L 1 RA 6/00

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 4 RA 305/99
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 RA 6/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird auf ihr Teilanerkenntnis aus der mündlichen Verhandlung vom 22. Mai 2003 verurteilt, dem Kläger unter Berücksichtigung der Zeiten vom 17. März 1956 bis zum 7. Oktober 1957, vom 31. Dezember 1957 bis zum 1. Oktober 1958 und vom 1. Dezember 1958 bis zum 28. Februar 1959 einen höheren Übergangszuschlag zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Rentenberechnung des Klägers Zeiten zwischen 1954 und 1959, für die der Kläger seine Mitgliedschaft in einer LPG behauptet, als Beitragszeiten zu berücksichtigen sind.

Dem 1940 geborenen Kläger stellte die Verwaltung der Sozialversicherung am 23. Oktober 1957 den Versicherungs-Ausweis Nr. 1 aus. In diesen Ausweis trug der VEB Zuckerfabrik Hessen Versicherungsverhältnisse für den Zeitraum vom 8. Oktober 1957 bis 30. Dezember 1957 und vom 2. Oktober 1958 bis zum 30. Oktober 1958 für eine Tätigkeit als Kampagnearbeiter ein. Die nächste Eintragung der Deutschen Reichsbahn über ein Versicherungsverhältnis aus der Tätigkeit als Rangierarbeiter bezieht sich auf einen Beginn am 18. März 1959. Heilbehandlungen sind für den 25. Oktober 1957 – mit nachfolgender Arbeitsunfähigkeit bis zum 28. Oktober 1957 - für den 17. Oktober 1958 und danach erstmals wieder für den 20. Juli 1959 eingetragen.

Der Kläger beantragte mit Eingangsdatum bei der Beklagten vom 28. August 1995 eine Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit und teilte auf einem Vordruck der Beklagten mit, er sei vom 1. September 1954 bis zum 7. Oktober 1957, vom 31. Dezember 1957 bis zum 1. Oktober 1958 und vom 1. Dezember 1958 bis zum 17. März 1959 bei der LPG "Vorwärts" F. beschäftigt gewesen. Er bezog sich auf eine eidesstattliche Erklärung der Frau C. S. vom 2. Oktober 1995, wonach er in der Zeit vom 1. September 1954 bis zum 17. März 1959 in der LPG tätig gewesen sei. In dieser Zeit habe er, wie aus dem SV-Buch ersichtlich sei, als Kampagnearbeiter in der Zuckerfabrik H. gearbeitet. Der Kläger selbst teilte ergänzend noch mit, er habe für die Tätigkeit bei der LPG Naturalien erhalten und könne die Entgelthöhe nicht nachvollziehen. Zur Sozialversicherung der DDR seien Beiträge entrichtet worden. Auf Anfrage der Beklagten erklärte der Bürgermeister der Gemeinde F. unter dem 6. März 1996, zur Klärung des Versicherungsverhältnisses des Klägers könne die Gemeindeverwaltung keine Angaben machen.

Mit Bescheid vom 24. April 1996 stellte die Beklagte den Anspruch des Klägers auf eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit fest und ließ die genannten Zeiten dabei unberücksichtigt. Gegen den Bescheid legte der Kläger mit Eingangsdatum vom 22. Mai 1996 Widerspruch ein. Er fügte eine neue Niederschrift über die Erklärung der Frau S. bei, in der sie mitteilte, sie kenne den Kläger seit 1952. Er sei damals ihr Nachbar gewesen, und sie habe die Familienverhältnisse sehr gut gekannt.

Ein von der Beklagten übersandter Ankreuzvordruck zur Widerspruchsrücknahme ging bei ihr am 20. Januar 1997 mit der Unterschrift des Klägers und einem Begleitschreiben wieder ein, in dem der Kläger ausführte, er sende "das Formular zum Widerspruch" zurück und bitte in diesem Zusammenhang erneut "die auf Seite 3 des Rentenbescheides vom 24. 4. 96 aufgeführten Beschäftigungs- und Versicherungszeiten ebenfalls zu berücksichtigen". Dabei handelte es sich um die vom Kläger bereits mit seinem Widerspruch geltend gemachten Zeiten.

Mit Bescheid vom 11. August 1997 erließ die Beklagte einen weiteren Rentenbescheid unter Berücksichtigung zusätzlicher Zeiten. Dagegen legte der Kläger mit Eingangsdatum bei der Beklagten vom 9. September 1997 erneut Widerspruch ein und machte wiederum die hier strittigen Zeiten geltend.

Die Beklagte zog Auszüge aus der Personalakte des Klägers bei der Deutschen Reichsbahn bei, die über den Werdegang seit Schulentlassung als erste Angabe enthält, er habe vom 8. Oktober 1957 bis zum 17. März 1959 beim VEB Zuckerfabrik H. gearbeitet. Im Personalbogen aus dem Jahr 1982 findet sich hingegen die Angabe einer Tätigkeit als Arbeiter bei der LPG von 1954 bis 1959.

Mit Widerspruchsbescheid vom 9. April 1999 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch vom 3. September 1997 (Datum des Widerspruchsschreibens) zurück. Er führte aus, die Beitragszahlung sei nicht im Sinne von § 286b Abs. 1 SGB VI mindestens glaubhaft gemacht. Eintragungen der LPG im SV-Ausweis des Klägers lägen nicht vor, obwohl die Pflicht dazu auch beim Bezug von Naturalien bestanden hätte.

Mit der am 20. Mai 1999 beim Sozialgericht Halle eingegangenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Ergänzend hat er ausgeführt, seine Eltern hätten im Jahre 1953 drei Hektar in die LPG eingebracht, nicht jedoch ihre Viehwirtschaft. In dem verbliebenen Teil der Landwirtschaft der Eltern habe er nicht gearbeitet. Seine Arbeit in der LPG sei nach Einheiten bewertet worden, die etwa mit 10,- M zu bewerten gewesen seien. Durchschnittlich habe er jährlich 300 Einheiten erzielt. Selbst habe er keine Beiträge zur Sozialversicherung abgeführt.

Mit Urteil vom 3. Dezember 1999 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, eine Beitragsentrichtung sei nicht zumindest im Sinne von § 286b SGB VI glaubhaft gemacht. Für seine Tätigkeit als LPG-Mitglied sei er zur fraglichen Zeit nicht versicherungspflichtig gewesen. Nach der Rundverfügung Nr. 16/53 vom 26. Januar 1953 seien Personen, die bis zu ihrem Eintritt in eine LPG versicherungsfrei gewesen seien, versicherungsfrei geblieben. Dies gelte auch gemäß § 1 Abs. 2 der Verordnung über die Sozialpflichtversicherung für Mitglieder landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften vom 20. Januar 1955. Beide Regelungen knüpften an die Anordnung über die Sozialpflichtversicherung in der Landwirtschaft vom 25. Mai 1949 an, wonach mitarbeitende Familienangehörige bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres in bäuerlichen Betrieben mit einer Bodenfläche bis zu 20 Hektar versicherungsfrei gewesen seien. Nach der angegebenen Größe des Hofes der Eltern sei der Kläger vor dem Beitritt seiner Eltern zur LPG nicht versicherungspflichtig gewesen. Schließlich sprächen die Eintragungen im SV-Ausweis gegen die Beitragsentrichtung.

Gegen das ihm am 11. Dezember 1999 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Eingangsdatum beim Sozialgericht vom 5. Januar 2000 Berufung eingelegt.

Die Beklagte hat die Ermittlung der Vergleichsrente nach Art. 2 RÜG überprüft. Anfragen bei verschiedenen Krankenkassen haben wegen fehlender Unterlagen zu keinem Ergebnis geführt. Der Bürgermeister der Gemeinde F. hat mit Schreiben vom 10. Oktober 2000 die Beschäftigung des Klägers bei der LPG bestätigt und sich bei einer telefonischen Rückfrage der Beklagten auf die Angaben von Rentnern bezogen, die noch mit dem Kläger zusammen gearbeitet haben. Das Finanzamt W. hat mit Schreiben vom 14. Dezember 2000 ebenfalls mitgeteilt, über keine Unterlagen zu verfügen.

Mit Bescheid vom 17. Januar 2001 hat daraufhin die Beklagte die Aufhebung der vor-angegangenen Bescheide bezüglich der Ermittlung der Vergleichsrente abgelehnt.

Der Kläger hat auf Anfrage des Gerichts weitere Zeugen zu seiner Mitgliedschaft in der LPG benannt.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 3. Dezember 1999 aufzuheben und die Bescheide der Beklagten vom 24. April 1996 und vom 11. August 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. April 1999 abzuändern sowie den Bescheid vom 17. Januar 2001 aufzuheben und

die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Berücksichtigung der Zeiten vom 1. September 1954 bis zum 7. Oktober 1957, vom 31. Dezember 1957 bis zum 1. Oktober 1958 und vom 1. Dezember 1958 bis zum 17. März 1959 eine entsprechend höhere Leistung aus Rente und Übergangszuschlag zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat in der mündlichen Verhandlung den Anspruch des Klägers auf einen Übergangszuschlag unter Berücksichtigung der geltend gemachten Zeiten zwischen dem 17. März 1956 und 28. Februar 1959 anerkannt und hält im Übrigen an ihrer Auffassung fest.

Die Akte der Beklagten – Vers.-Nr. – hat in der mündlichen Verhandlung und bei der Beratung vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte war gem. § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 307 Abs. 1 der Zivilprozessordnung im Umfang ihres Anerkenntnisses zu verurteilen.

Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 S. 2 SGG statthafte Berufung hat im Übrigen keinen Erfolg.

Die Bescheide der Beklagten vom 24. April 1996 und 11. August 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. April 1999 beschweren den Kläger nicht im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 S. 1 SGG, soweit sie der Feststellung einer höheren Rente aus Pflichtbeitragszeiten in den geltend gemachten Zeiträumen entgegenstehen.

Gegenstand der Prüfung durch den Senat ist auch der Bescheid der Beklagten vom 24. April 1996. Der Kläger hat entgegen der Auffassung der Beklagten den dagegen gerichteten Widerspruch nicht mit der Folge einer Bindung an diesen Bescheid nach § 77 SGG zurückgenommen. Denn in seiner eindeutigen Erklärung, die Anerkennung der strittigen Zeiten gegen diesen Bescheid auch weiterhin zu verfolgen, liegt eine Fortführung des Widerspruchs, der gegenüber die gleichzeitige formelle Widerspruchsrücknahme als objektiv erkennbar nicht wirklich gewollt keine Wirksamkeit erlangt hat. Dieser Widerspruch ist auch Gegenstand des durchgeführten Vorverfahrens, weil der Widerspruchsausschuss der Beklagten über dessen Gegenstand sachlich entschieden hat.

Der geltend gemachte Anspruch des Klägers auf einen höheren Monatsbetrag der Rente besteht nicht. Denn gem. §§ 254b Abs. 1; 254d Abs. 1 Nr. 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) in der Fassung durch Gesetz vom 25.7.91 (BGBl. I S. 1606) rentenerhöhende Zeiten nach § 248 Abs. 3 SGB VI sind für die geltend gemachten Zeiträume nicht zu berücksichtigen. Zeiten, in denen für den Kläger Beiträge zur Sozialversicherung der DDR als einem System der gesetzlichen Rentenversicherung im Sinne dieser Vorschrift gezahlt worden wären, sind nicht einmal im Sinne von § 286b S. 1 SGB VI glaubhaft. Denn eine Beitragszahlung für die geltend gemachten Zeiträume ist nicht im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 2 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) überwiegend wahrscheinlich.

Anders, als der Kläger nach seinem Vorbringen meint, kommt es insoweit nicht nur darauf an, ob er in dieser Zeit als Mitglied einer LPG gearbeitet hat, sondern auf die Entrichtung von Pflichtbeiträgen für diese Zeit. Der eidesstattlichen Erklärung der Frau S. kommt dabei keine Bedeutung zu, weil sie eine Entrichtung von Beiträgen nicht bekundet hat und nach den geschilderten Verhältnissen auch nicht bekunden kann. Weitere benannte Zeugen hat der Kläger nicht zum Beweis des Umstandes einer Beitragsabführung benannt.

Gegen eine Beitragsentrichtung spricht der Sozialversicherungsausweis Nr. 1 des Klägers. Denn dieser ist erst mehr als drei Jahre nach dem vorgetragenen Beginn der Tätigkeit des Klägers bei der LPG anlässlich seiner erstmaligen Tätigkeit als Kampagnearbeiter ausgestellt worden. Dies – wie auch das Fehlen von Eintragungen für den gesamten Zeitraum der Tätigkeit für die LPG – spricht gegen ein bloßes Vergessen von Eintragungen trotz erfolgter Beitragsentrichtung, weil anderenfalls dem Kläger nach den "Richtlinien für die Ausgabe der Versicherungsausweise" aus dem Jahre 1952 (veröffentlicht als Anhang 15 in Weser, Versicherungs- und Beitragsrecht der Sozialversicherung in der DDR, herausgegeben von der Beklagten 1979) schon bei Beginn der Tätigkeit ein Ausweis auszustellen gewesen wäre. Auch die Eintragungen im Abschnitt "Heilbehandlung" sprechen gegen ein beitragspflichtiges Beschäftigungsverhältnis, weil nur außerhalb der geltend gemachten Zeiten in der LPG Heilbehandlungen und Arbeitsunfähigkeitszeiten eingetragen sind.

Unbegründet ist die Berufung auch, soweit sie – über das Anerkenntnis der Beklagten hinausgehend – auf einen höher oder länger zu gewährenden Übergangszuschlag gerichtet ist. Insoweit bleibt auch die Klage gegen den Bescheid vom 17. Januar 2001 erfolglos, den das Gericht gem. §§ 153 Abs. 1; 96 Abs. 1 SGG in seine Prüfung einzubeziehen hatte.

Der Kläger hat über die durch Einbeziehung der von der Beklagten anerkannten Zeiten zu erreichende Höhe hinaus keinen Anspruch auf einen Übergangszuschlag gem. § 319b S. 2 SGB VI, weil die dazu geltend gemachten weiteren Zeiten im Sinne von § 19 des Übergangsrechts nach den Vorschriften des Beitrittsgebiets (Art. 2 RÜG) nicht festzustellen sind. Beitragslose Zeiten als Mitglied der LPG nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 Art. 2 RÜG können nach dieser Vorschrift nur bis zum 28. Februar 1959 Zeiten einer versicherungspflichtigen Tätigkeit begründen. Die Zeit bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres kann nach dieser Vorschrift nicht anerkannt werden, weil die Voraussetzung, wonach der Kläger nicht pflichtversichert gewesen sein darf, nicht zur Überzeugung des Senats feststeht. Dagegen spricht jedenfalls sein eigenes Vorbringen, für ihn seien Beiträge entrichtet worden. Die Vorgabe von Kapitel IV Abschnitt 8 Abs. 1 S. 1 des Musterstatuts der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft Typ I vom 19. Dezember 1952 (GBl. S. 1375), zum Erwerb der Mitgliedschaft das 16. Lebensjahr vollendet zu haben, erfüllte der Kläger vorher zudem nicht.

Ebenso gut – aber ebenso wenig feststehend - kann der Kläger im Sinne von § 19 Abs. 1 Art. 2 RÜG in den nicht vom Anerkenntnis umfassten Zeiträumen pflichtversichert gewesen und fehlerhaft behandelt worden sein. Um eine Pflichtversicherung auch nur im Ansatz zu belegen, müsste eine Mitgliedschaft des Klägers in der LPG ausgeschlossen werden. Denn bereits das Sozialgericht hat zutreffend ausgeführt, bei einer solchen Mitgliedschaft läge im fraglichen Zeitraum Versicherungsfreiheit näher. Der Kläger selbst behauptet aber unter Beweisantritt, Mitglied der LPG gewesen zu sein.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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