Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
48
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 48 SO 545/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
I) Der Bescheid des Beklagten vom 08.05.2012 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides der Regierung von Oberbayern vom 01.10.2012 wird aufgehoben.
II) Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab dem 01.04.2012 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu gewähren.
III) Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.
Die im Jahre 1993 geborene Klägerin ist von Geburt an geistig behindert, wahrscheinlich wegen eines Sauerstoffmangels während des Geburtsvorgangs. Sie lebt zusammen mit ihrer Mutter und dem im Jahre 1991 geborenen Bruder in einem gemeinsamen Haushalt in A-Stadt im Landkreis C-Stadt. Im Jahre 2011 wurde die Mutter als Betreuerin der Klägerin eingesetzt. In dem zugrunde liegenden fachärztlichen Gutachten vom 05.05.2011 (Dr. D., C-Stadt) wird unter anderem folgender Befund erhoben: " Die Preise von Dienstleistungen und Waren können durchweg nicht benannt werden (Mietpreis für eine 3-Zimmer-Wohnung 15 EUR). Auch die Entfernung nach B-Stadt wird mit 5 km völlig falsch eingeschätzt. Die Rechenfähigkeit ist ganz schlecht, schon die Aufgabe 2 plus 3 ist zu schwierig. Die Lesefähigkeit entspricht der ersten Klasse Grundschule, schon etwas kompliziertere Worte können nicht gelesen werden. Die Schrift ist sehr schlecht lesbar, alle Worte werden zusammengeschrieben. Die Stimmung ist überwiegend ausgeglichen. Die Intelligenz weit unterdurchschnittlich im Sinne einer leichten geistigen Behinderung " In der Zusammenfassung und Beurteilung heißt es: "Frau B. kann kaum lesen, schreiben und rechnen. Sie hat keinen Bezug zu Geldangelegenheiten. Komplexe Zusammenhänge werden von Frau B. nicht erfasst. Frau B. ist zu keiner eigenständigen Lebensführung in der Lage "
Den am 30.04.2012 gestellten Antrag auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 08.05.2012, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern vom 01.10.2012, mit der Begründung ab, es bestünden keine ausreichenden Hinweise darauf, dass die Klägerin dauerhaft voll erwerbsgemindert sei. Somit bestehe ein vorrangiger Anspruch auf Sozialgeld nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch.
Dagegen richtet sich die am 31.10.2012 beim Sozialgericht München eingegangene Klage, zu deren weiterer Begründung die Klägerin insbesondere einen ärztlich-psychologischen Bericht des D-Klinikums C-Stadt vom 01.02.2013 vorgelegt hat; dessen Inhalt ist Blatt 42ff der Gerichtsakte zu entnehmen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 08.05.2012 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides der Regierung von Oberbayern vom 01.10.2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin ab dem 01.04.2012 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Dem Gericht lagen die Behördenakten des Beklagten bei seiner Entscheidung vor.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht hat den Rechtsstreit gem. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden, da der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist und die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist. Die Beteiligten wurden hierzu gehört.
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die hier einschlägigen Rechtsnormen sind in den angefochtenen Bescheiden zutreffend genannt; darauf wird Bezug genommen.
Bei der Klägerin liegt eine dauerhafte volle Erwerbsminderung vor, da sie aufgrund der Folgen ihrer geistigen Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein und weil sich daran nach menschlichem Ermessen nichts ändern wird.
Nach dem auf der Grundlage einer umfangreichen Testdiagnostik erstellten ärztlich- psychologischen Bericht des D.-Klinikums C-Stadt vom 01.02.2013 liegt bei der Klägerin eine mittelgradige Intelligenzminderung vor; der Gesamt-IQ liegt bei 49. Dort wird eingeschätzt, dass die Klägerin aufgrund ihrer kognitiven Einschränkungen dauerhaft auf familiäre und institutionelle Fürsorge angewiesen sein wird und auch einfache Tätigkeiten nur in einem beschützenden Rahmen verrichten kann. An einen Arbeitseinsatz unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ist also nicht zu denken. Auch die in dem Gutachten vom 05.05.2011 geschilderten Fähigkeiten, die in etwa dem geistigen Entwicklungsstand eines sechs- oder siebenjährigen Kindes entsprechen, sind mit einem solchen Einsatz nicht vereinbar. Für das Gericht steht aufgrund der Würdigung dieser Dokumente, ohne dass es weiterer Ermittlungen bedarf, fest, dass die Klägerin auf dem all-gemeinen Arbeitsmarkt auch für einfache ungelernte Arbeiten nicht geeignet ist – zumal in den wenigen Bereichen des Arbeitsmarktes, in denen ggf. nicht (zwingend) die Beherrschung grundlegender Zivilisationstechniken (Lesen, Schreiben, Rechnen, Umgang mit Geld) gefordert wird, wie zum Beispiel im Reinigungsgewerbe, die Arbeiten üblicherweise eigenverantwortlich und unter Zeitdruck verrichtet werden müssen. Anhaltspunkte dafür, dass die genannten Defizite auch nur im Ansatz behoben werden könnten, fehlen. Da die Klägerin darüber hinaus nicht über (ausreichend) eigene Mittel verfügt, um ihren Lebensunterhalt sicherzustellen, ist der hier streitige Anspruch nach alledem (dem Grunde nach) gegeben.
Somit bedarf es auch nicht der – ansonsten hier angezeigten – Zurückverweisung der Sache an die Verwaltung gem. § 131 Abs. 5 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gegen diese Entscheidung ist gem. § 105 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit § 193 SGG das Rechtsmittel der Berufung eröffnet.
II) Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab dem 01.04.2012 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu gewähren.
III) Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.
Die im Jahre 1993 geborene Klägerin ist von Geburt an geistig behindert, wahrscheinlich wegen eines Sauerstoffmangels während des Geburtsvorgangs. Sie lebt zusammen mit ihrer Mutter und dem im Jahre 1991 geborenen Bruder in einem gemeinsamen Haushalt in A-Stadt im Landkreis C-Stadt. Im Jahre 2011 wurde die Mutter als Betreuerin der Klägerin eingesetzt. In dem zugrunde liegenden fachärztlichen Gutachten vom 05.05.2011 (Dr. D., C-Stadt) wird unter anderem folgender Befund erhoben: " Die Preise von Dienstleistungen und Waren können durchweg nicht benannt werden (Mietpreis für eine 3-Zimmer-Wohnung 15 EUR). Auch die Entfernung nach B-Stadt wird mit 5 km völlig falsch eingeschätzt. Die Rechenfähigkeit ist ganz schlecht, schon die Aufgabe 2 plus 3 ist zu schwierig. Die Lesefähigkeit entspricht der ersten Klasse Grundschule, schon etwas kompliziertere Worte können nicht gelesen werden. Die Schrift ist sehr schlecht lesbar, alle Worte werden zusammengeschrieben. Die Stimmung ist überwiegend ausgeglichen. Die Intelligenz weit unterdurchschnittlich im Sinne einer leichten geistigen Behinderung " In der Zusammenfassung und Beurteilung heißt es: "Frau B. kann kaum lesen, schreiben und rechnen. Sie hat keinen Bezug zu Geldangelegenheiten. Komplexe Zusammenhänge werden von Frau B. nicht erfasst. Frau B. ist zu keiner eigenständigen Lebensführung in der Lage "
Den am 30.04.2012 gestellten Antrag auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 08.05.2012, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern vom 01.10.2012, mit der Begründung ab, es bestünden keine ausreichenden Hinweise darauf, dass die Klägerin dauerhaft voll erwerbsgemindert sei. Somit bestehe ein vorrangiger Anspruch auf Sozialgeld nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch.
Dagegen richtet sich die am 31.10.2012 beim Sozialgericht München eingegangene Klage, zu deren weiterer Begründung die Klägerin insbesondere einen ärztlich-psychologischen Bericht des D-Klinikums C-Stadt vom 01.02.2013 vorgelegt hat; dessen Inhalt ist Blatt 42ff der Gerichtsakte zu entnehmen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 08.05.2012 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides der Regierung von Oberbayern vom 01.10.2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin ab dem 01.04.2012 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Dem Gericht lagen die Behördenakten des Beklagten bei seiner Entscheidung vor.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht hat den Rechtsstreit gem. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden, da der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist und die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist. Die Beteiligten wurden hierzu gehört.
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die hier einschlägigen Rechtsnormen sind in den angefochtenen Bescheiden zutreffend genannt; darauf wird Bezug genommen.
Bei der Klägerin liegt eine dauerhafte volle Erwerbsminderung vor, da sie aufgrund der Folgen ihrer geistigen Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein und weil sich daran nach menschlichem Ermessen nichts ändern wird.
Nach dem auf der Grundlage einer umfangreichen Testdiagnostik erstellten ärztlich- psychologischen Bericht des D.-Klinikums C-Stadt vom 01.02.2013 liegt bei der Klägerin eine mittelgradige Intelligenzminderung vor; der Gesamt-IQ liegt bei 49. Dort wird eingeschätzt, dass die Klägerin aufgrund ihrer kognitiven Einschränkungen dauerhaft auf familiäre und institutionelle Fürsorge angewiesen sein wird und auch einfache Tätigkeiten nur in einem beschützenden Rahmen verrichten kann. An einen Arbeitseinsatz unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ist also nicht zu denken. Auch die in dem Gutachten vom 05.05.2011 geschilderten Fähigkeiten, die in etwa dem geistigen Entwicklungsstand eines sechs- oder siebenjährigen Kindes entsprechen, sind mit einem solchen Einsatz nicht vereinbar. Für das Gericht steht aufgrund der Würdigung dieser Dokumente, ohne dass es weiterer Ermittlungen bedarf, fest, dass die Klägerin auf dem all-gemeinen Arbeitsmarkt auch für einfache ungelernte Arbeiten nicht geeignet ist – zumal in den wenigen Bereichen des Arbeitsmarktes, in denen ggf. nicht (zwingend) die Beherrschung grundlegender Zivilisationstechniken (Lesen, Schreiben, Rechnen, Umgang mit Geld) gefordert wird, wie zum Beispiel im Reinigungsgewerbe, die Arbeiten üblicherweise eigenverantwortlich und unter Zeitdruck verrichtet werden müssen. Anhaltspunkte dafür, dass die genannten Defizite auch nur im Ansatz behoben werden könnten, fehlen. Da die Klägerin darüber hinaus nicht über (ausreichend) eigene Mittel verfügt, um ihren Lebensunterhalt sicherzustellen, ist der hier streitige Anspruch nach alledem (dem Grunde nach) gegeben.
Somit bedarf es auch nicht der – ansonsten hier angezeigten – Zurückverweisung der Sache an die Verwaltung gem. § 131 Abs. 5 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gegen diese Entscheidung ist gem. § 105 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit § 193 SGG das Rechtsmittel der Berufung eröffnet.
Rechtskraft
Aus
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