Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
28
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 28 KR 450/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 311/14
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung der den Festbetrag übersteigenden Kosten eines digitalen Hörgerätes i.H.v. 4.308,84 EUR (beidseitige Versorgung).
Die bei der Beklagten versicherte Klägerin (geb. 1951) leidet an einer beginnend mittel-gradig beidseitigen Innenohrschwerhörigkeit.
Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 12.08.2010 die Kostenübernahme für das Hörgerät Hansaton Espria X-mini außerhalb des Festbetrages. Beigefügt war das Angebot der Fa. Hörgeräte D. vom 20.07.2010 i.H.v. 3.554,44 EUR (beidseitige Versorgung) sowie eine ohrenärztliche Verordnung des HNO-Arztes Dr. E. vom 24.05.2010.
Mit Bescheid vom 26.08.2010 lehnte die Beklagte die beantragte Kostenübernahme mit Hinweis auf den Festbetrag ab. Mit diesem Festbetrag seien sämtliche Kosten, die im Zusammenhang mit der Abgabe der Produkte sowie der Nachbetreuung entstünden, abgegolten. Eine vollständige Kostenübernahme der digitalen Hörsysteme durch die GKV kön-ne nicht erfolgen.
Die Klägerin beschaffte sich daraufhin das Hörgerät Widex Clear 440 C4-PA (beidseitig). Mit Schreiben vom 21.12.2010 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie ihr am 25.10.2010 die Rechnung von der Fa. Hörgeräte D. vom 22.10.2010 für das Hörgerät Widex Clear 440 C4-PA i.H.v. 4.308,84 EUR mit der Bitte um Rückerstattung übersandt habe. Bisher habe sie keine Antwort erhalten. Nachdem auf Beklagtenseite der Eingang dieser Rechnung nicht festzustellen war, sandte die Klägerin der Beklagten diese am 11.01.2011 nochmals per Telefax zu.
Mit Bescheid vom 14.01.2011 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme über den Festbetrag hinaus nochmals ab.
Der Bevollmächtigte der Klägerin legte mit Schreiben vom 19.01.2011 Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten vom 26.08.2010 ein. Zugleich beantragte er Kostenerstattung für die Hörgeräteversorgung Widex Clear 440 C4-PA i.H.v. 4.308,84 EUR gem. Rechnung der Fa. Hörgeräte D. vom 22.10.2010. Entsprechend der Dokumentation zur Hörgeräteanpassung von Hörgeräte D. habe die Klägerin mit dem beantragten Hörgerät Clear 440 ein Sprachverstehen von 95%. Dagegen betrage das Sprachverstehen mit den einfachen Hörgeräten Base und Opal Digital nur 75% bzw. 70%. Das beantragte Hörgerät biete damit im Vergleich zu den anderen Hörgeräten erhebliche Gebrauchsvorteile im Alltag.
Auf Nachfrage des von der Beklagten eingeschalteten MDK übersandte die Fa. Hörgeräte D. ihren Anpassbericht vom 06.07.2010. Danach habe sich die Klägerin nach einer vergleichenden Anpassung für die Clear Hdo Versorgung entschieden. Die FFH-Messungen im Störschall bei der Grundversorgung Opal Hörgerät sei 45% gewesen. Die erprobten Festbetragshörgeräte (Base, Opal digital) seien für die vorliegende Hörminderung nach den aktuell gültigen Versorgungsverträgen ausreichend.
In seiner Stellungnahme kam der MDK zu dem Ergebnis, dass eine geeignete Versorgung in Höhe der Festbeträge möglich sei. Ein wesentlicher Gebrauchsvorteil des beantragten Gerätes sei nicht zu erkennen. Das Vorhandensein von Kugel- und Richtmikrophon über-schreite das physiologische Hörvermögen eines Gesunden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15.04.2011 wies die Beklagte den Widerspruch als unbe-gründet zurück.
Die Klägerin hat am 09.05.2011 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Sie ist der Auffassung, dass es sich bei der angebotenen Versorgung zum Festbetrag nicht um die nach dem Stand der Medizintechnik bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder handele. Gegenüber den angebotenen Hörgeräten biete das beantragte Hörgerät erhebliche Gebrauchsvorteile im Alltagsleben. Die Ablehnung der Beklagten sei nicht konkret auf ein bestimmtes Hörgerät gerichtet gewesen; vielmehr habe die Beklagte grundsätzlich die Versorgung mit einem Hörgerät zu Kosten über dem Festbetrag abgelehnt. Die Klägerin habe nach dem ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 26.08.2010 die Fa. Hörgeräte D. aufgesucht, um sich das beantragte Hörgerät Hansaton zu beschaffen. Die Fa. Hörgeräte D. habe der Klägerin dann mitgeteilt, dass das Hörgerät Widex Clear 440 C4-PA neu auf den Markt gekommen sei und möglicherweise eine bessere Versorgung darstelle. Die Klägerin habe sich daraufhin dieses Hörgerät beschafft. Aufgrund der grundsätzlichen Ablehnung der Beklagten eines Hörgerätes über den Festbetrag hinaus habe für die Klägerin keine Veranlassung bestanden, nochmals eine Kostenübernahme für das Hörgeräte Widex Clear zu beantragen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2011 zu verurteilen, der Klägerin die den Festbetrag übersteigenden Kosten für das Hörgerät Widex Clear 440 C4-PA (beidseitig) in Höhe von 4.308,84 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
Die Beklagte weist darauf hin, dass die Klägerin den Versorgungsweg nicht eingehalten habe. Die Klägerin habe die Kostenübernahme für das Hörgerät Hansaton Espira X-mini beantragt, verlange aber nun die Kostenerstattung für Hörgeräte des Typs Widex Clear 440 C4-PA. Sowohl die Antragstellung vom 25.10.2010 als auch die erstmalige Ablehnung der Beklagten bezüglich des Typs Widex Clear 440 C4-PA am 14.01.2011 seien erst nach Erwerb der Hörgeräte durch die Klägerin erfolgt. Die Hörgeräte Hansaton und Widex Clear unterschieden sich neben dem erheblichen Preisunterschied in vielen technischen Punkten, so dass von einer Vergleichbarkeit nicht ausgegangen werden könne. Die Beklagte habe vom Hörgeräteakustiker am 28.10.2010 eine Rechnung über die vertraglich vereinbarten Pauschalen erhalten. Erst mit Zugang der an die Klägerin adressierten Rechnung vom 22.10.2010 habe die Beklagte Kenntnis von der Existenz einer weiteren Rechnung erhalten. Zu diesem Zeitpunkt sei der Beklagten jede weitere Möglichkeit genommen worden, auf den Versorgungsweg der Klägerin Einfluss zu nehmen und etwa den Hörgeräteakustiker zu vertragsgemäßen Handeln aufzufordern. Im Übrigen sei hinsichtlich der beginnend mittelgradigen Schwerhörigkeit der Klägerin eine Festbetragsversorgung als ausreichend zu erachten.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die Akte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid vom 26.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2011 erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der den Festbetrag übersteigenden Kosten.
Gem. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohen-den Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind.
Die Versicherten erhalten die Leistungen grundsätzlich als Sach- und Dienstleistungen (§ 2 Abs. 2 SGB V). Gem. § 13 Abs. 1 SGB V darf die Krankenkasse anstelle der Sach- oder Dienstleistung Kosten nur erstatten, soweit es das SGB V oder das SGB IX, das vorliegend nicht einschlägig ist, vorsieht. Da die Klägerin keine Kostenerstattung gem. § 13 Abs. 2 SGB V gewählt hatte, kommt als Grundlage für den geltend gemachten Anspruch allein § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V in Betracht, der wie folgt lautet: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war."
Der Anspruch gem. § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V ist gegeben, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt und der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwi-schen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbst beschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009, Az. B 3 KR 20/08 Rn. 10).
Der klägerische Anspruch scheitert vorliegend daran, dass die Beklagte vor der Selbstbe-schaffung der Klägerin nicht Gelegenheit hatte, über den Primäranspruch der Klägerin bezüglich der Versorgung mit einem Hörgerät Typ Widex Clear 440 C4-PA zu entscheiden. Hinsichtlich dieses Hörgerätes hatte die Klägerin vorab keinen Kostenübernahmeantrag bei der Beklagten gestellt. Nach Überzeugung der Kammer ist es im Rahmen des § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V mangels Gleichartigkeit der Leistungen auch nicht genü-gend, dass die Klägerin vor der Selbstbeschaffung einen (von der Beklagten abgelehnten) Kostenübernahmeantrag wegen Versorgung mit dem Hörgerät Hansaton Espira X-mini gestellt hatte.
Nach der Rechtsprechung des BSG fehlt es an einem Ursachenzusammenhang zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast), wenn die Kasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, ob-wohl dies möglich gewesen wäre (BSG, Urteil vom 20. Mai 2003, Az. B 1 KR 9/03 R, Rn. 18 m.w.N.). Eine vorherige Entscheidung der Krankenkasse ist auch dann nicht entbehrlich, wenn die Ablehnung des Leistungsbegehrens - etwa auf Grund von Erfahrungen aus anderen Fällen - von vornherein feststeht. Zur Begründung hat das BSG ausgeführt: "§ 13 Abs 3 SGB V will dem Versicherten einerseits die Möglichkeit eröffnen, sich eine von der Krankenkasse geschuldete, aber als Sachleistung nicht erhältliche Behandlung selbst zu beschaffen, andererseits jedoch die Befolgung des Sachleistungsgrundsatzes dadurch absichern, dass eine Kostenerstattung nur erfolgt, wenn tatsächlich eine Versorgungslücke festgestellt wird. Diese Feststellung zu treffen, ist nicht Sache des Versicherten, sondern der Krankenkasse. Nur sie hat in der Regel einen vollständigen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen und die vorhandenen Versorgungsstrukturen und kann mit Hilfe dieser Informationen zuverlässig beurteilen, ob die begehrte Behandlung überhaupt zu den Leistungen der Krankenversicherung gehört und wenn ja, wie sie in dem bestehenden Versorgungssystem realisiert werden kann. Eine vorherige Prüfung durch die Kasse, verbunden mit der Möglichkeit einer Beratung des Versicherten, ist somit sachgerecht; sie liegt auch im eigenen Interesse des Versicherten, weil sie ihn von dem Risiko entlastet, die Behandlungskosten gegebenenfalls selbst tragen zu müssen, wenn ein zur Erstattungspflicht führender Ausnahmetatbestand nicht vorliegt. Es ist deshalb entgegen dem Revisionsvorbringen weder unzumutbar noch bloßer Formalismus, wenn eine Kostenerstattung in der Art eines zwingenden Verfahrenserfordernisses davon ab-hängig gemacht wird, dass die Krankenkasse zuvor Gelegenheit hatte, über die Berechtigung der außervertraglichen Behandlung zu befinden. Da überdies unklar ist und sich kaum abstrakt festlegen lässt, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit der Versicherte von einer als sicher zu erwartenden Ablehnung der Krankenkasse ausgehen darf, würden sich in zahlreichen Fällen schwierige Abgrenzungsprobleme ergeben, durch die die Wahrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses zwischen Sachleistung und Kostenerstattung gefährdet würde" (BSG, ebenda, Rn. 19 m.w.N.).
Der Einwand der Klägerin, die Beklagte habe mit Bescheid vom 26.08.2010 grundsätzlich die Versorgung mit einem Hörgerät zu Kosten über dem Festbetrag abgelehnt und deshalb habe keine Veranlassung für eine "pro forma"-Antragstellung bestanden, ist mit der Rechtsprechung des BSG nicht vereinbar.
Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn das von der Klägerin beschaffte Hörgerät Widex Clear 440 C4-PA dem Hörgerät Hansaton Espira X-mini, das Gegenstand des ab-lehnenden Bescheids vom 26.08.2010 war, entsprechen würde. Dies wäre der Fall, wenn beide Leistungen gleichartig wären (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2008, Az. B 1 KR 2/08 R, Rn. 27 f.).
Nach Auffassung der Kammer sind beide Hörgeräte jedoch von der Art und ihren Eigen-schaften her nicht so ähnlich, dass von einer Gleichartigkeit ausgegangen werden kann. Auch aus diesem Grund durfte die Klägerin vorliegend nicht auf eine erneute Antragstellung bei der Beklagten verzichten. Gegen die Annahme der Gleichartigkeit spricht neben den unterschiedlichen technischen Merkmalen, auf die die Beklagte hingewiesen hat, der nicht unerhebliche Preisunterschied der beiden Hörgeräte. Der Einzelpreis des Hörgeräts Widex Clear 440 C4-PA betrug damals 2.490.00 EUR, während ein einzelnes Hörgerät des Typs Hansaton Espira X-mini 2.075,00 EUR kostete. Vor allem aber aufgrund der unterschiedlichen Ergebnisse beider Hörgeräte zum Sprachverstehen kommt die Kammer zu dem Schluss, dass eine Gleichartigkeit nicht vorliegt. Eine vergleichende Anpassung durch die Hörgerätefirma ergab beim Typ Widex Clear 440 C4-PA ein Sprachverstehen der Klägerin von 95% gegenüber einem Sprachverstehen mit dem Typ Hansaton Espira X-mini von 85%, während das Sprachverstehen der Klägerin mit dem Festbetragsgerät Base 75% betrug. Dies zeigt, dass das Hörgerät Widex Clear 440 C4-PA das Sprachverstehen der Klägerin deutlich stärker verbessert als das Hörgerät Hansaton Espira X-mini. Von einer Gleichartigkeit beider Hörgeräte kann daher nicht ausgegangen werden (vgl. im Ergebnis auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.06.2012, Az. L 10 R 5385/11, Rn. 24, das offensichtlich bei unterschiedlichen Hörgeräten grundsätzlich nicht von einer Gleichartigkeit ausgeht).
Selbst wenn eine Gleichartigkeit der beiden Hörgerätstypen angenommen würde, hätte die Klägerin nach Einschätzung der Kammer vorliegend keinen Anspruch auf Erstattung der den Festbetrag übersteigenden Kosten. Die Klägerin leidet an einer beginnend mittelgradig beidseitigen Innenohrschwerhörigkeit. Bezüglich derartiger Hörverluste liegen keine Anhaltspunkte vor, dass die Festbetragsgeräte nicht eine ausreichende Versorgung der Versicherten gewährleisten können (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009, Az. B 3 KR 20/08 Rn. 32 ff.).
Abschließend weist die Kammer darauf hin, dass die Batterien und die Verlustversicherung, die auch Gegenstand der Rechnung vom 28.10.2010 sind, keine Leistungen der GKV sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183,193 SGG.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung der den Festbetrag übersteigenden Kosten eines digitalen Hörgerätes i.H.v. 4.308,84 EUR (beidseitige Versorgung).
Die bei der Beklagten versicherte Klägerin (geb. 1951) leidet an einer beginnend mittel-gradig beidseitigen Innenohrschwerhörigkeit.
Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 12.08.2010 die Kostenübernahme für das Hörgerät Hansaton Espria X-mini außerhalb des Festbetrages. Beigefügt war das Angebot der Fa. Hörgeräte D. vom 20.07.2010 i.H.v. 3.554,44 EUR (beidseitige Versorgung) sowie eine ohrenärztliche Verordnung des HNO-Arztes Dr. E. vom 24.05.2010.
Mit Bescheid vom 26.08.2010 lehnte die Beklagte die beantragte Kostenübernahme mit Hinweis auf den Festbetrag ab. Mit diesem Festbetrag seien sämtliche Kosten, die im Zusammenhang mit der Abgabe der Produkte sowie der Nachbetreuung entstünden, abgegolten. Eine vollständige Kostenübernahme der digitalen Hörsysteme durch die GKV kön-ne nicht erfolgen.
Die Klägerin beschaffte sich daraufhin das Hörgerät Widex Clear 440 C4-PA (beidseitig). Mit Schreiben vom 21.12.2010 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie ihr am 25.10.2010 die Rechnung von der Fa. Hörgeräte D. vom 22.10.2010 für das Hörgerät Widex Clear 440 C4-PA i.H.v. 4.308,84 EUR mit der Bitte um Rückerstattung übersandt habe. Bisher habe sie keine Antwort erhalten. Nachdem auf Beklagtenseite der Eingang dieser Rechnung nicht festzustellen war, sandte die Klägerin der Beklagten diese am 11.01.2011 nochmals per Telefax zu.
Mit Bescheid vom 14.01.2011 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme über den Festbetrag hinaus nochmals ab.
Der Bevollmächtigte der Klägerin legte mit Schreiben vom 19.01.2011 Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten vom 26.08.2010 ein. Zugleich beantragte er Kostenerstattung für die Hörgeräteversorgung Widex Clear 440 C4-PA i.H.v. 4.308,84 EUR gem. Rechnung der Fa. Hörgeräte D. vom 22.10.2010. Entsprechend der Dokumentation zur Hörgeräteanpassung von Hörgeräte D. habe die Klägerin mit dem beantragten Hörgerät Clear 440 ein Sprachverstehen von 95%. Dagegen betrage das Sprachverstehen mit den einfachen Hörgeräten Base und Opal Digital nur 75% bzw. 70%. Das beantragte Hörgerät biete damit im Vergleich zu den anderen Hörgeräten erhebliche Gebrauchsvorteile im Alltag.
Auf Nachfrage des von der Beklagten eingeschalteten MDK übersandte die Fa. Hörgeräte D. ihren Anpassbericht vom 06.07.2010. Danach habe sich die Klägerin nach einer vergleichenden Anpassung für die Clear Hdo Versorgung entschieden. Die FFH-Messungen im Störschall bei der Grundversorgung Opal Hörgerät sei 45% gewesen. Die erprobten Festbetragshörgeräte (Base, Opal digital) seien für die vorliegende Hörminderung nach den aktuell gültigen Versorgungsverträgen ausreichend.
In seiner Stellungnahme kam der MDK zu dem Ergebnis, dass eine geeignete Versorgung in Höhe der Festbeträge möglich sei. Ein wesentlicher Gebrauchsvorteil des beantragten Gerätes sei nicht zu erkennen. Das Vorhandensein von Kugel- und Richtmikrophon über-schreite das physiologische Hörvermögen eines Gesunden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15.04.2011 wies die Beklagte den Widerspruch als unbe-gründet zurück.
Die Klägerin hat am 09.05.2011 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Sie ist der Auffassung, dass es sich bei der angebotenen Versorgung zum Festbetrag nicht um die nach dem Stand der Medizintechnik bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder handele. Gegenüber den angebotenen Hörgeräten biete das beantragte Hörgerät erhebliche Gebrauchsvorteile im Alltagsleben. Die Ablehnung der Beklagten sei nicht konkret auf ein bestimmtes Hörgerät gerichtet gewesen; vielmehr habe die Beklagte grundsätzlich die Versorgung mit einem Hörgerät zu Kosten über dem Festbetrag abgelehnt. Die Klägerin habe nach dem ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 26.08.2010 die Fa. Hörgeräte D. aufgesucht, um sich das beantragte Hörgerät Hansaton zu beschaffen. Die Fa. Hörgeräte D. habe der Klägerin dann mitgeteilt, dass das Hörgerät Widex Clear 440 C4-PA neu auf den Markt gekommen sei und möglicherweise eine bessere Versorgung darstelle. Die Klägerin habe sich daraufhin dieses Hörgerät beschafft. Aufgrund der grundsätzlichen Ablehnung der Beklagten eines Hörgerätes über den Festbetrag hinaus habe für die Klägerin keine Veranlassung bestanden, nochmals eine Kostenübernahme für das Hörgeräte Widex Clear zu beantragen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2011 zu verurteilen, der Klägerin die den Festbetrag übersteigenden Kosten für das Hörgerät Widex Clear 440 C4-PA (beidseitig) in Höhe von 4.308,84 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
Die Beklagte weist darauf hin, dass die Klägerin den Versorgungsweg nicht eingehalten habe. Die Klägerin habe die Kostenübernahme für das Hörgerät Hansaton Espira X-mini beantragt, verlange aber nun die Kostenerstattung für Hörgeräte des Typs Widex Clear 440 C4-PA. Sowohl die Antragstellung vom 25.10.2010 als auch die erstmalige Ablehnung der Beklagten bezüglich des Typs Widex Clear 440 C4-PA am 14.01.2011 seien erst nach Erwerb der Hörgeräte durch die Klägerin erfolgt. Die Hörgeräte Hansaton und Widex Clear unterschieden sich neben dem erheblichen Preisunterschied in vielen technischen Punkten, so dass von einer Vergleichbarkeit nicht ausgegangen werden könne. Die Beklagte habe vom Hörgeräteakustiker am 28.10.2010 eine Rechnung über die vertraglich vereinbarten Pauschalen erhalten. Erst mit Zugang der an die Klägerin adressierten Rechnung vom 22.10.2010 habe die Beklagte Kenntnis von der Existenz einer weiteren Rechnung erhalten. Zu diesem Zeitpunkt sei der Beklagten jede weitere Möglichkeit genommen worden, auf den Versorgungsweg der Klägerin Einfluss zu nehmen und etwa den Hörgeräteakustiker zu vertragsgemäßen Handeln aufzufordern. Im Übrigen sei hinsichtlich der beginnend mittelgradigen Schwerhörigkeit der Klägerin eine Festbetragsversorgung als ausreichend zu erachten.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die Akte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid vom 26.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2011 erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der den Festbetrag übersteigenden Kosten.
Gem. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohen-den Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind.
Die Versicherten erhalten die Leistungen grundsätzlich als Sach- und Dienstleistungen (§ 2 Abs. 2 SGB V). Gem. § 13 Abs. 1 SGB V darf die Krankenkasse anstelle der Sach- oder Dienstleistung Kosten nur erstatten, soweit es das SGB V oder das SGB IX, das vorliegend nicht einschlägig ist, vorsieht. Da die Klägerin keine Kostenerstattung gem. § 13 Abs. 2 SGB V gewählt hatte, kommt als Grundlage für den geltend gemachten Anspruch allein § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V in Betracht, der wie folgt lautet: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war."
Der Anspruch gem. § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V ist gegeben, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt und der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwi-schen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbst beschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009, Az. B 3 KR 20/08 Rn. 10).
Der klägerische Anspruch scheitert vorliegend daran, dass die Beklagte vor der Selbstbe-schaffung der Klägerin nicht Gelegenheit hatte, über den Primäranspruch der Klägerin bezüglich der Versorgung mit einem Hörgerät Typ Widex Clear 440 C4-PA zu entscheiden. Hinsichtlich dieses Hörgerätes hatte die Klägerin vorab keinen Kostenübernahmeantrag bei der Beklagten gestellt. Nach Überzeugung der Kammer ist es im Rahmen des § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V mangels Gleichartigkeit der Leistungen auch nicht genü-gend, dass die Klägerin vor der Selbstbeschaffung einen (von der Beklagten abgelehnten) Kostenübernahmeantrag wegen Versorgung mit dem Hörgerät Hansaton Espira X-mini gestellt hatte.
Nach der Rechtsprechung des BSG fehlt es an einem Ursachenzusammenhang zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast), wenn die Kasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, ob-wohl dies möglich gewesen wäre (BSG, Urteil vom 20. Mai 2003, Az. B 1 KR 9/03 R, Rn. 18 m.w.N.). Eine vorherige Entscheidung der Krankenkasse ist auch dann nicht entbehrlich, wenn die Ablehnung des Leistungsbegehrens - etwa auf Grund von Erfahrungen aus anderen Fällen - von vornherein feststeht. Zur Begründung hat das BSG ausgeführt: "§ 13 Abs 3 SGB V will dem Versicherten einerseits die Möglichkeit eröffnen, sich eine von der Krankenkasse geschuldete, aber als Sachleistung nicht erhältliche Behandlung selbst zu beschaffen, andererseits jedoch die Befolgung des Sachleistungsgrundsatzes dadurch absichern, dass eine Kostenerstattung nur erfolgt, wenn tatsächlich eine Versorgungslücke festgestellt wird. Diese Feststellung zu treffen, ist nicht Sache des Versicherten, sondern der Krankenkasse. Nur sie hat in der Regel einen vollständigen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen und die vorhandenen Versorgungsstrukturen und kann mit Hilfe dieser Informationen zuverlässig beurteilen, ob die begehrte Behandlung überhaupt zu den Leistungen der Krankenversicherung gehört und wenn ja, wie sie in dem bestehenden Versorgungssystem realisiert werden kann. Eine vorherige Prüfung durch die Kasse, verbunden mit der Möglichkeit einer Beratung des Versicherten, ist somit sachgerecht; sie liegt auch im eigenen Interesse des Versicherten, weil sie ihn von dem Risiko entlastet, die Behandlungskosten gegebenenfalls selbst tragen zu müssen, wenn ein zur Erstattungspflicht führender Ausnahmetatbestand nicht vorliegt. Es ist deshalb entgegen dem Revisionsvorbringen weder unzumutbar noch bloßer Formalismus, wenn eine Kostenerstattung in der Art eines zwingenden Verfahrenserfordernisses davon ab-hängig gemacht wird, dass die Krankenkasse zuvor Gelegenheit hatte, über die Berechtigung der außervertraglichen Behandlung zu befinden. Da überdies unklar ist und sich kaum abstrakt festlegen lässt, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit der Versicherte von einer als sicher zu erwartenden Ablehnung der Krankenkasse ausgehen darf, würden sich in zahlreichen Fällen schwierige Abgrenzungsprobleme ergeben, durch die die Wahrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses zwischen Sachleistung und Kostenerstattung gefährdet würde" (BSG, ebenda, Rn. 19 m.w.N.).
Der Einwand der Klägerin, die Beklagte habe mit Bescheid vom 26.08.2010 grundsätzlich die Versorgung mit einem Hörgerät zu Kosten über dem Festbetrag abgelehnt und deshalb habe keine Veranlassung für eine "pro forma"-Antragstellung bestanden, ist mit der Rechtsprechung des BSG nicht vereinbar.
Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn das von der Klägerin beschaffte Hörgerät Widex Clear 440 C4-PA dem Hörgerät Hansaton Espira X-mini, das Gegenstand des ab-lehnenden Bescheids vom 26.08.2010 war, entsprechen würde. Dies wäre der Fall, wenn beide Leistungen gleichartig wären (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2008, Az. B 1 KR 2/08 R, Rn. 27 f.).
Nach Auffassung der Kammer sind beide Hörgeräte jedoch von der Art und ihren Eigen-schaften her nicht so ähnlich, dass von einer Gleichartigkeit ausgegangen werden kann. Auch aus diesem Grund durfte die Klägerin vorliegend nicht auf eine erneute Antragstellung bei der Beklagten verzichten. Gegen die Annahme der Gleichartigkeit spricht neben den unterschiedlichen technischen Merkmalen, auf die die Beklagte hingewiesen hat, der nicht unerhebliche Preisunterschied der beiden Hörgeräte. Der Einzelpreis des Hörgeräts Widex Clear 440 C4-PA betrug damals 2.490.00 EUR, während ein einzelnes Hörgerät des Typs Hansaton Espira X-mini 2.075,00 EUR kostete. Vor allem aber aufgrund der unterschiedlichen Ergebnisse beider Hörgeräte zum Sprachverstehen kommt die Kammer zu dem Schluss, dass eine Gleichartigkeit nicht vorliegt. Eine vergleichende Anpassung durch die Hörgerätefirma ergab beim Typ Widex Clear 440 C4-PA ein Sprachverstehen der Klägerin von 95% gegenüber einem Sprachverstehen mit dem Typ Hansaton Espira X-mini von 85%, während das Sprachverstehen der Klägerin mit dem Festbetragsgerät Base 75% betrug. Dies zeigt, dass das Hörgerät Widex Clear 440 C4-PA das Sprachverstehen der Klägerin deutlich stärker verbessert als das Hörgerät Hansaton Espira X-mini. Von einer Gleichartigkeit beider Hörgeräte kann daher nicht ausgegangen werden (vgl. im Ergebnis auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.06.2012, Az. L 10 R 5385/11, Rn. 24, das offensichtlich bei unterschiedlichen Hörgeräten grundsätzlich nicht von einer Gleichartigkeit ausgeht).
Selbst wenn eine Gleichartigkeit der beiden Hörgerätstypen angenommen würde, hätte die Klägerin nach Einschätzung der Kammer vorliegend keinen Anspruch auf Erstattung der den Festbetrag übersteigenden Kosten. Die Klägerin leidet an einer beginnend mittelgradig beidseitigen Innenohrschwerhörigkeit. Bezüglich derartiger Hörverluste liegen keine Anhaltspunkte vor, dass die Festbetragsgeräte nicht eine ausreichende Versorgung der Versicherten gewährleisten können (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009, Az. B 3 KR 20/08 Rn. 32 ff.).
Abschließend weist die Kammer darauf hin, dass die Batterien und die Verlustversicherung, die auch Gegenstand der Rechnung vom 28.10.2010 sind, keine Leistungen der GKV sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183,193 SGG.
Rechtskraft
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