S 38 KA 262/13

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
38
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 262/13
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 150/14
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 78/16 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Strittig zwischen den Beteiligten ist die Vergütung zeitgebundener genehmigungspflichtiger psychotherapeutischer Leistungen des Kapitels 35.2 EBM für das Jahr 2007 (Quartale 1/07-4/07), insbesondere die Frage, in welcher Höhe die Betriebskosten zu berücksichtigen sind.

Die Beklagte bezog sich auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 28.05.2009, Az B 6 KA 9/07 R), in dem Betriebskosten von jährlich 40.634 EUR gebilligt worden seien. Gleichzeitig habe das Bundessozialgericht ausgeführt, der Bewertungsausschuss müsse aber prüfen, ob neuere Entwicklungen in der Kostenbelastung der Psychotherapeuten Anpassungen erforderlich machten. Diesem Prüfauftrag sei der Bewertungsausschuss nachgekommen. Nachdem der veranschlagte Betriebskostenbetrag über dem errechneten Betriebskostenbetrag liege, sei für das Jahr 2007 keine Anpassung vor-zunehmen.

In der Klagebegründung vom 19.02.2014 trug der Prozessbevollmächtigte vor, es gehe um den Betriebskostenbetrag für eine voll ausgelastete Psychotherapiepra-xis. Der Bewertungsausschuss habe die Sonderauswertung für Psychotherapeuten zur Strukturanalyse 1999 des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Vereinigung (ZI) herangezogen. Nach den Ausführungen des Bundessozialgerichts gebe es aber deutliche Anhaltspunkte für einen Kostenanstieg (Erhöhung der Umsatzsteuer um 3 %; Steigerung des Gesamtkostenindex von 12,5 % gegenüber der Basis 2000; Erhöhung des Tarifgehalts der Arzthelferinnen). Allein die vom Bundessozialgericht genannten Kriterien ließen das Erfordernis einer Anpassung auf mindestens 46.574 EUR erwarten. Für die genaue Ermittlung des Anhebungsbetrages sollten aber die Daten der Kostenerhebung 2007 der Prime Networks AG herangezogen werden. Daraus errechneten sich für das Jahr 2007 Betriebskosten von sogar 47.775 EUR.

Nach Auffassung der Beklagten besitzt die Klägerin keinen Anspruch auf ein hö-heres Honorar. Der tatsächliche Betriebskostenbetrag von 38.546 EUR habe unter dem für die Mindestpunktwertberechnung veranschlagten Wert von 40.634 EUR gelegen. Nachdem für das Jahr 2008 kein einvernehmlicher Beschluss erzielt wor-den sei, sei der Erweiterte Bewertungsausschuss damit befasst worden, der den Betriebskostenbeitrag auf 42.974 EUR angehoben habe. Gleichzeitig sei die Gesamtpunktmenge ab 01.01.2008 von 2.244.600 Punkten auf 2.716.740 Punkte, also um 21 % angehoben worden. Damit sei der Bewertungsausschuss seiner allgemeinen Beobachtung- und Reaktionspflicht nachgekommen. Im Übrigen seien jeweils nur Daten aus der Vergangenheit heranzuziehen, um gegebenenfalls Rückschlüsse für die Zukunft zu ziehen. Ansonsten entstehe ein Widerspruch zu dem Rechtsgedanken, Gesamtvergütungsanteile möglichst schnell an die Ärzte auszukehren. 2007 habe man ZI-Daten der Jahre 2002-2004 verwendet. Für das Jahr 2008 habe man ZI- Daten der Jahre 2003- 2005 herangezogen. Andere Parameter als die ZI-Daten seien nicht zu berücksichtigen. Es gebe auch keinen Bedarf für eine Ersatzbeschaffung. Zu den Daten der Prime Networks AG wurde ausgeführt, diese sei speziell für die EBM-Anpassung psychotherapeutischer Leistungen für die Zeit ab 01.01.2008 beauftragt worden. Dabei sei der Kostenbetrag auf 35.747,60 EUR beziffert worden. Dieser Kostenbeitrag unterscheide sich jedoch methodisch vom Kostenbetrag im Rahmen der Berechnungen des Mindestpunktwertes zur angemessenen Höhe der Vergütung ausschließlich psychotherapeutisch tätiger Vertragsärzte und Psychotherapeuten. Denn letzterer stelle auf die Vollauslastung einer psychotherapeutischen Praxis ab, während der erstgenannte die Gleichbehandlung aller Arztgruppen gewähren und deshalb die durchschnittlichen Verhältnisse abbilden müsse. Insgesamt seien die Vorgaben des Bundessozialgerichts eingehalten worden.

In der Sitzung am 12.03.2014 wurde im Hinblick auf die Besetzung der Richterbank mit Einverständnis der Beteiligten ein nichtöffentlicher Erörterungstermin durchgeführt. In diesem wurden mit Beschluss neben den Verbänden der Kran-kenkassen auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung KBV) und der GKV-Spitzenverband beigeladen.

In den Äußerungen der KBV und des GKV Spitzenverbandes wurde übereinstimmend betont, die einmal gewählte Datengrundlage sei beizubehalten, sofern nicht sachliche Gründe für eine andere Datengrundlage sprechen würden. In jedem Fall sei der Anschein der Beliebigkeit zu vermeiden. Personalkosten seien nicht dem ZI entnommen worden, sondern seien durch einen normativen Kostenbetrag ersetzt worden. Für Anpassungen im Jahr 2007 hätten bereits im Herbst 2006 Anhaltspunkte vorliegen müssen, was jedoch nicht der Fall gewesen sei. Im Jahr 2008 habe es dagegen im Herbst 2007 neue Kostenstrukturuntersuchungen gegeben.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin vertrat in seinem Schriftsatz vom 09.07.2014 die Auffassung, die Repräsentativität der ZI-Daten sei anzuzweifeln. Denn es hätten lediglich 70 Praxen in der Umsatzklasse von mehr als 70.000 EUR teilgenommen. Dagegen weise die Prime-Networks-Studie eine weitaus größere Repräsentanz auf, zumal an der Studie immerhin 1000 Psychotherapeuten teilgenommen hätten. Insgesamt spreche alles dafür, die Zahlen aus der Prime-Net-work-Studie zur Kontrolle der Kostenschätzungen aus früheren Bewertungsausschussbeschlüssen zur Kostenstruktur psychotherapeutischer Praxen heranzuziehen.

In der mündlichen Verhandlung am 23.07.2014 teilte die anwesende Klägerin mit, im Jahr 2007 hätten die Betriebskosten in ihrer Praxis 39.353,42 EUR und im Jahr 2008 47.079,76 EUR betragen. Der Unterschied resultiere daraus, dass im Jahr 2008 eine Schreibkraft auf 400 EUR Basis beschäftigt worden sei und im Übrigen IT- Kosten angefallen seien.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin stellte die Anträge aus dem Schriftsatz vom 19.02.2014.

Die Vertreterin der Beklagten beantragte, die Klagen abzuweisen.

Die Vertreterin der Beigeladenen zu 1 schloss sich dem Antrag der Beklagten an.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Beklagtenakte. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie die Niederschriften aus dem Erörterungstermin vom 12.03.2014 und der mündlichen Verhandlung vom 23.07.2014 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig, erweist sich jedoch als nicht begründet.

Die angefochtenen Bescheide sind nach Auffassung des Gerichts als rechtmäßig anzusehen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine höhere Vergütung zeitgebundener genehmigungspflichtiger psychotherapeutischer Leistungen des Kapitels 35.2 EBM für das Jahr 2007 (Quartale 1/07-4/07).

Nach § 85 Abs. 4 Sätze 1-3 SGB V verteilt die Kassenärztliche Vereinigung die Gesamtvergütungen an die Vertragsärzte. In § 85 Abs. 4 S. 4 SGB V ist bestimmt, dass im Verteilungsmaßstab Regelungen zur Vergütung der psychotherapeutischen Leistungen zu treffen sind, die eine angemessene Höhe der Vergütung je Zeiteinheit gewährleisten. Dazu bestimmt der Bewertungsausschuss Kriterien zur Verteilung der Gesamtvergütung im Interesse einheitlicher Vergütungsgrundsätze für psychotherapeutische Leistungen im ganzen Bundesgebiet (§ 85 Abs. 4a S. 1 SGB V). Dem Bewertungsausschuss ist dabei ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen, der von den Gerichten nur eingeschränkt überprüfbar ist (BSG, Urteil vom 28.05.2008, Az. B 6 KA 49/07 R). Es sind daher auch pauschalierende und typisierende Regelungen zulässig, soweit nicht gegen das Willkürverbot verstoßen wird. Die gerichtliche Kontrolldichte darf nicht überspannt werden. Maßgeblich ist das Gesamtergebnis, nicht die Richtigkeit jedes einzelnen Elements in einem mathematischen, statistischen oder betriebswirtschaftlichen Sinn (BSG, Urteil vom 28.05.2008, Az B 6 KA 9/07 R). Erforderlich ist vielmehr eine möglichst realitätsgerechte Erfassung.

Wie das Bundessozialgericht in der genannten Entscheidung ausführte, ist die Vergütung der psychotherapeutischen Leistungen in den Jahren 2002 und 2003 rechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt auch für die Vorgabe eines festen Betrages der Betriebsausgaben in Höhe von 40.634 EUR, für die teilweise die Sonderauswertung des ZI-Instituts für Psychotherapeuten zur Kostenstrukturanalyse 1999 herangezogen wurde. Die dort enthaltenen Personalkosten wurden durch die Erhebung des statistischen Bundesamtes zur "Kostenstruktur bei ausgewählten Arzt-, Zahnarzt-, Tierarzt- und Heilpraktikerpraxen sowie Psychologischen Psychotherapeuten" ersetzt. Der Entscheidung des Bundessozialgerichts ist auch zu entnehmen, dass dieses als berücksichtigungsfähige Personalkosten die Aufwendungen für eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung einer Halbtagskraft als angemessen ansieht, nachdem psychotherapeutische Praxen meistens ohne Personal arbeiten würden. Mit Personalkosten in Höhe von 14.727 EUR (etwa zwei Drittel der in psychotherapeutischen Praxen für eine Vollzeitkraft tatsächlich entstandenen Aufwendungen in Höhe von 22.099 EUR) sei dem Genüge getan. Es sei auch keine prozentuale Quote der Betriebskosten notwendig.

Andererseits hat das Bundessozialgericht betont, es gebe ab dem Jahr 2007 deutliche Anhaltspunkte für Kostensteigerungen, welche die Erheblichkeitsschwelle im Rahmen pauschalierender Regelungen überschreiten und deshalb eine Anpassung der Betriebskosten an die im wesentlichen Umfang veränderten Realitäten nahelegten (Erhöhung der Umsatzsteuer um drei Prozentpunkte; Anstieg des Verbraucherpreisindexes um mehr als 10 % Punkte gegenüber der Basis des Jahres 2000; Erhöhung der Vergütungen für Arzthelferinnen mit Wirkung ab 01.01.2008 nach dem Gehaltstarifvertrag für medizinische Fachangestellte/Arzthelferinnen vom 22.11.2007;). Deshalb sei der Bewertungsausschuss aufgerufen, für die Zeiträume ab Quartal 1/2007 anhand der damals zugänglichen beziehungsweise der später zugänglich gewordenen Daten zu prüfen, ob, ab wann und in welchem Umfang der feste Betriebskostenbetrag angepasst werden müsse, damit dieser weiterhin einer realitätsgerechten Festlegung entspreche.

Dieser Beobachtungspflicht ist der Bewertungsausschuss nach Auffassung des Gerichts nachgekommen. Nachdem der tatsächliche Betriebskostenbetrag in Hö-he von 38.546 EUR unter dem veranschlagten Betriebskostenbetrag von 40.634 EUR lag, konnte der Bewertungsausschuss davon absehen, im Jahr 2007 eine Anpassung vorzunehmen.

Auch war es nicht geboten, auf Daten in der Prime-Networks-Studie zurückzugreifen. Es handelt sich hierbei um Daten aus dem Jahr 2005, veröffentlicht im Jahr 2007, die im Zusammenhang mit der EBM-Anpassung (Punktzahl psychotherapeutischer Leistungen) erhoben wurden. Auf den ersten Blick erscheinen die Daten aus der Prime-Networks-Studie gegenüber den Daten der ZI aktueller, zumindest repräsentativer (ZI: Teilnahme 70 psychotherapeutischer Praxen; Prime Networks: Teilnahme 1000 psychotherapeutischer Praxen). Eine solche Wertung setzt aber eine Vergleichbarkeit voraus. Dies ist jedoch nicht der Fall. Denn den Studien liegen unterschiedliche Untersuchungsaufträge und Zielsetzungen zu Grunde. Während die Prime-Networks-Studie im Zusammenhang mit der EBM-Anpassung (Punktzahl für psychotherapeutische Leistungen) in Auftrag gegeben wurde, war Hintergrund für die ZI-Daten die Vergütung psychotherapeutischer Leistungen. Bedingt dadurch wurden bei der Prime-Networks-Studie durchschnittliche Praxen untersucht, bei der ZI-Erhebung aber vollausgelastete psychotherapeutische Praxen. Insofern besteht keine Vergleichbarkeit, so dass eine Aussage dahingehend, welche Erhebungen aktueller und repräsentativer sind, nicht getroffen werden kann. Es gibt deshalb auch keine sachlichen Gründe, auf die Prime-Networks- Studie zurückzugreifen. Abgesehen davon führen die Erhebungen, die im Rahmen der Prime-Networks-Studie stattfanden, zu niedrigeren Betriebskosten (circa 35.747 EUR) als nach den ZI- Daten veranschlagt und wären damit sogar nachteiliger.

Für eine realitätsgerechte Erfassung spricht auch, dass durch den ursprünglichen Ansatz von Personalkosten in Höhe von 14.727 EUR gegenüber dem Soll in Höhe von 11.050 EUR (Aufwendungen für eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung einer Halbtagskraft im Jahr 2000) ein Spielraum in Höhe von 3.677 EUR besteht. Damit können durchschnittliche moderate Steigerungen (z.B. Erhöhung der Umsatzsteuer; Anstieg, verursacht durch einen Preisindex von über 10 %; Anstieg der Personalkosten) aufgefangen werden. Systembedingt kann nur auf ältere Daten zurückgegriffen werden, um beurteilen zu können, ob Anpassungen für die Zukunft notwendig sind. Nachdem im Herbst 2006 für eine Anpassung 2007 keine aktuelleren validen Daten vorlagen, konnte eine Berücksichtigung nicht erfolgen.

Im Übrigen können die von der Klägerin genannten Betriebsausgaben nicht als Maßstab für die Richtigkeit der veranschlagten Betriebskosten herangezogen werden, weil diese, da singulärer Natur, überhaupt keine Repräsentativität aufweisen.

Aus den genannten Gründen war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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