Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
33
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 33 VJ 1/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Beklagte wird verurteilt unter Aufhebung des Bescheides vom 03.02.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2004 bei der Klägerin die Gesundheitsstörung "Hörschaden beidseits in Form einer Taubheit ohne Hörreste rechts und einer Taubheit mit gut verwertbaren Hörresten links sowie eine periphere und zentrale Gleichgewichtsstörung" unter Feststellung eines Grades der Schädigungsfolgen von 90 als Impf-schaden nach dem Infektionsschutzgesetz anzuerkennen und entspre-chende Beschädigtenversorgung ab dem 01.03.2003 zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechts-streits der Klägerin.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Beschädigtenversorgung nach dem Infektionsschutzgesetz.
Die 1955 geborene Klägerin schuldigte mit Antrag auf Beschädigtenversorgung vom 10.03.2003 die bei ihr am 28.05.1956 durchgeführte Pockenschutz- Erstimpfung an und machte als Gesundheitsstörung ihren Hörschaden auf beiden Ohren geltend. Sie legte den Impfschein vom 04.06.1956 vor und schilderte, dass von ihrer Mutter nach dieser Kontrolle beim Arzt starke Benommenheit, Fieber und extreme Schwellung und Rötung vom Oberarm wahrgenommen worden sei.
Im Verwaltungsverfahren wurde ein ärztliches Zeugnis über die Befreiung von der Pockenschutzimpfung vom 08. Juni 1967 vorgelegt. Darin wird unter Bezugnahme auf die amtliche Liste zur Erst- bzw. Wiederimpfung des Impfbezirks Dillingen an der Donau bes-tätigt, dass bei der Klägerin wegen Impfschaden die gesetzliche Pockenschutzwiederimpfung unterbleiben dürfe.
Weiter wurden im Verwaltungsverfahren von der Poliklinik für HNO der Uni München ärztliche Unterlagen des Dr. V., K., aus dem Jahre 1960 und 1961 vorgelegt. Danach hatte die Hörprüfung ergeben, dass einige Hörreste vorhanden sein müssten. Eine exakte Prüfung sei bei dem Kind nicht möglich gewesen. Die Labyrinthe seien kalorisch erregbar. Die Röntgenaufnahmen nach Schüller hätten rechts eine Pneumatisationshemmung er-geben. Neurologisch habe sich kein pathologischer Befund ergeben, auch die augenärztliche und kinderärztliche Untersuchung habe nichts Krankhaftes ergeben. Bei der Beobachtung gewinne man den Eindruck, dass links das Hörvermögen besser sei. In der Bestätigung vom 25.01.1961 wird ausgeführt, dass die Einschulung in eine normale Schule zwecklos sein werde.
Im Fragebogen der Taubstummenanstalt Dillingen-Donau vom 03.09.1961 ist eine heftige Impfreaktion auf Pockenschutzimpfung festgehalten. Eine Feststellung der Taubheit habe durch einen Facharzt im Frühjahr 1958 stattgefunden. Es bestehe rechts fast völlige Taubheit, links sei ein guter Gehörrest vorhanden. Das Kind habe zur normalen Zeit die ersten Laute gesprochen.
Im HNO-ärztlichen Gutachten des Beklagten vom 15.10.2003 wurde eine Taubheit des rechten Ohres und eine hochgradige, an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit des linken Ohres mit Sprachstörungen festgestellt. Die Sprachstörung könne nicht als hochgradig bezeichnet werden, da Wortschatz und Wortwahl in Relation zum Schwerhörigkeitsgrad gut seien. Es wird auf eine ärztliche Bestätigung des behandelnden Hausarztes Dr. F.vom 14.09.1974, enthalten in der Schwerbehindertenakte auf Bl. 5, verwiesen, nach der eine Rötelninfektion der Mutter in der Schwangerschaft angegeben wurde. Weiter wird in dem Gutachten darauf hingewiesen, dass der Zeitpunkt der ersten Impfungen mit der Epoche zusammen falle, in der Eltern gewöhnlich eine Schwerhörigkeit oder Taubheit ihres Kin-des erstmals bemerkten. Die Angaben zur Krankheit nach der angeschuldigten Impfung könnten nicht als Hinweis auf eine ernste Impfkomplikation gewertet werden.
In der weiteren HNO-ärztlichen Stellungnahme des Dr. N. vom 08.12.2003 wird darauf hingewiesen, dass bei der Pockenschutzimpfung Innenohrschäden im Rahmen der Impfencephalitis auftreten könnten und zwar nach den Untersuchungen von Ehrengut und Mitarbeiter aus dem Jahre 1972 in 1,2 % aller Encephalitisfälle. Bei der Revakzination sei ein Gehörschaden außerordentlich unwahrscheinlich. Es seien Einzelbeobachtungen über Gehör- und Vestibularisschäden nach Pockenschutzimpfung bzw. Revakzination ohne Impfencephalitis verschiedentlich beobachtet worden, würden aber von anderen Autoren stark angezweifelt.
Mit Bescheid vom 03.02.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2004 wurde eine Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz abgelehnt. Ein ursächlicher Zusammenhang der vorliegenden Hörstörung beidseits mit der Pockenschutzimpfung sei nicht wahrscheinlich zu machen. Es fehlten jegliche Brückensymptome, die von der Mut-ter gemachten Wahrnehmungen nach der Pockenschutzimpfung könnten nicht als ernste Impfkomplikationen gewertet werden. Eine Impfencephalitis sei nicht nachgewiesen. Bezüglich der Angabe der Klägerin in ihrer Widerspruchsbegründung vom 17.05.2004, dass die Angabe einer Rötelnerkrankung im Schwerbehindertenverfahren auf Anraten des VDK erfolgte, bezog sich der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 13.07.2004 darauf, dass noch im Jahre 1992 anlässlich einer Klageerhebung eine Hörschädigung aufgrund einer Rötelnerkrankung der Mutter geltend gemacht worden sei.
Im Klageverfahren wurde vom Landratsamt Dillingen eine Liste zur Pockenschutzwiederimpfung aus dem Jahre 1967, betreffend die Taubstummenanstalt, übersandt.
In dem seitens des Gerichts gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholten HNO-fachärztlichen Gutachten vom 20.02.2007 wird von der Gutachterin Frau Prof. S. zunächst die mit der Klägerin und ihrer jüngeren Schwester erhobene Anamnese dargestellt. Eine Rötelnerkrankung in der Schwangerschaft habe die Mutter nicht durchgemacht. Im dritten Lebensjahr sei die Klägerin in den Kindergarten gekommen, wo sie einigermaßen zu-rechtgekommen sei, möglicherweise auch, weil ihre Schwester und ein gehörloses Kind dabei gewesen seien. In der Gehörlosenschule (Taubstummenanstalt) in Dillingen, die sie von 1961 bis 1971 besucht habe, habe sie von den Lippen ablesen und besser sprechen gelernt. Ein 1962 angepasstes Taschenhörgerät habe sie nur 2 Jahre getragen, ab 1974 habe man ihr immer wieder neue Hörgeräte am linken Ohr angepasst. An Beschwerden äußerte die Klägerin Taubheit rechts und eine hochgradige Schwerhörigkeit links, kein Anhalt für einen Tinnitus, Schwindel habe sie nur ab und zu, wenn der Blutdruck sehr niedrig sei oder bei Föhn. Bezüglich der vorliegenden Akten nimmt die Gutachterin unter anderem Bezug auf ein von ihr erstelltes Gutachten vom 14.02.1988, Bl. 26 Verfahrenshandakte des Beklagten. Darin wurde von ihr eine Innenohrschwerhörigkeit beidseits mit aufgehobenem Sprachgehör rechts und mit an Taubheit grenzender Herabminderung des Sprachgehörs links, eine Sprachstörung in Form einer schleppenden kloßigen Sprechweise sowie eine periphervestibuläre Störung bzw. eine zentral vestibuläre Störung diagnostiziert und die Gesamt- MdE auf 80% geschätzt.
Die Gutachterin zitiert die auf ihre Anfrage vorgelegten schriftlichen Angaben der Mutter der Klägerin wie folgt:
"5 bis 6 Tage nach der Impfung sei es zu einer starken rötlichen Schwellung im Impfbereich gekommen, die sich über längere Zeit gehalten habe. Am 9. Tag nach der Impfung sei starkes Fieber aufgetreten mit Werten über 40° C über ungefähr 5 Tage. Während dieser Zeit sei die Tochter apathisch gewesen, nicht mehr ansprechbar und habe gekrampft.
In den ersten 8 Monaten habe die Tochter auf Zurufe und Geräusche bei Zuwendung normal reagiert, und die Worte Mama, Papa und Wauwau gesprochen. Später habe sie nicht mehr auf Ansprechen reagiert und es sei nur eine Reaktion festgestellt worden, wenn Blickkontakt bestanden habe. Im folgenden Zeitraum seien von der ganzen Familie, auch von den Großeltern, weitere Probleme in Bezug auf Verständigung festgestellt worden und die Tochter sei im Alter von 3 Jahren einem Ohrenarzt zugeführt worden, der dann eine Taubheit festgestellt habe."
Bezüglich der von ihr veranlassten weiteren Untersuchungen eines hochauflösenden Volumen- Computertomogramms der Felsenbeine stellt die Gutachterin keinen Hinweis auf eine Sklerosierung der Cochlea fest. Eine Magnetresonanztomographie habe keinen Hinweis auf eine stattgehabte frühkindliche Encephalitis ergeben.
Aufgrund der ambulanten Untersuchung stellte die Gutachterin einen Hörschaden beidseits in Form einer Taubheit ohne Hörreste rechts und einer Taubheit mit gut verwertbaren Hörresten links sowie eine periphere und zentrale Gleichgewichtsstörung fest und be-fürwortete hierfür unabhängig von der Kausalitätsfrage eine Minderung der Erwerbsfähig-keit von 80%.
Bezüglich der Frage des Vorliegens eines Impfschadens führt die Gutachterin aus, dass nach den Schilderungen der Mutter von einer über das übliche Maß hinausgehenden Impfreaktion auszugehen sei. Bezüglich der Frage, ob die bestehende Schwerhörigkeit auf die Impfung zurückzuführen sei, nennt sie als Argumente dafür, dass die Möglichkeit einer Vakzinationsschädigung des Hörorgans in der Fachliteratur eindeutig bejaht werde. Besonders häufig sei das Auftreten von Schwerhörigkeit oder Taubheit, wenn nach der Pockenschutzimpfung eine Encephalitis entstanden sei. Die meisten der postvakzinal Er-taubten hätten eine Encephalitis oder Meningitis durchgemacht. Es seien jedoch auch Fälle einer postvakzinalen Neuritis ohne vorausgegangene Impfencephalopathie bekannt.
Die Gutachterin fasst weiter zusammen, dass zur Anerkennung einer Schwerhörigkeit nach Pockenschutzimpfung akute Allgemeinerscheinungen postvakzinal gefordert würden, wie Fieber, Krampfanfälle oder besser sichere meningocerebrale Symptome, die zwischen dem 1. und 35. Tag, besser zwischen dem 4. und 18. Tag liegen sollten. Die Erkrankung nach Angaben der Mutter sei am 9. Tag nach der Impfung aufgetreten. Auch habe die Klägerin vor der angeschuldigten Impfung nach Angabe der Mutter einzelne Worte gebraucht. Es habe jedoch nicht eruiert werden können, ob das Kind in zeitlicher Relation zur Impfung die Sprache verloren habe, also das Kind verstummt sei, was als sicheres Zeichen hätte gewertet werden können. Die Gutachterin nannte als Argumente, die nach ihrer Ansicht mit einer Hörschädigung nach Pockenschutzimpfung nicht vereinbar seien, den fehlenden Beweis einer Encephalitis oder Meningitis. Auch bei einer postvakzinalen Neuritis sei nicht nur das Hörorgan alleine betroffen, sondern eine erhebliche Untererregbarkeit der peripheren Gleichgewichtsapparate, die in etwa zum Ausmaß der Schwerhörigkeit passe. Außerdem komme es bei einer toxischen Innenohrschwerhörigkeit nicht zu einer Progredienz der Schwerhörigkeit. Die Gutachterin legte dar, dass seit 1988 sich das Hörvermögen auf der linken Seite weiter verschlechtert habe, nunmehr liege auch links eine Taubheit mit verwertbaren Hörresten vor. Die gute Sprache der Klägerin spreche auch dafür, dass sie einmal besser gehört habe und nicht von Anfang an vollständig taub gewesen sei. Des Weiteren verwies sie auf die Ergebnisse des Volumen-Computertomogramms und der Magnetresonanztomographie.
Im Ergebnis sprach sich die Gutachterin gegen das Vorliegen eines Impfschadens aus und sah auch keinen Raum für eine Kannversorgung, da in der medizinischen Wissen-schaft keine Ungewissheit bei der Entstehung eines Impfschadens in Form einer Schwer-hörigkeit oder Taubheit bestehe.
In der mündlichen Verhandlung vom 16.05.2007 gab die Klägerin an, dass ihr Hörvermögen auf dem linken Ohr über die ganzen Jahre unverändert gewesen sei und lediglich durch die Verbesserung im Bereich der Hörgerätetechnik sich auch für sie leichte Verbesserungen beim Hören links ergeben hätten. Sie habe über Hilfsmittel in Form von Blinkanlagen für Telefon und Klingel seit Bezug einer eigenen Wohnung ca. 1978 verfügt. Die Mutter der Klägerin schilderte in der mündlichen Verhandlung, dass vor der Impfung nor-male Laute (Mama, Papa) gebildet worden seien, man im Zeitraum nach der Impfung durch Provozieren mit Wecker, Klopfen auf den Tisch das fehlende Hörvermögen festgestellt habe und schließlich im Frühjahr 1958 zum Ohrenarzt Dr. W. gegangen sei. Medizinische Unterlagen hatte die Schwester der Klägerin dort vergeblich versucht beizuziehen. Es erging Vertagungsbeschluss.
Die gerichtliche Beiziehung weiterer Krankenunterlagen blieb erfolglos. Das Gericht holte eine ergänzende Stellungnahme der Frau Prof. S. unter Hinweis auf die fragliche Progredienz der Hörschädigung ein. Die Gutachterin sprach sich in ihrer Stellungnahme vom 14.11.2007 weiter gegen das Vorliegen eines Impfschadens aus und bezog sich auf die ohrenfachärztlichen Untersuchungen, nach denen ihrer Ansicht nach auf der linken Seite die Innenohrschwerhörigkeit progredient sei. Sie nahm hierbei nochmals Bezug auf ihre Begutachtung aus dem Jahre 1988 und legte dar, dass im Jahre 1972 auf der linken Seite eine mittelgradige Schwerhörigkeit bestanden habe, während sie jetzt als an Taubheit grenzend anzusehen sei.
Mit Schriftsatz vom 31.01.2008 verwies die Prozessbevollmächtigte der Klägerin noch-mals auf die Angaben der Mutter zu der Erkrankung nach der Impfung am 28.05.1956 wie sie die Gerichtsgutachterin in ihrem Gutachten geschildert hatte. Danach lägen als Ge-sundheitsstörungen vor: Apathie, hohes Fieber, extreme Schwellung und Rötung des O-berarms im Impfbereich und Krämpfe. Bezüglich der von der Gutachterin angeführten feh-lenden Untererregbarkeit der peripheren Gleichgewichtsapparate verwies die Prozessbevollmächtigte auf das Gutachten vom 14.02.1988, in dem eine peripher vestibuläre Stö-rung in Form einer Untererregbarkeit links bestätigt werde. Im Übrigen habe die Mutter der Klägerin in der Schwangerschaft keine Rötelninfektion durchgemacht und sei die Taubheit der Klägerin nicht progredient verlaufen. Die Hörstörung habe auch nach der Pockenschutzimpfung eingesetzt.
In der Beweisanordnung vom 15.07.2008 fasste das Gericht nochmals den Sachverhalt zusammen und beauftragte gemäß § 106 SGG Herrn Dr. H. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens nach Aktenlage.
In seinem Gutachten vom 28.01.2009 fasste der Gutachter die chronologische Darstellung der relevanten Krankengeschichte dahingehend zusammen, dass die körperliche und geistige Entwicklung in den ersten Lebensmonaten ohne besondere Vorkommnisse verlaufen sei, auch das Hörvermögen habe sich zunächst ohne Auffälligkeiten entwickelt, die Klägerin habe normal auf Geräusche reagiert und auch erste Worte wie Mama, Papa und Wauwau zu sprechen begonnen. Er nahm sodann Bezug auf die im Gutachten von Frau Prof. S. wiedergegebenen schriftlichen Angaben der Mutter der Klägerin, wonach es am 5. bis 6. Tag nach der Impfung zu einer starken Schwellung und Rötung an der Impfstelle gekommen sei und nochmals 3 Tage später, also 9 Tage nach der Impfung sich bei der Klägerin plötzlich hohes Fieber, das über mehrere Tage hinweg anhielt, entwickelt habe. Das Fieber sei teilweise über 40° C gegangen und es seien Krampfanfälle aufgetreten. Die Klägerin sei zu dieser Zeit völlig apathisch und nicht ansprechbar gewesen. Nach dieser akuten Impfreaktion sei der Mutter der Klägerin immer deutlicher aufgefallen, dass sich das Hörvermögen ihres Kindes verändert habe. Er nahm Bezug auf die im Gutachten von Frau Prof. S. festgestellte Taubheit mit Hörresten links sowie Störung des Gleichgewichtssinnes.
Bezüglich der Pockenimpfung führte der Gutachter sodann aus, dass ein in die Haut gespritzter Lebendimpfstoff aus sogenannten Vaccinia-Viren bis Mitte der Siebziger Jahre in Deutschland angewandt worden sei. Schwere Fälle von Erkrankungen des zentralen Nervensystems als Komplikation nach Pockenschutzimpfung seien schon seit sehr langer Zeit beobachtet und beschrieben worden. Gerade Kinder in den ersten beiden Lebensjah-ren hätten Erkrankungsraten von einem solchen Komplikationsfall auf 25.000 Geimpfte gezeigt. Zu den Folgen dieser Impfkomplikation hätten auch die Fälle von Schwerhörigkeit und Taubheit gehört, die hinreichend in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben sei-en und auch als Impfschäden anerkannt worden seien. Letztlich sei die Ursache dieser Hörschäden eine durch die Impfung bedingte, immunologisch vermittelte entzündliche Schädigung des Gehirns (Encephalitis) oder des Hörnervs (Neuritis). Solche immunolo-gisch vermittelten Impfkomplikationen seien auch nach anderen Impfungen bekannt und hinreichend in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben, wobei die Encephalitis nach Pockenimpfung noch immer als Prototyp dieser Erkrankung gelte. Das klinische Bild der Erkrankung sei äußerst variabel. In typischen Fällen trete auf der Höhe des impfbedingten Fiebers nach etwa 6 bis 10 Tagen ein schweres Krankheitsbild mit Krampfanfällen und Bewusstseinsstörungen auf. Dazu kämen oft fokale Zeichen wie Hemiparesen oder A-phasien. Ein solches Krankheitsbild habe auch bei der Klägerin vorgelegen. Nach heftiger Lokalreaktion sei am 9. Tag nach der Pockenimpfung hohes Fieber mit Krampfanfällen und einer völligen Apathie aufgetreten. Diese Schilderung sei durchaus typisch für das Vorliegen einer Encephalitis, die zwar nicht direkt zur Einweisung in die Klinik geführt ha-be, aber trotzdem an der Diagnose keinen Zweifel aufkommen lasse. Im Übrigen seien auch weitaus weniger dramatische initiale klinische Verläufe beobachtet worden, mit Ver-haltensauffälligkeiten wie z.B. Apathie, abnorme Schläfrigkeit, Nahrungsverweigerung, Erbrechen. Die klinischen Anzeichen hätten bei der Klägerin auch eindeutig im typischen Abstand zur Impfung bestanden.
Die Methode der Computer- bzw. Kernspintomographie habe zum Zeitpunkt der Erkrankung im Jahre 1956 noch nicht zur Verfügung gestanden, allerdings dürften diese bildgebenden Verfahren von ihrer Wertigkeit für die Diagnose auch nicht überschätzt werden. Eine Encephalitis in der Kindheit gehe keinesfalls immer mit einem erkennbaren Korrelat einher. Das Fehlen von solchen erkennbaren Abnormitäten in den Bildern spreche des-halb keineswegs gegen einen kausalen Zusammenhang zwischen der Pockenimpfung und der Hörschädigung der Klägerin. Der Gutachter führte weiter aus, dass postvakzinale Encephalitiden nach der Pockenimpfung eine so häufige und schwerwiegende Komplika-tion gewesen seien, dass die Zuordnung als Impfkomplikation nicht in Frage gestellt wer-den konnte. Sehr viel schwieriger zu beantworten sei die Frage nach der Disposition. Die komplexen Wechselwirkungen zwischen genetischen Dispositionen und exogenen Umweltfaktoren, die zur phenotypischen Ausbildung einer Erkrankung führten, bedürften wei-terer wissenschaftlicher Aufklärung. Bezüglich der Klägerin wies der Gutachter auf eine weitere schwere Impfkomplikation bei dem Bruder der Klägerin hin, was auf eine familiäre Disposition für solche immunologischen Impfkomplikationen hindeute.
In kritischer Würdigung des Gutachtens der Frau Prof. S. führte der Gutachter Dr. H. aus, dass nach dem klinischen Bild durchaus eine durch die Pockenimpfung verursachte En-cephalitis vorgelegen habe, die lediglich nicht zur stationären Einweisung geführt habe. Auch die Schilderung der Mutter, dass nach dieser Impfung die Reaktionen auf Geräusche vermindert waren bzw. ausblieben und dass dann im weiteren Verlauf auch die bereits erlernten Wörter nicht mehr gesprochen worden seien, passe vollständig zum Verlauf einer solchen Impfkomplikation. Weiter merkte er zu den Ausführungen von Frau Prof. S. an, dass nach seiner Ansicht nicht eine Neuritis, sondern eine Encephalitis vorliege. Eine Beziehung zur Störung des Gleichgewichtssinns erscheine dabei möglich, aber keinesfalls zwingend.
Nach Ansicht des Gutachters liege auch keine Progredienz der Erkrankung vor, da bereits bei der ersten HNO-ärztlichen Untersuchung im Jahre 1958 eine Taubheit rechts und eine Restfunktion des linken Ohres festgestellt worden sei, diese Befunde lägen noch Jahr-zehnte später in dieser Form vor. In Beantwortung der gerichtlichen Beweisfragen führt der Gutachter aus, dass es bei der Klägerin im typischen Zeitintervall von 9 Tagen zu ei-ner durch die Pockenimpfung ausgelösten Enzephalopathie gekommen sei. Der Entwicklungsknick nach der akuten Impfkomplikation sei völlig glaubhaft belegt, es liege ein durchaus typischer Impfschaden vor. Bezüglich der Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit verwies der Gutachter auf die Formulierung der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit 2008, nach der bei in der Kindheit erworbener Taubheit oder an Taub-heit grenzender Schwerhörigkeit mit Störungen des Spracherwerbs in der Regel eine le-benslange Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100% zu veranschlagen sei. Eine Kannversorgung komme nicht in Betracht, da die Komplikationen der Pockenimpfung, wie sie hier zu beobachten seien, in der medizinischen Wissenschaft nicht kontrovers diskutiert würden.
In der HNO-ärztlichen Stellungnahme des Beklagten vom 23.02.2009 wurde unter Ver-weis auf die in der Schwerbehindertenakte vorliegenden Befunde eine Progredienz des Hörschadens bejaht. Weiter wird ausgeführt, dass eine Taubheit nach Pockenschutzimp-fung sehr selten sei, außerdem sei eine Abgrenzung zu einer angeborenen Taubheit oder Schwerhörigkeit sehr schwierig, wenn zeitnahe Befunde fehlten. Auch bei angeborener Taubheit oder angeborener Schwerhörigkeit werde der Hörschaden oft erst im Laufe des ersten Lebensjahres bemerkt. Im Übrigen werde auch die Lallphase bei angeborener Taubheit in dieser Lebensphase durchlaufen. Es fehlten organische Veränderungen, die auf einen Impfschaden hindeuten würden. Der Gutachter Dr. H. sei der Meinung, dass die anamnestischen Schilderungen für das Vorliegen einer Encephalitis typisch seien und organische Veränderungen nicht zwingend bei einem Impfschaden auftreten müssten. Ent-scheidend sei vorliegend die Frage, ob bereits vor der Pockenimpfung ein wesentlicher Hörschaden vorgelegen habe, der in den Jahren danach, wie die Befunde zeigten, progredient verlaufen sei, oder ob durch die Pockenschutzimpfung der Hörschaden verur-sacht worden sei. Stichhaltige Beweise seien für beide Meinungen nicht vorhanden. Er-staunlich sei die späte Antragstellung nach dem Infektionsschutzgesetz, obwohl Schwer-behindertenverfahren, auch Klageverfahren, durchgeführt worden seien. Dabei seien im Befundbericht vom 16.04.1987 sowie 23.03.1986, Bl. 64 Schwerbehindertenakte, Bl. 30 Verfahrenshandakte, bereits Angaben enthalten, dass die Schwerhörigkeit seit der Pockenimpfung bestehe. Nach den vorliegenden Informationen spreche mehr dafür, dass der Hörschaden bereits vor der Impfung vorgelegen habe und die Impfung keinen wesent-lichen Einfluss auf den Umfang und den Verlauf der Hörstörung gehabt habe.
In der mündlichen Verhandlung vom 28.04.2009 wurde seitens des Gerichts auf die ein-geholten Sachverständigengutachten Bezug genommen und zur Frage einer möglichen Progredienz der Hörstörung auf das Gutachten der Frau Prof. S. aus dem Jahre 1988 verwiesen, indem diese bereits eine Hörstörung in ähnlichem Umfang wie heute diagnos-tiziert habe und dargelegt habe, dass diese Hörstörung auch schon im Jahre 1972 be-standen habe. Die anwesende Mutter schilderte nochmals die aufgetretene Impfreaktion nach der streitgegenständlichen Impfung und die anwesende Schwester der Klägerin er-läuterte, dass es zu der späten Antragstellung dadurch gekommen sei, dass erst im Jahre 2003 man Unterlagen von der Taubstummenschule Dillingen zurück erhalten habe, in de-nen auch das ärztliche Zeugnis über das Unterbleiben einer Wiederimpfung wegen Impf-schaden vom 08.06.1967 enthalten gewesen sei.
Die Prozessbevollmächtigte beantragt, der Klägerin unter Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide Beschädig-tenversorgung nach dem Infektionsschutzgesetz im Zusammenhang mit einem Impfschaden nach der Pockenschutzimpfung vom 28.05.1956 unter Zugrundele-gung eines Grades der Schädigungsfolge von 100 zu gewähren. Hilfsweise wird Beschädigtenversorgung unter Zugrundelegung einer Kannversorgung beantragt.
Der Beklagtenvertreter beantragt, Klageabweisung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage erweist sich zum überwiegenden Teil als begründet.
Der Klägerin ist wegen der bei ihr bestehenden Gesundheitsstörungen eines Hörschadens beidseits in Form einer Taubheit ohne Hörreste rechts und einer Taubheit mit gut verwertbaren Hörresten links sowie einer peripheren und zentralen Gleichgewichtsstörung unter Feststellung eines Grades der Schädigungsfolgen von 90 Versorgung bei einem Impfschaden gemäß § 60 Infektionsschutzgesetz (IfSG) ab dem Antragsmonat zu gewäh-ren. Die zum 01.01.2001 in Kraft getretene Bestimmung des Infektionsschutzgesetzes, die im Übrigen im hier interessierenden Zusammenhang mit den Vorschriften des zuvor gelten-den Bundesseuchengesetzes übereinstimmt, findet Anwendung auf die nach diesem Zeitpunkt getroffenen Entscheidungen, unabhängig vom Impfzeitpunkt. Dies trifft auch auf den vorliegenden Fall zu, in dem erstmals am 03.02.2004 ein Bescheid erlassen wurde.
Nach § 60 Abs. 1 S. 1 IfSG erhält derjenige, der durch eine öffentlich empfohlene Schutz-impfung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen des Impfschadens auf An-trag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Voraussetzung hierfür ist, dass die empfohlene Impfung die Gesundheitsstörungen wahrscheinlich verursacht hat. Wahrscheinlich in diesem Sinne ist die Kausalität dann, wenn wenigstens mehr für als gegen sie spricht, d.h. die für den Zusammenhang sprechenden Umstände mindestens deutlich überwiegen. Die Impfung als schädigende Einwirkung, der Impfschaden – das ist ein über die übliche Impfreaktion hi-nausgehender Gesundheitsschaden – und die Schädigungsfolge (Dauerleiden) müssen nachgewiesen, nicht nur wahrscheinlich sein, vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 19.03.1986, Az.: 9 a RV 2/84 und 26.06.1985, 9 a RVi 3/83 = BSG, SozR 3850 Nr. 9 und 8. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Bei der am 28.05.1956 bei der Klägerin durchgeführten Pockenschutz- Erstimpfung han-delt es sich um eine von der zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlene und in ihrem Bereich vorgenommene Impfung.
Auch der Nachweis eines daraus resultierenden Impfschadens ist vorliegend zur Überzeugung des Gerichts mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erbracht. Nach den von der Gutachterin Frau Prof. S. wiedergegebenen schriftlichen Angaben der Mutter der Klägerin ist es 5 bis 6 Tage nach der Impfung zu einer starken rötlichen Schwellung im Impfbereich gekommen, die sich über längere Zeit gehalten hat. Am 9. Tag nach der Impfung ist danach starkes Fieber aufgetreten mit Werten über 40° C über ungefähr 5 Tage. Die Mutter berichtet weiter, dass während dieser Zeit ihre Tochter apathisch gewesen sei, nicht mehr ansprechbar und gekrampft habe. Die Gutachterin lei-tet hieraus eine über das übliche Maß hinausgehende unübliche Impfreaktion ab, ohne jedoch das Vorliegen einer Impfencephalitis zu bejahen. Im Gegensatz hierzu bezeichnet der Gutachter Herr Dr. H. die geschilderte Symptomatik durchaus als typisch für das Vor-liegen einer Encephalitis, die zwar nicht direkt zur Einweisung in die Klinik geführt habe, aber trotzdem an der Diagnose keinen Zweifel aufkommen lasse. Er merkt weiter an, dass auch in den modernen bildgebenden Verfahren eine solche Encephalitis in der Kindheit keinesfalls immer mit einem erkennbaren Korrelat einher gehe. Auch das Gericht ist nach den Schilderungen der Mutter sowohl im Rahmen der Begutachtung durch Frau Prof. Dr. S. als auch im Klageverfahren selbst davon überzeugt, dass bei der Klägerin eine En-cephalitis mit klinischen Anzeichen eines hohen Fiebers mit Krampfanfällen und Apathie in typischem Abstand zur angeschuldigten Pockenschutzimpfung stattgefunden hat. Die Klägerin war mit den angegebenen Symptomen über mehrere Tage schwer erkrankt, es wurde lediglich damals in Anbetracht dessen, dass die Kenntnis über Impfkomplikationen noch wesentlich geringer ausgeprägt war, keine entsprechende ärztliche Diagnostik durchgeführt.
Zur Überzeugung des Gerichts entwickelte sich auch als Folge dieser Impfkrankheit die bei der Klägerin bestehende Hörschädigung. Bis zu dem Impfzeitpunkt hatte die Klägerin auf Laute in ihrer Umgebung normal reagiert und auch angefangen, einzelne Worte zu sprechen. Eindrücklich und lebensnah hatte die Mutter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 16.05.2007 geschildert, dass man nach der Impfung Auffälligkeiten bzgl. der Reaktion der Klägerin auf Geräusche im Familienkreis bemerkt habe und des-halb auch entsprechend durch Einsatz z.B. eines Weckers, Klopfen auf den Tisch das Hörvermögen geprüft habe. Die Klägerin hat nach Schilderung der Mutter nicht mehr auf Ansprechen reagiert, Reaktion erfolgte nur noch auf Blickkontakt. Im Frühjahr 1958 wurde die Klägerin schließlich einem Ohrenarzt vorgestellt. In Übereinstimmung mit den Ausführungen des Gutachters Herrn Dr. H. sieht das Gericht damit eine Hörschädigung in zeitlicher Relation zur Impfung als erwiesen an. Ein Ver-stummen, wie es auch die Gutachterin Frau Prof. S. in ihrem Sachverständigengutachten vom 20.02.2007 als sicheres Zeichen zur Anerkennung eines Hörschadens nach Impfung bezeichnet hatte, war bei der Klägerin nach Ansicht des Gerichts nicht zu erwarten, nach-dem nach übereinstimmenden Befunden aus der Kindheit und auch heutigen Befundun-gen Hörreste links vorhanden sind.
Eine Progredienz der Hörstörung lag nach wiederholten Angaben im Klageverfahren sei-tens der Klägerin nicht vor. Frau Prof. S. leitet ihre Annahme einer Progredienz im We-sentlichen unter Zugrundelegung ihres Gutachtens vom 14.02.1988, das sie im Rahmen eines Klageverfahrens im Bezug auf ein Schwerbehindertenverfahren erstellte, ab. Das Gericht weist jedoch darauf hin, dass in diesem Gutachten ausdrücklich die Auswertung eines Tonschwellenaudiogramms vom 14.12.1972 mit der damaligen Diagnose "an Taub-heit grenzende Innenohrschwerhörigkeit rechts und hochgradige Innenohrschwerhörigkeit links" als unverständlich kritisiert wurde. Die Gutachterin führt in dem Gutachten vom 14.02.1988 weiter aus, dass man bei einem Vergleich der Ergebnisse von 1988 mit den damaligen Untersuchungsergebnissen zu ähnlichen Untersuchungsergebnissen komme, danach bestehe nach wie vor ein aufgehobenes Sprachgehör rechts und eine an Taubheit grenzende Herabminderung des Sprachgehörs links. Wie auch die Prozessbevollmächtig-te zutreffend anmerkte, wurde bereits in dem Fragebogen vom 03.09.1961 der Taub-stummenanstalt Dillingen Donau unter Bezugnahme auf die erste Feststellung der Taub-heit durch einen Facharzt im Frühjahr 1958 festgestellt, dass die Klägerin rechts fast völlig taub sei und links ein guter Gehörrest vorhanden sei. Wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 28.04.2009 nochmals bestätigt, hatte sie auch eine Taubstummenschu-le und nicht lediglich eine Schwerhörigenschule besucht. Im Übrigen hat die Gutachterin Frau Prof. S. in ihrem Gutachten vom 20.02.2007 zwar auf die gute Sprache der Klägerin verwiesen, jedoch auch von einem deutlich eingeschränkten Wortschatz berichtet. Hinzu-weisen ist auch darauf, dass die Klägerin beim Bezug der ersten eigenen Wohnung ca. 1978 bereits zusätzliche Hilfsmittel wie Blinkanlagen für Telefon und Klingel erhalten hat-te. Auch Herr Dr. P. stützte in seinem Gerichtsgutachten vom 15.07.1993 für das Sozial-gericht München im Schwerbehindertenklageverfahren, Az.: S 27 VS 755/92, seine An-nahme einer Verschlimmerung nicht auf Änderungen im Hörvermögen sondern bezieht sich auf die schleppende, kloßige Sprechweise und eine peripher und zentral vestibuläre Störung. Er stellt eine Hörrestigkeit am linken Ohr bei Taubheit am rechten Ohr fest, wo-bei die Hörrestigkeit bereits vor dem 9. Lebensjahr bestanden habe. Hierfür sei der Grad der Behinderung zusammen mit der schleppenden, kloßigen Sprechweise auf 90 einzu-schätzen. Unter weiterer Berücksichtigung einer peripher vestibulären und zentral vestibu-lären Störung kam er zu einem Grad der Behinderung von 100.
Das Gericht ist nach alledem überzeugt, dass die Hörschädigung der Klägerin im An-schluss an die Pockenschutzimpfung und als Folge der durchgemachten Impfkrankheit eingetreten ist sowie die Hörschädigung auch im Wesentlichen gleich geblieben ist.
Die nunmehr bestehende Gesundheitsstörung bzgl. des Gehörs wird von Frau Prof. S. aufgrund der von ihr durchgeführten ambulanten Untersuchung in ihrem Gutachten vom 20.02.2007 als Hörschaden beidseits in Form einer Taubheit ohne Hörreste rechts und einer Taubheit mit gut verwertbaren Hörresten links sowie eine periphere und zentrale Gleichgewichtsstörung bezeichnet. Sie befürwortet hierfür unberücksichtigt der Genese eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 80%. An Beschwerden waren von der Klägerin bei der Gutachterin außer der Hörstörung lediglich angegeben worden Schwindel ab und zu, wenn der Blutdruck sehr niedrig sei oder bei Föhn. Es besteht kein Anhalt für einen Tinnitus. Wie vom Gutachter Herrn Dr. H. angemerkt wurde, sehen die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit, RdNr. 26.5, bei einer angeborenen oder bis zum 7. Le-bensjahr erworbenen Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit mit Sprach-störungen in der Regel eine lebenslange Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 vor. Verwiesen wird hierbei auf die schwere Störung des Spracherwerbs. Eine solche Rege-lung enthält auch Teil B, Zif. 5.1 der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008. Unter Berücksichtigung der in den Sachverständigengutachten angege-benen Verständigungsmöglichkeit und dort aufgeführten Spracherwerbs folgt das Gericht jedoch der Einschätzung des Gutachters Herrn Dr. P. der bei Hörrestigkeit am linken Ohr, Taubheit am rechten Ohr und unter Berücksichtigung der Sprechweise einen Grad der Behinderung von 90 befürwortet hatte in seinem Gutachten vom 15.07.1993. Nachdem die von der Gutachterin Frau Prof. S. festgestellte periphere und zentrale Gleichgewichts-störung nach Angaben der Gutachterin jetzt völlig kompensiert ist bzw. lediglich ein dis-kreter Hinweis darauf besteht, wirkt sich diese Gesundheitsstörung bei der Bestimmung des Grades der Schädigungsfolgen nicht erhöhend aus.
Nach alledem war der Beklagte zu verurteilen, der Klägerin für die im Urteilstenor genann-ten Gesundheitsstörungen Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz unter Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide ab Beginn des Antragsmonats unter Zugrundele-gung eines Grades der Schädigungsfolgen von 90 zuzuerkennen. Die Klage war im Übrigen abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt das über-wiegende Obsiegen der Klägerin.
II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechts-streits der Klägerin.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Beschädigtenversorgung nach dem Infektionsschutzgesetz.
Die 1955 geborene Klägerin schuldigte mit Antrag auf Beschädigtenversorgung vom 10.03.2003 die bei ihr am 28.05.1956 durchgeführte Pockenschutz- Erstimpfung an und machte als Gesundheitsstörung ihren Hörschaden auf beiden Ohren geltend. Sie legte den Impfschein vom 04.06.1956 vor und schilderte, dass von ihrer Mutter nach dieser Kontrolle beim Arzt starke Benommenheit, Fieber und extreme Schwellung und Rötung vom Oberarm wahrgenommen worden sei.
Im Verwaltungsverfahren wurde ein ärztliches Zeugnis über die Befreiung von der Pockenschutzimpfung vom 08. Juni 1967 vorgelegt. Darin wird unter Bezugnahme auf die amtliche Liste zur Erst- bzw. Wiederimpfung des Impfbezirks Dillingen an der Donau bes-tätigt, dass bei der Klägerin wegen Impfschaden die gesetzliche Pockenschutzwiederimpfung unterbleiben dürfe.
Weiter wurden im Verwaltungsverfahren von der Poliklinik für HNO der Uni München ärztliche Unterlagen des Dr. V., K., aus dem Jahre 1960 und 1961 vorgelegt. Danach hatte die Hörprüfung ergeben, dass einige Hörreste vorhanden sein müssten. Eine exakte Prüfung sei bei dem Kind nicht möglich gewesen. Die Labyrinthe seien kalorisch erregbar. Die Röntgenaufnahmen nach Schüller hätten rechts eine Pneumatisationshemmung er-geben. Neurologisch habe sich kein pathologischer Befund ergeben, auch die augenärztliche und kinderärztliche Untersuchung habe nichts Krankhaftes ergeben. Bei der Beobachtung gewinne man den Eindruck, dass links das Hörvermögen besser sei. In der Bestätigung vom 25.01.1961 wird ausgeführt, dass die Einschulung in eine normale Schule zwecklos sein werde.
Im Fragebogen der Taubstummenanstalt Dillingen-Donau vom 03.09.1961 ist eine heftige Impfreaktion auf Pockenschutzimpfung festgehalten. Eine Feststellung der Taubheit habe durch einen Facharzt im Frühjahr 1958 stattgefunden. Es bestehe rechts fast völlige Taubheit, links sei ein guter Gehörrest vorhanden. Das Kind habe zur normalen Zeit die ersten Laute gesprochen.
Im HNO-ärztlichen Gutachten des Beklagten vom 15.10.2003 wurde eine Taubheit des rechten Ohres und eine hochgradige, an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit des linken Ohres mit Sprachstörungen festgestellt. Die Sprachstörung könne nicht als hochgradig bezeichnet werden, da Wortschatz und Wortwahl in Relation zum Schwerhörigkeitsgrad gut seien. Es wird auf eine ärztliche Bestätigung des behandelnden Hausarztes Dr. F.vom 14.09.1974, enthalten in der Schwerbehindertenakte auf Bl. 5, verwiesen, nach der eine Rötelninfektion der Mutter in der Schwangerschaft angegeben wurde. Weiter wird in dem Gutachten darauf hingewiesen, dass der Zeitpunkt der ersten Impfungen mit der Epoche zusammen falle, in der Eltern gewöhnlich eine Schwerhörigkeit oder Taubheit ihres Kin-des erstmals bemerkten. Die Angaben zur Krankheit nach der angeschuldigten Impfung könnten nicht als Hinweis auf eine ernste Impfkomplikation gewertet werden.
In der weiteren HNO-ärztlichen Stellungnahme des Dr. N. vom 08.12.2003 wird darauf hingewiesen, dass bei der Pockenschutzimpfung Innenohrschäden im Rahmen der Impfencephalitis auftreten könnten und zwar nach den Untersuchungen von Ehrengut und Mitarbeiter aus dem Jahre 1972 in 1,2 % aller Encephalitisfälle. Bei der Revakzination sei ein Gehörschaden außerordentlich unwahrscheinlich. Es seien Einzelbeobachtungen über Gehör- und Vestibularisschäden nach Pockenschutzimpfung bzw. Revakzination ohne Impfencephalitis verschiedentlich beobachtet worden, würden aber von anderen Autoren stark angezweifelt.
Mit Bescheid vom 03.02.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2004 wurde eine Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz abgelehnt. Ein ursächlicher Zusammenhang der vorliegenden Hörstörung beidseits mit der Pockenschutzimpfung sei nicht wahrscheinlich zu machen. Es fehlten jegliche Brückensymptome, die von der Mut-ter gemachten Wahrnehmungen nach der Pockenschutzimpfung könnten nicht als ernste Impfkomplikationen gewertet werden. Eine Impfencephalitis sei nicht nachgewiesen. Bezüglich der Angabe der Klägerin in ihrer Widerspruchsbegründung vom 17.05.2004, dass die Angabe einer Rötelnerkrankung im Schwerbehindertenverfahren auf Anraten des VDK erfolgte, bezog sich der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 13.07.2004 darauf, dass noch im Jahre 1992 anlässlich einer Klageerhebung eine Hörschädigung aufgrund einer Rötelnerkrankung der Mutter geltend gemacht worden sei.
Im Klageverfahren wurde vom Landratsamt Dillingen eine Liste zur Pockenschutzwiederimpfung aus dem Jahre 1967, betreffend die Taubstummenanstalt, übersandt.
In dem seitens des Gerichts gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholten HNO-fachärztlichen Gutachten vom 20.02.2007 wird von der Gutachterin Frau Prof. S. zunächst die mit der Klägerin und ihrer jüngeren Schwester erhobene Anamnese dargestellt. Eine Rötelnerkrankung in der Schwangerschaft habe die Mutter nicht durchgemacht. Im dritten Lebensjahr sei die Klägerin in den Kindergarten gekommen, wo sie einigermaßen zu-rechtgekommen sei, möglicherweise auch, weil ihre Schwester und ein gehörloses Kind dabei gewesen seien. In der Gehörlosenschule (Taubstummenanstalt) in Dillingen, die sie von 1961 bis 1971 besucht habe, habe sie von den Lippen ablesen und besser sprechen gelernt. Ein 1962 angepasstes Taschenhörgerät habe sie nur 2 Jahre getragen, ab 1974 habe man ihr immer wieder neue Hörgeräte am linken Ohr angepasst. An Beschwerden äußerte die Klägerin Taubheit rechts und eine hochgradige Schwerhörigkeit links, kein Anhalt für einen Tinnitus, Schwindel habe sie nur ab und zu, wenn der Blutdruck sehr niedrig sei oder bei Föhn. Bezüglich der vorliegenden Akten nimmt die Gutachterin unter anderem Bezug auf ein von ihr erstelltes Gutachten vom 14.02.1988, Bl. 26 Verfahrenshandakte des Beklagten. Darin wurde von ihr eine Innenohrschwerhörigkeit beidseits mit aufgehobenem Sprachgehör rechts und mit an Taubheit grenzender Herabminderung des Sprachgehörs links, eine Sprachstörung in Form einer schleppenden kloßigen Sprechweise sowie eine periphervestibuläre Störung bzw. eine zentral vestibuläre Störung diagnostiziert und die Gesamt- MdE auf 80% geschätzt.
Die Gutachterin zitiert die auf ihre Anfrage vorgelegten schriftlichen Angaben der Mutter der Klägerin wie folgt:
"5 bis 6 Tage nach der Impfung sei es zu einer starken rötlichen Schwellung im Impfbereich gekommen, die sich über längere Zeit gehalten habe. Am 9. Tag nach der Impfung sei starkes Fieber aufgetreten mit Werten über 40° C über ungefähr 5 Tage. Während dieser Zeit sei die Tochter apathisch gewesen, nicht mehr ansprechbar und habe gekrampft.
In den ersten 8 Monaten habe die Tochter auf Zurufe und Geräusche bei Zuwendung normal reagiert, und die Worte Mama, Papa und Wauwau gesprochen. Später habe sie nicht mehr auf Ansprechen reagiert und es sei nur eine Reaktion festgestellt worden, wenn Blickkontakt bestanden habe. Im folgenden Zeitraum seien von der ganzen Familie, auch von den Großeltern, weitere Probleme in Bezug auf Verständigung festgestellt worden und die Tochter sei im Alter von 3 Jahren einem Ohrenarzt zugeführt worden, der dann eine Taubheit festgestellt habe."
Bezüglich der von ihr veranlassten weiteren Untersuchungen eines hochauflösenden Volumen- Computertomogramms der Felsenbeine stellt die Gutachterin keinen Hinweis auf eine Sklerosierung der Cochlea fest. Eine Magnetresonanztomographie habe keinen Hinweis auf eine stattgehabte frühkindliche Encephalitis ergeben.
Aufgrund der ambulanten Untersuchung stellte die Gutachterin einen Hörschaden beidseits in Form einer Taubheit ohne Hörreste rechts und einer Taubheit mit gut verwertbaren Hörresten links sowie eine periphere und zentrale Gleichgewichtsstörung fest und be-fürwortete hierfür unabhängig von der Kausalitätsfrage eine Minderung der Erwerbsfähig-keit von 80%.
Bezüglich der Frage des Vorliegens eines Impfschadens führt die Gutachterin aus, dass nach den Schilderungen der Mutter von einer über das übliche Maß hinausgehenden Impfreaktion auszugehen sei. Bezüglich der Frage, ob die bestehende Schwerhörigkeit auf die Impfung zurückzuführen sei, nennt sie als Argumente dafür, dass die Möglichkeit einer Vakzinationsschädigung des Hörorgans in der Fachliteratur eindeutig bejaht werde. Besonders häufig sei das Auftreten von Schwerhörigkeit oder Taubheit, wenn nach der Pockenschutzimpfung eine Encephalitis entstanden sei. Die meisten der postvakzinal Er-taubten hätten eine Encephalitis oder Meningitis durchgemacht. Es seien jedoch auch Fälle einer postvakzinalen Neuritis ohne vorausgegangene Impfencephalopathie bekannt.
Die Gutachterin fasst weiter zusammen, dass zur Anerkennung einer Schwerhörigkeit nach Pockenschutzimpfung akute Allgemeinerscheinungen postvakzinal gefordert würden, wie Fieber, Krampfanfälle oder besser sichere meningocerebrale Symptome, die zwischen dem 1. und 35. Tag, besser zwischen dem 4. und 18. Tag liegen sollten. Die Erkrankung nach Angaben der Mutter sei am 9. Tag nach der Impfung aufgetreten. Auch habe die Klägerin vor der angeschuldigten Impfung nach Angabe der Mutter einzelne Worte gebraucht. Es habe jedoch nicht eruiert werden können, ob das Kind in zeitlicher Relation zur Impfung die Sprache verloren habe, also das Kind verstummt sei, was als sicheres Zeichen hätte gewertet werden können. Die Gutachterin nannte als Argumente, die nach ihrer Ansicht mit einer Hörschädigung nach Pockenschutzimpfung nicht vereinbar seien, den fehlenden Beweis einer Encephalitis oder Meningitis. Auch bei einer postvakzinalen Neuritis sei nicht nur das Hörorgan alleine betroffen, sondern eine erhebliche Untererregbarkeit der peripheren Gleichgewichtsapparate, die in etwa zum Ausmaß der Schwerhörigkeit passe. Außerdem komme es bei einer toxischen Innenohrschwerhörigkeit nicht zu einer Progredienz der Schwerhörigkeit. Die Gutachterin legte dar, dass seit 1988 sich das Hörvermögen auf der linken Seite weiter verschlechtert habe, nunmehr liege auch links eine Taubheit mit verwertbaren Hörresten vor. Die gute Sprache der Klägerin spreche auch dafür, dass sie einmal besser gehört habe und nicht von Anfang an vollständig taub gewesen sei. Des Weiteren verwies sie auf die Ergebnisse des Volumen-Computertomogramms und der Magnetresonanztomographie.
Im Ergebnis sprach sich die Gutachterin gegen das Vorliegen eines Impfschadens aus und sah auch keinen Raum für eine Kannversorgung, da in der medizinischen Wissen-schaft keine Ungewissheit bei der Entstehung eines Impfschadens in Form einer Schwer-hörigkeit oder Taubheit bestehe.
In der mündlichen Verhandlung vom 16.05.2007 gab die Klägerin an, dass ihr Hörvermögen auf dem linken Ohr über die ganzen Jahre unverändert gewesen sei und lediglich durch die Verbesserung im Bereich der Hörgerätetechnik sich auch für sie leichte Verbesserungen beim Hören links ergeben hätten. Sie habe über Hilfsmittel in Form von Blinkanlagen für Telefon und Klingel seit Bezug einer eigenen Wohnung ca. 1978 verfügt. Die Mutter der Klägerin schilderte in der mündlichen Verhandlung, dass vor der Impfung nor-male Laute (Mama, Papa) gebildet worden seien, man im Zeitraum nach der Impfung durch Provozieren mit Wecker, Klopfen auf den Tisch das fehlende Hörvermögen festgestellt habe und schließlich im Frühjahr 1958 zum Ohrenarzt Dr. W. gegangen sei. Medizinische Unterlagen hatte die Schwester der Klägerin dort vergeblich versucht beizuziehen. Es erging Vertagungsbeschluss.
Die gerichtliche Beiziehung weiterer Krankenunterlagen blieb erfolglos. Das Gericht holte eine ergänzende Stellungnahme der Frau Prof. S. unter Hinweis auf die fragliche Progredienz der Hörschädigung ein. Die Gutachterin sprach sich in ihrer Stellungnahme vom 14.11.2007 weiter gegen das Vorliegen eines Impfschadens aus und bezog sich auf die ohrenfachärztlichen Untersuchungen, nach denen ihrer Ansicht nach auf der linken Seite die Innenohrschwerhörigkeit progredient sei. Sie nahm hierbei nochmals Bezug auf ihre Begutachtung aus dem Jahre 1988 und legte dar, dass im Jahre 1972 auf der linken Seite eine mittelgradige Schwerhörigkeit bestanden habe, während sie jetzt als an Taubheit grenzend anzusehen sei.
Mit Schriftsatz vom 31.01.2008 verwies die Prozessbevollmächtigte der Klägerin noch-mals auf die Angaben der Mutter zu der Erkrankung nach der Impfung am 28.05.1956 wie sie die Gerichtsgutachterin in ihrem Gutachten geschildert hatte. Danach lägen als Ge-sundheitsstörungen vor: Apathie, hohes Fieber, extreme Schwellung und Rötung des O-berarms im Impfbereich und Krämpfe. Bezüglich der von der Gutachterin angeführten feh-lenden Untererregbarkeit der peripheren Gleichgewichtsapparate verwies die Prozessbevollmächtigte auf das Gutachten vom 14.02.1988, in dem eine peripher vestibuläre Stö-rung in Form einer Untererregbarkeit links bestätigt werde. Im Übrigen habe die Mutter der Klägerin in der Schwangerschaft keine Rötelninfektion durchgemacht und sei die Taubheit der Klägerin nicht progredient verlaufen. Die Hörstörung habe auch nach der Pockenschutzimpfung eingesetzt.
In der Beweisanordnung vom 15.07.2008 fasste das Gericht nochmals den Sachverhalt zusammen und beauftragte gemäß § 106 SGG Herrn Dr. H. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens nach Aktenlage.
In seinem Gutachten vom 28.01.2009 fasste der Gutachter die chronologische Darstellung der relevanten Krankengeschichte dahingehend zusammen, dass die körperliche und geistige Entwicklung in den ersten Lebensmonaten ohne besondere Vorkommnisse verlaufen sei, auch das Hörvermögen habe sich zunächst ohne Auffälligkeiten entwickelt, die Klägerin habe normal auf Geräusche reagiert und auch erste Worte wie Mama, Papa und Wauwau zu sprechen begonnen. Er nahm sodann Bezug auf die im Gutachten von Frau Prof. S. wiedergegebenen schriftlichen Angaben der Mutter der Klägerin, wonach es am 5. bis 6. Tag nach der Impfung zu einer starken Schwellung und Rötung an der Impfstelle gekommen sei und nochmals 3 Tage später, also 9 Tage nach der Impfung sich bei der Klägerin plötzlich hohes Fieber, das über mehrere Tage hinweg anhielt, entwickelt habe. Das Fieber sei teilweise über 40° C gegangen und es seien Krampfanfälle aufgetreten. Die Klägerin sei zu dieser Zeit völlig apathisch und nicht ansprechbar gewesen. Nach dieser akuten Impfreaktion sei der Mutter der Klägerin immer deutlicher aufgefallen, dass sich das Hörvermögen ihres Kindes verändert habe. Er nahm Bezug auf die im Gutachten von Frau Prof. S. festgestellte Taubheit mit Hörresten links sowie Störung des Gleichgewichtssinnes.
Bezüglich der Pockenimpfung führte der Gutachter sodann aus, dass ein in die Haut gespritzter Lebendimpfstoff aus sogenannten Vaccinia-Viren bis Mitte der Siebziger Jahre in Deutschland angewandt worden sei. Schwere Fälle von Erkrankungen des zentralen Nervensystems als Komplikation nach Pockenschutzimpfung seien schon seit sehr langer Zeit beobachtet und beschrieben worden. Gerade Kinder in den ersten beiden Lebensjah-ren hätten Erkrankungsraten von einem solchen Komplikationsfall auf 25.000 Geimpfte gezeigt. Zu den Folgen dieser Impfkomplikation hätten auch die Fälle von Schwerhörigkeit und Taubheit gehört, die hinreichend in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben sei-en und auch als Impfschäden anerkannt worden seien. Letztlich sei die Ursache dieser Hörschäden eine durch die Impfung bedingte, immunologisch vermittelte entzündliche Schädigung des Gehirns (Encephalitis) oder des Hörnervs (Neuritis). Solche immunolo-gisch vermittelten Impfkomplikationen seien auch nach anderen Impfungen bekannt und hinreichend in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben, wobei die Encephalitis nach Pockenimpfung noch immer als Prototyp dieser Erkrankung gelte. Das klinische Bild der Erkrankung sei äußerst variabel. In typischen Fällen trete auf der Höhe des impfbedingten Fiebers nach etwa 6 bis 10 Tagen ein schweres Krankheitsbild mit Krampfanfällen und Bewusstseinsstörungen auf. Dazu kämen oft fokale Zeichen wie Hemiparesen oder A-phasien. Ein solches Krankheitsbild habe auch bei der Klägerin vorgelegen. Nach heftiger Lokalreaktion sei am 9. Tag nach der Pockenimpfung hohes Fieber mit Krampfanfällen und einer völligen Apathie aufgetreten. Diese Schilderung sei durchaus typisch für das Vorliegen einer Encephalitis, die zwar nicht direkt zur Einweisung in die Klinik geführt ha-be, aber trotzdem an der Diagnose keinen Zweifel aufkommen lasse. Im Übrigen seien auch weitaus weniger dramatische initiale klinische Verläufe beobachtet worden, mit Ver-haltensauffälligkeiten wie z.B. Apathie, abnorme Schläfrigkeit, Nahrungsverweigerung, Erbrechen. Die klinischen Anzeichen hätten bei der Klägerin auch eindeutig im typischen Abstand zur Impfung bestanden.
Die Methode der Computer- bzw. Kernspintomographie habe zum Zeitpunkt der Erkrankung im Jahre 1956 noch nicht zur Verfügung gestanden, allerdings dürften diese bildgebenden Verfahren von ihrer Wertigkeit für die Diagnose auch nicht überschätzt werden. Eine Encephalitis in der Kindheit gehe keinesfalls immer mit einem erkennbaren Korrelat einher. Das Fehlen von solchen erkennbaren Abnormitäten in den Bildern spreche des-halb keineswegs gegen einen kausalen Zusammenhang zwischen der Pockenimpfung und der Hörschädigung der Klägerin. Der Gutachter führte weiter aus, dass postvakzinale Encephalitiden nach der Pockenimpfung eine so häufige und schwerwiegende Komplika-tion gewesen seien, dass die Zuordnung als Impfkomplikation nicht in Frage gestellt wer-den konnte. Sehr viel schwieriger zu beantworten sei die Frage nach der Disposition. Die komplexen Wechselwirkungen zwischen genetischen Dispositionen und exogenen Umweltfaktoren, die zur phenotypischen Ausbildung einer Erkrankung führten, bedürften wei-terer wissenschaftlicher Aufklärung. Bezüglich der Klägerin wies der Gutachter auf eine weitere schwere Impfkomplikation bei dem Bruder der Klägerin hin, was auf eine familiäre Disposition für solche immunologischen Impfkomplikationen hindeute.
In kritischer Würdigung des Gutachtens der Frau Prof. S. führte der Gutachter Dr. H. aus, dass nach dem klinischen Bild durchaus eine durch die Pockenimpfung verursachte En-cephalitis vorgelegen habe, die lediglich nicht zur stationären Einweisung geführt habe. Auch die Schilderung der Mutter, dass nach dieser Impfung die Reaktionen auf Geräusche vermindert waren bzw. ausblieben und dass dann im weiteren Verlauf auch die bereits erlernten Wörter nicht mehr gesprochen worden seien, passe vollständig zum Verlauf einer solchen Impfkomplikation. Weiter merkte er zu den Ausführungen von Frau Prof. S. an, dass nach seiner Ansicht nicht eine Neuritis, sondern eine Encephalitis vorliege. Eine Beziehung zur Störung des Gleichgewichtssinns erscheine dabei möglich, aber keinesfalls zwingend.
Nach Ansicht des Gutachters liege auch keine Progredienz der Erkrankung vor, da bereits bei der ersten HNO-ärztlichen Untersuchung im Jahre 1958 eine Taubheit rechts und eine Restfunktion des linken Ohres festgestellt worden sei, diese Befunde lägen noch Jahr-zehnte später in dieser Form vor. In Beantwortung der gerichtlichen Beweisfragen führt der Gutachter aus, dass es bei der Klägerin im typischen Zeitintervall von 9 Tagen zu ei-ner durch die Pockenimpfung ausgelösten Enzephalopathie gekommen sei. Der Entwicklungsknick nach der akuten Impfkomplikation sei völlig glaubhaft belegt, es liege ein durchaus typischer Impfschaden vor. Bezüglich der Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit verwies der Gutachter auf die Formulierung der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit 2008, nach der bei in der Kindheit erworbener Taubheit oder an Taub-heit grenzender Schwerhörigkeit mit Störungen des Spracherwerbs in der Regel eine le-benslange Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100% zu veranschlagen sei. Eine Kannversorgung komme nicht in Betracht, da die Komplikationen der Pockenimpfung, wie sie hier zu beobachten seien, in der medizinischen Wissenschaft nicht kontrovers diskutiert würden.
In der HNO-ärztlichen Stellungnahme des Beklagten vom 23.02.2009 wurde unter Ver-weis auf die in der Schwerbehindertenakte vorliegenden Befunde eine Progredienz des Hörschadens bejaht. Weiter wird ausgeführt, dass eine Taubheit nach Pockenschutzimp-fung sehr selten sei, außerdem sei eine Abgrenzung zu einer angeborenen Taubheit oder Schwerhörigkeit sehr schwierig, wenn zeitnahe Befunde fehlten. Auch bei angeborener Taubheit oder angeborener Schwerhörigkeit werde der Hörschaden oft erst im Laufe des ersten Lebensjahres bemerkt. Im Übrigen werde auch die Lallphase bei angeborener Taubheit in dieser Lebensphase durchlaufen. Es fehlten organische Veränderungen, die auf einen Impfschaden hindeuten würden. Der Gutachter Dr. H. sei der Meinung, dass die anamnestischen Schilderungen für das Vorliegen einer Encephalitis typisch seien und organische Veränderungen nicht zwingend bei einem Impfschaden auftreten müssten. Ent-scheidend sei vorliegend die Frage, ob bereits vor der Pockenimpfung ein wesentlicher Hörschaden vorgelegen habe, der in den Jahren danach, wie die Befunde zeigten, progredient verlaufen sei, oder ob durch die Pockenschutzimpfung der Hörschaden verur-sacht worden sei. Stichhaltige Beweise seien für beide Meinungen nicht vorhanden. Er-staunlich sei die späte Antragstellung nach dem Infektionsschutzgesetz, obwohl Schwer-behindertenverfahren, auch Klageverfahren, durchgeführt worden seien. Dabei seien im Befundbericht vom 16.04.1987 sowie 23.03.1986, Bl. 64 Schwerbehindertenakte, Bl. 30 Verfahrenshandakte, bereits Angaben enthalten, dass die Schwerhörigkeit seit der Pockenimpfung bestehe. Nach den vorliegenden Informationen spreche mehr dafür, dass der Hörschaden bereits vor der Impfung vorgelegen habe und die Impfung keinen wesent-lichen Einfluss auf den Umfang und den Verlauf der Hörstörung gehabt habe.
In der mündlichen Verhandlung vom 28.04.2009 wurde seitens des Gerichts auf die ein-geholten Sachverständigengutachten Bezug genommen und zur Frage einer möglichen Progredienz der Hörstörung auf das Gutachten der Frau Prof. S. aus dem Jahre 1988 verwiesen, indem diese bereits eine Hörstörung in ähnlichem Umfang wie heute diagnos-tiziert habe und dargelegt habe, dass diese Hörstörung auch schon im Jahre 1972 be-standen habe. Die anwesende Mutter schilderte nochmals die aufgetretene Impfreaktion nach der streitgegenständlichen Impfung und die anwesende Schwester der Klägerin er-läuterte, dass es zu der späten Antragstellung dadurch gekommen sei, dass erst im Jahre 2003 man Unterlagen von der Taubstummenschule Dillingen zurück erhalten habe, in de-nen auch das ärztliche Zeugnis über das Unterbleiben einer Wiederimpfung wegen Impf-schaden vom 08.06.1967 enthalten gewesen sei.
Die Prozessbevollmächtigte beantragt, der Klägerin unter Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide Beschädig-tenversorgung nach dem Infektionsschutzgesetz im Zusammenhang mit einem Impfschaden nach der Pockenschutzimpfung vom 28.05.1956 unter Zugrundele-gung eines Grades der Schädigungsfolge von 100 zu gewähren. Hilfsweise wird Beschädigtenversorgung unter Zugrundelegung einer Kannversorgung beantragt.
Der Beklagtenvertreter beantragt, Klageabweisung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage erweist sich zum überwiegenden Teil als begründet.
Der Klägerin ist wegen der bei ihr bestehenden Gesundheitsstörungen eines Hörschadens beidseits in Form einer Taubheit ohne Hörreste rechts und einer Taubheit mit gut verwertbaren Hörresten links sowie einer peripheren und zentralen Gleichgewichtsstörung unter Feststellung eines Grades der Schädigungsfolgen von 90 Versorgung bei einem Impfschaden gemäß § 60 Infektionsschutzgesetz (IfSG) ab dem Antragsmonat zu gewäh-ren. Die zum 01.01.2001 in Kraft getretene Bestimmung des Infektionsschutzgesetzes, die im Übrigen im hier interessierenden Zusammenhang mit den Vorschriften des zuvor gelten-den Bundesseuchengesetzes übereinstimmt, findet Anwendung auf die nach diesem Zeitpunkt getroffenen Entscheidungen, unabhängig vom Impfzeitpunkt. Dies trifft auch auf den vorliegenden Fall zu, in dem erstmals am 03.02.2004 ein Bescheid erlassen wurde.
Nach § 60 Abs. 1 S. 1 IfSG erhält derjenige, der durch eine öffentlich empfohlene Schutz-impfung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen des Impfschadens auf An-trag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Voraussetzung hierfür ist, dass die empfohlene Impfung die Gesundheitsstörungen wahrscheinlich verursacht hat. Wahrscheinlich in diesem Sinne ist die Kausalität dann, wenn wenigstens mehr für als gegen sie spricht, d.h. die für den Zusammenhang sprechenden Umstände mindestens deutlich überwiegen. Die Impfung als schädigende Einwirkung, der Impfschaden – das ist ein über die übliche Impfreaktion hi-nausgehender Gesundheitsschaden – und die Schädigungsfolge (Dauerleiden) müssen nachgewiesen, nicht nur wahrscheinlich sein, vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 19.03.1986, Az.: 9 a RV 2/84 und 26.06.1985, 9 a RVi 3/83 = BSG, SozR 3850 Nr. 9 und 8. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Bei der am 28.05.1956 bei der Klägerin durchgeführten Pockenschutz- Erstimpfung han-delt es sich um eine von der zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlene und in ihrem Bereich vorgenommene Impfung.
Auch der Nachweis eines daraus resultierenden Impfschadens ist vorliegend zur Überzeugung des Gerichts mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erbracht. Nach den von der Gutachterin Frau Prof. S. wiedergegebenen schriftlichen Angaben der Mutter der Klägerin ist es 5 bis 6 Tage nach der Impfung zu einer starken rötlichen Schwellung im Impfbereich gekommen, die sich über längere Zeit gehalten hat. Am 9. Tag nach der Impfung ist danach starkes Fieber aufgetreten mit Werten über 40° C über ungefähr 5 Tage. Die Mutter berichtet weiter, dass während dieser Zeit ihre Tochter apathisch gewesen sei, nicht mehr ansprechbar und gekrampft habe. Die Gutachterin lei-tet hieraus eine über das übliche Maß hinausgehende unübliche Impfreaktion ab, ohne jedoch das Vorliegen einer Impfencephalitis zu bejahen. Im Gegensatz hierzu bezeichnet der Gutachter Herr Dr. H. die geschilderte Symptomatik durchaus als typisch für das Vor-liegen einer Encephalitis, die zwar nicht direkt zur Einweisung in die Klinik geführt habe, aber trotzdem an der Diagnose keinen Zweifel aufkommen lasse. Er merkt weiter an, dass auch in den modernen bildgebenden Verfahren eine solche Encephalitis in der Kindheit keinesfalls immer mit einem erkennbaren Korrelat einher gehe. Auch das Gericht ist nach den Schilderungen der Mutter sowohl im Rahmen der Begutachtung durch Frau Prof. Dr. S. als auch im Klageverfahren selbst davon überzeugt, dass bei der Klägerin eine En-cephalitis mit klinischen Anzeichen eines hohen Fiebers mit Krampfanfällen und Apathie in typischem Abstand zur angeschuldigten Pockenschutzimpfung stattgefunden hat. Die Klägerin war mit den angegebenen Symptomen über mehrere Tage schwer erkrankt, es wurde lediglich damals in Anbetracht dessen, dass die Kenntnis über Impfkomplikationen noch wesentlich geringer ausgeprägt war, keine entsprechende ärztliche Diagnostik durchgeführt.
Zur Überzeugung des Gerichts entwickelte sich auch als Folge dieser Impfkrankheit die bei der Klägerin bestehende Hörschädigung. Bis zu dem Impfzeitpunkt hatte die Klägerin auf Laute in ihrer Umgebung normal reagiert und auch angefangen, einzelne Worte zu sprechen. Eindrücklich und lebensnah hatte die Mutter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 16.05.2007 geschildert, dass man nach der Impfung Auffälligkeiten bzgl. der Reaktion der Klägerin auf Geräusche im Familienkreis bemerkt habe und des-halb auch entsprechend durch Einsatz z.B. eines Weckers, Klopfen auf den Tisch das Hörvermögen geprüft habe. Die Klägerin hat nach Schilderung der Mutter nicht mehr auf Ansprechen reagiert, Reaktion erfolgte nur noch auf Blickkontakt. Im Frühjahr 1958 wurde die Klägerin schließlich einem Ohrenarzt vorgestellt. In Übereinstimmung mit den Ausführungen des Gutachters Herrn Dr. H. sieht das Gericht damit eine Hörschädigung in zeitlicher Relation zur Impfung als erwiesen an. Ein Ver-stummen, wie es auch die Gutachterin Frau Prof. S. in ihrem Sachverständigengutachten vom 20.02.2007 als sicheres Zeichen zur Anerkennung eines Hörschadens nach Impfung bezeichnet hatte, war bei der Klägerin nach Ansicht des Gerichts nicht zu erwarten, nach-dem nach übereinstimmenden Befunden aus der Kindheit und auch heutigen Befundun-gen Hörreste links vorhanden sind.
Eine Progredienz der Hörstörung lag nach wiederholten Angaben im Klageverfahren sei-tens der Klägerin nicht vor. Frau Prof. S. leitet ihre Annahme einer Progredienz im We-sentlichen unter Zugrundelegung ihres Gutachtens vom 14.02.1988, das sie im Rahmen eines Klageverfahrens im Bezug auf ein Schwerbehindertenverfahren erstellte, ab. Das Gericht weist jedoch darauf hin, dass in diesem Gutachten ausdrücklich die Auswertung eines Tonschwellenaudiogramms vom 14.12.1972 mit der damaligen Diagnose "an Taub-heit grenzende Innenohrschwerhörigkeit rechts und hochgradige Innenohrschwerhörigkeit links" als unverständlich kritisiert wurde. Die Gutachterin führt in dem Gutachten vom 14.02.1988 weiter aus, dass man bei einem Vergleich der Ergebnisse von 1988 mit den damaligen Untersuchungsergebnissen zu ähnlichen Untersuchungsergebnissen komme, danach bestehe nach wie vor ein aufgehobenes Sprachgehör rechts und eine an Taubheit grenzende Herabminderung des Sprachgehörs links. Wie auch die Prozessbevollmächtig-te zutreffend anmerkte, wurde bereits in dem Fragebogen vom 03.09.1961 der Taub-stummenanstalt Dillingen Donau unter Bezugnahme auf die erste Feststellung der Taub-heit durch einen Facharzt im Frühjahr 1958 festgestellt, dass die Klägerin rechts fast völlig taub sei und links ein guter Gehörrest vorhanden sei. Wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 28.04.2009 nochmals bestätigt, hatte sie auch eine Taubstummenschu-le und nicht lediglich eine Schwerhörigenschule besucht. Im Übrigen hat die Gutachterin Frau Prof. S. in ihrem Gutachten vom 20.02.2007 zwar auf die gute Sprache der Klägerin verwiesen, jedoch auch von einem deutlich eingeschränkten Wortschatz berichtet. Hinzu-weisen ist auch darauf, dass die Klägerin beim Bezug der ersten eigenen Wohnung ca. 1978 bereits zusätzliche Hilfsmittel wie Blinkanlagen für Telefon und Klingel erhalten hat-te. Auch Herr Dr. P. stützte in seinem Gerichtsgutachten vom 15.07.1993 für das Sozial-gericht München im Schwerbehindertenklageverfahren, Az.: S 27 VS 755/92, seine An-nahme einer Verschlimmerung nicht auf Änderungen im Hörvermögen sondern bezieht sich auf die schleppende, kloßige Sprechweise und eine peripher und zentral vestibuläre Störung. Er stellt eine Hörrestigkeit am linken Ohr bei Taubheit am rechten Ohr fest, wo-bei die Hörrestigkeit bereits vor dem 9. Lebensjahr bestanden habe. Hierfür sei der Grad der Behinderung zusammen mit der schleppenden, kloßigen Sprechweise auf 90 einzu-schätzen. Unter weiterer Berücksichtigung einer peripher vestibulären und zentral vestibu-lären Störung kam er zu einem Grad der Behinderung von 100.
Das Gericht ist nach alledem überzeugt, dass die Hörschädigung der Klägerin im An-schluss an die Pockenschutzimpfung und als Folge der durchgemachten Impfkrankheit eingetreten ist sowie die Hörschädigung auch im Wesentlichen gleich geblieben ist.
Die nunmehr bestehende Gesundheitsstörung bzgl. des Gehörs wird von Frau Prof. S. aufgrund der von ihr durchgeführten ambulanten Untersuchung in ihrem Gutachten vom 20.02.2007 als Hörschaden beidseits in Form einer Taubheit ohne Hörreste rechts und einer Taubheit mit gut verwertbaren Hörresten links sowie eine periphere und zentrale Gleichgewichtsstörung bezeichnet. Sie befürwortet hierfür unberücksichtigt der Genese eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 80%. An Beschwerden waren von der Klägerin bei der Gutachterin außer der Hörstörung lediglich angegeben worden Schwindel ab und zu, wenn der Blutdruck sehr niedrig sei oder bei Föhn. Es besteht kein Anhalt für einen Tinnitus. Wie vom Gutachter Herrn Dr. H. angemerkt wurde, sehen die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit, RdNr. 26.5, bei einer angeborenen oder bis zum 7. Le-bensjahr erworbenen Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit mit Sprach-störungen in der Regel eine lebenslange Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 vor. Verwiesen wird hierbei auf die schwere Störung des Spracherwerbs. Eine solche Rege-lung enthält auch Teil B, Zif. 5.1 der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008. Unter Berücksichtigung der in den Sachverständigengutachten angege-benen Verständigungsmöglichkeit und dort aufgeführten Spracherwerbs folgt das Gericht jedoch der Einschätzung des Gutachters Herrn Dr. P. der bei Hörrestigkeit am linken Ohr, Taubheit am rechten Ohr und unter Berücksichtigung der Sprechweise einen Grad der Behinderung von 90 befürwortet hatte in seinem Gutachten vom 15.07.1993. Nachdem die von der Gutachterin Frau Prof. S. festgestellte periphere und zentrale Gleichgewichts-störung nach Angaben der Gutachterin jetzt völlig kompensiert ist bzw. lediglich ein dis-kreter Hinweis darauf besteht, wirkt sich diese Gesundheitsstörung bei der Bestimmung des Grades der Schädigungsfolgen nicht erhöhend aus.
Nach alledem war der Beklagte zu verurteilen, der Klägerin für die im Urteilstenor genann-ten Gesundheitsstörungen Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz unter Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide ab Beginn des Antragsmonats unter Zugrundele-gung eines Grades der Schädigungsfolgen von 90 zuzuerkennen. Die Klage war im Übrigen abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt das über-wiegende Obsiegen der Klägerin.
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