S 30 VM 1/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
30
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 30 VM 1/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 01.09.2008 in Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 19.02.2009 wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten ist die Höhe einer Versorgung nach dem Anti-D-Hilfe-Gesetz (AntiDHG). Die Klägerin ist geboren 1953. Sie beantragte am 31.01.1995 beim Beklagten Kommunalen Sozialverband Sachsen eine Versorgung aufgrund einer "medizinischen Maßnahme" vom 13.02.1979 durch Organe der DDR. Es handelte sich um eine sogenannte "Angleichung der Blutgruppen" nach der Geburt eines Kindes im Sinne einer Anti-D-Prophylaxe gegen die Entwicklung von Antikörpern bei der Mutter gegen weitere Kinder wegen einer Unverträglichkeit der Blutgruppen. Die nicht nur bei der Klägerin, sondern massenhaft eingetretene Folge war eine Hepatitis-C-Infektion durch wissentlich eingesetztes verunreinigtes Serum. Der so erschütternde wie empörende historische Ablauf ist gut dargestellt in der Fernsehdokumentation "Nur eine Spritze" des Rundfunks Berlin-Brandenburg, abrufbar in der Mediathek dieses Senders. In dem Film kommt auch die Klägerin zu Wort. Das Gericht hat mit Absetzung dieses Urteils bewusst erst nach der Erstausstrahlung dieser Sendung begonnen. Mit Bescheid vom 14.08.1995 wurde bei der Klägerin in noch wenig präziser Terminologie ein Impfschaden in Gestalt einer Hepatitis-C-Infektion anerkannt. Leistungen wurden ihr jedoch nicht zugesprochen, weil die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit weniger als 25 beziffert wurde. Der Widerspruch der Klägerin vom 07.09.1995 wurde mit einem zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 16.10.1996 beantwortet. Die hiergegen erhobene Klage und ein Neufeststellungsantrag vom 05.11.1996 wegen drastischer Verschlechterung führten zu dem Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 19.12.2000 mit dem Aktenzeichen S 13 VJ 10/96 vom 19.12.2000, das der Klägerin Leistungen zusprach. Am 23.05.2001 erging ein Ausführungsbescheid, der als Schädigungsfolgen anerkannte: "Chronische Hepatitis C mit geringer entzündlicher Aktivität, diskrete Fibrose und diskrete Leberzellverfettung". Die MdE wurde mit 30 beziffert, Leistungen ab dem 03.10.1990 zu-erkannt und eine Nachzahlung von DM 20.385,00 nebst Zinsen von DM 3.114,70 angewiesen. Am 05.06.2001 folgte ein Bescheid nach dem zwischenzeitlich in Kraft getretenen AntiDHG. In dessen Vollzug wurde eine Einmalzahlung von DM 12.000,00 erbracht und zur laufenden Zahlung ein Betrag von DM 5.586,00 nachgezahlt. Am 19.02.2007 beantragte die Klägerin die Anerkennung einer Verschlimmerung vorrangig wegen Depressionen. Die Klägerin arbeitete damals wie heute vollschichtig als Alten-pflegehelferin. Ein Attest belegte außerhalb der Schädigung auch eine neurotische Problematik, die die Klägerin lebenslang durch Leistungserbringung kompensiert habe. Die Höhe der Rente nach dem AntiDHG betrug zu dieser Zeit EUR 272,00 weiterhin aufgrund einer MdE von 30. Mit Bescheid vom 01.09.2009 wurde die Anerkennung einer Verschlimmerung abgelehnt. Nach Abklingen der Nebenwirkungen einer Interferon-Therapie sei im Vergleich zu den vorherigen Bescheiden keine wesentliche Änderung nachweisbar. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der anerkannten Hepatitis-C-Erkrankung und den geltend gemachten Depressionen bestehe aus medizinischer Sicht nicht. Ihren Widerspruch vom 10.09.2008 begründete die Klägerin nicht weiter, so dass er mit Widerspruchsbescheid vom 19.02.2009 zurückgewiesen wurde. Hiergegen richtet sich die Klage, mit der die Klägerin die Anerkennung eines Grades der Schädigungsfolgen (GdS, neuer Rechtsbegriff ab 01.01.2008 anstelle der MdE) von min-destens 50 und eine entsprechende Erhöhung der Leistungen begehrte. Das Gericht er-öffnete die medizinische Sachaufklärung durch Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte Dr. D., Dr. E., Dr. D. und Dr. F ... Unter dem Datum des 05.03.2010 lieferte die Klägerin eine ausführliche Schilderung des traumatisierenden Ablaufs im Februar 1979. Als Mutter schon eines 1977 geborenen Kindes und nun des am 11.02.1979 neugeborenen R. wurde ihr zunächst das Stillen dieses Sohnes verboten. Sodann wurde sie ohne jede ausreichende Information mit staatlichem Zwang zu einem Krankenhaus-aufenthalt von drei Monaten Dauer mit Merkmalen eher einer Haft als einer medizinischen Behandlung gezwungen. Nur durch das Abhören verbotener Westsender konnten sie und ihre Leidensgenossinnen erfahren, dass 7200 Frauen durch verseuchtes Serum infiziert worden waren und einige davon bereits verstorben waren. Im weiteren ausführlichen Text schilderte die Klägerin ihre gesundheitliche, berufliche und partnerschaftliche Biografie von 1979 bis 2010. Wichtige Daten waren die Geburt des dritten Kindes im Oktober 1989, das Scheitern der Ehe 1992, der Tod des Ex-Mannes 2005, eine neue leider wiederum gescheiterte Ehe und der Wechsel von Sachsen nach Oberbayern und zugleich von der über 26 Jahre ausgeübten schweren Arbeit als Stanzerin in die wiederum schwere Tätigkeit als Altenpflegerin. Für das Jahr 2008 berichtete die Klägerin von einer gesundheitlichen und beruflichen Krise wegen der Nebenwirkungen einer empfohlenen Interferontherapie. Als aktuellen Wunsch nannte die Klägerin eine Teilrente, um im Hinblick auf ihre hauptsächlichen Beschwerden der Kraftlosigkeit und Müdigkeit ihre Berufstätigkeit auf täglich vier Stunden zu reduzieren. Die Klagebegründung machte Folgeerkrankungen als extrahepatische Komplikationen der chronischen HCV-Infektion geltend. Diese seien weitgehend unabhängig von Fortbestand und Schwere der Lebererkrankung. Im einzelnen wurden als solche Komplikationen die Depression, die Tagesmüdigkeit und die Konzentrationsschwäche dargestellt. Das Gericht ernannte die Psychiaterin und Neurologin Frau Dr. C. zur nervenärztlichen Sachverständigen und beauftragte sie mit der Fertigung eines Gutachtens über die bei der Klägerin vorhandenen Gesundheitsstörungen und ihre Herleitung von der schädigen-den Infektion. Das Gutachten wurde dem Gericht mit dem Datum des 26.08.2010 vorgelegt. In der Rekapitulation des Akteninhalts zitierte die Sachverständige nicht nur den bekannten Ablauf seit Februar 1979,sondern auch Mitteilungen der Klägerin über eine traumatisierende Kindheit durch ständige gewalttätige Übergriffe und sexuellen Missbrauch von Seiten ihres Vaters. Sie leide seit ihrer Kindheit unter rezidivierenden Depressionen. Aus neuerer Zeit wird über die Interferon-Therapie ab März 2006 berichtet, die zu einer Gewichtsabnahme um 20 kg und einem Jahr Arbeitsunfähigkeit geführt hat. Seit 2010 sind pectanginöse Beschwerden aktenkundig. Zu Lebensgeschichte und Beschwerdebild erzählte die Klägerin über den erlittenen Miss-brauch ab etwa sieben oder acht Jahren und vollendete Vergewaltigungen durch den Vater wenig später bis etwa zum 20. Lebensjahr. Weitere belastende Erinnerungen betrafen die beiden gescheiterten Ehen. Erneut berichtete die Klägerin ausführlich über die gesundheitliche Beeinträchtigung und die staatlichen Zwangsmaßnahmen ab Februar 1979. Als aktuelle Beschwerden benannte die Klägerin eine allgemeine Schwäche, ein ständiges Ziehen im Oberbauch, Stimmungsschwankungen ohne durchgehende Depressivität, insbesondere nächtliche Traurigkeit, Durchschlafstörungen insbesondere wegen Kribbelns in den Beinen, Kopfschmerzen und Herzprobleme. Andererseits habe sie Freude am Malen als ihrem Hobby und an ihren Enkelkindern und freue sich auf einen gemeinsamen Urlaub mit ihren beiden Töchtern. Ihre vollschichtige Arbeit im Pflegeheim schilderte die Klägerin als sehr anstrengend bei ausgesprochen guter Integration in die Kollegenschaft. Sie habe Angst, die Arbeit nicht mehr zu schaffen. Nach Aktenauswertung und fachspezifischer Untersuchung gelangt die Sachverständige zu folgenden Diagnosen: 1. Dysthymie; Zustand nach mittelschwerer depressiver Episode April 2007, remittiert, 2. chronische Hepatitis C mit geringer entzündlicher Aktivität, 3. Mikroangiopathische coronare Gefäßveränderungen, 4. Verdacht auf Restless-Legs-Syndrom. In ihrer Stellungnahme zur kausalen Ableitung des derzeitigen Gesundheitszustandes von der Schädigung im Sinne des AntiDHG geht die Sachverständige auf massive psychische Auffälligkeiten in der Familienanamnese ein, wohl auch mit Folgen bis in die unbefriedigenden Partnerschaften hinein. Die subjektive Einschätzung der Klägerin, alle ihre Kindheitserfahrungen absolut hinter sich gelassen zu haben und alle derzeit erlebten Beeinträchtigungen auf die Hepatitis und ihre Folgen zurückführen zu können, sei in keiner Weise mit heutigen Erkenntnissen zur Entstehung von Depressionen in Übereinstimmung zu bringen. Die Langzeitfolgen sexuellen Missbrauchs werden im Gutachten sodann mit Verweisungen auf die aktuelle Literatur anschaulich referiert. Gemessen an der Schwere der Vorschädigung sei das jetzige psychische Zustandsbild der Klägerin erfreulich günstig. Frau Dr. C. gelangt zu dem Ergebnis, dass die nunmehr geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht mit Wahrscheinlichkeit durch schädigende Ereignisse i.S.d. AntiDHG hervorgerufen oder verschlimmert wurden. Die insgesamt nur diskrete psychopathologi-sche Symptomatik lasse sich zwanglos durch alle anderen biografischen Belastungen der Klägerin erklären. Anzuerkennende Schädigungsfolgen seien auf nervenärztlichem Gebiet nicht zu formulieren. Damit entfalle auch ein Vorschlag für einen GdS. Die Sachverständige empfahl auch im Hinblick auf eine insoweit gestellte Frage des Gerichts die zusätzliche Einholung eines internistischen-hepatologischen Fachgutachtens. Hiergegen erhob der Klägervertreter ausführliche Gegenvorstellungen. Die Sachverständige setze sich an keiner Stelle ihres Gutachtens damit auseinander, welche neurolo-gisch-psychiatrischen Folgen von einer langjährigen chronischen Hepatitis-C-Virusinfektion ausgehen könnten. Dieses Krankheitsbild könne laut Literatur und Recht-sprechung zu rascher Erschöpfbarkeit, Abgeschlagenheit, vorzeitiger Ermüdbarkeit und Konzentrationsschwäche führen. Demgegenüber müsse der Vollbeweis erbracht werden, dass die biografische Belastungen der Klägerin auch tatsächlich zu psychopathologischen Symptomen der streitbefangenen Art geführt haben könnten. Könne dieser Vollbeweis nicht erbracht werden, sei die Frage der Kausalität abschließend allein unter Berücksich-tigung der chronischen Hepatitis-C-Virusinfektion zu beantworten. Das Gericht ernannte sodann Prof. Dr. G. zum weiteren medizinischen Sachverständigen des Gerichts und ersuchte ihn um ein internistisch-hepatologisches Gutachten zu den bereits für Frau Dr. C. gültigen Fragestellungen. Das Gutachten trägt das Datum des 15.03.2011. Aus dem Untersuchungsgespräch mit der Klägerin zitierte der Sachverständige eine Beschwerdeschilderung wiederum unter Hervorhebung von allgemeiner Müdigkeit und Abgeschlagenheit. Des weiteren nannte sie ständige rechtsseitige Oberbauch-schmerzen und rezidivierendes Erbrechen sowie Hochwürgen von Schleim. Zudem fühle sie sich sehr gebläht und leide schon seit Jahren unter einem ausgeprägten Meteorismus. Eine Obstipationsneigung sei seit Jahren bekannt. Seit der Interferon-Therapie 2006 leide sie an Nachtschweiß. Hinzu kämen Konzentrationsstörungen und Spannungskopf-schmerzen sowie das Gefühl einer Mundlähmung und ein trockener Mund. In der Bilanz einer weitgehend undramatischen organischen Untersuchung unter Einschluss von apparativen und labortechnischen Verfahren erhob Professor Dr. G. folgende Diagnosen: 1. chronische Virus-Hepatitis-C (Genotyp 1b) mit hoher Viruslast (aktuell 1.700.000 lU/ml) ohne Zeichen für Lebersynthesestörung,
2. Zustand nach 48-wöchiger peg-Interferon-/Ribavirin-Therapie ab April 2006 mit partiellem Frühansprechen und Relaps,
3. Zustand nach Hysterektomie 2001,
4. Zustand nach Varizenoperation beidseits,
5. Zustand nach subtotaler Strumaresektion beidseits, Verdacht auf Strumarezi-divknoten,
6. Dysthymie,
7. Dysontogenetische Leberzyste,
8. Zustand nach Hautverbrennung des linken Handgelenks.

Zur Möglichkeit eines Kausalzusammenhangs zwischen schädigendem Ereignis und der-zeitigen Gesundheitsstörungen bestätigt der Gutachter, dass allgemeine Schwäche, Müdigkeit und Antriebslosigkeit mit Wahrscheinlichkeit im Zusammenhang mit der lange bestehenden Hepatitis-C-Infektion stehen können. Es handele sich jedoch um übliche Befindlichkeitsstörungen im Rahmen einer chronischen Hepatitis C, die in den bestehenden GdS bereits subsumiert seien. Für eine nach der Interferon-Behandlung offenbar aufgetretene mittelschwere Depression sieht der Sachverständige eine Dauer von drei Monaten oder mehr als nicht objektivierbar an. Zusätzliche während der Untersuchung am 22.02.2011 angegebene Gesundheitsbeeinträchtigungen wie Übelkeit, Tachykardie, Palpationen, Gelenkbeschwerden etc. seien entweder medizinisch nicht validierbar oder als übliche Befindlichkeitsstörungen der chronischen Hepatitis zuzuordnen. Bezüglich der Leberfunktion werde aktuell lediglich ein GdS von 20 erreicht. Theoretisch sei möglich, dass sich histologisch bei der Klägerin aktuell ein Prozess der Erkrankung im Sinne einer stär-keren nekro-inflammatorischen Aktivität bzw. Leber-Fibrose darstelle, ohne dass sich dies in einer Erhöhung der Transaminasen widerspiegelt. Dies könne möglicherweise zu einer Erhöhung des GdS führen. Da die Patientin aber eine erneute Leberbiopsie ablehne, müsse sich die Einschätzung der Krankheitsaktivitäten der Lebererkrankung auf die laborchemischen Parameter sowie die klinische Untersuchung beziehen. Klinische Hinweise auf eine weiter fortgeschrittene Lebererkrankung im Sinne einer Fibrose oder Zirrhose hätte sich nicht ergeben. Insgesamt ergebe sich das Bild eines erfreulicherweise relativ benignen Verlaufes einer chronischen Hepatitis-C-Infektion. Wiederum regierte der Vertreter der Klägerin mit umfassenden Gegenvorstellungen. Er legt Wert auf die Unterscheidung zwischen der chronischen Hepatitis, also der Leberentzündung, und einer chronischen Hepatitis-C-Virusinfektion. Erstere beziehe sich nur auf das Geschehen in der Leber und die daraus resultierenden direkten Auswirkungen. Daneben sei es aber wissenschaftlich anerkannt, dass es zahlreiche indirekte meist auto-immunologische Folgen der HCV-Erkrankung gibt. Anhand vergleichbarer Fälle listet er eine Vielzahl häufiger klinischer Auswirkungen einer solchen chronischen Infektion auf. Der Sachverständige hätte seiner Auffassung nach zwischen direkten Schädigungsfolgen und indirekten extrahepatischen Schädigungsfolgen unterscheiden müssen. Schwäche, Müdigkeit und Antriebslosigkeit würden "nicht selten" bei einer chronischen Hepatitis-C-Virusinfektion auftreten und seien damit nicht als übliche Befindlichkeitsstörungen zu qualifizieren. In einer von Frau Dr. C. erbetenen ergänzenden Stellungnahme vom 18.08.2011 schloss sie bei der Klägerin eine schwerergradige Depression aus und hielt an ihrer Auffassung fest, die Kausalitätsbetrachtung habe sich auf die schnelle Erschöpfbarkeit der Klägerin zu beschränken. Es sei nicht Aufgabe eines Gutachtens, diejenigen Gesundheitsstörun-gen nachzuweisen, die nach bestimmten schädigenden Ereignissen überhaupt auftreten können. Vielmehr habe ein Gutachten festzustellen, welche Symptome faktisch vorliegen, und dann deren Hintergrund zu klären. Auch mit Blick auf das ihr inzwischen vorliegende Gutachten von Prof. Dr. G. weist sie auf die grundsätzliche Beschränkung eines Gutachtensauftrages auf Symptome hin, die objektiv vorhanden sind, ohne Erweiterung auf diejenigen Symptome, die möglicherweise auftreten können. Der Vertreter der Klägerin hielt daraufhin den Hinweis für erforderlich, Mediziner seien in ihrem beruflichen Handeln den Kategorien des eigenen Berufs verpflichtet. Dies beachte Frau Dr. C. nicht. Sie habe entsprechend aktualisierten Richtlinien abklären müssen, ob bei der Klägerin Einschränkungen der Leistungsfähigkeit durch Müdigkeit, Abgeschlagenheit, subklinische kognitive Störungen, psychomotorische Verlangsamung und depressive Symptome festzustellen seien und ob diese auf die Hepatitis-C-Virusinfektion zurückzuführen sein. Sodann vertieft der Klägervertreter die im aktuellen Rechtsstreit von keiner Seite bestrittene Dramatik der Vorgänge des Jahres 1979. Der Beklagte Sozialverband bestätigte die Plausibilität der eingeholten Gutachten und wendete sich gegen die vom Vertreter der Klägerin postulierte Beweislastumkehr. Eine ergänzende Stellungnahme von Professor Dr. G. vom 23.03.2012 bestreitet die Notwendigkeit einer jeweils gesonderten Beurteilung der Hepatitis und der Virusinfektion. Gerade weil Schwäche, Müdigkeit und Antriebslosigkeit als Folgen einer Hepatitis-C-Virusinfektion typisch seien, könnten sie nicht zu einer Erhöhung des GdS über das bisher anerkannte Ausmaß führen. Wiederum nahm der Vertreter der Klägerin ausführlich Stellung und verwies auf umfangreiche Literatur. Auch den Ablauf der mündlichen Verhandlung prägte er mit breit angelegten Vorwürfen gegen die Gutachter, die es versäumt hätten, die nach anerkannten Forschungsergebnissen typischen hepatischen und extrahepatischen Hepatitisfolgen bei der Klägerin festzustellen und pflichtgemäß auf das schädigende Ereignis zurückzuführen. Die Klägerin wehrte sich gegen den vermeintlichen Vorwurf, am erlebten sexuellen Miss-brauch selbst schuld zu sein oder diesen jemals erwähnt zu haben. Dieser werde ihr nun zur Abwehr von erhöhten Ansprüchen nach dem AntiDHG ständig vorgeworfen. Das Gericht erläuterte ihr, dass von einem solchen Vorwurf keine Rede sein könne. Der Vorsitzende fragte sie, welches aktuelle Ziel sie verfolge. Sie erwiderte mit dem Wunsch, ihre Berufstätigkeit zu reduzieren oder zu beenden. Der Vorsitzende bestätigte, dass diese Zielvorstellung einer fast 60-jährigen gesundheitlich beeinträchtigten Frau in der sehr schweren Tätigkeit einer Altenpflegehelferin und nach Jahrzehnten voller Inanspruch-nahme durch Beruf und Familie vollkommen nachvollziehbar ist. Unter Hinweis auf seine tagtägliche Befassung mit der Frage des Übertritts von einem anstrengenden Berufsleben in einen verdienten Ruhestand äußerte er seine Verwunderung, dass für eine Klägerin, deren Krankheitsbild in einem schwierigen Verfahren inzwischen überreichlich diskutiert wurde, bislang weder der Antrag auf eine Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung noch der Antrag auf Anerkennung einer Schwerbehinderung als Einstieg in eine vorzeitig in Anspruch zu nehmende Altersrente gestellt wurde.

Die Klägerin beantragt,

den beklagten Kommunalverband Sachsen unter Aufhebung des Bescheid vom 01.09.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2009 zu verurteilen, die Leistungen nach dem Anti-D-Hilfe-Gesetz für die Zeit ab 19.02.2007 unter Anerkennung der weiteren Schädigungsfolgen Depressionen, lähmende Müdigkeit und Antriebslosigkeit sowie Konzentra-tionsstörungen aufgrund eines Grades der Schädigungsfolgen von mindestens 50 zu erbringen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat die Akten des Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte sowie auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsver-fahrens form- und fristgerecht beim zuständigen Gericht erhoben und ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig. Sie ist jedoch in der Sache nicht begründet. Das AntiDHG lautet auszugsweise: § 1 Abs. 1: Anspruch auf Hilfe (1) Frauen, die in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet infolge einer in den Jahren 1978 und 1979 durchgeführten Anti-D-Immunprophylaxe mit den Chargen des Bezirksinstituts für Blutspende- und Transfusionswesen des Bezirkes Halle mit dem Hepatitis- C-Virus infiziert wurden, erhalten aus humanitären und sozialen Grün-den Krankenbehandlung und eine finanzielle Hilfe. Eine finanzielle Hilfe erhalten auch die Hinterbliebenen eines nach Satz 1 Berechtigten. § 3 Finanzielle Hilfe (1) Berechtigte nach § 1 Abs. 1 Satz 1 erhalten als finanzielle Hilfe eine monatliche Rente und eine Einmalzahlung. (2) Die monatliche Rente beträgt bei einem Grad der Schädigungsfolgen infolge der Hepatitis- C-Virus-Infektion von 30 272 Euro, von 40 434 Euro, von 50 598 Euro, von 60 815 Euro, von 70 und mehr 1.088 Euro. (3) Die Einmalzahlung nach Absatz 1 beträgt bei einem Grad der Schädigungsfolgen in-folge der Hepatitis- C-Virus-Infektion von 10 und 20 3 579 Euro, von 30 6 136 Euro, von 40 7 669 Euro, von 50 10 226 Euro, von 60 und mehr 15 339 Euro. Maßgebend für die Höhe der Einmalzahlung ist der Grad der Schädigungsfolgen im Zeitpunkt der erstmaligen Bewilligung von Leistungen nach Absatz 1. (4) Der Grad der Schädigungsfolgen bestimmt sich nach § 30 Abs. 1 und § 31 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Die Voraussetzungen für die Gewährung der finanziellen Hilfe nach Absatz 1 werden unabhängig anderweitiger Anerkennungen über das Ausmaß der Schädigungsfolgen festgestellt. § 11 Zuständigkeit, Verfahren (1) Die Gewährung von Leistungen nach diesem Gesetz obliegt den für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden des Landes, zu dessen heutigem Gebiet der Ort gehört, an dem die Anti-D-Immunprophylaxe durchgeführt wurde. Die örtliche Zuständigkeit der Behörden bestimmt sich nach den für den Vollzug des Infekti-onsschutzgesetzes geltenden landesrechtlichen Regelungen. (2) Das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung, mit Ausnahme der §§ 3 und 4, das Erste und Zehnte Buch Sozialgesetzbuch sowie die Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes über das Vorverfahren sind anzuwenden.

§ 30 Abs. 1 Satz 1 BVG gebietet zur Prüfung des Anspruchs auf Beschädigtenrente die Beurteilung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolgen anerkannten körperlichen, geistigen und seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen. Der GdS ist nach Zehnergraden vom 10 bis 100 zu bemessen, S. 2 der Vorschrift. Nach § 30 Abs. 1 Satz 3 sind vorübergehende Gesundheitsstörungen nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt nach § 30 Abs. 1 Satz 4 ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. § 31 BVG lässt einen Rentenanspruch ab einem GdS von 30 zu.

Die Klägerin hat eine außerordentlich respektable Lebensleistung erbracht. Nach einer von extremen Übergriffen belasteten Kindheit und Jugend hat sie drei Kindern das Leben geschenkt und sie liebevoll erzogen. 1979 wurde sie wie viele andere Mütter Opfer einer besonderen Form staatlicher Willkür. Die Fernsehdokumentation, von der die Klägerin dem Gericht freundlicherweise Kenntnis gegeben hat, zeigt auf, in welcher skandalösen Weise die DDR-Administration Ausgaben in harter Währung zur Behebung eines Engpasses an erforderlichem Serum vermied und stattdessen wissentlich ihre Bürgerinnen mindestens einer lebenslangen gesundheitlichen Belastung, letztlich aber auch einem in mehreren Fällen realisierten tödlichen Risiko aussetzte. Es folgten eine nicht minder tückische Politik der Vertuschung, der Desinformation und der Deckung der Schuldigen mit der Folge, dass die Betroffenen mindestens bis 1989 sowohl an einer angemessenen medizinischen Behandlung als auch an einer Anmeldung oder gar Realisierung von Schadensersatzansprüchen gehindert waren. Trotz dieser Belastungen geht die Klägerin auch noch mit fast 60 Jahren einer überdurchschnittlich anstrengenden Berufstätigkeit nach, die ein hohes Maß an Zuwendung gegenüber hilfebedürftigen Menschen und auch starke Körperkräfte fordert. Der Beklagte, das Gericht und die beauftragten Sachverständigen haben niemals den geringsten Zweifel daran aufkommen lassen, dass die Klägerin durch die Vergiftung mit verseuchtem Serum mit lebenslangen Schmerzen, Leistungsminderungen und Ängsten belastet ist. Die Klägerin darf jedoch auch nicht übersehen, dass der Rechts- und Sozialstaat ihr nach dem 03.10.1990 in einem keineswegs unbeträchtlichen Umfang geholfen hat. Die an sie laufend gezahlte Opferrente von EUR 272,00 entspricht ziemlich genau dem Rentenbetrag, den ein durchschnittlich verdienender Arbeitnehmer mit zehn Jahren vollschichtiger Berufstätigkeit erwirbt. Auch in ihrem Ruhestand wird die Klägerin also immer wie eine Rentnerin versorgt werden, die zehn Jahre länger gearbeitet hat als sie selbst. Die Klägerin schuldet dafür niemanden Dank, muss aber Verständnis dafür haben, dass Anträge auf Erhöhung dieser aus Steuermitteln erbrachten Leistung sorgfältig ge-prüft werden müssen. Die Überprüfung hat auf behördlicher Seite und auch durch Einschaltung zweier sehr er-fahrener medizinischer Gutachter ergeben, dass bei der Klägerin gesundheitliche Beeinträchtigungen durch die Hepatitis-C-Infektion und daraus resultierenden Folgeerkrankun-gen weiterhin vorliegen und mit einer laufenden Rentenzahlung zu entschädigen sind. Eine Verschlimmerung der schädigungsbedingten Gesundheitsstörungen und demgemäß eine Erhöhung der Ansprüche nach dem AntiDHG konnte jedoch nicht erkannt werden. Frau Dr. C. konnte glücklicherweise feststellen, dass sich die Klägerin in einem weitge-hend stabilen psychischen Zustand befindet. Dafür sprechen bereits die Indizien einer in nicht mehr ganz jungen Jahren laufend ausgeübten Berufstätigkeit und einer sozialen Integration in dem von Töchtern und Enkeln gebildeten familiären Umfeld. Sicherlich mindert Partnerlosigkeit für die meisten Menschen die Lebensfreude. Das Scheitern beider Ehen der Klägerin kann jedoch in keinen Zusammenhang mit der entschädigungspflichtigen Infektion gebracht werden. Die diagnostizierte Dysthymie ist zu charakterisieren als eine mildere Vorstufe zur Depression. Sie wird genauso wie auch das Vollbild einer akuten oder chronischen Depression in einer Vielzahl von Schwerbehinderten- und Renten-fällen ohne jeden Zusammenhang mit einem psychisch belastenden Trauma oder einem regelwidrigen Organzustand diagnostiziert und ist für das 5. und 6. Lebensjahrzehnt mindestens phasenweise geradezu allgegenwärtig. Dieses unspezifische Beschwerdebild konnte die psychiatrische Sachverständige nicht in einen Zusammenhang mit der Hepatitiserkrankung bringen. Die Erschöpfung und Ermüdung der Klägerin ist viel eher durch die bereits mehrfach angesprochene anstrengende Berufstätigkeit zu erklären als durch einen immunologischen Prozess als Langzeitfolge der Leberschädigung. Keineswegs zur Leugnung eines sich geradezu aufdrängenden Zusammenhanges zwischen einer akuten psychischen Situation und der Schädigung von 1979, sondern lediglich zur Abrundung des vom Gericht geforderten und für die Fallbehandlung unverzichtbaren Gesamtbildes wies die Sachverständige darauf hin, dass für eine jedenfalls in der Vergangenheit bei der Klägerin deutlicher gewordene Depression als Ursache mit viel größerer Wahrscheinlichkeit der massive sexuelle Missbrauch in der Kindheit in Betracht kommt als die Hepatitis-C-Infektion. Genauso plausibel hat Prof. Dr. G. von internistischer Seite belegen können, dass der Langzeitverlauf bei der Klägerin nach dem Februar 1979 glücklicherweise relativ günstig zu beurteilen ist. Eine spezielle klinische Auffälligkeit über die bei chronischer Leberinfektion mit hoher Viruslast geradezu selbstverständlich normwidrigen Laborwerte konnte er nicht feststellen. Durch die Verweigerung einer Leberbiopsie durch die Klägerin konnten die diagnostischen Möglichkeiten nicht zur Gänze ausgeschöpft werden. Prof. Dr. G. hat jedoch mangels auffälliger Symptomatik keine besondere Wahrscheinlichkeit dafür an-klingen lassen, dass ein solcher Eingriff zu überraschenden Ergebnissen führen würde. Von daher konnte er die Weigerung der Klägerin unkommentiert lassen. Zutreffend hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass die vorgetragenen Gesundheitsstörungen der Klägerin von keiner Seite in Abrede gestellt werden, sondern Grundlage der laufenden Leistung sind. Das Gericht hat die Beweiserhebung sogar durch Einholung von zwei ergänzenden Stellungnahmen von den Sachverständigen abgerundet, die der Vertreter der Klägerin mit einem für sich in Anspruch genommenen höheren medizinischen Wissen scharf angegriffen hatte. Frau Dr. C. als seit Jahrzehnten behandelte und begutachtende Ärztin muss sich vom Vertreter der Klägerin nicht darüber belehren lassen, dass sie den Kategorien des eigenen Berufs verpflichtet ist. Dieser Hinweis könnte vielmehr an den Rechtsvertreter der Klägerin gerichtet werden. Ein Rechtsanwalt sollte mehrfach geäußerte und offenkundige Interessen seiner Mandantschaft beachten und ihnen zur Durchsetzung verhelfen. Der so dringende wie plausible Wunsch der Klägerin ist es, ihre schwere Berufstätigkeit sobald wie möglich zu reduzieren oder zu beenden. Die Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung oder die Altersrente für schwerbehinderte Menschen nach § 236 a Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) weisen hierfür kurz vor und erst recht nach Vollendung des 60. Lebensjahres der Klägerin mehrere Wege. Die schädigungsbedingten und nicht schädigungsbedingten und großen-teils altersbedingt typischen degenerativen Gesundheitsstörungen der Klägerin legen die Annahme nahe, dass die für eine Rente nach § 236 a SGB VI notwendige Anerkennung einer Schwerbehinderung ohne viel argumentativen Aufwand und ohne gerichtliche Hilfe zu erreichen wäre. Statt der Klägerin diese mit keinerlei Kostenrisiken verbundenen Wege zu weisen, nahm der Vertreter der Klägerin ihren Rechtsstreit zum Anlass für den Versuch, das Gericht auf eine bislang unbekannte gänzlich neue Lehre des Begutachtungswesens zu verpflichten. Der Zweck einer medizinischen Begutachtung in sozialgerichtlichen Streitsachen über die Anerkennung von Kausalzusammenhängen darf wie schon erfolglos in der mündlichen Verhandlung nochmals skizziert werden. Wenn Rechtsuchende für eine ganz bestimmte subjektiv empfundene Problematik ein schädigendes Ereignis insbesondere im Sinne eines Arbeitsunfalls, einer Berufskrankheit, einer Wehrdienstbeschädigung, einer erlittenen Gewalttat oder eines Unrechtstatbestandes in der DDR oder sonst im Ostblock verant-wortlich machen, so ist zunächst zu klären, ob es sich überhaupt um eine Gesundheits-störung handelt. Schon insoweit haben gewisse von der Klägerin vorgetragene Belastungen keinen Eingang in die Kausalitätsbeurteilung zu finden. Große Müdigkeit und Erschöpfung sind alltägliche Folgen einer in etwas vorgerückten Jahren noch ausgeübten körperlich und seelisch so sehr fordernden Berufstätigkeit wie der Altenpflege. Wenn älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Modelle der Teilzeitbeschäftigung angeboten werden, so geschieht dies nicht in Anerkennung spezifischer Krankheiten, sondern genau wegen dieser schnelleren Ermüdbarkeit. Aber auch die in manchen Verfahren mit hoher Erregung vorgetragenen alltäglichen Konflikte am Arbeitsplatz, in der Ehe, mit heran-wachsenden Kindern oder mit der Nachbarschaft genauso wie gelegentliche Kopfschmerzen oder Schlafstörungen müssen Ärzte und Gerichte gelegentlich als nicht krankheitswertig aus einer Kausalitätsbeurteilung ausgrenzen. Gleiches gilt für den alltagssprachlichen Gebrauch des Begriffes der "Depression". Begründete finanzielle, berufliche und familiäre Sorgen, verstärktes Grübeln über Lebensgeschichte und Zukunftsperspektiven oder die durch Schmerzen oder Missempfindungen wie das bei der Klägerin vermutete Restless-legs-Syndrom bedingten Schlafstörungen sind nicht mit der Diagnose einer Depression im Sinne eines nach heutigem Stand der Forschung gestörten Haushalt der Bo-tenstoffe zu verwechseln. Sodann hat ein Sachverständiger die vorgetragenen, aktenkundig erkennbaren oder in der Untersuchung offenkundig werdenden krankheitswertigen Symptome zu katalogisieren. Selbstverständlich ist hierbei auch auf Elemente zu achten, die beispielsweise wegen eines Schamgefühls nur diskret zur Geltung gebracht werden oder deren Erkennung den besonders sorgfältigen Blick eines Arztes fordert. Anders als vom Klägervertreter verlangt hat ein Sachverständiger jedoch keinesfalls die Pflicht, eine Befunderhebung solange voranzutreiben, bis er endlich die Symptome erfragt hat, die ein Rechtsanwalt gestützt auf medizinische Literatur im Rückschluss von allgemeinen Erkenntnissen auf den konkreten Fall zwingend erwartet. Frau Dr. C. hatte also nicht die Pflicht, bei der Klägerin eine leichte, mittelschwere oder schwere, akute oder chronische oder episodische Depression fest-zustellen, auch wenn in der dem Klägervertreter bekannten Gruppen von Betroffenen eine solche Erkrankung häufig vorkommt. Wenn eine Sachverständige nun eine solche Erkrankung nicht feststellt, entfällt für sie auch jede Notwendigkeit der Darlegung einer Kausalität zu früheren Ereignissen. Wenn allerdings eine psychische Erkrankung gegeben ist, wie sie Frau Dr. C. bei der Klägerin in der milden Form eine Dysthymie festgestellt hat, hat das Gutachten gestützt auf ärztliches Fachwissen zu belegen, welche von etwa mehreren in Betracht kommenden Ursachen hierfür mit überwiegender Wahrscheinlichkeit verantwortlich ist. Insofern hat Frau Dr. C. in völliger Übereinstimmung mit dem gegenwärtigen Forschungsstand dargelegt, dass sowohl für die aktuelle Dysthymie als auch für eine in der Vergangenheit etwa erlittene Depression viel eher ein massiver sexueller Missbrauch in der Kindheit verantwortlich zu machen ist als eine organische Erkrankung. Sie konnte sich hierbei auch auf die Angabe der Klägerin stützen, bereits als Kind unter Depressionen gelitten zu haben. Für die Annahme einer Kausalität zwischen Schädigung und Gesundheitsstörung genügt die überwiegende Wahrscheinlichkeit. Damit trägt der Gesetzgeber der Tatsache Rechnung, dass die Erlangung absoluter Gewissheit über den genauen körperlichen und psychischen Verlauf zwischen Schädigung und Gegenwart oft über Jahrzehnte hinweg nur selten gelingt. Absurd wäre es jedoch, für die geltend gemachte Kausalität nur diese überwiegende Wahrscheinlichkeit zu verlangen, eine sich aufdrängende andere Verursachung aber nur gelten zu lassen, wenn für sie der Vollbeweis "erbracht" werden kann. Der Vorsitzende hat in der mündlichen Verhandlung versucht, beim Klägervertreter mit der Konstruktion eines sozusagen spiegelbildlichen Falles Verständnis zu wecken. Nicht nur hypothetisch, sondern absolut alltäglich hat die erkennende Kammer es mit Klagen nach dem Opferentschädigungsgesetz wegen Anerkennung und Entschädigung sexueller Traumatisierungen in der Kindheit und Jugend zu tun. Hätte die Klägerin ein entsprechendes Verfahren betrieben, wäre im Falle behördlicher Ablehnung ebenfalls die 30. Kammer des Sozialgerichts München für das Verfahren zu-ständig. Man stelle sich vor, eine beklagte Behörde und die beauftragten Gutachter würden in dieser Fallkonstellation eine geltend gemachte psychische Beeinträchtigung aus-schließlich auf eine chronische Hepatitis zurückführen und von der Klägerin den Vollbeweis verlangen, dass die Hepatitis zu keinem noch so geringen Anteil für das gegenwärtige Zustandsbild verantwortlich ist. Ein solches Vorgehen würde gewiss mit Recht als zynisch gebrandmarkt werden. Der Klägerin kann nur nochmals empfohlen werden, ihren wohlverdienten Übertritt in den Ruhestand mit den problemlos gangbaren sozialstaatlichen Möglichkeiten zu betreiben und nicht mit der Weiterverfolgung eines Anspruchs nach einem Sondergesetz, das beispielsweise auch mit einem Prozesserfolg im Sinne der Erhöhung des GdS von 30 auf 40 finanziell keineswegs den Spielraum für ein Ende der Berufstätigkeit bietet. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
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