Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
29
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 29 KR 697/15
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
I. Der Bescheid vom 4. August 2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2015 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet der Klägerin aufgrund des Eintritts der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Abs. 6 SGB V die beantragte bariatrische Operation als Sachleistung zu gewähren.
II. Die Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
1. Die Klägerin begehrt mit Ihrem Antrag vom 5. Mai 2015 (Eingangsstempel der Beklagten vom gleichen Tag) bereits zum 2. Mal die Kostenübernahme für eine bariatrische Operation (Schlauchmagenoperation bei adipositas per magna). Der 1. Antrag vom 25. Juli 2014 wurde durch Bescheid vom 27. August 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6.2.2015 bestandskräftig abgelehnt.
Auf den 2. Antrag vom 5.5.2015, dem neue Ernährungsprotokolle und aktuelle ärztliche Befundberichte neben bereits früher vorgelegten Unterlagen beigefügt war, erfolgte eine Eingangsbestätigung der Beklagten am 26. 5. 2015 zusammen mit dem Hinweis, dass eine gutachterliche Stellungnahme des MDK angefordert worden sei (nämlich mit Schreiben vom 6.5.2015) und die Klägerin weitere Nachricht erhalte, wenn die Unterlagen bei der Beklagten wieder einträfen.
Mit Schreiben vom 11. Juni 2015 monierte die Klägerin, dass der Antrag bisher nicht verbeschieden worden und die Frist nach § 13 Abs. 3 a SGB V abgelaufen sei. Sie bittet um Zusendung der Kostenübernahme an die chirurgische Klinik München Bogenhausen. Mit Schreiben vom 15. Juni 2015 teilte die Beklagte daraufhin mit, dass eine Rückmeldung des MDK bisher nicht vorliege. Diese erfolgte dann in Form eines Gutachtens erst am 23. Juli 2015 mit dem Ergebnis, dass nach Auffassung des MDK eine multimodale konservative Therapie über 6-12 Monaten nicht nachvollziehbar dokumentiert sei, und es i.ü. am Ausschluss von Kontraindikationen in 3 Bereichen mangele, nämlich auf psychiatrischem, kardiopulmonalem und endokrinologischem Fachgebiet.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 4. August 2015 interpretierte die Beklagte den Antrag vom 5.5.2015 als einen solchen nach § 44 SGB X und lehnte ihn ab, weil eine auf tatsächlichen oder rechtlichen Gründen beruhende Unrichtigkeit des alten Verwaltungsaktes vom 6. Februar 2015 nicht vorliege. Es seien keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen worden, die eine Aufhebung des Verwaltungsaktes vom 27. August 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6. Februar 2015 rechtfertigen würde. Der gegen den hier streitgegenständlichen Bescheid erhobene Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 2015 zurückgewiesen. Zur Begründung geht die Beklagte weiterhin davon aus, dass im Bescheid vom 27. August 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Februar 2015 weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich als unrichtig erwiesen habe.
2. Mit der am 22. Juni 2015 beim Sozialgericht München eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin das Ziel, die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin aufgrund des Eintritts der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3 a Satz 6 SGB V eine bariatrische Operation unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 4. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2015 als Sachleistung zu gewähren, weiter.
Die Beklagte hielt im Schriftsatz vom 4. August 2015 an ihrer Interpretation des Antrags vom 5. Mai 2015 als einem solchen nach § 44 SGB X fest. Wegen der Bestandskraft des vorangegangenen Bescheides vom 27. August 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6.2.2015 und der damit verbundenen Tatbestandswirkung. Der Beklagte habe damit auf § 44 SGB V zurückgreifen müssen. Damit scheide auch die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3 ah SGB V aus, da das neue Leistungsbegehren vom 5. Mai 2015 vollumfänglich dem vorhergehenden Antragsbegehren entsprochen habe. I.ü. habe eine erneute sozialmedizinische Begutachtung des MDK keine Veränderung des Sachverhalts ergeben.
3. Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin – aufgrund des Eintritts der Genehmigungsfiktion des § 13 Absatz 3A Satz 6 SGB V – eine bariatrische Operation unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides in Gestalt des Widerspruchsbescheides als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 SGG auf den Akteninhalt verwiesen. Der Kammer haben die Beklagtenakten vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
1. Die Klage ist zulässig, da das sachlich (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG) und örtlich (§ 57 Abs. 1 SGG) zuständige Sozialgericht München angerufen, das gesetzlich vorgesehene (§ 78 SGG) Vorverfahren durchgeführt wurde und fristgerecht (§ 87 Abs. 2 SGG) Klage erho-ben worden ist.
Vorliegend konnte das Gericht einen Gerichtsbescheid erlassen, da gemäß § 105 Absatz 1 Satz 1 SGG die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufwies und der Sachverhalt geklärt war. Die Beteiligten wurden ordnungsgemäß gehört, bzw. haben sich vorab mit einem Gerichtsbescheid einverstanden erklärt.
2. Die Klage ist auch begründet.
a) Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, grundsätzlich spätestens bis zum Ablauf von 3 Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (§ 13 Absatz 3 a Satz 1 1. Alternative SGB V). Nachdem der Antrag der Klägerin bei der Beklagten am 5. Mai 2015 eingegangen ist (Eingangsstempel der Beklagten) hätte damit für die Beklagte grundsätzlich Zeit zur Entscheidung bis zum 26. Mai 2015 zur Verfügung gestanden. In den Fällen, in denen eine gutachterliche Stellungnahme, insbesondere des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) eingeholt wird, erweitert sich die Entscheidungsfrist auf 5 Wochen nach Eintragseingang (§ 13 Absatz 3 a Satz 1 2. Alternative SGB V). Die Stellungnahme des MDK hat die Beklagte auch nach den Vorgaben des Gesetzes (§ 13 Absatz 3 a Satz 2 SGB V) unverzüglich, nämlich am 6.5.2015, eingeholt. Die verlängerte Entscheidungsfrist wäre damit am 9. Juni 2015 abgelaufen gewesen. Dies hätte nur dann nicht gegolten, wenn die Beklagte der Klägerin die Nichteinhaltung der Frist des § 13 Abs. 3 a Satz 1 SGB V unter Darlegung hinreichender Gründe schriftlich mitgeteilt hätte (§ 13 Absatz 3 a Satz 5 SGB V). Erfolgt eine derartige Mitteilung der Gründe nicht, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist, hier also ab 10.5.2015 als genehmigt (§ 13 Abs. 3 a Satz 6 SGB V). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten bzw. zur Freistellung (Kingreen in Becker/Kingreen, § 13 SGB V, Rn. 31) verpflichtet (§ 13 Abs. 3 a Satz 7 SGB V).
Erst mit Schreiben vom 15.6.2015, also nachdem die Klägerin bereits ihre Rechte aus § 13 Abs. 3 a SGB V geltend gemacht hatte wurde ihr mitgeteilt, dass noch keine Rückmeldung des MDK vorliege. Hinreichende Gründe für diese Verzögerung beim MDK, der zu diesem Zeitpunkt immerhin die vom Gesetz vorgegebenen 3 Wochen (§ 13 Abs. 3 a Satz 3 SGB V) weit überschritten hatte, wurden nicht mitgeteilt Damit ist die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3 a Satz 6 SGB V eingetreten.
b) Diesem Ergebnis steht auch nicht der Bescheid vom 27. August in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6. Februar 2015 entgegen. Die Auffassung deshalb Beklagten, dass der Antrag vom 5. Mai 2015 nicht als eigenständiger Neuantrag, sondern als Antrag nach § 44 SGB X auszulegen ist, geht dabei in zweifacher Weise fehl.
§ 44 SGB X zielt auf die Aufhebung des Bescheides vom 27. August 2014, also auf einen rückwärtigen Zeitpunkt. Dies könnte allenfalls dann das Auslegungsergebnis sein, wenn im neuerlichen Antrag die Rechtswidrigkeit des vorhergehenden Bescheides ausdrücklich gerügt wird, was hier nicht der Fall ist. Mit Einschränkungen ließe sich das Auslegungsergebnis der Beklagten halten, wenn mit dem erneuten Antrag gleichzeitig nur wieder die alten auf den rückwärtigen Zeitpunkt bezogenen ärztlichen Unterlagen et cetera vorgelegt oder in Bezug genommen würden. Hier hat die Klägerin jedoch u.a. neue ärztliche Befunde und Atteste vorgelegt. Außerdem geht es vorliegend um eine medizinische Maßnahme (Operation). Derartige Begehren von Versicherten beziehen sich notgedrungen auf die Zukunft; die vergangenen Bescheide spielen diesbezüglich keine Rolle mehr. Dies umso mehr, als gesundheitliche Bedingungen bei den Versicherten einem ständigen Wandel unterworfen sind und auch von daher die Auslegung eines neuen Antrags als ein solcher nach § 44 SGB X in den meisten Fällen nicht überzeugen kann. Damit handelte es sich bei dem Antrag der Klägerin um einen Neuantrag. Dieser unterlag in jedem Fall den oben dargelegten zeitlichen Bedingungen des § 13 Abs. 3 ah SGB V.
c) Zum anderen hat § 44 SGB X als Unikat des Sozialverwaltungsverfahrensrechts (Merten in Hauck/Noftz, § 44 SGB X Rn. 2) schon von vorneherein zu einer schwach ausgeprägten Bestandskraft im Sozialverwaltungsverfahrensrecht geführt (Merten, a.a.O., Rn. 4 ). Die Bestandskraft des Bescheides vom 27. August 2014 erfasst im wesentlichen nur die in dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren festgestellten medizinischen Sachverhalte und die darauf gegründete Entscheidung. Für neue Sachverhalte ist es dann streng genommen gleichgültig ob Sie im Rahmen von § 44 SGB X oder im Rahmen eines eigen-ständigen Neuantrag zu einer Änderung bzw. Neuentscheidung führen. In diesem Zusammenhang geht das Gericht davon aus, dass § 13 Abs. 3 a SGB V ebenfalls einen An-trag nach § 44 SGB X erfassen würde, denn auch dieser ist inhaltlich ein "Antrag auf Leistung". Er stellt sich – was das zu Grunde liegende Leistungsbegehren angeht – ja als eine Art "Fortsetzung" des Altbegehrens auf Leistung dar. Dies bestätigt letztlich auch die Beklagte, die den von ihr angenommenen Antrag nach § 44 SGB X durch Vorlage beim MDK letztlich genauso behandelt hat, wie Sie einen voll-ständigen Neuantrag hätte behandeln müssen. Ganz unbefangen schreibt sie in Ihrem Schreiben vom 26. Mai 2015 an die Klägerin: "Ihren Antrag haben wir erhalten. Damit wir diesen schnell bearbeiten können, haben wir eine gutachterliche Stellungnahme des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung für Sie angefordert." Die Wahl der Verfahrensart kann hinsichtlich der Genehmigungsfiktion keinen Unterschied machen; andernfalls könnten die Krankenkassen den auf sie zielenden und für sie unzweifelhaft unangenehmen § 13 Abs. 3 a SGB V über § 44 SGB X in vielen Fällen leicht aushebeln.
Wieso eine Tatbestandswirkung hinsichtlich der bestandskräftigen Bescheide von Belang sein soll, erklärt die Beklagte nicht näher. Eine Tatbestandswirkung, die im Gegensatz zur Bestandskraftnichtnurzwischendenbeteiligteneinesverfahrenswirk-tunddeswegenauchdrittbindungswirkung genannt wird (Meyer-Ladewig, § 141 SGG, Rn. 4), hat immer zur Voraussetzung, dass die Existenz einer getroffenen Entscheidung zum Tatbestandsmerkmal eines Rechtssatzes erhoben worden ist (Meyer- Ladewig, a.a.O.). Diese Voraussetzung liegt jedoch im Rahmen von § 44 SGB X nicht vor, da dort der bestandskräftige Verwaltungsakt nur als Objekt der Veränderung nicht aber zur unveränderten Übernahme als Tatbestandsmerkmal vorgesehen ist und schon gar nicht eine ausschließliche Entscheidungskompetenz einer anderen entscheidenden Behörde zum Gegenstand hat (Meyer- Ladewig, a.a.O.).
d) Die Leistungsberechtigung der Klägerin ist in der fingierten Genehmigung wirksam verfügt und die Krankenkasse dadurch mit allen Einwendungen dagegen ausgeschlossen. Die Fiktionswirkung schließt die Erforderlichkeit der Leistung nach Art und Umfang ein (Noftz in Hauck/Noftz, § 13 SGB V, Rn. 58 l, Nr. 4). Die Genehmigungsfiktion schützt damit den Versicherten vor dem Risiko der Fehlbeurteilung seiner Leistungsberechtigung und nimmt dafür im Einzelfall Einschränkungen der materiellen Rechtmäßigkeit in Kauf (Noftz, a.a.O.). Zu einer Korrektur für "schwer erträgliche" Resultate oder Vorbehalte für eine ma-teriellen Überprüfung soweit erst im Rahmen der Ausführung der Leistung diese konkret ausgestaltet oder modifiziert werden kann (Noftz, a.a.O.), lag nichts Greifbares vor.
3. Der Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 193 SGG in vollem Umfange stattzugeben.
II. Die Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
1. Die Klägerin begehrt mit Ihrem Antrag vom 5. Mai 2015 (Eingangsstempel der Beklagten vom gleichen Tag) bereits zum 2. Mal die Kostenübernahme für eine bariatrische Operation (Schlauchmagenoperation bei adipositas per magna). Der 1. Antrag vom 25. Juli 2014 wurde durch Bescheid vom 27. August 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6.2.2015 bestandskräftig abgelehnt.
Auf den 2. Antrag vom 5.5.2015, dem neue Ernährungsprotokolle und aktuelle ärztliche Befundberichte neben bereits früher vorgelegten Unterlagen beigefügt war, erfolgte eine Eingangsbestätigung der Beklagten am 26. 5. 2015 zusammen mit dem Hinweis, dass eine gutachterliche Stellungnahme des MDK angefordert worden sei (nämlich mit Schreiben vom 6.5.2015) und die Klägerin weitere Nachricht erhalte, wenn die Unterlagen bei der Beklagten wieder einträfen.
Mit Schreiben vom 11. Juni 2015 monierte die Klägerin, dass der Antrag bisher nicht verbeschieden worden und die Frist nach § 13 Abs. 3 a SGB V abgelaufen sei. Sie bittet um Zusendung der Kostenübernahme an die chirurgische Klinik München Bogenhausen. Mit Schreiben vom 15. Juni 2015 teilte die Beklagte daraufhin mit, dass eine Rückmeldung des MDK bisher nicht vorliege. Diese erfolgte dann in Form eines Gutachtens erst am 23. Juli 2015 mit dem Ergebnis, dass nach Auffassung des MDK eine multimodale konservative Therapie über 6-12 Monaten nicht nachvollziehbar dokumentiert sei, und es i.ü. am Ausschluss von Kontraindikationen in 3 Bereichen mangele, nämlich auf psychiatrischem, kardiopulmonalem und endokrinologischem Fachgebiet.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 4. August 2015 interpretierte die Beklagte den Antrag vom 5.5.2015 als einen solchen nach § 44 SGB X und lehnte ihn ab, weil eine auf tatsächlichen oder rechtlichen Gründen beruhende Unrichtigkeit des alten Verwaltungsaktes vom 6. Februar 2015 nicht vorliege. Es seien keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen worden, die eine Aufhebung des Verwaltungsaktes vom 27. August 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6. Februar 2015 rechtfertigen würde. Der gegen den hier streitgegenständlichen Bescheid erhobene Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 2015 zurückgewiesen. Zur Begründung geht die Beklagte weiterhin davon aus, dass im Bescheid vom 27. August 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Februar 2015 weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich als unrichtig erwiesen habe.
2. Mit der am 22. Juni 2015 beim Sozialgericht München eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin das Ziel, die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin aufgrund des Eintritts der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3 a Satz 6 SGB V eine bariatrische Operation unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 4. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2015 als Sachleistung zu gewähren, weiter.
Die Beklagte hielt im Schriftsatz vom 4. August 2015 an ihrer Interpretation des Antrags vom 5. Mai 2015 als einem solchen nach § 44 SGB X fest. Wegen der Bestandskraft des vorangegangenen Bescheides vom 27. August 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6.2.2015 und der damit verbundenen Tatbestandswirkung. Der Beklagte habe damit auf § 44 SGB V zurückgreifen müssen. Damit scheide auch die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3 ah SGB V aus, da das neue Leistungsbegehren vom 5. Mai 2015 vollumfänglich dem vorhergehenden Antragsbegehren entsprochen habe. I.ü. habe eine erneute sozialmedizinische Begutachtung des MDK keine Veränderung des Sachverhalts ergeben.
3. Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin – aufgrund des Eintritts der Genehmigungsfiktion des § 13 Absatz 3A Satz 6 SGB V – eine bariatrische Operation unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides in Gestalt des Widerspruchsbescheides als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 SGG auf den Akteninhalt verwiesen. Der Kammer haben die Beklagtenakten vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
1. Die Klage ist zulässig, da das sachlich (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG) und örtlich (§ 57 Abs. 1 SGG) zuständige Sozialgericht München angerufen, das gesetzlich vorgesehene (§ 78 SGG) Vorverfahren durchgeführt wurde und fristgerecht (§ 87 Abs. 2 SGG) Klage erho-ben worden ist.
Vorliegend konnte das Gericht einen Gerichtsbescheid erlassen, da gemäß § 105 Absatz 1 Satz 1 SGG die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufwies und der Sachverhalt geklärt war. Die Beteiligten wurden ordnungsgemäß gehört, bzw. haben sich vorab mit einem Gerichtsbescheid einverstanden erklärt.
2. Die Klage ist auch begründet.
a) Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, grundsätzlich spätestens bis zum Ablauf von 3 Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (§ 13 Absatz 3 a Satz 1 1. Alternative SGB V). Nachdem der Antrag der Klägerin bei der Beklagten am 5. Mai 2015 eingegangen ist (Eingangsstempel der Beklagten) hätte damit für die Beklagte grundsätzlich Zeit zur Entscheidung bis zum 26. Mai 2015 zur Verfügung gestanden. In den Fällen, in denen eine gutachterliche Stellungnahme, insbesondere des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) eingeholt wird, erweitert sich die Entscheidungsfrist auf 5 Wochen nach Eintragseingang (§ 13 Absatz 3 a Satz 1 2. Alternative SGB V). Die Stellungnahme des MDK hat die Beklagte auch nach den Vorgaben des Gesetzes (§ 13 Absatz 3 a Satz 2 SGB V) unverzüglich, nämlich am 6.5.2015, eingeholt. Die verlängerte Entscheidungsfrist wäre damit am 9. Juni 2015 abgelaufen gewesen. Dies hätte nur dann nicht gegolten, wenn die Beklagte der Klägerin die Nichteinhaltung der Frist des § 13 Abs. 3 a Satz 1 SGB V unter Darlegung hinreichender Gründe schriftlich mitgeteilt hätte (§ 13 Absatz 3 a Satz 5 SGB V). Erfolgt eine derartige Mitteilung der Gründe nicht, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist, hier also ab 10.5.2015 als genehmigt (§ 13 Abs. 3 a Satz 6 SGB V). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten bzw. zur Freistellung (Kingreen in Becker/Kingreen, § 13 SGB V, Rn. 31) verpflichtet (§ 13 Abs. 3 a Satz 7 SGB V).
Erst mit Schreiben vom 15.6.2015, also nachdem die Klägerin bereits ihre Rechte aus § 13 Abs. 3 a SGB V geltend gemacht hatte wurde ihr mitgeteilt, dass noch keine Rückmeldung des MDK vorliege. Hinreichende Gründe für diese Verzögerung beim MDK, der zu diesem Zeitpunkt immerhin die vom Gesetz vorgegebenen 3 Wochen (§ 13 Abs. 3 a Satz 3 SGB V) weit überschritten hatte, wurden nicht mitgeteilt Damit ist die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3 a Satz 6 SGB V eingetreten.
b) Diesem Ergebnis steht auch nicht der Bescheid vom 27. August in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6. Februar 2015 entgegen. Die Auffassung deshalb Beklagten, dass der Antrag vom 5. Mai 2015 nicht als eigenständiger Neuantrag, sondern als Antrag nach § 44 SGB X auszulegen ist, geht dabei in zweifacher Weise fehl.
§ 44 SGB X zielt auf die Aufhebung des Bescheides vom 27. August 2014, also auf einen rückwärtigen Zeitpunkt. Dies könnte allenfalls dann das Auslegungsergebnis sein, wenn im neuerlichen Antrag die Rechtswidrigkeit des vorhergehenden Bescheides ausdrücklich gerügt wird, was hier nicht der Fall ist. Mit Einschränkungen ließe sich das Auslegungsergebnis der Beklagten halten, wenn mit dem erneuten Antrag gleichzeitig nur wieder die alten auf den rückwärtigen Zeitpunkt bezogenen ärztlichen Unterlagen et cetera vorgelegt oder in Bezug genommen würden. Hier hat die Klägerin jedoch u.a. neue ärztliche Befunde und Atteste vorgelegt. Außerdem geht es vorliegend um eine medizinische Maßnahme (Operation). Derartige Begehren von Versicherten beziehen sich notgedrungen auf die Zukunft; die vergangenen Bescheide spielen diesbezüglich keine Rolle mehr. Dies umso mehr, als gesundheitliche Bedingungen bei den Versicherten einem ständigen Wandel unterworfen sind und auch von daher die Auslegung eines neuen Antrags als ein solcher nach § 44 SGB X in den meisten Fällen nicht überzeugen kann. Damit handelte es sich bei dem Antrag der Klägerin um einen Neuantrag. Dieser unterlag in jedem Fall den oben dargelegten zeitlichen Bedingungen des § 13 Abs. 3 ah SGB V.
c) Zum anderen hat § 44 SGB X als Unikat des Sozialverwaltungsverfahrensrechts (Merten in Hauck/Noftz, § 44 SGB X Rn. 2) schon von vorneherein zu einer schwach ausgeprägten Bestandskraft im Sozialverwaltungsverfahrensrecht geführt (Merten, a.a.O., Rn. 4 ). Die Bestandskraft des Bescheides vom 27. August 2014 erfasst im wesentlichen nur die in dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren festgestellten medizinischen Sachverhalte und die darauf gegründete Entscheidung. Für neue Sachverhalte ist es dann streng genommen gleichgültig ob Sie im Rahmen von § 44 SGB X oder im Rahmen eines eigen-ständigen Neuantrag zu einer Änderung bzw. Neuentscheidung führen. In diesem Zusammenhang geht das Gericht davon aus, dass § 13 Abs. 3 a SGB V ebenfalls einen An-trag nach § 44 SGB X erfassen würde, denn auch dieser ist inhaltlich ein "Antrag auf Leistung". Er stellt sich – was das zu Grunde liegende Leistungsbegehren angeht – ja als eine Art "Fortsetzung" des Altbegehrens auf Leistung dar. Dies bestätigt letztlich auch die Beklagte, die den von ihr angenommenen Antrag nach § 44 SGB X durch Vorlage beim MDK letztlich genauso behandelt hat, wie Sie einen voll-ständigen Neuantrag hätte behandeln müssen. Ganz unbefangen schreibt sie in Ihrem Schreiben vom 26. Mai 2015 an die Klägerin: "Ihren Antrag haben wir erhalten. Damit wir diesen schnell bearbeiten können, haben wir eine gutachterliche Stellungnahme des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung für Sie angefordert." Die Wahl der Verfahrensart kann hinsichtlich der Genehmigungsfiktion keinen Unterschied machen; andernfalls könnten die Krankenkassen den auf sie zielenden und für sie unzweifelhaft unangenehmen § 13 Abs. 3 a SGB V über § 44 SGB X in vielen Fällen leicht aushebeln.
Wieso eine Tatbestandswirkung hinsichtlich der bestandskräftigen Bescheide von Belang sein soll, erklärt die Beklagte nicht näher. Eine Tatbestandswirkung, die im Gegensatz zur Bestandskraftnichtnurzwischendenbeteiligteneinesverfahrenswirk-tunddeswegenauchdrittbindungswirkung genannt wird (Meyer-Ladewig, § 141 SGG, Rn. 4), hat immer zur Voraussetzung, dass die Existenz einer getroffenen Entscheidung zum Tatbestandsmerkmal eines Rechtssatzes erhoben worden ist (Meyer- Ladewig, a.a.O.). Diese Voraussetzung liegt jedoch im Rahmen von § 44 SGB X nicht vor, da dort der bestandskräftige Verwaltungsakt nur als Objekt der Veränderung nicht aber zur unveränderten Übernahme als Tatbestandsmerkmal vorgesehen ist und schon gar nicht eine ausschließliche Entscheidungskompetenz einer anderen entscheidenden Behörde zum Gegenstand hat (Meyer- Ladewig, a.a.O.).
d) Die Leistungsberechtigung der Klägerin ist in der fingierten Genehmigung wirksam verfügt und die Krankenkasse dadurch mit allen Einwendungen dagegen ausgeschlossen. Die Fiktionswirkung schließt die Erforderlichkeit der Leistung nach Art und Umfang ein (Noftz in Hauck/Noftz, § 13 SGB V, Rn. 58 l, Nr. 4). Die Genehmigungsfiktion schützt damit den Versicherten vor dem Risiko der Fehlbeurteilung seiner Leistungsberechtigung und nimmt dafür im Einzelfall Einschränkungen der materiellen Rechtmäßigkeit in Kauf (Noftz, a.a.O.). Zu einer Korrektur für "schwer erträgliche" Resultate oder Vorbehalte für eine ma-teriellen Überprüfung soweit erst im Rahmen der Ausführung der Leistung diese konkret ausgestaltet oder modifiziert werden kann (Noftz, a.a.O.), lag nichts Greifbares vor.
3. Der Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 193 SGG in vollem Umfange stattzugeben.
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