S 23 U 18/17

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
23
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 23 U 18/17
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Bescheid vom 17.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2016 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, für die Kläge-rin für den Zeitraum des Bezugs von Verletztengeld vom 01.01.2016 bis 15.05.2016 Beiträge in entsprechender Anwendung der für das Kranken-geld geltenden Vorschriften an die berufsständische Versorgungseinrich-tung der Klägerin zu zahlen.

II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist die Frage, ob die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von Beiträgen an eine berufsständische Versorgungseinrichtung für Zeiten des Bezugs von Verletztengeld hat.

Die Klägerin erlitt am 18. August 2015 als Beschäftigte auf der Rückreise von einer dienstlichen Veranstaltung einen Motorradunfall und war in der Folge bis 15. Mai 2016 arbeitsunfähig. Die Klägerin bezog während der Zeit ihrer Arbeitsunfähigkeit vom 28. Sep-tember 2015 bis einschließlich 15. Mai 2016 Verletztengeld. Ausweislich einer Bestätigung des Versorgungswerks der Architektenkammer NRW (Versorgungswerk) aus dem Jahr 2011 besteht für die Klägerin eine Pflichtmitgliedschaft im dortigen Versorgungswerk. Sie ist deshalb von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit. Der Arbeitgeber der Klägerin bestätigte gegenüber der Beklagten, dass er "den Ar-beitgeberanteil monatlich mit der Gehaltsabrechnung" erstatte.

Bereits im Jahr 2015 bat die Klägerin gegenüber ihrer mit der Auszahlung des Verletztengeldes beauftragten Betriebskrankenkasse (BKK) um eine Korrektur der aus ihrer Sicht zu geringen Höhe des Verletztengeldes, u.a. auch wegen ihrer "Rentenbeiträge an das Ver-sorgungswerk" (Schreiben vom 2. November 2015). Hierüber informierte die BKK die Be-klagte mit Schreiben vom 18. November 2015 und bat diese sodann mit Schreiben vom 25. August 2016 um Mitteilung, ob ab dem 1. Januar 2016 ein entsprechender Beitrags-zuschuss in analoger Anwendung des § 47a des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) abzuführen sei.

Die Beklagte teilte daraufhin der BKK mit Schreiben vom 17. Oktober 2016 mit, dass zu ihren Lasten kein Beitragszuschuss an das Versorgungswerk in analoger Anwendung des § 47a SGB V abgeführt werden könne. Der Ausschuss für Rechtsfragen der Geschäftsführerkonferenz der DGUV habe sich im April 2016 mit dieser Frage befasst und hier kei-ne planwidrige Regelungslücke gesehen. Die Klägerin erhielt unter dem gleichen Datum einen Abdruck des Schreibens. Der von ihr hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2016 zurückgewiesen. Der Gesetzgeber habe keine Notwendigkeit für die Aufnahme eines Verweises auf § 47a SGB V oder eine eigenständige Regelung im Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) gesehen, obwohl ihm die Frage nicht unbekannt gewesen sein dürfte. Im Übrigen gelte § 31 des Ersten Buchs So-zialgesetzbuch (SGB I), wonach Rechte und Pflichten im Bereich der Sozialversicherung nur begründet werden dürften, wenn ein Gesetz es vorschreibe (Vorbehalt des Gesetzes).

Ihre Klage ließ die Klägerin – wie bereits den Widerspruch – damit begründen, dass sie ohne eine analoge Anwendung des zum 1. Januar 2016 eingeführten § 47a SGB V bei Bezug von Verletztengeld schlechter gestellt wäre als bei Bezug von Krankengeld. Es liege eine planwidrige Gesetzeslücke vor, ein Grund für die Schlechterstellung von Ver-letztengeldempfängern gegenüber Krankengeldempfängern sei nicht ersichtlich.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 17. Oktober 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für den Zeitraum des Bezugs von Verletztengeld vom 1. Januar 2016 bis 15. Mai 2016 einen Beitragszu-schuss entsprechend § 47a SGB V an die berufsständische Versorgungseinrichtung der Klägerin zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Akte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Das Schreiben der Beklagten vom 17. Oktober 2016 war zwar nicht als Verwaltungsakt bezeichnet, es war aber auf eine (negativ feststellende) Regelung des vorliegenden Einzelfalls gerichtet und hatte gegenüber der Klägerin hoheitliche Wirkung.

Die Klage ist auch begründet, da die Klägerin für den geltend gemachten Zeitraum einen Anspruch auf Entrichtung von Beiträgen an ihre berufsständische Versorgungseinrichtung in entsprechender Anwendung der für das Krankengeld geltenden Vorschriften hat.

Eine dem § 47a SGB V entsprechende Vorschrift ist im SGB VII nicht enthalten. Ange-sichts des klaren Wortlauts des § 47 SGB VII, der lediglich auf §§ 47 Abs. 1 und 2 sowie 47b SGB V verweist, ist eine Anwendung des § 47a SGB V auch nicht mittels Auslegung zu gewinnen. Allerdings ist § 47a SGB V analog anzuwenden: Es liegt eine unbewusste Regelungslücke vor, ohne deren Schließung durch analoge Anwendung des § 47a SGB V es zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte kommen würde.

Es besteht eine Regelungslücke: Mit Einführung des ab 1. Januar 2016 für Zeiten des Be-zugs von Krankengeld gültigen § 47a SGB V durch das Gesetz zur Stärkung der Versor-gung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VSG) vom 16. Juli 2015 (Bundesge-setzblatt 2015 Teil 1 Nr. 30, S. 1211 ff) sollten Pflichtmitglieder in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung in der gesetzlichen Rentenversicherung Pflichtversicherten im Hinblick auf die Beitragszahlung aus dem Krankengeld gleichgestellt werden. Diese Gleichstellung sei sachgerecht, da insbesondere Mitglieder in berufsständischen Versorgungseinrichtungen auch auf der Leistungsseite Ansprüche z.B. im Bereich der Rehabilitation hätten, so dass eine hinreichende Vergleichbarkeit mit der Rentenversicherung be-stehe (vgl. BT-Drs. 18/4095, S. 81). Für den Bereich des Verletztengeldes wurde eine entsprechende Regelung nicht eingeführt. Aufgrund des klaren Wortlauts des § 11 Abs. 5 SGB V besteht kein (subsidiärer) Krankengeldanspruch neben einem Verletztengeldanspruch, so dass auch nicht etwa die zusätzlichen Beitragszahlungen zu Versorgungseinrichtungen von der Krankenversicherung übernommen würden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des Bundes-sozialgerichts (BSG) vom 25. November 2015 (Az. B 3 KR 3/15 R). Dieses bezieht sich auf Verletztengeld, das nicht aus dem gesamten Erwerbseinkommen berechnet wurde, sondern nur auf der Grundlage einer freiwilligen Unfallversicherung zu einer nebenberuflichen, selbstständigen Tätigkeit.

Es handelt sich um eine unbewusste Regelungslücke. Zwar hat die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass dem Gesetzgeber die Frage der Beiträge zu Versorgungsein-richtungen auch im Bereich des SGB VII grundsätzlich hätte bekannt sein müssen. Allerdings ist zu beachten, dass im Rahmen des GKV-VSG keine Änderung des SGB VII vor-genommen wurde. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber die Besonderheiten des Unfallversicherungsrechts und damit auch das Verletztengeld beim Gesetzgebungsverfahren zum GKV-VSG nicht im Blick hatte. Dies ist insbesondere auch vor dem Hintergrund anzunehmen, dass der Gesetzgeber z.B. bereits im Jahr 1995 bei Änderung des damaligen Arbeitsförderungsgesetzes darauf hinwies, dass eine Benachtei-ligung von in berufsständischen Versorgungswerken versicherten Personen in Fällen des § 3 Satz 1 Nr. 3 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) vermieden werden müs-se (vgl. BT-Drs. 13/3150, S. 46 zu Artikel 10 Nr. 9a). Zudem ging der Gesetzgeber (eben-falls bereits 1995, Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz) davon aus, dass die Berech-nungsgrundlagen für die Höhe des Krankengeldes und des Verletztengeldes gleich seien (vgl. BT-Drs. 13/2204 S. 124 zu Art. 4 Nr. 1).

Bei der Zahlung von Verletzten- bzw. Krankengeld handelt es sich für die betroffenen Versicherten um vergleichbare Sachverhalte. Wesentlicher Unterschied ist die Ursache der Arbeitsunfähigkeit. Wenngleich die Höhe der Entgeltersatzleistung bei § 47 SGB VII gegenüber § 47 SGB V leicht modifiziert ist, vgl. § 47 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ("Maßgabe"), rechtfertigt dies allein nicht eine andere Behandlung bei den Beiträgen zur Alterssicherung bei Verletztengeldbezug auf der einen und Krankengeldbezug auf der anderen Seite. Vielmehr ist allgemein davon auszugehen, dass die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung typischerweise eher höher sind als diejenigen der gesetzlichen Krankenver-sicherung (so auch BSG, Urteil vom 25. November 2015 aaO., juris Rz. 17, 20). Bei in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherten führt die leicht unterschiedliche Höhe der beiden Entgeltersatzleistungen (Kranken- bzw. Verletztengeld) hinsichtlich der Übernahme der Arbeitgeberbeiträge durch den jeweiligen Leistungsträger ebenfalls nicht zu unter-schiedlichen Ergebnissen.

Eine Ungleichbehandlung von Versicherten bei Bezug von Kranken- bzw. Verletztengeld bezüglich der finanziell durchaus relevanten Beiträge zur Alterssicherung wäre nicht ge-rechtfertigt und willkürlich. Unabhängig davon, ob Kranken- oder Verletztengeld im Raum steht, ist der jeweilige Arbeitgeber nach Auslaufen der Entgeltfortzahlung gesetzlich nicht mehr zur Tragung von Beiträgen zur Alterssicherung verpflichtet. Diese werden bezüglich der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 170 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI hälftig vom jeweils zuständigen Leistungsträger übernommen. Vor Einführung des § 47a SGB V galt Ent-sprechendes bei in berufsständischen Versorgungswerken Versicherten nicht. Dieser Personenkreis musste Beiträge zur Alterssicherung vielmehr trotz einer im Vergleich zum Regelentgelt reduzierten Entgeltersatzleistung allein finanzieren. Das stand zwar im Wi-derspruch zum o.g. Willen des Gesetzgebers aus dem Jahr 1995, war aber nicht willkür-lich, sondern konnte durch die unterschiedlichen Systeme der Alterssicherung gerechtfer-tigt werden. Dieses zulässige Unterscheidungskriterium wurde vom Gesetzgeber durch die Einführung des § 47a SGB V aufgegeben. Nunmehr wäre es willkürlich, die ausgewo-genen Vorgaben des Gesetzgebers zur Berechnung des dem Versicherten verbleibenden Nettos durch eine Schlechterstellung von Verletztengeldbeziehern bei den Beitragszah-lungen zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen zu konterkarieren. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Schlechterstellung vom Gesetzgeber gewollt wäre.

Die Rechtsprechung des BSG steht einer analogen Anwendung des § 47a SGB V für das Verletztengeld nicht entgegen. Zwar hat das BSG u.a. in seinem Urteil vom 14. Februar 2001 (Az. B 1 KR 25/99 R) darauf hingewiesen, dass insgesamt die Übernahme der ge-setzlichen, berufsständischen und privaten Altersvorsorge bei Arbeitsunterbrechungen in sehr unterschiedlicher Weise geregelt sei. Dies stehe einer analogen Anwendung von Vorschriften für in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherte auf (freiwillige) Mit-glieder berufsständischer Versorgungseinrichtungen entgegen. Eine künftige Grenzziehung werde anderenfalls nahezu unmöglich (vgl. BSG aaO., juris Rz. 19). Eine der genannten Argumentationslinie des BSG vergleichbare Konstellation liegt seit Inkrafttreten des § 47a SGB V jedoch nicht mehr vor. Im hier zu entscheidenden Fall geht es nicht darum, die Auswirkungen verschiedener Systeme der Altersvorsorge auszugleichen. Die Frage ist vielmehr, ob Versicherte während des Bezugs von Verletztengeld schlechter gestellt werden als bei Bezug von Krankengeld.

Die Regelung des § 31 SGB I kann der Klägerin von der Beklagten bei einer analogen Anwendung des § 47a SGB V nicht entgegengehalten werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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