S 30 R 1349/13

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
30
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 30 R 1349/13
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Bescheid vom 04.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2013 wird aufgehoben.

II. Der Beklagten wird aufgegeben, die bisher völlig unzureichenden medizinischen Überlegungen über den Rehabilitationsanspruch des Klägers nachzuholen und seinen Antrag auf der Basis dieser Überlegungen nach-vollziehbar neu zu verbescheiden.

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten sind Leistungen der medizinischen Rehabilitation. Der Kläger ist geboren am XX.XX.1972. Beruflich war er als Verkäufer tätig. Am 21.11.2012 beantragte er bei der Beklagten Leistungen der medizinischen Rehabilitation. Als Beschwerden wurden geltend gemacht bzw. vom behandelnden Arzt attestiert Tinnitus, de-pressive Episoden, ein rezidivierendes Halswirbelsäulensyndrom und Somatisierungen bei Beziehungsproblemen. Ein von der behandelnden Psychiaterin eingeholter Befundbericht teilte als Diagnosen mit: Schwere Depression, chronischer schwerer Tinnitus, Wirbelsäulensyndrom mit chronischen Rückenschmerzen und Panikstörung. Unter dem Da-tum vom 18.01.2013 wurde des Weiteren eine Arbeitsunfähigkeit seit Januar 2012 mitgeteilt. Eine stationäre Rehabilitation wurde aus nervenärztlicher Sicht als dringend notwendig bezeichnet. Die medizinische Fallbehandlung durch die Beklagte erschöpfte sich in der Setzung eines Kreuzchens zu der Formblatt vorgegebenen Aussage "Krankenhausbehandlung angezeigt". Auf dieser Erkenntnisbasis lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 04.02.2013 ab. Zur Begründung wurde der Wortlaut des § 10 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) zitiert und pauschal mitgeteilt, die darin genannten Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Auf den Widerspruch des Klägers hin wurde ärztlich zur Frage der Notwendigkeit von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation auf einem Formblatt vermerkt "nein, keine neuen Erkenntnisse". Der Widerspruchsbescheid vom 23.05.2013 zitierte eineinhalb Seiten Gesetzestext, dokumentierte sodann die Chronologie zweier Befundberichte und enthielt als individualisierte Aussage lediglich den Satz "In Auswertung dieser Unterlagen hat unser ärztlicher Sachverständiger festgestellt, dass die Auswirkungen ihrer Krankheiten eine Krankenhausbehandlung erfordern. Diese Maßnahme gehört nicht zu den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, die der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung erbringt (§ 13 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI)." Nach Eingang der Klage hiergegen hat das Gericht Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr. E., Dr. C. und Dr. D. eingeholt. Am aussagekräftigsten ist der Befundbericht der behandelnden Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie und Psychotherapeutin Dr. D. über eine seit 2002 laufende Behandlung wegen eines breiten psychischen und psychosomatischen Beschwerdebildes. Der Vertreter der Beklagten sah sich in der mündlichen Verhandlung aufgrund behördlicher Vorgaben nicht in der Lage, entsprechend einer Empfehlung des Vorsitzenden ein Anerkenntnis über die Zusprache einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation abzugeben.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2013 zur Gewährung einer stationären Maßnahme der medizinischen Rehabilitation zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte sowie auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsver-fahrens form- und fristgerecht beim zuständigen Gericht erhoben und ist somit zulässig. Sie ist insoweit begründet, als die Angelegenheit zur Nachholung einer weiteren Sachaufklärung an die Beklagte zurückzuverweisen ist. Für Leistungen zur Teilhabe sowohl Sinne medizinischer Rehabilitation als auch berufsfördernder Maßnahmen fordert § 10 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) als persönliche Voraussetzung die erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung. Nr. 2 der Vorschrift fordert zugleich die begründete Aussicht, dass dieser Zustand durch die begehrten Maßnahmen behoben werden kann. Die eingeholten Befundberichte haben dem Gericht die Erkenntnis verschafft, dass beim Kläger eine Gefährdung oder sogar bereits Minderung seiner Erwerbsfähigkeit mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist. Dokumentiert ist eine umfassende und chronifizierte psychische und psychosomatische Störung mit Anteilen einer Schmerzerkrankung. Eine solche Bündelung von Gesundheitsstörungen gilt in zahlreichen vergleichbaren Fällen als Indikation für eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme. Die Ablehnung der Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers wegen des Vorrangs einer aktuell erforderlichen Krankenhausbehandlung bedarf eines Minimums ärztlicher Argumentation. Darin müsste mindestens thematisiert werden, welche Krankheit, welches Symptom oder welche Gefährdungslage aktuell einer stationären Behandlung bedürfen und an welche spezifische Fachrichtung und therapeutische Zielsetzung der Krankenhausversorgung gedacht ist. Dem Kläger ist keinesfalls zuzumuten, sich mit dem Widerspruchsbescheid der Beklagten an die Pforte irgendeiner von ihm ausgesuchten Klinik zu begeben und dort um stationäre Aufnahme wegen einer ebenfalls dort noch zu stellenden Indikation zu ersuchen. Das Gericht sieht davon ab, den aus seiner Sicht plausiblen Rehabilitationsbedarf des Klägers gutachtlich zu klären und wendet stattdessen § 131 Abs. 5 S. 1 Sozialgerichtsgesetz an. Hiernach kann das Gericht, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art und Umfang die noch notwendigen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Nach S. 2 der Vorschrift gilt dies auch bei Klagen wie vorliegend auf Verurteilung zum Erlass eines Verwaltungsakts. Das Gericht subsumiert unter den Begriff der ausgebliebenen und nachzuholenden Ermittlungen auch die bisher ausgebliebenen Überlegungen zu den Ermittlungsergebnissen.
Rechtskraft
Aus
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