Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
13
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 13 SO 269/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 SO 207/11
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Bescheid vom 06.10.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.05.2010 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte wird verurteilt, die im Zeitraum vom 17.03.2009 bis 14.10.2011 entstandenen Kosten der ABA-Therapie durch das Institut Knospe zu überneh-men sowie über die künftigen Kostenanträge bzgl. der Therapie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
III. Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Kostenübernahme für eine so genannte ABA-/VB-Therapie (applied behavior analysis/verbal behavior) des Klägers streitig.
Der 2006 geborene Kläger leidet an einer frühkindlichen autistischen Störung mit umfassender Entwicklungsstörung im sozialen, emotionalen und sprachlichen Bereich bei unklaren kognitiven Fähigkeiten. Vom 11.12.2008 bis 05.02.2009 erhielt der Kläger Leistungen der ambulanten interdisziplinären Frühförderung im Rahmen der Eingliederungshilfe zu-lasten des Beklagten; die Maßnahme wurde auf Wunsch der Eltern des Klägers abgebrochen. Seit September 2010 erhält der Kläger vom Beklagten Eingliederungshilfe in Form der teilstationären Betreuung und Förderung in einem integrativen Kindergarten.
Mit Schreiben vom 12.03.2009, beim Beklagten eingegangen am 17.03.2009, beantragten die Eltern des Klägers die Kostenübernahme für die seit 10.03.2009 durch das Institut Knospe-ABA, 31693 Hespe, durchgeführte ABA-/VB-Maßnahme. Im Rahmen der Anhörung der Eltern wiesen diese darauf hin, dass die ABA-Therapie die einzige wirksame Methode zur Behandlung von Kindern mit autistischen Störungen sei; sie enthalte zahlreiche heilpädagogische Elemente. Die private Krankenkasse des Klä-gers habe die Maßnahme bereits abgelehnt.
Nach zwei Stellungnahmen des bezirksinternen sozialpädagogischen Fachdienstes lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 06.10.2009 den Antrag des Klägers ab. Zwar gehöre der Kläger zum Personenkreis der Leistungsberechtigten nach § 53 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII), so dass grundsätzlich ein Anspruch auf Gewährung von Leis-tungen der Eingliederungshilfe bestehe. Es sei jedoch kein Anspruch auf Übernahme der Vergütung des Instituts gemäß § 75 Abs. 3, 4 SGB XII gegeben, da mit der Einrichtung keine Vereinbarung abgeschlossen worden sei und sie auch kein Leistungsangebot im Sinne von § 76 SGB XII vorgelegt habe. Zudem sei die vorrangige Zuständigkeit der Krankenversicherung gegeben.
Hiergegen erhob der Kläger über seine Eltern am 02.11.2009 Widerspruch, mit dem auf eine zögerliche Haltung des Beklagten hinsichtlich möglicher Gesprächstermine mit dem Institut Knospe-ABA hingewiesen wurde. Der Wille zum Abschluss entsprechender Vereinbarungen sei seitens des Instituts gegeben. Auch habe sich das Institut bereits mehr-fach bereit erklärt, ein Leistungsangebot vorzulegen. § 75 Abs. 4 S. 1, 2 SGB XII sei nicht als Ausschlussgrund für die Gewährung von Eingliederungshilfe anzusehen. Der Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 1 SGB XII gelte nur, wenn der Betroffene die erforderliche Leistung von anderen Sozialleistungsträgern erhalten könne, was vorliegend nicht der Fall sei. Zudem legte der Kläger ärztliche Berichte der ihn behandelnden Kinder- und Jugendpsychiaterin Frau PD Dr. N. vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.05.2010 wies die Regierung von Oberbayern den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach 75 Abs. 3 SGB XII sei der Beklagte zur Kostenübernahme nicht verpflichtet. Das Institut Knospe-ABA habe mit dem Beklagten keine Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarung abgeschlossen. Gemäß 75 Abs. 4 S. 1 SGB XII komme eine Kostenübernahme nur in Betracht, wenn die begehrte Leistung geeignet sei, die Aufgaben der Eingliederungshilfe zu erfüllen, andererseits müsse sie jedoch auch erforderlich sein. Vor-liegend könne der für den Kläger beschriebene Hilfebedarf auch in Form einer ambulanten Förderung durch die interdisziplinäre Frühförderstelle der Lebenshilfe in Starnberg oder in Herrsching angemessen gedeckt werden. Die Besonderheit des Angebots des Instituts Knospe-ABA, nämlich die umfassende Einbeziehung der Eltern und des Umfeldes und somit die Förderung durch die Eltern im sozialen Umfeld des Klägers, sei in dieser Form sicherlich einmalig und somit ohne gleichartige Alternativen. Aufgabe und Ziel der Eingliederungshilfe sei jedoch die Deckung des spezifischen Bedarfs des Betroffenen, nicht die Bedarfsdeckung in einer bestimmten Art und Weise. Die Einbeziehung und Mitwirkung der Eltern in den Entwicklungs- und Betreuungsprozess erfolge auch bei der Förderung durch die interdisziplinären Frühförderstellen. Im Einzelnen verwies die Regierung auf die entsprechenden Vereinbarungen im Rahmenvertrag Frühförderung. Das Leistungsangebot der Frühförderstellen sei auch sehr stark auf die Anleitung der Eltern und Bezugspersonen ausgerichtet. Auf individuelle z.B. autismusspezifische Förderbedarfe könne bei den Frühförderstellen reagiert werden. Bei der Therapieform des Instituts Knospe-ABA finde keine kontinuierliche Förderung durch eine Fachkraft am Kind statt. Aufgrund der Komplexität des Behinderungsbildes sei aus fachlicher Sicht eine sehr enge Abstimmung verschiedener Maßnahmen zwingend erforderlich. Anders als beim Angebot des Instituts sei ein Austausch der verschiedenen Bezugs- und Betreuungspersonen in der Frühförderstelle gegeben und verringere das Risiko, dass Entwicklungen zu einseitig betrachtet oder gar falsch eingeschätzt werden würden. Äußerst problematisch sei auch, dass mit der begehrten Therapie die Eltern als Therapeuten ausgebildet werden würden, anstatt sie in ihrer Elternrolle zu stärken und die Identität der einzelnen Familienmitglieder zu wahren. Innerhalb von Entwicklungsphasen neuer Behandlungsmethoden sei es nicht geboten, dass der Sozialhilfeträger die Kosten für derartige Therapien übernehme, sofern es andere anerkannte und in ihrer Wirksamkeit nicht offensichtlich schlechtere Behandlungsmethoden gebe. Die Anwendung des § 75 Abs. 4 SGB XII komme nicht in Betracht, da es sich nicht um einen zur Erbringung der Leistung geeigneten Dienst im Sinne des § 75 Abs. 2 SGB XII handle; die Vorschrift sei als Ausnahmeregelung restriktiv auszulegen. Die Qualifizierung der vom Institut Knospe-ABA eingesetzten Berater sei nicht aus-reichend. Die Entgelte des Instituts seien wesentlich höher als die vergleichbarer Angebote der interdisziplinären Frühförderstellen. Insoweit sei die Kostenübernahme auch wegen § 9 Abs. 2 S. 3 SGB XII nicht möglich. Der Träger der Sozialhilfe könne die Vergütung auch nicht nur teilweise tragen. Die vom Beklagten angenommene vorrangige Zuständigkeit der Krankenversicherung sei im Übrigen nicht gegeben.
Hiergegen richtet sich die am 23.06.2010 zum Sozialgericht München erhobene Klage. Die ABA-Therapie durch das Institut sei erforderlich und geeignet, den Schulbesuch des Klägers zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie stünden nach der Elternberatung verhaltenstherapeutische Maßnahmen an oberster Stelle. In diesen Leitlinien wür-den die Modifikationsprogramme nach Lovaas und ABA genannt werden. Aus den ärztlichen Berichten von Frau PD Dr. N. und zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen und Studien ergebe sich die Geeignetheit dieser Therapie für den Kläger. Die vorgetragenen Argumente gegen die Eignung seien widersprüchlich und unzutreffend. So bestehe kein autismusspezifisches Förderangebot der Frühförderstelle der Lebenshilfe Starnberg. Die Kritik an der ABA-Therapie hinsichtlich der Einbindung der Eltern werde unter Hinweis auf die vorgelegten wissenschaftlichen Untersuchungen zurückgewiesen. Der Beklagte bleibe die Begründung dafür schuldig, aus welchen Gründen für ein erfolgreiches autismusspezifisches Förderangebot auch eine umfassende therapeutische Ausbildung zwingend erforderlich sei. Zwar habe das Institut Knospe-ABA bisher kein Leistungsangebot vorgelegt, es habe jedoch mehrfach entsprechende Versuche gemacht, ohne dass die Angebote vom Beklagten zur Kenntnis genommen oder gar bearbeitet worden seien. Die ABA-Therapie führe auch nicht zu Mehrkosten, was sich bereits aus den vorgelegten Rechnungen ergebe. Letztlich komme es auf solche Mehrkosten jedoch nicht an, wenn die gewählte Therapie die einzig geeignete darstelle. Der Beklagte habe im Übrigen auch in der Vergangenheit in vergleichbaren Fällen die Kosten für ABA-Therapien übernommen; auch unter dem Aspekt der Gleichbehandlung sei der Beklagte daher zur Kostenübernahme verpflichtet.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 06.10.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.05.2010 zu verurteilen, die im Zeitraum vom 17.03.2009 bis zur Entscheidung des Gerichts entstandenen Kosten der ABA-Therapie des Instituts Knospe zu übernehmen, sowie über die zukünftigen Kosten der Therapie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat sich in seiner Klageerwiderung im Wesentlichen entsprechend der Begründung des Widerspruchsbescheides der Regierung von Oberbayern geäußert. Eine Übernahme der Kosten komme gemäß 75 Abs. 4 SGB XII nur in Betracht, wenn ein Leistungsangebot sowie ein besonderer Einzelfall vorliege und überhaupt keine anderweitige Bedarfsdeckung möglich sei. Ein besonderer Einzelfall sei nicht bereits dann gegeben, wenn der Kläger nicht auf ein dem Angebot des Instituts Knospe-ABA entsprechendes gleichartiges vereinbarungsgebundenes Leistungsangebot verwiesen werden könne. Zur Erfüllung der Aufgabe der Eingliederungshilfe stünden dem Kläger vereinbarungsgebundene ambulante Leistungen zur Verfügung. Das Institut habe es in Gesprächen mit dem sozialpädagogischen Fachdienst des Beklagten abgelehnt, ein Leistungsangebot vorzulegen. Das Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsberechtigten erfahre insoweit eine Einschränkung, dass zur Bedarfsdeckung nur Einrichtungen ausgewählt werden könnten, mit denen Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII bestehen würden. Die Kostenübernahmen für ABA-Therapien durch den Beklagten in der Vergangenheit seien ausschließlich im Hin-blick auf eine Änderung der Zuständigkeit für die ambulanten Leistungen der Eingliede-rungshilfe erfolgt (keine Beschränkung oder Beendigung laufender Hilfen).
Das Gericht hat die ärztlichen Berichte von Frau PD Dr. N. (kinder- u. jugendpsychiatrisch u. -psychotherapeutisch) und Frau Dr. E. (Zentrum für Entwicklungsneurologie und Frühförderung) ausgewertet.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten des Beklagten und der Regierung von Oberbayern Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Klage ist auch im Übrigen zulässig. Sie erweist sich auch als begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 06.10.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.05.2010 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in dessen Rechten.
Der Kläger hat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten der ABA-Therapie des Instituts Knospe-ABA gemäß §§ 53, 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 Nr. 1 der VO nach § 60 SGB XII (Eingliederungshilfe-Verordnung - EinglHV).
Gegenstand des Verfahrens sind die genannten Verwaltungsakte. Mit dem Bescheid vom 06.10.2009 hat der Beklagte nicht nur die vom Antrag des Klägers vom 12.03.2009 er-fasste Kostenübernahme, sondern darüber hinaus auch abgelehnt, künftig Kosten für die begehrte Therapie zu übernehmen. Daher ist von der Kammer entsprechend des Klageantrags auch über die weiteren Kosten zu entscheiden.
I.
Der Beklagte ist zuständiger Leistungsträger. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht (mehr) streitig und bedarf daher keiner näheren Darlegung. Insbesondere hat die Regierung von Oberbayern zutreffend angenommen, dass vorliegend keine vorrangige Leistungszuständigkeit der Krankenversicherung gegeben ist, da es sich bei der ABA-Therapie nicht um eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation gem. § 26 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) handelt (vgl. z.B. SG Reutlingen v. 28.09.2009 - S 12 SO 4878/07, m.w.N. – insbsd. Oppermann, in: Hauck/Noftz, SGB IX, § 30, Rn. 14 f.). Im Übrigen ergibt sich auch im Hinblick auf den Antrag bei der privaten Krankenversicherung des Klägers aus § 14 SGB IX nichts Anderes; die Vorschrift ist bereits nicht anwendbar (§ 6 SGB IX). Ferner ist vorliegend auch die Zuständigkeit der Jugendhilfe nicht gegeben (§ 10 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Achtes Buch - SGB VIII, § 64 Abs. 2 S.1 Bay. Gesetz zur Ausführung der Sozialgesetze - BayAGSG).
II.
Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sin-ne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach den Besonderheiten des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Nach § 53 Abs. 3 SGB XII ist es besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern (Satz 1). Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern und ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen (Satz 2).
Der Kläger gehört aufgrund seiner als wesentlich zu bezeichnenden Behinderungen unstreitig zum Personenkreis des § 53 Abs. 1 SGB XII – er hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe.
III.
Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören gemäß § 54 Abs. 1 SGB XII neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX insbesondere Hilfen zu einer an-gemessenen Schulbildung, einschließlich der Vorbereitung hierzu. Gemäß § 12 EinglHV werden hiervon auch heilpädagogische und sonstige Maßnahmen zu Gunsten körperlich und geistig behinderter Kinder erfasst, wenn sie erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu er-möglichen oder zu erleichtern. Nach Auffassung der Kammer zielt die ABA-Therapie neben weiteren gewichtigen Teilha-beaspekten vorrangig auf die Vorbereitung und Ermöglichung des Schulbesuchs des Klä-gers ab (so auch SG Darmstadt vom 11.01.2011 - S 28 SO 216/10 ER). Die Therapie soll eine wesentliche Grundlage dafür schaffen, dass der Kläger trotz seiner behinderungsbedingten Defizite in die Lage versetzt wird, bei Eintritt der Schulpflicht den Anforderungen an die Schulfähigkeit zu genügen. Auch wenn der Kläger zum Zeitpunkt der Antragstellung erst drei Jahre alt war und somit keine zeitlich enge Verknüpfung mit der erst weitaus später beginnenden Schulzeit bestand, ist davon auszugehen, dass im Hinblick auf das Behinderungsbild des Antragstellers die Frühförderung bereits im Jahr 2009 anzusetzen hatte, damit bestehende Rückstände gegenüber der altersgemäßen Entwicklung gleichaltriger Kinder ausgeglichen werden können (a.a.O.). Zu berücksichtigen ist vor allem, dass von einer mehrjährigen Therapiedauer auszugehen ist, die sicherlich im Wesentlichen nicht vor dem Schuleintritt enden wird.
IV.
Gemäß 92 Abs. 2 Nr. 1 SGB XII ist den Eltern (§ 19 Abs. 3 SGB XII) die Aufbringung von Mitteln nur für die hier nicht streitigen Kosten für den Lebensunterhalt zuzumuten. Auch scheitert der Anspruch nicht daran, dass hier teilweise Leistungen für die Vergangenheit geltend gemacht werden; der Beklagte kann sich nicht auf die Nachrangigkeit der Sozialhilfe berufen, wenn er zuvor die Hilfegewährung rechtswidrig abgelehnt hat. Hat ein Dritter den Bedarf des Hilfebedürftigen tatsächlich gedeckt, darf dies nach der Rechtsprechung dem Sozialhilfeanspruch dann nicht entgegengehalten werden, wenn der Dritte die Hilfeleistung nur deshalb erbracht hat, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig eingegriffen oder ein Eingreifen abgelehnt hat (z.B. BVerwG v. 02.09.1993 - BVerwGE 94, 127-136).
V.
Sind die Anspruchsvoraussetzungen des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII wie vorliegend er-füllt, besteht ein Anspruch auf Gewährung von im Einzelfall erforderlichen und geeigneten Leistungen. Hinsichtlich des "Ob" der Gewährung steht dem Sozialhilfeträger kein Ermessen zu. Lediglich die Auswahl unter den in Betracht kommenden Maßnahmen – hier ge-mäß § 12 EinglHV - steht im pflichtgemäßen Ermessen des Sozialhilfeträgers, das insbesondere das Wunsch- und Wahlrecht des Berechtigten nach § 9 SGB IX zu berücksichtigen hat (z.B. Bieritz-Harder, in: Münder, SGB XII, 8. Aufl., § 54, Rn. 66; Wehrhahn, in: ju-risPK-SGB XII, 1. Aufl., § 54 SGB XII, Rn. 8, m. Verweis auf die Rspr. [Fn. 11]). Es obliegt also dem Beklagten, festzustellen, welche Hilfemaßnahmen im Fall des Klägers notwendig und geeignet sind. Diese Entscheidung über Art und Umfang der Hilfeleistung ist da-her grundsätzlich gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar. Ist im Einzelfall aber nur eine konkrete Leistung geeignet, das jeweilige Eingliederungsziel zu erreichen, dann ist das Ermessen faktisch "auf Null" reduziert. Es besteht dann ein Anspruch auf Gewährung dieser konkreten Leistung (vgl. Bieritz-Harder, a.a.O., Rn. 67; BVerwG v. 22.10.1992 – 5 C 11.89 – FEVS 181, 183 f.).
So liegt es hier. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass nur bei Durchführung der ABA-Therapie gewährleistet ist, dass die Eingliederungsziele des Klägers, nämlich in erster Linie die Ermöglichung bzw. Erleichterung des Schulbesuchs im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht, weitestgehend erreicht werden. Das Ermessen ist daher "auf Null" reduziert.
1.
Die begehrte Therapie ist erforderlich und geeignet, diese Ziele zu erreichen. Nach der Rechtsprechung (SG Darmstadt, a.a.O.) "setzt dies nicht ein prognostisches Urteil über die Eignung einer heilpädagogischen Maßnahme nach dem Maßstab allgemeiner ärztlicher oder sonstiger fachlicher Erkenntnis voraus, nach dem zu erwarten wäre, dass durch die Maßnahme eine drohende Behinderung oder eine bereits vorhandene Behinderung im Sinne des § 53 Abs. 1 SGB XII verhütet werden kann oder die Folgen einer solchen Be-hinderung beseitigt oder abgemildert werden könnten." Maßgeblich ist allein, ob die Maß-nahme erforderlich und geeignet ist, dem Betroffenen den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern. § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII gewährt Eingliederungshilfe, die vor Beginn der allgemeinen Schulpflicht einsetzt und heilpädagogische Eingliederungsmaß-nahmen im frühen Kindesalter ermöglichen soll. Auf einen fachwissenschaftlichen Zusammenhang zwischen Heilbehandlungsmaßnahme und Besserung des Gesundheitszustandes kommt es dabei nicht an. Entscheidend ist nur, ob der im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht anstehende Schulbesuch erleichtert werden kann (a.a.O.; vgl. U. Mayer, in: Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand: 29.08.11, § 54 SGB XII, Rn. 103; VG Göttingen v. 09.02.2006 - 2 A 351/04).
Dass vorliegend die beantragte ABA-Therapie des Instituts Knospe-ABA diese Voraussetzungen erfüllt, steht nach Auffassung der Kammer, die sich dabei in Übereinstimmung mit der o.a. Rechtsprechung (s. auch SG Reutlingen, a.a.O.) befindet, fest. Die grundsätz-liche fachliche Eignung und Erforderlichkeit ergibt sich - trotz der vom Beklagten geäußer-ten Bedenken z.B. hinsichtlich der Qualifizierung des eingesetzten Personals - bereits aus den vom Kläger vorgelegten wissenschaftlichen Publikationen (Anlagen K 10 bis K 16, Gerichtsakte), wenn auch in unterschiedlicher Intensität bzgl. der Überzeugungsbildung. Vor allem geht sie aus dem HTA-Bericht (Health Technology Assessment) "Verhaltens- und fertigkeitenbasierte Frühinterventionen bei Kindern mit Autismus" der Deutschen Agentur für HTA des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit vom August 2009 hervor. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei der begehrten Therapie lediglich um einen heilpädagogischen Versuch ginge, wie die Auffassungen von Beklagtem und Widerspruchsbehörde nahe legen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass Verfahren und Technologien (z.B. Medikamente, Instrumente, Geräte, Prozeduren, Verfahren, Organisationsstrukturen) mit Bezug zur gesundheitlichen Versorgung laufend wissenschaftlich beobachtet, bewertet und fortentwickelt werden, was offen-kundig zur selbstverständlichen Realität des Gesundheitswesens im weiteren Sinne (jedenfalls in den westlichen Ländern) zählt. Insoweit wird davon auszugehen sein, dass auch das heutige Angebot der ABA-Therapie für die Zukunft nicht "endgültig" und unver-änderlich feststeht; von einer bloßen Erprobungsphase kann jedoch nach dem Ergebnis des Verfahrens in keiner Weise ausgegangen werden. Gleiches gilt für die Annahme, das Angebot des Instituts Knospe-ABA erfülle nicht die Anforderungen einer (wirksamen) ABA-Therapie nach dem heutigen wissenschaftlichen Standard.
2.
Der Beklagte geht zu Recht davon aus, dass Aufgabe und Ziel der Eingliederungshilfe die Deckung des spezifischen Bedarfs des Klägers, nicht jedoch die Bedarfsdeckung in einer bestimmten Art und Weise ist. Genau darum geht es hier jedoch. Denn dieser spezifische Bedarf kann derzeit nur durch die begehrte ABA-Therapie gedeckt werden. Zwar kommen grundsätzlich auch weitere Therapien, wie z.B. die Leistungen der interdisziplinären Frühförderstellen, in Betracht. Diese können den Bedarf des Klägers jedoch nur teilweise decken. Insoweit kommt es nämlich auf eine vergleichende Bewertung der Wirksamkeit (comparative effectiveness) der zur Verfügung stehenden Maßnahmen der Eingliede-rungshilfe an; das Wunsch- und Wahlrecht des Klägers (§ 9 SGB IX) spielt insoweit im Übrigen nur eine geringere Rolle. Der Kläger muss sich nicht auf für ihn weniger wirksame Therapien verweisen lassen.
Wie sich aus der Auswertung der wissenschaftlichen Darlegungen (s.o.) ergibt, ist der Grundsatz der individuellen Therapie bei autistischen Störungen von zentraler Bedeutung. Eine solche Individualität wird nach Auffassung der Kammer nur durch die begehrte Therapie sichergestellt. Insbesondere die vom Beklagten dargestellten Leistungen der Frühförderstellen genügen diesen Anforderungen nicht. Dies ergibt sich aus den Einlassungen des Klägers, die teilweise auch unwidersprochen geblieben sind. Zum anderen ergibt sich dies auch bereits aus der Darstellung des Konzepts dieser Stellen durch den Beklagten. Es ist auch leicht nachvollziehbar, dass autismusspezifische Elemente in diesem Konzept, das im Hinblick auf den betroffenen Personenkreis breiter angelegt sein muss, geringeres Gewicht einnehmen als bei der begehrten ABA-Therapie. Insoweit sind beide Ansätze nicht unmittelbar vergleichbar. Neben der mangelnden individuellen Lösung bei möglichen Alternativen ergibt sich die beste Eignung der begehrten ABA-Therapie im Hinblick auf die Situation des Klägers vor allem auch durch die Darlegung der behandelnden Ärztin Frau PD Dr. N ... Diese hat in zahlreichen ärztlichen Stellungnahmen nicht nur für den Kläger ohne jeden Zweifel die Durchführung der ABA-Therapie empfohlen, sondern auch Fortschritte des Klägers fest-gestellt. So hat sie unter anderem ausdrücklich festgehalten, dass der Kläger sehr von den eingeleiteten ABA-Maßnahmen profitiere. Auch der Beklagte hat anerkannt, dass die Therapieform des Instituts Knospe-ABA ohne gleichartige Alternative ist. Es ist somit nicht zu erkennen, weshalb die von der behandelnden Ärztin als einzige Maßnahme empfohle-ne und vom Beklagten als einmalig bezeichnete Therapie durch andere Behandlungsformen zu ersetzen sein sollte. Schließlich ist die Kammer auch aufgrund des oben genannten Berichts der Deutschen Agentur für HTA des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) vom August 2009 zu der Überzeugung gelangt, dass die ABA-Therapie für den Kläger alternativlos ist. Wenn auch auf die in der Studie untersuchten verhaltensbasierten Frühinterventionen bei Kindern mit Autismus beschränkt, geht aus dem Bericht doch eindeutig hervor, dass die meiste Evidenz für die ABA festgestellt wurde.
3.
Weitere Ermittlungen - insbesondere die Einholung eines Sachverständigengutachtens - waren daher nicht veranlasst. Erst recht bestand hierzu keine verfahrensrechtliche Pflicht.
Zum einen ist eine Gutachtenserstellung nicht erforderlich. Zum anderen ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass durch die Beauftragung eines oder mehrerer Sachverständigen/Sachverständiger zur Klärung der Frage, ob die ABA-Therapie für den Kläger alternativlos ist, keine Gewissheit hergestellt werden könnte. Denn das Ergebnis eines solchen Gutachtens wäre in erster Linie weniger von den individuellen Gegebenheiten des Klägers als vielmehr von der grundsätzlichen Position des Gutachters zur Effektivität und Sinnhaftigkeit der genannten Therapie beeinflusst worden, was bei neueren, noch nicht allgemein anerkannten Therapieformen gewissermaßen in der Natur der Sache liegt. Angesichts der Tatsache, dass es im Hinblick auf die umfangreiche medizinische Literatur "wenig gibt, was man nicht durch eine Literaturangabe untermauern könnte, bis hin zu den unsinnigsten Behauptungen" (Höffler, in: Ehlers, Praxis des medizinischen Gutachtens im Prozess, 1. Aufl., S. 121), hätte sich aus einem Gutachten nach Überzeugung der Kammer im Hinblick auf die (scheinbare?) Beliebigkeit von Argumenten und Gegenargumenten unter Umständen nicht einmal ein wesentlicher Erkenntnisgewinn ergeben. Dies bedeutet jedoch, wie sich bereits aus dem oben Gesagten ergibt, nicht, dass sich die Skepsis der Kammer auf die wissenschaftliche Lösbarkeit der streitgegenständlichen Fra-ge beziehen würde. Denn aufgrund der vorliegenden Unterlagen steht nach Überzeugung der Kammer die Alternativlosigkeit der ABA-Therapie für den Kläger - wissenschaftlich begründet - fest. Andernfalls wäre denn auch die streitgegenständliche Problematik nicht im Sinne eines "gerechten" Ergebnisses lösbar, vielmehr würden Beliebigkeit und Willkür maßgeblichen Einfluss erhalten (vgl. z.B. Rüthers, Rechtstheorie, 2. Aufl., S. 271 ff.). Die Skepsis bezieht sich freilich allein auf den Weg des Erkenntnisgewinns durch Gutachtenserstellung.
4.
Wird wie hier nur eine bestimmte Leistung dem festgestellten Eingliederungsbedarf gerecht, ist diese Leistung im Regelfall ungeachtet der Kosten zu erbringen. Vorliegend ist jedoch – anders als der Kläger annimmt – aufgrund gesetzlicher Vorgabe eine Angemessenheitsprüfung durchzuführen, da § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII Hilfen (nur) zu einer angemessenen Schulbildung vorsieht (vgl. Bieritz-Harder, a.a.O.). Dass die Kosten der ABA-Therapie jenseits einer solchen Angemessenheitsgrenze liegen würden, ist aber nicht ersichtlich. Dies ergibt sich sowohl aus der Kostenaufstellung des Beklagten für die Aufwendungen bei Nutzung der interdisziplinären Frühförderstellen als auch aus den bisher – einschließlich der Unterlagen, die mit Schriftsatz vom 10.10.2011 übersandt wurden, – vom Kläger vorgelegten Kostenrechnungen.
In diesem Zusammenhang weist die Kammer darauf hin, dass künftige Kosten (für mit den in der Vergangenheit erbrachten vergleichbare Leistungen) in etwa demselben Umfang als angemessen zu betrachten sind. Soweit also der Kläger bis zur Beendigung der ABA-Therapie bzw. längstens bis zum Schuleintritt die Kostenerstattung in vergleichbarem Umfang vom Beklagten begehrt, hat Letzterer in diesem Sinne zu entscheiden, so-fern die tatsächlichen Verhältnisse des Klägers im Wesentlichen unverändert sind. Über die Frage des Einsatzes von Co-Therapeuten hat das Gericht hier nicht zu entscheiden.
VI.
Dem Anspruch des Klägers steht auch nicht § 75 Abs. 3 SGB XII entgegen, da der Beklagte (oder sein Verband) keine Vereinbarung mit dem Institut Knospe-ABA geschlossen hat.
Denn gemäß § 75 Abs. 4 SGB XII darf der Beklagte Leistungen für den Kläger durch diese Einrichtung erbringen, da dies nach den Besonderheiten des Einzelfalles geboten ist. Nach der Rechtsprechung liegen Besonderheiten des Einzelfalles in diesem Sinne jeden-falls dann vor, wenn der festgestellte Bedarf - wie oben dargestellt - nicht anderweitig befriedigt werden kann (LSG Berlin-Brandenburg vom 11.12.2007 – L 23 B 249/07 SO ER, m.w.N.). Auch insoweit ist das Ermessen des Beklagten "auf Null" reduziert, da sich die Ermessensausübung auch im Rahmen des § 75 Abs. 4 SGB XII letztlich am Bedarfsdeckungsprinzip zu orientieren hat (a.a.O.). Dass dem Sozialhilfeträger im Einzelfall keine durch Vereinbarungen gebundene Einrichtung zur Bedarfsdeckung zur Verfügung steht, kann nicht einseitig zulasten des Leistungsberechtigten gehen (a.a.O.).
Zwar liegt kein Leistungsangebot des Instituts gemäß § 75 Abs. 4 i.V.m. § 76 SGB XII vor; letztlich müssen die genauen Gründe hierfür offen bleiben. Es ist jedoch anerkannt, dass wegen des Bedarfsdeckungsgrundsatzes der Sozialhilfeträger auch bei Fehlen eines Leistungsangebots die Vergütung übernehmen muss, wenn - wie hier - eine anderweitige Deckung des Bedarfs ausgeschlossen ist (z.B. Jaritz/Eicher, in: jurisPK-SGB XII, 1. Aufl., § 75 SGB XII, Rn. 64, m.w.N.).
Auch die Voraussetzung des § 75 Abs. 4 S. 3 SGB XII ist gegeben, wie bereits aus der Kostenaufstellung des Beklagten ersichtlich ist.
VII.
Die von der Kammer vorgenommene Feststellung eines Anspruchs des Klägers auf die Finanzierung der von seinen Eltern für ihn gewünschten und der für ihn derzeit wirkungsvollsten Therapie durch die öffentliche Hand entspricht gerade auch den Wertentscheidungen der Verfassung. Nach Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz (GG) sind Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern. Die Vorschrift stellt eine wertentscheidende Grundsatznorm für den gesamten Bereich des das Eltern-Kind-Verhältnis betreffenden (privaten und) öffentlichen Rechts dar, die alle staatliche Gewalt bindet. Sie schützt vor allem Elternautonomie und Kindeswohl (z.B: Uhle, in: Epping/Hillgruber, GG, 1. Aufl., Art. 6, Rn. 48, m.w.N.). Den Elternentscheidungen in der für den Kläger zentralen Frage seiner behinderungsbezogenen Entwicklungsförderung kommt daher entscheidendes Gewicht zu. Entsprechendes gilt im Hinblick auf die Verpflichtung des Staates zur Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), ferner dem Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG und dem umfassenden Grundrecht des Art. 2 GG. An dieser Stelle kann offen bleiben, ob bzw. inwieweit die Wirkdimensionen der genannten Grundrechte überhaupt zu einem subjektiven Anspruch des Klägers führen können. Sie stellen jedenfalls allesamt für die staatlichen Gewalten verbindliche Wertentscheidungen dar (z.B. BVerfGE 39, 1): Sie sind verfassungsrechtliche Grundentscheidungen, die für alle Bereiche des Rechts gelten und Richtlinien sowie Impulse für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung geben.
Die Verpflichtung des Beklagten entspricht nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens auch dem im Hinblick auf die Kosten durchaus Möglichen, so dass die Problematik hier nicht zu erörtern ist, ob sich die Leistungen des Systems der öffentlichen Gesundheitsver-sorgung/Behindertenhilfe angesichts der Annahme weitergehender aus dem Sozial-staatsprinzip bzw. dem GG abgeleiteter Leistungsansprüche "überhaupt noch substantiell begrenzen lassen" (Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber, a.a.O., Art. 20., Rn. 203.1; vgl. auch BVerfGE 115, 25).
VIII.
Der Bescheid des Beklagten vom 06.10.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.05.2010 ist somit rechtswidrig und war daher aufzuheben. Dem Kläger war die begehrte Leistung zuzusprechen. Soweit also der Kläger künftig vom Beklagten Kostenerstattung begehrt, hat dieser unter Beachtung der o.a. Rechtsauffassung der Kammer über den Antrag zu entscheiden, so-fern die tatsächlichen Verhältnisse des Klägers unverändert sind. Somit endet die Verpflichtung des Beklagten jedenfalls spätestens beim Erreichen des schulpflichtigen Alters des Klägers.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
II. Der Beklagte wird verurteilt, die im Zeitraum vom 17.03.2009 bis 14.10.2011 entstandenen Kosten der ABA-Therapie durch das Institut Knospe zu überneh-men sowie über die künftigen Kostenanträge bzgl. der Therapie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
III. Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Kostenübernahme für eine so genannte ABA-/VB-Therapie (applied behavior analysis/verbal behavior) des Klägers streitig.
Der 2006 geborene Kläger leidet an einer frühkindlichen autistischen Störung mit umfassender Entwicklungsstörung im sozialen, emotionalen und sprachlichen Bereich bei unklaren kognitiven Fähigkeiten. Vom 11.12.2008 bis 05.02.2009 erhielt der Kläger Leistungen der ambulanten interdisziplinären Frühförderung im Rahmen der Eingliederungshilfe zu-lasten des Beklagten; die Maßnahme wurde auf Wunsch der Eltern des Klägers abgebrochen. Seit September 2010 erhält der Kläger vom Beklagten Eingliederungshilfe in Form der teilstationären Betreuung und Förderung in einem integrativen Kindergarten.
Mit Schreiben vom 12.03.2009, beim Beklagten eingegangen am 17.03.2009, beantragten die Eltern des Klägers die Kostenübernahme für die seit 10.03.2009 durch das Institut Knospe-ABA, 31693 Hespe, durchgeführte ABA-/VB-Maßnahme. Im Rahmen der Anhörung der Eltern wiesen diese darauf hin, dass die ABA-Therapie die einzige wirksame Methode zur Behandlung von Kindern mit autistischen Störungen sei; sie enthalte zahlreiche heilpädagogische Elemente. Die private Krankenkasse des Klä-gers habe die Maßnahme bereits abgelehnt.
Nach zwei Stellungnahmen des bezirksinternen sozialpädagogischen Fachdienstes lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 06.10.2009 den Antrag des Klägers ab. Zwar gehöre der Kläger zum Personenkreis der Leistungsberechtigten nach § 53 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII), so dass grundsätzlich ein Anspruch auf Gewährung von Leis-tungen der Eingliederungshilfe bestehe. Es sei jedoch kein Anspruch auf Übernahme der Vergütung des Instituts gemäß § 75 Abs. 3, 4 SGB XII gegeben, da mit der Einrichtung keine Vereinbarung abgeschlossen worden sei und sie auch kein Leistungsangebot im Sinne von § 76 SGB XII vorgelegt habe. Zudem sei die vorrangige Zuständigkeit der Krankenversicherung gegeben.
Hiergegen erhob der Kläger über seine Eltern am 02.11.2009 Widerspruch, mit dem auf eine zögerliche Haltung des Beklagten hinsichtlich möglicher Gesprächstermine mit dem Institut Knospe-ABA hingewiesen wurde. Der Wille zum Abschluss entsprechender Vereinbarungen sei seitens des Instituts gegeben. Auch habe sich das Institut bereits mehr-fach bereit erklärt, ein Leistungsangebot vorzulegen. § 75 Abs. 4 S. 1, 2 SGB XII sei nicht als Ausschlussgrund für die Gewährung von Eingliederungshilfe anzusehen. Der Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 1 SGB XII gelte nur, wenn der Betroffene die erforderliche Leistung von anderen Sozialleistungsträgern erhalten könne, was vorliegend nicht der Fall sei. Zudem legte der Kläger ärztliche Berichte der ihn behandelnden Kinder- und Jugendpsychiaterin Frau PD Dr. N. vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.05.2010 wies die Regierung von Oberbayern den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach 75 Abs. 3 SGB XII sei der Beklagte zur Kostenübernahme nicht verpflichtet. Das Institut Knospe-ABA habe mit dem Beklagten keine Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarung abgeschlossen. Gemäß 75 Abs. 4 S. 1 SGB XII komme eine Kostenübernahme nur in Betracht, wenn die begehrte Leistung geeignet sei, die Aufgaben der Eingliederungshilfe zu erfüllen, andererseits müsse sie jedoch auch erforderlich sein. Vor-liegend könne der für den Kläger beschriebene Hilfebedarf auch in Form einer ambulanten Förderung durch die interdisziplinäre Frühförderstelle der Lebenshilfe in Starnberg oder in Herrsching angemessen gedeckt werden. Die Besonderheit des Angebots des Instituts Knospe-ABA, nämlich die umfassende Einbeziehung der Eltern und des Umfeldes und somit die Förderung durch die Eltern im sozialen Umfeld des Klägers, sei in dieser Form sicherlich einmalig und somit ohne gleichartige Alternativen. Aufgabe und Ziel der Eingliederungshilfe sei jedoch die Deckung des spezifischen Bedarfs des Betroffenen, nicht die Bedarfsdeckung in einer bestimmten Art und Weise. Die Einbeziehung und Mitwirkung der Eltern in den Entwicklungs- und Betreuungsprozess erfolge auch bei der Förderung durch die interdisziplinären Frühförderstellen. Im Einzelnen verwies die Regierung auf die entsprechenden Vereinbarungen im Rahmenvertrag Frühförderung. Das Leistungsangebot der Frühförderstellen sei auch sehr stark auf die Anleitung der Eltern und Bezugspersonen ausgerichtet. Auf individuelle z.B. autismusspezifische Förderbedarfe könne bei den Frühförderstellen reagiert werden. Bei der Therapieform des Instituts Knospe-ABA finde keine kontinuierliche Förderung durch eine Fachkraft am Kind statt. Aufgrund der Komplexität des Behinderungsbildes sei aus fachlicher Sicht eine sehr enge Abstimmung verschiedener Maßnahmen zwingend erforderlich. Anders als beim Angebot des Instituts sei ein Austausch der verschiedenen Bezugs- und Betreuungspersonen in der Frühförderstelle gegeben und verringere das Risiko, dass Entwicklungen zu einseitig betrachtet oder gar falsch eingeschätzt werden würden. Äußerst problematisch sei auch, dass mit der begehrten Therapie die Eltern als Therapeuten ausgebildet werden würden, anstatt sie in ihrer Elternrolle zu stärken und die Identität der einzelnen Familienmitglieder zu wahren. Innerhalb von Entwicklungsphasen neuer Behandlungsmethoden sei es nicht geboten, dass der Sozialhilfeträger die Kosten für derartige Therapien übernehme, sofern es andere anerkannte und in ihrer Wirksamkeit nicht offensichtlich schlechtere Behandlungsmethoden gebe. Die Anwendung des § 75 Abs. 4 SGB XII komme nicht in Betracht, da es sich nicht um einen zur Erbringung der Leistung geeigneten Dienst im Sinne des § 75 Abs. 2 SGB XII handle; die Vorschrift sei als Ausnahmeregelung restriktiv auszulegen. Die Qualifizierung der vom Institut Knospe-ABA eingesetzten Berater sei nicht aus-reichend. Die Entgelte des Instituts seien wesentlich höher als die vergleichbarer Angebote der interdisziplinären Frühförderstellen. Insoweit sei die Kostenübernahme auch wegen § 9 Abs. 2 S. 3 SGB XII nicht möglich. Der Träger der Sozialhilfe könne die Vergütung auch nicht nur teilweise tragen. Die vom Beklagten angenommene vorrangige Zuständigkeit der Krankenversicherung sei im Übrigen nicht gegeben.
Hiergegen richtet sich die am 23.06.2010 zum Sozialgericht München erhobene Klage. Die ABA-Therapie durch das Institut sei erforderlich und geeignet, den Schulbesuch des Klägers zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie stünden nach der Elternberatung verhaltenstherapeutische Maßnahmen an oberster Stelle. In diesen Leitlinien wür-den die Modifikationsprogramme nach Lovaas und ABA genannt werden. Aus den ärztlichen Berichten von Frau PD Dr. N. und zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen und Studien ergebe sich die Geeignetheit dieser Therapie für den Kläger. Die vorgetragenen Argumente gegen die Eignung seien widersprüchlich und unzutreffend. So bestehe kein autismusspezifisches Förderangebot der Frühförderstelle der Lebenshilfe Starnberg. Die Kritik an der ABA-Therapie hinsichtlich der Einbindung der Eltern werde unter Hinweis auf die vorgelegten wissenschaftlichen Untersuchungen zurückgewiesen. Der Beklagte bleibe die Begründung dafür schuldig, aus welchen Gründen für ein erfolgreiches autismusspezifisches Förderangebot auch eine umfassende therapeutische Ausbildung zwingend erforderlich sei. Zwar habe das Institut Knospe-ABA bisher kein Leistungsangebot vorgelegt, es habe jedoch mehrfach entsprechende Versuche gemacht, ohne dass die Angebote vom Beklagten zur Kenntnis genommen oder gar bearbeitet worden seien. Die ABA-Therapie führe auch nicht zu Mehrkosten, was sich bereits aus den vorgelegten Rechnungen ergebe. Letztlich komme es auf solche Mehrkosten jedoch nicht an, wenn die gewählte Therapie die einzig geeignete darstelle. Der Beklagte habe im Übrigen auch in der Vergangenheit in vergleichbaren Fällen die Kosten für ABA-Therapien übernommen; auch unter dem Aspekt der Gleichbehandlung sei der Beklagte daher zur Kostenübernahme verpflichtet.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 06.10.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.05.2010 zu verurteilen, die im Zeitraum vom 17.03.2009 bis zur Entscheidung des Gerichts entstandenen Kosten der ABA-Therapie des Instituts Knospe zu übernehmen, sowie über die zukünftigen Kosten der Therapie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat sich in seiner Klageerwiderung im Wesentlichen entsprechend der Begründung des Widerspruchsbescheides der Regierung von Oberbayern geäußert. Eine Übernahme der Kosten komme gemäß 75 Abs. 4 SGB XII nur in Betracht, wenn ein Leistungsangebot sowie ein besonderer Einzelfall vorliege und überhaupt keine anderweitige Bedarfsdeckung möglich sei. Ein besonderer Einzelfall sei nicht bereits dann gegeben, wenn der Kläger nicht auf ein dem Angebot des Instituts Knospe-ABA entsprechendes gleichartiges vereinbarungsgebundenes Leistungsangebot verwiesen werden könne. Zur Erfüllung der Aufgabe der Eingliederungshilfe stünden dem Kläger vereinbarungsgebundene ambulante Leistungen zur Verfügung. Das Institut habe es in Gesprächen mit dem sozialpädagogischen Fachdienst des Beklagten abgelehnt, ein Leistungsangebot vorzulegen. Das Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsberechtigten erfahre insoweit eine Einschränkung, dass zur Bedarfsdeckung nur Einrichtungen ausgewählt werden könnten, mit denen Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII bestehen würden. Die Kostenübernahmen für ABA-Therapien durch den Beklagten in der Vergangenheit seien ausschließlich im Hin-blick auf eine Änderung der Zuständigkeit für die ambulanten Leistungen der Eingliede-rungshilfe erfolgt (keine Beschränkung oder Beendigung laufender Hilfen).
Das Gericht hat die ärztlichen Berichte von Frau PD Dr. N. (kinder- u. jugendpsychiatrisch u. -psychotherapeutisch) und Frau Dr. E. (Zentrum für Entwicklungsneurologie und Frühförderung) ausgewertet.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten des Beklagten und der Regierung von Oberbayern Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Klage ist auch im Übrigen zulässig. Sie erweist sich auch als begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 06.10.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.05.2010 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in dessen Rechten.
Der Kläger hat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten der ABA-Therapie des Instituts Knospe-ABA gemäß §§ 53, 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 Nr. 1 der VO nach § 60 SGB XII (Eingliederungshilfe-Verordnung - EinglHV).
Gegenstand des Verfahrens sind die genannten Verwaltungsakte. Mit dem Bescheid vom 06.10.2009 hat der Beklagte nicht nur die vom Antrag des Klägers vom 12.03.2009 er-fasste Kostenübernahme, sondern darüber hinaus auch abgelehnt, künftig Kosten für die begehrte Therapie zu übernehmen. Daher ist von der Kammer entsprechend des Klageantrags auch über die weiteren Kosten zu entscheiden.
I.
Der Beklagte ist zuständiger Leistungsträger. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht (mehr) streitig und bedarf daher keiner näheren Darlegung. Insbesondere hat die Regierung von Oberbayern zutreffend angenommen, dass vorliegend keine vorrangige Leistungszuständigkeit der Krankenversicherung gegeben ist, da es sich bei der ABA-Therapie nicht um eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation gem. § 26 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) handelt (vgl. z.B. SG Reutlingen v. 28.09.2009 - S 12 SO 4878/07, m.w.N. – insbsd. Oppermann, in: Hauck/Noftz, SGB IX, § 30, Rn. 14 f.). Im Übrigen ergibt sich auch im Hinblick auf den Antrag bei der privaten Krankenversicherung des Klägers aus § 14 SGB IX nichts Anderes; die Vorschrift ist bereits nicht anwendbar (§ 6 SGB IX). Ferner ist vorliegend auch die Zuständigkeit der Jugendhilfe nicht gegeben (§ 10 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Achtes Buch - SGB VIII, § 64 Abs. 2 S.1 Bay. Gesetz zur Ausführung der Sozialgesetze - BayAGSG).
II.
Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sin-ne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach den Besonderheiten des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Nach § 53 Abs. 3 SGB XII ist es besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern (Satz 1). Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern und ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen (Satz 2).
Der Kläger gehört aufgrund seiner als wesentlich zu bezeichnenden Behinderungen unstreitig zum Personenkreis des § 53 Abs. 1 SGB XII – er hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe.
III.
Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören gemäß § 54 Abs. 1 SGB XII neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX insbesondere Hilfen zu einer an-gemessenen Schulbildung, einschließlich der Vorbereitung hierzu. Gemäß § 12 EinglHV werden hiervon auch heilpädagogische und sonstige Maßnahmen zu Gunsten körperlich und geistig behinderter Kinder erfasst, wenn sie erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu er-möglichen oder zu erleichtern. Nach Auffassung der Kammer zielt die ABA-Therapie neben weiteren gewichtigen Teilha-beaspekten vorrangig auf die Vorbereitung und Ermöglichung des Schulbesuchs des Klä-gers ab (so auch SG Darmstadt vom 11.01.2011 - S 28 SO 216/10 ER). Die Therapie soll eine wesentliche Grundlage dafür schaffen, dass der Kläger trotz seiner behinderungsbedingten Defizite in die Lage versetzt wird, bei Eintritt der Schulpflicht den Anforderungen an die Schulfähigkeit zu genügen. Auch wenn der Kläger zum Zeitpunkt der Antragstellung erst drei Jahre alt war und somit keine zeitlich enge Verknüpfung mit der erst weitaus später beginnenden Schulzeit bestand, ist davon auszugehen, dass im Hinblick auf das Behinderungsbild des Antragstellers die Frühförderung bereits im Jahr 2009 anzusetzen hatte, damit bestehende Rückstände gegenüber der altersgemäßen Entwicklung gleichaltriger Kinder ausgeglichen werden können (a.a.O.). Zu berücksichtigen ist vor allem, dass von einer mehrjährigen Therapiedauer auszugehen ist, die sicherlich im Wesentlichen nicht vor dem Schuleintritt enden wird.
IV.
Gemäß 92 Abs. 2 Nr. 1 SGB XII ist den Eltern (§ 19 Abs. 3 SGB XII) die Aufbringung von Mitteln nur für die hier nicht streitigen Kosten für den Lebensunterhalt zuzumuten. Auch scheitert der Anspruch nicht daran, dass hier teilweise Leistungen für die Vergangenheit geltend gemacht werden; der Beklagte kann sich nicht auf die Nachrangigkeit der Sozialhilfe berufen, wenn er zuvor die Hilfegewährung rechtswidrig abgelehnt hat. Hat ein Dritter den Bedarf des Hilfebedürftigen tatsächlich gedeckt, darf dies nach der Rechtsprechung dem Sozialhilfeanspruch dann nicht entgegengehalten werden, wenn der Dritte die Hilfeleistung nur deshalb erbracht hat, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig eingegriffen oder ein Eingreifen abgelehnt hat (z.B. BVerwG v. 02.09.1993 - BVerwGE 94, 127-136).
V.
Sind die Anspruchsvoraussetzungen des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII wie vorliegend er-füllt, besteht ein Anspruch auf Gewährung von im Einzelfall erforderlichen und geeigneten Leistungen. Hinsichtlich des "Ob" der Gewährung steht dem Sozialhilfeträger kein Ermessen zu. Lediglich die Auswahl unter den in Betracht kommenden Maßnahmen – hier ge-mäß § 12 EinglHV - steht im pflichtgemäßen Ermessen des Sozialhilfeträgers, das insbesondere das Wunsch- und Wahlrecht des Berechtigten nach § 9 SGB IX zu berücksichtigen hat (z.B. Bieritz-Harder, in: Münder, SGB XII, 8. Aufl., § 54, Rn. 66; Wehrhahn, in: ju-risPK-SGB XII, 1. Aufl., § 54 SGB XII, Rn. 8, m. Verweis auf die Rspr. [Fn. 11]). Es obliegt also dem Beklagten, festzustellen, welche Hilfemaßnahmen im Fall des Klägers notwendig und geeignet sind. Diese Entscheidung über Art und Umfang der Hilfeleistung ist da-her grundsätzlich gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar. Ist im Einzelfall aber nur eine konkrete Leistung geeignet, das jeweilige Eingliederungsziel zu erreichen, dann ist das Ermessen faktisch "auf Null" reduziert. Es besteht dann ein Anspruch auf Gewährung dieser konkreten Leistung (vgl. Bieritz-Harder, a.a.O., Rn. 67; BVerwG v. 22.10.1992 – 5 C 11.89 – FEVS 181, 183 f.).
So liegt es hier. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass nur bei Durchführung der ABA-Therapie gewährleistet ist, dass die Eingliederungsziele des Klägers, nämlich in erster Linie die Ermöglichung bzw. Erleichterung des Schulbesuchs im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht, weitestgehend erreicht werden. Das Ermessen ist daher "auf Null" reduziert.
1.
Die begehrte Therapie ist erforderlich und geeignet, diese Ziele zu erreichen. Nach der Rechtsprechung (SG Darmstadt, a.a.O.) "setzt dies nicht ein prognostisches Urteil über die Eignung einer heilpädagogischen Maßnahme nach dem Maßstab allgemeiner ärztlicher oder sonstiger fachlicher Erkenntnis voraus, nach dem zu erwarten wäre, dass durch die Maßnahme eine drohende Behinderung oder eine bereits vorhandene Behinderung im Sinne des § 53 Abs. 1 SGB XII verhütet werden kann oder die Folgen einer solchen Be-hinderung beseitigt oder abgemildert werden könnten." Maßgeblich ist allein, ob die Maß-nahme erforderlich und geeignet ist, dem Betroffenen den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern. § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII gewährt Eingliederungshilfe, die vor Beginn der allgemeinen Schulpflicht einsetzt und heilpädagogische Eingliederungsmaß-nahmen im frühen Kindesalter ermöglichen soll. Auf einen fachwissenschaftlichen Zusammenhang zwischen Heilbehandlungsmaßnahme und Besserung des Gesundheitszustandes kommt es dabei nicht an. Entscheidend ist nur, ob der im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht anstehende Schulbesuch erleichtert werden kann (a.a.O.; vgl. U. Mayer, in: Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand: 29.08.11, § 54 SGB XII, Rn. 103; VG Göttingen v. 09.02.2006 - 2 A 351/04).
Dass vorliegend die beantragte ABA-Therapie des Instituts Knospe-ABA diese Voraussetzungen erfüllt, steht nach Auffassung der Kammer, die sich dabei in Übereinstimmung mit der o.a. Rechtsprechung (s. auch SG Reutlingen, a.a.O.) befindet, fest. Die grundsätz-liche fachliche Eignung und Erforderlichkeit ergibt sich - trotz der vom Beklagten geäußer-ten Bedenken z.B. hinsichtlich der Qualifizierung des eingesetzten Personals - bereits aus den vom Kläger vorgelegten wissenschaftlichen Publikationen (Anlagen K 10 bis K 16, Gerichtsakte), wenn auch in unterschiedlicher Intensität bzgl. der Überzeugungsbildung. Vor allem geht sie aus dem HTA-Bericht (Health Technology Assessment) "Verhaltens- und fertigkeitenbasierte Frühinterventionen bei Kindern mit Autismus" der Deutschen Agentur für HTA des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit vom August 2009 hervor. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei der begehrten Therapie lediglich um einen heilpädagogischen Versuch ginge, wie die Auffassungen von Beklagtem und Widerspruchsbehörde nahe legen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass Verfahren und Technologien (z.B. Medikamente, Instrumente, Geräte, Prozeduren, Verfahren, Organisationsstrukturen) mit Bezug zur gesundheitlichen Versorgung laufend wissenschaftlich beobachtet, bewertet und fortentwickelt werden, was offen-kundig zur selbstverständlichen Realität des Gesundheitswesens im weiteren Sinne (jedenfalls in den westlichen Ländern) zählt. Insoweit wird davon auszugehen sein, dass auch das heutige Angebot der ABA-Therapie für die Zukunft nicht "endgültig" und unver-änderlich feststeht; von einer bloßen Erprobungsphase kann jedoch nach dem Ergebnis des Verfahrens in keiner Weise ausgegangen werden. Gleiches gilt für die Annahme, das Angebot des Instituts Knospe-ABA erfülle nicht die Anforderungen einer (wirksamen) ABA-Therapie nach dem heutigen wissenschaftlichen Standard.
2.
Der Beklagte geht zu Recht davon aus, dass Aufgabe und Ziel der Eingliederungshilfe die Deckung des spezifischen Bedarfs des Klägers, nicht jedoch die Bedarfsdeckung in einer bestimmten Art und Weise ist. Genau darum geht es hier jedoch. Denn dieser spezifische Bedarf kann derzeit nur durch die begehrte ABA-Therapie gedeckt werden. Zwar kommen grundsätzlich auch weitere Therapien, wie z.B. die Leistungen der interdisziplinären Frühförderstellen, in Betracht. Diese können den Bedarf des Klägers jedoch nur teilweise decken. Insoweit kommt es nämlich auf eine vergleichende Bewertung der Wirksamkeit (comparative effectiveness) der zur Verfügung stehenden Maßnahmen der Eingliede-rungshilfe an; das Wunsch- und Wahlrecht des Klägers (§ 9 SGB IX) spielt insoweit im Übrigen nur eine geringere Rolle. Der Kläger muss sich nicht auf für ihn weniger wirksame Therapien verweisen lassen.
Wie sich aus der Auswertung der wissenschaftlichen Darlegungen (s.o.) ergibt, ist der Grundsatz der individuellen Therapie bei autistischen Störungen von zentraler Bedeutung. Eine solche Individualität wird nach Auffassung der Kammer nur durch die begehrte Therapie sichergestellt. Insbesondere die vom Beklagten dargestellten Leistungen der Frühförderstellen genügen diesen Anforderungen nicht. Dies ergibt sich aus den Einlassungen des Klägers, die teilweise auch unwidersprochen geblieben sind. Zum anderen ergibt sich dies auch bereits aus der Darstellung des Konzepts dieser Stellen durch den Beklagten. Es ist auch leicht nachvollziehbar, dass autismusspezifische Elemente in diesem Konzept, das im Hinblick auf den betroffenen Personenkreis breiter angelegt sein muss, geringeres Gewicht einnehmen als bei der begehrten ABA-Therapie. Insoweit sind beide Ansätze nicht unmittelbar vergleichbar. Neben der mangelnden individuellen Lösung bei möglichen Alternativen ergibt sich die beste Eignung der begehrten ABA-Therapie im Hinblick auf die Situation des Klägers vor allem auch durch die Darlegung der behandelnden Ärztin Frau PD Dr. N ... Diese hat in zahlreichen ärztlichen Stellungnahmen nicht nur für den Kläger ohne jeden Zweifel die Durchführung der ABA-Therapie empfohlen, sondern auch Fortschritte des Klägers fest-gestellt. So hat sie unter anderem ausdrücklich festgehalten, dass der Kläger sehr von den eingeleiteten ABA-Maßnahmen profitiere. Auch der Beklagte hat anerkannt, dass die Therapieform des Instituts Knospe-ABA ohne gleichartige Alternative ist. Es ist somit nicht zu erkennen, weshalb die von der behandelnden Ärztin als einzige Maßnahme empfohle-ne und vom Beklagten als einmalig bezeichnete Therapie durch andere Behandlungsformen zu ersetzen sein sollte. Schließlich ist die Kammer auch aufgrund des oben genannten Berichts der Deutschen Agentur für HTA des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) vom August 2009 zu der Überzeugung gelangt, dass die ABA-Therapie für den Kläger alternativlos ist. Wenn auch auf die in der Studie untersuchten verhaltensbasierten Frühinterventionen bei Kindern mit Autismus beschränkt, geht aus dem Bericht doch eindeutig hervor, dass die meiste Evidenz für die ABA festgestellt wurde.
3.
Weitere Ermittlungen - insbesondere die Einholung eines Sachverständigengutachtens - waren daher nicht veranlasst. Erst recht bestand hierzu keine verfahrensrechtliche Pflicht.
Zum einen ist eine Gutachtenserstellung nicht erforderlich. Zum anderen ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass durch die Beauftragung eines oder mehrerer Sachverständigen/Sachverständiger zur Klärung der Frage, ob die ABA-Therapie für den Kläger alternativlos ist, keine Gewissheit hergestellt werden könnte. Denn das Ergebnis eines solchen Gutachtens wäre in erster Linie weniger von den individuellen Gegebenheiten des Klägers als vielmehr von der grundsätzlichen Position des Gutachters zur Effektivität und Sinnhaftigkeit der genannten Therapie beeinflusst worden, was bei neueren, noch nicht allgemein anerkannten Therapieformen gewissermaßen in der Natur der Sache liegt. Angesichts der Tatsache, dass es im Hinblick auf die umfangreiche medizinische Literatur "wenig gibt, was man nicht durch eine Literaturangabe untermauern könnte, bis hin zu den unsinnigsten Behauptungen" (Höffler, in: Ehlers, Praxis des medizinischen Gutachtens im Prozess, 1. Aufl., S. 121), hätte sich aus einem Gutachten nach Überzeugung der Kammer im Hinblick auf die (scheinbare?) Beliebigkeit von Argumenten und Gegenargumenten unter Umständen nicht einmal ein wesentlicher Erkenntnisgewinn ergeben. Dies bedeutet jedoch, wie sich bereits aus dem oben Gesagten ergibt, nicht, dass sich die Skepsis der Kammer auf die wissenschaftliche Lösbarkeit der streitgegenständlichen Fra-ge beziehen würde. Denn aufgrund der vorliegenden Unterlagen steht nach Überzeugung der Kammer die Alternativlosigkeit der ABA-Therapie für den Kläger - wissenschaftlich begründet - fest. Andernfalls wäre denn auch die streitgegenständliche Problematik nicht im Sinne eines "gerechten" Ergebnisses lösbar, vielmehr würden Beliebigkeit und Willkür maßgeblichen Einfluss erhalten (vgl. z.B. Rüthers, Rechtstheorie, 2. Aufl., S. 271 ff.). Die Skepsis bezieht sich freilich allein auf den Weg des Erkenntnisgewinns durch Gutachtenserstellung.
4.
Wird wie hier nur eine bestimmte Leistung dem festgestellten Eingliederungsbedarf gerecht, ist diese Leistung im Regelfall ungeachtet der Kosten zu erbringen. Vorliegend ist jedoch – anders als der Kläger annimmt – aufgrund gesetzlicher Vorgabe eine Angemessenheitsprüfung durchzuführen, da § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII Hilfen (nur) zu einer angemessenen Schulbildung vorsieht (vgl. Bieritz-Harder, a.a.O.). Dass die Kosten der ABA-Therapie jenseits einer solchen Angemessenheitsgrenze liegen würden, ist aber nicht ersichtlich. Dies ergibt sich sowohl aus der Kostenaufstellung des Beklagten für die Aufwendungen bei Nutzung der interdisziplinären Frühförderstellen als auch aus den bisher – einschließlich der Unterlagen, die mit Schriftsatz vom 10.10.2011 übersandt wurden, – vom Kläger vorgelegten Kostenrechnungen.
In diesem Zusammenhang weist die Kammer darauf hin, dass künftige Kosten (für mit den in der Vergangenheit erbrachten vergleichbare Leistungen) in etwa demselben Umfang als angemessen zu betrachten sind. Soweit also der Kläger bis zur Beendigung der ABA-Therapie bzw. längstens bis zum Schuleintritt die Kostenerstattung in vergleichbarem Umfang vom Beklagten begehrt, hat Letzterer in diesem Sinne zu entscheiden, so-fern die tatsächlichen Verhältnisse des Klägers im Wesentlichen unverändert sind. Über die Frage des Einsatzes von Co-Therapeuten hat das Gericht hier nicht zu entscheiden.
VI.
Dem Anspruch des Klägers steht auch nicht § 75 Abs. 3 SGB XII entgegen, da der Beklagte (oder sein Verband) keine Vereinbarung mit dem Institut Knospe-ABA geschlossen hat.
Denn gemäß § 75 Abs. 4 SGB XII darf der Beklagte Leistungen für den Kläger durch diese Einrichtung erbringen, da dies nach den Besonderheiten des Einzelfalles geboten ist. Nach der Rechtsprechung liegen Besonderheiten des Einzelfalles in diesem Sinne jeden-falls dann vor, wenn der festgestellte Bedarf - wie oben dargestellt - nicht anderweitig befriedigt werden kann (LSG Berlin-Brandenburg vom 11.12.2007 – L 23 B 249/07 SO ER, m.w.N.). Auch insoweit ist das Ermessen des Beklagten "auf Null" reduziert, da sich die Ermessensausübung auch im Rahmen des § 75 Abs. 4 SGB XII letztlich am Bedarfsdeckungsprinzip zu orientieren hat (a.a.O.). Dass dem Sozialhilfeträger im Einzelfall keine durch Vereinbarungen gebundene Einrichtung zur Bedarfsdeckung zur Verfügung steht, kann nicht einseitig zulasten des Leistungsberechtigten gehen (a.a.O.).
Zwar liegt kein Leistungsangebot des Instituts gemäß § 75 Abs. 4 i.V.m. § 76 SGB XII vor; letztlich müssen die genauen Gründe hierfür offen bleiben. Es ist jedoch anerkannt, dass wegen des Bedarfsdeckungsgrundsatzes der Sozialhilfeträger auch bei Fehlen eines Leistungsangebots die Vergütung übernehmen muss, wenn - wie hier - eine anderweitige Deckung des Bedarfs ausgeschlossen ist (z.B. Jaritz/Eicher, in: jurisPK-SGB XII, 1. Aufl., § 75 SGB XII, Rn. 64, m.w.N.).
Auch die Voraussetzung des § 75 Abs. 4 S. 3 SGB XII ist gegeben, wie bereits aus der Kostenaufstellung des Beklagten ersichtlich ist.
VII.
Die von der Kammer vorgenommene Feststellung eines Anspruchs des Klägers auf die Finanzierung der von seinen Eltern für ihn gewünschten und der für ihn derzeit wirkungsvollsten Therapie durch die öffentliche Hand entspricht gerade auch den Wertentscheidungen der Verfassung. Nach Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz (GG) sind Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern. Die Vorschrift stellt eine wertentscheidende Grundsatznorm für den gesamten Bereich des das Eltern-Kind-Verhältnis betreffenden (privaten und) öffentlichen Rechts dar, die alle staatliche Gewalt bindet. Sie schützt vor allem Elternautonomie und Kindeswohl (z.B: Uhle, in: Epping/Hillgruber, GG, 1. Aufl., Art. 6, Rn. 48, m.w.N.). Den Elternentscheidungen in der für den Kläger zentralen Frage seiner behinderungsbezogenen Entwicklungsförderung kommt daher entscheidendes Gewicht zu. Entsprechendes gilt im Hinblick auf die Verpflichtung des Staates zur Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), ferner dem Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG und dem umfassenden Grundrecht des Art. 2 GG. An dieser Stelle kann offen bleiben, ob bzw. inwieweit die Wirkdimensionen der genannten Grundrechte überhaupt zu einem subjektiven Anspruch des Klägers führen können. Sie stellen jedenfalls allesamt für die staatlichen Gewalten verbindliche Wertentscheidungen dar (z.B. BVerfGE 39, 1): Sie sind verfassungsrechtliche Grundentscheidungen, die für alle Bereiche des Rechts gelten und Richtlinien sowie Impulse für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung geben.
Die Verpflichtung des Beklagten entspricht nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens auch dem im Hinblick auf die Kosten durchaus Möglichen, so dass die Problematik hier nicht zu erörtern ist, ob sich die Leistungen des Systems der öffentlichen Gesundheitsver-sorgung/Behindertenhilfe angesichts der Annahme weitergehender aus dem Sozial-staatsprinzip bzw. dem GG abgeleiteter Leistungsansprüche "überhaupt noch substantiell begrenzen lassen" (Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber, a.a.O., Art. 20., Rn. 203.1; vgl. auch BVerfGE 115, 25).
VIII.
Der Bescheid des Beklagten vom 06.10.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.05.2010 ist somit rechtswidrig und war daher aufzuheben. Dem Kläger war die begehrte Leistung zuzusprechen. Soweit also der Kläger künftig vom Beklagten Kostenerstattung begehrt, hat dieser unter Beachtung der o.a. Rechtsauffassung der Kammer über den Antrag zu entscheiden, so-fern die tatsächlichen Verhältnisse des Klägers unverändert sind. Somit endet die Verpflichtung des Beklagten jedenfalls spätestens beim Erreichen des schulpflichtigen Alters des Klägers.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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