsschäden in einem solchen Fall als medizinische Erfahrung entsprechend zu bewerten sein müsste, für eine solche Erfahrung müssten dann besonders einleuchtende Umstände sprechen, die mindestens ein gleiches Gewicht haben, wie diejenigen, die den Ursachenzusammenhang wegen des Auftretens eines Impfschadens innerhalb einer begrenzten Inkubationszeit wahrscheinlich erscheinen lassen. Dennoch sei auch in dieser Fallkonstellation nicht davon abzuweichen, dass die anspruchsbegründenden Tatsachen erwiesen oder nach gesetzlicher Vorschrift wahrscheinlich sein müssten, da es im Impfschadensrecht keine Beweislastumkehr gebe.

Anders als im vorliegenden Fall hatte der Sachverständige in dem der Entscheidung des Bundessozialgerichts zugrundeliegenden Fall erstmalig Krankheitszeichen nach Ablauf der allgemein anerkannten Inkubationszeit als ausreichende Brückensymptome gewertet. Demgegenüber kommt vorliegend der Gerichtsgutachter auch in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20.02.2008 lediglich zu dem Ergebnis, die Impfkrankheit ADEM könne mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Damit geht der Gutachter selbst – auch auf richterliche Nachfrage vom 06.12.2007 - nicht vom Nachweis einer Impfkrankheit aus. Es ist damit nach richterlicher Überzeugung eine solche Impfkrankheit vorliegend nicht nachgewiesen. Für den Gutachter selbst ist der von ihm beim Kläger angenommene deutliche Entwicklungsknick im zeitlichen Anschluss an die angeschuldigte Impfung dafür nicht ausreichend, da selbst bei Annahme eines solchen Entwicklungsknicks er letztlich – wie bereits ausgeführt – lediglich von einer mit hoher Wahrscheinlichkeit abgelaufenen ADEM ausgeht.

Nachdem vorliegend somit bereits die Anforderungen an den Nachweis der anspruchsbegründenden Tatsache einer unüblichen Impfreaktion nicht erfüllt sind, erübrigt es sich, einen Kausalzusammenhang mit einer etwaigen Schädigungsfolge (Dauerleiden) zu prüfen, vgl. BSG Urteil vom 19.03.1986, Az. 9a RVi 2/84. Die Klage auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Infektionsschutzgesetz war deshalb als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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