L 2 B 96/07 AS ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 18 AS 234/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 B 96/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
In den Fällen, in denen ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X gestellt worden ist, sind besonders strenge Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes zu stellen. Das Tatbestandmerkmal des "Weigern" im Sinne von § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II kann nicht durch fahrlässiges Handeln verwirklicht werden. Der Anwendungsbereich des § 31 Abs. 4 Nr. 3 Lit. b SGB II ist auf pflichtwidrige Handlungen beschränkt, die der erwerbsfähige Hilfebedürftige vor Eintritt in den Leistungs- und Betreuungszusammenhang nach dem SGB II begangen hat.
Der Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 12. März 2007 wird abgeändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit vom 9. Februar 2007 bis einschließlich 31. März 2007 vorläufige Leistungen nach dem SGB II ohne Absenkung zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurück gewiesen.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin 5/6 der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wendet sich in einem Zugunstenverfahren gegen die Absenkung der von ihr bezogenen Leistungen in der Zeit von Januar 2007 bis März 2007 und begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihr für die Zeit vom 1. Februar 2007 bis 31. März 2007 ungekürzte Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) – Grundsicherung für Arbeitsuchende - zu gewähren.

Die am 1986 geborene Antragstellerin lebt mit ihrer am 2002 geborenen Tochter zusammen und steht seit dem 1. Januar 2005 beim Antragsgegner im Leistungsbezug. Mit Bescheid vom 10. August 2006 bewilligte der Antragsgegner für die Antragstellerin und ihre Tochter Leistungen in Höhe von monatlich 520,00 EUR für den Zeitraum September bis Dezember 2006. Nach dem Änderungsbescheid vom 6. September 2006 erhöhten sich die Leistungen für den genannten Zeitraum auf 543,33 EUR monatlich. Am 26. September 2006 teilte die Antragstellerin dem Antragsgegner mit, sie werde eine Ausbildung zur Verkäuferin mit der Fachrichtung Lebensmittel aufnehmen und reichte dazu nach Anforderung eine Bestätigung der A. - und W. GmbH (AWZ) vom 28. September 2006 ein. Danach sollte die Antragstellerin vom 27. September 2006 bis 26. September 2009 im Rahmen einer außerbetrieblichen Ausbildung zur Verkäuferin ausgebildet werden. In dem Ausbildungsvertrag vom 27. September 2006 war vereinbart, dass das Berufungsausbildungsverhältnis am 27. September 2006 beginnen und am 26. September 2008 enden sollte. Als Ausbildungsmaßnahmen außerhalb der Ausbildungsstätte waren jeweils acht Wochen pro Ausbildungsjahr betriebliche Ausbildung im E. –N. B. vorgesehen. Die Ausbildungsvergütung sollte monatlich im ersten Ausbildungsjahr 282,00 EUR und im zweiten Ausbildungsjahr 296,10 EUR betragen.

Nach der von den Beteiligten getroffenen "Eingliederungsvereinbarung" vom 2. Oktober 2006 (EV) sollte die Antragstellerin verpflichtet sein, "die Ausbildung zur Verkäuferin in der AWZ von 27.09.2006 bis 26.09.2009 zu absolvieren". Mit Bescheid vom 19. Oktober 2006 hob die Antragsgegnerin die Bewilligung von Arbeitslosengeld II für die Zeit von Oktober bis Dezember 2006 auf und bewilligte der Antragstellerin zugleich ein Darlehn für den selben Zeitraum in Höhe von monatlich 397,73 EUR zur Sicherung des Lebensunterhalts, weil der direkte Übergang aus dem Leistungsbezug in die gerade begonnene Ausbildung eine besondere Härte darstelle. Die Antragstellerin erzielt daneben aus einer Tätigkeit für ihre Mutter Einkünfte in Höhe von 100,00 EUR monatlich.

Am 1. Dezember 2006 kündigte die AWZ das mit der Antragstellerin bestehende Ausbildungsverhältnis während der vereinbarten Probezeit zum 1. Dezember 2006. Zu den Gründen dieser Kündigung und einer möglichen Leistungsabsenkung hörte der Antragsgegner die Antragstellerin an. Diese wies im Rahmen einer Anhörung am 12. Dezember 2006 die Anschuldigung zurück, während des betrieblichen Ausbildungsabschnitts einen zur Kündigung führenden Diebstahl begangen zu haben.

Mit Bescheid vom 18. Dezember 2006 (Bewilligungsbescheid) bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin für die Monate Januar bis März 2007 eine monatliche Leistung in Höhe von 343,33 EUR und für den Monat April 2007 eine Leistung in Höhe von 543,33 EUR. Laut Bewilligungsbescheid hatte der Antragsteller von den bewilligten Leistungen einen Betrag in Höhe von 339,13 EUR auf ein Konto der Mutter zu überweisen; 4,20 EUR waren wegen einer älteren Rückforderung einzubehalten. Bei der Leistungsberechnung für die Monate Januar bis März 2007 senkte der Antragsgegner, bei gleichzeitiger Hinzurechnung von 145,00 EUR für Sach- und geldwerte Leistungen, jeweils die Regelleistung um einen Betrag in Höhe von 345,00 EUR ab. Zur Begründung der Absenkung führte der Antragsteller in einem gesonderten Bescheid ebenfalls vom 18. Dezember 2006 (Sanktionsbescheid) aus, die Antragstellerin habe sich im Sinne des § 31 Absatz 1 Nr. 1 Lit. c SGB II geweigert, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit, Sofortangebot oder eine sonstige in der Eingliederungsvereinbarung vereinbarte Maßnahme aufzunehmen oder fortzuführen. Wegen des genauen Inhalts der Bescheide wird auf die Verwaltungsakten des Antragstellers Bezug genommen.

Widerspruch gegen den Sanktionsbescheid und den Leistungsbescheid legte die Antragstellerin nicht ein. Sie beantragte jedoch mit Schreiben vom 7. Februar 2007 unter Bezugnahme auf § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) die Aufhebung der Sanktion.

Am 9. Februar 2007 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Magdeburg um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und vorgetragen, die Absenkung der Leistungen sei lediglich auf einen vagen Verdacht des Diebstahls gestützt, den sie zurückweise. Überdies sei die Kündigung in der Probezeit ohne Angabe eines Grundes erfolgt. § 31 Abs. 1 Nr. 1 Lit. c SGB II käme als Sanktionstatbestand auch nicht in Betracht. Eine Weigerung der Antragstellerin läge nämlich nicht vor, denn die Kündigung sei durch den Ausbilder ausgesprochen worden. Der Fall, dass ein Hilfebedürftiger Anlass für den Abbruch einer Ausbildung gegeben habe, sei von § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB II nicht erfasst. Auch habe man die Eingliederungsvereinbarung nicht abschließen dürfen, da die Antragstellerin ab Beginn der Ausbildung Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung - (SGB III) gehabt habe. Eingliederungsvereinbarungen könnten im Übrigen nur mit Hilfebedürftigen geschlossen werden. Wegen der nur noch darlehensweisen Gewährung der Leistungen nach dem SGB II sei die Antragstellerin zum damaligen Zeitpunkt aber nicht mehr hilfebedürftig gewesen.

Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, die Antragstellerin habe sich am 30. November 2006 im Rahmen der Berufsausbildung zum Praktikum im Einkaufszentrum E. - N. in B. befunden. Die Filialleiterin habe der Berufsausbilderin, der Zeugin V. , telefonisch mitgeteilt: Nach Arbeitsende sei eine Taschenkontrolle durchgeführt worden. Hierbei seien eine Tüte Gummibärchen, eine Bravo-Zeitschrift, eine Cola und ein Spray bei der Antragstellerin gefunden worden. Diese habe angegeben, die Artikel im Markt käuflich erworben und den Kassenbon in den Müll geworfen zu haben. Die Ware sei jedoch nicht – wie vorgeschrieben – von der zuständigen Kassiererin gegengezeichnet worden. Am Folgetag hätten die Ausbilderinnen V. , N. und A. mit der Antragstellerin ein Gespräch geführt. Sie hätten dieser angeboten, den Markt gemeinsam nochmals aufzusuchen, um den Diebstahlsvorwurf auszuräumen und den Kassenbon in den Müllbeuteln zu suchen. Dies habe die Antragstellerin vehement abgelehnt. Im Kündigungsschreiben sei der Schuldvorwurf nicht angegeben worden, um der Antragstellerin den zukünftigen Weg nicht zu verbauen.

Am 12. März 2007 hat die Kammervorsitzende des Sozialgerichts mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage erörtert und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen V. und N ...

Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung als unbegründet abgelehnt. Zwar habe es die Antragstellerin versäumt, rechtzeitig Widerspruch gegen den Sanktionsbescheid einzulegen und ggf. einstweiligen Rechtsschutz über § 86b Abs. 1 Sozialgerichtsgerichtsgesetz (SGG) zu suchen. Wegen des in der 100%igen Absenkung liegenden erheblichen Eingriffs im Bereich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes habe die Antragstellerin jedoch auch die Möglichkeit, einstweiligen Rechtsschutz im Rahmen eines Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X zu suchen. Der von der Klägerin entsprechend gestellte Antrag sei jedoch nicht begründet. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 1 Nr. 1 Lit. c SGB II seien erfüllt. Die Beweisaufnahme habe den Diebstahlsverdacht letztlich erhärtet.

Gegen den am 24. März 2007 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 12. März 2007 hat die Antragstellerin am 6. April 2007 Beschwerde beim Sozialgericht Magdeburg eingelegt und im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Antragsverfahren wiederholt. Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt zur Entscheidung vorgelegt.

Die Antragstellerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,

den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 12. März 2007 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr ab dem 1. Februar 2007 bis einschließlich 31. März 2007 Leistungen nach dem SGB II einschließlich der Regelleistung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmung zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Die Antragsgegnerin hält den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg und ihren Sanktionsbescheid für rechtmäßig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin, der Akte des Sozialgerichts und die Beschwerdeakte des Landessozialgerichts verwiesen.

II.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg ist zulässig. Sie ist insbesondere gemäß § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden.

Sie ist auch überwiegend begründet, denn das Sozialgericht hat eine einstweilige Anordnung im Wesentlichen zu Unrecht abgelehnt.

Gegenstand dieses Verfahrens sind allein Ansprüche der Antragstellerin, nicht jedoch solche der Tochter. Zwar heißt es in dem Verfügungssatz des Sanktionsbescheides, die der Antragstellerin und ihrer Tochter bewilligten Leistungen würden in Höhe von 100 % des Regelsatzes gekürzt. Dem Bewilligungsbescheid ist jedoch wiederum zu entnehmen, dass der Antragsgegner rechnerisch ausschließlich die Regelleistung für die Antragstellerin, nämlich um 345,00 EUR, gekürzt hat.

Das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin ist als Regelungsverfügung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG zulässig.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist hier überwiegend begründet und zwar soweit die Antragstellerin nach Aufhebung der Sanktionsentscheidung Leistungen für die Zeit vom 9. Februar 2007 bis 31. März 2007 beanspruchen kann. Keinen Erfolg hatten die Beschwerde und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, soweit die Aufhebung auch für die Zeit vor Eingang des einstweiligen Rechtsschutzantrages begehrt wird, denn für den Zuspruch von Geldleistungen für vergangene Zeiträume besteht in der Regel kein Anordnungsgrund.

Im vorliegenden Verfahren begehrt die Antragstellerin in der Sache die Aufhebung einer Sanktionsentscheidung mit dem Ziel, höhere Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu erhalten. Einstweiliger Rechtsschutz nach Maßgabe des § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG scheidet für dieses Begehren im konkreten Fall aus. Weil Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Sanktionsbescheide nach dem SGB II gemäß § 39 SGB II keine aufschiebende Wirkung haben (vgl. Pilz in Gagel SGB III, § 39 SGB II, Rn. 6), kann zwar regelmäßig im Anfechtungsfall nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG die Anordnung der aufschiebenden Wirkung beantragt werden. Hier hat die Antragstellerin aber keinen Widerspruch gegen den Sanktionsbescheid eingelegt, so dass dieser gemäß § 77 SGG für die Beteiligten in der Sache bindend geworden ist.

Statthafte Antragsart für das Begehren der Antragstellerin ist deshalb der Antrag gemäß § 86b Abs. 2 SGG. Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Hier kommt allein eine Regelungsanordnung in Betracht. Die Anordnung kann erlassen werden, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund), an dessen Vorliegen wegen § 77 SGG hohe Anforderungen zu stellen sind. Anordnungsanspruch kann hier nur der ursprüngliche Leistungsanspruch sein, denn die Aufhebung eines Verwaltungsaktes durch einstweilige Anordnung ist trotz § 938 Abs. 1 Zivilprozessordnung wegen der gestaltenden Wirkung einer Aufhebungsentscheidung und der damit verbundenen Vorwegnahme der Hauptsache ausgeschlossen. Die Voraussetzungen des § 44 SGB X sind dann als Vorfragen zu berücksichtigen, wobei summarisch zu prüfen ist, ob überwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass mit einer Aufhebung des Sanktionsbescheides zu rechnen ist.

Der Senat stimmt der Auffassung LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 6. Sep-tember 2007 - L 7 AS 472/07 ER - in juris, Rn. 18) zu, wonach in Fällen, in denen ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X gestellt worden ist, besonders strenge Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes zu stellen sind. Soll ein bestandskräftig gewordener Bescheid in einem Verfahren nach § 44 SGB X zurückgenommen werden, ist es dem Antragsteller im Regelfall zuzumuten, die Entscheidung im Verwaltungs- und gegebenenfalls in einem anschließenden gerichtlichen Hauptsacheverfahren abzuwarten. Auch unter diesen strengen Voraussetzungen ist hier ein Anordnungsgrund gegeben. Der Senat ist der Auffassung, dass es im vorliegenden Fall geboten ist, wegen des massiven Eingriffs durch die Sanktionsentscheidung in die soziale und wirtschaftliche Existenz der Antragstellerin, die sich bei bei lebensnaher Betrachtungsweise in erheblicher Weise mittelbar auch auf die Lebensverhältnisse ihrer Tochter auswirkt, einen ausreichenden Grund für den Erlass einer einstweilige Anordnung für die Zeit ab Antragseingang anzunehmen. Ohnehin dienen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens. Dies sicherzustellen ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, die aus dem Gebot zum Schutze der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (vgl. BverfG, 1. Senat, 3. Kammer, stattgebender Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 – in juris, Rn. 28). Diese Pflicht besteht unabhängig von den Gründen der Hilfebedürftigkeit. Hier kommt noch hinzu, dass der Senat bei der Beurteilung der Notwendigkeit einer einstweiligen Anordnung auch Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) zu beachten hat, dessen Schutzbreich durch die Betroffenheit der Tochter berührt ist. Dieser reicht für den Bereich Familie von der Familiengründung bis in alle Bereiche des familiären Zusammenlebens (vgl. BverfG, Beschluss vom 18. April 1989 - 2 BvR 1169/84 - in juris, Rn. 32). Außerdem können Verzögerungen im gerichtlichen Verfahrensablauf nicht zu Lasten der Betroffenen gehen.

Auch ein Anordungsanspruch ist gegeben. Der Senat ist zu der Überzeugung gelangt, dass die Antragstellerin mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf Rücknahme des Sanktionsbescheides vom 18. Dezember 2006 hat. Nach dessen Aufhebung hätte die Antragstellerin einen nicht gemäß § 31 Abs. 5 S. 1 SGB II beschränkten Leistungsanspruch. Der Anspruch auf Regelleistungen im Sinne des § 20 SGB II ergibt sich aus § 19 S. 1 SGB II. Danach erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung.

Die Antragstellerin ist im hier maßgeblichen Leistungszeitraum hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II gewesen. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit und/oder nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Die Antragstellerin übte im hier fraglichen Sanktionszeitraum lediglich eine Nebenbeschäftigung bei ihrer Mutter aus, für die sie monatlich 100,00 EUR erhielt. Daneben bezog sie für sich und ihre Tochter jeweils 154,00 EUR Kindergeld. Außerdem hatte ihre Tochter einen Anspruch auf Unterhaltsvorschuss nach dem Unterhaltsvorschussgesetz i. H. v. 111,00 EUR monatlich. Diese Mittel reichten nicht aus, um die Regelbedarfe der Antragstellerin und ihrer Tochter, den Alleinerziehungsmehrbedarf und die Kosten für Unterkunft und Heizung zu decken. Die Antragstellerin ist somit hilfebedürftig gewesen.

Dem Leistungsanspruch nach § 19 SGB II steht der Sanktionsbescheid als Leistungshindernis im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht entgegen, denn die Antragstellerin kann nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X die Aufhebung des Sanktionsbescheides verlangen. Die Vorschrift betrifft nicht nur die Rücknahme eines unanfechtbar gewordenen rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes, der die Erbringung von Sozialleistungen oder die Erhebung von Beiträgen betrifft, sondern ist auch dann anzuwenden, wenn durch den aufzuhebenden Verwaltungsakt ein Leistungen bewilligender Verwaltungsakt zurückgenommen, die Leistung eingestellt und/oder die überzahlte Leistung zurückgefordert worden ist (hM, vgl. von Wulffen/Wiesner, SGB X, 5. Aufl., § 44 Rn. 3 mwN). Von der Vorschrift werden also auch Verwaltungsakte erfasst, durch die gemäß § 31 Abs. 6 SGB II Absenkung und Wegfall des Arbeitslosengeldes II und des befristeten Zuschlages festgestellt werden.

Der Senat hat keine Bedenken gegen die Anwendung des § 44 SGB X auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Die Anwendbarkeit des § 44 SGB X folgt unmittelbar aus § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II und aus dem Verweis auf § 330 Abs. 1 SGB III in § 40 S. 2 Nr. 1 (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 9. Februar 2006 - L 7 AS 384/05 ER; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Juni 2006 - L 13 AS 2297/06 ER-B; KassKom/Steinwedel, § 44 SGB X, Rn. 4; Eicher/Spellbrink, SGB II, § 40 Rn. 4; Conradis in LPK-SGB II, 2. Aufl., § 40, Rn. 4; Pilz in Gagel, SGB III, § 40 SGB II, Rn. 4).

Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 S. 1 SGB X). Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen (§ 44 Abs. 2 S. SGB X).

Der Antragsgegner hat bei Erlass des Sanktionsbescheides vom 18. Dezember 2006 die Vorschriften des § 31 Abs. 5 S. 1 SGB II unrichtig angewandt. Bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die das 15. Lebensjahr, jedoch noch nicht – wie die Antragstellerin - das 25. Lebensjahr vollendet haben, wird das Arbeitslosengeld II gemäß § 31 Abs. 5 S. 1 SGB II unter den in den Absätzen 1 und 4 genannten Voraussetzungen auf die Leistungen nach § 22 SGB II beschränkt, wobei die nach § 22 Abs. 1 SGB II angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden sollen.

Der Wegfall von Leistungen gemäß § 31 Abs. 5 S. 1 SGB II ist festzustellen, wenn sich der noch nicht 25-jährige erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert (Abs. 1 S. 1 Nr. 1), eine ihm angebotene Eingliederungsvereinbarung abzuschließen (Lit. a), in der Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen (Lit. b), eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit, ein zumutbares Angebot nach § 15a SGB II oder eine sonstige in der Eingliederungsvereinbarung vereinbar-te Maßnahme aufzunehmen oder fortzuführen (Lit. c), oder zumutbare Arbeit nach § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II auszuführen (Lit. d), oder wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit abgebrochen oder Anlass für den Abbruch gegeben hat (Nr. 2), jeweils ohne hierfür einen wichtigen Grund zu haben (§ 31 Abs. 1 S. 2 SGB II). Arbeitslosengeld II wird u.a. auch abgesenkt, wenn bei einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, dessen Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit den Eintritt einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches Sozialgesetzbuch festgestellt hat (§ 31 Abs. 4 Nr. 3 Lit. a SGB II) oder der die in dem Dritten Buch genannten Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit erfüllt, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen (§ 31 Abs. 4 Nr. 3 Lit. b SGB II).

Die Voraussetzungen für die Feststellung des Wegfalls von Leistungen nach § 31 Abs. 5 S. 1 SGB II haben bei Erlass des Sanktionsbescheides vom 18. Dezember 2006 nicht vorgelegen. Die Antragstellerin erfüllt keinen der hier in Betracht kommenden Sanktionstatbestände nach § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Lit. b und c, Abs. 4 Nr. 3 Lit. b SGB II.

Grundsätzliche Bedenken gegen die Anwendbarkeit des § 31 SGB II im konkreten Fall bestehen nicht. Der Senat hat keinen Zweifel am Bestehen der Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II. Sie ist nicht nur vor und nach, sondern auch während der Dauer des Ausbildungsverhältnisses gemäß § 9 Abs. 1 SGB II hilfebedürftig gewesen. Nach dem Ausbildungsvertrag hatte sie zwar im ersten Ausbildungsjahr Anspruch auf Ausbildungsvergütung in Höhe von 282,00 EUR monatlich, die jedoch schon nicht ausgereicht hat, um ihren Regelbedarf nach § 20 Abs. 2a SGB II und den ihrer Tochter nach § 28 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II zu decken. Im Falle der Antragstellerin steht ihrem Status als Hilfebedürftiger nicht entgegen, dass Auszubildende, deren Ausbildung nach den §§ 60 bis 62 SGB III dem Grunde nach förderfähig sind, gemäß § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts haben. Die Ausbildung der Antragstellerin zur Verkäuferin war zwar gemäß § 60 SGB III dem Grunde nach förderfähig, weil Verkäufer/Verkäuferin ein nach § 4 Berufsbildungsgesetz in Verbindung mit § 1 Einzelhandelskaufmann-AusbVO ein staatlich anerkannter Ausbildungsberuf ist. Dadurch war aber die Hilfebedürftigkeit nicht ausgeschlossen. § 7 Abs. 5 SGB II regelt vielmehr einen Leistungsausschluss trotz bestehender Hilfebedürftigkeit.

Es liegt aber kein "Weigern" im Sinne von § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II vor. Der Begriff des Weigerns ist mangels gegenteiliger Anhaltspunkte im Normtext oder aus dem sys-tematischen Zusammenhang im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs zu verstehen. Er beschreibt die Ablehnung, etwas Bestimmtes zu tun, drückt also die willentliche Vollendung eines Geschehensablaufes aus und ist somit vom fahrlässigen Verhalten zu unterscheiden (vgl. auch Rixen in Eicher/Spellbrink, SGB II, 1. Aufl., § 31 Rn. 8). Für ein insoweit enges Verständnis des Begriffes des "Weigerns" sprechen auch die Materialien des Gesetzgebungsverfahrens zum Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ("Hartz IV"). Nach der allgemeinen Begründung des Gesetzentwurfes (vgl. BT-Dr. 15/1516, S. 46) sind Eingliederungsleistungen vorrangig zu erbringen; jedem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ist ein Fallmanager als persönlichen Ansprechpartner zu benennen. § 31 SGB II dient nach der Einzelbegründung (vgl. BT-Dr. 15/1516, S. 60) der Konkretisierung des in § 2 SGB II verankerten Grundsatzes des Forderns. Laut Beschlussempfehlung des 9. Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (vgl. BT-Dr. 15/1728, S. 15) soll nach dem Willen des Deutschen Bundestages der Grundsatz des Förderns in einem mindestens gleichgewichtigen Verhältnis zum Grundsatz des Forderns stehen. Im Falle von Differenzen bei Abschluss und Einhalten der Eingliederungsvereinbarung sollen die Interessen des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen durch geeignete Maßnahmen, wie z. B. durch die Hinzuziehung eines zweiten Fallmanagers gewahrt werden. Im Bericht des 9. Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (vgl. BT-Dr. 15/1749, S. 32) wird in der Einzelbegründung zur geänderten Fassung des § 15 SGB II herausgehoben, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige beim Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung gegenüber der Agentur für Arbeit eine gleichberechtigte Position einnimmt. Fuchsloch (in Gagel, SGB III, § 15 SGB II, Rn. 17) zieht aus den Materialien den Schluss, die Arbeitsmarkteingliederung erwerbsfähiger Hilfebedürftiger solle keine staatliche Aufgabe sein, die in einem Über-Unterordnungsverkältnis durchzusetzen sei. Der Senat sieht in den Materialien die Vorstellungen des Gesetzgebers dokumentiert, dass im Falle von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die in einem Betreuungs- und Leistungsverhältnis zum SGB II-Leistungsträger stehen, die Eingliederung mittels Vereinbarung kooperativ erreicht werden soll. Auf Sanktionen soll nur als letztes und zugleich erzieherisch wirkendes Mittel zurückgegriffen werden. Der Senat hält es deshalb auch für sachlich gerechtfertigt, dass die Sanktionstatbestände nach § 31 Abs. 1 SGB II erst bei vorsätzlichen Verstößen gegen die Pflichten aus dem durch die Eingliederungsvereinbarung ausgestalteten Sozialrechtsverhältnis verhängen zu können, nicht aber, wenn ein nur fahrlässiges Verhalten vorliegt.

Dabei braucht die tatbestandlich notwendige Weigerung nicht ausdrücklich erklärt worden zu sein. Der Hilfebedürftige muss aber durch sein Verhalten unmissverständlich zum Ausdruck gebracht haben, er wolle künftig nicht tun, wozu er gegenüber dem SGB II-Leistungsträger verpflichtet ist.

Ein solches Verhalten der Antragsgegnerin ist hier nicht ersichtlich. Denn selbst wenn sie den ihr zur Last gelegten Diebstahl tatsächlich begangen haben sollte, kann darin nicht die konkludente Erklärung gesehen werden, die Ausbildung nicht fortsetzen zu wollen. Gleiches gilt für eine verweigerte Mitwirkung an der Aufklärung des Vorfalls. Bei lebensnaher Betrachtung liegt vielmehr der Schluss nahe, dass die Antragstellerin auch bei unterstelltem Fehlverhalten gerade darauf vertraute, dieses werde unerkannt bzw. folgenlos bleiben. Deshalb scheidet sowohl ein "weigern‘" nach § 31 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Lit. b SGB II im Hinblick auf die Erfüllung einer im EV festgelegten Pflicht als auch im Sinne der Nr. 1 Lit. c im Hinblick auf die Fortführung einer vereinbarten Maßnahme aus. Ein Verstoß gegen eine sich aus der EV ergebenden Pflicht scheidet schon deshalb aus, weil in dieser mit der allgemeinen Formulierung, das Ausbildungsverhältnis zu absolvieren, eine Handlungspflicht nicht ausreichend konkret begründet worden ist.

Der Senat kann es in diesem Zusammenhang deshalb offenlassen, ob im konkreten Fall überhaupt eine wirksame Festlegung von Pflichten in einem wirksamen Eingliederungsvertrag erfolgt ist.

Der Tatbestand des § 31 Absatz 4 Nr. 3 Lit. a SGB II ist hier offensichtlich nicht erfüllt. Danach wird bei einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlages nach § 24 SGB II abgesenkt, wenn sein aus §§ 117 ff. SGB III folgender Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit den Eintritt einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des SGB III festgestellt hat. Ein Sperrzeitbescheid der zuständigen Agentur für Arbeit ist den Akten nicht zu entnehmen.

Die Antragstellerin erfüllt auch nicht die Voraussetzungen für die Absenkung der Leistungen nach Maßgabe des § 31 Abs. 4 Nr. 3 Lit. b SGB II. Zu einer Leistungsabsenkung kommt es nach dieser Vorschrift, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige die Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit nach dem SGB III erfüllt hat, nicht jedoch die Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld. Wegen der Kündigung des Ausbildungsverhältnisses durch die AWZ kommt hier allein die Prüfung einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe nach näherer Maßgabe des § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 (2. Alt.) SGB III in Betracht. Eine Sperrzeit tritt danach ein, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und er dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Die Sperrzeitfolge ist in § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III an die Verursachung der Arbeitslosigkeit durch den Arbeitslosen geknüpft, weshalb er die Arbeitslosigkeit aktiv durch die Lösung des Arbeitsverhältnisses (1. Alt.) oder dadurch, dass er dem Arbeitgeber Anlass für die Kündigung des Arbeitgeberverhältnisses gegeben hat (2. Alt.), herbeigeführt haben muss. Der Arbeitnehmer verletzt insofern seine Obliegenheiten aus dem Sozalversicherungspflichtverhältnis, als er dem Arbeitgeber durch Gründe, die in seinem Verhalten liegen, Anlass für eine Kündigung gegeben hat. Die Gründe müssen nach bisher allgemeiner Ansicht so beschaffen sein, dass sie als vorwerfbares vertragswidriges Verhalten einzustufen sind und der Arbeitgeber deswegen berechtigterweise das Arbeitsverhältnis gekündigt hat (vgl. Gagel/Winkler, Stand: Juni 2006, § 144 SGB III, Rn. 63 f.; Niesel, SGB III, 3. Aufl., § 144, Rn. 39; ErfK/Rolfs, 8. Aufl., § 144 SGB III, Rn. 13; APS/Steinmeyer, 3. Aufl., Sozialrecht und Steuerrecht, Rn. 465). Falls der Vorwurf des Diebsstahls inhaltlich zutreffend wäre, hätte die Antragstellerin einen sperrzeitrelevanten Anlass zur Kündigung gegeben.

Nach Auffassung des Senats beschränkt sich jedoch der Anwendungsbereich des § 31 Abs. 4 Nr. 3 Lit. b SGB II auf pflichtwidrige Handlungen, die der erwerbsfähige Hilfebedürftige vor Eintritt in den Leistungs- und Betreuungszusammenhang nach dem SGB II begangen hat. Im Falle vorsätzlichen und fahrlässigen Verhaltens, als Anlass für eine Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses durch den Arbeitgeber, könnte eine Leistungsabsenkung nach § 31 Abs. 4 Nr. 3 SGB II erfolgen, während unter den Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II nur bei vorsätzlichen Pflichtverletzungen und nur nach Rechtsfolgenbelehrung Leistungsabsenkungen festgestellt werden können. Eine Abgrenzung der Anwendungsbereiche von § 31 Abs. 1 SGB II und § 31 Abs. 4 Nr. 3 Lit. b SGB II ist deshalb geboten. Abs. 1 und Abs. 4 Nr. 3 haben unterschiedliche Zielrichtungen. Sanktionen nach Abs. 1 sind ein letztes erzieherisches Mittel, um aktives Eingliederungsbemühen des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zu erzwingen (s.o.). Abs. 4 Nr. 3 Lit. a betrifft Arbeitslose deren Anspruch auf Arbeitslosengeld wegen versicherungswidrigen Verhaltens nach Maßgabe des § 144 SGB III ruht, die aber ansonsten die Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld II erfüllen würden. Hier hat der Gesetzgeber entschieden, dass die Folgen versicherungswidrigen Verhal-tens nicht oder nicht vollständig durch den Bezug von Arbeitslosengeld II kompensiert werden sollen. Die Regelung in Nr. 3 Lit. b ist notwendig, weil anderenfalls erwerbsfähige Hilfebedürftige mit Anspruch auf Arbeitslosengeld gegenüber erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ohne Anspruch auf Arbeitslosengeld bei gleichem Fehlverhalten bezüglich ihres Anspruchs auf Arbeitslosengeld II schlechter gestellt würden. Falls allerdings beide Gruppen von Hilfebedürftigen bei Begehung der Pflichtwidrigkeit bereits im Betreuungs- und Leistungszusammenhang nach dem SGB II standen, kann es nur unter den Voraussetzungen des Abs. 1 zu Sanktionen bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts kommen. Eine andere Auffassung hätte die nach Ansicht des Senats von Gesetzgebern nicht gewollte Konsequenz, dass dem § 31 Abs. 4 Nr. 3 Lit. b SGB II im Verhältnis zu Abs. 1 S. 1 der Norm die Funktion eines Auffangtatbestandes zukäme und zudem für Abs. 1 S. 1 kaum noch ein eigenständiger Anwendungsbereich verbliebe.

Die Antragstellerin stand während des Ausbildungsverhältnisses mit der AWZ aufgrund der EV und der darlehensweise gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts tatsächlich in einem Betreuungs- und Leistungsverhältnis zum Antragsgegner. § 31 Abs. 4 Nr. 3 SGB II findet somit im vorliegenden keine Anwendung.

Nach alledem ist dem Antrag auf eine einstweilige Anordnung ab Eingang bei dem Sozialgericht Magdeburg am 9. Februar 2007 zu entsprechen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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