Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 4 RA 124/98
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 RA 57/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf eine Invalidenrente nach dem Übergangsrecht für Renten nach den Vorschriften des Beitrittsgebiets.
Der im Mai 1974 geborene Kläger besuchte seit dem Schuljahr 1981/82 eine polytechnische Oberschule. Der Schulbesuch erfolgte insgesamt unregelmäßig; bereits im ersten Schuljahr fehlte der Kläger 83 Schultage mit der Entschuldigung durch seine erziehungsberechtigte Mutter. Im Schuljahr 1988/89, in dem er 140 Tage überwiegend unentschuldigt fehlte, erreichte der Kläger das Ziel der 8. Klasse nicht. Im Schuljahr 1989/90 erschien der Kläger nur noch zu einzelnen Unterrichtsstunden und schließlich gar nicht mehr. Nach dem Schuljahresende am 5. Juli 1990 nahm er den Schulbesuch nicht mehr auf. Zum Schuljahr 1992/93 meldete er sich in einer anderen Sekundarschule an, besuchte auch diese aber nur tageweise.
Im Rahmen von Behandlungen ab Oktober 1992 stellten Ärzte die Diagnose einer Schizophrenie.
Der Kläger beantragte am 16. Dezember 1996 bei der Beklagten eine Invalidenrente. Die Beklagte holte einen Befundbericht der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. Sch. vom 21. Mai 1997 ein, wonach stationäre Behandlungen von Oktober 1992 bis Januar 1993 und Januar 1995 bis Juni 1995 stattgefunden hatten. Die Symptome hätten sich aber nie völlig zurückgebildet. Aufmerksamkeit, Auffassung und Konzentration seien deutlich gemindert. Zeitweilig lägen Verfolgungswahn, Halluzinationen und Angst vor. Zu anberaumten Begutachtungen erschien der Kläger nicht. Von dem beauftragten Gutachter erlangte die Beklagte einen Entlassungsbericht der Universitätsklinik für Psychiatrie Halle über einen stationären Aufenthalt vom 8. Juni bis 2. Oktober 1996 und über die vorangegangenen stationären Aufenthalte. In einem weiteren Bericht vom 25. Oktober 1997 führte Dr. med. Sch. ergänzend aus, der Kläger erscheine nur gelegentlich und unzuverlässig zu festgesetzten Terminen. Eine entsprechende zeitliche Planung gelinge ihm krankheitsbedingt nicht. Seit Juli 1996 war für den Kläger eine Betreuung für die Gesundheitssorge und Aufenthaltsbestimmung eingerichtet.
Mit Bescheid vom 4. Dezember 1997 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Sie führte aus, der Kläger sei seit dem 29. Oktober 1992 invalide. Damit gehöre er nicht zu den Personen, die schon vor Eintritt des 18. Lebensjahres invalide gewesen seien. Der Bescheid wurde dem Betreuer mit der Post übersandt.
Mit Eingangsdatum vom 5. Januar 1998 legte der Kläger gegen den Bescheid Widerspruch ein. Dazu führte seine Mutter aus, er sei schon im frühesten Schulalter wegen seiner Dunkelhäutigkeit schikaniert worden und habe unter gesundheitlichen Problemen in Form von Bronchitis gelitten. Bereits Anfang 1992 habe sie massive Veränderungen bemerkt. Er sei lustlos gewesen und habe sich des öfteren in seinem Zimmer eingeschlossen. Etwa Ende März habe er erstmals über das Hören von Stimmen berichtet. Er habe nicht mehr früh aufstehen wollen und sei zu einem pünktlichen Schulbesuch nicht zu bewegen gewesen. Er sei er zur zweiten Stunde oder noch später zum Unterricht erschienen. Psychotherapeutische Hilfe habe sie für ihn mit dem Hinweis nicht bekommen, der Kläger sei alt genug, sich selbst in Behandlung zu begeben. Unterdessen sei der Kläger nach einem Angriff von Rechtsradikalen nicht mehr zur Schule gegangen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 1998 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Die Beklagte übersandte ihn über den Betreuer dem Kläger, der ihn nach seiner Mitteilung am 4. März 1998 erhielt.
Mit der am 1. April 1998 beim Sozialgericht Halle eingegangenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Das Gericht hat einen Bericht der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. A. vom sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamtes Halle vom 8. September 1998 eingeholt. Sie hat ausgeführt, die Mutter habe bereits mit 10 Jahren Konzentrationsstörungen in der Schule bemerkt. Die Leistungen hätten sich verschlechtert. Als er eine Klasse trotz Wiederholung nicht geschafft habe, habe ihn die Mutter für ein Jahr aus der Schule genommen. Mit 14 Jahren habe er erstmalig Stimmen gehört. Mit 17 Jahren seien Denkstörungen, massive akustische Halluzinationen und abnorme Leibgefühle aufgetreten. Der Kläger sei bei ihr im Oktober 1992 in der Ambulanz der Universitätsklinik in einem hochpsychotischen Zustand vorstellig geworden. Der Krankheitsbeginn liege aber nach den Angaben des Klägers und seiner Mutter schon längere Zeit vor dem Beginn der Behandlung. Der Kläger sei nie in der Lage gewesen, eine Berufstätigkeit auszuüben. Das Gericht hat sodann den Entlassungsbericht der Universitätsklinik H. vom Januar 1993 und den Aufnahmebefund beigezogen. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 51-57 d.A. Bezug genommen. Sodann hat das Gericht einen Befundbericht von Dr. med. Sch. vom 28. Februar 2000 eingeholt, wegen dessen Inhalt auf Bl. 98 d.A. verwiesen wird.
Mit Gerichtsbescheid vom 20. März 2000 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Beklagte habe den Beginn einer Invalidität im Sinne von § 7 Art. 2 RÜG mit Recht im Oktober 1992 gesehen. Dies entspreche der eigenen Angabe des Klägers im Rentenantrag und der Mitteilung von Anzeichen der Krankheit eine Woche vor der stationären Aufnahme, die aus dem Entlassungsbericht hervorgehe. Eine nervenärztliche Behandlung habe auch vorher nicht stattgefunden. Über die abweichenden Angaben von Frau Dr. A. , die sich auf den Zeitraum vor ihrem Behandlungsbeginn bezögen, lägen keine entsprechenden Beweismittel vor. Das Fernbleiben von der Schule lasse keine Schlussfolgerungen auf ein bereits vorhandenes Krankheitsbild zu.
Der Kläger habe nicht im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 4 Art. 2 RÜG die Hälfte der Zeit ab Vollendung des 16. Lebensjahres mit Zeiten des Schulbesuchs belegt. Denn selbst wenn man die Monate Mai bis Juli 1990 und August bis Oktober 1992 trotz der massiven Fehlzeiten als Schulausbildung im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 4 Art. 2 RÜG werten wolle, handele es sich nur um acht Monate mit schulischen Zeiten. Erforderlich seien aber mindestens 15 Monate. Auch nach § 10 Art. 2 RÜG bestehe kein Anspruch auf Invalidenrente, weil der Kläger danach schon vor dem 18. Lebensjahr wegen Invalidität an der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gehindert gewesen sein müsse. Für eine Invalidität vor seinem 18. Geburtstag im Mai 1992 gebe es aber keine Hinweise.
Gegen den ihm am 11. Mai 2000 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger mit Eingangsdatum vom 13. Juni 2000, dem Dienstag nach Pfingsten, Berufung eingelegt. Er ist der Auffassung, die Fehlstunden beim Schulbesuch zwischen Mai 1990 und Oktober 1992 seien krankheitsbedingt gewesen und als Schulausbildung im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 4 Art. 2 RÜG zu berücksichtigen. Die Invalidität sei auch vor Vollendung des 18. Lebensjahres eingetreten. Schon vor diesem Zeitpunkt habe er Stimmen gehört und sich nicht mehr getraut, den Schulbesuch aufzunehmen. Im Übrigen sei sein Fernbleiben von der Schule geduldet worden. Es sei niemals eine gegenteilige ordnungsrechtliche Anordnung ergangen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 20. März 2000 und den Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 1998 aufzuheben und
die Beklagte zu verurteilen, ihm von Dezember 1996 an eine Invalidenrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für zutreffend. Wegen der Ermittlungen des Gerichts wird auf die Mitteilung von Dr. med. A. vom 15. Dezember 2000, Bl. 144 d.A., den Bericht der Nervenärztin B. vom 15. Dezember 2000, Bl. 145 f. d.A., die Auskunft der Grundschule K. vom 10. Juli 2003, Bl. 175 f. d.A., die Auskunft der Grundschule K. vom 26. August 2003, Bl. 185 d.A. und die Auskunft des staatlichen Schulamtes H. vom 29. September 2003, Bl. 187 d.A. Bezug genommen.
Neben der Akte der Beklagten über den Kläger – Vers.-Nr.: ...– hat in der mündlichen Verhandlung und bei der Beratung die Ablichtung der Krankenakte der Universitätsklinik für Psychiatrie und Neurologie H. über die Behandlung dort zwischen September 1992 und Januar 1993 vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 S. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung hat keinen Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 1998 beschwert den Kläger nicht im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 S. 1 SGG, weil die Ablehnung der Gewährung einer Invalidenrente rechtmäßig ist.
Der Kläger hat gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 4 des Übergangsrechts für Renten nach den Vorschriften des Beitrittsgebiets (Art. 2 RÜG) in der Fassung durch Gesetz vom 25.7.91 (BGBl. I S. 1606) keinen Anspruch auf eine Invalidenrente, weil er nicht die Hälfte der Zeit ab Vollendung des 16. Lebensjahres bis zum Eintritt der Invalidität Zeiten einer versicherungspflichtigen Tätigkeit hat. Hierfür reicht bereits die Feststellung aus, dass der Kläger jedenfalls nicht vor Oktober 1990 invalide geworden ist, weil bereits dann die Zeit bis zum Eintritt der Invalidität nicht zur Hälfte mit Zeiten einer versicherungspflichtigen Tätigkeit belegt ist.
Die Symptome, die für die 1992/93 gestellte Diagnose einer Schizophrenie bestimmend gewesen sind, sind lediglich mehrere Monate vor Beginn der stationären Behandlung im Oktober 1992 aufgetreten. Diese Angabe hat der Kläger bei der Aufnahme in die stationäre psychiatrische Behandlung im Oktober 1992 gemacht. Sie ist von Bedeutung, weil der Kläger bei dieser Gelegenheit als frei von Bewusstseinsstörungen, voll orientiert, aufmerksam und "eigentlich auch konzentriert" geschildert wird. Die Angabe des Klägers stellt die einzige Mitteilung zu zeitlichen Bezügen von Symptomen der Schizophrenie dar, die der gesamten Krankenakte über die stationäre Behandlung von Oktober 1992 bis Januar 1993 zu entnehmen ist. Die Mitteilung in dem Entlassungsbericht vom 28. Januar 1993, er habe solche Symptome erst seit einer Woche, stellt eine nicht zwingende Schlussfolgerung aus einer kurzen handschriftlichen Anamnese dar, der solche genauen Angaben zu zeitlichen Zusammenhängen nicht zu entnehmen sind. Tatsächlich angegeben hat der Kläger lediglich nacheinander einen Angriff eines Jugendlichen auf ihn und halluzinatorische Symptome vom Wochenende vor der Untersuchung. Dass vorher solche Erscheinungen nicht aufgetreten waren, ergibt sich aus keiner Formulierung der niedergelegten Anamnese. Dies ist auch auszuschließen, weil der Kläger bereits im ersten Vorgespräch zur Einleitung der Behandlung vom 22. September 1992 diese Symptome erwähnt hat. Die Aufzeichnungen dazu finden sich ebenfalls in der Krankenakte.
Nicht nachvollziehbar sind die Angaben zum Krankheitsverlauf im Bericht von Dr. med. A. vom 8. September 1998. Eine konkrete Quelle hat sie, wie sie in ihrem Schreiben vom 15. Dezember 2000 ausdrücklich mitgeteilt hat, nicht in Erinnerung. Die Unterlagen der Universitätsklinik, auf die sie sich bezogen hat, enthalten aber entsprechende Angaben gerade nicht.
Angaben über im Oktober 1992 "mehrere Monate" vorliegende Symptome sind sprachlich mit einem Beginn noch vor Jahresanfang 1991 nicht zu vereinbaren. Insofern kommt es nicht darauf an, dass die Mutter des Klägers den Beginn auffälliger Veränderung ohnehin erst mit dem Jahresbeginn 1992 angibt.
In seiner Eigenschaft als Schüler einer allgemeinbildenden Schule hat der Kläger nicht mehr als drei Monate an Zeiten einer versicherungspflichtigen Tätigkeit im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Art. 2 RÜG zurückgelegt, nämlich Zeiten, in denen er sich im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 4 Art. 2 RÜG nach Vollendung des 16. Lebensjahres (im Mai 1990) in einer Schulausbildung befunden hat. Insoweit reicht es nicht aus, dass der Kläger die rechtliche Eigenschaft eines Schülers mit Ablauf des Schuljahres 1989/90 nicht verloren hat und seine Schulpflicht jedenfalls bis zum Ablauf des Schuljahres 1990/91 nicht erfüllt hatte.
Für Zeiten einer Schulausbildung kommt es im Mindestmaß darauf an, dass das tatsächliche Geschehen noch in einem Zusammenhang mit dem schulrechtlich-organisatorisch verfolgten staatlichen Ausbildungsanspruch steht. Denn nur dann kann die Zeit dem rentenrechtlichen Zweck einer Anrechnung entsprechend noch der Vorbereitung einer Beschäftigung als Grundlage späterer Beitragszahlung dienen (vgl. BSG, Urt. v. 31. 5.79 – SozR 2200 – § 1259 Nr. 39). Insoweit ist zwar der Begriff der Schulausbildung in § 19 Abs. 2 Nr. 4 Art. 2 RÜG rechtlich-organisatorisch pauschalierend. Dies zeigt sich in Abgrenzung gegenüber dem rein tatsächlichen Schulbesuch etwa bei der pauschalierenden Einbeziehung von Zeiten entschuldigten Fernbleibens vom Unterricht. Es zeigt sich weiterhin in der pauschalierenden Behandlung des tatsächlichen Einsatzes des Schülers für das Ausbildungsziel. Dazu müssen wohl die allgemeinen Ausbildungsanforderungen die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausschließen. Ob der einzelne Schüler den entsprechenden Aufwand – etwa bei der Unterrichtsnachbereitung - tatsächlich erbringt, ist aber rechtlich unbeachtlich. Der erforderliche Zusammenhang besteht sogar weiter, wenn der Staat aus tatsächlichen Gründen seine Ausbildungsermächtigung nicht ausüben kann (BSG, ebda.).
Anders liegt aber der Fall, wenn die Schulbehörden gegenüber dem Schüler ihre Ermächtigung zur Durchsetzung der Schulpflicht nicht in Anspruch nehmen. In diesem Fall entlassen sie den Schüler – gegebenenfalls rechtswidrig – durch schlüssiges Verhalten aus seiner Rolle als Schüler. So verhält es sich hier, weil der Kläger und seine Mutter übereinstimmend beschreiben, der Kläger habe ohne eine Reaktion seitens der Schulbehörden den tatsächlichen Schulbesuch für zwei Jahre nicht wieder aufgenommen beziehungsweise die Mutter habe ihn "aus der Schule genommen". Eine Verschuldenszurechnung für den Ausbildungsabbruch – hier etwa durch Berücksichtigung der Unterlassungen der Schulverwaltung – spielt rentenrechtlich keine Rolle. Denn für den rentenrechtlichen Versicherungszweck kommt es auf die Förderung einer künftigen Tätigkeitsaufnahme, allenfalls noch auf die tatsächliche Verhinderung dieser Förderung als Teil des versicherten Risikos an, nicht aber auf eine Verantwortlichkeit für rentenrechtlich schädliche Unterlassungen. Auch ein nicht volljähriger Versicherter, der nach Abschluss des Schulbesuchs nicht angehalten wird, eine Lehre oder sonstige Erwerbstätigkeit aufzunehmen, bleibt insoweit unversichert.
Der Kläger hat auch gemäß § 10 Art. 2 RÜG keinen Anspruch auf eine Invalidenrente für Behinderte, weil er nicht während des gesamten Zeitraumes bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres durch Invalidität gehindert war, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Gesetzeszweck des § 10 Art. 2 RÜG ist insbesondere die Absicherung von Kindheit an behinderter Menschen, die wegen dieser Behinderung zu keinem Zeitpunkt bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres in der Lage waren, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dieser Zweck ergibt sich aus dem völligen Verzicht auf die Zurücklegung irgendwelcher rentenrechtlicher Zeiten, selbst solchen einer Schulausbildung. Denn als Ausnahme gegenüber den meisten Rentenansprüchen des Gesetzes muss hier der Anspruchsteller kein Versicherter im Sinne von § 1 Abs. 2 Art. 2 RÜG sein. Danach kann regelmäßig ein Anspruch nur dem Behinderten zustehen, der schon bei Erreichen eines Alters, in dem allgemein eine Erwerbstätigkeit möglich und zulässig ist, invalide ist. Nur dann ist nämlich auch eine Umgehung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Art. 2 RÜG ausgeschlossen. Hätte der Gesetzgeber in § 10 Art. 2 RÜG alle Fälle eines Eintritts von Invalidität vor Vollendung des 18. Lebensjahres erfassen wollen, wäre das gesetzliche Merkmal der unterbliebenen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit überflüssig, weil Invalidität schon dem Begriff des § 7 Abs. 3 Art. 2 RÜG nach in der Unfähigkeit zur Ausübung einer rentenrechtlich bedeutsamen Erwerbstätigkeit besteht.
Inwieweit § 10 Art. 2 RÜG erweiternd Fälle erfassen kann, in denen erst später Invalidität eintritt, zum Beispiel den Fall einer der Invalidität vorausgehenden ärztlichen Behandlung, kann hier dahinstehen. Denn anders als in solchen Fällen ist hier bei wertender Betrachtung die Invalidität nicht die wesentliche Ursache dafür, dass aus der Sicht vom vollendeten 18. Lebensjahr an beziehungsweise nach Eintritt der Invalidität nie eine Erwerbstätigkeit hat ausgeübt werden können. Denn der Kläger hat rentenrechtlich nicht belegte Zeiten aufzuweisen, in denen er die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch Fortsetzung des Schulbesuchs bis zur Erfüllung der Schulpflicht hätte fördern und noch vor Eintritt seiner Krankheit eine solche auch hätte aufnehmen können.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG schon deshalb nicht, weil die Rechtsfragen um die streitentscheidenden Normen des Artikels 2 RÜG durch deren Außerkrafttreten nicht klärungsbedürftig sind.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf eine Invalidenrente nach dem Übergangsrecht für Renten nach den Vorschriften des Beitrittsgebiets.
Der im Mai 1974 geborene Kläger besuchte seit dem Schuljahr 1981/82 eine polytechnische Oberschule. Der Schulbesuch erfolgte insgesamt unregelmäßig; bereits im ersten Schuljahr fehlte der Kläger 83 Schultage mit der Entschuldigung durch seine erziehungsberechtigte Mutter. Im Schuljahr 1988/89, in dem er 140 Tage überwiegend unentschuldigt fehlte, erreichte der Kläger das Ziel der 8. Klasse nicht. Im Schuljahr 1989/90 erschien der Kläger nur noch zu einzelnen Unterrichtsstunden und schließlich gar nicht mehr. Nach dem Schuljahresende am 5. Juli 1990 nahm er den Schulbesuch nicht mehr auf. Zum Schuljahr 1992/93 meldete er sich in einer anderen Sekundarschule an, besuchte auch diese aber nur tageweise.
Im Rahmen von Behandlungen ab Oktober 1992 stellten Ärzte die Diagnose einer Schizophrenie.
Der Kläger beantragte am 16. Dezember 1996 bei der Beklagten eine Invalidenrente. Die Beklagte holte einen Befundbericht der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. Sch. vom 21. Mai 1997 ein, wonach stationäre Behandlungen von Oktober 1992 bis Januar 1993 und Januar 1995 bis Juni 1995 stattgefunden hatten. Die Symptome hätten sich aber nie völlig zurückgebildet. Aufmerksamkeit, Auffassung und Konzentration seien deutlich gemindert. Zeitweilig lägen Verfolgungswahn, Halluzinationen und Angst vor. Zu anberaumten Begutachtungen erschien der Kläger nicht. Von dem beauftragten Gutachter erlangte die Beklagte einen Entlassungsbericht der Universitätsklinik für Psychiatrie Halle über einen stationären Aufenthalt vom 8. Juni bis 2. Oktober 1996 und über die vorangegangenen stationären Aufenthalte. In einem weiteren Bericht vom 25. Oktober 1997 führte Dr. med. Sch. ergänzend aus, der Kläger erscheine nur gelegentlich und unzuverlässig zu festgesetzten Terminen. Eine entsprechende zeitliche Planung gelinge ihm krankheitsbedingt nicht. Seit Juli 1996 war für den Kläger eine Betreuung für die Gesundheitssorge und Aufenthaltsbestimmung eingerichtet.
Mit Bescheid vom 4. Dezember 1997 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Sie führte aus, der Kläger sei seit dem 29. Oktober 1992 invalide. Damit gehöre er nicht zu den Personen, die schon vor Eintritt des 18. Lebensjahres invalide gewesen seien. Der Bescheid wurde dem Betreuer mit der Post übersandt.
Mit Eingangsdatum vom 5. Januar 1998 legte der Kläger gegen den Bescheid Widerspruch ein. Dazu führte seine Mutter aus, er sei schon im frühesten Schulalter wegen seiner Dunkelhäutigkeit schikaniert worden und habe unter gesundheitlichen Problemen in Form von Bronchitis gelitten. Bereits Anfang 1992 habe sie massive Veränderungen bemerkt. Er sei lustlos gewesen und habe sich des öfteren in seinem Zimmer eingeschlossen. Etwa Ende März habe er erstmals über das Hören von Stimmen berichtet. Er habe nicht mehr früh aufstehen wollen und sei zu einem pünktlichen Schulbesuch nicht zu bewegen gewesen. Er sei er zur zweiten Stunde oder noch später zum Unterricht erschienen. Psychotherapeutische Hilfe habe sie für ihn mit dem Hinweis nicht bekommen, der Kläger sei alt genug, sich selbst in Behandlung zu begeben. Unterdessen sei der Kläger nach einem Angriff von Rechtsradikalen nicht mehr zur Schule gegangen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 1998 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Die Beklagte übersandte ihn über den Betreuer dem Kläger, der ihn nach seiner Mitteilung am 4. März 1998 erhielt.
Mit der am 1. April 1998 beim Sozialgericht Halle eingegangenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Das Gericht hat einen Bericht der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. A. vom sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamtes Halle vom 8. September 1998 eingeholt. Sie hat ausgeführt, die Mutter habe bereits mit 10 Jahren Konzentrationsstörungen in der Schule bemerkt. Die Leistungen hätten sich verschlechtert. Als er eine Klasse trotz Wiederholung nicht geschafft habe, habe ihn die Mutter für ein Jahr aus der Schule genommen. Mit 14 Jahren habe er erstmalig Stimmen gehört. Mit 17 Jahren seien Denkstörungen, massive akustische Halluzinationen und abnorme Leibgefühle aufgetreten. Der Kläger sei bei ihr im Oktober 1992 in der Ambulanz der Universitätsklinik in einem hochpsychotischen Zustand vorstellig geworden. Der Krankheitsbeginn liege aber nach den Angaben des Klägers und seiner Mutter schon längere Zeit vor dem Beginn der Behandlung. Der Kläger sei nie in der Lage gewesen, eine Berufstätigkeit auszuüben. Das Gericht hat sodann den Entlassungsbericht der Universitätsklinik H. vom Januar 1993 und den Aufnahmebefund beigezogen. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 51-57 d.A. Bezug genommen. Sodann hat das Gericht einen Befundbericht von Dr. med. Sch. vom 28. Februar 2000 eingeholt, wegen dessen Inhalt auf Bl. 98 d.A. verwiesen wird.
Mit Gerichtsbescheid vom 20. März 2000 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Beklagte habe den Beginn einer Invalidität im Sinne von § 7 Art. 2 RÜG mit Recht im Oktober 1992 gesehen. Dies entspreche der eigenen Angabe des Klägers im Rentenantrag und der Mitteilung von Anzeichen der Krankheit eine Woche vor der stationären Aufnahme, die aus dem Entlassungsbericht hervorgehe. Eine nervenärztliche Behandlung habe auch vorher nicht stattgefunden. Über die abweichenden Angaben von Frau Dr. A. , die sich auf den Zeitraum vor ihrem Behandlungsbeginn bezögen, lägen keine entsprechenden Beweismittel vor. Das Fernbleiben von der Schule lasse keine Schlussfolgerungen auf ein bereits vorhandenes Krankheitsbild zu.
Der Kläger habe nicht im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 4 Art. 2 RÜG die Hälfte der Zeit ab Vollendung des 16. Lebensjahres mit Zeiten des Schulbesuchs belegt. Denn selbst wenn man die Monate Mai bis Juli 1990 und August bis Oktober 1992 trotz der massiven Fehlzeiten als Schulausbildung im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 4 Art. 2 RÜG werten wolle, handele es sich nur um acht Monate mit schulischen Zeiten. Erforderlich seien aber mindestens 15 Monate. Auch nach § 10 Art. 2 RÜG bestehe kein Anspruch auf Invalidenrente, weil der Kläger danach schon vor dem 18. Lebensjahr wegen Invalidität an der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gehindert gewesen sein müsse. Für eine Invalidität vor seinem 18. Geburtstag im Mai 1992 gebe es aber keine Hinweise.
Gegen den ihm am 11. Mai 2000 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger mit Eingangsdatum vom 13. Juni 2000, dem Dienstag nach Pfingsten, Berufung eingelegt. Er ist der Auffassung, die Fehlstunden beim Schulbesuch zwischen Mai 1990 und Oktober 1992 seien krankheitsbedingt gewesen und als Schulausbildung im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 4 Art. 2 RÜG zu berücksichtigen. Die Invalidität sei auch vor Vollendung des 18. Lebensjahres eingetreten. Schon vor diesem Zeitpunkt habe er Stimmen gehört und sich nicht mehr getraut, den Schulbesuch aufzunehmen. Im Übrigen sei sein Fernbleiben von der Schule geduldet worden. Es sei niemals eine gegenteilige ordnungsrechtliche Anordnung ergangen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 20. März 2000 und den Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 1998 aufzuheben und
die Beklagte zu verurteilen, ihm von Dezember 1996 an eine Invalidenrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für zutreffend. Wegen der Ermittlungen des Gerichts wird auf die Mitteilung von Dr. med. A. vom 15. Dezember 2000, Bl. 144 d.A., den Bericht der Nervenärztin B. vom 15. Dezember 2000, Bl. 145 f. d.A., die Auskunft der Grundschule K. vom 10. Juli 2003, Bl. 175 f. d.A., die Auskunft der Grundschule K. vom 26. August 2003, Bl. 185 d.A. und die Auskunft des staatlichen Schulamtes H. vom 29. September 2003, Bl. 187 d.A. Bezug genommen.
Neben der Akte der Beklagten über den Kläger – Vers.-Nr.: ...– hat in der mündlichen Verhandlung und bei der Beratung die Ablichtung der Krankenakte der Universitätsklinik für Psychiatrie und Neurologie H. über die Behandlung dort zwischen September 1992 und Januar 1993 vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 S. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung hat keinen Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 1998 beschwert den Kläger nicht im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 S. 1 SGG, weil die Ablehnung der Gewährung einer Invalidenrente rechtmäßig ist.
Der Kläger hat gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 4 des Übergangsrechts für Renten nach den Vorschriften des Beitrittsgebiets (Art. 2 RÜG) in der Fassung durch Gesetz vom 25.7.91 (BGBl. I S. 1606) keinen Anspruch auf eine Invalidenrente, weil er nicht die Hälfte der Zeit ab Vollendung des 16. Lebensjahres bis zum Eintritt der Invalidität Zeiten einer versicherungspflichtigen Tätigkeit hat. Hierfür reicht bereits die Feststellung aus, dass der Kläger jedenfalls nicht vor Oktober 1990 invalide geworden ist, weil bereits dann die Zeit bis zum Eintritt der Invalidität nicht zur Hälfte mit Zeiten einer versicherungspflichtigen Tätigkeit belegt ist.
Die Symptome, die für die 1992/93 gestellte Diagnose einer Schizophrenie bestimmend gewesen sind, sind lediglich mehrere Monate vor Beginn der stationären Behandlung im Oktober 1992 aufgetreten. Diese Angabe hat der Kläger bei der Aufnahme in die stationäre psychiatrische Behandlung im Oktober 1992 gemacht. Sie ist von Bedeutung, weil der Kläger bei dieser Gelegenheit als frei von Bewusstseinsstörungen, voll orientiert, aufmerksam und "eigentlich auch konzentriert" geschildert wird. Die Angabe des Klägers stellt die einzige Mitteilung zu zeitlichen Bezügen von Symptomen der Schizophrenie dar, die der gesamten Krankenakte über die stationäre Behandlung von Oktober 1992 bis Januar 1993 zu entnehmen ist. Die Mitteilung in dem Entlassungsbericht vom 28. Januar 1993, er habe solche Symptome erst seit einer Woche, stellt eine nicht zwingende Schlussfolgerung aus einer kurzen handschriftlichen Anamnese dar, der solche genauen Angaben zu zeitlichen Zusammenhängen nicht zu entnehmen sind. Tatsächlich angegeben hat der Kläger lediglich nacheinander einen Angriff eines Jugendlichen auf ihn und halluzinatorische Symptome vom Wochenende vor der Untersuchung. Dass vorher solche Erscheinungen nicht aufgetreten waren, ergibt sich aus keiner Formulierung der niedergelegten Anamnese. Dies ist auch auszuschließen, weil der Kläger bereits im ersten Vorgespräch zur Einleitung der Behandlung vom 22. September 1992 diese Symptome erwähnt hat. Die Aufzeichnungen dazu finden sich ebenfalls in der Krankenakte.
Nicht nachvollziehbar sind die Angaben zum Krankheitsverlauf im Bericht von Dr. med. A. vom 8. September 1998. Eine konkrete Quelle hat sie, wie sie in ihrem Schreiben vom 15. Dezember 2000 ausdrücklich mitgeteilt hat, nicht in Erinnerung. Die Unterlagen der Universitätsklinik, auf die sie sich bezogen hat, enthalten aber entsprechende Angaben gerade nicht.
Angaben über im Oktober 1992 "mehrere Monate" vorliegende Symptome sind sprachlich mit einem Beginn noch vor Jahresanfang 1991 nicht zu vereinbaren. Insofern kommt es nicht darauf an, dass die Mutter des Klägers den Beginn auffälliger Veränderung ohnehin erst mit dem Jahresbeginn 1992 angibt.
In seiner Eigenschaft als Schüler einer allgemeinbildenden Schule hat der Kläger nicht mehr als drei Monate an Zeiten einer versicherungspflichtigen Tätigkeit im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Art. 2 RÜG zurückgelegt, nämlich Zeiten, in denen er sich im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 4 Art. 2 RÜG nach Vollendung des 16. Lebensjahres (im Mai 1990) in einer Schulausbildung befunden hat. Insoweit reicht es nicht aus, dass der Kläger die rechtliche Eigenschaft eines Schülers mit Ablauf des Schuljahres 1989/90 nicht verloren hat und seine Schulpflicht jedenfalls bis zum Ablauf des Schuljahres 1990/91 nicht erfüllt hatte.
Für Zeiten einer Schulausbildung kommt es im Mindestmaß darauf an, dass das tatsächliche Geschehen noch in einem Zusammenhang mit dem schulrechtlich-organisatorisch verfolgten staatlichen Ausbildungsanspruch steht. Denn nur dann kann die Zeit dem rentenrechtlichen Zweck einer Anrechnung entsprechend noch der Vorbereitung einer Beschäftigung als Grundlage späterer Beitragszahlung dienen (vgl. BSG, Urt. v. 31. 5.79 – SozR 2200 – § 1259 Nr. 39). Insoweit ist zwar der Begriff der Schulausbildung in § 19 Abs. 2 Nr. 4 Art. 2 RÜG rechtlich-organisatorisch pauschalierend. Dies zeigt sich in Abgrenzung gegenüber dem rein tatsächlichen Schulbesuch etwa bei der pauschalierenden Einbeziehung von Zeiten entschuldigten Fernbleibens vom Unterricht. Es zeigt sich weiterhin in der pauschalierenden Behandlung des tatsächlichen Einsatzes des Schülers für das Ausbildungsziel. Dazu müssen wohl die allgemeinen Ausbildungsanforderungen die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausschließen. Ob der einzelne Schüler den entsprechenden Aufwand – etwa bei der Unterrichtsnachbereitung - tatsächlich erbringt, ist aber rechtlich unbeachtlich. Der erforderliche Zusammenhang besteht sogar weiter, wenn der Staat aus tatsächlichen Gründen seine Ausbildungsermächtigung nicht ausüben kann (BSG, ebda.).
Anders liegt aber der Fall, wenn die Schulbehörden gegenüber dem Schüler ihre Ermächtigung zur Durchsetzung der Schulpflicht nicht in Anspruch nehmen. In diesem Fall entlassen sie den Schüler – gegebenenfalls rechtswidrig – durch schlüssiges Verhalten aus seiner Rolle als Schüler. So verhält es sich hier, weil der Kläger und seine Mutter übereinstimmend beschreiben, der Kläger habe ohne eine Reaktion seitens der Schulbehörden den tatsächlichen Schulbesuch für zwei Jahre nicht wieder aufgenommen beziehungsweise die Mutter habe ihn "aus der Schule genommen". Eine Verschuldenszurechnung für den Ausbildungsabbruch – hier etwa durch Berücksichtigung der Unterlassungen der Schulverwaltung – spielt rentenrechtlich keine Rolle. Denn für den rentenrechtlichen Versicherungszweck kommt es auf die Förderung einer künftigen Tätigkeitsaufnahme, allenfalls noch auf die tatsächliche Verhinderung dieser Förderung als Teil des versicherten Risikos an, nicht aber auf eine Verantwortlichkeit für rentenrechtlich schädliche Unterlassungen. Auch ein nicht volljähriger Versicherter, der nach Abschluss des Schulbesuchs nicht angehalten wird, eine Lehre oder sonstige Erwerbstätigkeit aufzunehmen, bleibt insoweit unversichert.
Der Kläger hat auch gemäß § 10 Art. 2 RÜG keinen Anspruch auf eine Invalidenrente für Behinderte, weil er nicht während des gesamten Zeitraumes bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres durch Invalidität gehindert war, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Gesetzeszweck des § 10 Art. 2 RÜG ist insbesondere die Absicherung von Kindheit an behinderter Menschen, die wegen dieser Behinderung zu keinem Zeitpunkt bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres in der Lage waren, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dieser Zweck ergibt sich aus dem völligen Verzicht auf die Zurücklegung irgendwelcher rentenrechtlicher Zeiten, selbst solchen einer Schulausbildung. Denn als Ausnahme gegenüber den meisten Rentenansprüchen des Gesetzes muss hier der Anspruchsteller kein Versicherter im Sinne von § 1 Abs. 2 Art. 2 RÜG sein. Danach kann regelmäßig ein Anspruch nur dem Behinderten zustehen, der schon bei Erreichen eines Alters, in dem allgemein eine Erwerbstätigkeit möglich und zulässig ist, invalide ist. Nur dann ist nämlich auch eine Umgehung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Art. 2 RÜG ausgeschlossen. Hätte der Gesetzgeber in § 10 Art. 2 RÜG alle Fälle eines Eintritts von Invalidität vor Vollendung des 18. Lebensjahres erfassen wollen, wäre das gesetzliche Merkmal der unterbliebenen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit überflüssig, weil Invalidität schon dem Begriff des § 7 Abs. 3 Art. 2 RÜG nach in der Unfähigkeit zur Ausübung einer rentenrechtlich bedeutsamen Erwerbstätigkeit besteht.
Inwieweit § 10 Art. 2 RÜG erweiternd Fälle erfassen kann, in denen erst später Invalidität eintritt, zum Beispiel den Fall einer der Invalidität vorausgehenden ärztlichen Behandlung, kann hier dahinstehen. Denn anders als in solchen Fällen ist hier bei wertender Betrachtung die Invalidität nicht die wesentliche Ursache dafür, dass aus der Sicht vom vollendeten 18. Lebensjahr an beziehungsweise nach Eintritt der Invalidität nie eine Erwerbstätigkeit hat ausgeübt werden können. Denn der Kläger hat rentenrechtlich nicht belegte Zeiten aufzuweisen, in denen er die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch Fortsetzung des Schulbesuchs bis zur Erfüllung der Schulpflicht hätte fördern und noch vor Eintritt seiner Krankheit eine solche auch hätte aufnehmen können.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG schon deshalb nicht, weil die Rechtsfragen um die streitentscheidenden Normen des Artikels 2 RÜG durch deren Außerkrafttreten nicht klärungsbedürftig sind.
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